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29. Februar 2012

Köln: Bunt Buchhandlung

Weil ich in Frankreich lebe, entgeht mir meist eines der größten Vergnügen, die es für Autorinnen und Autoren gibt: das eigene Buch in einer Buchhandlung zu entdecken. Das ist immer der Moment, in dem einem bewusst wird, dass aus einem Text im Kopf, einem virtuellen Text im Computer, tatsächlich ein echtes Buch geworden ist, welches Menschen kaufen können. Dank Internet sind die Entfernungen geschrumpft und so bekam ich von Burkhard Schirdewahn von der Kölner Bunt Buchhandlung Ehrenfeld ein Foto geschickt, das mir das Herz aufgehen ließ!

Die Buchhandlung macht ihrem Namen alle Ehre, so farbenfroh, licht und weit wirkt sie, dass sich darin sicher nicht nur Schreibblockaden, sondern auch alle Leserlaunen kurieren lassen. Was soll ich sagen - ich habe nur über beide Backen gegrinst und mich wie verrückt gefreut, mein Buch "Faszination Nijinsky. Annäherung an einen Mythos" so passend und geschmackvoll eingeordnet zu sehen. Umgeben von Ballets-Russes-Blau und die "Gay Lives" gleich daneben - wenn das kein Plätzchen für Vaslav Nijinsky und Sergej Diaghilew ist!

"Faszination Nijinsky" in der Kölner Bunt Buchhandlung Ehrenfeld

Ich schlage vor, die Fans stürmen jetzt gleich mal die Buchhandlung:
BUNT Buchhandlung Ehrenfeld
Venloer Strasse 338
50823 Köln
Denn wer mir eine Adresse zukommen lässt, der bekommt das Buch "fernsigniert". Das heißt, ich signiere auf einem eigens angefertigten Nijinsky-Aufkleber, den man sich ins Buch kleben kann. Damit sparen sich meine Leserinnen und Leser die enormen Portokosten zwischen Frankreich und anderen Ländern.
Andere Buchhändler, die mir ein Foto vom Buch im Laden senden (bitte unter 2 MB), werden ebenfalls in diesem und im Blog über Vaslav Nijinsky erwähnt.

27. Februar 2012

E-Book zwischen Zaudern und Zukunft (2)

Auf der Suche nach dem Verhältnis zwischen E-Book-Markt und Printmarkt sei noch eine völlig subjektive, absolut nicht repräsentative Sicht gestattet. Ich bin im Moment dabei, mich nach vielen nervigen und zeitraubenden Tests mit völlig unzureichender Software in ein Programm (Jutoh) einzuarbeiten, mit dem ich selbst E-Books in sämtlichen gängigen Formaten herstellen kann. Warum ich mir das antue? Viele Dienstleister verlangen happig viel Geld und nicht jeder bietet dann als Ergebnis das, was ich erwarten würde. In der Zeit, in der ich den passenden suche, habe ich es selbst gelernt. Außerdem fasziniert es mich, den gesamten Produktionsprozess eines Buchs von der Idee bis zur fertigen Ware in der eigenen Hand zu halten und einmal vollkommen unabhängig zu sein - soweit man innerhalb der Marktstrukturen von Unabhängigkeit reden kann.

Ich habe mehrfach davon gesprochen, das ich vor allem für ältere, bereits vergriffene Bücher das E-Book als große Chance sehe, Lesestoff nicht nur lebendig zu halten, sondern womöglich völlig neue und andere Leserschichten aufzutun. Da ich aber natürlich nur meine eigenen Rechte halte, nicht aber diejenigen am Layout oder Cover, muss beides neu geschaffen (und womöglich bezahlt) werden. Mein Buch "Faszination Nijinsky" ist da bei weitem verführerischer - ich halte alle Rechte selbst. Leider ist es aufgrund der Struktur (Satz, Layout, Fotos, Endnoten) nicht ganz so einfach in ein E-Book-Format zu überführen - jedenfalls nicht so, dass es auf allen Readern auch gut aussieht. Was auf Papier Wirkungen erzielt, kann im Reader auch vollkommen hinfällig sein. Vor allem ein Sachbuchapparat ist ziemliche Handarbeit, weil alles sauber innerhalb des Buches verlinkt werden muss.

Die Originalfahnen des Buchs "Faszination Nijinsky" (PvC) - zum Vergrößern anklicken
Es stellte sich für mich also eine ganz andere Frage: Würde sich diese Arbeit inklusive Einlernen überhaupt lohnen? Wie sieht es mit der Akzeptanz von E-Books aus? Und wie sind die Erwartungen des Publikums beim Preis? Schließlich muss ich entweder jemanden bezahlen, der mir die Dateien bastelt - oder ich muss meine eigene Arbeitszeit rechnen, die ja nicht als Hobby abgesetzt werden kann. Was verkaufe ich also - und zu welchem Preis?

Ich habe bei Facebook das äußerst praktische Umfragetool benutzt (Direktlink zur Umfrage):
Faszination Nijinsky" wird zum E-Book. Die bibliophile Aufmachung und Strukturierung des gedruckten Buchs, das 15,50 E kostet, läuft auf Readern nicht, es muss umstrukturiert werden. Welches E-Book würdet ihr am ehesten kaufen:
Die Gesamtausgabe mit Fotos zu 10-13 Euro (*) - 30 Stimmen
Die Gesamtausgabe mit Fotos zu 7,99 Euro - 6 Stimmen
Die Gesamtausgabe ohne Fotos zu 9-10 Euro (*) - 2 Stimmen
Die "Auskopplung" ohne Fotos und Interviews zu 5-7 Euro (*) - 3 Stimmen
Keins - 3 Stimmen
Keins. Ich lese keine E-Books - 11 Stimmen
(Die mit (*) versehenen Angaben stammen von mir, die anderen wurden von Teilnehmern vorgeschlagen. Abgestimmt haben zum jetzigen Zeitpunkt 55 Personen von 221 Freunden, das ist für FB-Verhältnisse ein sehr guter Rücklauf).

Interessant wird diese Umfrage jedoch erst, wenn ich mir genauer anschaue, was für Menschen wie abgestimmt haben. Aufgrund der Struktur meiner Freunde handelt es sich durchweg um "buchaffine" Menschen und es haben sehr viele mitgemacht, die selbst in der Buchbranche tätig sind, sei es als Verleger oder Buchhändler oder andersweitig Beschäftigte.
Oberflächlich betrachtet würde mir die Umfrage sagen: Hau das Buch raus, mach es komplett und richtig teuer, wir würden das dann sofort kaufen. Aber ist das wirklich so? Ist nicht der Wunsch Vater des Gedanken, weil die Buchbranche gerne Preise erzielen würde, die an die des Hardcovers heranreichen? Hat man bedacht, welcher Aufwand im kompletten Buch stecken würde? Wie hätten durchschnittliche Leserinnen und Leser geantwortet?

Eines ist klar: Die Leser wollen keine "Auskopplungen" - ein Buch muss komplett leisten, was auch das gedruckte bringt. Man kauft nicht doppelt ein. Absolut erschreckend waren für mich die letzten beiden Posten. Nicht etwa, weil es sich eigentlich um eine Minderheit in dieser Gruppe handelt, die mir entweder rät, kein E-Book zu machen (aus unterschiedlichen Gründen) oder keines zu machen, weil sie selbst keine E-Books läsen. Ich persönlich bin der Meinung, wenn es Milchtrinker gibt, die Tetrapacks kaufen und welche, die eine Flasche bevorzugen, dann erreiche ich beide, wenn ich beides anbiete - und sonst eben nur einen Teil der Käuferschaft. Natürlich muss ich das nicht. Ich muss auch als ganz normaler Leser keine E-Books mögen. Bei der völlig ablehnenden Option (keins. Ich lese keine E-Books) kamen jedoch vier Stimmen aus maßgeblichen Stellungen in der Branche. Das hat mich, gelinde gesagt, erstaunt. Es ist keineswegs repräsentativ, nur eine Art Momentaufnahme einer Stimmung! Was aber wäre, wenn diese Stimmung noch an anderen Stellen in der Branche vorkäme? Es gibt ja immer noch sogar Verlagskonzerne, die mit E-Books extrem geizen. Wie ernst nehmen wir eigentlich die Wünsche unserer Leserinnen und Leser? Wie lange können wir es uns noch leisten, einen auf Haptik und Hochkultur zu machen? Wie nah sind wir am Kunden?

Ich will es kurz machen: Meine Analyse mit Blick auf die Einzelstimmen und mit Blick auf die Stimmen von echten E-Book-Lesern außerhalb der Umfrage zeigen mir, dass die Mehrheit der Antwortenden hier für reinen Wunschstatus plädiert, der leider nicht den Erwartungen der Käufer entspricht. Ein Verleger hat wohl den Nagel auf den Kopf getroffen, wenn er schreibt, 9,95 Euro sei ein guter E-Book-Preis. Das trägt der Hemmschwelle der Käufer Rechnung. Es trägt aber auch der Tatsache Rechnung, dass ich als Autorin nur bis 9,99 Euro 70% Tantiemen bekomme. Darüber sind es nur noch 35% - dafür müsste ich doppelt so viele Bücher verkaufen!
Wie lange sind E-Book-Preise noch zu halten, die nur geringfügig unter Hardcover-Preisen liegen? Schleppt sich der E-Book-Markt im deutschsprachigen Raum vielleicht deshalb so müde dahin, weil Verlage und Buchhändler völlig andere Preisvorstellungen haben als Leser? Bei all diesen Fragen rege ich dazu an, die Hamburger Studie im Hinterkopf mitzulesen.

Spannend waren für mich vor allem die persönlichen Anmerkungen, die ich in der Umfrage und privat hinter den Kulissen bekommen habe. Sie haben mich zu einer vielleicht unpopulären Entscheidung gebracht:
Ich werde "Faszination Nijinsky" vorerst NICHT als E-Book herausbringen, hauptsächlich aus folgenden Gründen:
  • Das Buch setzt derart auf Haptik und Layout, dass es als reiner Text - selbst mit Fotos - in meinen Augen verlieren würde. Und der Markt für Haptik ist - das hat die Studie gezeigt - doch der sehr viel größere. Da mein Hersteller weltweit verkauft und versendet, wäre auch ein internationales Klientel kein Grund für ein E-Book.
  • Der E-Book-Markt ist noch zu klein, als dass sich der große Aufwand mit der speziellen Konvertierung in diesem Fall lohnen würde. Ein Verlag kann sich das leisten, wenn er Sachbücher einfach in den Workflow gibt, der schon vorhanden ist - ich selbst muss alles allein mit der Hand pfriemeln, zum ersten Mal in meinem Leben.
  • Das ganz spezielle Zielpublikum für dieses Buch bewegt sich noch in Papiersphären. Ob man hier mit E-Books mehr junge Leute ansprechen kann, ist allzu fraglich. Darüberhinaus ist "Faszination Nijinsky" ein typisches Sammlerbuch: Ballettfans und Ballets-Russes-Gebissene werden jedes Buch zum Thema zu fast jedem Preis erwerben. Sie werden sich also die Mühe machen, das gedruckte Buch zu bestellen.
  • Ich würde einen Preis für 9,95 Euro ebenfalls für vernünftig halten, alles andere ist zu niedrig oder zu hoch für dieses Buch. Je nach Entwicklung des E-Book-Marktes ist eine solche Ausgabe später immer noch denkbar, etwa, wenn das Printbuch ausreichend gealtert ist. Im Moment will ich auch nicht das Risiko eingehen, es zu kannibalisieren.
Das heißt aber nicht, dass ich E-Books den Rücken kehre. All das gilt nur für dieses spezielle Buch. Sehr große Chancen, allerdings auch bei niedrigeren Preisen, sehe ich in der Belletristik. Sobald ich gute Cover habe, werde ich deshalb meine beiden Romane anbieten (als epub und mobi). Und mein Alter Ego, das einen üblen Hang zum Trash hat, mordet zur Zeit fleißig in der Frühstückspause, sein blutiges Cover ist schon fertig - auch da wird es ein E-Book geben, von dem ich mich natürlich völlig distanziere ;-)

Ich denke, bei den komplizierter aufgebauten Sachbüchern wird die Technik in vielleicht ein bis zwei Jahren so weit sein, dass sie mit wenig Handarbeit so gestaltet werden können, dass sie auf jedem Gerät und in jedem Format wirklich hochwertig und funktionstüchtig daherkommen. Hoffe ich jedenfalls.

Ich möchte allen, die sich die Mühe gemacht und die Zeit genommen haben, sich zu beteiligen, sehr herzlich danken - ohne sie wäre die Entscheidungsfindung um einiges kopfloser ausgefallen!
Mit der Preisstruktur bei E-Books schlagen sich übrigens auch andere herum, wie der Artikel bei Melville House Books zeigt.

E-Book zwischen Zaudern und Zukunft (1)

Dieser zweiteilige Artikel ist kein repräsentativer Beitrag über den Zustand des E-Book-Marktes. Verlässliche Vergleichszahlen gibt es nämlich kaum, zumal der Gigant Amazon mit harten Verkaufszahlen regelmäßig mauert. In den Medien überwiegt allzu oft die Meinungsmache, da sagt der eine den anderen tot, es werden gigantische Ausreißer nach oben von der winzigen Elite der Erfolgreichen zitiert - oder es wird etwas kleingeredet, weil es noch kein Mainstream ist. Dazu kommt, dass man jede Statistik und jede Studie im eigenen Zusammenhang immer wieder anders lesen kann.

Foto PvC
  Die Universität Hamburg hat im Januar am Institut für Marketing und Medien eine Studie vorgelegt: "E-Books und E-Reader. Kauf und Nutzung". Auch sie ist interpretierbar, schon in Sachen Zielgruppe der buchaffinen Menschen. Man kann da über vieles streiten. Etwa über die Tatsache, dass sehr viel mehr gedruckte Bücher als E-Books ausgeliehen werden. Kein Wunder, wenn das Ausleihen noch nicht überall klappt und auch so schwer, ja mit DRM unmöglich ist. Sagt das wirklich etwas über E-Books aus? Die Studie fand im Oktober 2011 statt, hat den großen Run auf Reader im Weihnachtsgeschäft also nicht berücksichtigt. Sie kommt zum Schluss:
"14% der Befragten haben in den letzten sechs Monaten E-Books gekauft, im Durchschnitt 6 Stück."
Das bedeutet: 86% haben keine gekauft. Haben sie drum aber auch keine gelesen? Leser (etwa von kostenlosen E-Books) gibt es weit mehr - da sind es dann insgesamt 22,9 % der Befragten! Übrigens haben nur 68% der Befragten fünf oder mehr gedruckte Bücher gekauft.
Wir haben also 23% der Befragten als E-Book-Leser gegen 77% der Befragten, die keine E-Books lesen (aber auch nicht zwingend gedruckte).

Von denen, die E-Books kauften, wurden im Schnitt knapp 57 Euro in sechs Monaten ausgegeben. Das ist bei durchschnittlich sechs eingekauften Büchern nicht viel und die Kurve in der Studie zeigt, dass die Ausgaben sogar kontinuierlich sinken. Der große Renner sind kostenlose Bücher. Wenn die Studie dann aber die Vorliebe für freie Formate betont und an erster Stelle pdf zeigt, dürfte klar werden, dass vielleicht gar nicht nur "richtige E-Books" gezählt wurden. Kostenlose pdfs lesen wir doch seit Jahren schon auf dem Computer - sind das aber immer auch richtige Bücher? Ist der E-Book-Markt also womöglich noch kleiner als vermutet? Rechnet man pdfs heraus, liegen mobi, epub und apps zumindest bei den zahlenden Käufern gleich auf, der Kindle verliert nur bei denen, die nichts für ihre Lektüre bezahlen. Wie ernst zu nehmen ist dieser Markt, wo man nur Bücher lesen, aber nicht bezahlen will? 34% der nicht zahlenden Leser beziehen ihre Leküre außerdem über sogenannte "Freunde", ob legal oder nicht ...

Hochinteressant ist die Shopnutzung der kaufenden Leserschicht. Amazon liegt mit 57% weit vorn, gefolgt von iTunes mit nur 27% und Thalia mit 18%. Die Online-Shops der Buchhandlungen schaffen immerhin mehr als Libreka, nämlich 6% gegen lächerliche 2%. Wer wirklich Geld mit E-Books machen möchte, ist auf die Giganten Amazon und Apple angewiesen.

Spannend ist die Verweigerungshaltung: Die meisten lesen keine E-Books, weil diese kein Produkt ersetzen, mit dem man unzufrieden wäre. Warum sollte man also zu einem anderen Produkt wechseln? Es ist also noch nicht gelungen, Vorteile von E-Books zu transportieren. An zweiter Stelle steht tatsächlich das Argument, dass man seine Bücher im Regal vorzeigen möchte, also das Buch als Statussymbol, das der Reader als Statussymbol nicht bei der gleichen Klientel ersetzen kann. Hier sind die Werte einfach zu unterschiedlich. Die meisten der Käufer stört aber der Preis - er ist ihnen schlichtweg zu hoch und der größte empfundene Nachteil am E-Book.

Und noch eine Nachricht ist schlimm: Leute, die heute keine E-Books lesen, planen auch in Zukunft so gut wie keine E-Book-Käufe. Für 77% der Befragten besteht für E-Books auch in naher Zukunft keine Kaufoption. "Haptik" und "Regalstellen" sind wesentliche Motive, so die Hamburger Studie. Allerdings gaben 11% der reinen Leser an, sich einen E-Reader kaufen zu wollen. Aber von denen, die kostenlose E-Books konsumieren, sind offensichtlich nur wenige bereit, dann auch Kaufware herunterzuladen. Es bleibt also zweifelhaft, ob man mit Verramschungspreisen und Verschenkangeboten wirklich Leser anfixt, die auch zu Käufern werden. Aber immerhin ein Trost: E-Book-Käufer lesen mehr und länger als Papierbuchkäufer!

Die Zusammenfassung der Hamburger Studie kann man hier bestellen. (Ich habe nur einen Ausschnitt daraus beleuchtet)

20. Februar 2012

Um den Pfosten herum

Ich halte mich eigentlich für einen recht kosmopolitischen, offenen Menschen, der es gewohnt ist, in binationalen Beziehungen weit über den eigenen Tellerrand zu schauen. Umso schöner ist es, wenn ich mir der Balken im eigenen Auge wieder bewusst werde und lerne, dass man gar nicht neugierig und offen genug sein kann. Vielleicht erinnern sich manche Blogleser noch daran, wie ich über die alte Achse der Avantgarde zu Beginn des 20. Jhdts. geschwärmt habe, die einmal von Paris bis Petersburg reichte und durch den ungeheuer großen kulturellen Reichtum aller Beteiligten für solche Umwälzungen in der Kunst sorgen konnte.

Henrik G. Vogel bei pixelio.de
Am Wochenende ging ein kleiner persönlicher Traum in Erfüllung - vier Nationen versammelten sich an einem Tisch, die westlichste davon Frankreich, die östlichste Russland.
Würden derart unterschiedliche Menschen, die sich zuvor noch nie gesehen hatten, miteinander zurechtkommen? Würden irgendwelche Hürden zu bewältigen seien, zumal wir ja auch nicht unbedingt kreuz und quer durch alle Sprachen wechseln konnten? Wie viel wissen wir eigentlich voneinander?

Um dem Ganzen zwischenmenschliches Schmieröl zu verleihen, war die Vorspeise russisch, die zweite Vorspeise badisch, der Käse französisch und das Dessert englisch, während sich der Hauptgang nicht so ganz zwischen nördlichen Meeren und Tropen entscheiden konnte. Bekanntlich geht nicht nur die Liebe durch den Magen, ersten Annäherungsversuchen hilft der Magen auch - so weit würde ich sogar in rein geschäftlichen Beziehungen gehen. Und es lernt sich leichter, wenn man keinen Hunger schiebt. Das war - neben allen privaten Freuden - der größte Aspekt bei mir: Ich habe eine Menge gelernt. Und zwar nicht nur darüber, was für Arten von Butter man wo kennt und wie man wo Pfannkuchen oder Rote Beete zubereitet - diese wahrhaft globalen Genüsse. Ich habe gelernt, dass vor mir ein Grenzpfosten steht und dass ich zwei Möglichkeiten habe. Ich kann ihn ignorieren, drauflos schwätzen und mir den Kopf daran anschlagen. Ich kann mir das Hindernis aber auch anschauen, damit leben, dass es im Weg steht - und um das Hindernis herumlaufen.

Dann stehe ich auf der Seite des anderen und schaue aus dessen Perspektive auf den Grenzpfosten. Ich kann mich sogar an der Hand nehmen lassen, kann neugierige Fragen stellen. So ermögliche ich meinem Gegenüber, genauer zu beschreiben, was er sieht - er schärft mir den Blick. Wenn ich es schaffe, diesen störenden Grenzpfosten nicht nur von einer einzigen "Gegenseite" aus zu sehen, sondern womöglich mehrere unterschiedliche Positionen einzunehmen, geschieht etwas, was wir aus der Kindheit kennen: Je mehr wir uns im Kreise drehen, desto schwindliger wird uns. Der Pfosten scheint sich aufzulösen. Bleiben wir plötzlich stehen, wissen wir nicht mehr, wer sich da um wen dreht. Die ganze Welt scheint um uns als klitzekleinen Fixpunkt zu rotieren, Hindernisse gibt es nicht mehr. Grenzen lösen sich auf, wir drehen und tanzen mit - und die Welt ist nur bunt, weil es so viele winzige Fixpunkte gibt, weil sie zum Glück alle eine andere Farbe und Form haben als wir.

Das klingt nach Idyll. Aber es will hart erarbeitet werden. Es ist ja so viel einfacher, eine Gegenmeinung zur Meinung loszuwerden und in der eigenen Welt verhaftet zu bleiben. Du machst Pfannkuchen mit Hefe, ich mache Pfannkuchen ohne Triebmittel, Pfannkuchen ist doch Pfannkuchen und basta. Wir kennen Butter aus Sauerrahm und bei euch finde ich keine, basta. Du kennst nur das richtige Butterwort nicht, deshalb kannst du sie im Regal nicht finden, dir fehlt einfach nur ein Wort. Aha! Schon wird die Welt ein wenig reicher: Für den Hefepfannkuchen hat jede einen anderen Trick. Da gibt es die kleine runde Pfanne, in der er dicker und ebenmäßig geformt gebacken wird. Oder den Trick mit der spät eingerührten heißen Butter, die ihn zu filigranen Spitzen explodieren lässt. Pfannkuchen ist eben nicht gleich Pfannkuchen und manchmal fehlt uns nur einfach das richtige Wort.

Wenn sich sehr unterschiedliche Kulturen annähern, dann geht das wie bei allen zwischenmenschlichen Beziehungen mit vorsichtigem Beschnuppern los. Um den anderen einschätzen zu können, muss ich mir ein Bild machen und eher zuhören und fragen, als jemandem die Ohren abreden. Ich muss mich zeigen, der andere muss sich zeigen. Plötzlich geschieht etwas Faszinierendes, was man in dieser Intensität bei Treffen unter Altvertrauten nicht derart stark wahrnimmt. Die Leute zeigen ihr Sein, nicht all das Angelernte. In dem Moment, in dem jeder am Tisch eine Minderheit ist, weil es keine Mehrheit gibt, kann sich jeder so geben, wie er ist. Der Anpassungsdruck fällt weg, dem man ausgeliefert ist, wenn man als Einzelner in einer konformen Menge nicht auffallen will. Es gibt plötzlich nur Exoten, wir alle sind Fremde - und das können wir teilen. Man tauscht sich aus, schaut an, lernt, lacht und wundert sich auch tüchtig.

Wenn nämlich jeder so einen Grenzpfosten vor dem eigenen Kopf wahrnimmt, ist man ja gezwungen, sich um den Balken im eigenen Auge herum zu bewegen. Vor allem bei politischen und tagesaktuellen Diskussionen, bei denen es nicht mehr nur um die Butter auf dem Brot geht, wird das deutlich. Irgendwer am Tisch mag eine für andere vollkommen drollige oder absurd klingende Sichtweise äußern. So manches Schlagwort mag uns aus Medienberichten sogar bekannt vorkommen. Wie kann man nur eine Sache derart sehen! Wo wir uns doch alle einig sind, dass sie ganz anders aussieht!

Stopp. Wer ist dieses "wir"? Wer ist "alle"? Wir haben uns so schön an den Konsens gewöhnt, weil Konsens so behaglich ist, weil wir uns darin sicher fühlen. Und plötzlich kommt da jemand, schüttelt den Kopf, lacht vielleicht und kommt auch mit einem "wir". Da sind andere "alle", die sehen das aber völlig anders!

In solch einem Moment könnte man zu streiten beginnen, auf dem eigenen Standpunkt beharren und vielleicht sogar Kriege erklären. Das Vertrackte dabei ist nur die Tatsache, dass diese dämlichen Grenzpfosten eigenlich immer nur und immer wieder der gleiche Dorn im Auge des Betrachters sind. Wir stehen lediglich an unterschiedlichen Positionen um diese Pfosten herum. Wir können bleiben und ballern. Wir könnten uns aber auch bewegen. Wie siehst du mich von deinem Blickwinkel aus? Warum siehst du die Sache so ganz anders? Was müsste bei mir geschehen sein oder sich verändern, dass ich deinen Blickwinkel zumindest nachvollziehen kann? Magst du einmal auf meine Seite kommen und anschauen, welchen Balken ich im Auge habe?

Schnell wird klar, dass wir nicht aus Butter gemacht sind, sondern einen ganzen Rattenschwanz an persönlicher Geschichte, aber auch an "ganz großer" Geschichte im Gepäck tragen. Die vier Nationen, die da an einem Tisch sitzen, sind das aufgrund oft zufälliger Passverteilungen. In Wirklichkeit jedoch - betrachtet man die Geschichte eines jeden einzelnen - sitzen da weit mehr Nationen an einem Tisch, abenteuerliche Kombinationen, Völkerwanderungen, Fluchten, freiwillige Grenzübertritte, Gebliebende und Emigranten, Weltenwechsler und Stabile. Unterm Tisch liegen viel zu viele Kriege, aber auch Versöhnungen und sogar grenzenlose Lieben. Der Tisch, der diese Menschen versammelt, biegt sich. Nicht nur wegen der internationalen Köstlichkeiten. Er biegt sich unter dem menschlichen Reichtum, unter wertvollen Erfahrungen, unter all den farbigen Sichtweisen.

Wenn man im Russischen Kaviar zur Genüge hat, dann sagt man, man löffle Kaviar mit dem Schöpflöffel. Ein Gerät, das auch der Franzose oder Engländer kennt. Im Deutschen "schöpft man aus dem Vollen". Wer jeden Tag Kaviar zur Verfügung hat und sich nur unter Menschen bewegt, die ausschließlich Kaviar essen, dem würden die begehrten Fischeier ganz schnell wieder "aus den Ohren herauskommen". So stelle ich es mir vor, wenn man sich nur immer unter Seinesgleichen bewegt. Es mag zuweilen nahrhaft sein, von allen Seiten bestätigt zu bekommen, dass man Meinungen teilt. Aber wie öde ist das auf Dauer? Lernen muss man da nicht mehr viel, allenfalls das Sodbrennen bekämpfen.

"Aus dem Vollen schöpfen" kann aber auch doppeldeutig sein: Wie schmackhaft ist erst die Kombination unterschiedlicher Geschmäcker, unbekannter Genüsse und ungewohnter Speisen! Kaviar und Kartoffeln? Warum eigentlich nicht? Dumme Verbote stellen wir uns doch nur selbst auf, oder? Ich wette: Wenn wir unseren eigenen Grenzpfahl mit beiden Händen halten und uns nur schnell genug um ihn drehen, dann wird er unsichtbar - und plötzlich tanzt die ganze Welt mit uns.

15. Februar 2012

Die erste Abrechnung

Fieberhaft habe ich gewartet - auf die erste Tantiemenabrechnung eines Self-Publishing-Buchs im Print-on-Demand. Ein Sonderfall: ein literarisches Sachbuch. Wie lässt sich ein so spezielles und eigentlich fast unsichtbares Buch wie "Faszination Nijinsky" verkaufen? Machen wir uns nichts vor: Der stationäre Buchhandel giert nicht danach, Self-Publishing-Bücher in die Regale zu stellen. Sortimenter wie KNV (Buchkatalog) sind kaum zu gewinnen - und damit fallen alle Buchhandlungen weg, die nur über Buchkatalog bestellen wollen! Und das Feuilleton ruft gleich Igittibäh. So eine richtig große fette Community habe ich mir auch so schnell nicht aufbauen können, unter rund 1600 Followers bei Twitter ist viel Müll dabei (Bots, billige Jakobs und andere Maschinen) und mit 172 Fans bei Facebook habe ich mir wahrlich keinen abgebrochen. Da ginge mehr, wie man so schön sagt. Dann noch ein Thema wie Ballett, Kunst und Wahnsinn, das man im Fachjargon "Nische" nennt, eine Nische, zu der ich ebenfalls persönlich keine direkten Kontakte hatte.

Ich möchte keine absoluten Zahlen nennen, aber ich denke, die Vergleiche sprechen Bände. Das Buch erschien Mitte Juli 2011, lief also bis zum Abrechnungszeitraum, der am 31.12.2011 endete, gerade knapp sechs Monate. Es hat mehrfach Leserrezensionen bekommen, eine "Buch des Monats-Empfehlung" bei den Bücherfrauen, aber leider noch keine Rezension in Presse oder Medien. Lesungen laufen erst in diesem Jahr an, demnächst soll auch das E-Book erscheinen (eine gekürzte Fassung ohne Fotos). Zwei Buchhandlungen waren meines Wissens bereit, das Buch in ihren Laden zu stellen - es handelt sich um Buchhändler, die ich persönlich kenne und kontaktiert habe.

Verglichen mit meinen Büchern in Verlagen wie Lübbe oder Hanser bin ich von deren Verkaufszahlen natürlich sehr weit entfernt - solche Illusionen sollte man sich als Self Publisher nicht machen. Ich habe jedoch meine eigenen Erwartungen übertroffen. In einem halben Jahr habe ich Verkaufszahlen geschafft, wie ich sie von einem ganzen Jahr etwa bei einem Verlag wie Parthas kenne - und das, wie gesagt, ohne all die Möglichkeiten, die ein Verlag hat. Das finde ich beachtlich, zumal ich sehe, was man als einzelner Autor bewegen kann!

Besonders schön ist, dass ich eine absolut detaillierte Abrechnung nach Verkäufern in Händen halte - eine solche Aufsplittung vermisst man als Verlagsautor leider. Ich kann also sehen, wer mir zum Erfolg verholfen hat. Und da sind meine besten Verbündeten - weit abgeschlagen vor den anderen - die Sortimenter Libri und Umbreit (ohne Buchhandlungsbestellungen). Wenn ich die Zahlen richtig deute, stecken da neben möglichen Libri-Direkteinkäufen vor allem zwei dahinter: Amazon und Book2Look.

Was mich absolut überrascht, wenn ich richtig deute: Book2Look hätte demnach sogar mehr Kunden generiert als Amazon! Das bestätigt mich in zwei Theorien, die ich schon lange vermute:
1. Amazon ist nicht der idealste Händler, wenn es um anspruchsvolle Bücher und schwierigere Ware geht.
2. Ausführliche Leseproben, die auch noch buchähnlich wie bei Book2Look aufbereitet und mit Social Media verknüpfbar sind, sprechen am meisten für ein Buch. Eine Buchbeschreibung kann noch so gekonnt sein - am besten steht der Text für sich selbst ein. Und er spricht besser zu den Lesern, wenn es mehr als nur die üblichen zwei bis drei Seiten sind.
Das sind aber, wie gesagt, nur Hypothesen, wenn die Kindle-Ausgabe erscheint, werde ich sehen, ob sich etwas verändert.

Der hauseigene Shop des Herstellers kann gnädig vergessen werden, aber das liegt auch daran, dass er nicht leicht gefunden wird und in der Navigation ebenfalls nicht besticht. Wer wird dort einkaufen? Andere Kunden des Herstellers?
Ein dickes Dankeschön geht an die Buchhandlung Straß in Baden-Baden, die unter den Buchhandlungen am meisten verkauft hat, was sich aber daraus erklärt, dass ich in Baden-Baden persönlich aktiv bin und meine Kunden dorthin schicke. Ein ebensolches Dankeschön geht an die rührige Schiller-Buchhandlung in Stuttgart, die - ballettbegeistert genug - bereit war, das Risiko mit mir einzugehen.

Am traurigen Ende der Abrechnung finden sich zehn (!) Buchhandlungen und Buchversanddienste, die je ein einziges (!) Exemplar verkauft haben. Man kann davon ausgehen, dass das aufgrund einer Bestellung geschah und die Bücher nicht unbedingt im Laden auslagen.

Mein Fazit nach nur einem halben Jahr Laufzeit:
  • Im Sachbuch, bei Nischenliteratur kann man es tatsächlich erreichen, an Abverkaufszahlen zu kommen, die auch passende Verlage erreichen - ja, man kann sie sogar übertreffen. Und das ohne Unterstützung in Buchhandel und Medien! Schon allein deshalb ist für mich das Experiment Self Publishing eines, das ich nicht zum letzten Mal angepackt habe.
  • Den stationären Buchhandel, sofern man nicht über private Kontakte verfügt und den eigenen Vertreter spielt, kann man leider im Self Publishing als Partner getrost vergessen, wenn sich hier nicht einiges ändern sollte. So lange wird man leider den viel beschimpften "Giganten" wie Amazon in die Arme getrieben! Schade, dass sich viele Buchhandlungen dieses Geschäft entgehen lassen: Ich weiß von Lesern, dass sich manche Buchhandlungen geweigert haben, außerhalb von Buchkatalog bei Libri oder Umbreit zu bestellen, obwohl der Kunde definitiv das Buch kaufen wollte. Dafür habe ich kein Verständnis.
  • Amazon wird im Print überschätzt, vor allem, wenn es um bibliophile Ausgaben oder Literarisches geht.
  • Gute Leseproben werden massiv unterschätzt - übrigens auch von vielen Verlagen.
  • Die richtigen Rezensionen von Leserinnen und Lesern im Internet (und zwar nicht nur bei Amazon!), entsprechend vom Autor in den Social Media kommuniziert, laufen tatsächlich dem Feuilleton bereits den Rang ab (ich weiß zufällig, wie viele Exemplare ich bei Rezensionen in ZEIT oder FAZ mehr verkauft habe ... ).
  • Eigenmarketing ist auch für "Gelernte" eine Maloche beim ersten Buch, beim zweiten hat man aus den Fehlern hoffentlich gelernt. Dafür hat man im Self Publishing sehr viel mehr Zeit und Ruhe, weil man Longseller aufbauen kann. Das Buch "verfällt" nicht schon nach einem halben Jahr, man kann dann durchaus noch einmal aufdrehen. Es steht einem ja auch kein Buchhändler im Genick, der schnell remittieren will ...
  • Ich habe bisher - mit Ausnahme von Hanser - noch nie einen so direkten Draht zu meinem Publikum bekommen, so dass ich nun wirklich ein Gespür dafür habe, für wen ich eigentlich schreibe. Dank Social Media habe ich so viel Feedback und Austausch wie noch nie. Das führt nicht nur zu Verkäufen, sondern vor allem dazu, dass ich unwahrscheinlich viel lerne und jede Menge spannender Leute auch aus der Branche kennenlerne, die mich inspirieren und die mir Mut machen.
  • Die alte Theorie stimmt auch im Self Publishing: Bücher verkaufen sich durch Mundpropaganda und die wahren Vertreter eines Buchs sind begeisterte Leserinnen und Leser.
Nach diesem halben Jahr sage ich nur: Aber hoppla, jederzeit wieder! Das fängt jetzt richtig an, Spaß zu machen. Die Brötchen sind zwar noch klein, aber sie schmecken! Jetzt bin ich motiviert, mich noch mehr anzustrengen.

14. Februar 2012

Der öffentliche Autor

Verleger Ralph Möller (Terzio Verlag) über Autoren im Social Web und die Chancen, eine öffentliche Person zu sein:

Self Publishing, surfing ...

... not in the USA, sondern im Schnee, könnte ich im Moment singen. Und wer aufgrund der Wetterlage irgendwie fest sitzt oder Trübsal bläst, der mag vielleicht ein wenig im Internet herumsurfen und interessante Artikel lesen. Deshalb wieder einmal eine längere Vorschlagsliste von mir. Es geht natürlich mal wieder um die Buchbranche - und schwerpunktmäßig ums Selbstverlegen. Nicht etwa, weil ich davon eingenommen wäre. Es ist einfach das Thema, das die gesamte Fachpresse bewegt, während sich die Verlags- und Buchhandelswelt zumindest im deutschsprachigen Raum recht schwer tut, mit Zukunftsvisionen an die Öffentlichkeit zu treten.

Im Grunde kann man die Lage derzeit auf einen Nenner bringen: Self Publishing ist zumindest im anglo-amerikanischen Raum gleichberechtigt und ohne Schmuddelimage als Buchproduktionsform angekommen - und das ist vor allem der Professionalität vieler Self Publisher zu danken. Es sind nicht nur etablierte Verlagsautoren, die sich neuerdings auf dieser Schiene erproben - immer mehr Autorinnen und Autoren, die noch nie in einem Verlag veröffentlicht haben, setzen sich mit Professionalität und Können an die Spitze.

Trotzdem schreibt auch das, was wir hierzulande gern mal als "Müll" bezeichnen, für seine Unvollkommenheiten und Schwächen doch erstaunliche Verkaufszahlen. Untersucht man solche Fälle näher, wird schnell klar, dass das Publikum da draußen einen gewissen Hunger nach rasanten Stories hat. Rasant im Sinne von Spannung, aber auch Leseverhalten. Vor allem E-Book-Leser schätzen Kurzgeschichten, Bücher mit vielleicht umgerechnet 100 Seiten und kürzere Erzählformen - denn man will auch mal in der U-Bahn oder im Wartezimmer lieber Bücher als Regenbogenpresse lesen. Außerdem wurde das Publikum offensichtlich in den letzten Jahren ausgehungert, was ungewöhnliche und "andere" Plots betrifft. Ist die Story außergewöhnlich, schaut man sogar über fehlendes Lektorat hinweg. Früher hätte man solche Autoren in Verlagen entdeckt, aufgebaut, professionalisiert und gut lektoriert. Heute bekommen sie - zumindest in den USA - nach dem Self Publishing Erfolg eine Einladung in den Verlag. Outsourcing von Risiko und unternehmerischer Verantwortung auf die Autoren ...

Der Trend, dass sich Self Publishing professionalisiert und dann auch noch größere Erfolge produziert als in Verlagen, schwappt inzwischen aber auch nach Deutschland hinüber. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sich die Branche warm anziehen muss. Damit meine Behauptungen nicht im luftleeren Raum stehen, hier Lesestoff zum Thema:

Ebookfriendly bringt am Beispiel der Kindle-Bestseller eine Analyse des Erfolgsjahres 2011 und stellt fest: Der absolute Hype ums Self Publishing - in dem Sinne, dass angeblich jeder Bücher schreiben kann und sich die goldene Nase verdient - ist zu Ende. Die Szene hat sich professionalisiert, und das nicht immer mit den aalglatten, einfachen Methoden, die sich Tante Erna* vorstellen mag.

Mit einem anderen Vorurteil von Tante Erna räumt futurEbook auf, nämlich mit der Annahme, es sei ja ach so einfach, ein E-Book zu basteln, das könne ja jeder. Theoretisch hat Tante Erna sogar recht, einen Einfachroman kann jeder bei Amazon oder Barnes & Nobles hochladen. Wer sich für professionelles Aussehen auf allen Readern und barrierenfreien Vertrieb interessiert, rauft sich schon eher die Haare: Es gibt keinen einheitlichen E-Book-Standard und jeder Shop läuft anders. Derzeit schießen übrigens Angebote wie Pilze aus dem Boden, die Konvertierung und Distribution versprechen - die Verträge, Konditionen und Preise sind derart unterschiedlich und zum Teil sogar verrückt, dass es heißt: Aufpassen! Self Publishing ist nämlich auch ein großer Markt, auf dem nun jeder absahnen will.

In Deutschland diskutiert man das alles auf einem eher drögen Niveau, mit kleinen Heimatnischen und erzkonservativer Bewahrerhaltung. Die Idee von Jürgen Neffe, der mit seinem Kommentar im Perlentaucher für Aufregung sorgte, hatte ich hier bereits beschrieben. Unzählige heiße und spannende Diskussionen liefen dazu auf Facebook und bei Google+. Neffe sieht - wie viele in der Buchbranche - eine große Gefahr aus den USA heranrollen, angeführt durch den Powerinnovator Amazon, der in Sachen Böse-Buben-Image Apple und Google weit überholt hat, obwohl man deren Aktivitäten mindestens genauso kritisch beobachten sollte. Gegen diese Gefahr beschwört er eine Art "Heimatschutz" für Verlage und Buchhandel. Die Autorin und Publizistin Cora Stephan hat noch einmal nachgelegt und gibt ihm Saures. Ihr Fazit ist so frech wie berückend: In der Zukunft müssen Leser und Autoren zusammenfinden. Und wenn der Buchhandel das verschläft, macht er sich eben selbst überflüssig.

Inzwischen zittern ja auch manche Verlage, vor allem die großen mit dem Mainstream. Amazon hatte bereits vor Jahren mit eigenen Buchlizenzen experimentiert. Ich erinnere mich an die Ausgabe eines Fantasy-Romans, den der deutsche Verlag unerklärlicherweise in drei Bücher stückelte. Die einzige komplette (und preiswertere) Version war als Lizenzausgabe von Amazon zu haben - und das sprach sich in der Szene schnell herum. Der deutsche Verlag erdreistete sich sogar, einen Teil des eigentlich einen Romans zu verramschen. Macht man Lesern so Freude?

Inzischen tritt Amazon auch als Verlag auf, mit allem Drum und Dran. Der Mann, den man dafür ins Boot geholt hat, ist nicht irgendwer, sondern der - nun ehemalige - Chef der Time Warner Book Group, Larry Kirshbaum. Businessweek hat den Mann portraitiert, der Verlage das Fürchten lehren will. Aber will er das wirklich? Amazon-Chef Bezos nennt es ein großes "In-House-Laboratory", was man da vorhabe. Das Portrait ist ausführlich, aber es lohnt sich für alle, die bereit sind, sich mit Zukunft und neuen Ideen zu beschäftigen oder ihre Kritik an Amazon durch Fakten zu untermauern.

Self Publishing Erfolge gibt es auch zunehmend im deutschsprachigen Raum, im Buchreport kann man immer wieder einmal von solchen Profis lesen. Eine Lektüre, die für beide Seiten lohnt - die herkömmliche auf Verlagsschiene und die neue. Vielleicht schaffen es Buchhandel und Feuilleton ja bald einmal, aus ihrer Schreckstarre gegenüber den US-Giganten aufzuwachen und Self Publishing ernster zu nehmen. Denn das Beispiel, das ich vorstellen will, zeigt: Ein Autor kommt nur dann wirklich hoch, wenn er absolut professionell arbeitet, ein Fandom aufbauen kann und sich mit den Regeln des Marktes auskennt - egal, ob er das alleine machen muss oder will oder Partner hat. Die Kernkompetenz der Zukunft heißt: Wie verbinde ich Autoren direkt mit ihrem Publikum? Eine Kompetenz, die viele Verlage in den letzten Jahren brutal weggespart haben oder nur noch Spitzentiteln gönnen.

Das Interview mit Amazon Bestseller-Autor Jonas Winner steht für eine neue Generation Autoren, die gleichzeitig in Verlagen und im Self Publishing an die Öffentlichkeit gehen. Er erzählt, welche Chancen und welche Probleme sich im Self Publishing per Kindle stellen und warum man für solche Projekte wie "Berlin Gothic" nicht weniger sein Handwerk beherrschen muss als im Verlag.

Etwas trockener, aber für die Branche hochspannend liest sich Sebastian Posths Bericht von der Mailänder E-Book-Konferenz "IfBookThen". Solche Branchentreffen sind immer gut für einen Einblick in die zukünftige Entwicklung der nächsten Jahre. Demnach nehmen Verlage das Self Publishing zunächst auf eine ganz andere Art ernst: Sie investieren Riesensummen in eigene Shops und Plattformen für Self Publishing statt ins herkömmliche Verlagsgeschäft. Ganz besonders vorbildlich, nämlich mit echter Betreuung, macht das Penguin Books. Aber gräbt man sich so nicht noch mehr die Attraktivität gegenüber den Autoren ab? Wer will noch zu schlechten Konditionen einen Verlagsvertrag, wenn er beim gleichen Verlag die Dienstleistungen sämtlicher nur möglicher Lizenzen obendrein haben kann? Oder ist das nur geschicktes Outsourcing für all die unverlangt eingesandten Manuskripte, so dass man sich nur noch an den Self Publisher Bestsellerautoren bedienen muss? Wie auch immer - es bleibt für alle Beteiligten der Buchbranche spannend!

Noch etwas: Self Publishing sollte man nicht mit Bezahlverlagen oder DKZV (Druckkostenzuschussverlagen) verwechseln. Die unterhaltsamste Warnung vor diesem Phänomen legt Schriftstellerin Zoe Beck vor.

Kleiner Nachsatz: Immer häufiger werfen mir Beteiligte der Buchbranche vor, ich würde hier im Blog zu werberisch und zu oft über Amazon schreiben. Eine ordentliche Autorin, die integer sei, meide diesen Laden jedoch und beschweige ihn. Diesen Kritikern sei gesagt: Ich sehe Amazon überaus kritisch und bin ganz bestimmt nicht blauäugig begeistert. Aber als Journalistin berichte ich über diejenigen, die im Moment innovativ im Gespräch sind. Als "Hybridautorin", die sowohl in Verlagen schreibt als auch im Self Publishing, komme ich an Amazon einfach nicht vorbei. Möge das ein Ansporn sein, sich wieder mehr um Autoren und Bücher wirklich zu kümmern. Und sich beim großen Buhmann vielleicht auch so manches abzuschauen?


* Tante Erna ist eine Kunstfigur, die öfter durch dieses Blog spaziert. Ähnlichkeiten mit echten Personen sind natürlich beabsichtigt.

11. Februar 2012

Endlich ein Krimi!

Vor vielen Jahren habe ich einmal eine amerikanische Drehbuchsoftware getestet, die beim "Ordnunghalten" Hilfe versprach. Das Ding war immerhin für ein paar Lacher gut. War mein Held weiß und blond, wurde der Antagonist automatisiert schwarz und klein. Lebte der Held im Straßengraben, lauerte das Böse in der Villa und der Held warf in der Liebesszene die Lumpen ab. Der softwareverbesserte Plot las sich so spannend wie eine Heizkostenabrechnung. Pappkameraden und leere Silhouetten kriegten sich zum Schluss; der Gute klärte den Mord auf und der Böse war böse bis in die Klamotten, Hobbies und den Sprachfehler hinein. Ich bin mir sicher, dass man bei den heutigen Updates Lektoratswünsche anklicken kann: Serienkillerdarmverschlingungsfolterblutsuppe, Skandinaviendepressionsaquavitdunkelheitstrauma, Regiosüffeltechtelmechtelschwätzchen.

Jahre später habe ich gelernt, dass ein Roman nur lebt, wenn man ihn nicht durchdressiert, sondern atmen lässt. Vorhin habe ich einen Roman zugeklappt, dem das grandios bis zum letzten Atemzug, pardon: Satz, gelingt. Der Krimi "Tod eines Philosophen" hat seinen Untertitel "Roman eines Verbrechens" unbedingt verdient. Dieser Roman ist weit mehr als die Auflösung eines Mordes an einem Philosophieprofessor, dem im wahrsten Sinne des Wortes das Maul gestopft wird. Er ist mehr als nur Unterhaltungskrimi, denn das Buch zieht seine Leser in ein fein gesponnenes literarisches Gewebe aus unterschiedlichen Ebenen des Nachdenkens über ein Verbrechen. Vor allem aber ist der Krimi, der in Stuttgart mit Ausläufern bis nach Italien spielt, ein Glücksfall weitab vom Regiokrimi-Schema. Er entlarvt den Zustand des überalterten deutschen Bildungsbürgertums, beschwört eine universitäre Atmosphäre von kleinen braven Untergängen herauf, wie sie nicht nur jeder Universitätsstadt zu eigen sein können, sondern im Keim einen jeden Leser infizieren könnten.

Vordergründig wirkt die Geschichte einfach. Der für seine ethischen Thesen und erotischen Eskapaden mit Doktorandinnen bekannte Philosophieprofessor Nierkamp erscheint nicht bei einer hochgelahrten Gesellschaft, für die er seinen Vortrag „Lebens Ende“ neu aufwärmen will. Stattdessen findet er das seine, spektakulär mit einem „sprechenden Verbrechen“ umgebracht. Hat ihm jemand im wahrsten Sinne des Wortes das Maul auf immer und ewig gestopft? Ist der Mörder im Umkreis seiner Gespielinnen zu suchen? Oder hat womöglich die italienische Mafia ihre Hand im Spiel, die in den biederen Stuttgarter Kreisen um Nierkamp ein paar Mal zu oft auftaucht?

Noch während man die Auflösung des Kriminalfalls mit Spannung verfolgt, kann man sich vorstellen, selbst gar nicht so weit von der Seite der „Bösen“ entfernt zu sein. Wer kennt sie nicht, die alternden, eitlen Selbstdarsteller, mit Lebensposten bestens versorgt, die Furore mit ihren Vorträgen machen, indem sie einfach auf Skandal bauen? Wer würde sich nicht heimlich freuen, wenn so einer, der noch dazu gegen ethische Auffassungen verstößt, einmal mundtot gemacht würde? Aber gleich tot? Wer wagt hier, eindeutig Stellung zu beziehen?

Auch der ermittelnde Kriminalrat Markus Schiller ist alles andere als eine Schablonenfigur. Der sinnenfreudige und kluge Lebensgenießer schwänzt schon einmal in eine Mordermittlung hinein, beschäftigt sich mit Philosophie, um den Ermordeten zu verstehen. Eindeutigkeiten hat auch er nicht zu bieten, polizeiliche wie menschliche Grenzen ziehen ihn eher an. Der Kriminalbeamte verliert in seiner Sexsucht öfter das Heft aus der Hand, wird zum Getriebenen: Kann man sich als Ermittler mit einer potentiellen Mörderin verlustieren? Er wird zum Zerrissenen: Für ihn hat jede Beziehung offen zu sein, aber grausame Eifersucht plagt ihn, wenn seine Partnerin Judith nach anderen Männern schaut. Und war womöglich irgendeine Form von Eifersucht bei dem Mord im Spiel?

In diesem „Roman eines Verbrechens“ gibt es keine Helden und auch kein eindeutiges Gut oder Böse. Der Ermittelnde, in dessen Händen Menschenschicksale liegen, wagt sich in seiner Wissbegier weit hinaus und ähnelt dem Mordopfer manchmal mehr, als ihm lieb sein mag. Vor dem Mordverdächtigen hat er Hochachtung, bei seinem Verhör kommt einem der Verdacht, dass die Polizei schützen will anstatt aufdecken. Rücksichten werden in diesem Krimi an unvermuteter Stelle genommen, menschliche Begegnungen geraten zu einem uneindeutigen Beziehungsgeflecht, in dem einem Mafioso liebevolle Regungen und einem Kriminalbeamten fast Übertritte nachzuweisen wären. Und obwohl der Untergang des integren und bescheidenen Bildungsbürgertums in der vorliegenden Form den Stoff für eine altgriechische Tragödie abgeben könnte, liegt über all den menschlichen Katastrophen ein zarter Schleier von Selbstironie bei Schiller, von lebensliebender Ironie des Autors in den Situationsbeschreibungen. Die Maske des Mörders ist eine Lachnummer, der Mord fast zu köstlich und süffisant inszeniert, als dass man als Leser nicht zumindest Schadenfreude, wenn nicht sogar ein wenig Lust empfinden kann. Und schon ist man ertappt: Wo liegt die Grenze zwischen Vorstellung und Verbrechen?

Dieter de Lazzer merkt man seine große dramaturgische Erfahrung an. Hält man den Fall für gelöst, dreht er noch einmal mit einem Strafprozess auf, bei dem der Dominanz- und Kotzbrocken von Staatsanwalt höllisch aufpassen muss. Und auch nach dem Urteil ist Schiller mit dem Fall in überraschender Wendung beschäftigt. Der Autor hat zusammen mit Felix Huby erfolgreiche Fernsehserien (Bienzle-Tatorte, Zwei Brüder, Oh Gott, Herr Pfarrer) und Theaterstücke geschrieben (Georg Elser - allein gegen Hitler). Dass er von Haus aus Theologe und Jurist ist, merkt man diesem Roman besonders an. Hier wird nicht einfach nur mit einem Verbrechen und dessen Auflösung unterhalten, hier geraten Mordopfer, Mörder und Kriminalbeamter in eine Art Spiel des Lebens, in dem eindeutige Positionen verschwimmen mögen, Recht nicht immer Gerechtigkeit ist, ein Mörder womöglich über eine gewisse Integrität verfügt und ein Kriminalbeamter sich nicht an die Regeln hält. Noch lange nachdem man den Roman aus der Hand gelegt hat, wird man sich Gedanken machen über die eigene Verführbarkeit, über diese dünne, immer in Bewegung befindliche Grenze zwischen Gut und Böse, die man vielleicht mit Drehbuchsoftware ausmalen kann, aber nicht im richtigen Leben - nicht in einem wirklich lebenden Roman, wie es dieser ist.

Ich bin froh, dass Dieter de Lazzer nun Romane schreibt. Denn ich habe den Eindruck, dass er hier anders als beim reglementierten Fernsehen zeigen kann, was wirklich in ihm steckt. Sein Verlag Königshausen & Neumann, den ich erst durch diesen Krimi entdeckte, scheint außerdem ein Glücksfall zu sein, weil er zeigt, was im Genre Krimi jenseits schneller Fressware noch möglich ist. Auch wenn Markus Schiller ein absolut unbequemer, ganz bestimmt nicht durchweg sympathischer Kriminalbeamter ist - sein Suchtverhalten färbt ab - man will den hochgescheiten Kerl mit dem Hang zum Abgrund wiedertreffen. Zum Glück verspricht der Verlag Nachschub.

Lesetipp:

9. Februar 2012

Der etwas andere Buchladen

Bücher kann man manchmal an völlig unvermuteten Orten kaufen. Für Buchjunkies wie mich ist es dann immer eine Überraschung, wenn die Bücherkisten groß, schwer, spannend und auch noch so preiswert sind, dass man sie noch größer und schwerer packen kann. Der Trend geht ja bekanntlich zum Zweitbuch ...

Henny Hidden hat mir den Tipp hier in einem Kommentar gegeben und ich danke ihr herzlich, denn er hat einen wahren Kaufrausch bei mir ausgelöst! Der etwas andere Buchladen ist die Bundeszentrale für politische Bildung. Bisher hielt ich das für eine "staubige" Behörde:
"Die Bundeszentrale für politische Bildung unterstützt alle interessierten Bürgerinnen und Bürger dabei, sich mit Politik zu befassen. Ihre Aufgabe ist es, Verständnis für politische Sachverhalte zu fördern, das demokratische Bewusstsein zu festigen und die Bereitschaft zur politischen Mitarbeit zu stärken."
Und ich glaubte, dort würden allenfalls Prospekte, Zeitschriften und Informationsblätter herausgegeben, wie das zu meiner Schul- und Studienzeit noch der Fall war. Weit gefehlt! Wer unter dem Menupunkt "Publikationen" stöbert, wird ein unwahrscheinlich reiches Angebot an Büchern und anderen Medien finden, die nicht immer nur vordergründig mit Politik zu tun haben. Und weil das Ganze so schön billig ist, habe ich tüchtig ein paar von diesen "Blättern" bestellt und war sehr erstaunt, als ein fast sieben Kilo schweres Paket kam. Die "Blätter" entpuppten sich als dicke Wälzer, einer feiner als der andere. Teilweise sind das Lizenzen aus bekannten Verlagen, alle im einheitlichen Stil der BpB aufgemacht, aber absolut ordentliche, schöne Taschenbücher. Den E-Book-Freaks sei gesagt: Es handelt sich um die Sorte Bücher, die man wirklich besser körperlich vor sich hat, weil man damit arbeitet und sie nicht nur liest, weil man darin mehrfarbig herumfuhrwerken möchte und eine körperliche Vorstellung vom inneren Raum dieser Bücher braucht. Und weil man sie mit anderen Menschen zusammen nutzen möchte, verleihen, zeigen ...

Es lohnt sich für jeden politisch, kulturell und international Interessierten, in diesem "Buchladen" zu stöbern. Stellvertretend als Lesetipp ein paar Bücher aus meiner Kiste mit den Preisen der BpB:
  • Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jhdts., 1568 S. (und überhaupt nicht dröge!), Lizenzausgabe von C.H. Beck, 7 Euro
  • Orlando Figes: Nataschas Tanz. Eine Kulturgeschichte Russlands, 750 S. (grandioses Buch mit Abbildungen und Farbtafeln!) Lizenzausgabe vom Berlin Verlag, 4,50 Euro
  • Pleines / Schröder (Hrsg.). Länderbericht Russland, 581 S. (da steht wirklich alles Wissenswerte über das Land drin), 4,50 Euro
  • Werner Treß: Verbrannte Bücher 1933, 637 S., 4,50 Euro
  • Klaus Kreimeier: Traum und Exzess. Die Kulturgeschichte des frühen Kinos. 414 S., Lizenausgabe von Zsolay, 4,50 Euro
Bei meinem Salär wäre die Bücherkiste, die ich mir "so zwischendurch" bestellt habe, aus normaler Quelle nicht drin gewesen. Als Weihnachtskiste hätte ich mir vielleicht nicht unbedingt Bildung geschenkt. Für mich ist das ein schönes Beispiel, dass man mit Steuergeldern auch Nützliches anfangen kann und dass alle Politik und demokratisches Bewusstsein bei der Bildung beginnen. Hier ist sie von den üblichen sozialen Schranken befreit, man muss von dem Angebot nur wissen, es weitersagen und vor allem nutzen!

3. Februar 2012

Kernspaltung

Die neuen Medien haben manchmal den Nachteil, dass man mitansehen muss, wie sich die Extreme gegenseitig zu Klump zu schlagen versuchen, mehr oder minder auf Niveau und intellektuell untermauert. Im Moment stehen auf dem Schachbrett immer öfter zwei Parteien: Die Verteidiger des Buchs aus Papier - und die Verteidiger des E-Books. Dazwischen scheint es nichts anderes zu geben, wer beides völlig natürlich und womöglich individuell nutzt, kommt nicht vor. Eine absolut künstlich aufgebaute Phalanx, wie einem der Blick ins ganz normale Leben außerhalb der Szene oder der Metropolen lehrt. Weil dieser "Kulturkampf" aber gar so geschickt inszeniert wird, frage ich mich schon immer häufiger: Cui bono - zu wessem Nutzen? Und kann mich immer häufiger kaum des Eindrucks erwehren, dass es natürlich nur einmal wieder ums liebe Geld geht. Um extrem viel Geld. Hinter der Auto- und Chemieindustrie steht in Deutschland die Kultur als "Markt" an dritter Stelle!

Um denen, die nicht in den Social Media am Tropf hängen, ein wenig Einblick zu geben, kopiere ich einmal einen Kommentar von mir aus Facebook her. Der Aufreger in Sachen "Kernspaltung", nur ein Beispiel von vielen, ist Christian Stöckers Artikel "Die nostalgische Generation". Da sollte man mal kurz reinschauen, um meine Replik zu verstehen. Wie ist das für meine Leserinnen und Leser da draußen? Klaffen dort auch die Abgründe zwischen ach so unversöhnlichen Arten, Bücher zu lieben?

Hier mein Kommentar:
Ganz ehrlich: Mich macht dieses Geschwätz selbsternannter "Zukünftiger" über die ach so out seienden "Nostalgiker" inzwischen Gähnen. Und umgekehrt bekomme ich von Fanatikern der anderen Couleur ebenfalls zuviel. Da werden inzwischen Feindbilder und Abgründe aufgebaut (von wem eigentlich und cui bono?), dass ich mich manchmal frage, ob hier nicht im Interesse von Profit und Marktinteressen vorsätzlich verdummt und abgelenkt werden soll - auf beiden Seiten. Gerade weil der Autor so über die Steinzeit lacht - das Geschichtenerzählen, einst am Lagerfeuer, heute vielleicht vor der Feuerdatei auf dem Bildschirm, wird auch in Zukunft alle technischen Errungenschaften überleben!


Und da steckt die wirkliche Zukunftsfrage, die man mit diesen künstlichen Dualismen wunderbar umschifft: Wo bleiben künftig die Künstler, die Literaten? Wie viel Freiheit bietet die ach so gepriesene Freiheit, wer macht das wahre große Geschäft, wie sklavisch gebunden werde ich in Zukunft an Monopolisten und Plattformen sein, ohne auch nur eine einzige Möglichkeit des Verhandelns um Konditionen? Wo bleiben die Leser, wenn sie eines Tages aufwachen und merken, wie sie sich anbinden, wie sie ungeheure Gelder in Zubehör und Hardware statt in Geschichten und Autoren stecken, ohne jede Garantie der Überlieferungsfähigkeit? Alle jammern über den Preis für E-Books, aber die Readerhülle für 50 Euro ist nicht zu teuer?


Die Wahrheit da draußen im wahren Leben ist zum Glück viel durchmischter. Und es könnte sein, dass eines Tages viele Menschen vom Gigantismus der derzeitigen Goldgräberstimmung genug haben und zu kleineren Strukturen zurückkehren wollen. Vielleicht sind dann die kleineren Strukturen untergegangen. Dann bleibt uns nur noch ein "Occupy your art!"