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28. Januar 2012

Kunst braucht Geld

Der arme Poet - ein Klischee?

Meyhome  / pixelio.de
 Kunst und Kultur brauchen Geld. Das ist eine Binsenweisheit. Eine noch größere Binsenweisheit ist die Tatsache, dass - von extrem wenigen berühmten Ausnahmen abgesehen - Künstler am wenigsten über Geldmittel verfügen. Das war schon zu Zeiten von Vergil und Horaz der Fall, das änderte sich nicht im Italien der Medici. Mozart starb bitter arm, die europäische Avantgarde hungerte gleich im Kollektiv. Bis ihre Werke Millionenbeträge wert waren - posthum in den meisten Fällen. Das große Geld machten die Galeristen und Sammler, die Kunstspekulanten.

Es hat sich nicht viel geändert. Man schaue sich die Honorare von Schauspielern an kleineren Stadttheatern oder in Nebenrollen von Fernsehserien an; man frage Bildende Künstler oder Bildhauer, wie oft sie eins ihrer Werke verkaufen können. Zeitgenössische Komponisten - leistet sich unsere Gesellschaft die überhaupt noch? Und wovon leben sie, wie bekommen sie ihre Werke auf die Bühnen? Balletttänzerinnen - brutale Arbeit, lächerlich das Einkommen! Freie Musiker, Übersetzer, Kostümbildnerinnen, Fotografen? Auch die Garantiesummen für Autoren, die im Geschäft sind, sinken kontinuierlich, selbst bei den Schriftstellern bricht der "Mittelstand" weg.

Unsichtbare Querfinanzierung

Im Gegensatz zu früher scheint sich unsere Gesellschaft daran gewöhnt zu haben, dass eine echte historische Entwicklung hier nie stattgefunden hat. Selbst die Künstler haben sich arrangiert. Man lebt von einem kleinen Erbe, von Partnerin oder Partner, manchmal sogar noch von den Eltern. Man hat einen sogenannten "Brotberuf", weil das vernünftig ist und weil alle das so machen müssen. Dass man sich mit der Doppelbelastung, die bei Menschen mit Kindern zur Dreifachbelastung wird, womöglich aufreiben könnte - daran denkt man erst, wenn man älter wird und die Altersversorgung knapp zu werden droht. Und weil man "nebenbei", für die Kunst, nicht jeden bürgerlichen Beruf ausfüllen könnte, schlägt man sich mit mehreren "Brotjobs" gleichzeitig herum, unterbezahlten oft. Oder man liefert sich an ein Stipendienleben aus, das in jungen Jahren wertvolle Kontakte in die sogenannte Hochkultur verspricht und ein relativ sorgenfreies Leben. Bis man irgendwann aufwacht: zu alt, zu eingefahren vielleicht, um plötzlich auf eigenen Beinen zu stehen. Freiheit kostet zuerst einmal Geld.

Es nutzt natürlich nichts, zu jammern. Und der Antrag auf Sozialhilfe und andere Beihilfen, die so vielen Künstlern zustehen, machen auch nicht wirklich glücklich auf Dauer. Zeit, über Geld zu sprechen. In diesem Falle auf Buchautoren bezogen - denn jede Kunst gehorcht eigenen Gesetzen. Die Arbeit an einem Buch will "querfinanziert" werden. Horaz und Vergil hatten dafür einen Herrn namens Gaius Cilnius Maecenas, der einer wichtigen Einrichtung der Kunst- und Kulturwelt den Namen lieh: dem Mäzenatentum. Maecenas darf sich auch im Jenseits noch stolz an die eigene Brust schlagen: Ohne ihn hätte die Menschheit ohne diese wundervolle lateinische Dichtung leben müssen. Sie hätte gelebt, hätte das Fehlen sicher nicht bemerkt. Aber dieses Leben wäre auf bald 2000 Jahre ärmer gewesen. Ärmer im immateriellen Sinne.

Ist doch alles ganz einfach! Ich schreibe ein Buch, ein Verlag gibt mir einen Vertrag, ich werde bezahlt. Was an Geld fehlt, erarbeite ich im "Brotjob". Außerdem schustern Ehepartner und Freunde und Verwandte ... das Übliche eben. Weil die Verlage immer weniger im Voraus zahlen (viele meiner Kollegen bekommen trotz ihres Ansehens gar keine Garantiesumme oder maximal 2000-3000 Euro), muss der Brotjob immer mehr einbringen. Kann er das? Wann frisst welcher Job zuerst den Künstler auf? Wer vom Geld eines Partners oder einer Partnerin lebt, macht im Grunde nichts anderes als Horaz oder Vergil. Die waren mit ihrem Mäzen nur nicht verheiratet.

Zusatzfinanzierungen

In Zeiten, in denen zuerst an Kunst und Kultur gespart wird, rückt die Privatfinanzierung wieder ins Rampenlicht. Künstler müssen sich etwas Neues einfallen lassen. Verlässt man den Bekanntenkreis, gibt es für Autoren theoretisch drei Möglichkeiten, von denen die ersten zwei historisch sind:
1. Mäzenatentum
Ein Mäzen ist eine Person, die den Künstler mit Geld oder geldwerten Mitteln unterstützt, ohne eine direkte Gegenleistung zu fordern.
2. Sponsoring
Ein Sponsor ist eine Person, Organisation oder Firma, die Geld-, Sach- und / oder Dienstleistungen zur Verfügung stellt und eine Gegenleistung erwartet, die in der Regel den eigenen Zielen in Kommunikation und Marketing entgegen kommen muss.
3. Crowdfunding
Der Künstler erhält direkt aus dem Publikum Geldspenden, für die er je nach Höhe ein kleines Gegengeschenk verspricht. Gleichzeitig hält er seine "Fans" per Social Media auf dem Laufenden über sein Projekt.

Ich treffe immer wieder auf Kolleginnen und Kollegen, die es nicht wagen, einen dieser Wege zu beschreiten. Manche sagen, sie täten sich schwer, zu "betteln" oder "den Bittsteller zu machen". Andere finden es sogar verwerflich, Geld von Privatmenschen anzunehmen, das nicht aus der Verlagskasse kommt. Trotzdem verhandeln sie nicht mit dem Verlag um mehr Einkommen. Ist es wirklich "schmutzig", sich als Künstler finanzieren zu lassen? Ist man wirklich ein kleiner Bettler weit unter Augenhöhe?

Der Selbstwert

Zugegeben, auch ich bin ein Mensch, dem es schwer fällt, um Hilfe zu bitten. In einer Gesellschaft, die auf Profit und Erfolg gepolt ist, gibt man nicht gerne zu, wenn man gerade mal wieder den Kühlschrank nicht füllen kann, weil man sich einen dieser "nutzlosen" Berufe ausgesucht hat. Menschen, die mir in solchen Situationen großzügig geholfen haben, haben mich aber eines gelehrt: Mein Schreiben ist nicht "unnütz". Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Kunst und Kultur müssten eigentlich längst in den Rang eines "Lebensmittels" erhoben sein. Auch wenn man die Arbeit des Künstlers nicht in Einheiten messen kann und ein Buch nicht nur aus Quote und Profit besteht: Da draußen gibt es tatsächlich Menschen, die künstlerische Arbeit zu schätzen wissen. Ich bin keine Bettlerin, ich habe etwas zu bieten. Und das erarbeite ich hart. Die Zeit, in der ich hart daran arbeite, muss irgendwie finanziert werden. Ich verdiene mein Geld im doppelten Wortsinn.

Also weg mit der Idee vom Bittsteller! Zuerst einmal muss ich mir des Wertes meiner Arbeit und meiner selbst sicher sein. Und dann muss ich mir klar machen, was denn mein Gegenüber von meiner Arbeit haben könnte! Und schon funktioniert es nicht mehr, wie man gemeinhin Autoren gern ausnutzt: Ach komm, verzichte doch auf dein Honorar, mach es für mich umsonst, ich mache ja im Prinzip Werbung für dich! Wie viele KollegInnen lesen umsonst, indem sie sich derart erpressen lassen. Wie viele KollegInnen schieben mal schnell einen Text unter der Hand durch, weil Texten ja nichts wert sein kann, wenn sie kein Selbstwertgefühl haben.

Andersherum wird ein Schuh draus. Wenn wir irgendwo auftreten, leihen wir einem Veranstalter unseren Namen, unser Renommée. Im Idealfall bringen wir unser beider Stammpublikum zusammen - das ist dann echtes Teamwork. Im Normalfall profitiert ein freier (!) Veranstalter von der Verlagswerbung, vielleicht der Werbung im Buchhandel, der anwesenden Presse - und von all den Aktivitäten eines Autors und dessen Fans. Warum also nicht auch einmal an eine Institution herangehen, die für Künstler unerschwingliche Preise verlangt und fragen, wie einem der Veranstalter entgegen zu kommen gedenkt? Saalmieten sind keine Fixsterne. Solch ein Vorgehen würde unter Sponsoring fallen: Der Autor macht sich vor der Verhandlung einen Plan, was der Veranstalter von ihm hat. Und das ist alles bares Geld wert!

Die Zweierbeziehung

Wie dieses kleine Beispiel zeigt, lebt die Vergabe von privaten Geldern von einer fruchtbaren Zweierbeziehung. Ein Geldgeber, zu welcher Sorte er auch gehören mag, will wissen, wofür er investieren soll. Keiner spendet ins Blaue hinein. (Selbst der Fan mit 5 Euro Beitrag ist neugierig!) Und dann ist es wie mit allen menschlichen Beziehungen: Sie leben nur, wenn beide Seiten aufeinander zugehen. Wie weit und wie sehr ich mich selbst "verkaufe", das habe ich immer selbst in der Hand. Ein Literaturfestival kann sich sponsern lassen und für Atomstrom werben. Es könnte aber auch Nein sagen und sich andere Sponsoren suchen. Ein Autor, der nicht berühmt genug ist, um Sponsoren etws zu geben, kann sich Mäzene oder die Crowd suchen. Aber er wird umdenken lernen müssen.

Es ist im Grunde nicht anders als bei einem Verlagsvertrag. Kein Verlag kauft ein Manuskript nur, weil es gut geschrieben ist. Ein Verlag kauft interessante und tolle Manuskripte, aber auch vermarktbare Autorenpersönlichkeiten, von denen er sich langfristig Wirkung für seinen Verlag verspricht. Er kauft Projekte, die ausreichend Profit versprechen, für die er bereits ein Stammpublikum hat, die sich werbetechnisch leichter einbauen lassen als andere etc. Eigentlich denkt ein Verlag so ähnlich wie ein Sponsor. Nur muss ich mir als Autor nicht darüber den Kopf zerbrechen. Für private Geldgeber muss ich nachdenken: Welche Art von Finanziers haben etwas von meinem Projekt, wer passt am besten dazu? Was habe ich als Persönlichkeit zu bieten - bin ich interessant genug? Warum soll jemand auf mich und meine Geschichte abfahren und nicht auf die von hundert anderen? Was hat meine Geschichte zu bieten? Ist sie es wert - kann sie tatsächlich ein Publikum erreichen? Was lässt sich aus der Geschichte noch so alles machen an Zweitverwertungen, Auftritten, Aktionen? Wohl gemerkt - hier geht es um echte Sponsoren und Mäzene - Crowdfunding und der Kontakt mit dem Publikum läuft ganz anders ab.

Raus aus dem Elfenbeinturm

Wer private Gelder möchte, muss den Elfenbeinturm verlassen. Selbst hinter dem altruistischsten Mäzen, der seinen Namen nicht preisgeben möchte, steht ein imaginäres Publikum. So ein Mensch hat sich entschieden, einem Künstler Geld zu geben. Er hätte damit auch verreisen können, es verjubeln oder aus dem Fenster werfen. Er hat dieses Geld selbst irgendwann verdient. Für seine Entscheidung will er etwas über das Projekt erfahren. Ihn interessiert nicht, ob sich die zwei Hautfiguren im achten Erzählstrang in die Haare bekommen. Was aber könnte ihn interessieren? Das herauszufinden, ist die Aufgabe des Künstlers. Es kann so unterschiedlich sein, wie Menschen eben sind. Erst recht im Crowdfunding muss ich an die Öffentlichkeit. Und deshalb empfiehlt sich eine solch zeitlich streng begrenzte Aktion auch erst in einem Stadium, in dem man bereits genug in der Hand hat. In dem man weiß, wie man sich als Persönlichkeit und das Projekt öffentlich präsentieren kann.

Förderung kann übrigens auch stattfinden, ohne dass man Geld in die Hand nimmt. Selbst Künstler, die keinen Cent übrig haben, können andere Künstler fördern: Indem sie etwa ein Buch besprechen, von dem sie selbst total überzeugt sind und dem sie mehr Leser wünschen. Indem sie einen Kollegen, dessen Arbeit sie schätzen, ihrem Verlag, ihrer Agentur oder anderen Branchenbeteiligten empfehlen. Indem sie Newcomern, die sie für talentiert halten, öfter einmal mit Rat oder Kritik zur Seite stehen. Und andere Leser können am besten immer zwei Dinge tun: Die jeweiligen Bücher kaufen, kaufen und verschenken - und über diese Bücher reden, zur Mundpropaganda beitragen.

Aber auch hier gilt: Ich muss von einem Autor und seinem Projekt irgendwie überzeugt sein. Nur dann kann ich mich nachhaltig und ehrlich engagieren. Nur dann entsteht nicht der Eindruck, eine der beiden Seiten sei "gekauft". Warum soll das mit privaten Finanzierungen nicht ähnlich laufen? Es ist eine Sache der Sympathie und Überzeugung, der Arbeit und der Idee dahinter, der Persönlichkeit und ihres Talents - aber ganz und gar nicht irgendeiner Bettlerattitüde oder leichten Käuflichkeit. Wer bettelt, hat bereits verloren. Denn wer sollte für etwas bezahlen, das selbst dem Schöpfer nichts wert ist?

Lesetipps:

24. Januar 2012

Legal kaufen macht Mühe

Nun habe ich also endlich auch einen Reader, lese Papier wie E gleichermaßen gern und dicke Wälzer auf E noch viel lieber. Gefährlich, denn das Einkaufen per Reader verläuft so einfach und schnell, dass einem das Geld manchmal lockerer sitzen mag, als es sollte. Die Lust auf Bücher begleitet mich ja auf Schritt und Tritt.

Wie groß aber war mein Erstaunen, als ich feststellen musste, dass ich meine E-Book-Lust gar nicht so befriedigen kann, wie ich das gern hätte! 70% aller Bücher einer Einkaufsliste sind nicht als E-Books zu haben. Der Großteil der edlen und feinen Verlage entpuppt sich als E-Book-Verweigerer oder testet gerade mal mit ein paar gängigen Titeln herum, die mich nicht interessieren, weil mir das Gängige selten liegt. Soll ich dazu verdammt sein, nur Bestseller lesen zu können? Eben wieder: Sofia Tolstaja: Ein Leben an der Seite Tolstois, Insel-Verlag. Ein nettes Bändchen, das nicht unbedingt Platz im Regal wegnehmen muss und das ich so nebenbei mal verdrücke. Fehlanzeige. Als E-Book nicht zu haben.

Bis es als Taschenbuch bei mir im Briefkasten liegt oder ich mit den teuren Benzinpreisen und Parkhausgebühr nach Deutschland zum Buchhändler gefahren bin, der es auch erst bestellen muss - da hat mich die Leselust schon wieder verlassen. Werde ich zur Fast-Food-Leserin durch den Reader? Nein, ich habe schon früher viele Bücher nicht gekauft, weil sie zu umständlich zu haben waren. Es trifft dann immer die Lektüren auf der Liste "Könnte ich mir gönnen, muss ich aber nicht dringend lesen." Und es trifft Leserinnen, die wie ich auf dem platten Lande fernab jeder gutsortierten Buchhandlung leben.

Kommt gerade per Twitter ein Buchtipp aus dem Berlin Verlag herein. Orlando Figes' Buch über den Krimkrieg. 36 Euro gedruckt, ein mächtig dickes Buch. Mächtig dicke Bücher möchte ich auf meinen handgelenkschonenden Reader haben. Da kostet das Buch aber immer noch satte 34.99 Euro im Kindle-Shop. Das würde theoretisch heißen, dass Druck, Layout, Buchsatz, Papier und Papierlogistik nur einen Euro wert sind??? Oder umgekehrt ...? Lade ich das E-Book aus den USA in der deutschen Fassung herunter, kostet es mich 17,34 $. Aber hoppla. Da steht die englische Originalfassung: 8,99 Euro (nicht Dollar)! Das ist doch mal ein Wort. Seit ich meinen Reader habe, lese ich plötzlich wieder englischsprachige Bücher. Nicht nur wegen der häufigeren Verfügbarkeit. Aber 34.99 Euro gebe ich nicht für eine E-Book-Version aus, die mir "körperlich" ja noch nicht mal gehört, die ich nicht an meine Freunde verleihen kann, die mir so viel weniger gibt als Papier.

Und dann kommt der wahre Schrecken. Viel mehr interessiert mich nämlich ein anderes Buch von Orlando Figes: Natasha's Dance. Es interessiert mich so sehr, dass ich es sofort, im Moment, kaufen möchte und sofort, jetzt gleich, lesen. Die deutsche Fassung muss ich beim Buchhändler gar nicht erst suchen. Er hat so etwas nicht. Die Printpreise der unterschiedlichen Sprachen variieren gar nicht so sehr, so dass ich mir das bequemere deutsche Buch zulegen könnte. Ich will es aber jetzt, auf den Reader. Keine Chance. Auch Google Books verkündet: Nicht als E-Book erhältlich. Warum eigentlich nicht? Zumal ich das andere vom gleichen Autor, das mich weniger interessiert, doch auch haben kann?

Ich suche bei Google nach Autor und Name, ob es nicht vielleicht in einem anderen Shop zu haben ist, vielleicht in einem anderen E-Book-Format. Schon auf den ersten Positionen werde ich zugeschüttet mit Shops, die mir sämtliche Formate anbieten, die ich mir nur wünschen kann. Die mir das Buch auch noch schenken wollen. Es ist verrückt. Weil die Verlage mich als E-Book-Leserin im Stich lassen, komme ich überhaupt erst auf diese Suchidee. Ich gebe nur Autorenname, Titel und das Wort "ebook" ein. Ich suche nicht nach illegalen Möglichkeiten, ganz bestimmt nicht. Doch Google spuckt weder Verlage noch Amazon aus. Mindestens fünf "Filesharing"-Seiten bieten mir das gewünschte Ebook nur einen einzigen Mausklick entfernt an, auf Englisch, auf Deutsch. Eine davon lenkt mich sogar automatisch auf das Portal im eigenen Land um.

Es handelt sich natürlich um illegale Downloads. Und die werde ich mir wohlweislich verkneifen. Und genau das ist das, was mich so schockiert. Ich muss es mir aktiv verkneifen! Ich werde damit konfrontiert, ob ich will oder nicht. Ich muss sauber bleiben, moralisch bleiben und entscheiden: NEIN. Obwohl es so einfach ist. Jedes gewünschte Buch einen Klick weit entfernt.

Nun könnte man natürlich wieder jammern über die illegale Szene, die Verbrecher und die bösen User, die sich im Gegensatz zu mir verführen lassen. Die Sache ist kriminell, da beißt die Maus keinen Faden ab. Und Piraterie sollte auch weiterhin als kriminell gelten. Wo aber liegt die Hemmschwelle beim User? Was würde ich tun, wenn ich ein Buch dringendst zur Recherche bräuchte und es anders nicht zu haben wäre? Ab wann würde ich weich werden? Würde mich das HADOPI-Gesetz in Frankreich ausreichend abschrecken, weil ich dort verknackt werden kann, wenn ich erwischt würde? Wer hat diese Hemmschwelle nicht, weil er kein Autor ist, nicht um die Schäden weiß, die er allen Beteiligten zufügt? Jammern hilft nicht. Google breitet uns die illegalen Verführungen auf den ersten Positionen aus.

Es ist meiner Meinung nach höchste Zeit, dass die Verlage ihren Hintern hochbekommen und endlich mit der Zeit gehen! Ich will im E-Book-Shop nicht nur Trash und Bestseller finden, sondern auch gute Bücher, feine Verlage - all die Lektüre, für die sich die Kettenbuchhandlungen schon längst nicht mehr fein genug sind. Und diese Lektüre will ich zu einem angemessenen Preis für ihre äußere Form erstehen. Welchen Wert bitteschön soll denn ein Papierbuch noch haben, wenn man es nur einen einzigen Euro teurer als das E-Book verschrottet oder gar billiger herauswirft! Ja. Richtig gelesen. Nicht wenige deutsche Verlage bieten ihr Papierbuch sogar billiger als das E-Book an! Bitte nicht falsch verstehen - ich halte auch nichts von Selbstverramschung à la 99 Cent oder 2,99 E. Aber warum kann ein amerikanischer oder englischer Verlag, der Print genauso teuer verkauft, E-Books zu vernünftigen Preisen anbieten?

Natürlich kaufe ich mir nachher neue Lektüre für den Reader. Es wird ein amerikanischer Thriller werden. Im Deutschen fast so teuer wie im Print. Im Amerikanischen als E-Book knapp über 10 Euro. Die Bildung muss eben noch warten. Bis ich mal wieder auf Bücher im Briefkasten warten mag. Oder beim Buchhändler bestelle und dafür 80 km fahren kann. Bis ich wieder Geld übrig habe, das ich nicht in E-Book-Schmonzetten stecke. Bis es die deutschen Verlage ihren Kundinnen und Kunden endlich endlich leicht und bequem machen, auf legale Weise jedes gewünschte E-Book zu kaufen.

Davon träume ich. Immerhin, meine Englischkenntnisse haben sich seit meinem Reader-Kauf gebessert. Das ist doch auch schon mal was. Damit spare ich Leute wie mich kaputt, die ihren Kühlschrank mühsam mit der harten Arbeit der Übersetzerin füllen müssen. Und warum? Weil ich mir beim E-Book mit meinen Honoraren keine verrückten Hardcoverpreise leisten kann und will. Killing you softly. So verrückt ist der Markt schon. Mit der eigenen Birne gegen die Wand. Eines Tages kann ich womöglich nicht mal mehr die Bücher kaufen, die ich selbst übersetzt habe. Ach ja, stimmt ja, das letzte gibt es natürlich auch nicht als E-Book...

20. Januar 2012

Ab in die Buchhandlung!

Bis ich wieder aus meiner Arbeit auftauche, habt Spaß in einer Buchhandlung der besonderen Art:

11. Januar 2012

Späte Ernte

Nichts, aber auch gar nichts, was man im Leben an Umwegen macht, ist umsonst. Das habe ich eben beim Übersetzen wieder festgestellt, wo mir eine Passage über Parfumerie nicht nur besonders leicht von der Hand lief, sondern auch noch ungeheuer viel Spaß gemacht hat. Nicht nur, weil ich Duftnoten beim Lesen riechen kann. Meine Arbeit für Frauenzeitschriften in den frühen 1990ern war offensichtlich nicht umsonst, der Fachjargon sitzt. Und prompt habe ich damit wieder ein Spezialisierungsgebiet für Übersetzungen entdeckt - Kosmetik und Mode.

Mit Avantgarde bei Buchübersetzungen habe ich angefangen. Wer mein Blog länger liest, wird meine Leiden am Bestseller "Bohèmes" von Dan Franck miterlebt haben. Ich musste die harte Arbeit an dem 700-Seiten-Klotz trotz zweier sehr naher Todesfälle bewältigen, dazu als Anfängerin in Sachen literarische Übersetzung Texte von Apollinaire, Max Jacob oder André Breton schaffen. Ich kann mich kaum noch erinnern, wie ich es geschafft habe, neben einer Wohnungsauflösung und Monaten von Überbelastung. Umso schöner ist es, wenn dann etwas geschieht, was Übersetzern in der Regel eher selten zuteil wird: die Erwähnung in einer Zeitungskritik.

Die SZ schrieb zur deutschen Ausgabe von Dan Franck: Montparnasse und Montmartre:
"Zudem hat Petra van Cronenburg dieses voluminöse Buch elegant und federnd im Gesamtton, präzis und zugleich einfallsreich in der Wortfindung übersetzt. Das entspricht ganz der Hauptqualität des des Originals."
Auch in Phileas Blog gibt es eine Rezension.

Meine Übersetzungsarbeit ist auch der Grund für die Verlangsamung meines Blogs. Etwa 200 Normseiten in der Zielsprache Deutsch wollen in 26 Tagen übersetzt werden. Obwohl die reine Übersetzungszeit "nur" drei Stunden pro Tag beträgt (mehr schafft das Hirn nicht), sitze ich bis zu zehn Stunden am Tag am Schreibtisch. Da wollen botanische Namen recherchiert werden oder Fachausdrücke, da muss ich selbst erst etwas Gärtnerisches lernen, um nachvollziehen zu können, was die vieldeutige Autorin exakt meint. Überhaupt ist das die größte Herausforderung beim Übersetzen aus dem Französischen: Konnotationen miterfassen und präzise erkennen, was gemeint ist.

Eine kleine Notiz an mich selbst hätte ich außerdem: Ich sollte endlich aufhören, damit zu kokettieren, ich könne immer noch nicht richtig Französisch. Aber tatsächlich lassen es mich viele Franzosen heute noch schmerzhaft spüren, dass ich mich selbst nicht perfekt ausdrücken kann. Dass mich das Arbeitsamt vor ein paar Jahren als schlecht vermittelbar einstufte, weil meine Rechtschreibung und auch oft die Grammatik zu wünschen übrig ließen, ist leider keine erfundene Anekdote.

Inzwischen bin ich lockerer geworden. Schaut man mich beim Bäcker wieder einmal wie einen Alien an, weil ich nicht so wortgewandt über die Allüren des Bürgermeisters oder die nächsten Familienfeste herziehen kann, dann lächle ich die betreffende Person breit an und denke mir: "Lies du erst mal deinen Max Jacob oder Apollinaire im Original, dann sprechen wir weiter." Nein, Übersetzer müssen eine Fremdsprache selbst nicht absolut fehlerfrei beherrschen, sie müssen aber absout firm in der eigenen Muttersprache sein und ein linguistisches Gespür haben. Und wenn man keine Übersetzerin ist, sollte man sich erst recht nicht von Sprachschnöseln irre machen lassen, sondern frei reden und Fehler machen! Die machen die Leute im jeweiligen Land nämlich auch. Und natürlich lernt es sich leichter und freudiger, wenn die sich über jedes einzelne Wort aus dem Munde des Ausländers freuen, anstatt gleich über die Fehler herzuziehen.

Achtung: Veränderung bei den Blogs!

Wenn ich wieder Luft zum Denken und Arbeiten habe, wird es eine kleine Veränderung geben, die aber kaum spürbar sein wird. Mein nächstes Projekt wird ja das deutsch-russische Buch sein. Damit ich nun aber nicht diejenigen grenzenlos langweile, die sich für dieses Thema so gar nicht erwärmen können, lagere ich es aus diesem Blog aus. Meine Baden-Badener Spaziergänge, die ich tatsächlich ganz körperlich und echt mache, wird es weiterhin und wohl öfter im Blog "Zwischen den Stühlen" geben. Das Blog, das eigentlich für einen Roman gedacht gewesen war, wird "umgepfriemelt". Romane wollen doch lieber im Verborgenen wachsen. Drum wird dorthin auf "Romangeburt" künftig der Blick hinter die Kulissen des neuen Buchs verschoben (das Blog wird noch umbenannt werden). Und hier im "Hauptblog" geht es weiterhin um den allgemeineren Blick auf die Buchbranche, die Schreibwelt, Kunst und Kultur. Das Nijinsky-Blog läuft langsam aus, denn was es zu sagen gibt, kann man jetzt ja im Buch - oder in den anderen Blogs - nachlesen. Als Archiv wird es weiter im Netz bleiben.

Ich hoffe, dieser Weg ist auch für meine Leserinnen und Leser angenehm, die dadurch nicht mehr so sehr mit meinen "abseitigen" Special Interest Themen malträtiert werden. Und die Hartgesottenen unter den Fans werden leicht die Beiträge in den anderen Blogs finden - siehe Menüleiste rechts oben. Wer dann auch noch süchtig wird, kann so ein Blog per Feed abonnieren und ist so immer auf dem Laufenden, wenn ein neuer Beitrag hereinkleckert. Praktisch, wenn man nicht jeden Tag nachsehen will!

6. Januar 2012

Der Drang zur Schriftstellerei

Viel gibt es über die heutigen Zeiten zu jammern, und wer nicht genügend Gründe findet, der durchforste die Social Media Kanäle, wo man nun wirklich bei allem mitreden kann, selbst wenn man nichts zu sagen hat. Grandios hat der Journalist Wolfgang Michal gerade die Befindlichkeit unserer Welt analysiert, in der die totale Medialisierung auch vor dem Bundespräsidenten nicht Halt macht. Medialisierung, zu leichte Verfügbarkeit von Techniken, Casting-Gier - das werfen manche Kritiker ja auch der "Versumpfung" des Mediums "Buch" vor, wo sich der von Suhrkamp geadelte Hochliterat neben Tante Ernas grammatikalisch abenteuerlichen Ergüssen über ihren Fußpilz und Promibüchern à la Dieter Bohlen beim gleichen Händler behaupten muss.

Wer sich einmal ins Vortrags- oder Volkshochschulleben einer mittleren Stadt begibt, wird plötzlich feststellen, dass die Presse auch fleißig Druckkostenzuschuss-Autoren bejubelt. Selbsternannte Selberbastler lehren in Seminaren, wie man als Schriftsteller schnell berühmt wird. Und die meisten der unzähligen Autoren einer Stadt haben noch nie einen Verlag von innen gesehen. Die Menschen außerhalb der Buchbranche juckt das wenig - und so vermehrt sich eine Spezies scheinbar ins Unermessliche: die Autoren. Fast jeder hat schließlich einmal Lesen und Schreiben gelernt, die Analphabetenquoten sinken. Aber ist der Drang zum Buch wirklich so neu?

In einer Facebookgruppe hat kürzlich jemand Ergebnisse einer Umfrage unter Self Publishers gepostet. Gefragt war, was man sich vom neuen Jahr am meisten wünsche. Auf Platz 2 landete der Wunsch, endlich das eigene Buch zu veröffentlichen und bald zu Ruhm und Ehre zu gelangen. Ruhm und Ehre - ist es das, was ein Heer von Schreibern antreibt? Anderswo wird geklagt, man versinke langsam im unseligen E-Book-Spam und fände die "echten" Bücher kaum noch. Zu viele Menschen würden Bücher schreiben. Und schuld daran sei nur die schöne neue Welt, die die technischen Mittel zur Verfügung stelle, die es jedem "Dahergelaufenen" ermöglichten, ein Buch zu machen. Wohlgemerkt, das sind nicht meine Worte, sondern Stimmen aus unzähligen Diskussionen.

Denn ich selbst grinse mir gern eins, wenn über die moderne Welt geschimpft wird. Als historisch Arbeitende sehe ich die Sache gelassener. Man könnte den Spieß auch umdrehen und behaupten: Im Prinzip arbeiten wir uns jetzt erst am 19. Jahrhundert richtig ab. Damals wurden die ersten Techniken erfunden, die es ermöglichten, mit Kunst und Literatur in Serie zu gehen, beides aus den adligen und Bürgershäusern billiger unters Volk zu bringen. Auch Romane wurden damals in Serie geschrieben und in Schreibfabriken verfasst. Und damit emanzipierten sich plötzlich auch diejenigen, denen es vorher unmöglich war, in Schriftstellerkreise hineinzukommen. Wer sich den Druck eines Buches leisten konnte, schrieb fröhlich drauflos, ungeachtet dessen, ob das Werk auch verkaufbar sein würde. Ist unsere heutige Zeit also wirklich so quirlig, unübersichtlich und komplex, wie manche vorgeben?

Ich entdecke gerade die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Fanny Lewald (1811-1889) und ihre Briefe an die Frauen, die sie damals in Zeitschriften veröffentlicht hatte. Und da traue ich meinen Augen kaum, als sie über Frauen schreibt, die sich an sie wandten, weil sie Schriftstellerinnen werden wollten. Im 19. Jahrhundert klang das so:

Lewald beklagt sich, dass die "Buchautorinnen" für diesen Beruf "nichts Ordentliches gelernt und nur allerlei bunte Lectüre getrieben, aus der sie ein unbestimmtes Verlangen nach einer glückbringenden Selbstständigkeit in sich aufgenommen hatten." Und sie schreibt weiter:
"Alle aber hielten ... die geheime Überzeugung zurück, dass sie zu Schriftstellerinnen geboren wären, dass ich sie ermuthigen würde, sich als solche zu versuchen, und dass, wenn sie nur erst ihren Namen unter dem Titel einer Novelle ... gedruckt gesehen hätten, auch gleich die ersehnte Selbstständigkeit und alle Genüsse des Lebens ihren Anfang nehmen und dann in immer reicherer Fülle auf sie herniederregnen würden."
Fanny Lewald, die sich in der Tat für die Selbstständigkeit von Frauen einsetzte, rät ihnen in der Regel, zuerst einmal genügend Bildung anzusammeln und unbedingt einen bürgerlichen Beruf zu erlernen, um sich unabhängig zu machen. Denn sie ist der Meinung, dass die Seligkeit nicht vom Himmel fällt, schon gar nicht für Frauen, die in diesem Jahrhundert ohne Mann so gut wie keine Rechte hatten - und mit Mann nur nach dessen Gutdünken. Die Schriftstellerei alleine kann kein Ausweg in den Himmel sein, wenn nicht ein fester Beruf und das Können im Hintergrund stehen. Doch von den Schreibwilligen erntet sie daraufhin Ablehnung:
"Haben sie bisweilen es ausgesprochen, dass ich sie und das innerste Bedürfniß ihres Herzens und Geistes nicht verstanden hätte, dass sie sich in mir und in dem Glauben an meine Menschenliebe ... betrogen gefunden hätten ..."
Fanny Lewalds erster Brief, den sie 1868 in Montreux verfasste, geht noch weiter auf jene Diskrepanz ein und schenkt zumindest mir immer wieder Aha-Erlebnisse, weil auch 2012 noch so vieles unverbraucht und aktuell erscheint.

Ist es also wirklich alles so neu und ungewöhnlich, was wir heute erleben? Wie lange schon drängt es Menschen zur Schriftstellerei? Spannender, als sich darüber die Haare zu raufen, finde ich die Analyse der Beweggründe. Unabhängigkeit, Selbstständigkeit, Lebensgenuss, Ruhm und Reichtum, Überfülle - das wünschten sich diejenigen, die im 19. Jahrhundert mit der Schriftstellerei liebäugelten. Ruhm und Reichtum - das wünschen sich die Facebook-User des 21. Jahrhunderts an erster Stelle.

Steht Schriftstellerei vielleicht auch für einen unerfüllbaren Traum, den Traum, aus den eigenen kleinen Verhältnissen auszubrechen, seien sie finanziell oder geistig oder auf beiden Gebieten beschränkt? Schriftstellerei als Flucht in eine andere Welt, eine zusammengeträumte, eine Gegenwelt, eine, in der ich mich nicht mehr anstrengen muss, weil die Wünsche wie im Schlaraffenland von selbst erfüllt werden? Nicht umsonst wurde im 19. Jahrhundert das große Genre der Fluchtliteratur überhaupt geschaffen. Die neuen sogenannten Trivialromane eroberten die Kantinen der Fabriken, als es weder Sozialwesen noch ein Verbot von Kinderarbeit gab und Gleichstellung der Frau schon gar nicht.

Schlimm ist der tiefe Fall nach misslungenen Versuchen - wenn die Schriftstellerei am Publikum scheitert, wenn sie nicht wirklich eine werden kann. Bildet euch weiter, erlernt die Fertigkeiten, die ihr dafür braucht - und erlernt einen bürgerlichen Beruf, der euch ernährt, kommt aus der rosaroten Wolke der Illusion und des Selbstbelügens herunter - das riet Fanny Lewald vor bald 150 Jahren. Sie wurde dafür von vielen Schreibwilligen angefeindet.

Lesetipps:

2. Januar 2012

Reader-Test einer Haptikerin

Vorwort

Eigentlich darf man ernsthafte Tests nicht mit solchen miesen Fotos versehen. Ich bitte den Himmel zu entschuldigen, der sich heute rosa-leichentuchdüster über die Erde breitet, so dass nur extremes Kunstlicht die Welt erhellt.

Und eigentlich darf man Tests nicht so schreiben, wie ich das jetzt machen werde: ohne jedes Fachsprech und technische Einzelheiten. Die könnt ihr nämlich bei Gugl nachschlagen, dort gibt es zig Tests von Technikfreaks. Ich dagegen bin Haptikerin, bin sinnliche Papierbuchverehrerin. Ich lege viel zu viel Geld in Preziosen von Ausstellungskatalogen und Kunstbüchern an und weine innerlich bei schlampig gemachten Taschenbüchern. Layouten habe ich selbst gelernt, noch in Klebsatzzeiten - und später mit Desktop Publishing. Bücher möchte ich am liebsten mit allen Sinnen verspeisen, deshalb bin ich empfänglich für ihren Geruch, für die Haptik von gutem Papier und schlechten Lackierungen, für ausgesuchte Typografie und das Rascheln der Seiten. So viel zum Zielpublikum von Readern ... Auf dem ersten Foto darum meine beiden Bettlektüren im Ruhezustand.

Der Kindle mit Bildschirmschoner im ausgeschalteten Zustand
 Welcher Reader passte zur Frau?

Frauen sind verdammt anspruchsvoll. All dieses neue elektronische Gedöns, das derzeit die pralle Zukunft verspricht, ist mir noch nicht ausgereift genug. Und entweder haben die Geräte Gimmicks, die ich nicht brauche, oder bieten nicht, was ich will. Kurzum: Ich warte noch darauf, dass sich Reader und Tablets kreuzen und farbige Superkönnerkinder zeugen. Und dann warte ich auf einen neuen Preiskampf - wenn E-Books zumindest in Deutschland oft fast so viel kosten wie Hardcover. Unverschämt: Die Firmen rechnen Dollars als Euro, eine Readerhülle kostet die Hälfte eines Kindle und ein Aufladegerät muss man auch extra löhnen, wenn man das Gerät nicht am Computer aufladen will.

Der Reader sollte also bei kleinem Preis möglichst alles können, muss mir aber keine Hörbücher oder Musik vorsummen. Ich will finanziell einigermaßen verschmerzen können, wenn das Experiment schief geht. Mein Geld gebe ich für die nächste Generation aus.
1. Habe ich zwei Tage lang technische Einzelheiten von mehreren Produkten genauestens studiert und jede Menge Testberichte gelesen. Außerdem Bekannte befragt, die bereits einen Reader hatten.
2. Kann man viel von dem Technikgedödel vergessen, wenn Haptik und Optik nicht stimmen. Das ist einfach so bei Luxusbuchliebhaberinnen. Ich hatte den Oyo von Thalia in der Hand. Bevor ich auch nur technische Einzelheiten kannte, wusste ich: So will ich Bücher nicht lesen. Das Ding möchte ich nicht in der Hand halten. In dieser Hinsicht sollte man durchaus zu völlig spontanen Lustkäufen stehen: Die einen mögen es, wenn die Umrandung des Texts knallrot ist, anderen fällt schon ein spiegelglatter Reader auf den Nerv. Man kann sich an seitlichen Schaltern stören und sogar an deren Eigengeräusch. Manche lieben Billigplastik, manche wollen hartes Metall. Typisch Frau? Mag sein, dass Männer im Winter gern ein Metallteil ohne Handschuhe zücken und einen hochspiegelnden Reader in die Wintersonne halten ...

Am Ende machten der Sony-Reader und der Kindle das Rennen, völlig subjektiv. Ersterer, weil er auch Epub lesen kann und an keine Monokultur gebunden ist. Zweiterer vor allem wegen seiner angenehmen Einfachheit und seines Preis-Leistungs-Verhältnisses.

Warum der Kindle?

Ich kaufe meine Bücher nach wie vor fast ausschließlich beim unabhängigen, stationären Buchhändler, bei dem ich auch in naher Zukunft keine E-Books bekommen werde. Er zwingt mich also in Onlineshops. Die Einkaufsmöglichkeiten bei Sony selbst überzeugen mich nicht. Ich bin aber auch nicht der Typ, der seine Kreditkartendaten gern über viele Shops verteilt. Wenn ich Amazon in einem Punkt vertraue, dann ist das beim Umgang mit dem Geld, der Warenrückgabe etc. Außerdem bin ich dort bereits Kunde für Musik.

Amazon hat im Moment das größte E-Book-Angebot - und das auch noch völlig international. Aufgrund der verrückten deutschen E-Book-Preise (und vieler nerviger, weil schlechter Billigübersetzungen) werde ich nun mehr Bücher im Original lesen. Mit dem Kindle stehen mir außerdem Gutenberg, Zeno und andere kostenlose Klassikersammlungen offen (Amazon hat auch eine eigene). Bei der riesigen Auswahl fehlen mir Bücher, die vom Verlag nur als Epub herausgegeben werden, im Moment nicht wirklich. Und der andere Punkt war der Preis: Für Autoren- und Übersetzergehälter sind 99 Euro am ehesten zu verschmerzen. Ob das alles wirklich so ist, habe ich einen Monat lang mit der kostenlosen Kindle App auf meinem Computer ausprobiert.

Gewonnen hat Amazon außerdem, weil es einem den Kauf so einfach macht. Obwohl ich diesen Laden aus branchenpolitischen Gründen zu meiden versuche, hat er einfach etwas geschafft, was andere in der Branche hoffnungslos verschlafen. Ich mag Unternehmen nicht, denen die Gier ins Gesicht geschrieben ist. Aber ich gebe offen zu, dass ich mich von Unternehmen bezirzen lasse, die mir als Kundin das Leben einfach machen und die meine Wünsche ernst nehmen. Das Handling beim Einkauf soll erst mal einer nachmachen (ich denke da an Libreka & Co.)

Völlig überrascht war ich vom Kundenservice, der bisher nicht mit Effektivität glänzte und einen mit vorgefertigten Bausteinmails nervte. Ich hatte im deutsch-französischen Grenzgebiet ein besonderes Problem: Je nach Einwahlpunkt erscheine ich beim Bücherkauf deutsch oder französisch. Plötzlich bekam meine französische Personenhälfte eine Mail, ein bestimmtes Buch sei für mein Land nicht zugelassen. Ich liebe Verleger, die in einem globalen Markt den Verkauf ihrer nichtkörperlichen Bücher nur auf den deutschsprachigen Raum begrenzen! (Nehmt ihr eure Papiertitel auch bei den Flughäfen aus dem Programm?)

Ich schrieb eine ziemlich genervte Mail an Amazon. Obwohl die Firma nichts für Verlegerentscheidungen kann, hat sie sich sehr nett bei mir entschuldigt - innerhalb von zwei Stunden. Der Kundenservice hatte in diesem Moment auch schon eigenständig gehandelt und mich für beide Länder freigeschaltet. Nun bin ich für beschränkte Anbieter eben Deutsche und für alle anderen Französin. So viel zum globalen Buchmarkt.
Ratzfatz auch die Lieferung: Am Tag vor Heiligabend nach 16 Uhr bestellt, ausdrücklich nicht per Eilzustellung, war das Teil um zehn Uhr morgens am Heiligabend bei der deutschen Lieferadresse.

Die Schrift ein wenig vergößert - und die Lesebrille fliegt weg.
 Das erste Anfreunden

Ich betone noch einmal: Ich gehöre zu den bibliotheksverliebten Haptikern, die angeblich nie E-Reader kaufen. Ich habe aber auch so viel Grips im Kopf, dass ich von einer Gutenberg-Bibel nicht verlange, sie solle die gleichen Eigenschaften haben wie Hammurabis Keilschrifttafeln. Ich liebe Pergament, verlange aber von meinen Verlegern nicht, sie sollten Häute für meine Bücher schaben. Mir ist klar: Gedrucktes Buch und E-Books sind zwei völlig unterschiedliche Medien, die sich in sich selbst beweisen müssen, nicht im künstlichen Kampf gegeneinander.

Erfreulich war der Anfang. Das erste Aufladen am Computer ging in Windeseile, während ich bei Facebook schnatterte. Dann auf den Knopf gedrückt und die E-Books vom Computer mittels des gleichen USB-Kabels auf den Kindle geladen. Das geht auch mit eigenen mobi-Dateien (dazu jage ich eine Word-Datei im html-Format schnell durch den kostenlosen Mobipocket Creator) und mit pdfs (der Kindle schluckt noch mehr, aber Bilder lohnen sich in Schwarz-Weiß nicht immer).

Wer seinen Kindle normal bestellt, bekommt ihn bereits registriert - dann ist alles eingestellt. Nachteil: Da man mit dem Kindle ohne allzu großes Sicherheitsgedöns shoppen kann, besteht ein gewisses Risiko. Zumindest auf der französischen Post wird gern geklaut. Klickt man dagegen beim Kauf einfach "als Geschenk" an - so wird der Reader unregistriert geliefert. Man macht das bei Inbetriebnahme selbst. Wer seinen Reader öfter außer Haus mitnimmt, sollte dann auch dringend ein Passwort zum Öffnen eingeben! Das sperrt nicht so sehr das Lesen, sondern das fröhliche Einkaufen, falls der Reader einmal verloren geht oder gestohlen wird.

Die Bedienung ist absolut intuitiv und kann auch von technisch völlig Unerfahrenen bewältigt werden. Der einzige Spaß auf meinem Berglein: Ich bekomme hier kein Wifi-Netz. Aber beim nächsten Ausflug setze ich mich in einen Hot Spot und kann einkaufen.

Die unschönen Dinge

Es stören einen ja immer die komischsten Eigenheiten. Mir sind die Eselsohren beim Kindle zu klein - in Papierbüchern mache ich viel sichtbarere. Das Schreiben von Anmerkungen auf der virtuellen Tastatur (ähnlich wie beim normalen Handy bei sms) ist zunächst gewöhnungsbedürftig, flutscht mit ein wenig Übung jedoch schneller als auf einer schlechten echten Tastatur. Noch nicht dahinter gestiegen bin ich, wie ich die Anmerkungen im Text finde (anklicken) und gleich wieder zu den Anmerkungen zurückspringe - aber das mag an mir liegen, die ich nie Anleitungen lese.

Der Reader ist für pdf nur sehr bedingt geeignet. Man kann solche Dateien zwar auch quer lesen, muss jedoch je nach Originalgröße von Text und Bildern übel viel vergrößern und hin- und herspringen. Ohne Maus wie beim Computer ist das sehr mühsam. Das Einlesen mit der Kindle App am großen Bildschirm ist natürlich kein Problem, aber da kann ich pdf auch direkt lesen.

Das Ordnen der Bücher nach Autorennamen ist Firlefanz: Dazu müssten die Bücher verlagsseitig nämlich mit dem Nachnamen zuerst gekennzeichnet werden. So aber muss ich verschiedene Iwans durchsuchen, bis ich hoffentlich meinen Turgenjew finde - der aufgrund der Display-Breite nicht mit vollem Nachnamen zu sehen ist. Und Sammlungen kann ich wohl erst mit Wifi anlegen - das funktioniert im unregistrierten Zustand nicht. Sammlung plus Nachname wäre ideal. Ich kann mir vorstellen, dass das Durchsuchen von Hunderten von Büchern nicht gemütlich ist und lange nicht so viel Spaß macht wie in meiner Bibliothek.

Gewöhnungsbedürftig ist zunächst das Umblättern - aber nach einer Stunde bemerkt man es gar nicht mehr. Auch nicht das angebliche "Geflackere", das manche stört und das sich mit einem Update der Firmensoftware beheben lässt (ich hatte es nicht). Beim Kindle sind dafür Tasten an beiden Schmalseiten vorgesehen - ideal für Links- und Rechtshänder und unterschiedliche Lagen im Bett. Eigentlich klappt man den Rand des Readers etwas nach unten, äußerst angenehm. Die obere, kleinere Taste blättert zurück, die untere vor. Das wohl größte Hindernis für Druckliebhaber ist das Fehlen von Seitenzahlen (obwohl es bei der Buchherstellung machbar ist). Stattdessen bekommt man auf einer winzigen Leiste am unteren Rand die Position im Buch angezeigt und einen Prozentsatz des bereits Gelesenen. Kleine Striche markieren Kapitelanfänge. Mit einer Taste kann ich jederzeit im Buch hin- und herspringen, zum Anfang oder Ende, zu Kapitelanfängen oder Positionen.

Da ich Schrift und Schriftgröße individuell einstelle, habe ich natürlich kein festes Layout mehr wie im gedruckten Buch. Je größer der Schriftgrad, desto auffälliger wird der Flattersatz. Wer empfindlich ist gegen typografische Gassen und andere Feinheiten, wird mit einem Reader das Zähneknirschen bekommen. Da sich der Mensch aber an alles gewöhnt, könnte auch die Aufmerksamkeit gegenüber guter Typografie sinken. Oder andersherum: Wirklich gut gemachte Bücher könnten umso mehr aus der Masse herausstechen!

Die Zukunft?

Ich besitze die Bücher nicht körperlich. Unklar ist außerdem, wie spätere Konvertierungen auf neue Systeme und Entwicklungen vonstatten gehen werden. Ich denke, in Zukunft wird sich nicht das Leseverhalten ändern, sondern das Kaufverhalten. Ich selbst beobachte, dass ich mir lieber Schmöker und Billigtaschenbücher auf den Reader lade, weil mir solche Einmalware doch nur die Bibliothek verstopft. Dafür kaufe ich sehr viel gezielter und öfter edlere Bücher und Bücher, die man immer wieder lesen mag - ein Leben lang. Ich kaufe sogar Papierbücher, die ich zuerst als E-Book auf dem Reader gelesen habe - nämlich dann, wenn sie für mich einen inneren Wert haben. Meine Prophezeiung für die Zukunft: Wir werden schnelldrehende Ware nur noch als E-Book lesen. Dafür werden gedruckte Bücher aber wieder schöner und aufwändiger gestaltet werden. Ich glaube sogar an die Rückkehr der limitieren Luxusausgaben parallel zur E-Volksausgabe. Sollten sich Reader und Tablets eines Tages technisch annähern, werden auch E-Books aufwändiger gestaltet werden können. Das ist vor allem wichtig fürs bebilderte Sachbuch, das ich auf einem Reader nicht wirklich lesen kann.

Die guten Eigenschaften

Nach nur einer Woche muss ich zugeben: Ich vermisse Seitenzahlen nur noch bei wissenschaftlichem Arbeiten. Ob ich Positionen oder Prozente rechne, ergibt das absolut gleiche Gefühl. Wer sich nicht grundsätzlich gegen jede Neuerung sperrt, lernt ganz schnell um. Das ist wie beim Euro. Die ewig Gestrigen rechnen ihn immer noch in die alte Landeswährung zurück, die anderen gehen mit ihm völlig normal um.

Die E-Ink-Technik ist eine absolute Wohltat vor allem für Menschen, die ihre Augen ohnehin zu sehr anstrengen. Da ich die Schriftgröße beliebig einstellen kann, brauche ich keine Lesebrille mehr. Der Kontrast der Buchstaben ist besser als bei so manchem schlecht gedruckten Buch. Selbst bei starkem Gegenlicht findet man mit dem mattierten Display immer einen angenehmen spiegelungsfreien Winkel - Lesen funktioniert bei Prallsonne wie künstlichem Licht einwandfrei. Ganz ehrlich: Ein E-Reader ist augenfreundlicher als jedes Buch! Inzwischen muss ich mich wirklich umgewöhnen, wenn ich erst wieder die Brille auf die Nase setzen muss. Die Folge: Ich kann sehr viel schneller und mehr lesen, ohne zu ermüden.

Auch im vollen Gegenlicht (5 starke Birnen) noch Lesevergnügen
Der Kindle ist ein absoluter Handschmeichler aus wertigem, in Nullkommanichts körperwarmem Material. Keinerlei scharfe Kanten, keine sichtbaren Billigstteile - selbst die Cursortaste wirkt ausnehmend stabil. Störende Tastengeräusche habe ich ebenfalls nicht feststellen können. An den Kanten und unten steht nichts hervor, dadurch sollte man aber auch den An- und Ausschaltknopf unten mit dem Fingernagel drücken - er ist ziemlich unscheinbar. Ich liebe Understatement und Klarheit im Design, deshalb finde ich den Kindle einfach schick und edel. Und ich bekomme ihn kaum noch aus der Hand, schleppe ihn überall mit hin, leicht, wie er ist. So viel für Haptiker.

Für die Bettlektüre ist der Kindle wie geschaffen: Er lässt sich auch nur mit einer Hand bedienen (egal mit welcher), ist von allen Seiten zugänglich - im Hoch- und Querformat. Nickt man über der Lektüre ein, schaltet er sich schnell automatisch ab und öffnet wieder auf der verschlafenen Seite. Und fällt einem ein Kindle mit über 1000 Büchern ins Gesicht, ist das weit weniger schmerzhaft als mit einem 500-Seiten-Hardcover.

Auf einem Reader kann ich endlich Bücher durchsuchen und bin nicht mehr auf mangelhaft gemachte Register angewiesen. Für die Recherche und das Arbeiten ist der Reader unbedingt besser als Papier. Hier kann ich nämlich bereits im Shop im Text nach Stichwörtern suchen, die passenden Bücher besorgen und zielgenau durchforsten und mit eigenen Anmerkungen versehen. Wollte ich etwa das Lebenswerk von Turgenjew nach dem Stichwort "Baden(-Baden)" durchsuchen, bräuchte ich viele Jahre Zeit und einen Spezialisten obendrein. Auf dem Reader ist die Sache in wenigen Minuten erledigt. Er sammelt mir sämtliche Stellen, die ich dann nur noch anklicken muss.

Dank Reader sind mir endlich all die Klassiker zugänglich, die schon lange nicht mehr gedruckt werden oder im Antiquariat kaum erschwinglich oder gerade nicht vorhanden sind. Dank Reader gibt es keine künstliche Filterung mehr beim Einkauf. Mein Shop bietet mir professionelle Self Publisher Bücher genauso an wie wunderbare Verlagsliteratur. Und ich kann miesen Self Publisher Schrott oder lieblos gemachte Verlagsware viel schneller aussortieren - dank ausführlicher Leseproben. Im Laden finde ich für meinen etwas schrägen Geschmack viel zu selten Bücher zum Durchblättern. Dank dieser langen Leseproben in jedem nur erdenklichen Buch dürften sich meine Fehlkäufe immens verringern. So wird Geld frei für bessere Lektüre.

Wenn ich noch einmal einen selbsternannten "Haptiker" über die ach so bösen E-Books weinen höre, muss ich lachen. Ich kann auch meine E-Books streicheln. Und das Schöne: Ich genieße beides. Meiner umfangreichen Bibliothek wird es gut tun, dass ich Fehlkäufe und Dummschmöker nicht aufwändig zur karitativen Einrichtung karren muss, sondern einfach hemmungslos löschen kann. Seit ich meinen Reader habe, genieße ich Papierbücher intensiver, aber ich schaue auch viel genauer und kritischer auf deren Schwächen. Zum reinen Arbeiten und Recherchieren nutze ich ohnehin seit Jahren fast nur noch Digitalisate, CD-Roms und ausländische Bücher - das ist nun bequemer geworden. Viel zu bequem ist allerdings das Einkaufen per Whispernet. Jeder Hot Spot wird künftig zur Buchversuchung. Damit kann ich künftig sogar bei McDonalds Hochliteratur erstehen ...

Nachtrag: