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30. Dezember 2011

Rückblickeritis

Sag niemals nie. Das könnte ein erster Vorsatz fürs neue Jahr sein. Denn kaum habe ich gesagt, dass ich bis 6. Januar völlig ins Schreiben abtauche, schneit eine Speedübersetzung ins Haus, die mich einen Monat lang völlig anders an den Schreibtisch fesseln wird als gedacht. Der Schreiburlaub ist also abgebrochen, aber natürlich darf es "brotberuflich" gern so erfreulich weitergehen.

Allüberall hagelt es Jahresrückblicke, so viele, dass ich denke, ich ergreife die Gelegenheit und langweile in dieser Hinsicht auch ein wenig. Das Jahr 2011 ist schnell erzählt. Wirtschaftlich war es ein Desaster: Ein ganz wichtiger Dauerkunde ist pleite und ein anderer wichtiger Kunde hat nur nach aufwändigem Heckmeck mit Anwalt seine Rechnungen bezahlt. "Trau, schau, wem" kann man gar nicht mehr sagen, denn die mangelnde Zahlungsmoral greift inzwischen selbst bei Leuten um sich, von denen man das nie zu glauben wagte. Das Freiberuflerdasein macht nicht wirklich Spaß, wenn man es bei Miete, Strom und Wasser nicht genauso halten kann.

Trotz alledem war es eins der erfolgreichsten Jahre seit langem. Der Wahnsinn, ganz schnell mal ein Manuskript zu retten, indem ich es selbst herausbringe, hat sich gelohnt. Schon lange nicht mehr habe ich so viel Mut gebraucht und so viel Neues gelernt. Als im Sommer "Faszination Nijinsky" erschien, konnte ich es kaum glauben - vor allem konnte ich kaum glauben, dass ich das Buch auch an Publikum würde bringen können: ohne die Unterstützung des Buchhandels (mit winzigen Ausnahmen, die mich persönlich kennen) oder des Feuilletons, ohne die Maschinerie eines Verlags an meiner Seite. Zwar werden die Abrechnungen erst im neuen Jahr kommen, aber ich kann jetzt schon stolz behaupten, dass ich die Verkaufszahlen eines Verlags wie Parthas bei meinem Sachbuch "Das Buch der Rose" geschafft habe. Ganz allein - und mit Unterstützung begeisterter LeserInnen, die das Buch fleißig weiterempfehlen. Das lässt mich natürlich über die Buchbranche nachdenken.

Völlig anders als bei all meinen Büchern zuvor war das Feedback von Leserinnen und Lesern, denen ich dank Social Media (seit 2011 auch Facebook) plötzlich sehr nahe bin - die mich aber auch aus dem "echten Leben" fleißiger anschreiben als früher. Ich bin immer noch völlig benommen von der Wirkung von "Faszination Nijinsky". Das sehr hilfreiche und konstruktive Feedback bestärkt mich in meinen stilistischen wie inhaltlichen Wagnissen. Offensichtlich ist die Zeit reif dafür, dass man LeserInnen durchaus (heraus)fordern kann: Mit unüblichen Themen, raren Geschichten und sorgfältig komponierter Sprache. Vor allem aber sehe ich im sogenannten "erzählenden Sachbuch" eine große Zukunft. Die angelsächsischen Länder und Frankreich haben darin eine starke Tradition und wahrhafte Könner, in Deutschland tut man sich oft noch ein wenig schwer damit, harte Fakten so zu erzählen, als sei man in einem Film oder in einem Roman. Wissen und Bildung können durchaus zum sinnlichen Erlebnis werden und die Neugier beflügeln. Und Sachbücher können durchaus literarisch werden.

Auf diesem Weg will ich unbedingt weitermachen, weil sich hier alles vereint, was ich gelernt habe und wo meine Stärken liegen - ob das journalistische Formen wie Feature oder Essay sind, grenzgängerische Themen oder Geschichte und Kultur. Ich bin offener geworden, was den Weg zu solchen Büchern betrifft, warte nicht mehr ewig, sondern suche mir Partner, die mit mir im Team ein Projekt umsetzen. Das können wieder gute Verlage sein oder wie im Fall meines nächsten Projekts freie Geldgeber und Mitarbeiter. Ein erzählendes Sachbuch über die russischen Spuren in Baden-Baden ist für Verlage zu "eng" angelegt, da muss ich mich gar nicht erst bewerben. Dass es relativ zeitgleich ins Russische übersetzt werden soll, ist ein absolutes Novum für mich - sprich, ich muss 2012 wieder eine Menge Neues lernen - etwa über Lizenzgeschäfte ohne Zwischenhändler.

Hier kann man bereits erkennen, dass "Nijinsky" ziemlich heftig in meinem Leben herumgerührt hat. Ich durfte in diesem Jahr nämlich durch das Buch auch wunderbare Menschen kennenlernen, wobei die meisten davon - wie praktisch - in meiner Lieblingsstadt wohnen. Sie haben mir dort bisher völlig unbekannte neue Welten erschlossen und mir einen kulturellen Reichtum gezeigt, von dem ich seit Jahren träumte. Das hat nicht nur meine Arbeit verändert, sondern auch mein Privatleben. Auf längere Sicht denke ich ernsthaft darüber nach, die ständigen Fahrten in diese Stadt künftig kürzer zu gestalten. Aber dazu muss ich mein Leben dann derart heftig umkrempeln, dass ich das lieber langsam angehe.

Denn ich habe 2012 noch so viel vor, dass ich für den angedrohten Weltuntergang einfach keine Zeit haben werde (ich werde aber live von diesem Ereignis twittern!). Für einen Kunden in England muss ich dringend mein Englisch wieder aufpolieren und dreisprachig denken - und so "ganz nebenbei" möchte ich unbedingt Russisch lernen. So viel zur typischen Schriftstellerdiskussion über Lebensthemen. Ich fürchte inzwischen, es ist umgekehrt als vermutet: Die Lebensthemen suchen sich ihre Schriftsteller. Die Kategorie "Grenzgängerei" hier im Blog war ursprünglich als Gag entstanden, weil ich für vieles einfach keine passende, glatte Schublade fand. Bis mir immer klarer wurde, dass genau das mein Lebensthema ist. Dass es in all meinen Büchern darum geht. Dass man daraus auch einen Beruf machen kann, ist mir allerdings erst vor zwei Jahren klar geworden. So betriebsblind kann man sein.

Drum habe ich nur drei gute Vorsätze fürs neue Jahr - und die sind jedes Jahr die gleichen:
  • nach allen Seiten offen bleiben
  • neugierig bleiben
  • egal, was kommt, es als spannende Herausforderung begreifen ...
... und damit wünsche ich allen Freundinnen und Freunden, Leserinnen und Lesern
... ein glückliches neues Jahr!
... une heureuse nouvelle année!
... a happy New Year!
... С наступающим Новым годом!
... Szczęśliwego Nowego Roku

Die Sonne geht im Osten auf - ein Blick von den Vogesen Richtung Schwarzwald
PvC um 16:06 6 Kommentare:

27. Dezember 2011

Scheitern mit Pauken und Trompeten

Den großen Roman seines Lebens schreiben und einen wunderbaren Verlag dafür finden! Welche Schreibende träumen davon nicht? Und wenn der wunderbare Verlag das wunderbare Werk nicht zu schätzen weiß, dann bringt man den potentiellen Bestseller eben mal ganz schnell selbst heraus. Das praktizieren immer mehr Menschen, grenzenlos überzeugt von sich selbst.

Bei mir verschwinden nicht angenommene Werke zunächst einmal in der dunkelsten Schublade. Dank E-Reader habe ich eine neue technische Möglichkeit: Ich kann solche Manuskripte mit ein paar Mausklicks in eine kompatible Datei umwandeln und diese wie ein E-Book einlesen. Wenn ich unverschämt wäre, könnte ich sie mit ein paar zusätzlichen Mausklicks sofort in die Öffentlichkeit schütten. Als käufliches E-Book. Das mit dem Lesen habe ich eben probiert. Es gibt ein Schubladenschattenmanuskript, das etwa im Jahr 2004 ein Roman werden wollte und zunächst daran scheiterte, dass ein Konzernverlag Frauenromane von mir wünschte. Aber jenes Manuskript wollte nicht. Unter dem Arbeitstitel "Fluchten" fristet es seit nunmehr sieben Jahren ein aufregendes Schubladenleben: Es hat nie den Titel verändert, wohl aber die Form, den Inhalt und sogar die Personen. Alle sieben Jahre soll sich ein Mensch auf zellulärer Ebene runderneuert haben. Nach sieben Jahren habe ich sämtliche Versionen meines Möchtegernromans aneinandergereiht und als E-Book in limitierter Einerauflage auf meinen Reader geladen.

Der Text ist nicht wirklich schlecht. Ich war eingebildet genug, um mich mit einem dieser Entwürfe um ein Stipendium beim Deutschen Literaturfonds zu bewerben. Die Formbriefabsage habe ich damals noch zerknirscht weggesteckt. Zu gern hätte ich erfahren, woran es hakte! Mein erster Agent hatte das Machwerk lange vorher einer Programmchefin eines Literaturverlags zur privaten Vorabbegutachtung überreicht. Deren Antwort überzeugte mich, dass gute Verlage nicht unbedingt gute Texte erkennen. Da käme eine Kunstfälscherin drin vor, nein, das könne sie so nicht annehmen, denn sie habe erst unlängst einen historischen Roman über eine Malerin redigiert und nun schon wieder so ein Ambiente - ob man die Figur nicht ändern könne, ihr einen anderen Beruf verpassen? Kaum ein Wort über die Qualität meines Textes. Der wollte gar kein historischer Roman werden. Und dass die Frau Ikonen fälscht, war Programm.

Ich hätte überheblich werden können, trotzig. Ich hätte meinem Publikum den Text zum Fraß vorwerfen können. Doch welchen von den vielen Entwürfen?

Es war unbedingt heilsam, all die Stationen dieses Machwerks - über sieben Jahre heimlich abgepresst und gesammelt - auf einen Schlag per Reader zu lesen. Wie schlimm! Wie vermessen! So viele Schwächen, Fehler, falsche Ansätze, Verirrungen. Nichts, aber auch gar nichts hält meiner eigenen Kritik mehr Stand. Das ist kein Roman. Das ist ein schmerzvolles Ringen um einen eigenen Ausdruck, der Kampf um irgendeine Befreiung (wovon?). Das sind Fingerübungen und klitzekleine Preziosen in einem Meer von überflüssigem oder anfängerhaftem Text. Ich bin gescheitert - mit Pauken und Trompeten. Und ich bin froh, dass ich nicht mit anhören musste, wie sich die Jury des Deutschen Literaturfonds womöglich krank gelacht hat. Vielleicht haben sie aber auch nur gegähnt. Oder gar nicht reagiert.

Weil ich meinen gescheiterten Texten trotzdem liebevoll zuhöre, habe ich heute viel gelernt. Ich habe gelernt, was ich absolut nicht kann und wo ich nur Zeit verschwenden würde, wollte ich es zu lernen versuchen. Ich habe in dieser unvollkommenenen, oft lächerlichen Textwüste aber auch Passagen gefunden, die mir unbedingt meine Stärken zeigen und verblüffend erhellen, warum ich den Weg gegangen bin, den ich gehe. Ich ahne endlich, was ich wirklich sehr gut kann.

Zu dumm nur, dass das nicht immer das ist, was ich von mir glaubte, zu wollen. Der Stoff, aus dem die Konzernverlagsträume sind, ist es auch nicht. Ich weiß noch nicht einmal, ob ich den Mut aufbringen werde, mich dem eigenen Können in wirklich letzter Konsequenz zu stellen. Es würde nämlich bedeuten, dass ich wieder bei Null anfange, beim Lernen. Wäre das Bücherschreiben ein Garten, so hätte ich eben gelernt, mit einem Spaten umzugehen. Ob ich es schaffe, den Garten umzugraben und neu zu bepflanzen?

Ein wenig grolle ich sogar. Als ich meinen Erstling veröffentlichte - in den späten 1990ern - musste man solche Textversuche nur einem Verleger geben und der überflog das Ganze mit wissendem Blick, um einem zu sagen: "Mädchen, das ist ganz große Sch... , das weißt du. Aber du kannst was. Wenn du dich nun auf das und das konzentrieren würdest ... und versuch doch einfach mal, damit zu experimentieren und spiel ein wenig mit dem und dem - und wenn du dann fertig bist, gibt mir den Text noch einmal."
Solche Verleger habe ich seither nie wieder erlebt. Echte Autorenentwicklung kann sich heutzutage fast niemand mehr leisten. Im Zeitalter des Überangebots müssen Manuskripte so druckfein wie möglich sein. Die einstige Verlegerkritik muss man sich mühsam woanders suchen - und man bekommt sie weder bei Freunden noch bei Testlesern noch bei allen Kollegen.

Einen einzigen Kollegen habe ich, der mir wirklich sagt, was ich nicht kann, der mir zeigt, wo ich einen Text an die Wand fahre. Der Mann ist ein Goldschatz und mindestens seit meinem Buch über die Kulturgeschichte der Rose daran "schuld", wie ich mich entwickle. Bevor sein Daumen nicht nach oben zeigt, sieht keine Lektorin mehr einen Text von mir. Und doch ist er mir manchmal noch zu wohlwollend. Bei "Fluchten" hat er zu viel gelächelt.

Die schlimmste Kritikerin, die es in meinem Leben gibt, hat nun mit dem Daumen nach unten gezeigt und sich passageneweise gelangweilt bis kaputt gelacht. Diese Kritikerin bin ich selbst. Im Abstand der Jahre ist es heilsam, seine Schubladen zu untersuchen. Was, wenn ich auch nur einen dieser Textversuche veröffentlicht hätte, verführt durch die einfache Handhabung bei der Herstellung von E-Books! Ich säße jetzt da, errötend bis zu den Haarwurzeln, und würde vor Scham im Erdboden versinken wollen.

Ich habe eine Menge gelernt über mich. Dass man sich Zeit lassen sollte und nicht drei Bücher in einem unterbringen muss. Dass ich mich über Dinge, die mich aktuell beschäftigen, im Blog freischreiben kann und dazu keinen Roman missbrauchen muss. Dass ich typisch deutschen hochliterarischen Ton perfekt imitieren kann, aber darüber die Seele des Textes verliere. Dass ich niemals leichte Unterhaltungsromane beherrschen werde. Dass ich in meiner Hektik, alles gleich unterbringen zu müssen, das Wort "Infodumping" auf ein großes Warnschild malen sollte. Und dass ich das beherrsche, was ich am wenigsten von mir glaube.

Ob daraus nach sieben Jahren Selbstversuch am lebendigen Leib jemals mehr als ein Schatten in der Schublade werden wird, vermag ich nicht zu sagen. Den Versuch und die Arbeit war die Selbsterkenntnis wert. Gern hätte ich all die Jahre abgekürzt - mit einem richtigen Ratgeber an der Seite, einem Ratgeber vom Fach. Gern hätte ich in einer Zeit gelebt, in der Verlage solche Funktionen noch wahrnehmen. Aber Jammern hilft nichts. Wozu soll sich jemand mit derart unreifem Schrott abgeben, wenn er Druckfertiges woanders einkaufen kann!

Ich jedenfalls weiß jetzt, wo ich stehe: am Anfang. Und jedem Anfang wohnt Hoffnung inne. Bevor ich nun von Neuem beginne, schwenke ich komplett um. Eine Buchübersetzung rauscht gerade ins Haus, Speedübersetzen noch dazu. Ein schönes Gefühl: Das wenigstens kann ich. Und beim Übersetzen fremder Bücher lerne ich, woran es bei mir noch hakt. Ein schönes Gefühl: Es tut gut, nicht alles veröffentlichen zu müssen, von dem man im Schreibwahn zunächst selbst derart überzeugt ist. Manuskripte in der Schublade reifen zu lassen, wird heutzutage zum unerhörten Luxus. Den man sich immer öfter gönnen sollte.
PvC um 23:23 3 Kommentare:

26. Dezember 2011

Ich bin ein Schweinlein

Gute Vorsätze gibt es bekanntlich bei mir nicht. Ich finde, man muss auch einmal lustvoll über die Stränge schlagen. Im Moment benehme ich mich ohnehin wie das Schweinlein vom Dienst:
  • Ich habe Amazon noch reicher gemacht und ihm einen Kindle abgekauft. Ich hätte einen Reader nebst E-Books ja auch zu gern im unabhängigen Buchhandel erstanden, aber leider ...
  • Ich lese jetzt Bücher mit Atomstrom. Spare aber dafür an Lampe und Lesebrille.
  • Ich lache mich krank über die Entweder-Oder-Lobby und all diese unnützen Diskussionen, ob oder ob nicht.
  • Ich lese mich dussig an kostenlosen Büchern, die mir Verlage bisher auf Papier vorenthielten.
Eine solche Schweinerei hat natürlich Folgen:

Ich habe heute so viel gelesen wie schon lange nicht mehr. Ohne Lesebrille, ohne müde Augen, ohne steife Handgelenke und ohne Buchklops, der mir beim Einschlafen ins Gesicht fällt. Bücher, von deren Existenz ich kaum etwas ahnte. Da war etwa der Vampirreißer von Iwan. Nein, nicht vom schrecklichen, sondern von Iwan Turgenjew. Der Mann hat tatsächlich eine ach so rahamontische Vampirsgeschichte geschrieben, in dem sein Lebenssaft fröhlich einer seltsamen Dame entgegenblubbert. Warum hat Suhrkamp-Insel das noch nicht entdeckt? Oder dieses BISSchen Verlag ...

Nebenbei habe ich spielerisch begriffen, worauf es beim Herstellen eines E-Books ankommt und warum das trotz aller Bedenkenträger sowas von kinderleicht ist. Man darf gar nicht laut sagen, wie leicht es ist, seine Bücher in E-Books umzusetzen - zumindest für den Kindle und wenn es sich um Belletristik handelt.

Nachdem ich "Faszination Nijinsky" nun auf dem Kindle härtetesten kann, darf ich verraten, dass ich mir das E-Book sozusagen zwischen Dessert und Kaffee gebastelt habe. Sieht richtig gut aus! Jetzt muss ich nur noch kapieren, wie man ein Inhaltsverzeichnis programmiert. Und wenn ich das dann fehlerfrei schaffe, ist dem Veröffentlichungswahnsinn Tür und Tor geöffnet. Ich geh dann mal wieder leben lesen! leseleben!
PvC um 17:39 2 Kommentare:

22. Dezember 2011

Ebook-Mania

So, jetzt hat es mich auch erwischt, zum neuen Jahr schenke ich mir einen Reader! (Und was hatte ich für Vorbehalte!) Ich sitze gerade an Recherchen über das russische Baden-Baden im 19. Jahrhundert und sondiere online, was ich mir beschaffen muss. Schon vom Projekt Gutenberg wanderte das ein oder andere E-Book auf meinen Computer. Daneben liegt eine Literaturliste für die Bibliothek, denn solche Bücher sind weder per Verlag noch per Buchhandel zu haben, allenfalls für Sammlerpreise antiquarisch.

Nun habe ich das internationale Klassikeruniversum - per Kindle App auf dem Computer - entdeckt (also noch nicht mal all die anderen Shops) und bin hin und weg. Bücher, die ich mir mühsam über Fernleihe in Deutschland beschaffen müsste. Schriften, von denen ich nicht wüsste, wie herankommen. Die schrägsten, speziellsten Originale aus dem 19. Jahrhundert. Wohlfeil für ein paar Klicks zu haben. Für eine Rechercheuse wie mich ist das Weihnachten und Ostern gleichzeitig.

Gerade habe ich mir mit leuchtenden Augen Iwan Turgenjews Briefe an die Viardot heruntergeladen - ein ganz besonderes Schätzchen und in französischer Sprache umsonst zu haben. Da öffnen sich WELTEN! Es ist ein Phänomen wie einst die Entdeckung digitalisierter Archive von großen Bibliotheken. Langweilig wird mir mit diesen Schätzen die nächsten Tage nicht. Nur will ich sie jetzt gemütlich und leicht in der Hand halten und augenfreundlich per E-Ink lesen. Endlich sogar im Bett ...

(Bin ja schon wieder weg, aber das musste ich noch schnell teilen...)
PvC um 14:45 4 Kommentare:

21. Dezember 2011

Mit fliegenden Fahnen ...

Ich trinke freiwillig Fencheltee ohne jede Süße. Das bedeutet bei mir, dass ich die Notbremse ziehen muss. Rund 100 Seiten Amtsdossiers haben mich an den Rand des Wahnsinns gebracht. Nun liegt der Krempel auf der Post, der Felsblock fällt vom Magen und ich werde meinen Vorsätzen untreu. Eigentlich wollte ich noch zwei hervorragende Bücher vorstellen. Weil die bis Weihnachten aber eh keiner mehr bekommt und weil man Bücher mit viel mehr Muße auch 2012 kaufen kann, verschiebe ich das Ganze und mache die Schotten dicht.

Ich bin - abgesehen von ein paar losen Schwätzchen in Recherchepausen - bis zum 6. Januar social-media-flüchtig. Offline bin ich nicht, denn ich recherchiere seit heute fest für mein nächstes Buch. Und das ist auch genau das, was ich in den nächsten Tagen machen werde: SCHREIBEN. Nicht einfach nur vor mich hin schreiben. Endlich wieder literarisch schreiben, im herrlich einsamen Kämmerlein, zurückgezogen von aller Hektik, frei von allen Verpflichtungen. Mit Schrecken habe ich festgestellt, wie mich der Schreibentzug der letzten Wochen regelrecht krank macht. Mein Roman will raus und wenn ich ihm nicht bald ein Ventil schaffe, geht es mir wie diesen Leuten, die von "Alien" befallen waren - dann gebiert sich das Ding von selbst und ich platze. Ansonsten entfleuche ich in die Welt der Russen und anderer Berühmtheiten im 19. Jahrhundert. Endlich wieder LEBEN.

Ich werde nur wirklich lebenswichtige Mails beantworten und keinerlei Karten verschicken.

Ich bedanke mich bei allen treuen Leserinnen und Lesern und bei den weniger treuen auch! Sie sind es, die mir so manchen Fencheltee ersparen - weil ich dank meiner LeserInnen immer wieder daran erinnert werde, wozu ich da bin.

Ich wünsche allen eine möglichst stress- und frustlose Zeit und einen guten Rutsch in ein herrliches Weltuntergangsjahr voller Leben und neuer Ideen -

Petra van Cronenburg
PvC um 17:02 3 Kommentare:

18. Dezember 2011

Newcomer des Jahres 2011

Er macht eigentlich alles anders, als es die wohlfeile Ratgeberliteratur Nachwuchsautoren aufschwatzen will: Sein Buchtrailer hypnotisiert, seinen Namen kann man sich nur mit Mühe merken, seine Website lässt sich besser nachts entziffern als im Sonnenlicht - und seine Texte fordern die Leser bis unter die Haut. Wahrscheinlich habe ich Jonas Navid Mehrabanian Al-Nemri genau deshalb entdeckt: weil er wohltuend anders, neu und unverbraucht schreibt.

Irgendwo in den Social Media begegnete mir zufällig der Link zu seinem Buchtrailer mit der wunderbaren, fast hypnotischen Musik von Äl Jawala und der Botschaft "dieses Buch erwartet dich ... es wird all deine Seiten lesen". Mir ist das wirklich noch nie passiert: Kaum hatte ich die kurze Textpassage im Trailer gesehen, bestellte ich auch sofort das Buch. Kaum hatte ich das liebevoll gestaltete Buch angefangen, bekam ich auch schon Gänsehaut.

Man muss sich allerdings bewusst einlassen auf diese schillernde Welt facettenhafter Einblicke und auf Al-Nemris Sprache, die nirgends Halt macht und darum überall zuhause scheint. Seine Erzählungen sind keine Plot-Buster, sondern poetische Kleinode nahe einer Prosalyrik. Unwillkürlich wurde ich erinnert an die große persische Dichtung alter Zeiten, an die inneren Bilder eines Hafiz oder Rumi. Und doch lotet der Autor nicht die persische, sondern die deutsche Sprache aus wie kein zweiter, zieht einen in den Sog seiner zutiefst musikalischen Sätze, bis man die Wörter mit ihm atmet, zerkaut und auf der Zunge zergehen lässt. Das ist keine Fastfoodliteratur, das ist wie Baklava, und will darum sachte und aufmerksam, in kleinen Stücken, verkostet werden.

Wer sich vom angestrengten Denken freimachen kann, hat wahrscheinlich am meisten von Al-Nemris Kleinoden. Die Geschichten wirken über den Klang und das Gefühl, über freie Assoziationen. In wenigen Sätzen verbirgt sich eine ganze Welt, wenn es etwa heißt:
"Die letzten Rufe treffen ihn nicht mehr, jedes geliebte und gelebte Wort hält inne, bis alles steht. Küssende, überall, unterbrechen ihren Kuss, Schreiber verlieren ihre Zeile."
Und dann liegt darin wieder Geheimnis, Bildhaftigkeit voll offener Interpretationsmöglichkeiten:
"Seine Stimme färbte alles dunkel ein, ein Violett im Safrangelb, ein Getrocknetes in meinem Augenblau. Vielleicht, weil ich zusah, mit meinem Gehör."

Worum geht es in "Umm Nur" (was so viel heißt wie "Mutter des Lichts" - wobei das Licht, Nur, als Name männlich wie weiblich sein kann)? Titel wie "Lucifer", "Harem", "Amor und Psyche" oder "Lilith" verweisen auf uralte Mythen. Tatsächlich könnten manche Passagen in uralten Schriften vorkommen, so zeitlos scheinen sie. Obwohl alle Erzählungen in einem kompositorischen Zusammenhang stehen, werfen sie mehr Fragen auf, als sie klären: Wer ist dieser Mann, der da liebt - und ist er vielleicht doch eher eine Frau? Und die Liebe, ist sie nicht eher ein Leiden? Schauen wir jemandem zu, der in einer Ruine des Irakkriegs steht, oder befinden wir uns eher in biblischen Zeiten? Kaum hat man sich auf eine Version festgelegt, bricht sie der Autor wieder. Und im schlimmsten Moment, in dem wir uns gegen die Figur am meisten wehren mögen, stehen wir plötzlich selbst da und schauen mit ihren Augen, unseren Augen in diese seltsam ungreifbare, ständig oszillierende Welt.

Der Band von Jonas Navid Mehrabanian Al-Nemri führt seine Leser in Zwischenwelten, die ständig in Bewegung sind. Es gibt kein klar erkennbares "Orientalisch" oder "Westlich", kein "Jetzt" oder "Damals", sondern nur ein Amalgam oder ein blitzschnelles Wechseln. Die Geschichten erzählen vom Unbehaustsein in der Welt und von einer Ruhe, die nur im Fließen liegen mag. Nichts bleibt, und genau darum lebt alles, lebt sogar die Steinmauer. Das Erleben im Jetzt versteinert zum Mythos und gleichzeitig brechen Ahnungen aus alten Mythen die versteinerte Gegenwart auf - wie etwa beim "Bierdeckelwort", das ein Adam seiner Geliebten in einer Kneipe über den Tisch schiebt.

Kann ein Mensch so viel lieben, so intensiv lieben, dass sich Tod und Vergänglichkeit einschleichen, die manchen Erzählungen eine eigenartig süße Melancholie verleihen? Auch diese Extreme scheinen eins. Der "Er" im Buch ist ein glücklicher, weil leidensfähiger Mensch. Oder ist er ein Leidender, weil er so intensiv glücklich sein kann? Eines jedenfalls ist der Autor, der von diesem "Er" erzählt, nicht: ängstlich.

Al-Nemri stellt sich auch sprachlich den tiefsten Abgründen, seine Sprache ist hocherotisch wie brutal, umhüllend wie entlarvend, und dann wieder ganz zart. Etwa wenn der Schreiber in der letzten Erzählung unbeschriebene Blätter vom Boden aufnimmt und an die Wand heftet, "behutsam mit nur einem Stich, sie sollen nicht ausbluten." Er ist ein Getriebener, jener Dichter in der Geschichte, ein Besessener:
"Deshalb schreibt er, schreibt alles, alles aus sich heraus, Zeilen, Blätter, ganze Wände voll, deshalb schreibt er, damit niemand ihn, niemand ihn selbst lesen kann."
Dem jungen Dichter jenes Dichters wünsche ich von ganzem Herzen, dass ihm nie das Blut ausgehe auf jenem steinigen Weg zum Sha'er, zum Dichter. Möge er sich nicht von Türhütern des Buchmarkts schleifen lassen, sondern vom Wind des Lebens. Oder prosaischer gesagt: Ich habe lange nicht mehr ein derart beeindruckendes literarisches Debut von solcher Tiefe in Händen gehabt. Auch wenn ich mir den langen Namen erst nach einiger Zeit merken konnte, wünsche ich mir, dass man von Jonas Navid Mehrabanian Al-Nemri noch mehr lesen wird.

  • Website des Autors
  • Der Autor bei Facebook
  • Interview mit dem Autor: Der Orient in Freiburg
  • "Umm Nur. Erzählungen" im Worthandel Verlag Dresden
  • Der Buchtrailer
  • Leseprobe
PvC um 16:38 1 Kommentar:

17. Dezember 2011

Alle Jahre wieder

Kennt jemand das Phänomen: Man sucht nach einem ganz bestimmten Geschmack aus der Kindheit und kocht sich dumm und dusslig - das Zeug will einfach nicht so schmecken wie früher? Das liegt zum einen daran, dass uns Erinnerungen trügen, vor allem, wenn sie mit starken Emotionen verbunden wurden. Das menschliche Hirn ist nämlich sogar fähig, Erinnerungen zu fälschen, ohne dass einem das bewusst wird. Der leckere Grießbrei von Tante Agatha wird deshalb angeblich schauderhaft geschmeckt haben, wenn man dort einen Zwangsurlaub ohne Freunde verbringen musste. Und der wirklich scheußliche Grießbrei von der Oma wird uns zuckersüß in Erinnerung bleiben, wenn damit eine Weihnachtsbescherung verbunden war.

Und dann ist es auch gar nicht so einfach, sich all die Retro-Zutaten zu besorgen, zumal im Zeitalter von Convenience Food, Zuckerersatzstoffen und künstlichen Aromen! Wer einmal Ahoi-Brausetütchen in den 1960ern gekauft hat, wird wie ich gespuckt haben, als die Dinger plötzlich mit künstlichem Farbstoff und Süßstoff auf den Markt kamen. Die Sendung Karambolage auf ARTE widmete sich einmal in einem Beitrag dem Phänomen des deutschen Nudelsalats, der in den 1970ern bei keiner Party fehlen durfte. Warum aber war das Zeug so lecker und begehrt? ARTE hat probegekocht - immer war das Ergebnis abscheulich. Bis die Redaktion auf die Idee kam, genau die gleichen, heute als "ungesund" verpönten Zutaten zu nehmen wie früher: Die Erbsen müssen aus der Dose kommen, die Mayonnaise muss vollfett und echt sein. Und die gefüllten Eier bitte immer mit falschem Kaviar von Meeresschnecken und mit Streifen von grellorangefarbenem Lachsersatz dazu! Auch wenn wir uns heutzutage das Echte vielleicht leisten könnten, echter Lachs schmeckt einfach nicht wie dieses Kindheitserlebnis.

Und so geht es mir mit Mutterns Rumkugeln. Leider war ich zu klein, um sie probieren zu dürfen - heimlich habe ich unten von den Dingern etwas abgekratzt und sie wieder aufs Papier gesetzt. Ich war außerdem zu klein, um mir ein Rezept zu merken. Nur an die herrliche Stauberei mit dem Kakaopulver erinnere ich mich. Später hat sie die Rumkugeln nie wieder machen wollen. Seither probiere ich alle Jahre wieder, den Originalgeschmack aus den 1960ern zu rekonstruieren. Mit brutal weißem Zucker, Primitiv-Rum ... und ... dann fängt es an - es schmeckt nicht "richtig". Die Rezepte, die ich habe, klingen sehr nach heute, vor allem, wenn Sahne oder gar Crème Fraiche auftauchen. Letztes Jahr habe ich mit der Sahne experimentiert und war fast, aber nur fast dran. Dieses Jahr werde ich mutig sein. Mir ist nämlich eingefallen, dass dort, wo meine Eltern herkommen, nicht mit Sahne gekocht wurde, sondern mit Sauerrahm. Und jetzt habe ich im Kühlschrank sogar Sauerrahm aus dem Osten, der viel milder und feiner schmeckt. Ob man Rumkugeln mit Sauerrahm machen kann? Morgen werde ich es wissen.

Zu diesem Reenactment in der Küche brachte mich übrigens eine wunderbare Bettlektüre. Marieke van der Pol: Brautflug (verfilmt mit Rutger Hauer). Ein aufregendes, anrührendes und vielschichtiges Buch über das Schicksal dreier Emigrantinnen, die sich von Holland nach Neuseeland ins Unbekannte aufmachen, als Bräute irgendwelchen Männern versprochen, die sie nicht wirklich kennen, und die alle mit einem geheimnisvollen Mann konfrontiert werden. Schon der Flug ist abenteuerlich - es handelt sich um einen transatlantischen Wettflug, der übrigens tatsächlich stattfand. Zum Glück keine übliche Liebesgeschichte, sondern ein Roman um Emigrantenleben und um die Frage, wie viel Neuanfang möglich ist und wie man mit grundlegenden Entscheidungen im Leben umgehen kann.

Eine der drei Frauen fängt in späteren Jahren aus einem bestimmten Grund plötzlich an, Lattkes zu backen. Und obwohl sie im Stress steht, eine Modenschau vorbereiten zu müssen, verschwindet sie fast manisch in ihrer Küche, backt wie besessen Lattkes, um endlich den Geschmack aus der Küche ihrer Großmutter zu treffen. Die Geschichte um diese Lattkes ist eine der eindrücklichsten Szenen, die ich seit langem in einem Buch gelesen haben - und dieses Bild erzählt so viel mehr als der vordergründige Vorgang, es geht unter die Haut. Denn Geschmäcker und Erinnerungen sind am dichtesten von allem miteinander gekoppelt, noch mehr als Erinnerungen und etwa das Hören bestimmter Lieder. Essen kann Erinnerung bedeuten. In diesem Roman macht das Essen sogar wieder lebendig ...

Lesetipp: Marieke van der Pol: Brautflug, Krüger Verlag
Gucktipp: "Brautflug" - der Film
Schmecktipp: Rumkugeln

PS: Eine ideale Überleitung zum morgigen Thema - da geht es nämlich um Rumi (nicht Rum!) und Baklava. Oder so ähnlich.
PvC um 15:10 8 Kommentare:

16. Dezember 2011

Heiße Suppe

Als ich gestern Punkt Mitternacht unter einem riesigen, orangefarbenen, faul zum Horizont gekippten Mond zuhause eintrudelte, war es mit dem Sekt erst mal Essig. Ich hatte die Strecke, die größtenteils durch Wald führt, überstanden, ohne dass mir ein Baum aufs Auto gefallen oder ein Wildschein in den Motorblock gerammt war. Und ich hatte mir aus einem tropisch aufgeheizten Saal ein komisches kleines Männchen mitgebracht, das mit einer Gänsefeder in meinem Kehlkopf saß und sich herrlich damit amüsierte, diesen in den letzten Tiefen zu kitzeln. Der angeblich englische Virus ("it's quickly over") entpuppt sich nun doch als die Kölner Variante, die einen den Karneval verhusten lässt. In solchen Momenten helfen eine heiße Suppe und ein heißer Tee.

Stärkung war auch deshalb angesagt, weil ich an diesem Abend das eherne Grundgesetz der Verlagswelt mehrfach gebrochen habe. Ein Grundgesetz, dass ich vor allem bei Sachbüchern besonders eisern einhalte, denn ich bin ein gebranntes Kind. Einer meiner eigenen Verlage hatte einmal mein Exposé geschnappt, mir abgesagt, das Thema sei doch nicht so aktuell - und dann eine billige Schreibkaft an dasselbe gesetzt. Und meine Idee zum Rosenbuch wurde von einem Konzernverlag durch ein fieses Insidergeschäft abgekupfert, während ich selbst noch am Buch schrieb - das Konkurrenzprodukt erschien sogar gleichzeitig. Und ein dritter Verlag, bei dem meine Bewerbungsunterlagen gelegen hatten, machte ein Geschenkbüchlein daraus - zum Glück war das ein Flopp.

Man spricht nicht über ungelegte Eier - ganz großes Credo in der Künstlerwelt. Wir glauben nämlich wie die alten Griechen, die Schicksalsgöttinnen könnten etwas ablauschen und schadenfroh sämtliche Gülle über einem ausschütten, die auf dem Olymp zu haben ist. Und das dürfte nicht wenig sein, so oft, wie sich Zeus in einen Stier verwandelt! Man verrät keine Projekte, bevor sie nicht in trockenen Tüchern sind. (Schlagen die Schicksalsgöttinnen sonst mit nassen um sich?) Man verrät der Öffentlichkeit nichts über ein Buch, bevor es nicht in der Buchhändlervorschau steht. Wenigstens diesen Grundsatz kann ich leicht brechen: Mein Buch wird in keiner Vorschau vorkommen.

Der gestrige Vorgang war also nur für schreibende Sensibelchen aufsehenerregend. Ansonsten war es nur ein kleiner Punkt auf der Tagesordnung. Ich wurde bei der Hauptversammlung der Deutsch-Russischen Kulturgesellschaft vorgestellt und redete ein bißchen über mein neues Projekt, das bis gestern nur ein Plan, ein Traum war. Nun ist es also abgehakt. Genauso wie der Abend am 8. Mai 2012. Da gibt es Nijinsky um die Ohren, in Baden-Baden natürlich und öffentlich für alle - aber bis dahin ist ja noch viel Zeit.

Währenddessen stehe ich unter Erfolgsdruck. Ich werde also ein Opus mit dem Arbeitstitel "Russische Spurensuche in Baden-Baden" verbrechen müssen - so viele Zeugen waren dabei, dass ich unmöglich versagen darf. Der Titel ist bewusst dämlich gewählt, der wahre ruht aus Titelschutzgründen in den Abgründen meiner Schreiberseele. Die Kritik, die von manchen kam, es hätten doch schon so viele Leute irgendwelche Bücher über irgendwelche Russen in der Stadt geschrieben, ist natürlich berechtigt. Es gibt da alles mögliche, von der Lokalchronistenaufzeichnung bis hin zur Anekdotensammlung. Aber wie hat mir mal der Programmchef eines Verlags gesagt: "Wenn du ein Buch über Drachen schreiben willst und daran glaubst, dass es das Projekt wert ist, dann lass dich nicht davon irre machen, dass es schon 1000 Drachenbücher gibt. Man kann auch das 1001ste verkaufen, wenn es anders ist - und wenn es den Nerv der LeserInnen trifft." Ich habe sehr auf diesen Mann gehört, habe die 1001sten Romane über Frauen geschrieben, das 1001ste Elsassbuch und das 1001ste Buch über Rosen. Und jetzt kann ich nicht mehr anders, ich muss einfach alles anders machen ...

Das Buch soll im Stil zwischen meinem Buch über das Elsass und dem über Nijinsky angesiedelt sein. Ich möchte Menschen und Geschichte fühlbar und vorstellbar machen, keine Daten herunterrattern wie in der Schule. Mich interessiert nicht, an welchem Tag Turgenjew sein Schnupftuch gezückt hat und aus welchem Stoff es gewebt war; mich interessiert, wer mit ihm geklüngelt hat, ohne dass wir das heute so genau wissen. Mich interessiert auch nicht, um wie viel Uhr und wie viele Male Dostojewskij ins Casino ging und ob er unterwegs gegrüßt hat oder nicht. Mich interessiert dann mehr, was seine Frau Anna zu seiner Spielsucht meinte. Nur um einen kleinen Eindruck der Herangehensweise zu geben, an den am stärksten in der Literatur strapazierten Beispielen. Mich interessieren natürlich noch mehr diejenigen, die in dieser Literatur nicht oder kaum vorkommen.

Dafür will ich auch endlich einmal die ach so kleine Baden-Badener Szene verständlich in die Zusammenhänge der Weltgeschichte und der internationalen Beziehungen setzen. Das ist nämlich alles andere als ein Talkessel in der Provinz, in dem sich irgendwelche Berühmtheiten die Kante mit Thermalwasser gaben und ihr Geld verzockten. Hier war offensichtlich immer Ruhe genug, um auszubrüten, was zwischen Paris und Petersburg wichtig war. So viele sensationelle Treffen fanden an der Oos statt, von denen übrigens keines in all den vielen existierenden Büchern vorkommt - was mich sehr erstaunt. Aber dazu muss man die Regionalgeschichte verlassen ...

Jetzt kann ich es ja gestehen: Es ist ein verdammt mieses Gefühl, ein Exposé über ein Buch schreiben zu müssen, von dem man noch nicht einmal weiß, ob man je genügend Recherchematerial finden könnte. Kolleginnen und Kollegen werden die Panik kennen, die einen manchmal packt, wenn man bei Recherchen plötzlich steckenbleibt und nichts geht mehr. In solchen Momenten leidet eine Sachbuchautorin gewaltig. Denn ein fehlender Schlüssel kann ein ganzes Projekt zerschießen. Übel in Verlagen, die sich eine genaue Vorstellung gemacht haben. Aber diesmal kann ich - wie beim Buch über Nijinsky auch - frei in der Datensoße schwimmen. Die Geschichten bestimmen das Buch, nicht umgekehrt. Das Exposé liegt übrigens bereits in Händen der Übersetzerin. Es wird das erste Exposé in meinem Leben sein, das zeitgleich ins Ausland geht. Dorthin, wohin ich schon immer einmal reisen wollte. Muss ich noch sagen, dass ich eine fantastische Übersetzerin habe? Sie hat ein derart feines Sprachgefühl, dass sie in meinen deutschen Sätzen Fehler findet, die Lektorinnen übersehen.

Und dann ist mir gestern zum Glück die Idee gekommen, die Anwesenden um Hilfe zu bitten. Ich brauche Menschen, die ich über das "russische Baden-Baden" ausfragen kann, ich brauche Namen, um gezielter in Archiven zu suchen - und vielleicht weiß der ein oder andere eine Geschichte zu erzählen? Wenn schon öffentlich ein Buch schreiben, warum dann nicht ganz öffentlich?

Ich war ganz überwältigt, wie es nach dem offiziellen Teil nur so sprudelte. Es gibt sogar Zeitzeugen oder Nachkommen von Zeitzeugen. Es gibt Menschen, die in Baden-Baden eine große Rolle spielten und Wirkung hinterließen, von denen es nicht einmal die offizielle Geschichtssschreibung erzählt. Wahrscheinlich hatte ich irgendwann glühende Backen vor Faszination und Freude. Spätestens, als ich vom einstigen Tänzer der Ballets Russes, Balanchine hörte, oder von Anna Pawlowa. So viele Schätze für eine Schriftstellerin. Menschen, denen man stundenlang zuhören möchte.

Kurzum: Ich hoffe auf einen schnee- und eisarmen Winter. Vor mir liegt viel Arbeit: Mikrofiche-Lektüre, Gespräche mit Menschen, das Entziffern möglichst vieler Namen auf russischen Gräbern und Bestimmen derselben, Lektüre der alten Zeitungen. Und dann habe ich richtig ein schlechtes Gewissen, dass ich immer noch kein Russisch kann (ich bin gefühlt die einzige...). An Weihnachten werde ich eine Radikalkur beginnen: Ich lese Nijinskys Originalbücher so lange auf Russisch, bis ich sie verstehe!

Lernen muss ich außerdem. Diesmal geht es nicht nur um die gesamte Produktion eines Buchs (übrigens komplett durch Fachkräfte, ich häkele den Buchsatz nicht selbst) - sondern auch um Lizenzgeschäfte mit mir selbst. Die russische Version soll möglichst zeitnah erscheinen. Und das Thema Crowdfunding ist angesagt. Wir suchen nämlich Sponsoren. Denn ich denke, in einem Produktionsteam von Bücherfachmenschen kann man absolut professionell Bücher machen, die auch finanzierbar sein können, ohne dass man nebenbei einen Dieter Bohlen verlegen muss.

Und als wären da der Abenteuer nicht genug, gebe ich mir wahrscheinlich noch ein gutes Jahr, um mein Leben komplett umzukrempeln (in meinem Alter braucht man dafür leider etwas länger). Ich fühle mich plötzlich wo ganz anders "daheim". Natürlich werde ich damit fertig werden müssen, dass ich mir als Kind geschworen habe, dass mir das nie nie nie passieren würde. Nicht dort ... Zum Glück ändern sich Menschen und Orte! - Ihr seht also, eigentlich ist gar nichts Aufregendes passiert.
PvC um 12:22 4 Kommentare:

14. Dezember 2011

Irre Zeiten

Mein Amtswahnsinn mit der Krankenkasse ist ja immer noch nicht ausgestanden. Grund für das Chaos war ein Antrag auf Übernahme der Zusatzversicherung als Autorin, der damit gekontert wurde, dass ich als Autorin irgendwie nicht richtig sei auf diesem Amtswege und noch einen zusätzlich beschreiten müsse. Tonnen von Papier sind dazu nötig. Heute bekomme ich einen Brief vom gleichen Amt, in dem man mir schreibt: "Sie wissen doch, dass sie als Künstlerin Anspruch haben auf die Übernahme der Zusatzversicherung, machen Sie hinne, holen sie sich das Ding endlich!" Im Umschlag stak das Antragsformular, dass mir diese Volldebilen seit September immer wieder zurückweisen. Ob ich denen nun statt der anderen Formulare einfach ihren eigenen Brief schicke?
Wer Lust an solchen postkommunistisch wirkenden Zuständen hat oder gern Kishon liest, sollte schnurstracks nach Frankreich auswandern. Als Künstler selbstverständlich. Erwäge bereits, mir das Pseudonym Blaumilch zuzulegen.

Und wie war das mit der Ruhe? Heute Morgen habe ich die Schallmauer aller eigenen Rekorde durchbrochen: Exposée und Autorenbiografie - letztere in neuer Form - in anderthalb Stunden in die Tasten gehauen und an die Übersetzerin geschickt. Niemand wird mir glauben, wo sich das Ding herumtreiben wird. Ich glaube es selbst noch nicht.

Anschließend 60 km gefahren, um mir standesgemäß die bessere Sorte von Krimsekt zu kaufen (na ja und anderes auch). Die wird morgen Nacht geköpft. Am Freitag kann ich vielleicht verraten wofür.

Am Samstag verrate ich, wen ich für DEN Nachwuchsautor des Jahres 2011 halte und warum. Dann gibt's noch einen Tipp für den bestverstecktesten Trüffel an Literatur und das beste journalistische Buch des Jahres. Wie immer gnadenlos subjektiv und selbstherrlich ausgewählt, es sind weder Bestechungsgelder noch Buchgeschenke ausgetauscht worden. Na, wenn das keine Einleitung zu meiner schöpferischen Pause ist!?
PvC um 18:39 Keine Kommentare:

12. Dezember 2011

Radikalität statt Weihnachten

Schon lange nicht mehr habe ich einen solch offenen und berührenden Situationsbericht einer Autorin gelesen, die auf Verlags- oder Agentursuche ist. Nikola Hotels "Jahresabschluss und ehrliches Resumée" leistet aber noch viel mehr: Selbst alte Hasen können beim Lesen innehalten und sich fragen, wie konsequent man eigentlich am eigenen Fortkommen tatsächlich gearbeitet hat. So viele falsche Versprechungen, Umwege und immer wieder das verdammte Scheitern säumen den Weg von Schriftstellerinnen und Schriftstellern.

Mich hat sie damit direkt in die Magengrube getroffen. Ich weiß selbst, dass ich mich im Moment zwischen Behördenwahnsinn und der Jagd nach neuen Brotaufträgen schlichtweg aufreibe. Ein Ende ist in Sicht, aber mein Schreiben hat sich seit zwei Wochen reduziert auf Bloggen und Facebook. Weil ich schlicht keinen Kopf mehr habe, um abzutauchen in die Welten, aus denen Bücher entstehen. Die Auswirkungen eines solchen Lebens habe ich komplett unterschätzt. Ich vegetiere, ich lebe nicht. Ich werde krank, im wahrsten Sinn des Wortes, und schleppe mich durch einen Alltag, den ich so nicht länger ertragen will. Ich hätte nie gedacht, wie schlimm Schreibentzug sein kann, wie notwendig das Bücherschreiben für mich ist. Manchmal stehle ich mir mitten in der Nacht ein wenig Zeit, weil ein Text aus mir herausdrängt, aber das rächt sich beim Aufstehen am nächsten Tag.

Ich mache es jetzt wie Nikola Hotel. Eien ganz brutale Woche muss ich noch hinter mich bringen. Dann einem Kunden noch einen Entwurf fertig machen. Anschließend bin ich für niemanden mehr zu sprechen (außer natürlich den guten Freunden und der Familie). Ich werde bis zum Jahresende genau das machen, was meiner Gesundheit so gut tut und was ich brauche wie das Atmen: Ich werde schreiben. Und damit meine ich das "wirkliche" Schreiben. Zielgerichtet, stur und ablenkungsfrei. An meinem Roman, der zuerst nur mir gehören wird, in den all diese in der Nacht hingekritzelten Texte münden werden. Das Sachbuch und alles andere hat Zeit bis 2012. Jetzt ist erst einmal Radikalität statt Weihnachten angesagt. Danke fürs Bewusstmachen, Nikola!
PvC um 16:42 4 Kommentare:

8. Dezember 2011

E-Book-Industrie

The Content Wrangler bietet in einer Infografik ein auch für Laien verständliches Bild der E-Book-Industrie in den USA. Die Ergebnisse über Umsätze, Verkäufe, Anteile, Reader oder Probleme dürften in Teilen auch diejenigen überraschen, die sich beruflich mit dem Thema beschäftigen. Anhand der Infografiken kann man auch ungefähr ablesen, wie hinterwäldlerisch sich der deutschsprachige Markt derzeit noch geriert.
Es wäre an der Zeit, endlich auch einmal für diesen ähnliche Studien durchzuführen, damit die Kaffeesatzleserei ein Ende hat.
PvC um 12:07 Keine Kommentare:

7. Dezember 2011

Best of

Blogstatistik auswerten:
  • 1615 LeserInnen wollten Haare schneiden
  • 1009 LeserInnen suhlten sich im Meer des Wahnsinns
  • 738 GärtnerInnen wollten Rosenschädlinge bekämpfen
Was lerne ich daraus?
Meine polnischsprachigen Artikel für den Warschauer Kosmetikerinnenverband haben mich mehr geprägt als befürchtet. Mein früherer Job als Aushilfsgärtnerin war nicht umsonst. Und als Journalistin kann ich mir wohl gleich die Kugel geben?

Apropos Blogs und so ... Schreibteufelchen Christa hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass in den Brigitte-Foren über mich gelobhudelt wird. Das geht natürlich runter wie Erdöl!
PvC um 17:28 Keine Kommentare:

Lesefrüchte

Lust auf ein wenig Surfen durch die Kultur? Meine Tipps sind bunt heute. Zum Stichwort PR und Texten fand ich einen feinen Artikel über die Fragologie im Beruf einer Texterin - er fasst sehr gut zusammen, wie man sich einem Thema und seinen Kunden annähert.

Fragen gestellt haben auch die Kult-Literaten. Ihre (nicht ganz repräsentative) Umfrage "Was fehlt Ihnen an der heutigen deutschen Literatur" förderte Überraschendes zutage: Die Leserinnen und Leser fühlen sich permanent unterfordert! Dazu hat sich eine hochinteressante Diskussion bei Facebook ergeben.

In eine ähnliche Kerbe haut die bekannte Publizistin Cora Stephan in der Zeitung "Die Welt". Cora Stephan schreibt unter dem Pseudonym Anne Chaplet Romane. In diesem Artikel gibt die den ewigen Zauderern und Nörglern ironisch Saures und ruft: "E-Book, ich komme!" - Mit dem Untertitel "Eine kleine Geschichte der Aneignung der Produktionsmittel durch den Autor nebst Überlegungen, die Zukunft betreffend"

Aber Zukunft wird ja bekanntlich meist woanders gemacht. Während sich in Deutschland der Börsenverein noch darum kümmert, dass das "Prinzip Buch" brav definierbar bleibt, ist der hochbegabte amerikanische Schriftsteller Jonathan Safran Foer schon wieder für eine Überraschung gut. Sein "Stanzbuch" Tree of Codes ist Kunst, für die Rezensionen nicht reichen - und darum werden gleich Videos davon nachgereicht.

Zukunft könnte auch in Sachen Feuilleton eingeläutet werden. Die NZZ berichtet über Feuilletonisten und Kulturjournalisten, die vom üblichen Betrieb die Nase voll haben und nach alternativen Wegen suchen. Das Internet bietet nun zumindest für Theaterbetriebe Alternativen - doch die Finanzierungsformen sind höchst umstritten. Vieles mag im Experimentierstadium scheitern, einiges nicht ganz durchdacht sein, aber es formiert sich offenbar tatsächlich eine ernstzunehmende Konkurrenz zu den Zeitungen. Ich träume ja schon lange von einer wirklich professionellen Alternativ-Kritikerplattform für Independent- und kleinere Verlage, die zu wenig ins offizielle Feuilleton gelangen. Nur wäre auch da die Finanzierung der große Knackpunkt. Gekaufte Rezensionen können es einfach nicht sein.

Und wer sich nach so viel positiven Zukunftsnachrichten noch ein wenig gruseln möchte, der sei zum Projekt des Illustrators Dave DeVries geschickt, der kleine Kinder darum bat, Monster für ihn zu zeichnen. Er selbst malte sie dann beeindruckend aus. Gruslig fand ich eher einige Kommentare von besorgten Erwachsenen. Sie hatten wahrscheinlich die Originalseite nicht gelesen (die leider derzeit abgestürzt ist): The Monster Engine. DeVries entwickelt seine Kunst nicht gegen die Kinder, sondern mit den Kindern und geht damit in Schulen. Und wenn sich jemand wirklich schauderhafte Monster ausdenken kann, dann doch Kinder und Kind gebliebene Erwachsene!

Übrigens - wer meine Surftipps mag - in Echtzeit bringe ich diese und noch viel mehr, öffentlich sichtbar, bei Facebook. Man muss dafür nicht mit mir befreundet sein, sondern kann sie einfach abonnieren. Und dann gibt es dort natürlich auch meine offizielle FB-Autorenseite - siehe rechts im Menu.
PvC um 14:10 Keine Kommentare:

Sag niemals nie

Ich bin dafür, den Beruf des künstlerischen Gelegenheitsarbeiters wieder einzuführen. Denn wie sagte eine mit Amtsangelegenheiten wohl vertraute französische Beraterin kürzlich zu mir: "Die schlimmsten Probleme mit Ämtern haben Künstler, weil sie in kein Schema passen, weil sie Patchworkexistenzen leben - und weil sie arm sind." Wäre da also nicht der ständige aufreibende Krieg mit einer Administration, die nur schnurgerade, "ordentliche" und geregelte Berufe kennen will, dann kann das Patchworken sehr belebend und spannend sein. Oder wie gestern jemand meinte: "Man weiß nie, wozu man erworbenes Wissen einmal gebrauchen kann."

Als ich noch jung und starrsinnig war, sagte ich sehr oft "nie". Nie mehr will ich über Hasenzüchterversammlungen schreiben! Aber steckt nicht in allen "Events" auch manchmal eine Hasenzüchterseele? Nie wieder schreibe ich einen Roman! Und wie soll ich das Gekröse nennen, das manchmal mitten in der Nacht aufs Papier herausbricht und sowas von belletristisch ist ...? Nie wieder mache ich PR! So ähnlich sprach ich das tatsächlich einmal aus, als ich meine PR-Agentur schloss und in Polen eine Medienagentur aufbaute. In Polen habe ich zum Glück gelernt, dass man besser niemals nie sagt. Denn man weiß nie, wozu man sein Wissen noch gebrauchen kann. Und das Leben schließt sich ja bekanntlich in eigenartigen Kreisen zu Patchworkmustern.

Ich habe es gar nicht bemerkt und bin so langsam - neben der Übersetzerei - in den alten Beruf zurückgewachsen. Diesmal allerdings auf einer fast "literarisch-kreativen" Ebene. So macht PR mir wieder Spaß. Dass ich sie mit meinem Denken als Schriftstellerin würde verbinden können, hätte ich im jugendlichen Starrsinn nie für möglich gehalten. Natürlich ist auch diese Art des Berufs nicht in Amtsblättern vorgesehen. So einen Mischmasch tut man nicht. Aber ich fand dann tatsächlich den Beruf des "literarischen Werbetexters" im Internet. Was es nicht alles gibt!

Seit gestern habe ich einen neuen Kunden mit einem höchst herausfordernden Auftrag, der einfach riesig spannend klingt. So verschiebt sich mein Leben insgesamt weg vom Buch, hin zu einem Austoben von Kreativität auf anderen Ebenen, in anderen Formen. Ob das dem Bücherschreiben schadet? Eher nicht. Der "Brotberuf" macht Spaß, ist befriedigend, und ich lerne eine Menge Neues dazu, bewege mich in mir unbekannten Welten, erlebe andere Herausforderungen. Inzwischen bin ich in vier Sprachen unterwegs, wobei es bei der vierten leider nur zu rudimentärem Verstehen reicht - aber wir haben ja noch drei andere. Aber das ist das Leben, das ich immer gern geführt habe - Grenzgängerleben.

Nach drei Stunden intensiver Sitzung und einem langen Tag dachte ich, ich müsse müde sein. Stattdessen war auf einmal alle Energie fürs Schreiben wieder da. Es ist nämlich ungemein motivierend, in einem Beruf tätig zu sein, in dem man auch einmal Feedback und Wertschätzung erfährt. Und nicht einfach ein: "Ja, das Manuskript ist angekommen, war nett". Noch in der Nacht fiel mir ein, wie ich mein Exposée anlegen könnte, das ich nächste Woche abgeben muss.

Würde ich noch normal und in "ordentlichen" Bahnen denken können, wäre die Sache mit dem neuen Buch gefühlsmäßig wahrscheinlich irgendwo zwischen Harakiri und Kamikaze angesiedelt. Ich habe nicht einmal genug Recherchestoff auftun können, um Konkretes aussagen zu können. Aber in langen Jahren des Schleifens in Verlagen habe ich gelernt, wie man aus Gummi ein Produkt macht. Nun bewerbe ich mich also zum ersten Mal mit einem Exposée nicht bei einem Verlag, sondern bei potentiellen Geldgebern. Und werde wohl alles in Eigenregie (mit freien Mitarbeitern / Fachkräften) durchziehen - vom Schreiben über das Gestalten bis hin zur Auslandslizenz. Das nimmt mir ein wenig den Atem und macht auch ein wenig Angst. Aber das habe ich bei "Faszination Nijinsky" gelernt: Man muss nicht alles selbst können. Man kann sich helfen und beraten lassen.

Und warum ich das selbst mache? Es gibt keine Verlage für diesen Bereich. Und bei den wenigen, die dafür in Frage kommen könnten, hakt es bei der Grafik oder im Vertrieb. Ich kaufe lieber professionelle Grafik hinzu. Auch formal wird es ein gewagter Spagat: Werde ich eine Hybridform aus meinem Elsassbuch und der Erzählform im "Nijinsky" schaffen?

Harakiri oder Kamikaze? Keine Ahnung. Ich weiß nur, bevor mich einmal der Altersstarrsinn ereilen mag, ist es Zeit, Neues auszuprobieren, wieder und wieder ins kalte Wasser zu springen und zu lernen lernen lernen. Ob am anderen Ende genau das herauskommt, was man hat erreichen wollen, ist zweitrangig. Wichtig ist, dass Wissen und Erfahrung nicht verloren gehen. Wer weiß, wofür man beides noch gebrauchen kann.
PvC um 13:33 Keine Kommentare:

3. Dezember 2011

Occupy your art!

Ich habe eine Kollegin, die wunderschöne, sehr poetische Romane schreibt. Unter Pseudonym hat sie "Gebrauchsliteratur" in renommierten Verlagen veröffentlicht. Ihr Comeback unter eigenem Namen scheitert seit Jahren - in ihrem speziellen Themenbereich ist Schrilles und Plakatives angesagt. Inzwischen hat sie eine Schublade voller Briefe von Verlegern und Programmchefs, die alle das Gleiche aussagen: "Ich würde Sie sofort und mit Kusshand veröffentlichen, Sie sind hoch begabt, aber leider ... der Markt ... dagegen komme ich nicht an, da macht die Programmkonferenz nicht mit, die will "Gängiges."

Ein anderer Kollege verhungerte über Jahre am langen Arm einer großen renommierten Literaturagentur. Immer wieder hat man versucht, ihn zu bearbeiten, doch "gängigere", einfachere Texte zu schreiben, nicht so viel Anspruch in seine Bücher zu legen. Seinen kleinen feinen Verlag hat er nun selbst gefunden - einen Verlag, der sich Genre ohne 0815-Schema noch leisten mag. Damit geht es ihm wie einem Schriftsteller, dessen Erstling im Konzernverlag abging wie eine Rakete und trotzdem wegen Programmänderungen eingestampft wurde - auch er ist mittlerweile bei einem kleinen Verlag gelandet. Mit Zwangspause. Jahre voller Selbstzweifel und Schreibblockaden liegen hinter ihm. Denn wie so viele Autoren bezog auch er jeden Misserfolg auf die eigene Person, auf das eigene Schaffen.

Und da ist dann noch das Heer der anderen, zu denen auch ich zähle. Man hat sich nie einen großen Namen machen können, aber irgendwie alle Katastrophen und Widrigkeiten schlecht und recht überlebt. Der kräftezehrende Spagat zwischen dem Zwang, Lebensunterhalt verdienen zu müssen und sich trotzdem Freiräume für das Schreiben schaffen zu können, ganz ohne Stipendien und Preise, stutzt die Kreativität zwischenzeitlich auf ein ungesundes Maß zurück. Aber man erobert sich das Schreiben immer wieder zurück. Manche Kolleginnen und Kollegen beweisen hier eine erstaunliche Konsequenz: Sie hören auf. Sie wechseln einfach den Beruf und schreiben keine Bücher mehr. Nicht mehr für andere, nicht mehr für sich selbst. Keinen Erfolg im Außen zu haben, ist für sie ein Zeichen dafür, dass sie sich womöglich selbst mit allzu großen Illusionen betrogen haben. Manchmal haben sie recht. Manchmal gehen so Talente unter.

Was aber ist Erfolg in der Kunst? Haben wir Autoren erst dann Erfolg, wenn uns eine Agentur unter die Fittiche nimmt (und womöglich nicht vermittelt), wenn wir im Publikumsverlag veröffentlicht werden (und womöglich gleich darauf verramscht) oder uns die Fans laut zujubeln?

Wer so fragt, glaubt auch an die Bestsellerformel. Der ist ständig auf der Suche danach, was "der Markt wünscht", immer darauf bedacht, sich gegenüber einem Hirngespinst von "Zielpublikum" selbst zu optimieren. Das ist wie mit Botox: Der Körper wird süchtig nach den Eingriffen und hinterher sehen alle gleich glatt aus. Wer verwechselbar wird, wird leichter austauschbar. Der Markt verschlingt auch seine Künstler.

Gert Scobel hat in der Sendung "Geld oder Leben" in 3sat (Videos s. Link) zusammen mit Beteiligten über Erfolg in der Bildenden Kunst nachgedacht. Was dabei herauskam, lässt sich auf den Bereich der Literatur bestens übertragen. Vor allem das Interview mit dem Maler Jonas Burgert war für mich sehr aufschlussreich. Obwohl es in der Sendung auch um sehr viel Geld ging, ließe sich die Essenz auf einen kurzen Nenner bringen:
"Wer primär nach finanziellem Erfolg und hohem Konsumwert seiner Kunst schielt, geht in der Regel baden."
Ein ziemlicher Knaller, wo doch die Sendung gleichzeitig herausarbeitete, dass der Kunstmarkt inzwischen genauso durchgeknallt wie die Börse reagiert und Geld gegen Kunst verschiebt, dass einem schwindlig werden kann.
Das ist auch eine brisante Aussage angesichts der Haltung in der Buchbranche, gute Autoren messe man an ihrer Verkäuflichkeit, dem Profit, den sie bringen, dem Nutzwert für ein Zielpublikum. Doch wie viele Autoren haben genau diese konsumistische Haltung derart verinnerlicht, dass sie an sich zu zweifeln beginnen, wenn sie in diesem Marktwahnsinn nicht gleich nach ganz oben kommen! Ist es Zeit für "occupy yourself" und "occupy your art"?

Poster by cgwalnut at http://www.occupytogether.org 
Die wirklich Erfolgreichen, so möchte man nach der Sendung meinen, haben nichts anderes getan, als zu atmen. Es waren durchweg Künstler, die nicht anders können, als Kunst zu schaffen; die Kunst als Lebenselixir brauchen, so wie andere Menschen eben Luft holen. Sie haben nicht aufgegeben. Sie haben sich nicht brechen lassen. Sie haben nicht an sich gezweifelt, trotz aller Zweifel, die sie an einzelnen Werken haben konnten. Sie haben sich nicht um Gedanken an Erfolg und Markt geschert, sondern darum, ihre ureigene Ausdrucksform und Kunst immer besser zu entwickeln. Sie haben geschuftet wie die Berserker, egal wann und wie.

Das war schon einmal die halbe Miete (abgesehen vom Talent und handwerklichen Können). Und natürlich kam noch eine Menge hinzu - Faktoren, die man nicht willentlich beeinflussen kann. Diese Künstler ruhten derart in ihrer ganz eigenen Art von Kunst, dass sie sich auch intuitiv auf die richtigen Kontakte konzentriert haben. Sie haben sich nicht im Atelier eingeschlossen und gejammert, sondern sind nach außen gegangen. Wollte der Kunstmarkt nicht mitziehen, waren keine Galerien bereit, dann suchten sie eben ihr Publikum selbst, ohne Vermittler. Auf vielen direkten Kanälen vom Internet bis zum Flohmarkt.

Dort sind sie aufgefallen, weil sie anders waren. Weil Persönlichkeiten hinter den Werken steckten. Oder weil sie verstörten, aufschreckten, überraschten, forderten. Das vom allgemeinen Brei übersättigte Publikum ist mehr als bereit für fordernde Künstler. Diese Leute hatten anderen Leuten mit ihrer Kunst etwas zu sagen - auch wenn sie von breiten Massen vielleicht verlacht wurden. Und es kam etwas hinzu, was einem in der Kunst immer in die Höhen helfen muss: Glück, Zufall. Das richtige Werk hing zur richtigen Zeit am richtigen Ort; der richtige Betrachter kam vorbei, entdeckte es, machte es bekannt, förderte den Künstler. Erfolg in der Kunst, so wie ihn viele erträumen, ist ohne Entdecktwerden und ohne Förderung von begeisterten Menschen nicht möglich.

Etwas aber war bei den Künstlern und Galeristen im Film anders als früher. Es reicht in unserer Zeit offensichtlich nicht mehr aus, nur auf das eigene Talent zu setzen und auf den Zufall zu warten. Dem Glück will nachgeholfen werden. Und so haben sie alle etwas gemeinsam, was in Zeiten der Romantisierung von Bohème noch verachtet wurde: Sie haben ein Talent, sich öffentlich darzustellen und sich zu verkaufen. Ich möchte es darum Talent nennen, weil es nie um schnödes Anpreisen einer Ware ging, um dieses wohlfeile Anbaggern von "Zielpublikum".

Die geschäftstüchtigsten unter diesen Künstlern haben ihrem Publikum etwas zu geben, das mit Geld nicht zu messen ist: Emotionen, Lebensgefühl, Kommunikation, Freude, Glück und Stoff zum Nachdenken. Mit steigender Berühmtheit schenken sie ihrem Publikum sogar Status und ein Gefühl, dazu zu gehören - womit wir wieder bei den Gefühlen wären.

Ist das bei uns Buchautoren so anders? Sind nicht auch Bücher sehr viel mehr als nur eine Ware, die sich im Preis bemessen lässt? Schenken nicht auch wir satte Emotionen bis hin zur Kommunikation mit dem Autor? Sind nicht auch bei uns der einmal berührte Leser, die einmal glücklich gemachte Leserin, viel treuer als mit Werbung und Stapeln und schrillen Klappentexten zugeschüttete "potentielle Käuferschichten"?

Noch etwas hat mich hellhörig gemacht in diesen Interviews. Da hieß es immer wieder, dass Künstler, so sie denn eines Tages Erfolg haben möchten, zunächst einmal reichlich Kunst schaffen müssten. Und reichlich von dieser Kunst nicht so sehr an die Vermittler bringen, sondern direkt ans Publikum. Die Bildenden Künstler nutzten dafür Mittel vom Internet bis zum Flohmarkt. Die Galeristen kamen allesamt erst in der Spätphase. Was wäre aus diesen Berühmtheiten geworden, wenn sie Jahr um Jahr nur auf die eine ideale Galerie gewartet hätten, die womöglich nicht einmal zu ihnen gepasst hätte?

Occupy your art! Schaffe wie der Berserker an dir und deiner Kunst. Entwickle dich. Aber warte nicht auf die 1%, die dich über Nacht berühmt machen könnten, nur weil sie sich genügend Profit ausrechnen können. Zeig dich den 99%, die einmal deine Kunst kaufen werden. Wege, um aus dem eigenen Atelier hinauszugehen, gibt es viele. Manchmal muss man sich dafür das eigene Rückgrat zurück erobern, manchmal reicht es, naiv und neugierig zu sein. Das Publikum ist da - es wartet nur manchmal ganz woanders, als da, wo wir es erwarten.
PvC um 14:59 10 Kommentare:

30. November 2011

Frei-Tag

Madame erholt sich, holt sich einen heiligen Weihnachtsschrecken und ist ganz gespannt auf eine Nijinsky-Rezension, die morgen*** erscheinen soll. Bleibt brav.
Sie ist erschienen.

Und eben ein neues Feature bei Blogger entdeckt - ich kann jetzt Links setzen, die auf eine neue Seite führen. Dadurch muss keiner mehr durch Linkklicken mein Blog verlassen.
PvC um 14:55 Keine Kommentare:

27. November 2011

Saumäßig

... stolz bin ich auf mich. Saumäßig ist auch, was vor mir liegt: 12 Seiten Kauderwelsch-Formulare der feinsten Sorte, denn nicht einmal die Franzosen können mir erklären, was genau darin steht. Und ich habe bis auf zwei Punkte alles allein durchgewurstet. Mit Wörterbuch und Deppenlogik, wozu bin ich Übersetzerin, wozu trainiere ich als Autorin ständig Empathie auch noch für den miesesten Antagonisten. Ein Packen Papier liegt da, inklusive Adressen und Belege all meiner Klienten aus zwei Jahren und jeder einzelnen Zahlung, nebst Geburtsurkunde, Angaben über die Elterngeneration und Aufenthaltsgenehmigung. Noch nie habe ich eidesstattlich so stattlich viel erklärt. Dat jeht dann mal nach Paris. Und dann machen die in Paris mit denen in Strasbourg rum. Und dann werde ich hoffentlich irgendwann mal endlich wieder krankenversichert, bevor ich gestorben bin.

Künstlersozialkasse à la francaise.
Suche Land, in dem man fürs Künstlerdasein nicht bestraft wird.
Und schädige jetzt erst mal meine Leber mit einem Glas Billig-Weng-Mussöh und höre mir das Verröcheln des Zaren in Boris Godunov an. Feine Oper für Amtsgeschäfte! (Im Video übrigens der meiner Meinung nach beste Darsteller - Boris Christoff)

PvC um 19:39 2 Kommentare:

26. November 2011

Schwimmende Bücher

Gestern war es so weit. Ich übertrug die Buchdatei von "Faszination Nijinsky" in das Programm Mobipocket Creator, das - so heißt es - aus einem Word-Text eine .mobi-Datei erstellen soll - das Format, das Amazon für seinen Kindle nutzt. (Nebenbei: Das eigentlich weiter verbreitete Format für andere Händler und andere Lesegeräte ist epub. Aber Amazon ist im Moment am dicksten im Geschäft, so dass sich das für Anfänger lohnt).

Was ich sah, war erschreckend. Das war es natürlich deshalb, weil ich mir bei der Originaldatei schier einen abgebrochen habe mit Layout und Typografie - schließlich sollte das gedruckte Buch edel werden. Wer nächtelang über solch einem Buchsatz gebrütet hat, der hat ein Gefühl für Aufteilungen und Rhythmen verinnerlicht. Deshalb saß der Schock tief: Aus meinem "Nijinsky" wurde mit einem Klick ein breitfließender Brei, ein Buchstabendschungel.

Zuerst werde ich alle Sonderzeichen ersetzen müssen - die können Reader nämlich nicht lesen. Weg mit den wunderbaren Jugendstil-Texttrennern, her mit den nichtssagenden Sternchen. Weg mit jeder typografischen Gestaltung, weg mit allen Sonderformatierungen (eine Website hat mehr!). Das Buch wirkt wie dicke Buchstabensuppe, aber unverdaulich. Nun muss es für den Reader strukturiert werden. Und genau hier setzt ein völlig anderes Denken an. Beim Reader bestimmen die Leser selbst, in welcher Schrift und Schriftgröße sie das Buch lesen wollen. Da ist es egal, ob ich mir extra eine wunderbare Schrift gekauft habe, weil sie die Zeit meines Buchs atmet und womöglich in sich schon eine Stimmung transportiert. Mein Buch muss nun in allen verfügbaren Normschriften lesbar sein.

Und dazu muss man sich mit Relativität anfreunden. Alles ist relativ. Ich bestimme nicht mehr selbst, dass eine Überschrift 14 Punkt groß ist. Der Reader interessiert sich für Relationen: Wie viele Punkt ist sie größer als der Text? 4 Punkt? Das ist wichtig. Denn stellt ein Weitsichtiger seinen Readertext auf gefühlte 14 Punkt ein, sieht er eine 18-Punkt-Überschrift.

Es gibt auch keine Seiten mehr. Der Text blubbert vor sich hin. Nur noch Kapitel erhalten am Ende einen eigenen Seitenumbruch, was auf dem Reader für eine sichtbare Pause in der Blubberei sorgt. Je nach Bildschirmgröße des Geräts stehen dann auch mal zwei Zeilen allein auf dem nächsten "Scroll", die man im Print in mühevoller Kleinarbeit extra zum Kapiteltext gebracht hat, weil sie nicht allein stehen sollten.

Ich will hier eigentlich nicht auf die technischen Unterschiede zwischen Print und E-Book eingehen. Mir fiel als Autorin nämlich ein völlig anderes Phänomen auf, das mir bisher in Untersuchungen völlig unbeachtet scheint. Es gibt inzwischen Studien, wie sich unterschiedliche Buchformen auf das Leseverhalten auswirken könnten. Hat sich aber jemals jemand damit befasst, wie sich E-Books auf das Erschaffen von Literatur auswirken könnten?

Wenn ich ein neues Buch beginne, verbringe ich am Anfang die meiste Zeit damit, den richtigen Erzählton zu finden, die adäquate Sprache und Form für meinen Inhalt. Bei mir hat das sehr viel mit Komponieren gemeinsam, denn ich bin besonders sensibel für die Klänge und Rhythmen von Sprache. Stimmt mein Ton endlich, so bekommt das Erzählte einen eigenen Atem, es wird lebendig und trägt mich über das zu schreibende Buch hinweg. Es kommt auch schon einmal vor, dass ich Sätze tanze oder klopfe, um sie besser zu spüren. Ich setze keine Absätze, weil es vernünftig wäre an einer gewissen Stelle oder weil "man" das dort macht. Ich setze sie wie Pausen in einem Musikstück, nach Klangfarbenveränderungen oder für die Rhythmik. Deshalb braucht es manchmal größere und manchmal kleinere "Blickabschnitte".

All das ist plötzlich weg, wenn ich den Text für ein E-Book umformatiert habe. Gewiss, ein Absatz ist weiterhin ein Absatz. Aber die Absätze gruppieren sich nun nicht mehr nach meinem Empfinden, sondern nach technischen Anforderungen. Der lange Atem, der auf Buchseiten sichtbar bleibt, geht verloren, zugunsten eines kurzatmigeren Rhythmus. Ich habe das Gefühl, in meinem Text zu schwimmen, in einer Unschärfe. Meine Gedanken sind nicht mehr eindeutig sichtbar, nicht mehr greifbar - etwas wie Dunst lagert sich um sie.

Natürlich kann ich meine Texte weiterhin mit ganz normalen Seiten in Word entwerfen. Natürlich muss ich ein Buch loslassen, es durch den Leser rezipieren - und nun auch optisch verändern lassen. Würde ich jedoch gleich im Hinblick auf die E-Book-Gestaltung schreiben, so würde mein Schreiben ein anderes - dessen bin ich mir sicher. Ich hätte den "Nijinsky" anders geatmet. Ich hätte meine Leser nicht mehr über die gleichen Strecken Sinneinheiten begreifen lassen. Vielleicht würde ich nicht einmal mehr von ihnen verlangen, sich über drei "Reader-Seiten" etwas zu merken.

Würde ich schnellere Literatur schreiben? Leichtere, kürzere? Würde ich noch Sätze tanzen, die in Maximalschrift - übertrieben gesagt - eine Seite ausfüllen würden? Bin ich überhaupt bereit, meine Schöpfungen an eine äußere Form von "Buch" anzupassen? Oder zwingt mich die Form eines Tages zu anderen Inhalten?

Ich glaube fest daran, dass sich das Phänomen E-Book auch auf das Schreiben selbst auswirkt. Ich habe in der Schublade extrem kurze Geschichten, die ich einmal im Scherz "1:30er" nannte. Ich wollte experimentieren, ob man eien Geschichte in der Zeit erzählen kann, die ein Nachrichtenbeitrag hat: eine Minute und dreißig Sekunden. Die Stories sind extrem schnell, sprunghaft, verrückt. Auf Papier wirkt das komisch. Sie wurden deshalb online veröffentlicht, weil man nur einmal am Bildschirm scrollen muss. Das ist für mich ideales Schreiben für den Reader. Der "Nijinsky" ist nur eine Verbeugung vor dem Publikum, das lieber elektronisch liest. Aber das ist Papierliteratur. Das ist Sprache, die Typografie und Layout verdient. Ich glaube deshalb fest daran, dass wir in Zukunft auch neue Formen der Literatur entwickeln werden - aber die alten werden deshalb nicht untergehen. Es sei denn, die Menschheit verblödet vorher noch völlig...
PvC um 11:37 11 Kommentare:

25. November 2011

Die Grünen gegen ein ganzes Ökosystem

Mein Grundsatz war bisher, im Internet keine Politik zu machen. Aber das, was jetzt kommt, klingt so absurd und verrückt, dass man es für einen Hoax halten könnte oder für das Hirngespinst eines Regimes irgendwo in Hinterasien. Leider ist es bodenständige bundesdeutsche Realität: Die Partei Bündnis 90 / Die Grünen wollen am Wochenende bei der Bundesdelegiertenkonferenz einen Leitantrag stellen, der droht, KünstlerInnen zu enteignen. Sie geben sich darin wie Möchtegern-Piraten, schließlich geht es um Wählerstimmen. Grenzenloser und superleichter, preiswerter Konsum von künstlerischen Erzeugnissen soll als Versprechen wohl noch die letzten Billigheimer hinterm Ofen vorlocken.

Der Leitantrag hat es in sich. Vollmundig und vordergründig wird behauptet, man wolle die KünstlerInnen stärken. Gleichzeitig haben sich die Grünen offensichtlich auf die Fahnen geschrieben, eines der wichtigsten Ökosysteme einer Gesellschaft zu zerstören - nämlich die Lebensgrundlage von KünstlerInnen und Kulturschaffenden. Die Ideen der Grünen klingen abstrus, sind aber brandgefährlich:
»Eine deutliche Verkürzung bzw. Flexibilisierung der Schutzfristen z.B. auf fünf Jahre muss mit der Möglichkeit der Neuverhandlung einhergehen. Das bedeutet: Eine fünfjährige Schutzfrist ab Veröffentlichung mit anschließender, gebührenpflichtiger mehrmaliger Verlängerungsoption...«
Einfach gesagt: Die Grünen wollen schnell mal das in Europa hart erkämpfte Urheberrecht auf fünf Jahre herunterbiegen. Danach muss man für das Urheberrecht entweder löhnen - oder ein anderer löhnt und bereichert sich an den künstlerischen Erzeugnissen. Ja, das muss man sich langsam im Hirn zergehen lassen!

Das ist aber noch nicht alles. Wer das Geschwurbel aufmerksam liest, wird noch andere Überlebensleckerli für Künstler und Kulturschaffende finden. So werden die Plattformen in ihrer Macht gestärkt, die jetzt schon die Milliarden verdienen, Contentpiraterie soll von jeglicher Strafverfolgung befreit werden und die öffentlich-rechtlichen Sender sollen verpflichtet werden, ihre gesamten Archive kostenlos öffentlich zu machen. Auch die nicht-kommerzielle Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken soll künftig nicht mehr der Zustimmung des Urhebers bedürfen - jeder soll mit den Werken anstellen können, was er will, sofern er kein Geld verdient. (Nur mal ein Beispiel angedacht: Ich kann dann künftig aus "echten" Büchern Copy & Paste-Texte basteln und kostenlos ins Netz stellen, ohne deren Urheber fragen zu müssen.)

Der einzige Trost bei diesem Enteignungswahnsinn mag sein, dass der Leitantrag politisch derart unausgegoren ist, dass er auf europäischer Ebene nur lächerlich wirken kann, würde sich Deutschland in Sachen Urheberrecht derart isolieren. Trotzdem - was auf Parteitagen gedacht und beschlossen wird, bekommt bekanntlich schnell Junge. Als Betroffener kann man sich nicht früh genug wehren. KünstlerInnen und Kulturschaffende sollen mit einer wolkig angedachten Art von Kulturflatrate abgespeist werden. Sie verlieren aber nicht nur ihre Lebensgrundlage. Sie verlieren - sollte so ein Unsinn Politik werden, das wichtigste immaterielle Gut eines Künstlers: die Fähigkeit, über das eigene Werk zu entscheiden, die Schöpfungsmöglichkeiten in eigenen Händen zu halten.

So aber wird Kunst zum reinen Kommerz, nach Trockenlegung des Biotops der Künstler haben wir dann künftig "Contentbastler" und fröhliche Verwerter. Totaler Konsumismus nun also auch bei den Grünen, politischer Klimawandel. Geiz ist geil! Was braucht eine Gesellschaft Kulturschaffende, wenn sie seltene Tierarten schützt? Für mich sind die Grünen mit diesem Antrag unwählbar geworden. Dass ich sie in der Vergangenheit schon gewählt habe, dafür schäme ich mich.

Der Protest aus Kulturkeisen formiert sich. Gebt die Informationen weiter und beschwert euch - sofern zu den betroffenen Berufen zählend - direkt bei den Grünen. Denkt daran: Kommentare in diesem Blog nützen nicht viel - schenkt sie den "Urhebern" dieses Leitantrags. Macht eure Bedürfnisse öffentlich.
Mein Beitrag geht außerdem an den Verband deutscher Schriftsteller.

Linktipps:
  • Der Protest des Verbands der Drehbuchautoren
  • Der Protest des Verbands der Komponisten (pdf)
  • Die Facebookseite der Grünen für Feedback
  • Die taz vermeldet, der Vorstand wolle "weichere Formulierung vorschlagen" - man hat Angst vor Kritikern. 
update:


Es geht nicht um das Urheberrecht nach dem Tod, sondern eindeutig zu Lebzeiten. Die taz schreibt dazu (Link oben):
"Bisher schlägt er (der Parteivorstand) bei neu entstandenen Werken "eine fünfjährige Schutzfrist ab Veröffentlichung" vor. Künstler und Autoren sollten diese Frist mehrmals gebührenpflichtig verlängern dürfen.
Diesen Passus will der Grünen-Vorstand streichen. Stattdessen wird er den 900 Grünen-Delegierten, die sich ab diesem Freitag in Kiel treffen, eine weichere Formulierung vorschlagen. In dem Text ist dann nur noch von einer "deutlichen Verkürzung und Flexibilisierung der Schutzfristen" die Rede, wobei den UrheberInnen mit Verlängerungsoptionen entgegengekommen werden soll"
UPDATE:

Der DJV informiert über die Beschlüsse des Wochenendes und stellt eine Linkliste zum Thema zur Verfügung. Demnach haben die massiven Proteste offensichtlich Wirkung gezeigt und die wahnwitzige 5-Jahres-Regel ist vom Tisch. Insgesamt hat sich inhaltlich jedoch nicht viel am Konzept geändert. Ich würde mich freuen, wenn noch mehr betroffene Verbände endlich aufwachten...

Die Fotografenvereinigung Freelens: Grüne Piraten vergraben den Kulturschatz
Eine Stellungnahme des VS konnte ich bis heute (1.12.11) nicht finden.
    PvC um 12:13 11 Kommentare:

    23. November 2011

    Das waren noch Utopien!

    Der leider schon verstorbene polnische Schriftsteller Stanislaw Lem wäre heute 90 Jahre alt geworden. Anlässlich seines Jubiläums hat sich Google heute mit seinem Doodle selbst übertroffen. Es ist eine Mischung aus Kunst, interaktivem Spiel und Intelligenztraining - unbedingt noch heute anklicken!

    Die wenigsten Fans seiner Science-Fiction-Romane wissen, dass Lem auch ein bekannter Essayist und Philosoph war. Und was für ein Utopist! Ebook Friendly hat eine Passage aus einem seiner Klassiker von 1961 ausgegraben, wo er seine Idee vom Buchladen der Zukunft beschreibt. Mr. Spock würde beim Lesen die Augenbrauen hochziehen und sagen: "Fas-zinierend!"

    Wenn wir doch solche Visionäre heute noch in der Buchbranche hätten! Die streitet sich 50 Jahre später um das "Prinzip Buch".
    PvC um 15:58 2 Kommentare:

    20. November 2011

    Das Trüffelschwein schnüffelt

    Es gibt Leute, die legen Tarotkarten oder schauen in Kristallkugeln, um in die Zukunft zu sehen. Ich habe ein ähnlich schlimmes Laster - ich schnüffle gern nach Talenten, aus denen einmal etwas werden könnte. Nicht, dass sich jetzt alle Unentdeckten dieser Erde bei mir melden - das funktioniert garantiert nicht! Nein, ich muss zufällig "über Leute fallen" und dann muss zufällig mein rechter kleiner Finger jucken. Wenn er ganz fürchterlich juckt, versteige ich mich in einer Kritik schon einmal zu waghalsigen Prophezeiungen nach dem Motto: "Den Namen wird man sich merken müssen!"

    Zum ersten Mal ist mir das passiert, als ich fürs Feuilleton mit ein paar wortkargen Jungs Bier saufen musste (was tut man nicht alles für den Beruf), damit die Jungs gesprächig genug für ein Interview werden würden. Eigentlich hatten sie wahrscheinlich nur Lampenfieber, denn ihre Band war absolut neu, absolut unbekannt und die Journalistin in der braven Bürgersstadt sah auch nicht aus, als schlage sie sich regelmäßig die Nächte auf Rockkonzerten um die Ohren. In der Redaktionskonferenz am nächsten Tag schauten mich die Kollegen überrascht an. Ich hatte mich dazu verstiegen, der Öffentlichkeit kundzutun, sie würde sich den Namen "Fury in the Slaughterhouse" dringend merken müssen. Das war 1987.

    In loser Abfolge ist mir das immer wieder einmal passiert. Ich kann frech behaupten, einige große Schauspieler, Regisseure oder Musiker seien von mir entdeckt worden. Aber nein, das wäre natürlich vermessen, denn groß wurden sie ja nur, weil eine ausreichende Masse von Menschen sie und ihr Talent wahrgenommen hat. Außerdem irre ich mich extrem oft. So mancher ist heute sehr berühmt, über den ich stöhnte: "Wie kann man nur so einen seichten Trash auf Publikum loslassen?" Ich formuliere also um: Ich habe mich mit meiner Meinung in Kritiken oft schneller aus dem Fenster gelehnt, als andere Kollegen sich das getraut haben. Mit einer höheren Treffsicherheit als beim Tarot - immerhin.

    In diesem Jahr ist es wieder passiert. Dem Trüffelschwein juckte unversehens mehrmals der rechte kleine Finger. Einmal lief er sogar heiß, aber vergebens, denn das traumhaft spielende Szymanowski Quartett ist bereits international bekannt und renommiert (Geheimtipp: im nächsten Sommer wieder beim Internationalen Musikfestival in Wissembourg zu hören).

    Ich möchte in loser Folge hier im Blog meine Entdeckungen des Jahres vorstellen. Das Feuilleton hat sie noch nicht entdeckt, aber das mag daran liegen, dass das Feuilleton sich heutzutage keine Trüffelsuche mehr leistet und lieber risikolos bringt, was alle bereits kennen. Es handelt sich bei meinen Entdeckungen um einen Ausnahmemusiker und zwei Literaten. Die beiden Literaten fallen voll in mein Beuteschema der Zufälligkeit. Das eine Buch bekam ich von einer Freundin geschenkt, hätte ich mir vom Äußeren her nie gekauft, hätte ich wahrscheinlich auch in kaum einer Buchhandlung gefunden. Über den anderen Autor stolperte ich zufällig bei Facebook, irgendwie hatte er es mit einem Satz an die Allgemeinheit geschafft, dass ich mir seinen frechen Buchtrailer anschaute. Der war wirklich so frech, dass ich die Leseprobe suchen musste, rein aus Trotz. So schnell habe ich noch nie ein Buch bestellt. Ein Buch, dass man auch kaum im Laden finden mag. Aus beiden Literaten kann etwas werden, wenn sie so weiter machen. Und wenn sie es schaffen, dass dieser verdammt schwierige Markt auch auf sie aufmerksam wird.

    Der Ausnahmemusiker ist ein junger Cellist. Dem bin ich zufällig am Freitag live begegnet und habe bei seinem Spiel Herzrhythmusstörungen bekommen, weil ich vergessen habe zu atmen. Ich bin an sich nicht so leicht zu begeistern, aber für das, was er auf seinem Instrument lebt, würde ich gern noch ein paar Mal aufs Atmen verzichten. Konstantin Manaev - den Namen sollte man sich merken - über den habe ich hier geschrieben.



    Dass ich in diesem Jahr nur von Männern begeistert war, ist übrigens Zufall. Mein kleiner Finger schaut grundsätzlich nie aufs Geschlecht. Aber das einzige weibliche Talent, das mich nach wie vor umgehauen hat, ist die polnische Schriftstellerin Olga Tokarczuk - und die ist nun auch endlich in Deutschland berühmt. Ein neues Buch (Original 2009 erschienen) ist gerade übersetzt worden.

    Et voilà - demnächst in diesem Hause: Ein junger Schriftsteller, dessen orientalische Sprachwucht sich ebenfalls aufs Atemzentrum auswirkt - und ein gemächlich gehender Literat, der die feine Psychologie einer Altersliebe erwandert.

    PS: Wie das Leben so spielt, bin ich eben über eine Journalistin gestolpert, die ich ebenfalls mit ihrem Buch vorstellen will. Weil sie ein journalistisches Genre glänzend beherrscht, für das sich immer weniger Zeitungen Zeit nehmen.

    Ich sage es noch einmal deutlich: Mich bitte jetzt keinesfalls mit Eigenwerbung oder irgendwelchen künftigen, noch ach so unentdeckten Bestsellern zuschütten! Daraus wird nichts!!! Im Laufe meines Berufs als Kritikerin habe ich ohnehin immer wieder feststellen dürfen, dass die billigen Jakobs, die Selbstüberzeugten, die großen Zampanos immer klein blieben. Manche haben mit dieser Haltung sogar das letzte bißchen Talent getötet, das sie vielleicht gehabt hätten.
    Außerdem bin ich nur ein kleines Licht. Das große Feuilleton muss Menschen entdecken und dann müssen sie alle darüber schreiben. Erst dann werden die Konsumenten wach...
    PvC um 12:53 Keine Kommentare:

    16. November 2011

    Babylon, zu Tisch!

    Erst vor wenigen Wochen habe ich aufgrund einer deutschen Studie mit großem Erstaunen festgestellt, dass ich in meinem Geburtsland ein "Mensch mit Migrationshintergrund" bin, "weil mindestens ein Elternteil nach 1950 ins Land kam". Ich könnte mich jetzt theoretisch als Äffchen an deutsche Talkshows verkaufen und richtig Quote machen, weil ich obendrein in Frankreich eine echte Immigrée bin. Einfach so eingewandert, ohne zu fragen.

    Komisches Gefühl, so ein Migrationshintergrund. Ich ertappe mich, wie ich mich öfter unvermutet umdrehe, weil ich glaube, ihn so überlisten zu können. Ich bevorzuge neuerdings die Mittagssonne, weil man da kleinere Schatten schlägt. So ein Hintergrund kann lästig sein, wenn nur andere mit dem Finger darauf zeigen können und man selbst nichts sieht. Ein halbes Jahrhundert weile ich nun schon auf dieser Erde und dachte bisher, es sei völlig normal, dass sich meine Vorfahren wild durcheinander verliebten, kloppten, umarmten oder verjagten. Der Großteil ging sogar freiwillig, ratzfatz aufs Schiff, und vielleicht sammelten deshalb meine Eltern alte Koffer, obwohl sie so gut wie nie verreisten. Von solchen Familien soll man Deformationen bekommen, zwischen allen Stühlen sitzen, heißt es. Chancengleichheit gibt es nicht. Man kommt entweder in die Psychiatrie oder im deutschen Bildungssystem um, wer das überlebt, wird Gegenstand bei Schnurrbartträger Sarrazin oder Schriftsteller.

    Ich hatte also Glück. Meine Migrantenmutter keifte über die deutsche Grundschule, weil ich dort mein gestochen scharfes Hochdeutsch gegen breitestes Badisch einwechselte. Ein Gang durch meine Küche heute bewies mir allerdings, dass ich doch nachhaltig einen an der Waffel habe. Man deformiert in der Tat schon bei den Grundbedürfnissen des Magens. Nach dem letzten Einkauf könnte man meinen, ich wolle die Bauarbeiter eines gewissen orientalischen Turmprojekts beherbergen. "Rote Linsen" stehen neben handgesammeltem "Thym". In der Kühltruhe schmiegt sich französisches "Poulet" an echt polnische "Kasza". Das Gewürz "Hmeli-suneli" habe ich gleich zweimal gekauft, wegen des schönen Namens und des exotischen Geschmacks. Aber weil das eine Tütchen für meine englische Freundin ist, hab ich es mit Angelsachsensprache beklebt.

    Ich weiß bis heute nicht, wie sich meine "Baies roses" auf Deutsch übersetzen ließen - solange sie auf norwegischem Lachs oder estnischem Zander schmecken, ist mir das auch herzlich egal. Aber ich streue ja auch in meinen Reis aus der Camargue "Poudre à Colombo" und kaufe grundsätzlich in jedem Land immer nur "Pasta". Trotzdem ist etwas plötzlich anders in meiner Küche. Ich beschrifte mein babylonisches Genussreich auch noch in seltsamen Buchstaben! Steht da doch tatsächlich eine Dose mit der Aufschrift - vom Klang her gelesen: "Priprawa dlja warki pelmenij". Für die armen Tröpfe unter meinen Gästen, die immer nur in einem Land festklebten - das ist das Gewürz, das man in die Brühe von russischen Maultaschen streut. Oder waren es Ravioli? Egal. Es gibt auch Essen mit Migrationshintergrund. Nudelteig mit Füllung etwa, oder Sauerkraut oder Pasteten. Jeder deklariert es zu seiner Nationalspeise und viele Nationen kochen es. Manche sogar mit Reinheitsgebot. Pardon, ich komme vom Thema ab. Diesen Handlungsstrang überlassen wir mal dem Verfassungsschutz.

    Meine Küche jedenfalls ist schlauer als ich. Sie zeigt mir, dass ich mal wieder heimlich eine Sprache lerne. So fing das mit dem Französischen auch an, bei du vin, du pain et du boursin (gesprochen: du weng, dü peng edü bursäng). Natürlich lerne ich nicht schon wieder eine neue Sprache, langsam müsste ich ja genug haben und angeblich lernt man im Alter auch nichts mehr dazu. Außerdem habe ich weder Zeit noch Energie dazu. Nein, ich kann auch nicht noch in Lehrbücher schauen. Russische Filme mit Untertiteln schaue ich nur aus Versehen an. Kann ich was dafür, wenn plötzlich so viele gezeigt werden? Natürlich werde ich keine Maultaschen kochen, ich doch nicht! Das Schwäbische ist die einzige Sprache, die ich garantiert nie mehr lernen werde. In meiner Studentenzeit mischte ich bei einer Tübinger Petition mit, die Professoren verpflichten sollte, im Unterricht endlich halbwegs Hochdeutsch zu reden. Wegen der Kinder mit Migrationshintergrund. Früher sagte man dazu noch Hamburger, Frankfurter oder Berliner. Was soll ich sagen: Die Petition scheiterte, ich machte es bald meinen Vorfahren nach - ich packte die Koffer.

    Zum Sprachenlernen habe ich keine Zeit. Und keinen Kopf. Und weil ich keinen Kopf habe, merke ich gar nicht, dass ich mir einfachste Lesetexte in komischen Buchstaben hinlege. Nijinskys Tagebücher im Original. Ich bilde mir ein, wenn ich die so lange lese, bis ich sie verstehe, dann muss ich mir keine Zeit zum Sprachenlernen nehmen. Ob ich in jener ominösen Brühe Buchstabennudeln kochen sollte? Und anschließend diese Buchstaben mit dem deutschen Namen "Russisch Brot" zum Dessert? Wenn Liebe durch den Magen geht, müsste man doch auch Fremdsprachen einfach verdauen können? Nein, nein, ich lerne kein Russisch. Ich habe gar keine Zeit zum Sprachenlernen! Und keinen Kopf!

    Das komische Ding, das heimlich in der Küche im Wörterbuch blättert, was "poulet" auf Russisch heißt, das bin nicht ich. Ich schwöre. Davon wüsste ich etwas. Schließlich bin ich eine vielbeschäftigte Frau. Ich glaube ja, es ist mein Migrationshintergrund. Weil ich immer in der prallen Mittagssonne spazierengehe, hat er sich wahrscheinlich von mir gelöst. Und führt jetzt ein jämmerliches Schattendasein in meinem Gewürzregal. Dort muss es ihm irgendwie langweilig geworden sein, so ohne Koffer in der Hand und Schiffspassage. Der Kerl ist echt zu bedauern! Dreht grünes Zeug in der Hand, zieht es mir an der Nase vorbei und schimpft: "Du wirst dir das alles merken, du sagst das jetzt nach! Sprich mit mir - aneth, Dill, koperek, ukrop!" - "Und wie, verdammt noch mal, soll ich das meiner englischen Freundin erzählen?", brülle ich zurück und renne, so schnell ich kann, davon.

    Lassen Sie sich nie einen Migrationshintergrund aufschwatzen. Die Dinger sind unhandlich, frech, lichtscheu und eigentlich wirklich nur in deutschen Talkshows zu gebrauchen. Außerdem habe ich Angst, mein Migrationshintergrund könnte beim nächsten Waschen eingehen. Oder sich zu sehr in den Vordergrund drängen.
    PvC um 14:17 4 Kommentare:

    15. November 2011

    Lesebefehl

    Ein paar Lesetipps muss ich dringend und sofort loswerden:

    Andreas Winterer (Autor des höchst vergnüglichen Buchs "Scott Bradley: Blondinen, Blobs & Blaster-Schüsse") deckt auf, was Buchautoren, Dominas und Fensterputzer gemeinsam haben. Das passt zu den paläontologischen Forschungen Nikola Hotels, die der seltsamen Spezies "Der gemeine Autor" mit der Lupe auf den Leib rückt. 

    Harald Martenstein erklärt in seiner ZEIT-Kolumne kurzweilig, wie Mainstream entsteht und warum es wichtig sein kann, sich rar zu machen oder trotzig zu werden.
    PvC um 15:26 Keine Kommentare:

    13. November 2011

    Nebelwaten, Medienstraucheln

    Kaum fährt man seinen Ausstoß an Blogartikeln herunter, machen sich die ersten Sorgen um die Autorin. Natürlich diejenigen, die mich sonst als erste fragen: "Wie machst du das nur, so viel zu schreiben?" Also mal ein kleiner Trösteartikel zwischendurch, aus den nebligen Tiefen der Verinnerlichung ...

    Die kommt nicht wegen des Wetters zustande, sondern weil ich in regelmäßigen Abständen einen Schritt zurücktrete von dem, was ich so mache, und nachdenke: Hat es einen Sinn? Sollte ich irgendetwas ändern?

    Stoff zum Innehalten bietet einem das Leben reichlich. Die ersten Übersetzerinnen in meinem Bekanntenkreis müssen umschulen, weil unsere Berufsbedingungen immer lausiger werden. Ein Buchautor in meinem Bekanntenkreis mit mittlerem Renommé kann sich nur deshalb über Verlagsverträge freuen, weil er sich auf das Spiel einlässt, inklusive Pseudonym alle halbe Jahre einen Roman "herauszuhauen". Dafür tut der Verlag absolut nichts für die Bücher und seine Ehefrau verdient das Geld, um die Familie zu ernähren. Eine Kollegin mit sehr großem Renommé und Bücherpause hat endlich einen winzig kleinen Verlag gefunden. Alle anderen, inklusive mehrerer Agenturen, haben sie jahrelang am langen Arm verhungern lassen, mit der Begründung, ihre Bücher seien zu leise und anspruchsvoll, das könne man sich heutzutage nicht mehr leisten. Zwei Buchhändler in meinem Umfeld, die letzten unabhängigen, kämpfen ums nackte Überleben, weil das Feine, das Leise, das Besondere von der Massenware der Kettenkonkurrenz überbrüllt wird. In so einer Welt werde ich dann immer wieder gefragt, warum ich so viel blogge. Schreiben ist für mich atmen. Ich muss schreiben. Ich stelle ja auch nicht das Atmen plötzlich ein. Mein Blog ist oft die letzte freie Form im Freiberuflerleben. Das kaum mehr Freiräume bietet.

    Und natürlich gehöre ich zu der übel berechnenden Sorte Mensch, die nichts, was viel Arbeit macht, umsonst tut. Ich trete zurück und betrachte mein Schreiben im Internet: Was bringt mir wirklich etwas, wo vergeude ich nur Zeit? Das Experiment, sich die immense Blogarbeit durch freiwillige Spenden finanzieren zu lassen, ist kläglich gescheitert. Meine Artikel übers Self Publishing wurden von einer riesigen Leserschaft konsumiert, die sich sonst keinen Deut für meine Arbeit interessiert. Die Konsequenz ist einfach: Einer reinen Abgreifgesellschaft macht man die Reaktion in Zukunft eben etwas leichter. Die Artikel mit der großen Recherche, die Ratgeberqualität haben, landen künftig im Kindleshop und nicht im Blog. Die Bücherselbstbastler werden mir jetzt in Scharen davonrennen, aber Zahlen sind nicht alles. Die wirklich interessierten Leser bleiben.

    Überhaupt ist das seltsam mit den Zahlen - und darüber denke ich derzeit auch nach: Was bringen Social Media tatsächlich? Wo muss man dabei sein, wo macht man sich nur selbst etwas vor? Ein bißchen ist es wie in der New Economy - bald wird die Blase wohl platzen. Meine Statistiken erzählen davon, dass die Menschen müde sind, sich auf zig Plattformen verströmen zu müssen, sich von Informationen und Kommunikation zuballern zu lassen. Ich selbst schaffe meine Mails und Nachrichten nicht mehr - zu viele kommen herein. Seit einigen Monaten sinken die Zugriffszahlen im Blog, die durch Facebook einst reichlich kamen, rapide. Das liegt nicht nur daran, dass viele zu Google+ gehen. Es liegt daran, dass im Blog die treuen Leser bleiben, aber in Social Media nur noch geklickt wird, was schrill oder schrullig ist. Man fühlt sich zugebaggert von all den Links. Wie viel Texte soll man denn noch lesen? Auch bei Twitter werden Verlage plötzlich still.

    Es geht so nicht weiter. Wir werden an unserer Textvermüllung irgendwann ersticken. Und was bringt das Vernetzen? Zugegeben: Nette Leute. Um die man sich dann mehr kümmert als um die Freunde, die still und ohne Internetaktivität ein ganz anderes Leben leben? Manche Internetbekanntschaften werden zu Freunden - und dann ist die schnelle Kommunikation nebenher bereichernd. Aber Kunden? Aufträge? Wichtige berufliche Connections? Ich arbeite nun wirklich intensiv in Internet-Netzwerken seit den ersten Stunden. Bisher hatte ich nur einen einzigen Auftrag, der virtuell zustande gekommen war. Die BBC entdeckte damals meine zum Glück englischsprachige Website und damit eine Fachfrau für ihr Thema. Es folgten eine Mail, ein Telefonat und sofort der Kontakt im echten Leben. Ansonsten folgten nur eine Menge unredlicher Angebote. Von Kunden, die meinen, bei "virtuellen" Kontakten keine ordentlichen Honorare zahlen zu müssen. Von Kunden, die im Internet Dumme suchten. Von Kunden, die sich aufwändige Kostenvoranschläge machen ließen und von denen ich daraufhin nie wieder etwas hörte.

    Mein Beruf findet nicht im Internet statt - das mag bei Leuten in Metropolen und in anderen Berufen ganz anders aussehen. Meine Website ist die wichtige Visitenkarte, um Echtlebenkontakten schnell Informationen liefern zu können. Suche ich nach den Menschen, mit denen ich tatsächlich arbeite, bei Facebook oder in anderen Netzwerken - Fehlanzeige. Und man kommt übrigens auch nicht leichter an einen Lektor heran, nur weil man bei Facebook mit einem Verlag befreundet ist - man kann allenfalls leichter erfahren, wer für die Ablehnung von Manuskripten zuständig ist. Auch hier: Echtlebenmaloche. Nur Leserinnen und Leser findet man per Social Media. Wenn man es richtig macht. Und sich nicht verzettelt. Im Zeitalter der unsichtbaren Bücher im Buchhandel ist das wichtig.

    Mein Fazit des großen Experiments: Ich bin bei Twitter stiller geworden und finde dort die meisten Menschen, die mich interessierten, kaum noch vor. Der Twitterhype ist vorbei. Die kommerziellen Werbemüllspucker unter den Followern sind nicht mehr zu ordnen. Aber man findet immer noch neue Blogleser, mit sehr geringem Zeitaufwand.

    Facebook ist zu einer Quasselbude geworden. Manche preisen das als "human relations" oder so ähnlich. Aber Quasseln kann ich eigentlich besser am Telefon mit den Leuten, die mir wirklich wichtig sind. Da muss ich keiner Datenkrake unendliche Informationen und Daten in den Rachen werfen. Facebook ist gefährlich - zumindest für Kommunikationsjunkies wie mich. Man verzettelt sich. Ich verbringe dort zu viel Zeit. Also wird auch das auf ein Niveau heruntergefahren, das mit meiner Arbeit verträglich ist. Und wer weiß, vielleicht erübrigt es sich irgendwann von selbst. Google+ ? Viele wollen mich überzeugen. Nein. Nicht noch ein Netzwerk, nicht noch einmal diese Aufbauphase - für was? Ich bin auf dieser Welt, um Bücher zu schreiben, nicht um Social Media zu bestücken.

    Und was, wenn wir sie überhaupt nicht bräuchten? Wenn wir uns das nur einbilden? Ich rate immer wieder, die eigene Website und / oder das eigene Blog als Zentrum der Eigendarstellung zu behalten. Nur dort hat man die eigene Datenhoheit. Social Media können ein Werkzeug sein, um Menschen auf die eigenen Seiten zu locken. Und wenn auch das eingebildet ist?

    Ich habe ganz lustig nebenbei mal schnell ein Blog gebastelt, das mit einem Teil meines Brotberufs zu tun hat und gar nicht für die breite Öffentlichkeit gedacht ist - Zwischen den Stühlen. Dementsprechend finden sich da auch erst drei kleine Beiträge, denn es ist nicht mehr als ein öffentliches Notizheft für mich, unregelmäßig bestückt. Wie erstaunt aber war ich von den Zugriffsstatistiken! Noch mit keinem Blog habe ich diese Anfangszahlen erreicht. Von Twitter kommt niemand. Von Facebook eine lächerliche Minderheit. Die meisten Leute finden es durch dieses Blog hier und durch Google. Noch mehr Menschen aber kommen von der größten russischen Suchmaschine. Und sie kommen wieder, sie geben deutsche Suchbegriffe ein. Auch so kann man zu seinem Zielpublikum finden: Durch Inhalte. Wie einfach eigentlich. So wenig Hype nötig, so wenig Verzetteln und Quatschen.

    Und genau das ist es, was mich nachdenklich macht. Da will ich hin. Ich will wieder mehr Inhalte, weniger "da musst du dabei sein" und "dort musst du dich vernetzen". Ich will schreiben. Nicht Fotos von missratenen Mittagessen anschauen und dumme Sprüche belabern müssen. Nicht Leuten hinterherrennen, die für die Fachinformationen, mit denen ich (zu) großzügig bin, nicht einmal ein Dankeschön übrig haben. "Kannste mir mal da helfen, kannste mal das tun?" - sie greifen nur ab, revanchieren sich nie.

    Die Blase platzt. Wir werden in Zukunft eine Menge Kotztüten brauchen. Auf uns ballert zu viel ein. Da ist zu viel laute Oberfläche. Mir ist wieder nach Inhalten, die auch leise sein dürfen. Nach Schreiben, das auch Stille vermittelt. Das einen zurücktreten lässt vom Mediengebrüll. Mir ist nach Tiefe.

    Bloggen für den harten Kern, der das mitmacht. Und hoffentlich schaffe ich es trotz Winterisolation, in den Quasselbuden dieser Welt stiller zu werden. Nicht zu verschwinden, aber abzubauen. Wer mir am Herzen liegt, wem ich am Herzen liege - wir brauchen keine fremdgesteuerten Plattformen, um das zu zelebrieren. Zum Schriftstellern braucht es vor allem eins: echtes, wahres, greifbares Leben - fernab von Medienverzerrungen und künstlichen Hypes. Ein Künstler muss immer wieder von der ach so wahren Welt zurücktreten können.

    update:
    absolut lesenswerte Antwort von The Rum Diary (deutsch)
    PvC um 14:02 20 Kommentare:
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