Seiten

30. Juni 2012

Der russische Stöpsel

Mit zunehmendem Alter werde ich abenteuerlustig. Mit zunehmendem Abenteuer werde ich Alte lustig. Wie auch immer ... gestern verlebte ich eine äußerst spannende Nacht. Denn auch mein Auto kommt langsam böse in die Jahre. Es fährt mit Sprit, der Drohung, dass ich kein Geld für ein neues habe - und regelmäßigem Nachgießen von allerlei Flüssigkeiten, die sich viel schneller verflüssigen als früher. Vor einer längeren Fahrt mache ich den Deckel auf und päppele die Maschinerie - und so goss ich gestern brav Kühlflüssigkeit nach. Bei 35 Grad durchaus angemessen. Was dann passierte, umschrieb meine Freundin später so: "Jeder Mensch, der eine besondere Begabung hat, hat irgendwo anders ein Defizit. Das deine ist wohl dieses ..." Aber erzählen wir der Reihe nach ...

Ich kam abends gut in Baden-Baden an. Aber als ich den Parkplatz in der Tiefgarage erreichte und den Zündschlüssel abdrehte, hörte ich nicht etwa den Ventilator nachdrehen, sondern einen riesigen Kochtopf blubbern. Das konnte unmöglich mein Auto sein, ich kochte ganz bestimmt keine Spaghetti! Aber Dampf aus dem Deckel vorn ließ mich Übles ahnen ... und völlig ruhig bleiben. Das hatte ich doch schon einmal, dass die Kühlflüssigkeit einfach weg war. Ich würde vor der Heimfahrt einfach Wasser nachgießen. Komisch war das aber schon, dass mein Auto noch ein Weilchen blubberte und darunter ziemlich viel Wasser abfloss. Ob so ein Kühler überlaufen kann?, fragte sich der Technik-Blödi in mir. Und die Frau in mir blieb obercool.

Gegen Mitternacht war Baden-Baden auch für mehrere Frauen nicht mehr ganz so gemütlich. Unwahrscheinlich viele angeheiterte bis zugesoffene Typen trieben sich krakeelend in der Innenstadt herum, obwohl Fußball doch eigentlich gestern war? Die Überraschung unter dem Motordeckel ließ meine Laune dann vollends sinken. Der Behälter für Kühlflüssigkeit war leer. Er hatte nämlich gar keinen Deckel! Kein Wunder war der Rest herausgeschwappt, als es auf die Schräge nach unten ging! Was tun? Ich hätte mich ohrfeigen können! Wahrscheinlich hatte ich in meiner Ordentlichkeit, dringend vor einem Termin noch nachfüllen zu wollen, den Deckel nicht richtig aufgeschraubt. Hatte ich ihn überhaupt aufgeschraubt? Das war es wohl, was meine Freundin mit dem Defizit meinte: Ich kann, wenn ich mich voll auf etwas konzentriere, ungeheuer schusslig mit "Nebensächlichkeiten" sein.

Für über eine Stunde Fahrt musste natürlich dringend ein Deckel her! Meine russische Freundin, bei der ich in der Not zu jeder Tages- und Nachtzeit vor der Tür stehen darf, durchwühlte sofort ihre Küche. Schlau wie Frauen sind, hatte ich vorher die Durchmesser der Öffnungen auf einem Blatt Papier abgezeichnet. Das innere Loch war etwas zu groß für einen Weinkorken, das äußere zu klein für die meisten Verschlüsse. Mit einer abenteuerlichen Deckelsammlung lief ich zurück zu meinem Auto. Darunter hatte ich ein wahres Mordwerkzeug, das so schwer in der Hand lag, dass ich es auch als Waffe hätte benutzen können. "Nimm das, wenn alles nichts hilft, das wird von der Mitte an größer als ein Weinkorken. Mein Sohn hat sowieso gesagt, das sei ein lebensgefährliches Material, ich solle das wegwerfen."

Eine Waffe für alle Fälle - und ladylike!
 Nachts um halb ein Uhr war ich mit meiner klappernden Tüte und dem Mordpickel zurück in der Tiefgarage. Doch keiner der mitgebrachten Verschlüsse wollte wirklich halten! Mein erster Gedanke war Kaugummi. Aber würde ich den bei diesen Schickimickitypen schnorren können, die sichtlich aus dem Casino kamen? Nein. Selbst ist die Frau. Sehnsüchtig dachte ich an die Zeiten in Polen, wo ich noch mit einem echten Polonez bei über 20 Grad minus unterwegs war. Das Ding fuhr sich wie ein Panzer, war aber im Notfall immer mit Kaugummi, Kochtopfdeckeln oder Damenstrumpfhosen provisorisch in Gang zu bringen. Nein, Kaugummi würde bei 35 Grad womöglich nichts bringen. Und leider wäre der russische Stöpsel allzu tief  im Innenloch verschwunden und hätte zudem abgedichtet werden müssen. Mit Kaugummi zum Beispiel.

Irgend ein Deckel von irgend etwas Eingemachtem rettete mich dann. Und ein riesig netter Herr mit Riesenschlitten, der extra noch einmal mit seiner Frau zurückkam, um zu fragen, ob sie mir helfen könnten (so kann man sich in Äußerlichkeitern täuschen). Der fragte mich nach einem Lappen, stopfte flugs mein Fensterleder unter den Deckel und drehte das Ding bombenfest auf. "Früher haben wir das mit Kaugummi gemacht", meinte er und grinste.

Nie habe ich Schwarzwaldstraßen mehr verflucht: Was da alles auslaufen kann! Und alle hielten mich für verrückt: Wie kannst du nur in so einem Zustand nachts alleine durch die Wälder fahren? Nun, im Notfall kühlt Waldluft am besten ...

Nein, der Deckel lag leider nicht zu Hause auf dem Boden herum. Das Auto kochte bei der Ankunft keine Spaghetti. Dafür hat die Garagistin heute am Telefon erst einmal gekichert und mir eine Reise durch elsässische Schrottplätze vorgeschlagen. Wenn die denn überhaupt so ein Auto da hätten, denn seit der Abwrackprämie sei alles Mus. Zeit ist Geld. Und drum habe ich einen gemeinsamen Kichertermin ausgemacht, um einen Deckel zu bestellen. Bei der Gelegenheit lasse ich dann auch das Kühlsystem checken, denn Spaghetti mit Kaugummi sind nicht so mein Ding. "Siehst du", meinte meine Freundin, "so hat das lebensgefährliche Ding sogar lebensrettend gewirkt, ein gutes Ende!" Ich werde den russischen Stöpsel Dan Rocco*** schenken, der ganz sicher einen "Tatort Moskau" daraus machen kann, Arbeitstitel "Blei im Hirn".

*** Dan Rocco schreibt bereits an Folge zwei seiner Schnellkrimis. Einen durchgeknallten "Tatort Moskau" mit dem Titel "Gucci-Park" kann man bereits in "Rouge & Revolver" lesen.

26. Juni 2012

Nebbe dr Kapp

So sagt man auf Badisch, wenn jemand neben sich selbst herläuft oder nicht ganz bei sich ist. Ein beliebter Zustand bei Schriftstellern, der einen grantig machen kann und ungenießbar. Mich trifft er vor allem beim "ersten Spatenstich", wenn ich vor der leeren Seite sitze und ein neues Buch anfangen muss. Wenn ich den Ton entwickeln und treffen möchte, wenn der erste Absatz schon grandios herauskommen soll und jeden Leser packen.
Natürlich, das weiß ich inzwischen aus Erfahrung, gelingt das nie. Eine Seite bleibt nämlich leer, wenn man nicht anfängt, irgend etwas zu tippen. Und ein Anfang kann noch so schön klingen - gegen Ende des Buchs schraubt man doch oft noch einmal daran herum. Meist entwickelt sich der Ton und der Atem eines Buchs erst nach vielen Seiten.

Jedenfalls laufe ich seit Wochen mit schämenswerten Ansätzen auf einer zum Glück längst nicht mehr weißen Seite herum. Ich komme nicht weiter, treffe den Ton nicht, bin unzufrieden und setze mich unter einen üblen Druck, der das ganze wohl auch noch behindert: Ich will Sponsoren für dieses Projekt suchen. Und für die brauche ich eine Leseprobe. Kann ja jeder kommen und behaupten, er schreibe ein unterstützenswertes Buch! Die Leseprobe muss aber diesmal richtig gut sein. Die muss packen. Der Maßstab hängt hoch: Wie mein Elsassbuch soll es literarisch zu lesen, aber gleichzeitig ein Reisebuch sein. Und noch ein wenig größer, tiefer gehender.

Nebbe dr Kapp ... Nichts hat geholfen, auch nicht die Bergwanderung in Idylle und Stille. Nicht die Dauergespräche mit Freunden und auch nicht das Ablenken und Recherchieren im Internet. Inzwischen bekomme ich auch noch so viel Stoff, dass ich ertrinke und nicht weiß, wie ich für eigentlich viel zu wenige Seiten eine Auswahl treffen soll. Und dann kommt hinzu, dass andere über mein Thema des ersten Kapitels viel besser Bescheid wissen als ich - nur in der falschen Sprache.

Offensichtlich war der Druck noch nicht zu groß. Gestern habe ich zum Glück die gesunde Panik bekommen. Ich erfuhr nämlich, vor was für Leuten ich im Herbst eine Rede zu eben diesem Thema halten soll. Zu einem ganz besonderen Ereignis von kultureller und politischer Bedeutung. Ich kleines Licht, das noch nicht einmal einen Buchanfang schafft! Aber Not macht mich immer erfinderisch. Ich kam nämlich auf die Idee, genau das auszureizen, dass ich ihm Prinzip nichts weiß und mich herantasten muss. Wenn ich nicht viel weiß, wissen andere mindestens genauso wenig. Ein Freund hat mich ganz kurios bestätigt und mich darauf gebracht, dass es mit dem Nijinsky und den Ballets Russes doch genauso funktionierte: Wie bringt man Leuten diesen Mythos nahe, die vielleicht nicht einmal Ahnung von Ballett haben?

Heute habe ich mich - immer noch leicht nebbe dr Kapp - in erzwungener Disziplin an den Computer gesetzt. Habe mich im Geist in die zu beschreibende Straße in Baden-Baden versetzt, habe imaginäre Leute mit mir mitgeschleift und ihnen erzählt, was ich sehe. Habe auf Würden und Wissen und sonstige höheren Ebenen gepfiffen und mir gedacht: Leute, ICH kenne diese Stadt von Kindesbeinen an - nicht ihr. Ihr kennt vielleicht euren berühmten Dichter und dessen Tagesablauf ganz genau. Aber ICH weiß, wo der arme Kerl einst gelandet ist, wie es da zuging und zugeht, weil man in diesem Landstrich nebbe dr Kapp sein darf.

Was soll ich sagen? Der miese Entwurf liegt im virtuellen Mülleimer. Es tippte sich das, was ich den Grundstein für ein neues Buch nenne. Ein Anfang, der bereits ein Konzept und einen Ton hat. Der Bestand haben wird, bis ich ihn am Ende noch einmal überarbeiten werde. Der Rest ist Eintauchen, Parallellesen des Recherchematerials, Beachten der Timeline und Personen und immer wieder dieses Zurückzwingen in die Vorstellung, ich würde ganz einfach ein paar Leute durch eine Straße führen und ihnen von alten Zeiten erzählen. Jetzt geht es in weiterer harter Disziplin nur erst einmal darum, das Kapitel heil zu überstehen. Es probelesen zu lassen, kritisieren zu lassen.

Denn diesmal wird der Ablauf ein ganz anderer sein als im Verlag üblich. Meine Übersetzerin liest gleich ebenfalls Kritik und macht sich dann mit meinem Feedback direkt an eine erste Übersetzung ins Russische. So ganz nebenbei (ich wünschte, ich hätte acht Arme und drei Hirne!) muss ich eine erste Budgettierung des Projekts versuchen, das zeitnah und als reichhaltig illustriertes Printbuch in deutscher und russischer Ausgabe erscheinen soll. Muss mir einfallen lassen, wie man an Sponsoren und später womöglich ins Crowdfunding geht. Denn diesmal werden die Kosten eine Nijinsky-Produktion bei weitem übersteigen, weil die Spezialarbeiten an Profis gegeben werden und die Übersetzung einen der größten Batzen verschlingen wird. Und ich muss mir einen Kopf um Verträge, rechtliche Formen und Abläufe machen.

Buchferne Arbeiten werden folgen. Im Herbst führe ich die Leserinnen einer österreichischen Zeitschrift auf den Spuren meines (noch ungeschriebenen) Buchs durch Baden-Baden - eine Tätigkeit, die nach Erscheinen noch interessanter würde. Dann ist da noch diese Sache mit der Rede.

Natürlich wäre es viel schöner und bequemer, wenn ich einfach "nur" schreiben könnte, wie man sich das unter Autoren oft vorstellt. Würde mir jemand anders jedoch all diese Arbeiten abnehmen, könnte ich nicht ein derartiges Projekt ins Leben rufen. Es funktioniert auf normalen Schienen nicht. Wo schreibt man ein Buch, das fast parallel fürs Ausland übersetzt wird, für eine Lizenz, die man selbst hält? Bequem ist langweilig. Ich bin wohl doch zu sehr Macherin. Und dann passieren diese kleinen eigenartigen Dinge. Es spricht sich herum, was ich bewege und ganz anders mache. Prompt kam eine Terminanfrage. Für ein neues Europaprojekt auf deutsch-französischer Ebene. Für das genau dieses Know-how gerade richtig kommt. Ich mag ungelegte Eier nie im Voraus beschreien, da bin ich abergläubisch. Aber ich grüble in meiner freien Zeit tatsächlich darüber nach, ob es nicht langsam Zeit wird, einen Verlag zu gründen. Wenn ich doch nur acht Arme und drei Hirne und Zeit hätte, mich auch da noch binational durch die Eventualitäten zu fressen!

24. Juni 2012

Warum nicht Berlin?

Zwei Fragen bekomme ich immer wieder - auch in Interviews - gestellt, die ich mit wenigen Fotos beantworten kann:
1. Wie schaffen Sie das, drei Berufe (Journalistin / Autorin / Übersetzerin) und so viele Projekte unter einen Hut zu bekommen, ohne zusammenzubrechen?
2. Warum leben Sie eigentlich nicht wie andere Künstler in einer Stadt mit Kultur wie z.B. Berlin?

Baumzeichen (Foto PvC)
Vogesenwald (Foto PvC)
Baumtanz (Foto PvC)
Ganz einfach: Mein Außenbüro, in dem ich in der schönen Jahreszeit auch gern meine Mittagspausen verbringe, hat Direktanschluss ans größte Festspielhaus Europas, an die imposanteste Kathedrale am mittleren Oberrhein, an eine renommierte französische Oper, an ein wunderbares Museum für moderne Kunst, an Universitäten und Landesbibliotheken zweier Länder, an mindestens zwei internationale Flughäfen, an Winzer und Restaurants in Baden, Elsass und Pfalz, an den TGV nach Paris und Marseille, an die Transsibirische und diverse Autobahnen, an keltische Funde, neolithische Steinmauern und Schwarzwaldmühlen ... soll ich weitermachen?

Rocco, mein persönlicher Creative Assistant
Und dazu hat mein Außenbüro keinen Anschluss: Handy, Computer, Social Media. Nur Naturgeräusche, kein Publikum, keine Auftraggeber und in zwei Stunden Wanderung höchstens mal zwei Waldarbeiter beim Holzmachen ... Was brauche ich da Berlin? ;-)
(Fotovergrößerung durch Anklicken)

22. Juni 2012

Rouge und Revolver

Das Geheimnis wird gelüftet. Jetzt habe ich hier so viele Leute zum Mitmachen bei Cover-Kritik und Titelsuche "belämmert" und dann noch ewig aufs Freischalten gewartet. Aber endlich ist es so weit: Des Kollegen Dan Roccos Untaten sind käuflich zu erwerben:

Klicken und kaufen - ideal für die Halbzeitpause!
In einem Affenzahn gab's auch bereits eine Kritik, aber Andreas Winterer ist auch derjenige, der Dirt Diggin' Dog a.k.a. Dan Rocco schon vor Jahren für seine Zeitschrift für exzentrische Literatur "Zarathustras miese Kaschemme" entdeckt hatte. Unser Newcomer freut sich natürlich über Leser, Rezensionen und "Tags". Und die technische Macherin von det janze lehnt sich endlich zurück und hebt heute Abend beim Feiern mit dem Kollegen etwas ganz Bestimmtes. Wird in dem Buch massiv gesoffen, vor allem gegen Ende - mehr verrate ich nicht ...

Dan Rocco: Rouge & Revolver, in der Reihe "Dan Roccos Schnellkrimis" - Fastfood vom Feinsten als Kindle (rechts im Menu erfährt man, wie man das DRMfreie Buch auch auf anderen Geräten lesen kann).

Die Opfer schwimmen in Karmatschigong-Fluidum, Gurkensud oder Blut; sie tragen den Kopf zwischen den Beinen, stinken wie die Pest oder sind noch gar nicht richtig tot. Darum kennen die wahnwitzigen Detektivinnen kein Pardon: Wenn es sein muss, gehen sie mit Rouge und Revolver, Highheels und Gesichtsstraffungsmaske auf Mörderjagd. Sie ermitteln Pi mal Daumen, aber immer todschick. Noch eines haben die Damen auf Mörderfang weltweit gemeinsam: Sie sind so tough wie durchgeknallt und immer in Eile.

Ihre männlichen Assistenten können nur staunen, wenn die Chefin mit Kopftuch und Antiterroreinheit zu den ägyptischen Pyramiden rast oder im Pythonkostüm nach Oberhausen. Ein Marzipanschweinchen bedroht die Regierung in Berlin, ein eingetrockneter Soßenfleck die Staatsräson in Schweden. Und spätestens, wenn in Moskau eine ausgeweidete Handtasche den Weltfrieden gefährdet, ist eines klar: Dieses Buch wurde vom weichherzigen Pawel Pawlowitsch Pawlow gesponsert.

Ideal für das winzige Hüngerchen zwischendurch.
„Hannibal Lecter“
Schauplätze, wie ich sie liebe – und das alles ohne Auto!
„James Bond“
Perverse Detektivinnen, versoffene Typen und Sehnsucht nach Köln-Porz, das ist Hollywood pur!
„Phil Marlowe“

21. Juni 2012

Bauerndrama

In regelmäßigen Abständen unternehme ich, was alle Elsässer machen, die ein Auto haben. Ich falle in Deutschland ein, um meinen Kühlschrank zu füllen, denn unsere Lebensmittelpreise sind für Künstlergehälter schon lange nicht mehr zu bezahlen. Und weil ich ein typisches Landei mitten auf der Juchhe bin, gehört dazu zuerst einmal ein Ausflug zum französischen McDonalds in der Grenzstadt. Nicht, dass der kulinarisch besser wäre als auf der anderen Seite der Grenze. Es ist nur der nächste Punkt mit Wifi-Zugang außer einem gewissen Restaurant, das seine Gäste sehr unschön behandelt, wenn sie den Laptop zücken. Und das Schöne an diesem Fastfood-Laden: Man muss dort nichts essen! Man kann seinen Reader auf dem Parkplatz zücken. Und da stehen sie dann, die Landeier, und popeln an Readern, iPads und Laptops herum.

Und vom Bauern auf der Pfälzer Seite habe ich fangfrisch ein kleines Dramolett mitgebracht, das ich der besseren Verständlichkeit halber in Hochdeutsch bringe. Die Bäuerin stelle man sich in breitestem Südpfälzisch vor, die beiden Kunden sprechen näselndes, gedehntes Hochdeutsch auf Ferntouristenart.

Vor Inbetriebnahme der Erbsen bitte Gebrauchsanweisung lesen! (Foto: Konstanze Moos / pixelio.de)

Die handelnden Personen:
Elfriedäh (E), heute ausnahmsweise Beifahrerin in ihrem Hausfrauenpanzer
Roohland (R), darf den Panzer fahren, den er Elfriedäh wohl gekauft hat
Die Bäuerin (B), nicht aus der Ruhe zu bringen
Eine lauschende Ausländerin (A)

Die Ausländerin schnappt sich Erdbeeren. Elfriedäh nähert sich vorsichtig von der Seite.
E: Sind das Erdbeeren?
A: Ja.
E: Meinen Sie, die kann man essen?
A: Ich denke, dazu sind sie da?
E: Ich meine, ob die wohl schmecken?
A: Keine Ahnung, noch habe ich sie nicht probiert. Aber sie riechen wie Erdbeeren.
Roohland baut sich neben Elfriede auf.
R: Elfriedäääääh, willst du ein paar Erdbeeren haben? Sollen wir Erdbeeren kaufen?
E: Ach nein, Roohland, es gibt viel zu viele, ich möchte Sauerkirschen.

R zur Bauerfrau: Haben Sie Sauerkirschen?
B: Die sind noch nicht reif. Mit den Herzkirschen ist Schluss, bis zu den Sauerkirschen braucht's noch ein bißchen. Sie sehen ja hier, was alles geerntet wird, bedienen Sie sich!
E: Eh Rohland, das ist aber gar nicht fein, dass die jetzt mit den Sauerkirschen einfach warten. Wo ich doch jetzt Lust habe auf Sauerkirschen. Beim Aldi haben die sich ja auch nicht so.
R: Ei Elfriedäh, das könnte doch sein, dass die bloß wegen des Wetters nicht pflücken gehen wollen. Wer kann denn das kontrollieren?
R zu B: Und Sie sind sicher, dass sie keine Sauerkirschen haben?
B: Ganz sicher. Reif sind jetzt Erdbeeren, Himbeeren und wir haben die ersten Heidelbeeren da.
R: Und wenn sie heute abend noch Sauerkirschen pflücken würden?
B: Dann würden Sie von dem grünen Zeug Bauchweh bekommen.

R: Elfriedääääh, die sagt, sie haben wirklich keine Sauerkirschen!
E: Aber ich will keine Erdbeeren!
R: Dann nehmen wir was anderes.
E: Oh guck mal, was ist das denn, so komische Schoten, so dick?
B: Das sind frische Erbsen, heut mittag erst gepflückt.
E: Das sind Erbsen??? Nee, nicht wirklich? Aber Erbsen sind doch rund und die macht man in Dosen!

Die Bauersfrau grinst, nimmt eine Schote und zeigt Elfriedäh, was passiert, wenn man sie aufpult.
B: Sehen Sie, in solchen Schoten wachsen die.
E: Ach nee, Roooohland, das musst du gesehen haben! Erbsen in Schoten, das ist ja irre! Die sind da einfach so drin!
B: Probieren Sie ruhig mal.
E: Kann man die denn essen?
B: Jaja, nur zu!
Mit spitzen Fingern greift sich Elfriedäh ein Erbschen, legt es auf die Lippchen und kostet übervorsichtig, damit die Frucht auch ja nicht im Mund explodiert.

Elfriedäh quietscht.
E: Die ist ja ganz süß! Die schmeckt ja zuckrig! Äh, ah, ja, danke.
Elfriedäh dreht sich zu ihrem Rooohland, nimmt ihn beiseite und brummelt:
E: Du, weißt du, wir fahren jetzt besser zum Lidl oder zum Aldi, da weiß man, was man hat. Erbsen in Schoten und dann noch süß, also sowas!
E und R gehen ab. Die Ausländerin und die Bäuerin lachen sich beim Abwiegen der Köstlichkeiten schier kaputt.
B: Solche Leute trifft man immer öfter. Kürzlich war eine Frau da, die fragte, was sie mit Karotten machen soll, die direkt aus dem Boden kämen. Die könne man doch nicht einfach so essen ...

20. Juni 2012

Alles war schon mal da

Das ist mir noch nie passiert! Die letzten technischen Korrekturen sind gemacht und ich setze mich an den Computer, um Dan Roccos Krimi hochzuladen. So heißt der Kerl nun, weil sein D.D. Dog zwar in einer Onlinezeitschrift funktioniert, aber auf einem Cover komisch aussieht. Schuld an dem Pseudonym ist mein Hund Rocco, der ausgerechnet in dem Moment zur Tür hereintappste, als wir uns bei einem Kaffee die Haare rauften, wie man von einem "Dirt Diggin' Dog" auf ein klingendes Pseudonym für einen Krimiautor kommt. DDD hatte die Wikipedia-Seite für Hunderassen aufgeschlagen und improvisierte fröhlich drauf los. Ich googelte derweil nach seinen Kreationen, denn man will ja nicht, dass der Name später in einem Whirlpool von Müller-Meiers untergeht oder gar schon einem berühmten Schriftsteller gehört.

Es war hart. Nach den etwas dümmlichen Dan Basset und Dan Alano fanden wir sogar Politiker und Polizisten fürs Krimipseudonym. Russel McNab - klingt, wie noch nie dagewesen, aber der Kerl war sogar schon im US-Fernsehen. Blue Lacy, eine texanische Spezialrasse - auch als Mensch in allen Lacy-Varianten zu haben. In dem Moment pfefferte also mein Hund Rocco einen riesigen Büffelhautknochen vor DDD's Füße.

Der juchzte: "Ich hab's! Wie wär's mit Dan D. Rocco? Das hat doch was, so ein bißchen Film Noir ..."
Dumm nur, dass der Hauptdarsteller dieses Films sogar ein Profil bei Facebook hat. Aber der Mann war erkennbar kein Schriftsteller, der Name war zu gut und ich strich dem DDD eins seiner liebgewonnenen "D". Dan Rocco. Der Name auf dem Cover wurde ausgetauscht, in der Nacht folgten die letzten technischen Korrekturen am E-Book.

Und dann ist die Katastrophe passiert. Ich recherchiere ja immer brav vor Titelvergabe im VLB, ob ein Titel schon geschützt ist. Das VLB hatte bei der Recherche mit gähnender Leere geglänzt und ich war glücklich. Da ich aber ein vorsichtiger Mensch bin - es könnte über Nacht ja noch ein Buch schneller erscheinen - sah ich nochmals nach. Super-GAU! Plötzlich fand es das VLB an der Zeit, mir einen Titel von 2009 auszuspucken, der immer noch läuft. Ausgerechnet im gleichen Genre. Damit ist mein wunderbarer Titel "TOD schick" gestorben, denn es gibt schon ein "todschick". Es ist mir absolut unergründlich, warum diese *kräftigste Flüche zensiert* Datenbank mal nicht spuckt und mal spuckt. Aber es ist passiert. Und so geht's nun wieder los mit Titelsuche und dann muss das Cover geändert werden ... Der Titel muss natürlich wegen der Grafik möglichst kurz sein. Und bei der letzten Brainstormingrunde war noch nichts so wirklich Zündendes dabei.

Und die Moral von der Geschicht: Vergesst das VLB nicht, testet es bei Regen oder Schnee, bei schlechter und guter Laune und Interferenzen mit Sonnenstürmen. Man weiß nie, wann diese Datenbank Wut auf einen hat ;-) Ich könnte meinen, beim Aufruf ein fieses Kichern zu hören.

16. Juni 2012

Betriebsblindheit versus Innovation

Marion Schwehr hat ein feines Diskussionspapier zum Thema Innovation und Paradigmenwechsel zur Verfügung gestellt. Zwar bezieht sich das auf Firmen, aber weil die Autorin auch mit Büchern und Lesestoff arbeitet, darf man das hemmungslos auf andere Bereiche übertragen, wenn Sie z.B. schreibt:
"Paradigmenwechsel fallen besonders den Branchen schwer, deren Mitarbeiter sich sehr stark mit „ihrem“ Produkt identifizieren. Die Begeisterung fürs eigene Produkt erweist sich als Hemmschwelle für essentielle Veränderungen dieses Produkts."
Ich persönlich finde, genau hier wird die Macht deutlich, die Künstler im Gegensatz zu größeren Strukturen oder gar Konzernen haben. Denn Kunst entsteht durch den "gebrochenen Blick", dadurch, dass ich imstande bin, mich selbst und mein Werk vollkommen in Frage zu stellen. Künstler schöpfen, weil sie gelernt haben, sich aus einer verbreiteten Meinung, Konvention oder einfach nur Situation auszuklinken und querzudenken, Dinge kritisch zu hinterfragen. Als Einzelkämpfer sind sie weitaus flexibler und risikofreudiger - denn sie schaffen sich beim Scheitern "allenfalls" den eigenen Ruin, nicht den von zig Mitarbeitern. Und selbst aus dem Scheitern heraus können Kunstwerke entstehen. Künstler entwickeln Utopien und Visionen.

Drum glaube ich auch ganz fest daran, dass die Veränderungen in der Buchbranche maßgeblich von mutigen Einzelnen zu echten Paradigmenwechseln weitergetrieben werden, nicht von den Großstrukturen, die jene verwalten oder verkaufen. Wer wirklich bereit ist zu Innovation und Paradigmenwechsel, sollte darum die Künstler ernster nehmen ...

15. Juni 2012

Abgespeckt lebt sich's leichter

Nicht, dass jetzt jemand falsche Schlüsse zieht: Ich habe mir gerade zur Feier des Tages ein Stück Foret Noire, also Schwarzwälder Torte auf Elsässisch, gegönnt. Trotzdem fühle ich mich um Tonnen leichter. Heute war nämlich mein "Tag der Befreiungen". Das Leben fühlt sich in meinem Alter recht endlich an und weil einem dann auch langsam die ersten Bekannten wegsterben, macht man sich wohl immer häufiger Gedanken um verpasste Chancen, vergeudete Zeit und Energie oder einfach darum, das man nicht die richtigen Prioritäten setzt. Jeder kann ein Lied davon singen, wie schnell man im Alltag in die Situation hineinrutscht, nicht wirklich bewusst zu handeln oder zu leben. Manchmal geht es aus äußeren Zwängen nicht anders. Aber wenn man sich zu leicht daran gewöhnt, wuchert dieses Sich-Auffressen-Lassen wie ein bösartiges Geschwür. Kein Volk leidet derart unter Depressionen oder Burn-out wie die Deutschen, sagten sie gestern als Ergebnis einer Langzeitstudie im Fernsehen. Wer will schon so enden?

Mein Ideal wäre ja, wenn ich heute tot umfallen würde (toitoitoi, dass das so schnell nicht passiert), dass ich mir sagen könnte: "Schön war's, ich bereue nichts und ich habe einigermaßen das mit meinem Leben angefangen, was ich damit anfangen wollte. Ich habe nichts künstlich auf die Rente verschoben oder auf bessere Zeiten und damit auf den Sankt-Nimmerleins-Tag."

Das Problem war nur in der letzten Zeit immer stärker geworden: Dieser fromme Wunsch und die Wirklichkeit klafften tief auseinander.
 (Es ist zum Heulen, hier hat Google mal wieder einfach nachträglich während des Redigierens Text gekappt, passiert manchmal bei zu langen Texten, leider habe ich kein Backup gemacht. Beschrieben hatte ich hier das Zerreiben an Fremdinteressen wie z.B. der Urheberrechtsdebatte. Was mir pro Blogbeitrag 6000 bis 7000 LeserInnen brachte, Medienaufmerksamkeit, zig Anfragen - aber eben auch Anfeindungen und Leute, die mit Mist warfen. Und es ging um Branchendiskussionen, die zwar andere weiterführen, aber nicht mich, weil ich im Kopf längst woanders bin, an Zukunft arbeiten mag und nicht ständig rückwärts schauen. Außerdem habe ich erzählt, dass es ausgerechnet die immer wieder für schuldig erklärten Social Media nicht sind, denn die geben Energie: Als Großraumbüro und weil ich dort endlich die früher anonyme Masse der LeserInnen als Menschen mit Gesicht kennenlerne. Es war dieses "Kannste mal hier, kannste mal da, kannste mich mal beraten, mir das erklären, deinen Senf dazugeben", während man Privatmails kaum noch schafft.

Schade, sprachlich war das so schön gelungen, aber vielleicht hat's so sein müssen, dass ausgerechnet dieser Teil ins Daten-Nirwhana verschwand ...)

Und wie kommt man aus einem Hamsterrad raus, wenn man mal strampelt?

Heute habe ich Schluss gemacht. Aufgeräumt. Eine lange Liste von "Verpflichtungen" abgearbeitet und angeschaut, ob die für meinen Lebenssinn wirklich Sinn bringen. Ich habe Abonnements gekündigt und Mitgliedschaften, habe Altkleider in Säcke gepackt und Menschen, die irgendetwas von mir wollten, was ich nicht will, abgesagt. Ein irres Gefühl. Da ist ein wenig Trauer um manches, das mir wirklich lieb geworden war, aber einfach zu viel. Aber ich bin auch alt genug, um zu wissen, dass jeder Abschied der Anfang für etwas Neues ist. Derart befreit, hat sich meine Liste im Kopf plötzlich völlig verändert. Die Prioritäten sind wieder klar. Und ich habe jetzt endlich die Zeit und Energie freigeschaufelt, mich vorrangig darum zu kümmern, mich nicht mehr zu verzetteln.

Dabei habe ich eine Menge über mich gelernt. Ich trenne mich offenbar dann am schwersten von etwas, wenn diese Trennung auch eine Veränderung, womöglich eine Umorientierung bedeutet. Manchmal bin ich ein Hasenfuß. Ich tue so, als müsste ich irgendwo mitmischen, ohne zu bemerken, dass ich längst ganz woanders stehe - womöglich allein, vielleicht auch nur noch nicht mit den richtigen Leuten? Und seltsam: Genau diese Trennungen sind es, die den frischen Wind und die Bewegung bringen, also Leben. Weil sie mich fordern, endlich klar Schiff zu machen und auf mein Ziel hinzusteuern, nicht auf das von anderen. In all diesem "Könntest du mal das, könntest du mal dies, ich habe da nur eine kleine Frage, will eine Beratung, muss das ausdiskutieren" kann man brutal Schiffbruch erleiden. Dann nämlich, wenn die anderen von allen Richtungen an einem zerren. Wenn man dann nicht Nein sagen kann, geht man unter.

Hochspannend ist in diesem Zusammenhang für mich, dass ich nicht etwa an den immer wieder als schuldig benannten Social Media einsparen werde. Denn hier habe ich inzwischen einen lebendigen, gegenseitig befruchtenden und wertvollen Kontakt mit meinen LeserInnen und KollegInnen. Das gibt mir Kraft wie ein Großraumbüro, wo man in den Kaffeepausen miteinander plaudert. Und es gibt mir die wirkliche Motivation und Energie zum Schreiben, weil ich endlich nicht mehr für eine anonyme unsichtbare "Masse" von Publikum arbeite. Ich weiß plötzlich, ich schreibe für faszinierende, tolle, interessante Menschen mit Gesicht. Ich habe vor allem eins gelernt: Die sind ganz anders als all die Vorgaben und seltsamen Vorstellungen, die man in der Branche manchmal hat. Und deshalb liegen mir meine LeserInnen ganz besonders am Herzen.

Praktisch gesehen bedeutet das eine schrittweise Umstrukturierung. Ich will geduldig mit mir sein, denn als homo politicus sind mir Aufreger auch weiter einen Aufreger werten "Nebenblogs" in Zukunft mehr von der krankhaft neugierigen Amanda Joos, die an den unmöglichsten Orten über Leichen stolpert, und über die hochspannende "Szene", als sich Europa und Russland in Baden-Baden die Klinke in die Hand gaben. Eine Tradition, die mich derart fasziniert, dass ich auch gern ganz praktisch und im "real life" mit daran arbeite, dass ein wenig von diesem Geist zurückkehren mag. Schuld daran sind nicht zuletzt viele Leserinnen und Leser, die mir durch ihr Feedback immer wieder zeigen, was wirklich wichtig ist. Sie können sich wahrscheinlich gar nicht vorstellen, was ich alles von ihnen lerne!

PS: Und keine Angst um mich, wenn das Wort "Endlichkeit" hier so oft fällt, mir geht's gut - das liegt nur daran, dass ich schon ein halbes Jahrhundert hinter mir habe, man staunt dann selbst über die Historie ;-)

13. Juni 2012

Findet sie ein Cover?

Der Titel für D. D. Dogs Buch steht - immerhin. Aus Titelschutzgründen kann ich ihn leider noch nicht verraten. Dafür ging es den drei schießenden Damen massiv an den Kragen, die ja dringend das Altbackene verlieren sollten. Eine der Damen musste leider dran glauben. Nun ist Pi mal Daumen (wie bei den Ermittlungen) ein vorläufiger Dummie entstanden. Da ist nun Feintuning angesagt: Typografie, Proportionen, Komposition und all die Kleinfieselarbeit beim Ausschnippeln etc. Noch kann tüchtig gemeckert und kritisiert werden!
Und wenn jemand der Stil an irgendetwas erinnern sollte, wäre ich gespannt, woran. Ich hatte nämlich tatsächlich etwas im Hinterkopf - aber ob das durchkommt?

Dummie mit Fantasietitel (mit Klick vergrößern)

11. Juni 2012

Wer findet den Titel?

Es geht um Krimis: Titelsuche. Ich habe gerade einen Auftrag in der Mache, sprich, ich verbreche für das Projekt eines Kollegen den Klappentext und das Cover, helfe ihm bei der Titelei. Gestern haben wir uns drei geschlagene Stunden Kaffee um die Birne geschlagen und sind zu keinem Schluss gekommen, zumal unser Favorit leider schon besetzt war. Nun habe ich von ihm die Erlaubnis, das virtuelle Brainstorming-Büro zu eröffnen, sprich: Ihr dürft unsere dämlichen Ideen in der Luft zerreißen!
Vorgabe: Der Titel muss möglichst kurz sein, weil Kindle-Cover damit besser zu gestalten sind. Und er muss natürlich frei sein. Die Worte "schnell" und "Krimi" dürfen nicht drin vorkommen. Wir haben uns auch gegen das flappsige "Weiber" entschieden (sprich, ich habe ihm abgeraten). Damit klar wird, worum es geht, vorab schon mal der Klappentext. Es handelt sich nicht um einen Roman, sondern um Kurz- bis Kürzestkrimis, Genre Exzentrik bis Trash ;-)

Der Coverrohling mit Schriftprobe
Klappentext:

Die Opfer schwimmen in Karmatschigong-Fluidum, Gurkensud oder Blut; sie tragen den Kopf zwischen den Beinen, stinken wie die Pest oder sind noch gar nicht richtig tot. Darum kennen die wahnwitzigen Detektivinnen mit den coolen Knarren kein Pardon: Wenn es sein muss, gehen sie mit Highheels und Gesichtsstraffungsmaske auf Mörderjagd. Sie ermitteln Pi mal Daumen, aber immer todschick. Noch eines haben die Damen auf Mörderfang weltweit gemeinsam: Sie sind so tough wie durchgeknallt und immer in Eile.

Ihre männlichen Assistenten können nur staunen, wenn es mit Kopftuch und Antiterroreinheit zu den ägyptischen Pyramiden geht oder im Pythonkostüm nach Oberhausen. Ein Marzipanschweinchen bedroht die Regierung in Berlin, ein eingetrockneter Soßenfleck die Staatsräson in Schweden. Und spätestens, wenn in Moskau eine ausgeweidete Handtasche den Weltfrieden gefährdet, ist eines klar: Dieses Buch wurde vom weichherzigen Pawel Pawlowitsch Pawlow gesponsert.

Ideal für das winzige Hüngerchen zwischendurch.
Hannibal Lecter
Schauplätze, wie ich sie liebe – und das alles ohne Auto!
James Bond
Perverse Detektivinnen, versoffene Typen und Sehnsucht nach Köln-Porz, das ist Hollywood pur!
Phil Marlow

Auf unserer Brainstormingliste stehen:

Tat : Mord
Jägerinnen ohne Pardon
Tod schick
Toll kühn
Mörderfang ohne Pardon
Mordsbienen
Irre Mädels, coole Knarren
Der Wahnwitz geht um
Irre auf Mörderfang
Fall gelöst, Leiche tot
Damen auf Mörderfang
Kein Respekt vor Mördern

Bei welchem Titel würdet ihr zugreifen? Was geht gar nicht, was ginge besser? Der Autor und ich streiten uns jedenfalls immer noch heftig um einen Favoriten. Ein Zeichen dafür, dass der wahre Titel noch irgendwo lauert ...

9. Juni 2012

Für Querdenker

Ich möchte fürs Wochenende Lektüre zum Nachdenken für AutorInnen anbieten - ein paar willkürlich zusammengestellte Artikel, die deutlich machen, wo in der Branche Sand im Getriebe steckt und wie viel Zukunft gerade für Autoren derzeit überall brodelt. Interessant vor allem für diejenigen, die sich ernsthafter mit der Idee des Self Publishing beschäftigen möchten oder die wissen wollen, ob das immer noch so "igitt ibäh" ist, wie es einem manche Branchenvertreter weismachen wollen.

Buchreport über die Bestsellerautorin Tina Folsom, die mit Romanzen im Self Publishing ihre erste Million gemacht hat. Dass sie die erste deutsche Autorin ist, der das passiert, ist ein bißchen schöngeredet, denn die Frau lebt seit zehn Jahren in den USA und lässt ihre amerikanischen Bücher nun erst ins Deutsche übersetzen.

"How Amazon saved my life" in der Huffington Post ist typisch amerikanisch geschrieben, so als habe die Autorin Speed eingeworfen, den ihr eine Firma bezahlt haben könnte, aber hinter ihrem toughen Gegensatz Amazon - Verlage stecken jede Menge Wahrheiten, die auch für Deutschland gelten. Nur haben dort alle Angst, sie laut auszusprechen. Die Frau ist mehrfach von Verlagen veröffentlicht, nun verdient sie als Indie endlich richtig Kohle. Hier kann man also nachlesen, was man in deutschen Blättern nicht lesen kann.

Wie heimlich und angstbehütet in Deutschland alles abläuft, mag man daran sehen, dass fast niemand bemerkt hat, dass Bestsellerautor Akif Pirincci einer der ersten Self Publisher im Amazon-Programm war. Im Interview mit David Gray redet Akif Pirincci über seine Erfahrungen mit dem Self Publishing und lässt den bedeutsamen Satz fallen: "Ich gehe sogar so weit, zu sagen, daß ich in zwei, drei Jahren, wenn das eBook-Lese-Volumen wie in Amerika in Relation zu Print hälftig geworden ist, für überhaupt keinen Verlag mehr schreiben werde."

Pirincci redet davon, dass es fast zum guten Ton gehöre, piratisiert zu werden, nun gibt es eine wunderbare Infografik, die das Phänomen der Piraterie aufarbeitet. The Battlespace of Online Piracy dürfte so manchen Laien dadurch verwundern, dass da tatsächlich auch zahlendes Publikum besteht. Und dass eigentlich alles viel komplexer und ganz anders ist, als man uns das vielerorts weismachen will.

6. Juni 2012

Guckbefehl

Kennt jemand dieses Gefühl: Man hat ein gewisses Unbehagen am Zustand der Welt; man ahnt, dass sich eine Menge Dinge im menschlichen Verhalten ändern müssten - und man träumt davon, die Zukunft nicht nur zu erleben, sondern vielleicht sogar aktiv gestalten zu können. Und dann kommt ein Film daher, der all das erklärt, erhellend auf den Punkt bringt, grandios gemacht ist und einen nicht mehr loslässt. Ein Film, der einen im Laufe der Zeit sogar zum Umdenken bringt.

In meiner Vergangenheit gab es bereits einen solchen Film, der damals zum Kultfilm avancierte und tiefe Spuren hinterließ. Im Jahr 1982 kam Godfrey Reggios Meisterwerk Koyaanisqatsi in die Kinos, der schon allein als Bildkomposition mit der Musik von Philipp Glass hohe Filmkunst war. Vielleicht berührte er dadurch auch Menschen, die sich wichtigen Diskussionen bisher verschlossen hatten. Koyaanisqatsi blieb nicht Kult zum Sehen, er prägte eine ganze politische Generation bis hinein in grüne Politik.

Die Dokumentation, die ich gestern auf ARTE gesehen hat, hat meiner Meinung nach das Zeug, ein würdiger Nachfolger zu sein. Es ist die beste, klügste und eindrücklichste Dokumentation seither über den Zustand unserer Erde und das Verhalten der Menschen, die Verflechtungen unserer Art von Kapitalismus und die Möglichkeiten eines menschenwürdigen Überlebens. Man kann den Film nicht oft genug empfehlen und wahrscheinlich auch nicht oft genug anschauen. Der Film ist gnadenlos und doch ermutigend - denn es ist der Mensch, der den Schlüssel zur Zukunft seiner Spezies selbst in der Hand hat. Abgesehen vom Inhalt ist die Dokumentation ebenfalls meisterhaft gedreht und das Schlussbild wird sich nicht nur mir einbrennen.

"Surviving Progress", von Martin Scorsese produziert, von Mathieu Roy und Harold Crooks gemacht - im deutschen Titel "Endstation Fortschritt?" - ist auf ARTE noch sieben Tage online zu sehen und hat hier eine eigene Website. Die DVD soll im Oktober erscheinen. Und was für ein Service: Die Autoren bieten hier die volle Transkription des Films als pdf!

PS: Die faszinierende Schriftstellerin Margaret Atwood, die in letzter Zeit auch immer wieder mit Zukunfts- und Technikanalysen rund ums Buch glänzt, zeigt als eine der Interviewpartnerinnen im Film, dass Schriftsteller sehr viel mehr bewegen können als nur Bücher zu schreiben.

5. Juni 2012

Schadet Gedöns der Literatur?

Hätte ich eine Webcam beigeschaltet, könnte man jetzt auf meinem Gesicht ein ziemlich fettiges, freches Grinsen sehen, vor Schadenfreude über mich selbst strahlend. Ich habe ja in letzter Zeit laut darüber sinniert, wie viel Abschalten Schriftsteller zum Schreiben eigentlich brauchen. Jetzt ist mir da ein kleiner Unfall passiert ...

Heute war ein richtig brutaler Tag, der alles hatte, was als literaturtötend gelten kann. Und eigentlich wollte ich heute in aller Seelenruhe an meinem Buch weiterarbeiten. Stattdessen musste ich gemeinsam mit anderen Menschen ein paar schwere Probleme für jemand anderen lösen - freier Kopf ade! Nicht einmal Zeit zum Schreiben hatte ich, denn ich hing permanent am Telefon, um auf Zeit alle möglichen Leute herbeizutelefonieren, die sonst gleich im Urlaub und anderswie nicht greifbar sein würden. Mein Telefon war sozusagen die Vernetzungszentrale, neben mir lagen Nummern, Notizzettel und der Bleistift zum Mitschreiben.

Und dann ist es plötzlich passiert. Während eines Gesprächs fuhr irgend ein Heinzelmännchen meinen Laptop hoch und rief eine neue Seite im Schreibprogramm auf. Ich war wohl nicht ganz Herrin meiner Sinne, ich hätte doch am Buch arbeiten sollen! Kaum hatte ich das Telefon ausgeschaltet, tippten meine Finger einen Titel und mein mit völlig anderen Dingen beschäftigtes Hirn registrierte, dass es um eine Idee ging, die ich seit Wochen mit mir herumtrage. Eine Freundin hatte mir eine Begebenheit erzählt, die ich im Gedächtnis ablegte unter dem Label: "Könnte für Geschichte taugen, reizvolle Variante meines Schubladenthemas Soundso, irgendwann mal drüber nachdenken, vielleicht recherchieren." Seither blubberte die Szene immer wieder hoch, ohne dass ich mich daran festhaken konnte oder erkannt hätte, was sich daraus machen ließe. Und zum Recherchieren fehlte mir ein Ansatz.

Während der Hochkonzentration zwischen zwei extrem wichtigen Telefonaten auf eine völlig andere Aufgabe - während ich nicht wissen konnte, wann mich das Telefonklingeln wieder hochschrecken lassen würde - tippte ich als Titel "Er geht" und beschrieb einen Mann, der völlig regungslos dasitzt. Während ich ins Schwitzen geriet, wurde dieser Mann immer ruhiger, wurzelte sich tief in die Erde ein. Der Tag verlief weiter hochchaotisch, meine einzigen Pausen bestanden in einer Hundewanderung und zu viel Geschreibsel bei Facebook, weil ich zu viel auf andere zu warten hatte. Aber von wegen Unproduktivität, von wegen, das hält vom Schöpfen ab! In den Zwischenminuten wuchs ein erstaunlicher Text, eine Kurzgeschichte, wie sie tatsächlich in mein Schubladenprojekt passt, zu anderen besonderen Texten passt. Das habe nicht ich geschrieben, das hat mich geschrieben - und das Ergebnis ist erstaunlich. Ein ganzes Menschenleben ist aus jener kleinen Bemerkung meiner Freundin entstanden - und der Text ist tatsächlich so etwas wie "echte Literatur". Die ja bekanntlich am besten im ruhigen Kämmerlein entsteht.

Jetzt, wo man mich auswringen kann von diesem hektischen, intensiven Anti-Schreibtag, wartet die Geschichte nur noch auf einen guten Schluss. Und da ist mir eingefallen, dass meine besten Bücher inmitten von Situationen entstanden sind, die angeblich dem Schreiben absolut abträglich sind, im größten Chaos, unter Belastung. Ob das daher kommt, dass ich als Journalistin angefangen habe? Ich bin immer zur Hochform aufgelaufen, wenn ich erst eine Stunde vor Redaktionsschluss einen Aufmacher aufs Auge gedrückt bekam, um mich herum drei Kollegen lautstark telefonierten, einer einen Besucher interviewte, der Fotograf hereinhetzte, der Redaktionsleiter die Artikel anmahnte und irgendwer brüllte: "Wer zum Teufel macht endlich mal Kaffee!?!"

Der gute alte Nietzsche hatte vielleicht doch recht, als er sagte:
"Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern zu gebären."
Nur wer den Kaffee macht, das hat Nietzsche leider nicht verraten.

Amazon bekommt Konkurrenz

Konkurrenz belebt das Geschäft. Und die bekommt Amazon endlich - und zwar im epub-Format. Kobo International wird in etwa drei Wochen eine ähnliche Self Publishing Plattform lancieren, die laut Eigenwerbung kinderleicht und schnell zu bedienen sei. Self Publisher dürfen gespannt sein, wie sich das in Europa darstellen wird - auf alle Fälle wird es Self Publishing als Veröffentlichungsform noch selbstverständlicher machen. Die englischsprachige Version der Plattform findet sich hier.

VG Wort stellt Zahlungen ein

Aus dem aktuellen Newsletter der VG-Wort: "Derzeit ist offen, wann die VG WORT die Ausschüttungen für das Jahr 2012 vornehmen kann. Das Landgericht München I hat in einem Urteil vom 24. Mai 2012 (Az.: 7 O 28640/11) gegen die VG WORT entschieden ..." Die Nachfrage einer Kollegin in der Buchhaltung der VG Wort hat ergeben, dass tatsächlich ALLE Ausschüttungen davon betroffen sind und nicht etwa nur - logischerweise - die vom Gericht beanstandeten Zahlungen an die Verleger (betroffen sind sogar Urheber ohne Verleger).

Es kann also aufgrund der Rückstellungen und des rechtlichen Hin und Hers möglicherweise sehr lange dauern, bis Urheber wieder Geld von der VG Wort sehen. Die sammelt inzwischen sehr viel mehr als die beanstandeten zweistelligen Millionenbeträge auf ihren Konten an (update: laut Buchreport liegen jetzt 120 Millionen Euro auf Eis). So kommt's also, wenn sich ein Urheber vor Gericht für sein Recht einsetzt und auch noch den Prozess gewinnt. Spätestens jetzt sollte klar sein, auf wessen Seite diese Verwertungsgesellschaft nicht steht. "Wir sind die Urheber", aber wir stehen ganz schön schnell mutterseelenallein im Regen, auch wenn wir recht haben.

Zum Nachlesen der Fakten in Bezug auf das Gerichtsurteil:


4. Juni 2012

Buch als Ware oder Wert?

Achtung, ich breche das Medium Blog. Bei Facebook hat sich nämlich eine spannende Diskussion um einen Artikel in der FAZ entsponnen: "Die Notwendigkeit des Buches: Wahre Literatur ist rücksichtslos."
Die Diskussion entspann sich daran, dass ich hinter Hettches Artikel das romantisch-genialische deutsche Bild vom Literaten vermutete und zur Debatte stellte, dass vieles, was wir im ach so literaturfeindlichen Internet heute tun, den Tätigkeiten der Schriftsteller des 19. Jahrhunderts sehr wohl ähnele. Man hat mich widerlegt in meiner sehr fokussierten Meinung, indem man darauf verwies, dass Hettche gerade die Vielfalt der Schriftsteller postuliere: Den weltoffenen Salonlöwen genauso wie den Elfenbeinturminsassen.

Aber genau darin bin ich ja mit ihm einig: Jeder Mensch ist anders - und so ist das auch schön. Und ja, im kreativen Prozess selbst hänge ich in meiner Ich-Schleife fest - und das ist normal so und richtig und gut. Trotzdem stößt mir in dieser Diskussion immer wieder etwas auf: Das implizite Abwerten derer, die sich im Internet bewegen (vielleicht nicht so bei Hettche, aber bei vielen "Kampagnenunterzeichnern"). Wir hatten diese Elitenthese erst unlängst in der NZZ. Und dann ist da dieser eigenartige Idealismus, wenn man auf der einen Seite nicht möchte, dass Bücher reine Waren sind, sich andererseits aber freudig und begeistert ausgerechnet in ein System wirft, das genau das tut: Bücher zu Waren degradieren.

Ich fände es schade, wenn mein Nachdenken darüber bei FB irgendwie verschwindet, drum hier per Copy & Paste meine Gedanken für die internette Ewigkeit ;-) Es darf an allen Orten nachgedacht und debattiert werden ...


Wir sind völlig einer Meinung, dass Kunst und Kultur (nicht nur Bücher) überlebenswichtig für etwas in einer Gesellschaft sind, das Waren nicht befriedigen können. Ich gehe sogar so weit, sie als zivilisatorisches Moment zu bezeichnen. Aber im Weg zur Wertschätzung sehe ich wahrscheinlich zwei Dinge völlig anders:

1. Mir gefällt dieser künstliche Gegensatz des "das geht nur offline" (implizit: das ist tiefer, besser) zum Online nicht. Wer behauptet das, warum, hat er das Gegenteil schon ausprobiert? (Ich rede jetzt bewusst nicht vom kreativen Schaffensprozess selbst, in dem auch Internetjunkies nur Text im Stillen tippen, aber der macht nicht alles Schaffen aus).

Unsere Kommunikationsformen ändern sich. Welcher Schriftsteller sitzt heute noch mit der Zigarre am Stammtisch wie einst? Im Internet kann man erstaunliche Dinge kommunizieren, unter völlig unterschiedlich (!) geregelten Öffentlichkeiten! Menschen holen sich im Internet in Notlagen sozialpsychiatrische Beratung (weil der offline-Dienst grad mal wieder nur den Anrufbeantworter drin hat), Menschen tradieren sich per Internet in Zeitzeugenplattformen Wissen und einen Platz in Zeit und Raum (weil die Opas drumherum verstorben oder schon senil sind), Menschen schließen sich im Internet mit Gleichgesinnten zusammen, um sich gegenseitig zu stärken und womöglich die eigene Persönlichkeit zu entwickeln (Foren aller Art bis zu den abstrusesten Lebensformen). Künstler aller Bereiche arbeiten sogar per Internet zusammen und tauschen sich weltweit aus.

Und jetzt kommen ausgerechnet die Schriftsteller und behaupten: Sorry, Internet kann das nicht. Nicht bei uns.
Falscher Ansatz!!! Muss heißen: ICH kann das nicht, ICH will das nicht. Und dann ist das völlig ok, aber auch keiner Diskussion wert, denn das machen wir alle mal, das Abschalten. Aber ich spreche dem Internet diese Möglichkeiten nicht ab! Internet ist die Summe seiner Teilnehmer. Internet ist ein Instrument wie ein Staubsauger. Es kann die verrücktesten Dinge, weil WIR die können.

Internet entwickelt sich aber nur in unserem menschlichen Sinne, wenn wir es auch gestalten und prägen. Wenn wir es nicht denen überlassen, die daraus Datensammelmaschinen und Wer-weiß-was machen wollen.

Ja, ich bin für menschliche Freiheit. Schriftsteller müssen das Internet nicht mögen, nicht benutzen und dürfen es sogar hassen (sollten aber mit den Folgen beim Publikum leben). Aber in meinen Augen hat zumindest ein Literat auch vielleicht so etwas wie eine gesellschaftliche Verantwortung oder ein Interesse an seiner Umwelt, an Menschen, am Leben. (Brutale Forderung, ich weiß). Dazu gehört das Internet. Es gibt keine Zeit mehr davor.

Und jetzt könnten wir noch einen Sack aufmachen, was für Literatur entsteht, wenn ich mich nur im Elfenbeinturm bewege - und was für eine, wenn ich
mich intensivst mit Leben und Menschen beschäftige. Und dann sind wir wieder an dem Punkt, dass es in unterschiedlichen Ländern auch unterschiedliche Schriftstellerbilder gibt, die ihre Literatur sehr prägen. Zum Glück. Nur bitte nicht mit diesem künstlichen Gegensatz offline-online.

 2. Problem: Das Buch als Ware. Wir leben in einer Zeit des Turbokapitalismus (mit schon leicht wahnsinnigen Zügen), in denen das Buch in der Tat ausgerechnet von den BuchMACHERN zur Ware degradiert wurde. Nicht von den Lesern - die lernen nur, was man ihnen vorsetzt. Ich muss nicht erklären, wie das zustande kommt, Stichworte müssen plakatierend reichen: McKinsey und Controling im Verlag, Spitzenpositionen und Turboverramschung - und die Remittierpraktiken oder das Regalplatzverkaufen im Buchhandel. Verlagen und Buchhändlern, die stattdessen versuchen, rein ideelle Werte zu präsentieren, geht es meist finanziell nicht rosig, viele werden von den Großen geschluckt.

Gleichzeitig haben wir es in Deutschland mit einer gewissen Kälte bis Feindlichkeit gegenüber Kunst und Kultur zu tun, mit einem Abscheu sogar vor der Intelligenz (das ist woanders zum Glück nicht ganz so schlimm). WERT wird rein über Geld vermittelt, andere Werte sind nicht mehr unbedingt fühlbar. Meine These: Riesiges Problem in Bildung und Erziehung!

So - und diese beiden "Stromkreise", Turbokapitalismus und mangelnde Wertschätzung, schließen sich in unseliger Weise zusammen und ergeben einen gesellschaftlichen Kurzschluss. Wir haben kein literarisches Problem, wir haben kein Problem mit Büchern oder künstlerischer Arbeit. Wir haben ein Problem mit unserem Umgang mit dem Kapitalismus. All das, was Künstler gerade "erleiden", erleiden andere Bevölkerungsschichten auch. Weil wir alle miteinander nur noch übers Geld interagieren, uns über Geld definieren, immer weniger Geld in der Tasche haben, immer mehr Geld sparen wollen etc. pp.

Wie wollen wir aus dem Hamsterrad raus? Wie wollen wir das schaffen, wenn wir ausgerechnet in den beiden Branchenkreisen mitten drin hängen, die unsere Bücher erst zur Ware machen? Sollen wir Verlage und Buchhandel wegwerfen, das selbst machen? Dumm nur, dass wir dann aufgrund der Strukturen selbst wie ein Verlag agieren, selbst Handel betreiben müssen oder Handel treiben lassen müssen. Und weil wir von etwas leben wollen, definieren wir dann selbst wieder unser Buch in Geldwert um.

Wir werden unsere Situation nicht ändern, indem wir vor Warenstrukturen katzbuckeln oder uns aus dem Internet abschalten. Schriftsteller werden in manchen Ländern zur sog. "Intelligentsia" gezählt. Sprich: die hätten den Grips und die Macht und die Chuzpe, Alternativstrukturen zu schöpfen und ihre Thesen direkt an die Öffentlichkeit zu bringen. Dazu müssen sie aber raus aus ihrem Kämmerchen. Dazu müssten sie zum homo politicus mutieren. Alles nicht so einfach. Sicher nicht für jeden geschaffen. Aber Kunst und Kapitalismus sind heutzutage miteinander verheiratet. Ich kann nicht so tun, als lebte ich nur eins von beiden.

Es gäbe hier hochspannende Ansätze, über die man diskutieren kann. Erstaunlicherweise finde ich die spannendsten bei den "angeblichen Kampagnengegnern", nicht beim Establishment. Aber auch hier ist meine Meinung absolut nicht maßgeblich, weil meine Sicht schon ganz anders gebogen ist: durch die sehr politische literarische Bewegung in Frankreich, die längst probt, wovor sich andere fürchten.