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30. Oktober 2011

Es stinkt zum Himmel

Leute, vergesst eure gesammelten Ängste! Der Buchmarkt wird nicht vom E-Book umgewälzt werden. Und das Abendland geht auch aus völlig anderen Gründen unter als vermutet. Harald Martenstein hat den wahren Bösewicht gefunden, der unsere Branche umkrempelt, als gäbe es kein Gestern. Das Ding ist braun und stinkt zum Himmel. Und es kriecht aus den Hirnen bei Programmkonferenzen.

Die Autorin dieses Beitrags schlurft in die Küche, um ein gnadenlos genussreiches Kochbuch zu entwerfen. Arbeitstitel: "Merde, ist das lecker!"

26. Oktober 2011

Nicht werben und verkaufen

Wie wird man als Autor zur Marke? Wie wird man als Schriftsteller den modernen Anforderungen in den Social Media gerecht? PR-Laien verwechseln leider den öffentlichen Auftritt im Internet allzu oft mit aggressiver Werbung und Selbstbeweihräucherung à la Billiger Jakob: "Kauft mich, ich bin der Beste!"

Die Expertin Wibke Ladwig von der Kommunikationswerkstatt Sinn und Verstand hat für Pearson Deutschland, die Frankfurt Academy und TOC bei der Buchmesse einen Vortrag über Ich-Marketing für Autoren gehalten und die Folien dankenswerterweise ins Netz gestellt (Link). Ihr Fazit ist so einfach wie einleuchtend: Social Media ist nicht werben und verkaufen. Es geht um sehr viel mehr. Und was mir besonders an ihren Ausführungen gefällt: Vernetzen findet nicht nur im Internet statt, man holt immer wieder gewisse Kontakte auch ins Offline-Leben - und umgekehrt.

Ich empfehle den Link übrigens nicht deshalb, weil ich neben Sebastian Fitzek bei dem Vortrag als "best practice"-Beispiel vorkomme. Das hatte mich zunächst positiv erschreckt. Erschreckt deshalb, weil ich bis dahin glaubte, mir bei meinen Webauftritten gar nicht so viele Gedanken zu machen. Positiv deshalb, weil meine ach so einfache 5-Stufen-Formel für Social Media offensichtlich aufgeht:
  1. Du musst anderen etwas zu geben haben - und weit mehr als nur deine Bücher.
  2. Sei kein Verkäufer, sei Kommunikator.
  3. Entwickle eine präzise PR-Strategie, aber bleibe auch darin absolut authentisch.
  4. Sei Mensch unter Menschen. Menschen haben Schwächen und Meinungen.
  5. Nutze die unterschiedlichen Kommunikationsplattformen adäquat zu ihren Strukturen.
Wäre da noch der gute alte Geheimtipp zu nennen, aber den beherzigen auch gute Verkäufer: Zuhören. Zuhören. Zuhören. ( = Beobachten)

24. Oktober 2011

Tyrannen auf vier Pfoten

Im Elsass gibt es zwei Leben. Sobald es warm genug ist, lässt man in der Wohnung alle Türen offen stehen, irgendwann auch Fenster und Haustür. Traditionelle Familien haben sogar eine Sommerküche in Garage, Keller oder Scheune - für den Garten. Die warme Saison ist ein Paradies für meinen Hund, der dann sein ganz eigenes Leben führt, weil er mich nicht mehr fragen muss, wo er sich herumtreiben darf. Dumm nur, wenn es so kalt wird wie jetzt. Die Menschin schließt jede nur erreichbare Tür. Und wie das in den alten Gemäuern auf dem Lande so ist, hängt sie auch noch einen dicken Vorhang vor die Wohnungstür, weil es ihr zieht.

Rocco gefällt dieses Leben gar nicht. Wie sollte er auch Verständnis für Energiefragen aufbringen, wo er doch einfach für diese Jahreszeit nur noch mehr Pelz zulegt. Ach, und wie lästig das ist! Ständig muss man die Menschin drum bitten, die Tür zu öffnen, wenn man raus muss. Hund kann das bei manchen Türen zwar theoretisch selbst, ist aber gut erzogen. Wenn sie guckt, geht das gar nicht. Und damit sie endlich guckt und sich erbarmt, tut man so, als müsse man ganz dringend ein Geschäft erledigen.

Sie fällt immer wieder darauf herein. Macht sich Sorgen, der Hund könne etwas an der Blase haben. Dabei hat er nur gehört, wie die Nachbarshündin aus dem ebenfalls öde verschlossenen Haus herausgeprungen ist. Erstaunlich, wie oft sich die beiden zu einem Schwatz treffen. Ich muss arbeiten und bin eigentlich nicht als Türöffner auf die Welt gekommen. Ist Rocco dann endlich ruhig, geht's wieder ins Büro. Dort ist es ihm zu warm. Er quengelt. Also ab, in den kalten Flur. Dort ist es ihm zu langweilig. Er quengelt. Also wieder rein. Dort ist es ihm zu warm. Das Spiel würde in der Endlosschleife laufen, würde ihn die Menschin nicht eisern und tierquälerisch im kalten Flur "vergessen".

Ich dachte, ich hätte einen besonders nervigen, verwöhnten Hund. Hunde-Nichtkenner auf Besuch haben sich auch schon über das Ritual des Türöffnens mokiert. Dabei dauert der Kampfzustand genau zwei Wochen. Dann nämlich gibt der Hund auf und wählt ein Domizil nach Wärme oder Kälte.

Dass ich nicht die einzige bin, sah ich gestern bei einer Freundin. Katze im ofenwarmen Zimmer. Katze ist es zu warm. Menschin muss die Tür öffnen. Nun ist das eine Glastür. Was macht die Katze? Tut so, als sei sie endlich zufrieden, macht eine kleine Runde ... und baut sich dann riesig und mit großen vorwurfsvollen Augen vor der Tür auf: Ich will wieder rein, ich bin hier so allein! Das Spiel würde in der Übergangssaison immer so gehen. Rein, raus, rein, raus - mit einem Portier auf zwei Beinen.

Ich bin froh, dass ich keine Glastüren habe. Ich kann förmlich Roccos vorwurfsvolles Gesicht sehen, wie er mutterseelenallein im kalten Flur so tut, als müsste er frieren; wie er schließlich mit einem extra lauten Seufzer sein resigniertes Haupt auf der Pfote bettet. Wie er es müde hebt, um strafend die Tür zu fixieren. Nein, ich werde nicht weich. Dann ist der Zirkus in zwei Wochen ausgestanden. Ich sehne mich ja auch so nach der Zeit der offenen Türen!

21. Oktober 2011

Das Abenteuer geht weiter

Seit der Buchmesse ist der Ton in der Diskussion um unterschiedliche Publikationswege in den Medien schärfer geworden. Als ich vor etwa zwei, drei Jahren in diesem Blog darüber schrieb, wie es für Kolleginnen und Kollegen auch mit Literaturagentur immer schwieriger würde, an gute Programmplätze und ordentliche Verlagsleistungen zu kommen, hielten mich die meisten für verrückt, weil ich die Prophezeiung wagte, das massive Outsourcing würde sich irgendwann einmal rächen. Damals schien die Welt noch in Ordnung. Verlage und Buchhandel saßen fest im Sattel, Autoren unterschrieben oft viel zu blind alles, was man ihnen vorlegte.

Inzwischen habe ich wieder ein paar Verlagspleiten und -verkäufe überlebt und nichts ist mehr, wie es vorher war. Self Publishing ist zur echten Option geworden, vor allem, wenn man auf die guten outgesourcten Lektorinnen und Grafikerinnen zurückgreifen kann, die gelernt haben, wie man ein gutes Buch macht. Schmuddel-Image wird eigentlich nur noch in Kollegenkreisen oder der Verlagswelt kolportiert, den Leserinnen ist es längst herzlich egal, welcher Verlag auf dem Cover steht. Zumindest im Genre sind die eh nicht mehr unterscheidbar.

Im Moment herrscht Goldgräberstimmung. Alles scheint möglich. Darum entstehen auch im Self Publishing neben Qualität die unsäglich miesesten Produkte, die himmelschreiendsten Experimente und Bücher zum Gruseln. Gleichzeitig gibt es Verlage, die mit ihren unbeweglichen E-Book-Konzepten scheitern, die noch mehr outsourcen, um ins Self Publishing zu investieren, oder mit großem Aufwand irgendwelche Bücher "enhancen", was der Programmierfreak privat viel innovativer schafft. Aber warum eigentlich nicht? Neue Techniken wollen ausprobiert werden. Neue Wege wollen erkundet werden. Auch die Teflonpfanne war einmal ein Weltraumexperiment. Unter all dem wilden Gekröse zeichnet sich schon jetzt ab, dass sich der Buchmarkt völlig neu strukturiert, dass das "Prinzip Buch" diesmal vom Leser neu definiert wird und sich mancher warm anziehen muss. Das Jammern ist groß. Verlage und Buchhandel sitzen nicht mehr so fest im Sattel. Man sagt sich gegenseitig tot. Ohne die Chance zu begreifen, dass veränderte Strukturen für beide Seiten nützlich sind.

Eine kleine Leseliste habe ich zum Thema, um die Bandbreite zu zeigen, die in dieser Diskussion herrscht. Antje Schrupp schreibt ein Loblied auf ihre Verlegerinnen. Sie sollte sie dringend festhalten, denn solche Verlegerarbeit ist eine Rarität. In fast fünfzehn Jahren im Buchgeschäft habe ich das in dieser Größenordnung nur ein einziges Mal erlebt. Was sie kritisiert, wird niemand verhindern können: den Großangriff von Amazon auf die Verlage - wie ihn der Spiegel reißerisch beschreibt. Amazon wird ganz gewiss nicht Konkurrenz für Verlage, die ihre Kernkompetenzen noch ernst nehmen und Bücher wie Autoren pflegen. Die ein persönliches und qualitativ hochwertiges Lektorat bieten. Aber wie viele Verlage schanzen einem lausige Lektoren zu, machen keinerlei Werbung fürs Buch, verramschen nach Rekordzeiten? Plötzlich haben wir Autoren eine Wahl. Wir sind nicht mehr Bittsteller, wir können Nein sagen. Wer eine Wahl hat, kann Verträge anders aushandeln. Belebt nicht Konkurrenz das Geschäft?

Der Blogger Wolfgang Schwerdt fragt: "Haben die Verlage noch eine Zukunft?" In seinem Beitrag gibt er einen guten Überblick über die Entwicklung des Self Publishing auch im E-Book-Bereich und die Veränderungen für die Verlage und Autoren. Sein Fazit ist ähnlich wie das meine - die Zukunft gehört trotz der Gigantomanie von Amazon, Apple oder Google gerade den kleineren Strukturen, den engagierten Buchleuten, die noch ambitioniert verlegen - zusammen mit veränderten Autoren, die die Zeichen der Zeit zu nutzen wissen. Falls die denn alle aufwachen! Aber auch "Buchfabriken" wird es weiterhin geben. Das Schnellfutter will weiter gedruckt werden.

Es lohnt sich auch ein Blick ins Blog von Alan Rinzler, der für die renommiertesten US-Verlage gearbeitet hat und arbeitet, Autoren für Verlage entwickelt und gleichzeitig für Self Publishing in Qualität plädiert. Er ist da weiter als die deutschen Entweder-Oder-Kämpfer. Wie weit die USA überhaupt sind, zeigt sein Beitrag "Getting published: The inside scoop from 3 top editors". In den USA ist Self Publishing anscheinend derart selbstverständlich geworden und breit akzeptiert, dass die berühmten Verlage ihre Strategie vollkommen verändert haben. Sie entdecken Autoren über deren Eigenproduktionen, verlangen von ihren Bewerbern die gleiche Arbeit in Öffentlichkeit und Social Media, die auch ein Self Publisher leisten muss. Und weil sie das alles tun, suchen sie noch mehr nach dem absolut perfekten Manuskript, der passenden Autorenpersönlichkeit. Deutschsprachige Länder brauchen immer etwas länger. Aber auch hier werden sich die Grenzen zwischen Self Publishing und Verlagen mehr und mehr verwischen. Als erstes wird der Self Publishing Markt auseinanderbrechen - in Hobbyproduktionen auf Bastelniveau und in "richtige Bücher". Der Druck wächst.

Persönlich beeinflusst hat mich der Beitrag von "Schreibtäter" Matthias Brömmelhaus "Die Freiheit des Auftragsbiografen". Er beschreibt darin einen umgekehrten Weg ins Self Publishing. Nicht vom Verlag weg, sondern aus dem privaten Auftragsschreiben heraus. Und er hat mir damit tüchtig zu denken gegeben für mein nächstes Projekt.

Ich habe mich gestern entschieden. Mein nächstes Buch - ein erzählendes Sachbuch - ist eine halbe private Auftragsarbeit. Ich bin zwar völlig frei im Schreiben, in der Konzeption, aber das Grobthema wurde mir vorgeschlagen. Nun ist dieses Thema auf den ersten Blick derart "Nische", dass man solche Bücher früher mit irgendwelchen zweifelhaften Firmen oder sogar Werbeagenturen verwirklicht hat und irgendwelche Hobbyautoren hinsetzte. "Think big" dachte ich mir, auch so ein Thema ließe sich weiterentwickeln, so weit, dass es sogar verlagsfähig wäre. Ich erkannte das Potential an der Geschichte. Und mein Auftraggeber erkannte das Potential einer professionellen Autorin.

Ich habe entsprechend recherchiert und sogar Verlage gefunden, die in Frage kämen. In einem Verlag würde ich von zwei Kollegen beim Verleger persönlich empfohlen werden. Aber irgendetwas ließ mich unzufrieden zurück. Für jeden dieser Verlage müsste ich mein Thema genau auf dessen absolut nischiges Programm zurechtbürsten - und nicht auf das, was dem Thema am besten täte. Ein Verlag macht absolut grottige Cover. Der andere hat in der Region, in der das Buch am stärksten aufgestellt werden müsste, den lausigsten Vertrieb. Ein dritter versteht sein Handwerk, liegt mir aber aufgrund seiner Verlagsphilosophie so gar nicht.

Früher hätte ich Kompromisse geschlossen. Schlimmer noch: Ich hätte demütig meine Exposées geschrieben, für jeden ein anderes. Hätte meine Idee zigmal umgebürstet und die Runde gemacht und ewig gewartet und gebangt. Hätte in einem langwierigen Prozess irgendwann ein Buch in Händen gehalten, das mir vielleicht sogar fremd erschienen wäre. Wäre ausgeliefert gewesen. Wäre auch nicht im Buchhandel platziert gewesen, nicht mit solchen Verlagen.

Seit meinem Nijinsky-Projekt und der Erfahrung, was ich selbst bewegen und erreichen kann, hat sich mein Denken verändert. Ich würde gern die Cover vom einen Verlag haben, das Image vom anderen und den Vertrieb von einem Dritten. Ich würde gern die unprofessionellen Abteilungen austauschen und eine neue Region besetzen. Ich will 100%, wenigstens versuchen. Ich will nicht ausgeliefert sein, wo ich jetzt schon Schwachstellen erkenne. Ich kann 100% haben. Ich kann mir alles nehmen: Lektorat, gute Cover, andere Vertriebsschienen, Print und E-Book. Ja, das kostet Geld. Und ich möchte auch nicht umsonst schreiben. Inzwischen bin ich mir sicher, dass das funktioniert. Vor allem aber muss ich schneller sein als ein Verlag. Ein aktueller Termin fürs Thema steht vor der Haustür.

Mein nächstes Sachbuch wird also wieder im Self Publishing entstehen. Aber diesmal werde ich noch eine Stufe weitergehen. Ich selbst kann die klassischen "Verlagsarbeiten" nicht finanzieren. Also werde ich das jetzt so machen wie Mozart & Co., mit Finanzierung von außen. Mein Auftraggeber muss nicht mehr - wie das früher üblich war - ultrateure, kriminelle Zuschuss"verlage" bemühen. Mit einer Erstauflage im Print-on-Demand schrumpft sein finanzielles Risiko noch um einiges mehr. Das setzt Gelder frei, um ein absolut professionelles, schön gestaltetes Buch zu machen und auch die Autorin für ihre Arbeit zu bezahlen. Wir suchen Sponsoren. Im Moment suchen wir die nicht im Internet. Aber es ist durchaus denkbar, das Projekt ins Crowdsourcing auszuweiten. Denn auch das wird absolut neu ein: Dieses Buch soll sofort auch in Übersetzung erscheinen. Das bieten Verlage in der Regel überhaupt nicht. Sobald die Texte fertig lektoriert sind, bekommt sie meine Übersetzerin in die Hand.

Ja, das wird ein Abenteuer. Zunächst einmal ein finanzielles. Dann aber auch ein schriftstellerisches, denn wenn man sich derart gegenseitig in die Hand arbeitet, müssen auch die Arbeitsabläufe verändert werden. Es steht noch in den Sternen, ob dieses Projekt etwas werden wird. Aber das habe ich über mein Nijinsky-Buch ja auch gesagt.

18. Oktober 2011

Fröhliches Russensammeln

Eigentlich habe ich nur eine halbe Normseite Platz, um Laien zu zeigen, wie faszinierend die Geschichte zwischen Badnern und Russen sein kann - und welche berühmten Russen schon in Baden-Baden weilten. Ich könnte es mir einfach machen und die ewig gleichen Namen von anderen abschreiben. Aber das ist ja langweilig.

Wo heute eine Luxusimmobilienagentur untergebracht ist, suchte einst Fjodor Dostojewskij in ärmlicher Bleibe nach den letzten Kleidungsstücken, die er versetzen konnte (im ersten Stock).

Also war heute fröhliches Russensammeln angesagt. Aus grausigen historischen Vorlagen und Veröffentlichungen, deren "Genre" ich gern mit dem Begriff "Chronistenkleinholz" bezeichne, musste ich mir ein ungefähres Bild verschaffen. Nun habe ich vier DIN-A-4-Seiten handschriftlich eng mit Namen bekritzelt, die jeder Autor anders falsch buchstabiert (sogar innerhalb eines Buchs unterschiedlich) und die dank unzulänglicher Umschriften auch in mehreren Versionen geschrieben werden können. Ich sitze also über Wikipedia und Google und versuche, zu den mir unbekannten Herrschaften die im Deutschen geläufigste Schreibweise zu finden. Die ganz Bekannten kenne ich zum Glück selbst. Manche erkenne ich dank des russischen Originals. Erst nach der Namenskorrektur kann ich überhaupt recherchieren, wer das genau war. Auf Chronisten kann ich mich nicht verlassen.

Ich fürchtete heute morgen also, vor einer sehr langweiligen und stupiden Arbeit zu sitzen. Aber man darf wahrscheinlich keinen Schriftstellerblick haben, um sich effektiv zu langweilen. Mein Handgeschriebenes strotzt vor Ausrufezeichen und seltsamen Kringeln - meinen persönlichen Geheimkürzeln für "Was für eine Story! Was für Verbindungen!" Drei Ausrufezeichen bedeuten: "Wenn du das nicht näher recherchierst, gehört dir ein Tritt in den Hintern!"

Wenn ich das Thema "Russen in Baden-Baden" bei ganz normalen Leuten anspreche, bekomme ich immer die gleichen Stereotypen zu hören. Neureiche, Superreiche, vielleicht noch ein paar Musiker, die fürs Festspielhaus anreisen, und ja, die kämen halt, seit der Eiserne Vorhang gefallen ist. Touristen, Villenkäufer, Kurgäste. Die meisten sind erstaunt, wenn ich ihnen erzähle, dass die Russen nun schon seit 200 Jahren kommen und nur die beiden Weltkriege unsäglich diese engen kulturellen Beziehungen unterbrachen.

So sind auch die ersten Namen auf meiner Liste absolut kurios. Meist handelt es sich um Damen von äußerst blauem Geblüt. Wer weiß, dass die Zarin Elisabeth einmal Prinzessin Luise von Baden hieß? Die Großfürstin Elena Pavlovna Romanova eine württembergische Prinzessin war oder Prinzessin Cäcilie von Baden einen Zarenbruder heiratete? Umgekehrt übrigens genauso, badische und württembergische Adlige verheirateten sich mit Russinnen. Der politische Heiratsverkehr im 19. Jahrhundert war so intensiv verbandelt, dass Großfürst Nikolaj Romanov seine große Liebe, Prinzessin Viktoria von Baden, wegen allzu nahem Verwandtschaftsgrad nicht heiraten durfte. Sie wurde Königin von Schweden, er Opfer der Revolution.

Tja, wer hätte das gedacht! Eine Frau ist an allem schuld! Die Badnerinnen haben nach einer gewissen Zeit in Petersburg ihre russischen Ehemänner samt Gefolge angeschleppt, ihnen ihre Heimatstadt derart schmackhaft gemacht, dass der Hofstaat, der im Sommer anreiste, immer größer wurde. Und noch eine Meinung muss revidiert werden: die von den einzig überlieferten berühmten Männern und dem patriarchalischen System. Das herrschte zu jener Zeit zwar überall, aber plötzlich stieß ich auf ein ganzes Nest russischer Frauen. Sie reisten allein, mit anderen Frauen, waren hochgebildet und weltgewandt. Da taucht die Muse und Gönnerin von Nikolaj Gogol ebenso auf wie die Schwägerin eines berüchtigten Mannes, der ganz Europa für Zar Nikolaus I. mit einem Spitzelsystem überziehen ließ.

Hach, und diese Schriftsteller! Zehn habe ich bisher gezählt, vier erreichten die allerhöchsten Weihen der Weltliteratur. Herrlich, wie sarkastisch und messerscharf Anna Dostojewskaja über ihren spielsüchtigen Mann und die russische Kolonie in Baden-Baden schreibt. Und wer glaubt, Lev Tolstoi sei schon immer der missionarische Asket und Weltverbesserer gewesen, als der er sich später stilisierte, der sollte einmal schauen, was er in der badischen Kurstadt angerichtet hat. Ohne Rand und Band, der Mann, gezockt bis zum Umfallen, von den ehrenrührigen Schulden musste ihn Kollege Turgenjew auslösen! Der, auf den sie ein wenig verächtlich herabschielten, veröffentlichte währenddessen fleißig: Die ersten Kapitel von Nikolaj Gogols "Die toten Seelen" und seine Erzählung "Taras Bulba" erschienen zuerst in Baden-Baden.

Die Witwe des reichsten Mannes Europas beklagt sich über ihr karges Jahreseinkommen von 200.000 Silberrubeln; ein deutscher Schriftsteller macht sein Geld, indem er seine Villa an die Superreichen vermietet. Einen schimpfen sie den "Hofmörder" und einer sengt wie die wilde Sau in seiner Troika die Lichtentaler Allee entlang. Damals gab es offensichtlich noch genügend Schnee. Der kauft seine Villa einem Amerikaner namens Charles Astor ab. Das war im 19. Jahrhundert und später - heute ist in der Allee jeglicher Verkehr streng untersagt und auch ein Neureicher oder Großfürst bekäme keine Ausnahmegenehmigung mehr.

Vier Seiten pralles, saftiges, aufregendes Leben. Faszinierende Menschen, die ganze europäische Geschichte in einer einzigen Stadt. Die ist zum Glück in ihrer Bausubstanz noch so gut erhalten, dass man auf den Spuren jener Leute heute noch wandeln kann. Und ich muss das jetzt alles auf einer halben Normseite aussagen. Mein einziger Trost: Ich werde über diese Geschichten noch ein paar Kilometer schreiben dürfen. Beim nächsten Regenwetter trifft man mich in einer gewissen Stadt in der Bibliothek und in den Archiven. Wetten, dass ich darin keinen Staub ansetzen werde? Im Gegenteil, von so manchem Schatz ist tüchtig der Staub wegzublasen!

14. Oktober 2011

Im Schnellwaschgang

Nein, mein Blog ist nicht verwaist. Kenner, die nicht nur ins Feed schauen, können sehen, dass ich manchmal mit Kommentaren beschäftigt bin (rechts im Menu) und manchmal in einem meiner anderen Blogs schreibe (rechts oben die neuesten Anreißer). So verrate ich heute im Nijinsky-Blog, wem das aufregendste Buchsignieren meines Lebens galt. Auch wenn ich es getan habe, kann ich es immer noch nicht glauben, dass mein Buch an diese Adresse gelangen soll. Das Leben spielt schon manchmal seltsam Musik....


Kürzer treten muss ich trotzdem manchmal im Internet, denn drei Exposées wollen verbrochen werden (zwei E-Ratgeber zum Self Publishing und ein erzählendes Sachbuch mit einem russisch-deutschen Thema). Und ein Image-Flyer betextet, der eigentlich sozusagen gestern schon hätte gedruckt werden müssen. Freiberufleralltag der kühlschrankfüllenden Sorte.

Trotzdem haut dann auch mich noch manchmal eine Anfrage um. Sie kam tastend, zögerlich, weil ich ja eigentlich eher als Buchautorin bekannt bin.
- Ob ich mir vorstellen könne, auch einmal ein Feature zu schreiben?
- Ja, aber immer, her damit - meine ganz große Spezialität aus Journalistenzeiten.
- Nicht einfach nur ein Printfeature. Eher etwas sehr Spezielles.
- Was denn für ein Feature?
- Ob ich mir im nächsten Jahr vorstellen könnte, in Einplanung einer Pianistin oder eines Pianisten ein abendfüllendes Feature für Musik und zwei Schauspieler zu schreiben. Über ein literarisches Werk, das auch als berühmte Komposition vorliegt. Also eigentlich für die Bühne, aber auch radiokompatibel.

Mit Kusshand habe ich zugesagt, mir das durch den Kopf gehen zu lassen! Es ist doch absolut nie etwas umsonst, was man im Leben macht. Nicht die Features im Print, nicht die Tatsache, dass ich den Text zu Nijinsky ursprünglich fürs Hören geschrieben habe. Und auch nicht die Übersetzungsarbeit für einen Theaterabend.

So langsam fängt das Auftragsschreiben an, mir Spaß zu machen. Ich kann mich eigentlich mehr austoben als in manchem Verlag. Mit der Öffnung von Texten in alle möglichen Medienzusammenhänge gibt es so viel mehr Möglichkeiten für Autoren. Aber genau das ist es, was außerhalb der Verlagswelt gefragt ist: Medial übergreifendes Denken in der eigenen Spezialisierung, Grenzgängerei in Formen wie Inhalten. Nicht das "Geradeausschreiben" im Genre. Spannende Zeiten!

Falls ich also hier zwischendurch schweige, dann deshalb:
Ich muss einen Flyer zwischen Tür und Angel texten.
Ich muss mir die Hirnwindungen für die Exposées verrenken.
Ich muss jede Menge Obst für den Winter verarbeiten.
Ich muss mich mit neuen alten Textformen anfreunden.
Ich muss das Leben feiern.
Ich muss jede Menge Obst für den Winter verarbeiten.
Ich muss den herrlichen Herbst genießen.
Ich muss jede Menge Obst für den Winter verarbeiten.

9. Oktober 2011

Spannende Woche

Soll mal jemand sagen, das Leben sei langweilig. Diese Woche werde ich exklusiv für meine Romanfigur Odile eine Undercover-Recherche in einem französischen Krankenhaus unternehmen. Zum Glück nicht auf der Chirurgischen wie sie. Odiles Schmerzen und Leiden habe ich mir allerdings aus erster Hand woanders besorgt, sie ist ja nicht die einzige, die einen ganzen Treppenabsatz hinunterstürzt.

Wer solche Recherchen unfreiwillig unternimmt, lernt außerdem hervorragend Nein sagen. Diesmal zur PR-Frau in mir selbst, die sich partout in den Kopf gesetzt hatte, noch schleunigst einen Vertreterbesuch in Sachen Nijinsky zu unternehmen. Leistungsdruck homespun sozusagen - das muss nicht sein. Solche Termine kommen wieder und zum Bestseller wäre er durch diesen einen Verkaufsort in dieser kurzen Zeit auch nicht geworden. Gut Ding will Weile haben. Dafür bohre ich diese Woche nach, ob er auch tatsächlich und wirklich Ende des Monats in gewisse erlauchte Hände findet ... Sollte sich diese Geschichte nicht als Mär erweisen, werde ich den lautesten Freudenbrüller von mir geben, den ein Blog je erlebt hat, versprochen! Bis dahin einfach bitte blind Daumen drücken.

Es ist überhaupt eine Woche für Nägel mit Köpfen. Flyertexte für einen Kunden wollen entstehen und die Besprechung beginnt gleich mit einem Essen. Bei so viel Hirnnahrung wird sicher etwas dabei herauskommen, aber die eigentliche Textschnitzerei funktioniert anschließend natürlich nur nüchtern.

Noch etwas auf die lange Bank schieben muss ich die Outlines für die Ratgeberbücher, denn nun wird auch ein Projekt akut, mit dem ich eigentlich nicht wirklich rechnete. Am Donnerstag kann ich einen Exposée-Entwurf präsentieren, der diesmal nicht zuallererst Verlage begeistern soll, sondern Sponsoren, die es mir ermöglichen sollen, zu recherchieren, zu schreiben und dabei auch noch zu essen. Sprich, ich schreibe im Auftrag für eine Organisation ein Buch, die das auf Teufel komm raus herausgeben wird, ob mit Verlag oder in Eigenproduktion. Und weil man über ungelegte Eier nicht spricht (sie bekommen sonst Beine), schweige ich mich natürlich eisern über das Thema aus. Spannend wird es werden, ein großer Spaß - und nahtlos in meine Themen wird es außerdem passen. Nijinsky bekäme sozusagen Junge ;-)

Ich geh also mal wieder Schnitzen... Wenn ich etwas gar nicht kann und ewig dafür brauche, dann sind das Texte, um meine eigenen Ideen zu verkaufen. Sollte ich je in diesem Leben noch reich werden, schreibe ich eine Stelle für einen exposéefesten Privatsekretär aus. Also kauft Leute, kauft, kauft, kauft...

8. Oktober 2011

Radio Eriwan sendet

Nicht, dass ihr nach meinem letzten Beitrag denkt, es ginge mir schlecht. Eine lustige wahre Geschichte muss ich noch erzählen:
Eine englische Freundin hat ein geheimnisvolles Gewürzpäckchen aus Armenien mitgebracht, mit sehr exotisch aussehenden Beeren. Ich sollte entziffern, was das sein könnte: черный перец
Äußerst nebulös - ich verstehe so ungefähr jedes 100ste Wort im Russischen - las ich ihr vor, dass man das vor allem für salzige Speisen, Salate, Fleisch und Fisch benutzen könne und sogar als Medizin. Angeblich töte es Bakterien und stärke das Immunsystem. Das war's dann leider schon mit meinen Sprachkenntnissen...

Der intensive Duft des Papierpäckchens, die medizinischen Versprechungen, die sehr exotisch aussehenden Beeren auf den farbveränderten Aufnahmen - das musste irgendetwas extrem Landestypisches, vollkommen Fremdes sein. Etwas Schwarzes, das Adjektiv kannte ich wenigstens! Deshalb hatte sie es auch als Andenken gekauft, weil es so seltsam aussah. Wacholder? Nein, der wäre glatter. Mein Favorit: Zedernsamen? Es MUSSTE doch etwas sein, das wir im Westen überhaupt nicht kennen!

Ich versprach, zuhause im Wörterbuch nachzuschauen. Und wurde nicht mehr. черный перец - schwarzer Pfeffer. Dafür fliegt man nach Armenien. Die Geschichte klingt nach "Radio Eriwan / Jerewan", hat aber so stattgefunden, ich schwöre! (Und ich sollte endlich mal Russisch lernen)

Zen in Frankreich

Eigentlich sollte ich ganz laut schreien, vom Eiffelturm herab Bungee springen oder 1001 Kakerlaken ermorden. Das befreit, sagt man. Stattdessen stelle ich fest, habe ich mir endlich endlich die richtige innere Ruhe à la frongsähs zugelegt, die notwendig ist, die Reformen von Merkels kurzem Freund zu überleben. Stoisch das Schicksal akzeptieren, man kann ja ohnehin nichts dagegen tun, als Kuhmist vor einem gewissen Palais in Paris abzuladen oder Wetten abzuschließen, wann es in Frankreich wieder brennen wird. Wenn es diesmal brennt, werden allerdings die guten Bürger auch so einiges zu sengen haben.

Eigentlich geht es mir nicht anders als Tausenden anderen auch. Weil ich jedes Jahr einen gewissen Formularwahn erneuern muss und weil Paris die einst lokalen Behörden fürs ganze Elsass in einer hirnfreien Papierbearbeitungsfabrik in Strasbourg zusammengefasst hat, bin ich in den Mahlstrom des Administrationswahnsinns geraten. Früher, lokal, war die Sache mit zwei Blatt Papier in zwei Wochen erledigt. Strasbourg fordert ein halbes Kilo Papier, weil man nun auch noch beweisen muss, dass man auch ja man selbst ist - es kennt einen ja keiner mehr. Stromrechnungen und Aufenthaltsgenehmigung, Wohn- oder Grundsteuer, Steuerbescheid und Passkopie - l'idiot c'est moi.

Die Idioten am anderen Ende der Macht brauchen jetzt zwei Monate und schicken einem, wenn auch nur ein Wisch fehlt oder nicht maschinenlesbar ist, den ganzen Krempel zurück: nochmal einreichen! Nochmal zwei Monate. Das Ganze zwei Monate früher einzureichen, nutzt gar nichts, weil man ja den Steuerbescheid braucht. Den gibt's frühestens im August, weil auch dieses Amt länger braucht als früher. Papiere vorreichen und Steuerbescheid nachreichen geht schon gar nicht: Man überfordere nie die Denkkapazitäten der französischen Administration. Und eigentlich könnte ich gelassen im Sessel sitzen, was rege ich mich denn so auf, es geht ja nur um meine Krankenversicherung.

Praktisch, dass wenigstens die Zusatzversicherung, die alles aufzahlt von den 70%, nicht beim Staat liegt. Höchst unpraktisch, dass die meine, wie bei einem Großteil der Franzosen, von der netten Hausbank gewährleistet wird. Und auch die hat sich - um ach so vorbildlich Geld zu sparen - zentralisiert. Callcenter wahrscheinlich irgendwo in Afrika, Paris entscheidet alles. Oberste Prämisse: Geld sparen. Bürger habt Mitleid, wir Banken sidn neuerdings so arm! Also hauen sie mich aus dem Vertrag raus, weil sie für den das Formular aus Strasbourg bräuchten. Kein Problem, wenn man nicht krank wird. Sie zahlen rückwirkend, sobald das Formular da ist.

Slapstick beim Bankberater, der nach Jahren wundervoller Arbeit selbst das Heulen kriegt. Auch er hängt eine halbe Stunde in der afrikanischen Warteschleife und gerät an Menschen, die sich reihum für nicht zuständig erklären. Der Job mache keinen Spaß mehr, man könne den Menschen nicht mehr helfen, er selbst habe um ein Formular für seinen Sohn anderthalb Jahre gekämpft. Sie seien nur noch Staffage für die da oben und die seien nur noch am Geldverdienen interessiert. Obendrein muss er den Pappnasen aus Paris erst einmal eindringlich erklären, dass das Elsass Sonderregelungen in Sachen Krankenkasse habe und eigene Gesetze. Ob denn irgendeiner zu sprechen sei, der sich damit auskenne. Elsass in Paris? - Meine 30% sind weg. Vorerst. Keine Diskussion, keine Härtefallregelungen, kein Einsehen. Ohne das Formular aus Strasbourg kein Vertrag mehr. Und Strasbourg beeilt sich nicht wegen Bürgerin XY. All die anderen Bürger warten schließlich auch! Nein, meine Zusatzversicherung ist nur noch am Einkassieren interessiert.

Glück haben sie ja, dass ich nicht wegen jeder kleinen Grippe zum Arzt renne. Aber nächste Woche ist ein schön teures Gerät im Krankenhaus angesagt. Routineuntersuchung. Kann aber nicht zwei Monate warten. Die Zusatzversicherung schickt mich zum lokalen Büro der Krankenkasse. Das sind die, die man eigentlich wegrationalisiert hat und die nur noch die Formularpacken entgegennehmen und nach Strasbourg schicken. Ich solle mir keine Sorgen machen. Ich sei ja zu 70% gedeckt. - Nun ja, sage ich, 30% von viel Geld ist auch viel für mich. Die Bank habe gesagt, ich müsse das vorschießen.

Bloß nicht!, sagt die Krankenkasse. Sie haben ein Recht drauf. Ich funktioniere bereits französisch: ein Recht, aber kein Papier! - Madame schaut im Computer nach. Voilà, mein Papierkram ist in Strasbourg angekommen. Drei Tage war er von einem Amt zum anderen unterwegs, nun ist der Eingang vermeldet. Ob ich wenigstens das schriftlich haben könnte. Nein, sie seien nicht befugt, solche Bescheinigungen auszustellen. - Ob die in Strasbourg vielleicht? Nein, das sei überhaupt nicht vorgesehen. Papiere gäbe es erst, wenn alles bewilligt sei. In zwei Monaten etwa.

Mir fällt das Herz in die Hosentasche. Theoretisch verliert man in Frankreich nie seinen Krankenschutz, dafür ist das Land berühmt. Was mache ich jetzt? Muss ich etwa diesen Krankenhausspaß allein finanzieren? Meine Carte Vitale ist ja offiziell noch nicht verlängert.

Ich solle mir keine Sorgen machen. 70% seien ja ohnehin abgedeckt. Dass etwas nicht stimme, würden die im Krankenhaus schon an meiner Karte sehen. Ich solle das mit Strasbourg erzählen und dass es eben noch dauere, vielleicht sei der Brief auch schon Ende November da.
- Und dann? Ich hätte doch keinerlei Beweis in der Hand!

Ich solle mir keine Sorgen machen. Einfach das Krankenhaus bitten, die Rechnung zwei Monate später rauszuschicken.
- Die werden mich auslachen und zum Teufel schicken!
- Nein, die werden das schon verstehen, die werden das schon tun. Ich sei ja nicht die einzige, der es so ginge. Ich solle einfach mit denen reden und sie bitten...

Zum Glück ist es nur eine Routineuntersuchung, die nicht aufs Hirn schlägt. Nicht auszudenken, was ich im Koma machen dürfte. Es ist natürlich ein äußerst abenteuerliches Gefühl, sich in ein fremdes Krankenhaus in einem fremden Land zu wagen, wo man eh schon vor lauter Aufregung fremdsprachig herumstottert. Ich habe Schiss vor Kliniken. Und jetzt muss ich auch noch für unseren Sarko die Kastanien aus dem Feuer schwätzen.

Immerhin, meine Romanfigur Odile muss auch gerade ins französische Krankenhaus. Das trifft sich gut. Ich wollte schon immer mal den Wahnsinn, den ich mir in solchen Szenen ausmale, im echten Leben recherchieren. Maxim Gorki soll gesagt haben, man müsse nicht in einer Pfanne gelegen haben, um über ein Schnitzel schreiben zu können. Werter Herr Kollege, Sie haben damals nicht wissen können, dass manche Behörden dumm wie ein Schnitzel sind und ihre Bürger deshalb in die Pfanne hauen!
Ich bin dann also mal Odile. In meinem Roman brennt es in Frankreich. In meinem Roman sind nur die Vorstädte betroffen. In meinem Roman haben die braven Bürger noch nicht genügend Wut. Aber ich konnte es bei allen Behörden und bei der Bank fast körperlich fühlen - in den braven Schnitzeln kocht es gewaltig. Das geht nicht mehr lange gut.

4. Oktober 2011

Möchtegernabwimmeln

Liest man so kurz vor der Buchmesse die Feuilletons, könnte man meinen, irgendwer habe einen Wettbewerb zum fröhlichen "Möchtegernabwimmeln" in der Buchbranche ausgerufen. Allerdings ist das auch kaum verwunderlich, denn wie in jedem Jahr werden sich wieder all die hoffnungsvollen Laiinnen und Laien auf die Verlagsstände stürzen, einen dicken Packen ausgedruckten Papiers unterm Arm, aber keinen Termin in der Tasche. Und wie jedes Jahr werden sie dann wieder laut weinen, dass man sie nicht erhört habe und all die seit Monaten angemeldeten Hausautoren und Agenten und Branchenkollegen vorzog.

Es ist aber auch ekelhaft. In einer Zeit, in der selbst Tante Erna glaubt, Schriftstellern im Publikumsverlag sei ein nettes Hobby, für das man sich bei KiKa live qualifizieren könne, kommt man schlecht an mit der Professionalisierungskeule in der Hand. Selbst mein Vergleich zu Solopianisten, Dirigenten, Schauspielern und Opernsängern wird oft nur noch mit einem gelangweilten Gähnen quittiert. Denen glaubt man nämlich auch längst nicht mehr, dass man für diesen Beruf etwas lernen und noch mehr trainieren muss. Wenn diese Leute doch wenigstens eine gesunde Selbsteinschätzung hätten und es mit Self Publishing versuchten! Die Verlage wären entlastet.

Und wenn doch die wirklichen Talente sich besser darstellten, besser vermitteln oder verkaufen könnten! Denn auch das gibt es: jede Menge wirklich guter Bücher, die nicht angenommen werden. Die Gründe sind vielfältig und kaum im Einzelnen zu analysieren. Jeder von einer Agentur vertretene Profi weiß: Auf ein veröffentlichtes Buch kommen mehrere Absagen bei der Konkurrenz. Es gibt mehr Menschen, die "Bücher" schreiben, als Programmplätze vorhanden sind. Absagen - vorausgesetzt das Manuskript ist tatsächlich gut - kommen aus unterschiedlichen Gründen zustande: Man hat sich beim unpassenden Verlag beworben, beim Lesen des Exposées schlafen einem die Füße ein, die Lektorin hatte Krach mit ihrem Liebsten, das Manuskript passt nicht ins aktuelle Programm, der Programmchef hat am Vorabend zu viel gesoffen, der Programmplatz wurde gerade an einen Kollegen mit einem zu ähnlichen Thema vergeben, der Autor hält sich nicht an Einsendeformatierungen und und und.

Mein Erstlingsmanuskript wurde von einem Alkoholiker, der Erstlingsautoren und insbesondere Frauen hasste, im Vollsuff im Verlag weggeschlossen. In dem gleichen Verlag, der ein Jahr später dieses Buch herausbrachte, nachdem ich nicht locker ließ und mich noch zwei mal dort bewarb. Als ich den Vertrag unterschrieben hatte, erzählte mir der Programmchef, man habe erst kürzlich jenen Lektor fristlos entlassen und seine Schränke aufbrechen müssen. Aus einem fielen unzählige Erstlingsmanuskripte, darunter meins.

In einem meiner anderen Verlage schickte eine Frau ein völlig unzureichendes Exposée mit Leseprobe unverlangt ein. Bei einem Verlag, der so gut wie nie unverlangt eingesandte Manuskripte druckt, weil er genug Qualität verlangt bekommt. Diese Frau hat so ziemlich alles falsch gemacht, was man nur falsch machen kann. Aber eine Zeichnung fiel der Lektorin ins Auge. Sie rief die Autorin an, ob sie noch einmal ein ordentliches Exposée verfassen könne. Das Buch wurde in Nullkommanichts zum Bestseller, inzwischen sogar verfilmt. Es ist eins der am besten verkauften Bücher im Verlag.

Was ich mit diesen Geschichten sagen will: Es ist ein Höllengeschäft. Es ist brutal, eiskalt, verrückt, herzenswarm, high-machend, fordernd, glücksspielartig und manchmal eine Karikatur seiner selbst. Schreibenkönnen allein reicht nicht in diesem Geschäft. Vorhersagen zu treffen, ist idiotisch. Ein und dasselbe Manuskript kassiert die dämlichsten Absagen, hat bei Schönwetter keine Chancen und überzeugt an einem kalten Regentag plötzlich doch einen Verlag. Wie aber besteht man nun in diesem verrückten Beruf, den manche mit Fingerschnipp beherrschen wollen und den man ein Leben lang mühsam erlernen muss?

Die SZ gibt launige Einsteigertipps, indem sie mit den sechs komischsten Typen bekannt macht, mit denen Buchautoren auf dem Weg zum ersten veröffentlichten Werk zu tun bekommen. Nicht so gönnerhaft-altväterlich, aber durchaus mit Humor untersucht die NZZ in einem äußerst fundierten und tiefgründigen Artikel, wie es dazu kommt, dass nicht alle Manuskripte bei einem Verlag landen. "Die Tempelwächter" ist einer der besten Artikel über unseren Beruf, den ich seit langem gelesen habe. Wer mit diesem Beruf liebäugelt oder wer sich fragt, wie er ihn auf Dauer überleben kann, der sollte diesen Artikel dringend lesen!

3. Oktober 2011

Landlust Elsass

Ich liebe den Altweibersommer, wenn man die Erntekörbe prall füllen kann und die Natur in ihren Farben noch einmal so richtig explodiert, bevor in den Vogesen der "Indian Summer" mit seinem prachtvollen Flammenfarben im Wald einkehrt. Das bleibt dann meist bis zur Regenperiode im November recht stabil im Wetter. Heute war Nüssesammeln an der Reihe, wenn es kühler wird, geht es am Berg zum Maronensammeln.

Einfach auf den Wiesen pflücken, was man findet...

...oder Rosen und Verbenen aus dem Garten. Die Rosen setzen noch einmal stark zur Herbstblüte an.

Die Apfelbäume biegen sich, leider ist die Pracht durch die Nässe im Sommer fäulnisanfällig und muss schnellstens gegessen und verarbeitet werden!

Erntezeit: In den Gläsern wartet der angesetzte "Nüssli" von der Sommersonnwende auf seine Gewürze und baldiges Filtern. Der letzte Verveine wurde geschnitten und es trocknen Ringelblumen und Vogelbeeren. Letztere sind eine Köstlichkeit zu Wild, Ente und im Grillöl. Die Kapuzinerkresseblüten kommen frisch in den Salat.

2. Oktober 2011

Montparnasse und Montmartre

Was lange währt, wird manchmal doch noch. Ich habe sie längst aus meinem Kopf verdrängt, aber nun ist meine erste Buchübersetzung im Handel, wie mir eine Amazonkundin per Twitter verriet.

Das Projekt war wie auf mich zugeschnitten - Leib- und Magenthema Avantgarde. Trotzdem war es ein absolutes Abenteuer für mich, nach der Arbeit für die freie Wirtschaft und für EU-Projekte in die Verlagsarbeit zu wechseln, die ein sehr viel einsameres Arbeiten bedeutet. Den 600-Seiten-Wälzer zu bewältigen, war durchaus eine Übung in Selbstdisziplin. Abenteuerlich war es auch, weil der Autor ein sehr eigenes Französisch hat, und weil er große Passagen aus der Literatur des beginnenden 20. Jahrhunderts zitiert. Das hatte ich zunächst auf die leichte Schulter genommen - mindestens bei Suhrkamp würde ich alles in Übersetzungen finden - es wäre also schlicht einzufügen. Dachte ich.

Denkste. Es ist unwahrscheinlich, wie viele Klassiker, wie viel französische Literatur, nie ins Deutsche übersetzt wurden oder nur in uralten, nicht mehr zeitgemäßen Übersetzungen vorliegen. Max Jacob ist ein solcher in Deutschland völlig verkannter Dichter, wahrscheinlich hat man ihn wie so viele jüdische Literaten, deren Texte im Dritten Reich verboten wurden, irgendwann vergessen. In einigen Fällen hat die fleißig recherchierende Lektorin Teile meiner Klassikerübersetzungen dann doch noch mit vorhandenen Übersetzungen ersetzen können - das macht man so, weil jene "offiziellen" Übersetzungen in Schulen und damit bei den Lesern eher bekannt sind.

Trotzdem blieb noch genug übrig, womit sich die Anfängerin in Sachen literarische Übersetzung graue Haare züchten konnte. Ich erinnere mich noch gut an meinen weinerlichen Hilferuf bei einem Kollegen des Englischen: "Sag mal, bin ich schlecht? Ich mache schon zwei Tage an einem einzigen Gedicht rum, das kann doch nicht sein, zwei Tage für die paar Zeilen!" Wohlwollend lachte er über mich und bestätigte, dass das gestandenen Kollegen auch nicht besser ginge, man könne nicht von jeder Sorte Text zehn Seiten am Tag "herunterreißen". Der Herr, der mich so gebeutelt hatte, heißt Guillaume Apollainire. Mit einem seiner Gedichte in der Tasche bin ich eine Woche lang auf den Hundegängen unterwegs gewesen, habe es immer wieder rezitiert, immer wieder anders betont, bis ich glaubte, Klang und Bedeutung einigermaßen im Deutschen nachdichten zu können.

Solches Stückwerk in einem erzählten Sachbuch ist besonders schwer, weil man nicht die gleiche Textmenge hat, um sich in den Ton und Duktus eines Autors hineinzufinden. Für Dan Francks Eigenarten hatte ich Zeit genug. Irgendwann verschmilzt man so mit dem Autor, dass man im Voraus ahnt, welche Art Witz er reißen wird, wie er seine Rhythmen setzt und wann er sprachlich versagt. Was aber macht man, wenn man nie André Breton im Original gelesen hat und nun aus halbseitigen Fragmenten erfühlen muss, wie sich seine Sprache nachbilden ließe? Und zeigt man den Lesern, dass Picasso in seinen ersten Briefen wie eben ein sprachunkundiger Emigrant ein Kauderwelsch-Französisch voller Fehler schreibt? Oder muss man das Genie wie in Ausstellungskatalogen schönen, seine Sprache unauffällig glätten? Ebenso führt Franck den Dichter Apollinaire vor, den berühmten Literaten, den die Mutter mit ihren grauenhaften Grammatik- und Rechtschreibfehlern ermahnt, er solle korrekter schreiben. Sie macht Fehler, über die nur Franzosen lachen können. Welche Fehler müsste sie im Deutschen machen, damit der gleiche Effekt erzielt würde und der Text trotzdem nah genug abbildete, was ihre Eigenheit war?

Nun, es ist vollbracht und ich warte natürlich gespannt auf meine Belegexemplare. Und ich habe Gefallen gefunden am Übersetzen von Büchern ...

Dan Franck: Montparnasse und Montmartre. Künstler und Literaten in Paris zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Parthas Verlag Berlin. Übersetzerin: Petra van Cronenburg