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31. August 2011

Grenzgängerei pur

Im Moment geht mir eine gewisse Spezies von Mensch gehörig auf die Nerven. Und zwar Leute, die allüberall im Internet jeden neuen Hype und jede technische Neuerung in Sachen Buch künstlich hochjubeln, weil damit endlich der große Reibach, der riesige Profit, die fette Auflage zu machen sei. Mit Self Publishing reich werden, mit E-Books Millionär werden, mit Social Media Heerscharen von Fans anlocken - das glauben viele von ihnen in der Tat sogar selbst. Denn sie sind Autorinnen und Autoren. Und wenn sie nicht gerade aus der amerikanischen Jubelecke kommen, wo man als Ehemaliger-Tellerwäscher-Bestsellerautor nun eben auch noch ein paar tausend Dollar Profit mit der Illusion der kleinen Unbedarften macht - dann haben sie sich in den seltensten Fällen bereits einen Namen in der Buchwelt gemacht.

All diese Kollegen, die wie Dagobert Duck Dollarzeichen in den Augen tragen, möchte ich immer wieder fragen: Schreibt ihr im Ernst Bücher, nur um reich und berühmt zu werden? Habt ihr wirklich noch nie durchgerechnet, wie wenige Buchmillionäre weltweit herumlaufen? Und unter den Self-Publishern sind es noch sehr viel weniger - auch wenn sie überdurchschnittlich oft durch die Medien gejagt werden. Hättet ihr doch besser einen anderen Beruf erlernt! Nein, die Masse der Autoren wird nicht reich mit ihrer Arbeit - egal in welcher Form die Bücher erscheinen, egal, welche Technik des Lesens benutzt werden mag. Man berechne nur einmal den Aufwand der eigenen Ausbildung, die Arbeitszeit, die Belastung, die Leistung und berechne daraus einen Stundenlohn. Autoren, die ein Buchprojekt nur im Hinblick auf den Profit angehen, sollten nicht auf die Controller von Großverlagen schimpfen. Mit Buchhalterei alleine schöpft man keine Inhalte.

Tatsächlich gibt es - so finde ich jedenfalls - jede andere Menge Gründe, ein Buch zu schreiben. Wenn ich KollegInnen frage, kommt am häufigsten die Antwort, dass sie gar nicht anders können. Ohne das Erschaffen von Manuskripten scheinen sie nicht überlebensfähig zu sein. Andere nennen die große Freude und Befriedigung, oder einen Erkenntnisgewinn, die Spannung bei der Recherche. Manchen geht das Herz auf, wenn sie Welten schöpfen, in denen die Leser eines Tages spazieren gehen können. Andere nutzen ihre Bücher, um zu unterrichten und auch neben dem Schreiben Wissen weiterzugeben. Sogar Schriftsteller, die gar keine werden wollten und sich mit Händen und Füßen gegen die Berufung wehrten, sind mir begegnet. Oder Menschen, die diesen Beruf gleichermaßen hassen und lieben. Keiner von denen, die auch nur einigermaßen bekannt sind, schreibt allein deshalb, weil man auf diesem Wege Reibach machen könnte. Das scheint ein Internet-Phänomen der Hoffnungsvollen zu sein - und derer, die mit ihnen Geld verdienen wollen.

Ich muss darum schmunzeln, wenn ich in letzter Zeit immer öfter gefragt werde, ob mein Buch "Faszination Nijinsky" denn nun ein Erfolg geworden sei (nach einem Monat auf dem Markt!). Ich habe keinerlei Messwerte - Verkaufszahlen sehe ich erst später und Presserezensionen wird es erst zur Saison im Oktober geben. Dennoch weiß ich, dass ich bei der Art der Distribution wahrscheinlich nie die Verkaufszahlen wie bei anderen Büchern erreichen werde - das Buch liegt schlicht nicht auf Buchhändlertischen. Was ist also Erfolg? Eine dicke Abrechnung?

Erfolg ist für mich, wenn ich ein Thema, dem ich mich mutig gestellt habe, auch wirklich zu meiner eigenen Zufriedenheit bewältige - und ich bin mir eine extrem scharfe Kritikerin. Erfolg heißt, über meine eigenen Grenzen und Begrenzungen hinauszuwachsen, Fortschritte im Schreiben zu machen, im Denken. Wachsen, um für das nächste Buch die Messlatte wieder ein Stückchen höher hängen zu können. Erfolg mit einem erschienenen Buch habe ich, wenn ich in glänzende und bewegte Leseraugen blicke. Wenn man mir erzählt, dass irgendetwas an diesem Buch zum Denken angeregt hat, Freude bereitet hat - oder im Idealfall sogar etwas bewegte. Erfolg ist, wenn ein Buch berührt. Ich liebe den Erfolg, wenn sich für Leser die Welt weitet und sich ihr Horizont verschiebt.

Natürlich nehme ich Geld für meine Arbeit und freue mich, wenn ich einen Winter ohne Frieren durchheizen kann. Würde ich aber lieber bei 25 Grad Raumtemperatur Kaviar schaufeln, hätte ich eindeutig meinen Beruf - nein, meine Berufung - verfehlt. Erfolg ist deshalb auch, wenn ich mir den Luxus des Schreibens erarbeiten kann, die Freiheit, schriftstellerisch auch einmal Nein zu sagen, mich frei zu entwickeln. Dafür gibt es ein anderes Schreiben, eines auf Bestellung, eines, das nicht immer mit den eigenen Herzschmerzprojekten zu tun hat und im Idealfall doch an sie heranreicht.

Wie bei kaum einem anderen Buch zuvor feiere ich mit "Faszination Nijinsky" jedoch auch einen Erfolg, den mir in diesem Ausmaß wirklich kein Verlag hätte verschaffen können, den ich mir selbst erarbeiten musste: Das Buch öffnet Türen. In einer Weise, die ich selbst nicht für möglich gehalten hätte.

Seit Tagen versuche ich zu erkunden, worin das Geheimnis liegen mag, dass dieses Buch nicht nur berührt, sondern auch Kontakte schafft. Ersteres mag ja noch an meinem Schreiben liegen, aber letzteres? Ich kann wieder nur Parallelen aus anderen Künsten ziehen und muss dabei an den Film denken. Menschen, die ein Filmprojekt durchboxen wollen, erscheinen auf ihre Umwelt oft monomanisch, vollkommen in ihrer Themenwelt versunken, auf ein einziges Ziel hin fokussiert. Aber genau damit schaffen sie irgendwann diesen magischen Punkt, an dem sich scheinbar zufällig wie bei der Glücksfee alle Türen öffnen und eins zum anderen kommt. Die Umwelt sieht wieder nicht die oft jahrelange und aufreibende Arbeit, die dahinter steckt...

Kairos nannten das die alten Griechen. Es ist der richtige, der glückliche Zeitpunkt, wo sich der richtige Mensch mit dem richtigen Thema zur richtigen Zeit am richtigen Ort bei den richtigen Menschen befindet - und diesen Zeitpunkt beim Schopfe packt. Der ist nämlich ziemlich flüchtig.

Ich wage zu erahnen, dass ich so einen Kairos mit dem Nijinsky-Projekt erwischt habe. Mit monomanischer Beharrlichkeit, die wahrscheinlich sogar manche Blogleser genervt haben mag. Erinnert sich noch jemand, wie ich in Bezug auf die europäische Avantgarde und die Ballets Russes von der Achse Paris-Petersburg geschwärmt habe? Wie die Grenzgängerin ihr eigenes Europa immer weiter ausgedehnt hat?

Ich rede ja ungern über ungelegte Eier, aber das zeichnet sich schon einmal ab: Dank eines gewissen blauen Buchs hat sich meine künftige Arbeitsachse bis nach Russland verschoben. Ich bin riesig gespannt auf die Projekte mit meiner russischen Übersetzerkollegin. Und wahnsinnig aufgeregt.
*dreimalaufHolzgeklopftundhinterdieSchultergespuckt*

29. August 2011

Freud und Leid des Konzertbesuchers

Seit wenigen Tagen läuft noch bis zum 11. September in der Grenzstadt Wissembourg das Internationale Musikfestival. Es überrascht nicht nur mit einer abwechslungsreichen Kammermusik-Auswahl, bei der auch seltener Gehörtes dargeboten wird. Die Musiker sind von einer Qualität, die man in einem Provinzstädtchen nicht automatisch vermutet. Manche von ihnen kann man sonst eher auf großen Bühnen hören. Es lohnt sich also auch der weitere Weg.

Im Juni habe ich im Blog und in den Social Media Werbung fürs Festival gemacht und angeboten, dass man mich vorher per Internet kontaktieren kann - dann ließe sich dort gemeinsam ein Gläschen Sekt trinken. Eine schöne Gelegenheit, alte Freunde wiederzusehen oder virtuelle Bekanntschaften kennenzulernen. Ich habe leider die Rechnung nicht mit dem Appetit der Leute gemacht: "Was gibt es denn außer Sekt?" war die meistgestellte Frage. Schrieb ich das zunächst der Bequemlichkeit allzu loser Bekanntschaften zu, so wurde ich leider bald auch von den engsten Freunden im Stich gelassen. Das sind musikbegeisterte Menschen, manchmal selbst Musiker, Menschen, die für ein gutes Konzert schon mal 100 km anreisen, um sich einen rundum gelungenen Abend zu gönnen. "Wunderbar, Frankreich, wir kommen! Und dann gehen wir anschließend so richtig mit allem Drum und Dran dinieren!"

Heidelberg, Mannheim, Stuttgart, Offenburg - kein Problem mit der Anreise, aber ein gutes Konzert ohne Essen danach oder wenigstens einen Plausch bei Elsässer Wein - dafür bewegt man sich nicht aus dem Haus! Genuss rundum - das gehört zumindest zur deutschen Ausgehkultur, wer das nicht will, hört CDs. Wie peinlich, dass ich berichten musste, wie in einem Städchen mit zig Restaurants, knapp an der elsässischen Weinstraße gelegen, die Gelegenheiten fehlen. Nach dem Konzert werden dort nämlich bereits die Gehsteige hochgeklappt, pardon, der Koch verlässt die Küche. Das einzige garantiert offene Restaurant ist mit den Musikern, Veranstaltern und wenigen Glückspilzen prall gefüllt und eine Pizzeria französischen Stils lockt garantiert keinen Baden-Badener Geschäftsmann mit erlesenem Geschmack hinterm Ofen vor. Was tun? Letztes Jahr floh ich mit meinen Gästen wieder über die Grenze. Vor den Konzerten locken mit Küche ab 17 Uhr zumindest in der zweiten Wochenhälfte die Winzerstuben im pfälzischen Schweigen und dort kann man beim Griechen auch noch bis Mitternacht sicher sein, nicht zu verhungern.

Die Freunde tippten sich diesmal an die Stirn: "Ich fahre doch nicht extra zu einem Festival nach Frankreich, um dann in Deutschland Essen zu gehen!" Die Leute aus der Ortenau formulierten es härter: "Da kaufe ich doch lieber die billigste Karte im Festspielhaus und habe anschließend Nachtleben zur freien Auswahl." Kurzum: Ich stehe in diesem Jahr ganz alleine da. Eine französische Freundin, mit der ich im vergangenen Jahr fruchtlos in der Region herumgefahren bin, von einer verschlossenen Küche zur anderen, um endlich gegen Mitternacht bei mir zuhause eine Suppe aufzuwärmen, kommt genau deshalb nicht mehr. Geblieben sind Freunde aus Wissembourg. Die wissen sich nämlich inzwischen selbst zu helfen: "Komm vorher zu einem leichten Abendessen zu uns - und nach dem Konzert machen wir auch bei uns weiter. Wir machen die Gastronomie selbst und haben wieder Geld gespart."

Es ist traurig, wenn ein Festivalbesuch an der Kleinigkeit scheitern muss, dass Gastronomen sich den Zusatzverdienst entgehen lassen. Sie könnten womöglich zahlungskräftigeres Klientel anziehen, wenn sie nur zwei Wochen lang die Küchenzeiten wenigstens um eine Stunde nach hinten verschieben können. Klientel kommt heute nicht mehr automatisch, Klientel muss man aktiv anlocken. Es ist traurig, wenn ausgerechnet ein internationales Festival in einer Grenzstadt dadurch im Einzugsbereich künstlich begrenzt wird - in Zeiten, in denen man sich überall Gedanken machen muss, mehr Menschen für Klassik zu begeistern. Ausgerechnet in Zeiten, in denen anderswo Konzertveranstalter und Gastronomie längst Hand in Hand arbeiten und viele Konzerthäuser ohne Kulinarik gar nicht mehr zu denken wären.

Die Duisburger Philharmoniker haben in diesem Jahr eine Blogparade zum Konzert der Zukunft veranstaltet und sich damit unter Fachleuten und Publikum umgehört, wie die modernen Bedürfnisse aussehen. Mit sehr großem Erfolg, denn das Publikum von heute will in seinen Bedürfnissen ernstgenommen werden. Wenn große Konzerte per Live-Streaming oder online abrufbar werden, wird beim echten Live-Konzert das sinnliche Erlebnis wichtiger. Immer wieder wird neben dem Kontakt zu den Musikern und der Atmosphäre das Vorher und Nachher genannt: Wer sich heute noch für ein Konzert "aufrafft", will einen rundum gelungenen Abend erleben, will hinterher über die Musik plaudern oder den Abend kulinarisch ausklingen lassen. Es ist eine uralte Binsenweisheit, dass das Wecken von Geschmacks- und Geruchssinn auch dem Hörsinn entgegenkommt und umgekehrt. Nicht umsonst verführen sich Paare seit Urzeiten bei guter Musik, einem feinen Wein und etwas Leckerem auf dem Teller. Warum also nicht die Menschen im wahrsten Sinne des Wortes zum Konzertbesuch verführen?

Andernorts wird das mit Raffinesse praktiziert. Man muss nicht unbedingt im Baden-Badener Festspielhaus das Weekend mit Kulinarik und Tagesprogramm buchen. Die Reihe Kultur Trio des Museums Ludwig ist so beliebt wie bekannt: Unter dem Motto Kunst - Kulinarik - Konzert gibt es eine einstündige Museumsführung, ein Diner um 18 Uhr und ein Konzert um 20 Uhr für eine Eintrittskarte. Kleinere Städte imitieren das Konzept längst. Der bekannte Geiger Daniel Hope spielte in Berlin Mozart zum Frühstück. In der Musikstadt Wien bietet ein Hotel jungen Musikern Auftrittsmöglichkeiten und den Gästen Hochgenuss bei den HörDelikatEssen.

Die Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken-Kaiserslauten zieht mit den Picknick-Konzerten der Klassic Open rund 5000 Besucher an, die entsprechenden Konzerte der Philharmonie Baden-Baden in der Lichtentaler Allee sind stets ausgebucht und längst weit über die Stadtgrenzen hinaus Kult. Immer profitieren von solchen Veranstaltungen drei Seiten: Die Veranstalter, die Gastronomen und das Publikum. Wer in einer Stadt, die er nur für ein Konzert besuchte, ein unvergessliches Essen erlebte, kommt in der Regel übrigens zum Kurzurlaub wieder. Das erfahre ich auch bei meinen eigenen Auftritten: Sind sie mit etwas Kulinarischem verbunden, kommen nicht nur bis zu dreimal so vielen Gästen - die Besucher kaufen auch freudiger meine Bücher. Das ist unter Kollegen längst kein Geheimtipp mehr: Ein gutes Glas Wein macht spendabel.

Nein, Wissembourg braucht natürlich kein Luxus-Event à la Großstadt, kein eigenes Festival-Catering und auch kein Open-Air-Publikum mit Picknickdecken. Obwohl ich nach den neuerlichen Erlebnissen versucht bin, meinen Freunden den Picknickkorb dringend zu empfehlen. Wiesen und Grünflächen für einen solchen Konzertausklang gäbe es ja genug. Zu dumm nur: Meine Freunde von der deutschen Seite würden ins Elsass nur fahren, um eben auch Landestypisches zu verkosten, die guten Weine zu probieren, die traditionellen Gerichte.

Wenn doch nur die Gastronomen der Stadt endlich ein Einsehen hätten, dass nicht nur wir freudig und freiwillig Geld in der Stadt lassen würden, wenn man uns doch nur ließe. Von einem Festival könnten alle Beteiligten profitieren: Die Veranstalter, die Musiker, die Gastronomie, das Publikum, bei längerem Aufenthalt der Einzelhandel, die Tourismus-Akteure, die Stadt und damit auch die Region.

So aber bleibt mir in diesem Jahr nur das Gläschen Crémant in der Konzertpause und der Hausbesuch bei den einheimischen Freunden in Wissembourg, die im Lauf der Jahre gelernt haben, dass man für ein Konzert in dieser Stadt selbst vorkochen muss. Auch nicht übel. Das gesparte Geld trage ich in ein feines kleines Restaurant anderswo, wenn ich in einem anderen Städtchen das nächste Konzert besuche.

Trotz allem habe ich die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass Wissembourg wenigstens im nächsten Jahr so werden wird, wie ich das Elsass in meinem Buch beschrieben habe: accueillante.

PS: Ich bitte noch um Geduld - die dritte Neuauflage des Erfolgsbuchs "Elsass. Wo der Zander am liebsten im Riesling schwimmt" (Hanser) ist geplant - die zweite Auflage ist leider absolut restlos ausverkauft und gebrauchte Exemplare werden zu Höchstpreisen gehandelt. Das gleichnamige Hörbuch mit der von ARTE und SWR 2 bekannten Sprecherin Doris Wolters ist im Handel noch zu haben.

Knallhart und wenig einträglich

Ich lese immer wieder gern Berichte über den Beruf "AutorIn" in der ganz normalen Tagespresse, weil man dort erleben kann, was sich JournalistInnen unter dem Berufsalltag so vorstellen. Man freut sich dann jedes Mal, wenn Druckkostenzuschussverlage ihre "künftigen Bestsellerautoren" im lokalen Aufmacher hochjubeln dürfen oder - wie kürzlich eine Zeitung schrieb, das ganze dumme Bewerbungsgedöns bei Verlagen und Agenturen wirklich überflüssig sei, wo man doch heutzutage alles selbst machen könne - was selbstverständlich überhaupt keine Arbeit mache.

Etwas ernsthafter geht es im "fnweb" zu: "Ein knallhartes Geschäft" heißt der Artikel über eine Diskussionsrunde von Autorinnen in Würzburg.
Wer hätte das gedacht, der gute alte Karl Valentin hat immer noch recht, der sagte: "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit." Dass es bei dieser Arbeit außerdem zur knallharten Auslese kommt und dass dieser Prozess bei steigenden Zahlen von sogenannten Möchtegernschriftstellern eben noch ein wenig härter als knallhart werden kann, sollte doch nicht verwundern? Wer klagt eigentlich darüber, was Opernsängerinnen oder Pianisten auf sich nehmen müssen, Maler und Bildhauerinnen und all die anderen KünstlerInnen? Die setzen sich nicht mal so eben ans Klavier und klimpern los, weil doch jeder Mensch mit zwei Händen zum Klimpern geboren sein könnte. Jahrelange Entbehrungen in Kindheit und Jugend, eine umfassende und harte Ausbildung im Beruf - und dann geht der Zirkus mit den Wettbewerben und Preisen erst so richtig los! Wer Karriere machen will und womöglich an die Weltspitze gelangen, der muss sich eindeutig für eben diese Karriere entscheiden. Man zahlt einen hohen Preis, aber man zahlt ihn gern.

Warum glaubt eigentlich alle Welt, man müsse sich nur an den Schreibtisch setzen und losschreiben? Man tippt ja schließlich schon ein halbes Leben lang am Tagebuch oder sammelt Omas Knödelrezepte in Schreibschrift. Wenn schon das Schreiben kein richtiger Beruf ist, dann wird der Bewerbungsvorgang zum lustigen Lotteriespiel. Die blutigen Anfängerinnen schicken ihre unbearbeiteten Manuskripte mit der Gießkanne an die größten Verlage oder gleich an die Top 100 (obwohl zahlreiche Autorenforen heutzutage wirklich wunderbar aufklären und beraten). Kommen dann nur Absagen, sind die bösen bösen Verlage schuld, die nur böse böse Profit machen wollen und sich einfach nicht zum Sozialinstitut wandeln möchten. Warum aber kommt niemand von diesen Bewerbern auf die Idee, dass in einem Beruf auch das Bewerben gelernt sein will? Dass es bestimmte Vorgaben und Prozesse gibt, bis die eigene Leseprobe samt Exposée überhaupt verkaufsfein ist?

Die Autorinnenrunde von Würzburg hat sich mit diesen Schwierigkeiten beschäftigt. Erstaunlichstes Ergebnis: Freie Autorinnen verdienen rund 3000 Euro im Jahr weniger als Autoren - angeblich, weil sie es seltener ins Hardcover schafften. Und freie Autorinnen seien häufig gezwungen, Schulden zu machen, um schreiben zu können.

So sehr ich selbst für gleiche Löhne unabhängig vom Geschlecht einstehe, so kritisch gehe ich mit Behauptungen um, die statistisch überhaupt nicht abgesichert sind. Da kommen Fragen auf, Fragen, die leider weder die Autorinnen noch der Artikel beantworten. Warum sollen freie AutorInnen gezwungen sein, Schulden zu machen? Wissen wir nicht alle, dass wir diesen Beruf durch einen "ordentlichen" Beruf nebenfinanzieren müssen? Liegt es wirklich am Geschlecht, wenn ein paar besonders Blauäugige ihren Brotberuf hinwerfen, weil sie das erste Buch veröffentlicht haben? Diesen Fehler begehen auch Männer.

Nehmen wir an, das mit den Hardcovers stimmt. Liegt das aber am Geschlecht? Oder liegt es vielmehr daran, dass das Heer der Schriftstellerinnen Trendgenres bedient, die hauptsächlich im Taschenbuch erscheinen - und in denen es aufgrund der hohen Zahl von Konkurrentinnen nicht mehr die Vorschüsse gibt wie einst? Wie viele Männer schreiben Frauenromane, historische Romane - wie viele Frauen? Hardcover: Wie viele Männer schreiben gesellschaftspolitische Sachbücher, Sachbücher überhaupt, die im Schnitt mehr einbringen als Belletristik? Könnte es sein, dass wir Frauen vielleicht einfach auch eher die nicht ganz so einträglichen Themen wählen?

Aber Helene Hegemann ist eine Frau, Rosamunde Pilcher ist eine Frau, J. K. Rowling ist eine Frau, Charlotte Roche ist eine Frau, Elfriede Jelinek, Doris Lessing und Herta Müller sind Frauen und Literaturnobelpreisträgerinnen. Was machen diese Frauen anders? Warum haben sie es geschafft? Was können wir Autorinnen von diesen Frauen lernen?

Das interessiert mich persönlich sehr viel mehr als vereinfachende Geschlechterstereotypen. In unserem Beruf sind Honorare und Tantiemen absolut frei verhandelbar, Normverträge setzen inzwischen Limits nach unten. Die Höhe der Garantiesumme wird nicht aus dem Geschlecht errechnet, sondern aus der projektierten Vermarktbarkeit des Titels. Wenn wir uns selbst schlecht verkaufen können oder kleinreden lassen, stehen uns Literaturagenturen zur Verfügung, in denen Frauen und Männer knallhart und tough verhandeln und das Bestmögliche fürs Buch herausholen. Theoretisch müssen wir nicht einmal mit unserer wahren Person erscheinen. Beste Vorausetzungen für echte Profis also.

Warum bleiben den Frauen dann trotzdem 3000 Euro weniger im Jahr (es gibt keine verlässlichen Studien zum Einkommen von freien AutorInnen)? Und warum fällt mir dazu ein Zitat von Asta Scheib ein:
"Welch großes Werk hätte ich schreiben können, wenn nicht Söhne, Schwiegertöchter, Ehemänner, Stiefkinder, Patenkinder und große wollige Hunde mich lebenslang gehindert hätten."
Lesetipps: 
Stefan Bollmann und Elke Heidenreich: Frauen, die schreiben, leben gefährlich. Elisabeth Sandmann Verlag
Ruth Klüger: Was Frauen schreiben. Zsolnay
Ruth Klüger: Frauen lesen anders. dtv

26. August 2011

Jede Menge Lernstoff für Autoren

Inzwischen scheint das Sommerloch zu Ende, jede Menge interessanter Artikel rund ums Buch erscheinen wieder im Netz. Hier eine kleine Empfehlungsliste.

Bisher hat man versucht, mit Statistiken zu belegen, dass Technik und all dieses E-Zeug Männer endlich zum vermehrten Lesen bringen könnte und ältere Leute Vorbehalte dagegen hätten. Das hat sich in den USA nun komplett geändert - 61% der E-Reader sind fest in weiblicher Hand. Dass es bei den Tablets noch anders aussieht, mag daran liegen, dass in den USA nicht unbedingt das dicke Extra-Geld in weiblicher Hand liegt. Kurzum, die Statistik (mashable) zeigt: Frauen lesen einfach mehr als Männer. Und Frauen können verdammt gut mit Technik umgehen. Wenn diese Technik dann auch noch die Lesebrille überflüssig macht, braucht's keinen Großdruck mehr. Warum glauben eigentlich so viele Menschen, ältere LeserInnen könnten Angst vor Elektronik haben?

Eine der klugen Frauen in Sachen Buch ist Katja Splichal vom Portal "Verlage der Zukunft". Im Buchreport hat sie ein äußerst lesenwertes Interview zum Thema gegeben, wie Verlage in der Zukunft aussehen könnten und wie Bücher dann entstehen. Die Printversion lohnt sich sehr, in einem kurzen Auszug gibt es das Interview online.

Für heißen Diskussionsstoff sorgte Ewan Morrison bei der internationalen Buchmesse in Edinburg mit einem Thesenpapier zur Zukunft der Schriftsteller. Einen sehr ausführlichen Auszug bringt der Guardian unter dem Titel "Are books dead and can authors survive?" Seine Thesen sind äußerst steil: Befördert durch die digitale Kultur auch beim Buch steuerten wir auf ein Käuferverhalten à la "Geiz ist geil" zu, das nicht nur Verlage zunehmend Sorgen bereitet. So einseitig sich das auf den ersten Blick als der übliche Kassandraruf lesen mag - Morrison sagt zu Recht, dass wir uns endlich mit Fragen von Urheberrechten und Piraterie, aber auch von Preisgestaltung und Wertigkeiten befassen müssen. Ihm geht es um die AutorInnen: Wie werden sie künftig bezahlt werden, welche Arbeitsbedingungen werden sie vorfinden, welche Leute werden in Zukunft welche Bücher schreiben?

Eine der vielleicht in Zukunft einmal etablierten Bezahlungsformen ist das Fundraising - die älteste Geldbeschaffungsart der Welt, seit sich Schamanen mit Schweinehälften aushalten ließen und Komponisten für Adlige und Reiche Auftragsarbeiten schufen. Im Moment weiten sich die Möglichkeiten von den Reichen und Adligen oder Firmensponsoring hin zum Jedermann, der im Rahmen seiner Möglichkeiten Mäzen werden kann. Das heißt dann Crowdsourcing und ist auf speziellen Plattformen online abzuwickeln - hier zahlen die Fans die Künstler. Weil man dafür aber wie einst beim Landesfürsten Türklinken putzen und "betteln" muss, kann man es sich mit den Geldgebern auch tüchtig verscherzen. Wie man sich bei Fundraising richtig verhält, erklärt Gail Perry. Das Rezept, das man auf ein einziges Wort bringen kann, sei vor allem AutorInnen ans Herz gelegt, die sich in den Social Media bewegen: Zuhören! (Der Artikel erklärt, wie man das macht).

Ebenfalls höchst lehrreich und außerdem vergnüglich geschrieben sind die 25 Verhaltenstipps für AutorInnen in den Social Media von Terribleminds. Da stecken jede Menge Wahrheiten der gelungenen Buch-PR drin, die man nicht nur in den Social Media beherzigen sollte. Pflichtlesestoff für alle AutorInnen, die etwas für ihre Bücher tun wollen oder sogar tun müssen!

Wem das alles zu intensiv ist und zu viel Lernstoff - man kann auch vortrefflich anhand von Be-Greifbarem lernen. Die Kunst- und Designstudentin Rachel Walsh hat versucht, Charles Dickens einen E-Reader zu erklären - verblüffend schön.

25. August 2011

In Zwischenräumen

Heute steht es leider mit meinen Sprachfähigkeiten noch schlechter - jeden Text korrigiere ich mindestens fünf Mal, weil ich die Buchstaben kplomtte durcheinanderwürfle. Gestern sagte ich zu jemandem: "War danke viel sehr" - und bemerkte erst an dem überraschten Blick, dass ich womöglich etwas Seltsames gesagt hatte. Also versuchte ich noch drei Anläufe, aber mir wollte partout das richtige deutsche Wort nicht mehr einfallen. Dafür hatte ich das richtige russische für genau diese Situation kurz zuvor gelernt.

Fünf munter plaudernde Russen (d.h. im Originaltempo) über zwei Stunden lang, dazwischen kleine Übersetzungen - und ich fühle mich wieder wie damals bei der Ankunft in Polen: wie ein kleiner sprachloser Alien. Da habe ich nun so viele Sprachen gelernt und kann mich immer noch nicht fließend mit der Welt unterhalten! Und ich bemerke wieder diesen unermesslichen Hunger und Durst, weit hinter Gestik und Mimik zu gelangen, diese Wand zu durchbrechen, die zwischen Gedanken von Menschen steht, wenn sie zwei verschiedene Sprachen sprechen.

Bei mir hilft zunächst am besten Berieselung. Ein Gefühl für die Laute bekommen, für den Klang, die Musik einer Sprache. Es ist, wie wenn man eine fremde Symphonie anhört, in einer Musik, mit der man sich noch nie beschäftigt hat. Beim ersten Hören schreckt man vielleicht zurück, empfindet manche Töne als Getöse und kann mit der Rhythmik nichts anfangen. Lässt man sich aber auf die Musik ein, bemerkt man plötzlich, dass ein disharmonischer Klang genau den richtigen Kontrapunkt ergibt, dass der Rhythmus tanzbar wird und die unbekannten Instrumente fühlbar. Irgendwann erkennt man sogar die einzelnen Takte. Irgendwann ist man soweit, die Noten aufschreiben zu können. Diesen Effekt des "Umhörens" erlebe ich manchmal bei Franzosen, für die Deutsch meist wie Holzhacken klingt - unwahrscheinlich hart und krachend. Liest man ihnen dann deutsche Lyrik vor oder einen Text, der mit Amtsdeutsch nichts zu tun hat, kommt das große Staunen - aha, ihr macht zwar riesige Pausen nach jedem Wort, aber das kann ja sogar weich klingen!

Ich muss mich einhören und einfühlen. Jeglicher Sprachunterricht der schulischen Sorte prallt an mir ab. Ich kann auch keine Vokabeln büffeln. Entweder erzeugt ein Wort in mir einen bestimmten Klang mit einer Farbe oder sogar einen Geruch. Das ist dann gespeichert. Wie z.B. der Herr Gogol, von dessen altvertrauter deutscher Aussprache Gohgohl ich mich wohl verabschieden muss. Im Original kullert und hüpft sein Name wie ein silbergrauer runder Kieselstein über glitzerndes Wasser. Ich muss also nur an den Stein denken und dann kann es eben passieren, dass ich im Zustand des Zwischenraums jemanden frage, ob er schon mal das Buch von Stein gelesen habe, na das von diesem silbergrauen Schriftsteller, wie hieß er noch gleich ...

So lustig das für Außenstehende klingen mag - der Zustand im Zwischenraum ist schrecklich. Als ob man einen dicken, wattierten Raumanzug trägt, der keine Töne herauslässt, und in dem jede Bewegung unendlich mühsam wird. Man möchte ihn herunterreißen und endlich auf dem anderen Planeten unbeschwert herumspringen. Stattdessen hört man komische Funksprüche, die sich gegenseitig überlagern. Ich will etwas sagen, suche nach einem Wort und plötzlich quakt es auf Polnisch ins Ohr. Das Hirnmännchen, das ich mir als Kind immer vorgestellt habe, rennt mit der Fliegenklatsche in den Hirnwindungen herum und schlägt zu: "Bist du ruhig, du bist jetzt nicht dran! Und außerdem war das halb Italienisch!" Das polnische Wort aber quakt weiter: "Ich bin viel näher dran als das englische Wort, lass mich endlich raus, ich will in den Mund!" Kein Wunder, dass sich das Englische schmollend in den letzten Winkel verzieht und plötzlich gar nicht mehr verfügbar ist. Habe ich diese Sprache je gelernt? Kann sich eine Sprache zeitweise verabschieden und Urlaub machen?

Nach einer Stunde hat sich mein Hirnmännchen erschöpft hingesetzt. Vielleicht war das der Moment, in dem etwas heimlich still und leise von ganz tief unten an ihm vorbeischleichen konnte. Es war ein nebliges, in seinen Farben völlig verblasstes Etwas. Eine Erinnerung aus Teenie-Tagen. Damals hatte ich in der Schule ganz wenig Russisch gelernt, ohne je die Gelegenheit zu haben, es richtig zu hören. Das Etwas hat die polnischen Wörter an der Hand genommen und zusammen sind sie in mein Ohr geschlichen und haben sich still hingesetzt. Ich hätte nie etwas übersetzen können, nichts sagen, nichts antworten. Aber ich begann grob zu verstehen, um was es ging. Ich bekam eine Ahnung, worüber die Leute redeten. Und mit jeder Minute bekam das verblasste Etwas ein wenig von seinen Farben zurück.

Ob ich es je so weit schaffen werde, dass mein Hirnmännchen sich fügt und noch eine Sprachabteilung hegt und pflegt, weiß ich nicht. Ich bin so furchtbar ungeduldig und wünschte mir manchmal die "Transponder" aus dem Raumschiff Enterprise, die man sich einfach um den Hals hängt - und schon kann man fließend miteinander sprechen - ob man vom Planeten der blauen Vielarmer stammt oder vom Planeten der gelben Quarkgesichter. Bis die Transponder erfunden werden, muss ich mich eben noch öfter in den schwerelosen Zwischenraum begeben und nach Wörtern fischen.

Das Hirnmännchen jedenfalls war danach völlig erschöpft und scheint heute so etwas wie einen Kater zu haben. Ab und zu versagt es in seinen Sprachwächteraufgaben. Aber immerhin habe ich gerade auf Französisch telefoniert - weil mir auf Deutsch nicht einfiel, was ich sagen wollte...

23. August 2011

Kinderbücher können gefährlich nachwirken

Als Kind bekam ich von einem Patenonkel "die dicksten Bücher der Welt" geschenkt: Sämtliche Erzählungen von Nikolaj Gogol in einem Band, Lew Tolstoi zwischen zwei Buchdeckeln mit Erzählungen und den Jugenderinnerungen dazu - später folgte Dostojewskij. Riesige reiche Erzählwelten taten sich für mich auf und vom ersten selbstverdienten Geld kaufte ich mir Turgenjew und Tschechow. Ich lese diese Bücher seither immer wieder und immer noch - staunend, begeistert. Und unwahrscheinlich neugierig, wie man es schaffen kann, Figuren derart lebendig wie in Fleisch und Blut zu erschaffen und die Leser in Welten zu ziehen, die sie sich vorher nicht haben vorstellen können.

Wie das Leben so spielt, wenn man auf seinen Bauch hört, bin ich frischgebackenes Mitglied in der seit einem Jahr existierenden deutsch-russischen Kultur-Gesellschaft Baden-Baden und werde mit obigen Herren und einigen ihrer Zeitgenossen noch einiges zu tun haben ... Wenn ich als Kind geahnt hätte, dass sie direkt neben meiner Geburtsstadt zeitweise gelebt oder zumindest gekurt oder Roulette gespielt haben - auf alle Fälle aber geschrieben! Die Welt kann manchmal sehr klein sein - oder wie Krimiautoren zu sagen pflegen: "Der Mörder kehrt irgendwann immer an den Tatort zurück".

Ein ganz besonderes Vergnügen war es für mich allerdings, endlich einmal Nijinsky, Diaghilew und die anderen perfekt ausgesprochen zu hören. Beim Rest schweigt der Genießer (warum rede ich heute in Sprichworten?). Von den Überraschungen an dieser Stelle nur die offiziellen. Wenn es das Winterwetter mit dem Auslandsmitglied gut meint, werde ich am 13. Dezember mein Nijinsky-Buch bei den öffentlichen Monatsveranstaltungen der deutsch-russischen Kultur-Gesellschaft Baden-Baden in einer Mischung aus Plauderei und Leseproben vorstellen. In Frankreich ist das der Tag der heiligen Odilia, an dem ich meinen Erstling über dieselbe fertig geschrieben hatte. Nein, abergläubisch bin ich natürlich überhaupt nicht!

Oder doch? Wie war das: Wenn man sich etwas ganz heftig wünscht, darf man nicht darüber sprechen und dann geht es in Erfüllung? Man darf sich allenfalls selbst an die Stirn tippen, wenn man sich Schräges wünscht. Wie soll ich das sagen - nach heftigem Stirntippen in stillen Stunden wird mein Pressetext ins Russische übersetzt und ein kleines blaues Buch geht dann auf Reisen: ins Ursprungsland der Ballets Russes.

Wahrscheinlich wird mich das Buch mit dem Eigenleben, das es inzwischen entwickelt hat, noch einige Male überraschen. Ich staune derweil über meinen Hinterkopf, aus dem tief vergrabene, vergessene russische Vokabeln frech über das Französische purzeln. Ich spreche heute ein grausames, verwirrtes "Europlais" mit tiefstem Holzhackerakzent und stelle fest, es wird mal wieder Zeit, eine Sprache zu lernen, damit sich die anderen Sprachen wieder ordentlich hinsetzen im Hirn.

21. August 2011

Was macht eine gute Geschichte aus?

Zufällig stolperte ich heute über die Zeichentrickfassung eines alten ukrainischen Märchens. Der Film kam erst nach meinem Abitur heraus, aber ich weiß, dass ich genau bei dieser Geschichte vom vertriebenen Hund schon in meiner Kindheit Rotz und Wasser geheult habe - wahrscheinlich durch ein Bilderbuch ...



Heute, mit Erwachsenenaugen besehen, geht mir das Schicksal des Hundes in "Es war einmal ein Hund" (Жил-Был Пёс) von Eduard Nazarov (1982) immer noch ans Gebein. Aber ich staune auch: Diese zehn Minuten Trickfilm lehren aufs Dichteste, waseine gute Geschichte ausmacht.

Tja, hier stand einmal ein ganzer Artikel, aber Blogger hat die Hälfte herausgeschreddert. Und nun habe ich keine Zeit, sie aus dem Gedächtnis neu zu schreiben. Kommt aber demnächst, versprochen! Inzwischen könnt ihr ja den Film ansehen... 
update:
Man sollte Texte rekonstruieren, solange sie noch frisch sind. Zu dumm - mir gelingt das nach zwei Tagen nicht mehr. Ich hatte den Film kurz analysiert, was sich Schriftsteller davon abschauen können, und ziehe mich elegant aus der Affäre: Ihr Profis merkt das doch selbst. Und den Film kann man ohne meine Besserwisserei viel schöner genießen ;-)

19. August 2011

Wie das Leben so spielt

In dieser Woche jährte sich für mich eine sehr persönliche Revolution, die ich vor anderthalb Jahren noch für absolut undenkbar hielt. Ich hätte damals jeden für verrückt erklärt, der mir erzählt hätte, es sei nicht ehrenrührig oder karriereschädigend, ein Projekt selbst in die Hand zu nehmen. Eine Autorin, die für Verlage wie Lübbe oder Hanser schrieb, stieg ganz amtlich für ein Sachbuch aus dem Verlagsgeschäft aus und ins Self Publishing ein. Selbst mein Literaturagent bestärkte mich in diesem Schritt, weil das Thema gerade heiß war und auf herkömmlichem Wege in einem Verlag allerfrühestens jetzt im Herbst hätte erscheinen können - Bewerbungsfristen nicht mitgerechnet.

Über meine Ängste und das wilde Experimentieren bis zum Erscheinen von "Faszination Nijinsky. Annäherung an einen Mythos" habe ich im Blog ausführlich berichtet. Ich deutete dabei auch immer wieder an, dass ich mir ein paar verrückte Visionen leisten würde. Wenn schon Risiko, dann richtig! Meine Ideen waren zum Teil so verrückt, dass ich selbst nicht ernsthaft an deren Verwirklichung glaubte. Dass mir die erste Gourmetlesung mit dem Buch für 2012 schon einfach so "zugefallen" ist, war noch die einfachste Übung.

Manchmal entsteht dann irgendwie so ein Zauber, dass man merkt, man hat richtig gehandelt. Eins fügt sich zum anderen. Was vor einem Jahr absolut unmachbar erschien, wird plötzlich real.
Wenn alles klappt, gibt es morgen ein Gespräch mit jemandem von einer Filmproduktion, der mich professionell vor die Kamera setzen will (nein, nicht fürs Fernsehen, only for youtube). Bald treffe ich die Leute, die mich vor einem Jahr zur Eigeninitiative regelrecht aufgehetzt haben und kann ihnen das fertige Buch in die Hand drücken - bei Musik aus Sankt Petersburg, versteht sich ...

Warum ich aber eigentlich vor Aufregung kaum schlafen kann: Am Montag habe ich in einer wunderschönen Stadt meinen ersten wirklich "russischen Termin"! Wenn ich "Vaslav Nijinsky" dann aussprechen werde, wie man ihn wirklich ausspricht, wird man wahrscheinlich einen sehr polnischen Akzent hören. Aber den hatte "Vatsa" schließlich auch ...
Das Schöne ist - ich habe keine Ahnung, wohin mich meine verrückten Ideen führen werden. Alles ist möglich, alles kann scheitern - das macht es so spannend.

Aber allein hätte ich das nie geschafft! Da sind Menschen, die mir helfen, die mich empfehlen - begeistert vom Thema und vom Projekt. Wenn etwas für mich völlig anders läuft als im herkömmlichen Verlagsgeschäft, dann sind das vor allem zwei Dinge. Ich bekomme diese Begeisterung ungefiltert und direkt im Kontakt mit den Leserinnen und Lesern mit - ich sitze nicht mehr isoliert im Schreibkämmerchen, habe diesen "Filter" einer Presseabteilung von außen nicht mehr. Dadurch, dass ich selbst alle Klinken putzen muss, erlebe ich bereichernde Begegnungen mit Menschen, die sich direkt auf meine weitere Arbeit auswirken. (Und natürlich auch Rückschläge, aber das gehört dazu).

Die zweite Sache lässt mich noch sehr viel mehr nachdenken. Diese Art von Kontakten hätte mir kein Verlag vermitteln können. Einfach deshalb, weil sich ein Verlag derart dezidiert individuelle Pressearbeit gar nicht erlauben kann. Einfach deshalb, weil ein Verlag überhaupt nicht über Spezialkontakte neben seinen üblichen verfügt. Als Sachbuchautor arbeitet man in solchen Fällen gern der Presseabteilung mit Tipps zu, einige Verlage sind da auch sehr aufgeschlossen. Aber mal ganz ehrlich: Ich hätte mich nie so in die Arbeit gekniet für andere, die eigentlich dafür bezahlt werden! Ich hätte womöglich auf halber Strecke aufgegeben, weil ich mir das übliche Genörgle hätte anhören müssen, wenn eine Idee zu verstiegen, ein Kontakt zu schräg erschienen wäre. Ich habe das ganz allein für mich getan, weil ich es mir wert bin, weil ich nichts zu verlieren und alles zu gewinnen habe. Und weil ich nicht alles primär an Profitmargen messen muss, sondern mich fragen kann: Was tut dem Buch und den LeserInnen - auch rein ideell - gut?

Schön wäre es, wenn eines Tages eine partnerschaftliche Vernetzung dieser Art in Verlagen möglich würde, ohne dass AutorInnen alles umsonst beisteuern. Kontakte sind nämlich Geld wert. Pressearbeit ist ein Beruf. In der Zukunft könnte ich mir vorstellen, dass sich solche Aktivitäten in der Garantiesumme niederschlagen könnten. Aber so lange kann und will ich nicht warten. Nijinsky tanzt jetzt. Und er hat seit seinem Erscheinen Ende Juli schon ein Drittel dessen eingespielt, was eine gewisse unwillige Abwicklungsfirma mit einem meiner Verlags-Sachbücher in einem ganzen Jahr geschafft hat. Ganz bestimmt auch durch die treuen Fans, die die Entstehungsgeschichte im Internet mitverfolgt haben! Eine Kunst ist das zwar nicht, weil jene Firma mein Buch erfolgreich an die Wand fuhr. Aber so viel kann ich als Laiin und Autorin eben auch - mindestens!

Kurzum - drückt mir am Montag die Daumen! (Ich schlottere vor Aufregung).

18. August 2011

Falsche Ratgeber

Bei den Vorbereitungen zu meinem Vortrag fällt mir auf, wie viele Autorinnen und Autoren sich allgemeine Patentrezepte, Baukastensysteme und pauschale Ratschläge für ihre Arbeit erwarten. Das ist normal: Jeder von uns ist unsicher und das Geschäft des Schreibens eines der härtesten. Wie schön wäre so ein Leitfaden oder jemand, der einen an der Hand durchs Chaos führt! Aber jedes Buch ist anders. Jede Autorin, jeder Autor hat andere Bedürfnisse, andere Probleme. Man kann Erfahrungen weitergeben, die bei einem anderen aber vielleicht nicht funktionieren. Man kann über reine Sachfragen urteilen, sprachliche oder inhaltliche Fehler ansprechen. Aber sind die guten Ratschläge, die man oft allzu schnell bei der Hand hat, immer so gesund?

Nichts ist verletzlicher als eine Schriftstellerexistenz. Niemand ist gefährdeter als jemand, der Ratschläge zu schnell und kritiklos annimmt. Ich muss aber doch gerade als Autorin Kritik und Wissen von anderen sehr professionell annehmen und verarbeiten können! Wo also liegt die Grenze zwischen unbelehrbaren Besserwissern und allzu manipulierbaren Schriftstellern?

Meine eigene Mottenkiste hat mich gerade Überraschendes gelehrt. Eine Kollegin ermunterte mich kürzlich, unbedingt mein "Erdölprojekt" hervorzuholen - ich säße da auf einem Goldtopf ... Kurz für diejenigen, die die Geschichte dieser Schubladenarbeit nicht kennen: Ich konzipierte die wirklich sehr heiße Story zunächst als historischen Roman, kraxelte über längere Zeit ziemlich mühsam damit herum, bis Text wirklich reif war. Dann wollte mir die Programmchefin eines der größten Konzernverlage das Ding sofort und noch unfertig unter den Fingern wegkaufen, wenn ich zu einer einzigen Änderung bereit gewesen wäre: Erdöl sei zu dreckig, zu männlich, meinte sie. Ich sollte den Clan in Sachen Pelze oder Juwelen unterwegs sein lassen, denn Frauen würden Glamour lieben.

Wer mich kennt, kann sich vorstellen, dass ich auf den saftigen Vorschuss nebst Vertrag verzichtete (manche nannten mich dämlich) und das angefangene Werk in die Schublade verbannte. Das damit verbundene Trauma warf mich lange um und erst Jahre später wagte ich mit einer anderen Agentur, das sowieso aus der Wirklichkeit stammende Thema als Sachbuch zu konzipieren. So würde man es mir nicht mehr zu Glamour und schönem Schein verbiegen können, dachte ich. Aber auch das scheiterte. Sehr zum Erstaunen meines Agenten - denn weder Inhalt noch Schreibstil wurden abgelehnt, sondern mein Geschlecht. Grundweg von allen renommierten Sachbuchverlagen. Einer Frau würde man so ein Buch nicht zutrauen. Ich hätte ja nicht einmal einen einschlägigen Doktortitel, sei "nur" Journalistin. Nach anderthalb Jahren solcher Ignoranz gaben wir auf. Ich arbeitete in Frankreich noch ein Weilchen zusammen mit den Fachleuten und erlebte, wie das Schweizer Fernsehen, das französische Fernsehen und ARTE "meinen Stoff" zur Doku verarbeiteten - waren ja alles "nur" Journalisten und die können eben auch über Erdöl nachdenken! Schneller und flexibler vor allem.

Durch jene Autorenkollegin habe ich gestern die verschlossene Materialkiste vom Speicher geholt, die ältesten Papiere von 2001 sind schon sehr vergilbt. Und da fiel mir ein Briefumschlag meiner ersten Agentur in die Hände, die damals eine Lektorin zur Prüfung beauftragt hatte - und eine Art Gutachten von jemand anderem lag auch darin. Damals kam dieser Brief wie ein Faustschlag. Ich hatte gelernt, Lektoren - zumal von guten Häusern - unbedingt ernst zu nehmen und mich selbst von vornherein als Lehrling anzusehen. Die würden schon wissen, was für Ratschläge sie mir gaben. Die mussten wissen, wie man eine Schriftstellerkarriere aufbaut! Ich nahm damals diese Ratschläge sehr ernst - und war nach jenem Schreiben lange wie gelähmt in meinem Schreiben.

Fast zehn Jahre später sieht die Sache völlig anders aus. Nicht lange nach jenem Brief stellte sich heraus, dass die Agentur zwar gern Verträge abschloss, aber absolut nicht in meinem Sinn und nach meinen Talenten handelte. Ich musste ihr sogar wegen steter Untätigkeit kündigen. Zum Glück fand ich sofort wieder einen neuen Agenten, der mich wirklich und endlich förderte. Hätte ich damals geahnt, dass auch seriöse Agenturen nicht immer das Gelbe vom Ei sind - wie hätte ich auf jenen Brief reagiert?

Das sogenannte "Lektorat" hat mich mit dem Abstand und der Erfahrung, die ich heute habe, ziemlich erheitert. Da hat sich eine (mir unbekannte) Frau abgearbeitet, um so einem kleinen Greenhorn mal richtig Bescheid zu stoßen, was es alles noch nicht kann. Die Fitzelchen von Mäkeleien - das sehe ich erst jetzt richtig - waren die üblichen kleinen Ausdrucksfehler, die man bei einem Erstentwurf eben so macht, an denen sich ein guter Lektor aber nicht aufhält, weil es Wichtigeres zu beraten gibt. Und allzu oft zeugten die Verbesserungsvorschläge von einem nicht gerade sicheren Stilgefühl der Kritisierenden. Komisch, denke ich heute, dass mir die Agentur nicht einmal sagte, wer mich da "in der Mache hatte"!

Das "Gutachten", das dabei lag, würde ich vom heutigen Kenntnisstand als "unter aller Kanone" bezeichnen. Obwohl es da einige wirklich richtige und wertvolle Hinweise in Sachen Plot gab, war der Stil unmöglich. Die Frau kanzelte mich ab! "Das wirst du doch unmöglich so gemeint haben, so intelligent bist du doch, das zu bemerken" / "Du kannst dir doch denken, dass man als Profi in Sachen X mehr bieten muss, mit so einer Szene bist du sofort untendurch, jeder Profilektor sieht, dass du eine blutige Anfängerin bist." In diesem Stil ging das so weiter - mit der Versicherung, dass sie schon so lange Gutachten für renommierte Verlage schreibe, dass ich auf das Urteil der Erfahrenen bauen könne (und müsse).

Ich fand in der Kiste auch eine spätere Manuskriptfassung, die ich nach meiner eigenen Kritik mir selbst gegenüber angefertigt hatte. Die betreffende Szene stand darin an einer völlig anderen Stelle, der Dialog war geändert und da passte sie auch bestens. Jene Gutachterin hätte das als Profi sehen müssen. Aber zu jener Zeit war ich naiv, gutgläubig, kritikbedürftig - ja ich dürstete geradezu nach professioneller Kritik. Dummerweise war ich aber auch zu zerbrechlich. Mein Projekt verschwand in einer Kiste auf dem Speicher. Und ich weiß wirklich nicht, ob ich es noch jemals wieder hervorholen möchte, zumal der historische Roman inzwischen auch nicht mehr das ist, was er einmal hätte werden können...

Ich erzähle diese Geschichte als kleines Beispiel dafür, wie schwierig das mit den Ratschlägen und der Kritik ist. Ohne ehrliche und auch harte Kritik entwickeln wir uns nicht weiter. Aber welche Kritik entwickelt uns wirklich? Heute werde ich manchmal um Rat gefragt. Wie viel mache ich mit meinem Rat kaputt? Wen führe ich damit in die Irre? Wann irre ich mich? Wann muss ich den Holzhammer schwingen, um Illusionen zu zerstören?

Ich weiß inzwischen nur: Man kann auch schlechte Agenturen und falsche Ratgeber überleben. Man lernt auch von solchen Leuten in diesem knallharten Beruf. Irgendwann lernt man sogar, wie Ratgeber ticken, und wann es sich wirklich lohnt, auf sie zu hören. Solche Schubladenprojekte sind nie vertane Zeit. Man entwickelt sich selbst am Unveröffentlichten, man lernt gerade am Scheitern jede Menge. Deshalb ist es auch so wichtig, nicht jeden Furz zu veröffentlichen! Selbst der ärgste Feind sagt irgendeine Wahrheit. Angesichts dieses Briefes habe ich jedoch überlegt: Nach welchen Kriterien lasse ich persönlich heute Ratschläge zu? Und zwar Ratschläge, die tiefer gehen, als nur reine Sachfragen zu behandeln ...
  • Ein Ratgeber sollte sich mit der Arbeit eines Autors vertraut machen und dessen Wünsche und Ideen kennen. Der Markt für jede Art von Buch ist anders, jeder Autor ist anders - auch wenn das wie eine Binsenweisheit klingen mag.
  • Ein Ratgeber sollte keine Hierarchie am Autor abarbeiten, sondern auf Augenhöhe ein konstruktives Gespräch beginnen. Dieses "Ich erfahrener Großguru - du kleiner, dummer Anfängerwurm" mag persönlichen Machtgelüsten schmeicheln, auf der Sachebene darf man solches Gehabe als Versagen werten. Es hat nicht zu interessieren, wie anfängerhaft oder dumm ein Autor ist. Es geht um ganz konkrete Textarbeit, wo man Fehler und Schwächen schlicht verbessern kann. Nicht zuletzt lernt auch der Ratgeber vom Gegenüber.
  • Ein Ratgeber muss sich dafür interessieren, was ich will, was mein Ding ist. Es ist unprofessionell, die eigenen Wünsche auf Ratsuchende zu projizieren. Ich kann jemandem sagen, wenn er sich verrennt oder falsch einschätzt. Aber ich sollte niemanden zwingen, dorthin zu rennen, wo ich selbst gern wäre.
  • Ernstgemeinter Rat muss mit dem Finger in die Schwächen bohren, aber auch konstruktiv sein und Wege aufzeigen. Vor allem sollte er als Möglichkeit begriffen werden, nicht als Evangelium. Man darf auch mal zugeben: "Das ist meine Erfahrung. Von der kann man vielleicht etwas lernen - aber sie muss nicht für jeden zutreffen."
Ich denke, es ist einer der schwersten Lernstoffe in unserem Geschäft, Rat und Kritik richtig zu verarbeiten, ohne egoman und überheblich zu werden oder allen willfährig zu sein und sich dabei zerbrechen zu lassen. Das erspart uns niemand: die eigene innere Stimme zu entwickeln, ein sicheres Gespür für die eigenen Schwächen und Stärken. Wir brauchen die Kritik von Profis (sic!) wie Wasser und Brot. Diese Kritik ist sehr oft berechtigterweise hart und unerbittlich. Das Abkanzeln aufgrund der persönlichen Berufserfahrung oder des Geschlechts sollte für die Könner unter den Kritikern jedoch tabu sein.

Zum Glück muss ich nur einen Vortrag über PR und nicht übers Schreiben halten. Da geht es um reine Sachfragen. Aber auch in der Buch-PR gibt es keine Patentrezepte und Allheilmittel. Auch hier gilt: je individueller, desto wirkungsvoller.

PS: Ich glaube zum jetzigen Zeitpunkt übrigens nicht, dass ich jenes Projekt je wieder aufwärmen werde. Zu viel ist da kaputt gegangen ...

16. August 2011

Vortrag in Karlsruhe

Manchmal rennt das Leben so schnell neben einem her, dass man damit zusammenprallt. Während ich noch hin und her überlege, wie ich eine Seminartätigkeit aus dem Boden stampfen könnte, um endlich mal mein gesammeltes Wissen nicht nur in Blogform weiterzugeben, kam die Anfrage für einen Vortrag. Ganz spontan habe ich mir ein Thema aus den Rippen geschnitten, zu dem ich - wie gesagt - gern auch Workshops veranstalten würde. So geht's, wenn man Gelegenheiten beim Schopfe packt.

Ort der Handlung: Karlsruhe.
Zeitpunkt: 24. Oktober, 18:30 Uhr
Anlass: Das Bücherbüffet, die "kleine intensive Buchmesse im Kreativpark Schlachthof in Karlsruhe (Bücherbüffet bei FB), die sich an "kreative, engagierte, frische und etablierte „Buchschaffende“ aus Stadt und Region" wendet. Sie wendet sich vor allem an kleinere Verlage und Buchhandlungen, an Autoren und Autorinnen und Self Publisher
Thema: Social Media und PR für Bücher.

Der Arbeitstitel meines Vortrags klingt zwar nicht elegant, aber ich habe bewusst vermieden, ein spezielles Zielpublikum anzusprechen. Viel Wissen und viele Methoden überschneiden sich nämlich bei kleineren Strukturen  - ob es nun einen Kleinverleger mit begrenztem Budget, einen selbstverlegenden Autor oder eine Autorin, die dem Großverlag zuarbeitet, trifft. Verkauft werden will immer die gleiche Ware: das Buch. Und die verkauft sich tatsächlich anders als Wurst oder Shampoo...

Ein Vortrag bei so einer Messe kann zwar nicht alle Themenbereiche abdecken, aber ich will versuchen, sowohl absoluten Greenhorns zu zeigen, was mit Social Media möglich ist (und was nicht), als auch schon etablierteren Buchmenschen Inspirationen für Aktionen zu vermitteln. Es wird um Fallstricke gehen, um Fehler, die sich vermeiden lassen - und um die eleganteren Möglichkeiten. Und natürlich habe ich jetzt noch keinen blassen Schimmer, was ich da erzählen werde, aber ich habe ja noch ein wenig Zeit zum Überlegen ;-)
Interessierte sind herzlich eingeladen!

11. August 2011

Der rote Faden ist ein Netz

Professionelles Bücherschreiben für Verlage unterscheidet sich vom Spaß-an-der-Freud-Schreiben unter anderem in einem sehr wichtigen Punkt: Verlage wünschen sich Kontinuität und Schriftsteller, die sich auch langfristig aufbauen lassen. Am einfachsten funktioniert das bei Autoren, die eine recht eindeutige Vorliebe haben, an der sie über Jahre fleißig dranbleiben - die also z.B. historische Romane oder Krimis oder Kochbücher schreiben. Schwieriger wird es, wenn jemand vielseitiger ist, etwa im Bereich Sachbuch. Dort muss je nach Thema durchaus ständig der Verlag gewechselt werden, weil viele Verlage sehr spezialisiert sind. Das ist mühsamer, funktioniert aber auch.

Mein Agent hat mir für diesen Weg vor Jahren den entscheidenden Ratschlag gegeben: "Schauen Sie, dass Sie einen roten Faden in Ihre Arbeit hineinbekommen." - Wie ich das schaffen könnte, wollte ich wissen, ob ich künftig nur noch über Kartoffelklöße schreiben dürfte? Sein Rezept war so einfach wie wirkungsvoll: "Konzentrieren Sie sich auf das, was Sie am meisten lieben und am besten können."

Ich habe ziemlich lange gebraucht, bis ich einmal so weit war, das zu erkennen. Mit dem Buch übers Elsass und die Kulturgeschichte der Rosen schien sich endlich mein Weg abzuzeichnen. Ausgerechnet mit dem Buch, das außerhalb läuft, nämlich "Faszination Nijinsky", färbt sich der etwas knotige Faden aber endlich knallrot. Und da fällt mir ein weiteres Geheimnis auf: Der rote Faden ist in Wirklichkeit ein Netz! Seit vielen Jahren arbeite ich nebenher an Kontakten, die zu meinen Büchern passen - meist geht es dabei um freie Veranstalter, aber auch um sogenannte "Multiplikatoren". Weil ich mit meinem Auslandswohnsitz und nicht lesungsfeinem Hund etwas gehandicapt bin, was weite Reisen betrifft, ließ ich mich immer nur in einem Umkreis engagieren, in dem ich noch heimfahren konnte. Ich fürchtete immer, mit dieser doch recht regionalen Orientierung viele Chancen zu vertun. Dass ich keine Lesereisen quer durch die Nachbarnation mache, können viele nicht verstehen. Und dass ich immer über "so komische Themen" schreiben wollte, auch nicht.

Inzwischen hat sich einiges ergeben, das mir zeigt: Es ist heutzutage durchaus lohnend, sich erst einmal im Kleinen einen Ruf aufzubauen und die Stärken des eigenen Umfelds zu nutzen. In Hamburg oder Berlin bin ich eine Nummer unter vielen, ein Noname, wo sich allerlei Promis die Klinke in die Hand geben. In einer Stadt, in der ich seit meiner Jugend mein Unwesen treibe, habe ich ganz andere Ansatzpunkte. Manches wird einfacher. Bei meinen Lieblingsveranstaltern hatte ich bisher mit jedem meiner Lieblingsbücher einen Auftritt in wunderbarem Umfeld - und der "Nijinsky" folgt 2012 schon ganz automatisch. Menschen, die mich mit Buch A kennenlernten, empfehlen mich für Buch B. Wer mich näher kennt, erzählt mir von Ideen, auf die ich selbst noch nicht gekommen bin. Und eine Ermüdung beim Publikum ist auch noch nicht eingetreten - im Gegenteil, vor zwei Jahren durfte ich eine Frau kennenlernen, die keine Lesung von mir ausgelassen hat, seit 1998!

Der engere Kontakt zum Publikum - so bin jedenfalls ich gestrickt - fällt wieder als Motivation und Energie auf mein Schreiben zurück. Ich erinnere mich kaum noch an eine Nobellesung in Zürich mit anstrengender Anreise, miesem Hotelzimmer und schlechter Organisation. Aber ich werde nie die Lesung in Baden-Baden vergessen, im Dachgeschoss bei 40 Grad Außentemperatur, deren zweiten Teil ich spontan zum Biertrinken mit meinem Publikum in den Kurpark verlegt habe - inklusive des herrlichen Feuerwerks, das ganz zufällig an diesem Tag abgefackelt wurde. In den letzten Jahren hatte ich bei Auftritten immer stärker den Eindruck, endlich "mein" Publikum gefunden zu haben, endlich auch zu erfahren, was diese Menschen bewegt und interessiert.

Und im Moment schließen sich da sehr kuriose Kreise. Weil ich nun ganz alleine "auf eigene Gefahr" arbeite, habe ich mir ein paar ziemlich verrückt klingende Ziele gesetzt. Den Weg dazu nage ich schon seit ein paar Jahren an, habe mich aber bisher zu sehr auf die Presseabteilungen der Verlage verlassen. Ich dachte, die könnten wichtige Kontakte viel leichter und schneller knüpfen als ich - aber das war ein Denkfehler. Gute Kontakte knüpft man nicht virtuell vom Schreibtischcomputer aus. Kam noch ein Kuriosum dazu ... Als ich mich mit dem Nijinsky-Manuskript noch eine Weile "ordentlich" bewarb, steckte ich zum Exposé jede Menge Vorschläge in Richtung deutsch-russischer Kulturkontakte. Sachbuchverlage nehmen einen mit offenen Armen, wenn man schon eine Marketingstrategie vorentwirft. In meinem Fall kamen jedoch Bedenken. Auf Nachfrage entpuppten sich die Bedenken als Angst.

Ich bin hartnäckig und will natürlich immer wissen, wo der Hase im Pfeffer liegt. Und war baff. Was ich zu hören bekam, wäre Stoff für einen Vorurteilsbaedecker. Natürlich kam sofort die Angst vor Piraterie. Dabei waren wir noch gar nicht so weit, überhaupt an Lizenzen zu denken! Als nächstes kamen die Bedenken, es könne doch an der ein oder anderen Stiftung oder Vereinigung Mafia beteiligt sein. Man wisse ja nie. Solch strunzdumme Ideen habe ich nicht mehr gehört, seit mir deutsche Freunde verklickern wollten, nach Warschau zu ziehen sei lebensgefährlich. Irgendwie schauen die alle zu viel Tatort?! Und ja, ich erzähle keine Witze, aber das muss einfach mal erzählt werden. So denken nicht alle Verlage, aber manche manchmal. Werbung fürs Buch ja, aber bitte in den gewohnten Bahnen und wo man weiß, was man hat (oder auch nicht). Das eigene Land ist ja ach so korruptionsfrei.

Diese gewohnten Bahnen habe ich also verlassen, habe Leute getroffen, die sich derart für mich engagieren, dass es fast unglaublich ist. So gehen Türen auf, von denen ich noch nicht weiß, was dahinter steckt - ich weiß nur, dass mein roter Faden, der eigentlich ein Netz ist, mich dort hinführen sollte. Was mich aber am meisten überrascht auf diesen hartnäckig verfolgten krummen Wegen: Ich finde dort genau das, was mich selbst begeistert. Oder wie der Agent gesagt hat: Was ich am liebsten mache und am besten kann. Plötzlich tut auch das Klinkenputzen nicht mehr weh, sondern macht mich neugierig, macht Spaß. In den nächsten beiden Monaten wird wohl noch einiges passieren.

Was sich durch meinen Dickkopf bereits ergeben hat, ist mein nächstes Buch. Es ist ein ganz großer Wunschtraum, wieder ein erzählendes Sachbuch, wieder die Zeit der Avantgarde vor dem ersten Weltkrieg bis in die 1920er - doch diesmal mit einem hochaktuellen Bezug, der alle bewegt, und einer sehr verrückten Geschichte. Wieder wird die faszinierende kosmopolitische Welt eine große Rolle spielen, die leider mit der Kriegsmaschinerie des Ersten Weltkriegs völlig zerstört wurde und die sich nach dem Zweiten Weltkrieg nie zur alten Größe erholt hat. Ja, die Reise beginnt noch einmal in Russland und geht über Europa bis in die USA. Sorgen um den Inhalt mache ich mir nicht mehr - es sieht so aus, als bekäme ich Anschluss an wunderbare Quellen. Und ob und wie das Buch verlegt werden wird, interessiert mich - ehrlich gesagt - im Moment nicht die Bohne. Ich bin wieder "auf Stoff".

PS: Es ist einfach zu schön - culturbureau hat mir einen ROTEN FADEN geschickt!

9. August 2011

Vom Erfolg gezeichnet?

Eine erfolgreiche englische Buchautorin gibt ihren Beruf auf. Nein, nicht so herum, wie die meisten vermuten würden: Sie stellt das Bücherschreiben komplett ein. Christa S. Lotz, die sich in ihrem Blog oft Gedanken um die sogannte Life-Work-Balance macht, hat den Artikel über Steph Swainston im Independent gefunden. Demnach litt die Fantasyautorin vor allem unter zwei Problemkreisen: Einer Entfremdung vom normalen Alltagsleben und erhöhtem Erfolgsdruck durch Verlage und Fandom.

Letzterer baut sich mit steigender Auflage und modernen Marketingmethoden fast von selbst auf: Verlage verlangen im Gegensatz zu früher von ihren AutorInnen, richtige öffentliche Stars zu werden - das lässt sich nämlich noch besser verkaufen. Und wer Erfolg hat, muss am Ball bleiben - im Genre bedeutet das ein Buch pro Jahr, egal, wie ausgebrannt man ist oder wie lange eine Geschichte wirklich zum Wachsen benötigt. Gute Genre-Autoren sind wahre Schreibmaschinen (ich kenne welche, die schreiben unter Pseudonymen noch weit mehr). Kam im Fall von Steph Swainston noch das vielgepriesene Fan-Feedback - etwa per Internet - hinzu. Für die Kraft mancher Autoren wäre es oft so viel besser, nicht auf jeden Fan zu hören! Vor allem aber litt Swainston an einer Art innerer Verarmung, der Künstler anheimfallen, wenn sie nicht immer wieder ins Leben hinausgehen und sich stattdessen zu obsessiv mit einer fiktiven Welt beschäftigen. Doch was will man tun, wenn man Fantasy schreibt und jährlich liefern soll? Das Heilmittel dieser Autorin erscheint extrem: Als Chemielehrerin will sie wieder für Bodenhaftung sorgen.

Ich musste sofort an das grandiose Radio-Feature "Opernsänger, Starlets, Sternschnuppen" von Dieter David Scholz denken, das der SWR leider weder als podcast noch als Manuskript anbietet. Es geht darin um die Frage, warum in der Opernszene so viele Superstars schnell am Himmel aufleuchten und viel zu früh kaputte Stimmen haben, warum es kaum noch die ganz großen KünstlerInnen mit Seele im Gesang gibt, mit echtem Charisma statt künstlich aufgemotzter PR-Tünche. Das Feature zeigte eindrücklich die gefährliche Verflechtung zwischen modernen Anforderungen und den von Künstlern selbstgemachten Erwartungshaltungen.

In der Tat ist der Druck heute unendlich viel größer. Sängerinnen müssen inzwischen ihr Aussehen genauso vermarkten wie ihre Stimme, die meist männlichen Produktionsverantwortlichen besetzen immer häufiger lieber nach modischer Kleidergröße als nach Klangvolumen, die großen Dirigenten hetzen von Orchester zu Orchester und bauen keine Talente mehr auf. Und die Sängerinnen und Sänger machen freiwillig mit. Weil sie mit der Möhre vor der Nase gelockt werden, weil sie selbst vom Weltruhm träumen, weil unverantwortliche Agenturen sie auspressen, so lange Reibach zu machen ist.

Sie geben über Jahre ihr Bestes, das schon lang nicht mehr gut genug ist; hungern sich traurig und die Stimme dürr; stehen gar unter Drogen. Von Persönlichkeitsentwicklung wollen die ganz Jungen nichts wissen, Charakterqualitäten interessieren sie nicht, wenn die Fehler im Gesang nicht auffallen, peitschen sie sich weiter. Von Wettbewerb zu Wettbewerb, von Bühne zu Bühne. Die Einspielungen aus den legendären Meisterkursen Elisabeth Schwarzkopfs machten jedoch deutlich: Zu einer wirklichen Stimme, zu einem Star, der sein Leben lang durchhält, gehört weit mehr als nur das Singenkönnen. Künstler, die etwas werden wollen - und das dauerhaft - brauchen neben dem Talent und Können vor allem zwei Eigenschaften: die Fähigkeit, Nein zu sagen - und ein starkes Rückgrat.

Die Sache mit dem Neinsagen ist jedoch gar nicht so einfach, wenn einem Leute etwas einreden, die angeblich von der Sache mehr verstehen. Das haben wir Autoren mit den Musikern und Sängern gemeinsam: Wir glauben, jede Agentur, jeder Verlagsmitarbeiter, jeder Medienvertreter wolle nur das Beste für uns, berate uns schon richtig, wisse schon, wie man nach oben kommt. Und weil die meisten von uns so dringend nach oben kommen wollen, denken sie selten daran, dass all diese Leute vor allem erst einmal eins im Sinn haben: das Geldverdienen. Man schlachte die Kuh, solange sie auf der Weide steht. Ein Autor, der fünf Jahre auf der Bestsellerliste steht, bringt für den schnellen Profit mehr ein als der Kollege, der zwanzig Jahre im Mittelfeld dabei ist. Das ist dumm und kurzfristig gedacht, funktioniert aber mittlerweile wie in der Musikindustrie: Floppt die gecastete Band mit ihrem Einheitsgedödel, steht längst die nächste bereit - das Gedödel wird ohnehin schon in Konserven produziert. Und wenn die Jungs und Mädels nachher zum Psychotherapeuten müssen, so what, selbst schuld...

Wie getrieben sind wir Autoren? Wie selbstbestimmt arbeiten wir im angeblich freiesten Beruf, den man sich denken kann? Muss es wirklich jedes Jahr ein Buch sein? Müssen wir zu Auftragsschreibern mutieren, nur weil ein Lektor uns dafür Gold verspricht? Wir müssen nicht - das belegen genügend erfolgreiche Autoren, die es anders machen. Man denke nur an die rund zehn Jahre, die Donna Tartt für ein Buch brauchte. Warum aber trauen sich manche nicht, Nein zu sagen? Es wäre doch ein Leichtes, schließlich wird bei jedem Buchvertrag gefragt, wie viel man wohl Zeit brauchen würde. Schließlich kann sich ein Agent vor seine Autorin stellen und sagen, jetzt gibt's ein halbes Jahr Kreativpause. Stattdessen treten manche Autoren selbst noch aufs Gaspedal. Manche sehen mehr Geld vor sich, manche die Illusion, schneller berühmt zu werden. Viel schlimmer aber ist: Sie glauben, dass sie das müssen, weil es die KollegInnen vormachen! Sie sagen nicht Nein, weil andere auch nicht Nein sagen.

Wären alle Opernsängerinnen dick wie früher, müssten Opernhäuser die Rollen wieder mit mehr dicken großen Stimmen besetzen. Hungern sich aber stattdessen fünf bekannte Opernsängerinnen fast zu Tode, sieht die sechste Mollige bald alt aus. Sie gerät unter Leistungsdruck, den sie sich selbst macht, den ihre Kolleginnen verschärfen. Ist ihr die Stimme und das Leben wichtiger oder das schnelle Super-Engagement? Und die hochbegabte Pianistin - wie viel Extrakraft braucht sie heutzutage, zu ihrem unscheinbaren Aussehen auch noch ungewohnte, nicht gerade im Trend liegende Musik zu bringen, wil die zu ihr passt und "ihr Ding" ist - während das Starlet im blonden Wallehaar fast mit der Kamera kopuliert und spielt, was Klassiknormalverbrauchern nicht weh tut?

Zum Neinsagen gehört Rückgrat. Rückgrat gehört aber auch dazu, wenn man eine Künstlerpersönlichkeit werden will. Im Gegensatz zum Kunsttreibenden entwickelt sich eine Künstlerpersönlichkeit langsam, gesteht sich eine Jugend und Experimente zu, Überschwang und Scheitern - um schließlich zu reifen und einen sehr individuellen Weg zu gehen. Nicht nach Moden und Erwartungen von außen, sondern in gesunder Selbsteinschätzung. Die "Norma" singt man nicht ungestraft zu früh. Solche Persönlichkeiten sind unverwechselbar - und sie bleiben es ein Leben lang, bezaubern ihr Publikum oft sogar noch nach ihrem Tod. Menschen, die selbst nicht wissen, was sie wollen, was sie wert sind, was sie können und und vor allem nicht können, entwickeln kein Charisma. Charisma kann man nicht lernen, man hat es oder hat es nicht, hieß es im Feature und: "Es gibt mehr gefährdete, austauschbare, kaputte Stimmen denn je."

Diesen Satz kann man 1:1 auf schriftstellerische Stimmen übertragen. Der Buchbetrieb ist wie jeder andere Kunstbetrieb zunehmend auf Verschleiß von Talenten, aufs schnelle Geld und den Blitzerfolg ausgerichtet. Wie man sich darin selbst bewahrt, sein Rückgrat behält und auch einmal querköpfig den eigenen Weg verfolgt, wird nirgends gelehrt. Schlimmer noch: Schriftsteller sind ja eigentlich Chemielehrer von Beruf - oder anderes. Manche schlagen nach einer Zeit der Illusionen hart auf dem Boden auf. Manche verlieren ihn ganz unter den Füßen. Manche werden wieder Chemielehrer und stellen das Schreiben ein.

Es ist jedoch möglich, in diesem Beruf auch außerhalb der Bestsellerlisten langfristig zu überleben, sich ein Publikum zu schaffen und glücklich mit dieser Arbeit alt zu werden. Das Geheimnis liegt darin, wie man sich selbst bewahrt und mit den eigenen Kräften und Chancen umgeht. Da können wir jede Menge von den Musikern und Sängern lernen, die eine starke Persönlichkeit entwickelt haben. Vielleicht überholen uns dann jede Menge Sternschnuppen. Aber sie nehmen uns ja nichts weg. Die Kunst in der Kunst ist, an diesem doch oft dunklen Himmel langfristig zu überleben, auch wenn die eigene Kraft einmal gefährlich flackern mag.

6. August 2011

Im Puppenhaus

Jajaja, ich bin diese komische schwelgende Tante, die im Hanser Verlag einmal derart den Zander im Riesling schwimmen ließ, dass im Elsass die Zander künftig aus Estland importiert werden mussten. Den Neid der Genusstouristen konnte ich überhaupt nicht nachvollziehen: "Wie kannst du dort leben, wo andere mit Wonne Urlaub machen - wie grandios!" Sollte ich denen erzählen, dass Idylle zwischen zwei Buchdeckeln, so sie sich real verdichtet, auch tödlich sein kann? Für Autorinnen nämlich?

Vogelimmobilie für 2500 E
So schön das ist, auf langen Bergtouren mit dem Hund im Naturpark Texte im Kopf zu klären und beim Schreiben nur von Vogelsang, Motorsensen, Kettensägen und tratschenden Nachbarn gestört zu werden - die Daueridylle regt auf. Das Einzige, woran man sich hier reiben kann, sind Bürgermeister, die glauben, "culture" sei womöglich eine neue Form von "agriculture". Oder binationale, dreisprachige Konferenzen, in denen die Teilnehmer nicht einmal ihren gleichsprachigen Nachbarn verstehen wollen.
Mir fehlen zu oft die Brüche, die Abgründe, die Skurrilitäten, das Absurde des wahren Lebens. In solchen Augenblicken fühle ich mich zu lange sesshaft und würde es am liebsten wieder einmal mit einer Emigration versuchen. Das Unternehmen scheitert meist daran, dass ich ohnehin längst zwischen allen Stühlen sitze und meine Aufenthaltsgenehmigung trotzdem endlich verlängern muss. Mir fällt die Decke auf den Kopf an solchen Tagen, die Wörter der eigenen Sprache fallen mir aus dem Kopf und die der Zweitsprache kommen plötzlich in seltsamen fremden Akzenten.

Wenn ich dann auch noch in Sachen Buch am Scheideweg stehe, gibt es nur eins: Ich flüchte in die Extreme. Ich fahre dorthin, wo das Absurde noch lebt, wo es kein Mittelmaß gibt, wo nicht alle das Gleiche tun und nicht alle die gleiche Sprache sprechen. Gestern bin ich wieder voll auf meine Kosten gekommen. Ganz ohne teuren Flug, Visum und aufwändige Reisen. Der galoppierende Wahnsinn, pardon - das Leben, wie es leibt und lebt, kondensierte sich in diesem Fall um ein einzelnes Gebäude und einen Hinterhof. Den Eingang vorne möchte ich schon in Sachen Nijinsky demnächst einmal nehmen - nicht wegen des Goldes, das derzeit dort gezeigt wird:


Andere Schilder leiteten mich jedoch in die Irre. An der verhängten Nebenfassade wurde nämlich eindringlich vor Videoüberwachung und ganz strengen Sicherheitsvorkehrungen gewarnt. Es reizte mich. Ich bin ein Mensch, der hinter die Fassaden blicken will. Vorne hui, hinten pfui? Was verbarg sich hinter dem Glamour russischer Juwelen?

Ganz genau: ein Hinterhof. Meterhohe Brennesseln, Brombeergestrüpp, wucherndes Unkraut und die freigelegte, notdürftig gestützte Hauswand einer wahrhaft potemkinschen Fassadentäuschung. Neben der Baustelle Mrs America. Sie hatte eindeutig schon bessere Tage gesehen. Heruntergekommen sah sie aus. Von Spinnweben erobert. Sie schien die endgültige Pleite einzuläuten.


Ich bin zweimal zur Vorderseite der Häuser und wieder in den Hinterhof zurück. Nur um zu sehen, ob das alles wirklich echt ist und keine Kulisse aus einem alten James-Bond-Streifen. Ich kniff  mich in den Arm. Wäre mir Sean Connery über den Weg gelaufen, ich wäre beruhigter gewesen. Aber diese Stadt ist so absurd echt, dass sie mir damit sogar das Schreiben zurückgeben kann. Der Kaffee an einem Platz, von dem aus schon Iwan Turgenjew einen ganzen Roman lang über die Society ablästerte ("Rauch"), tat sein Übriges dazu.

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Und wer die Stadt nicht erraten hat, erfährt den Namen - und was Vaslav Nijinsky damit zu tun hat - hier!