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24. März 2013

So viele Eier

Auch das muss mal sein. Ich weiß nicht, ob ich das komplett durchhalte, aber ich bin tatsächlich auch ein paar Tage völlig ohne Internetzugang. Das Blog wird in der Zwischenzeit auf moderierten Modus geschaltet, denn leider ziehen Pausen Spammer an. Die dann einlaufenden Kommentare können leider erst freigeschaltet werden, wenn ich wieder im Internet unterwegs bin. Mal schauen, was ich alles so ausbrüten werde, die Liste ist lang!

#Indiebookday - was war denn da los?

Gestern habe ich wahrscheinlich auf allen Social-Media-Kanälen buchferne Menschen genervt und verscheucht, weil ich den Indiebookday unterstützt habe. Die Kampagne, die vom Mairisch Verlag initiiert wurde, hatte ein einfaches wichtiges Anliegen:
"Es gibt viele kleine tolle Verlage, die mit viel Herzblut und Leidenschaft schöne Bücher machen. Aber nicht immer finden die Bücher ihren Weg zu den Lesern. Der Indiebookday kann da für ein bisschen Aufmerksamkeit sorgen."
Wer das unterstützen wollte, ging gestern zur Buchhandlung seiner Wahl, auch online - und kaufte ein Buch aus einem sogenannten Indieverlag. Das hat man dann fotografiert und auf allen Kanälen im Internet empfohlen. Natürlich kann und sollte man solche Käufe durchaus ganzjährig tätigen! Durch die Konzentration der Aktion auf einen einzigen Tag erhofft man sich jedoch Aufmerksamkeit in Social Media und in herkömmlichen Medien. Außerdem sollen durch häufigeres Nachfragen Buchhandlungen dazu gebracht werden, auch Indieverlagen eine Chance zu geben und sich nicht dumm zu stellen, wenn man ein Buch von solchen bestellen möchte. Warum der Indiebookday nichts mit Indieautoren = Self Publishers zu tun hat und was für Verlage überhaupt dazu zählen, hat Wibke Ladwig sehr einfach erklärt - im Online-Shop Tubuk gibt es auch eine ungefähre Liste und dann wären da noch die Teilnehmer der sogenannten Hotlist.


Im Minutentakt schlugen dann vor allem bei Twitter (unter dem Hashtag #indiebookday) und Facebook die Buchempfehlungen auf. Manchmal so schnell, dass es schon an Überreizung grenzte. Aber zum Glück vergisst das Netz so schnell nichts, so dass man sich auch nach dem Aktionstag noch Appetit holen kann, etwa hier (FB) oder hier (Tw). Mein Buch der Bücher, das ich gestern gekauft hätte, wenn ich nicht hätte schummeln müssen: Der Erzählband von Gennadij Gor: Das Ohr, erschienen als "Wolffs Broschur" bei der Friedenauer Presse in Berlin. Leider lebe ich 40 Kilometer von der nächsten engagierten, deutschsprachigen Buchhandlung entfernt.


In dieser persönlichen Auswahl ist bereits das ganze Dilemma enthalten, das durch persönliche Erfahrungsberichte von Leserinnen und Lesern gestern öffentlich wurde. Denn obiges Buch ist, wie alle in dieser Reihe, eine einzigartige literarische Perle - und gleichzeitig eine bibliophile Preziose. Der Einband aus leicht gerilltem, sehr dünnen Karton ist vorn und hinten mit einem Kunstwerk in so hoher Qualität bedruckt, dass man auf den ersten Blick die Signatur für Bleistiftgekritzel hält - der Inhalt bietet eine typografische Augenweide.

Trotzdem habe ich den Verlag "Friedenauer Presse" erst vor wenigen Jahren im Internet entdeckt. Auf der Suche nach Verlagen mit russischer Literatur stolperte ich über einen Onlineartikel und googelte dann nach dem Verlag. Irgendwann stieß ich sogar auf einen Buchhändler, der mehrere Bände der Friedenauer Presse im Laden hat, wenn ihn nicht gerade wieder die Neuerscheinungen der Konzernverlage überrollen. Andere Buchhändler taten auch schon mal so, als würden sie den Verlag nicht kennen und dessen Bücher nicht bestellen können - das sind dann die Buchhandlungen, die ehemalige Fischverkäuferinnen einstellen.

Meine bruchstückhaften Beobachtungen am Aktionstag:
  • Es gibt eine Menge absolut engagierter Verlage, die wunderbare, individuelle Bücher machen, diese auch noch liebevoll gestalten, die aber kein Aas kennt (nicht mal ich als Autorin). Weil sie nicht im Buchhandel sichtbar sind, weil sie nicht das Budget für Werbung haben, weil sie im Feuilleton von Hypes weggewalzt werden.
  • Indieverlage haben durch Social Media ungeheuer viel gewonnen. Auch wenn das verdammt viel Arbeit scheint, aber so sind sie direkt am Leser und machen von sich reden. Ich selbst habe viele Verlage erst hier entdeckt und beziehe mittlerweile etwa 95% aller Buchempfehlungen, die zu tatächlichen Käufen führen, via Social Media und Blogs.
  • Indieverlage haben, was mir am Bucheinerlei auf den Stapeltischen fehlt: Mut und Risikofreude. Schräge, gewagte, seltene, uralte, ultramoderne, individuelle, sehr besondere Bücher. Cover- und Buchgestaltung, die es nicht nötig hat, einen Trend zum 1001sten Mal zu kopieren. Liebe zur Einheit von Form und Inhalt. Autorenpflege. Gepflegte Backlists statt Schnellverramschung.
  • Der Buchhandel kann aus Kostengründen natürlich nicht jedes Buch von jedem Winzigverlag auf Lager haben. Mit der Politik, sich Indieverlagen ganz zu verweigern, verlieren gewisse Buchhandlungen ihre anspruchsvollere Kundschaft jedoch ganz schnell an den Onlinehandel: Amazon besorgt auch noch das schrägste Buch in Rekordzeit, Tubuk präsentiert Indieverlage sogar massiv.
  • Einzelne Buchhandlungen haben den Aktionstag massiv unterstützt und in Social Media oder via Presse begleitet. Die merkt man sich gern - und bei vielen von ihnen kann man direkt im Internet ordern - nicht nur an einem Tag.
  • Absolutes No-Go, gestern immer wieder berichtet und auch von mir schon mehrfach erlebt: Buchhändler tun so, als sei ein Buch aus einem Indieverlag nicht im Computer zu finden und schon gar nicht zu bestellen. Man lässt sich als Kunde nur einmal für so blöd halten und kauft woanders.
  • Einzelne Buchhandlungen und Verlage beklagten sich gestern teilweise über fehlendes Medieninteresse - wenn sogar WDR3 berichtete, hat die herkömmliche Presse anscheinend Nachholbedarf. Vielleicht sollte man die Aktion in dieser Hinsicht im nächsten Jahr verbessern. Auch im Buchhandel selbst war zu weiten Teilen der Aktionstag nicht einmal bekannt. Eine stärkere Vernetzung zwischen Internet und Real Life wäre wünschenswert.
  • Fragmentarisch leuchtete Unwillen einzelner Buchhandlungen auf. Man beklagte sich, Buchhandlungen hätten sich selbst bei Unterstützung von außen geweigert, in irgend einer Weise auf den Tag aufmerksam zu machen. Das kann natürlich viele komplexe Gründe haben. Symptomatisch war die Aussage eines Buchhändlers: "Das ist uns zu viel, wir haben im Herbst schon eine Lesung." Extraarbeit ist nicht immer zu leisten, aber der Indiebookday könnte auch Kunden bringen, vielleicht sogar neue Kundenschichten überhaupt erst erschließen. Wie viel kostet es, ein Schildchen zu malen oder ein Schaufenster zu dekorieren?
  • Ebenfalls ein absolutes No-Go: Self Publisher, die zu faul oder zu dumm waren, nachzulesen, was "Indiebookday" bedeutet. Die meinten, sie könnten unter dem Label massenhaft ihre Amazonlinks unters Volk blasen oder gar Gratisaktionen absetzen. Die in der Egomanie ihrer Dauerbeschallung mit Eigenwerbung nichts, aber auch gar nichts kapiert hatten: Hier sollten Leser Bücher von anderen empfehlen, Bücher aus Indieverlagen. Einen besonders Hartnäckigen habe ich gestern aus der Liste der FB-Freunde gestrichen. Weil ich diese Billige-Jakob-Masche nicht nur peinlich und nervig finde. Sondern weil solche Kollegen dem Ruf der Self Publisher schaden, indem sie alle Vorurteile der wichtigen Branchen-Player bestätigen. Das geht auch anders, liebe Autoren - lasst euch doch mal eine eigene konzertierte Aktion einfallen! Buch-PR ist nicht Linkspamming!
Fatale Wirkungen hatte der Tag übrigens auf mich persönlich:
  • Ich habe schon wieder Verlage entdeckt, von deren Existenz ich nichts wusste und die doch Bücher machen, nach denen mich hungert. Wenn es Buchhandel und Feuilleton nicht großflächig übers Herz bringen, diesen künftig eine Chance von Sichtbarkeit zwischen Quote und Hype zu geben, werde ich wohl mit der Fragmentarik des Internets leben müssen. Drum, liebe Verlegerinnen und Verleger: Eure Websites und eure Präsenz in Social Media sind für Kundinnen wie mich unverzichtbare Kaufanreize!
  • Als Autorin ist mir nun nicht mehr bang, endlich nur noch "mein Ding" durchzuziehen und so zu schreiben, wie es in mir brennt. Da draußen gibt es jede Menge Verlage für so etwas. Man muss sie nur erst mal finden.
  • Auch E-Books sind ein hochgeredeter Hype. Da ist so viel Papier, das einen Kauf wirklich lohnt. Weil es nicht einfach das auf Wegwerfgesellschaft getrimmte Taschenbuch mit Billigklebe und Dumpinglektorat ist. E-Books sind notwendig und werden verlangt. Aber um wirklich "schöne" Bücher ist mir nicht bange. Und um Verleger, die längst offen über Mediengrenzen hinweg agieren - auch das ist "Indie"!
  • Ich sollte mir einen einträglicheren Job suchen. Allein die Bücher, die ich gestern auf meiner Wunschliste notiert habe, reichen für drei Weihnachtseinkäufe. So viele intelligente, wunderbar geschriebene, außergewöhnliche Bücher! Darum mein Ratschlag: Jeder Tag darf ein Indiebookday sein!

23. März 2013

Der Zauber des Übersetzens

Selten hat mir ein Artikel derart gut gefallen, dass ich ihn auf allen Kanälen gleich mehrfach empfehlen muss. Aber "Künstler im Hintergrund" im Standard ist eine dieser seltener werdenden journalistischen Perlen, die uns auf knappem Raum das reiche Wunder literarischen Übersetzens näher bringt. Als eine, die das auch schon gemacht hat, kann ich ständig nur nicken und Ja sagen ... so ist es. Und darum kann man wohl auch kaum davon lassen, obwohl die Bezahlung in diesem Beruf einfach nur lausig ist. Darum verlieren Verlage aber auf lange Sicht ihre guten Übersetzer und trocknen ihre eigenen Ressourcen aus. Die nachwachsenden Generationen nehmen nicht mehr alles in Kauf und können sich auf externe Ernährer nur selten verlassen.

21. März 2013

Umbruch liegt in der Luft

Umbrüche wittere ich in der deutschen Buchbranche. Ja, schon wieder - und diesmal in einem neuen Ausmaß. Ich lese ungern aus dem Kaffeesatz, bin aber der Meinung, dass sich jetzt langsam manifestiert, wo Entwicklungen verschlafen wurden und andere noch gar nicht entdeckt. Alles scheint möglich und anderswo will überhaupt nichts funktionieren, widersprüchliche Zeiten sind das.

Die "offizielle" Seite der Buchbranche, so erscheint es jedenfalls laienhaften Mitlesern in Social Media, jammert entweder weiter über die "neue Zeit" und den vielbeschworenen Untergang ganzer Berufszweige. Oder man versenkt Millionen in eine Werbekampagne mit einem Titel, der RTL alle Ehre machen würde: "Vorsicht Buch" - und die dann viele auch einfach nicht verstehen. Ich übrigens auch nicht. Weitere Millionen landen im Klassenkampf gegen den Feind Nr. 1, den ach so bösen Giganten Amazon, der die ach so liebennettenkleinenunabhängigen Buchhändler so fürchterlich foltert. Hätte man doch die innovativen Bastler in der Garagenfirma in den USA damals nur nicht so ausgelacht. Was hat sich die Buchbranche über Jahre auf die Schenkel gehauen: "Unsere Kunden wollen sowas nicht, nein nienicht!" Und jetzt, wo das Kind eh schon in den Brunnen gefallen ist, besinnt man sich nicht etwa auf die eigenen Stärken, nein, man investiert in Klassenkampf.

"Tolino" heißt der. Nicht, dass ich einen eigenen Reader, ein offenes System und andere Versprechungen nicht löblich finden würde. Konkurrenz ist vonnöten, sie belebt das Geschäft. Aber kann mir jemand verraten, wie und warum ich jetzt ausgerechnet mit deutschen Konzernen und Firmen wie Telekom, Weltbild, Thalia & Co. meinen kleinen Buchhändler retten soll? Waren das nicht vor Jahren genau dieselben, die das Sterben von liebennettenkleinenunabhängigen Buchhändlern in den Städten erst verursacht haben? Die sich von Verlagen Rolltreppen bezahlen ließen (FAZ), Indieverlage erst gar nicht ins Sortiment aufnahmen, unkatholisches Kroppzeug von Büchern stillschweigend aussortierten und Mitarbeiter beschäftigten, die ... ? Vielleicht habe ich einfach nur zu viel Feuilleton gelesen, vielleicht bin ich einfach nur naiv, aber so plakativ sterben Dinosaurier. Mein kleiner unabhängiger Buchhändler steht derweil im Regen und bestellt auch schon mal bei Amazon, weil die manches einfach können. Der muss sich selbst retten.

Die Buchwelt dreht sich im Überschall weiter. Längst sind externe Self Publishing Plattformen von Verlagen wie epubli oder neobooks etabliert, kaum einer denkt mehr darüber nach, dass sich so die Flut unverlangt eingesandter Manuskripte eigentlich recht schick vermindern lässt und Self Publishing tatsächlich ein Markt ist. Da haben Verlagskonzerne frühzeitig richtig investiert. Wer es noch nicht hat, zieht nach und weicht das Bild vom "echten" Verlag auf. Was ist ein echter Verlag, ein Gatekeeper, wie es so schön heißt? Einer, der nur Bücher von anderen Leuten verlegt, der Bücher wirklich auswählt, der für Bücher bezahlt?

Penguin machte Schlagzeilen, als es in eine der größten Vanity-Press-Plattformen investierte. Ganz großes Pfui in der deutschen Branche, Karrierekiller Nr. 1. Und jetzt kommt einer der weltbesten Verlage, der zweitgrößte Konzern nach Random House, und hat keine Berührungsängste mehr. Sondern erkennt einen Markt. Die ersten Verlage kaufen erfolgreiche Indieautoren direkt von Amazons Bestenlisten weg, für solche Informationen ist der Marktführer dann wieder gut. "Dienstleistung" ist das neue Zauberwort, schließlich ist ein Großteil der Autoren darauf aus, möglichst viel zu schreiben und möglichst wenig Nebenarbeit zu erledigen. Und viele Arbeiten brauchen Profis: Lektoren, Korrektoren, Grafiker, Drucker ... Praktisch ist das außerdem: In einem Buchmarkt, in dem Profite mehr zählen als Kulturgüter, kann man Talente erst mal vor die User werfen, um zu schauen, wer Perle wird, wem man eine echte Chance gibt.

Das Verlagsprinzip wird aufgeweicht, aber das Prinzip der Autorenschaft auch. Es gibt nicht einen festen Weg, um Autorin oder Autor zu werden. Sich jahrelang vergeblich bewerben und dabei verrotten? Zuerst die Dienstleistung, dann der zahlende Verlag? Zuerst die Investition als Indie in Fachleute von Grafik bis Lektorat - und dann vielleicht der Durchbruch?

Als ob das alles noch nicht genug wäre - ein neues Konzept taucht auf: Reine E-Book-Verlage sprießen wie die Pilze aus dem Boden. Self Publisher professionalisieren sich und werden zu Verlegern. Selbstverleger lecken Blut und geben Kollegen heraus. Verlagsautoren gründen Kooperativen und "echte" Verlage. Kollegen geben andere Kollegen eine Chance. Es werden Verlage gegen eine Profitkultur gegründet und Verlage, die noch mehr Profit bringen sollen. Der neueste Trend sind E-Imprints etablierter Verlage. Man möchte kaum glauben, dass die Mutterhäuser täglich unter der Last unverlangt eingesandter Manuskripte stöhnen. Jetzt geht man sogar aktiv auf die Suche nach Autoren, als ob es noch nicht genügend gäbe: Man muss einfach über 18 sein und in Liebe machen oder Thrill und Romance instant schreiben. Während reihenweise Manuskripte sogar von etablierten Autoren abgelehnt werden, mit immer hahnebücheneren Begründungen, sammelt man anderswo mit blumigen Versprechungen Unentdeckte in Imprints? Kein Problem, wenn die manches noch nicht so richtig können, auch Unterricht bringt schließlich Geld. Wo man doch jahrelang in vielen Verlagen an der Talententdeckung und Autorenentwicklung massiv gespart hat. Früher hat man Fachkräfte outgesourct. Jetzt gehen alte Verlagskernkompetenzen ins geldwerte Outsourcing. Random House hat dafür in den USA bereits Prügel bezogen.

Verlage sind jedoch nicht alles. Viel zu viele Autoren sind viel zu geil auf eine Veröffentlichung. Was früher DKZV erledigte, sahnt heute eine unübersichtliche, wachsende Zahl nicht immer seriöser Dienstleister ab. So schön das ist, sich Arbeit abnehmen zu lassen: Man sollte die Augen ganz weit aufsperren beim Lesen der Verträge, bei den Konditionen. Ein Netto vom Verkaufserlös ist kein Netto vom Verkaufspreis. PoD nicht immer billiger als Auflagendruck. Die Anbindung an einen neuen Shop nicht immer mit der gleichen Bequemlichkeit und mit Verkaufsstatistiken verbunden. Was Amazon kann, können in Teilen andere vielleicht auch, aber ganz viele können nicht einmal einen Bruchteil. So manche Firma auf diesem Sektor glänzt mit Fehlern in der Konvertierung, mit schlampigem Lektorat. Trau, schau, wem! Seriöse Dienstleister haben keine Mondpreise, legen ihre Konditionen rückhaltslos offen und können auch Referenzen nennen. Und längst gibt es Self Publisher wie den Focus-Redakteur Matthias Matting, die sich den Markt ganz genau anschauen und Hilfe für Kollegen bieten.

Die Vermischung etablierter Verlage mit Dienstleistungsunternehmungen ist meiner Meinung nach jedoch nicht das einzige Anzeichen für einen grundlegenden Umbruch. Die eigentliche Revolution wird sich wohl eher im Bereich der Distribution und des Zwischenbuchhandels abspielen. Bisher war es für Self Publisher recht schwer bis unmöglich, mit E-Books wirklich in jeden Shop zu kommen. Auch ich biete darum meine Bücher, vorläufig noch, nur über den Marktführer Amazon an. Potente Distributoren wollen kein Kleinvieh, arbeiten entweder nur mit Verlagen oder wollen Mindestumsätze und Mindesttitelzahlen sehen. Und manche Distributoren sind vielleicht nicht so potent, wie sie scheinen.

Genau dieses Geschäft wird jetzt von einer anderen Branche neu aufgerollt: Der Musikbranche! Hier hat man die Fehler der Buchbranche nämlich längst hinter sich und schmerzhaft lernen müssen. Hier sind Indie-Produktionen tägliches Brot. Und siehe da, plötzlich steht Self Publishers im Einzelkampf so ziemlich alles offen, was bisher nur Verlagen möglich war, wo der Buchhandel nur Verlage bevorzugte. KNM oder Feiyr kommen aus der Musik. Solche Distributoren haben kapiert: Ein E-Book unterscheidet sich nicht wirklich von einer Songsammlung. Digital ist digital. Spannende Zeiten. Denn wenn nichts mehr so ist, wie es mal war, ist alles nur Denkbare möglich geworden.

20. März 2013

Das ewige Machwerk

Veröffentlichen ist hipp. Veröffentlichen funktioniert dank E-Book-Technik sogar kinderleicht und ultraschnell. Man kann heutzutage jeden Text, abgesehen von aller Qualität, mit ein paar Mausklicks unters Volk werfen. So geschehen mit diesem, den ich in einer Kaffeepause herunterratze, um die Menschheit mit meinem Gelaber zeitnah zu beglücken. Tut es aber wirklich jedem Text gut, zu schnell veröffentlicht zu werden? Oder anders gefragt, wann ist ein Text reif?


Auf meiner Festplatte gärt mal wieder mein ewiges Machwerk. Es trägt den bezeichnenden Arbeitstitel "Fluchten" und existiert in einer ersten vorzeigbaren Ausformung von ein paar Kapiteln nebst Exposé seit 2004, wird also bald zehn Jahre alt werden. Im Jahr 2006 war ich einmal verrückt genug, mich damit bei einem hehren Literaturstipendium zu bewerben, vergebens natürlich. Ich erröte heute noch verschämt angesichts meines Größenwahns. Die Texte waren sprachlich geschliffen, aber der Entwurf alles andere als rund. Drei Jahre später wagte ich es mit einer Beurteilung durch die Cheflektorin eines Edelhauses. Agenten können manchmal so etwas abfragen, um wichtige Hinweise zu erhalten. Die Cheflektorin ging auf meinen Inhalt überhaupt nicht ein. Sie regte sich zwei Seiten lang (!) darüber auf, dass meine Hauptfigur Ikonen fälscht, so etwas könnten sie absolut unmöglich einkaufen, denn da habe es gerade erst diesen Roman über eine Kunstfälscherin gegeben. Und viel zu wenig Historie und pralles Leben in dem Text.

Brav und lernbegierig schlug ich den von ihr genannten Titel nach, der mir den Hals gebrochen hatte ... und entdeckte einen historischen Roman. Mein Entwurf spielte aber deutlich erkennbar in den 1990er Jahren und war kein Genre. Woher sollte da Historie kommen? Was, wenn schon solche Leute in solchen Verlagen nur durch Scheuklappen auf einen Text schauten? Ich war wütend, ich war trotzig ... und so verzweifelt, dass ich meinen Text für immer begraben wollte. Kennt man ja aus Anfängerzeiten, dieses Klagen: Die böse, böse Lektorin hat meine Qualitäten nicht erkannt, hubuuuuh, Verlage sind dumm!" Heutzutage, wenn ich denn wirklich so naiv wäre, hätte ich das Ganze aus Trotz im Affenzahn selbst veröffentlichen können. Stattdessen gehe ich jedoch nach Feedback von außen immer in mich. Wenn eine deart erfahrene Cheflektorin meinen Entwurf im Kopf mit einem historischen Roman zusammenbringt, was könnte ich dann falsch gemacht haben, um diese Assoziation auszulösen? Was fehlt dem Text, um als das wahrgenommen zu werden, was er sein soll?

Ich mache es kurz: Ich bin so verrückt, diesen Text immer wieder neu zu schreiben. Mit jahrelanger Pause dazwischen. Meine Hauptfigur fühlt sich schon an wie eine zweite Haut. Und vielleicht gelingt es mir nur darum, mich ihr immer wieder von Neuem anzunähern, weil sie ihr Gedächtnis verloren hat. Sie fühlt sich an wie eine neu formatierte Festplatte, auf die man nach Herzenslust alles aufspielen kann. Die anderen Figuren wechseln. Einer wurde rausgeschmissen und kam Jahre später durch die Hintertür wieder herein. Zwei Figuren spazierten frech in einem bereits veröffentlichten Roman. Eine Figur zwängte sich dazwischen, die ich richtig liebte und schon im ersten Kapitel begraben musste. Zuerst begann die Handlung in Irland, später in Frankreich. Immer wird sie auf der Straße landen, wie in einem Roadmovie, Richtung Osten.


Immer wieder recherchiere ich mit Lust und Begeisterung die urkomischsten Sachen. Eine zweite Hauptfigur forschte über Blutwunder und interessierte sich für virtuelle Räume. Ich nahm ihm seinen Beruf weg, denn das war es wohl, was bei der Cheflektorin damals den Pawlow'schen Reiz ausgelöst hatte? Ich lernte, wie man Gemälde künstlich altert, kaufte das Handbuch eines Kunstfälschers, beschäftigte mich mit Kunstfälscherskandalen. Einzig und allein dafür, dass die Szenen, in denen meine Protagonistin Ikonen malt, authentisch wirken. Ich las Tonnen von Material aus der Psychiatrie über eine seltene Form von Amnesie und ließ die Protagonistin darüber Tagebuch schreiben.

Und irgendwann dachte ich, ich selbst müsse irre sein. Weil ich nicht zu Potte komme. Weil sich dieses verdammte Manuskript ständig um andere Dinge dreht. War es anfangs noch das Zurechtfinden des Menschen in einer Welt, die um eine virtuelle Konstante bereichert wurde, las sich das irgendwann plötzlich so damalig. Das neue Manuskript mit den gleichen Figuren erzählte von Migration, von Identitäten. Aber auch da fehlte der Kick, immer noch klebte ich zu sehr am Denken, was Verlage denn so wünschen. Derweil schrieb ich mindestens drei Romane mit diesem Roman.

Vor kurzem ist mir durch einen Zufall ein Forschungsprotoll über einen Fall in die Hände geraten, der nicht nur meiner Figur gleicht, sondern geradezu nach einer Geschichte schreit. Alles fügt sich zusammen. Ich recherchiere, lese, träume meine Figuren um.

Und dabei habe ich einen seltsamen Gedanken: Was, wenn man als Autorin, als Autor dieses eine ewige Machwerk braucht? Ein Manuskript, dessen Versionen sich umschreiben wie das Leben, das wie die Zeitgeschichte in Fluss bleibt, sich ständig verändert? Könnte es nicht der absolute Luxus sein, in dieser schnelllebigen Zeit, in der alle nach Veröffentlichung drängen, der Veröffentlichung zu entsagen? Nicht nur Depublikation, die ja so schwierig geworden ist im Zeitalter der Datenträger. Nonpublikation! Nonpublikation als letztes Biotop einer wahrhaft freien Autorin, als Übungsraum und Erfahrungsschule, zum Ausleben schreiberischer Verrücktheiten und all dieses unzulänglichen Gestammels, das man sonst viel zu schnell und viel zu oft in die Welt hinausbläst ... Das Nichtmüssen als Freiheit. Ein Text nur für mich ganz allein?

Und schon wieder habe ich einen dieser ekelhaften Zwerge im Kopf, die mich ankreischen, ich wolle mich ja nur herausreden und drücken, bekäme eben nichts richtig auf die Reihe und was eine gute Autorin sei, die schließe auch irgendwann ein Manuskript ab. Die setze sich gefälligst auf den Hosenboden.

Dabei steckt in diesem Fragment schon so viel Herzblut, Energie, Lebenszeit, Engagement. Aber will das Fragment denn wirklich zum Roman werden, zum ganzen Buch? Was bitte ist Schreiben? Ist es das fertige Produkt oder nicht vielmehr ein Prozess? Bisher ist mein ewiges Machwerk etwas ganz Seltsames: Es ist das Buch hinter all meinen Büchern. Es hat sich mit jedem meiner wirklich veröffentlichten Bücher verändert und diesen etwas geschenkt: Figuren, Erkenntnisse, eine Autorenstimme, Sprache, Räume, sogar Zitate. Es ist ein Steinbruch meines Schreibens. Während ich in meinem ewigen Machwerk herumwandere, schreibe ich ganz andere Bücher. Am Anfang war das Wort. Das sagt sich so leicht dahin. Aber welches denn?

Lesetipp:
Interessante Aspekte dazu bei Facebook.

18. März 2013

Buchpreis, indirekt

Ich war schon über die Nominierung überrascht und hätte nie damit gerechnet. Als ich heute die Liste der Preisträger durchforstete, war mein erster Gedanke: Klar, nichts gewonnen.



Aufklappbare Teilchen, kleine Kärtchen, 1000 Tipps

Aber das Buch "Meine Gartenwelt" von Catherine Delvaux, erschienen im Kosmos-Verlag (derzeit aufgrund der Nachfrage vergriffen, wird nachgedruckt) hat doch tatsächlich den dritten Platz gemacht beim renommierten "European Garden Book Award", der auf Schloss Dennenlohe vergeben wurde. Der französische Verlag Larousse hat da ein ganz zauberhaftes Original erschaffen, der Kosmos Verlag hat es wunderschön umgesetzt.


Das Buch lässt sich im schönsten Sinne des Wortes auseinandernehmen.
Was das mit mir zu tun hat? Ich war die Übersetzerin. Und nicht nur das, es war ein sogenannter Speed-Auftrag. Kann man innerhalb von vier Wochen eine gutes Buch auf hohem Niveau übersetzen? Der Preis ist für mich auch eine Bestätigung, dass ich selbst in Stresssituationen Qualität liefern kann. Auch wenn ich nach dem Projekt kaum noch geradeaus schreiben konnte, es hat sich gelohnt. Und es hat trotz der Doppelschichten ungeheuer viel Spaß gemacht, denn das fühlte ich beim Umblättern einer jeden Seite - dieses Buch würde etwas ganz Besonderes werden.

Und jetzt kann ich auch die Story erzählen, dass meine Lektorin mich nach der Deadline ganz dringend um zwei kleine Texte bitten musste. Ich konnte mir gar nicht erklären, warum ich Text übersehen hatte. So etwas prüfe ich normalerweise mehrfach vor Abgabe. Was für ein Keulenschlag, als ich den Text auch in meinem Buchexemplar nicht fand! Ein Anruf klärte zumindest die Ortung. Und mir kam ein schrecklicher Gedanke. Tatsächlich, einer der Texte war unters Tischbein geraten, der andere lag unter der Heizung. So ist das, wenn man Bücher auseinandernehmen kann. Zum Glück habe ich keine Putzfrau ...

17. März 2013

Betäubung und Neugier

Lange habe ich gezögert, ob ich das Buch kaufen soll. Ein Roman so frisch vom Operationstisch ist nicht zu jedem Zeitpunkt ein leckeres Thema. Und dabei suchte ich nach erlebtem Hundetod Bücher, in denen über das Leben und den Tod nachgedacht wurde. Sofort habe ich mich an der Kindle-Leseprobe von Anna Enquists Roman "Die Betäubung" festgefressen und das gedruckte Buch beim Buchhändler bestellt (Rezension im DLR). Bei mir ein Zeichen für: "Das will ich körperlich und länger besitzen, das ist es wert."

Ich habe es nicht bereut. Das Buch, bei dem man fast filmisch in OP-Säle und hinter die Kulissen eines Krankenhauses schlüpft, lässt sich sogar lesen, wenn man Angst vor Ärzten hat: Fern jeder Sensations- oder Blutlust zeigt es nämlich sehr menschliche Gestalten auf allen Seiten, die mit Lebensbrüchen und Belastung fertig werden müssen. Es ist kein Krankenhausroman, sondern das Psychogramm einer Familie: Der Bruder hat seine Frau verloren, ist Psychoanalytiker und begibt sich auf die Suche nach einem Warum in den Untiefen eines besonders schwierigen Patienten. Die Schwester, eng verbunden mit der toten Schwägerin, tut, was sie immer macht: Sie sucht Halt in ihrem aufreibenden Beruf als Anästhesistin. Die Geschwister wären in einer Phase, in der andere Menschen trauern, aber sie schieben weg, verdrängen, suchen Halt an ihrer Arbeit - Arbeit, die Auswirkungen auf das Leben von Menschen hat, die ihnen schutzlos ausgeliefert werden. Zu spät registriert der Bruder sein Versagen an seinem Patienten - es kommt zur einer Katastrophe von der Wirkung einer Katarsis.

Aber das ist nur die vordergründige Geschichte, die einen spannenden Unterhaltungsroman abgeben würde. Anna Enquists Erzählen von der Betäubung wird zur Metapher für einen modernen Lebenszustand, legt die tödliche Stille hinter der permanenten Ablenkung bloß. Dass sich die Anästhesistin in ihrer Forschung auf rätselhafte Wachzustände während der Narkose verlegt, ist vielsagend: In diesem Roman ist nicht klar, wer in dieser Welt der Betäubtere ist: der narkotisierte Patient oder die Ärztin, die ihm die Maske auflegt. Ein höchst unterhaltsames Stück Literatur, das man nicht aus der Hand legt und über das man noch lange nachdenkt. Denn auch das Schlussbild ist ein einziger Paukenschlag, eine Metapher von schauriger Kraft. Was mich beeindruckt hat, war die tiefe Menschlichkeit in der Schilderung aller Beteiligter, der liebevolle Umgang der Autorin mit den Brüchen und Schwächen ihrer Figuren. Da steckt Lebenserfahrung dahinter und darum liest sich das Buch auch um so vieles authentischer als so mancher Tod-und-Leben-Roman von Jungautoren.

Ich will aber eigentlich keine Rezension schreiben. Was mich fasziniert hat: Die Autorin hat vor dem Verfassen des Romans an einem Programm teilgenommen, "Schriftsteller auf der Abteilung". Monatelang hat sie auf der Anästhesie Ärzte und Krankenschwestern bei ihrer Arbeit begleitet und interviewt. Auch das merkt man, das merkt man dem Buch sehr an. Keine theoretische Recherche kann solch Authentisches, eine solch dichte Atmosphäre zutage fördern.

Und da denke ich nach: Wann habe ich das letzte Mal etwas völlig Neues in meinem Leben gelernt und dabei andere Menschen zwecks Buchrecherche begleitet? Bei historischen Stoffen kann man sich ja so wunderbar herausreden, in Archiven verstauben zu müssen. Für die Arbeit an "Faszination Nijinsky" war ich auf Besuch in der Psychiatrischen und habe einen Psychiater interviewt. Aber kann ich aus der Moderne und heutigen Errungenschaften wirklich das Grauen von damals ableiten? Trotzdem waren das Eindrücke und Erfahrungen, die mir kein theoretisches Studium der Welt bieten kann. Für meine Romane habe ich mich einfach an der Fülle der eigenen Reisen, an Erfahrungen, Menschenbegegnungen bedient - in meinem Alter ist genug da für zehn Bücher. Und ja, ich habe unwahrscheinlich viel Neues gelernt in den letzten beiden Jahren: Wie man Bücher produziert, wie man E-Books macht ... und all das Fachchinesisch der Buchbranche.

Aber all das gehört zu meinem Beruf, ist nichts anderes als Weiterbildung. Es nimmt Zeit, macht aber nicht kreativer. Es entwickelt Herstellungsmöglichkeiten, aber keine Buchinhalte.

Anna Enquists Roman hat mich darum auch hungrig gemacht. Hungrig nach Welten, die ich noch nicht kenne. Ich bin neugierig auf Dinge, die in mir wieder dieses Feuer entfachen, von dem ich weiß: Das ist jetzt ein starker Stoff. Auf der anderen Seite frage ich mich: Braucht man dafür ein Stipendium? Genügt es nicht auch, mit offenen Sinnen und überbordender Neugier zu leben? Habe ich mich nicht auch ganz ohne Programm z.B. in russische Welten "eingelebt"? Ich merke, wie der Roman in mir nachwirkt. Ich frage mich doch tatsächlich, wie betäubt ich selbst eigentlich bin, ganz ohne Anästhesie. Ich liebe Bücher, die nach dem Lesen noch ein Eigenleben entwickeln!

Lesetipp:
Anna Enquist: Die Betäubung, Luchterhand Literaturverlag

9. März 2013

Das Konvertieren

Es ist gelungen. Die gut vorbereitete Textdatei des Buchs "Elsass. Wo der Zander am liebsten im Riesling schwimmt" ist fehlerlos vom Konvertierungsprogramm geschluckt worden. Diese Vorbereitungsphase ist bei Backlist-Titeln nicht ohne. Man muss nicht nur möglichst alle Formatierungen in Word entfernen, sondern stößt nicht selten auf Code-Fetzen aus dem Lektorat, wenn dort unsauber gelöscht wurde.


Jetzt kommt der Teil, der mir Spaß macht, weil er so herrlich erholsam ist: Der Text wird nachformatiert, das Buch gestaltet. Dann wähle ich die Fotos aus, bearbeite sie und lese sie ebenfalls an den richtigen Stellen ein. Links müssen gesetzt werden und anschließend wird das ganze zig mal auf dem Reader getestet.

Etwas unschlüssig bin ich nur noch bezüglich der Gestaltung der Kochrezepte: Im Papierbuch stehen sie in anderer Schrifttype mitten im Text. Durch das typische Leseverhalten im Print werden sie als Fremdkörper und Extra sofort vom Auge erkannt - wer sie nicht lesen will, springt weiter im Fließtext. Solche Dinge muss man mit Reader dann wirklich ausprobieren: Stört der Fremdkörper im Lesefluss? Wäre das E-Book nützlicher, wenn die Rezepte im Anhang stehen? Wird dann aber ihr Zusammenhang zum Erzähltext auch klar? Und nicht zuletzt macht das alles immer extra Arbeit bei der Verlinkung. Denn meine Rezepte soll man in der Küche auch ganz schnell herbeiklicken können, ohne lang blättern zu müssen.

Wenn das Taschenbuch ab 15. April bei Suhrkamp-Insel ausgeliefert werden wird, soll das E-Book eigentlich schon fertig sein. Titel der beiden: Elsass. Wo der Zander am liebsten im Riesling schwimmt
Die Originalausgabe, die im Hanser-Verlag erschienen war, habe ich dafür übrigens komplett aktualisiert - aber so viele Änderungen hat das Elsass gar nicht erlebt.

5. März 2013

Die Zerfaserten

Ende eines langen Winters: Beweglichkeit. Wie die Ameisen kriechen sie alle wieder aus ihren Häusern, recken das Gesicht in die Sonne, atmen tief ein. Der Bergkoller legt sich langsam im Bewegungsdrang, obwohl das hier nur Hügel sind. Aber in diesem Winter sind sie manchmal unüberwindlich geworden, Blitzeis in den Wäldern, gefrorenes Schmelzwasser, Schneeverwehungen in den Kehren, die Freunde hinter irgendeinem Bergpass. So viele Anrufe reihum, bevor das Menu umsonst gekocht ist: Der Schnee, das Eis, können nicht kommen, sitzen zuhause fest, sind schon im Dorf gestürzt. Nächtliches Schneestapfen mit Taschenlampe, weil man das Auto zuhause lässt, mehr als ins Nachbardorf macht nicht wirklich Freude.

Wir brechen aus mit den ersten Frühlingssonnenstrahlen. Brechen aus in Beweglichkeit: Kettensägen im Wald, die Schubkarre im Garten. Bäume wollen eingekürzt werden, das Laub mag die Beete noch eine Weile vor Nachtfrösten schützen, die Triebe der Rosen schreien nach Schnitt. Im März explodiert die Natur, der gärtnernde Mensch rast von einer Baustelle zur nächsten, reibt sich die Muskeln, ächzt, weil die winterlahmen Knochen so alt erscheinen. Mobilsein: Tratsch mit vorbeispazierenden Menschen, mit dem Auto in die Stadt und vor allem wildes Besuchen an den Abenden, den Wochenenden: der Pass ist schneefrei. Wir telefonieren weniger und sehen dafür Menschen wie Pilze aus dem Boden sprießen. Sonntags herrscht zwischen den Feldern Rush Hour. Menschen mit Kindern und Hunden. Und die Trecker rücken an. Die lähmende Schneestille hat sich aufgelöst in lärmende Fülle: Vogelgezwitscher, bei den Spatzen fast schon hysterisch, zartes oder dunkles Gebrumm leicht verschlafener Insekten - und der Wind rauscht in den Zweigen, als wolle er die Knospen heraustreiben. An den Abenden gute Gespräche an großen Tischen und Musik.


Nichts wie in die Stadt, die so oft so unerreichbar schien, weil man sich lieber eingemummelt hat, die Winterunfälle anderen überließ. Leute treffen, die sich sicher auch über den Frühling freuen. Eigenartig ist es da, Verkehrslärm statt Naturtöne. Hier singen die Amseln in der Winternacht, weil man die Bäume beleuchtet. Frühlingsgucken im Schaufenster, vorgetriebener Blumenkitsch im viel zu frühen Ostergewand.

Seltsame Piepser gibt es in der Stadt. Es piepst, schrillt und dudelt, knackt und vibriert, schockt mit Opernschall oder Klangschrott. Hastig greifen menschliche Marionetten zu. Vergessen, dass sie gerade noch mitten in einem Satz zu dir waren, sehen dich nicht mehr, reden wie ein Wasserfall in diese kleinen Kästchen. Die musst du noch kennenlernen, da musst du unbedingt noch hin. Wenn du das nicht kennst, bist du nirgendwer, und ich sag dir, dieser Kontakt ist hochinteressant und jetzt brauche ich einen Kaffee und sorry, dass ich dauernd telefoniere, aber man kommt ja zu nichts, man hat ja sonst kaum Zeit dazu.

Auch ich brauche einen Kaffee, Asphalttreten macht müde, und ich will mich in Ruhe umschauen. Menschen beobachten, Sonne sehen und was sie mit den Menschen macht. Spät ist es; da wo wir sitzen, entspannt keiner mehr, der Rest hastet vorbei und niemand bemerkt, wie groß die Knospen der Magnolien schon sind. Die Gespräche am Tisch zerfasern, weil wieder eine Handtasche dudelt, weil jemand vorbeikommt, uns grüßen will, aber da klirrt es in seiner Manteltasche und er dreht sich weg. Ach, warst du dort schon und hast du das schon gesehen, du kommst überhaupt nicht raus, immer in deinem Wald, das kann doch nicht gut sein, hier spielt das Leben, so abgeschnitten seid ihr, sorry, ich muss da mal ran, das ist der Dingens, ein wichtiger Mann, solltest du auch mal kennenlernen. Und klick, raus aus dem Gespräch ins nächste, in eine schwebende Zwischenwelt, in der es keine zwitschernden Amseln im Sonnenduft gibt.

Küsschen, Küsschen, nur hinhauchen muss man sie, kann zum Abschied wie ein Hauch verschwinden, kaum bemerkt, weil es längst wieder dudelt und trillert und schrillt und vibriert. Diese ach so wichtigen Gespräche: Was, du warst nicht da, hastduaberwasverpasst, du musst unbedingt nächstens die Dingens, sonst hastduaberwasverpasst, und sorry, mein anderes Handy, sonsthabichwasverpasst ...

Jetzt habe ich den Dreh heraus, auch ich zerfasere, verabschiede mich auf Französisch, fliehe zu meinem Auto. Als ich dem Sonnenuntergang entgegenfahre, frage ich mich, ob die Zerfaserten meine Anwesenheit bemerkt und nicht nur Gespräche gespielt haben. Wiederholt vielleicht, was sie sonst den Klingeltönen antworten, den ganzen Tag, die ganze Nacht. Wie Puppen auf Knopfdruck. Mama, Hunger, das musst du noch und hier hast du noch nicht, sonsthastduwasverpasst.

Als ich das Fenster an der Ampel herunterkurble, singt eine Amsel gegen das Verkehrsrauschen an. Im Wald bremse ich für ein Rudel Rehe, die Luft duftet nach feuchtem Fels und wärmender Erde. Hinter den Kehren angekommen, nichts mehr, was wir hier müssen, außer dem Sein. Atmen, leben. Was richten der wichtige Dingens und die unabdingbare Dingens wirklich aus? Hier bleiben die Handys auch mal aus, es ist Feierabend.

Plötzlich ganz seltsame Laute überm Haus, spürbare Bewegung am Himmel, ein Geräusch, das Gänsehaut macht. An und abschwellend, seltsamer Gesang - die Menschen wie angewurzelt, aufmerksam. Abbrechen aller Gespräche und ein verwunderter Blick in den Himmel. Ein singender Schwan im Dämmerhimmel. Eine Musik, die vor Schönheit weh tut, einen flüchtigen Moment lang. Dahabtihraberwasverpasst, denke ich später in Richtung Stadt.