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30. Mai 2011

Haare schneiden, bitte!

Fürs heutige Off-Topic habe ich zwei gute Ausreden. In meiner Zeit in Polen habe ich unter anderem Fachartikel für Friseure und Kosmetikerinnen geschrieben; also Texte, bei denen z.B. herauskam, dass ältere Frauen nicht grundsätzlich von Natur aus Haarausfall bekommen, sondern womöglich vom Lieblingsfriseur, der ihnen geballt und über Jahre Kolorationen und Dauerwellen verkaufte. Und Frisuren haben bei mir durchaus mit Büchern zu tun: Nach größeren Projekten, also Lebensabschnitten, wechsle ich gern radikal die Haarlänge. Also recherchierte ich heute morgen im Internet "Kurzhaarschnitte" und "Trendfrisuren". Ich hatte das Gefühl, ich hätte diesbezüglich ein Informationsdefizit. Beim Zahnarzt lese ich historische Zeitschriften, im Ärztewartezimmer den National Geographic und beim Friseur muss ich nie warten. Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal eine Frauenzeitschrift in der Hand hatte.

Ich fand mich in einen völlig fremden Internetkosmos geworfen. Wie ein Alien ertastete ich die neue Welt. Kurzhaarschnitte seien zwar wieder modern geworden, seit berühmte Schauspielerinnen ihre Haare abgeraspelt haben (ich kannte keine von ihnen), hieß es da. Aber ich solle doch bitte daran denken, wenn ich Männern gefallen wolle - also nur 8% aller befragten Männer fänden Frauen mit kurzen Haaren sexy. Ob ich nicht doch lieber einen Mann mit zum Friseur nehmen wolle? Wie irre ist das denn! Vor meinem inneren Auge sah ich einen Planeten vor mir, auf dem sich alle kurzbehaarten Frauen verschleiern mussten. Und plötzlich bekam es einen Sinn, worüber vor allem ländliche Friseure so oft klagen: Die meisten Frauen müssen auch im Jahr 2011 bei Frisurenänderungen ihren Partner um Erlaubnis fragen - und sie machen das freiwillig mit. Schließlich sind es Frauen, die ihnen diesen Blödsinn in Frauenzeitschriften einreden. Kleine Anmerkung am Rande: So abgedroschen der Witz vom schwulen Friseur, so strikt und reaktionär heterosexuell funktioniert das Marketing derselben.

Gut. Ich lernte also, dass ich einen eigenen Kopf und viel viel Selbstbewusstsein brauchen würde. Der erste Frisurenvorschlag (blond natürlich, die meisten Models sind blond) ließ mich vermuten, dass Frau vor einem derartigen Schnitt genügend Drogen intus haben sollte. Der Blick in den Spiegel könnte ein grausames Erwachen bergen. Als nächstes hatte ich mich zu entscheiden, ob ich eine "Frau" oder eine "Dame" sei. Hier kam ich endgültig ins Schwimmen. Ersteres ja, klar. Aber was mag mit letzterem gemeint sein? Betraf das Frisuren für den Golfclub oder fürs Rotlichtmilieu? Trug Frau als Dame nicht eher Hut? Schlimmer...

Damen tragen in diesen Modewelten Lockenwickler und Trockenhauben! Als Dame achten Sie auf gesunde Kost, regelmäßige Arztbesuche und Fitness durch Knoblauchpillen. Denken Sie daran: Ab 40 ist ihr Bauch nicht mehr so straff, Falten (Fältchen hat man nur zwischen 30 und 32), Augensäcke, Zellulitis und Hängebusen wollen behandelt werden, damit sich ihr Mann nicht nach zwanzig Jahre Jüngeren umschaut. (Da ist er wieder, der Drohmann!) Bekämpfen Sie das Sterben in sich mit unserer umfassenden Beauty-Industrie und treten Sie mit 50 etwas kürzer. Auch für diese älteren Damen haben wir noch freche Haarschnitte, die ihrem Alter schmeicheln...

Es wurde immer besser. Der Knaller war eine Seite in Google-Deutsch (lesen!!!), die verriet:
"Kurze Frisuren nicht haben, um eine Frau aussehen wie ein Wildfang, aber geschaffen, um zu produzieren sehr sexy aussieht als gut. Eines der besten Beispiele dafür ist Alyssa Milano, der sieht nicht nur mit einem kurzen sexy Ernte groß, aber scheint sich wirklich auf sie gedeihen."
So etwas möchte ich natürlich auch haben. Ich sage morgen zu meiner Friseurin: "Bitte pflanzen sie mir das Zeug, das auf Alyssa Milano so schnell wächst. Stellen Sie sich einfach vor, ich sei auch "eine Persönlichkeit und Funktion aus Wirtschaft, Arbeit, Sommer"! Und sie wird mir antworten: "Es gibt Unmengen von Kurzhaarfrisuren mit abgehackt endet, wispy knallt, spitze Spitzen..."

Ich glaube, es knallt. Die Weightwatchers quengeln sich bei Google dazwischen und fragen, ob ich auch kein zu rundes Gesicht hätte, das könne man perfekt kaschieren. Eine amerikanische Website empfiehlt Emigranten, zu hohe Wangenknochen mit Haaren zu kaschieren. Eine zu hohe Stirn, Zeichen für Intelligenz, komme bei Männern so gut auch nicht an, aber selbst die könne man kaschieren. Achten Sie darauf, ihre Ohren zu kaschieren, die Nase und das dumme Mädchenkinn, spritzen Sie stattdessen die Lippen auf, denn Männer wollen Mund, viel Mund, und machen Sie ja keinen auf intellektuell, sondern auf Kindfrau, es sei denn, sie sind Dame, dann schauen Sie unsere vor Gesundheit strotzenden Models mit siebzig an, wir liefern unsere Perücken für die Generation 50 + auch in jedes Altenheim kostenlos.

Kaschieren, kaschieren, kaschieren. Nobody's perfect, aber Frauen sind es schon gar nicht! Und wenn sie es sind, reden wir es ihnen ganz schnell wieder aus. Wozu gibt's schließlich die Beautybranche, die über die Schönheitsklinik direkt ins Wellness-Pflegeheim führt! Mit einer winzigen Koloration fängt es an. Mit einer winzigen Fettabsaugung hört es noch nicht auf. Sie sind eine Frau? Kaschieren Sie sich! Kreuzen Sie unsere Checkliste an und wir zeigen Ihnen ein Model, dem auch Sie morgen vollkommen ähneln können. Wählen Sie aus unseren fünf Standardtypen und werden Sie eine richtige Frau.

Ich hätte nie gedacht, dass es so gruslig werden könnte, zum Friseur zu gehen. Ich werde das morgen absolut tough durchziehen, ganz die undamenhafte Frau. Ohne Knoblauchpillen. Mit Wangenknochen. Und ganz bestimmt nicht für die Typen mit Hängewampe und Socken in Sandalen. Wenn ich dann fertig bin, beschleunige ich den Weg ins Beauty-Pflegeheim ein wenig - denn nach all diesen Artikeln und Warnungen ist mir nach etwas mit viel viel Sahne. Ich könnte mal wieder ein Stück Schwarzwälder Torte essen. Das tun Damen in meinem Alter. Und dann hemmungslos mit dem fetten Cappuccino einer lieben Freundin zuprosten, falls du mitliest, jaja, du bist schuld daran! ;-)

28. Mai 2011

Sag mir, was du liest

Auch auf die Gefahr hin, nie wieder irgendwo eingeladen zu werden, frage ich mal. Hat noch jemand außer mir den Fimmel, in einer fremden Wohnung zuerst die Buchrücken zu untersuchen? Sofern überhaupt welche da sind. Manche Leute schockieren mich mit blank gewischten Regalen, auf denen eine Designervase steht. Gut - auf die schaue ich natürlich auch. Denn mindestens so aufschlussreich wie Bücher ist das Vorhandensein von Blumen, Pflanzen oder Bildern an der Wand. Hat ein Mensch nichts von alledem in der Wohnung, teilen wir womöglich nur wenige Interessen - das lehrt die Erfahrung. Umgekehrt werden Menschen, die nicht lesen, an mir keine Freude haben.

Sag mir, was du liest und ich sage dir, wer du bist. Aus der Art der Bibliothek und ihren Inhalten kann man angeblich Rückschlüsse auf sein Gegenüber ziehen. Da fällt mir ein polnischer Witz ein, der ungefähr so geht:
"Du kommst in eine riesige Villa, in der es nur ein Buch gibt. Wer wohnt darin?" - "Keine Ahnung." - "Ein Neureicher von der Mafia." - "Aha." - "Du kommst in eine riesige Villa, in der es zwei Bücher gibt. Wer wohnt darin?" - "Weiß nicht." - "Ein verheirateter Neureicher von der Mafia." - "Und wieso?" - "Ist doch ganz einfach. Die Typen haben keine Kultur. Im ersten Fall liegt da ein Telefonbuch, reicht für Korruptionskontakte. Im zweiten Fall musste er die Familienbibel mitnehmen, die sie bei der Trauung überreichen."
Meine eigene Bibliothek ist ein lebendiges Tentakelwesen. Bücher in mehreren Schichten füllen einen ganzen Raum bis zur Decke und breiten sich in alle anderen Räume aus. Manche bekommen den Wandertrieb, die Bettlektüren zum Schlafzimmer, Wladimir Kaminer und Steffen Möller neuerdings aufs Örtchen. Aber kann man an meinen Büchern ablesen, wer ich bin? Mindestens fünf Mal so viel habe ich aus Bibliotheken oder von Freunden geliehen gelesen. Bücher, die ich verehre, besitze ich nicht, weil man sie gar nicht mehr kaufen kann. Da ist ein Fach voll von Mariologie, Esoterik und anderen Texten über Maria. Glaube ich an sie? Nein - das war Recherchematerial für ein Buch über Schwarze Madonnen. Lese ich Goethe, Schiller, Heine und Co., weil die so fett und breit im Regal hängen? Als Schülerin ja - das waren typische Verwandtengeschenke. Andere wunderbare Schriftsteller fehlen völlig - ihre vielen Hardcoverausgaben kann ich mir als Autorin schlicht nicht leisten. Klassiker lese ich auf CD-ROM, auch Lyrik.

Hoppla, genau! Da schwebt das Ungeheuer E-Book über uns. Zeig mir deinen Reader und ich sage dir, wer du bist? Wie soll ich künftig Küchenpsychologie betreiben können, wenn eines Tages wirklich nur noch die Designervase und das iPad im Regal liegen? Wie funktioniert Erstkonversation in der Zukunft?
"Du kommst in eine riesige Villa und auf dem iPad sind 2387 Bücher geladen. Wer wohnt darin?" - "Keine Ahnung". - "Ein Typ aus der Kommunikationsbranche." - "Aha." - "Du kommst in eine riesige Villa und auf dem Reader von Thalia sind 2387 Bücher von Weltbild gespeichert. Wer wohnt da?" - "Weiß nicht." - "Die geschiedene Frau von dem Typ aus der Kommunikationsbranche nach der Teilung." - "Aber was ist mit dem Typ von Mafia?" - "Der hat Google."
Verraten unsere "stofflichen" Bibliotheken wirklich, wer wir sind? Würde sich mein Charakter ändern, wenn ich Wladimir Kaminer vom Örtchen in die Küche tragen würde? Gibt es unter meinen Lesern womöglich sogar ganz hinterhältige, die extra bestimmte Bücher für den Besuch auf dem Tisch platzieren? Und wo, liebe Autorinnen und Autoren, stellt ihr eure eigenen Machwerke aus?

(inspiriert durch Wibke Ladwig)

27. Mai 2011

Fensterputzer

Irgendwie wird das nichts mit dem Fensterputzen. Gestern las ich zufällig durch Twitter eine Blüte des Lokaljournalismus über ein Buch und dann traf ich bei Facebook auf den Wirt einer ganz besonderen Kaschemme und schon fiel ich in eine andere Identität. Ich muss gestehen, dass ich mich seit Jahren im Internet als Mann herumtreibe, eben in jener Kaschemme. Als der Wirt und ich mit einer gewissen Reihe anfingen, war die Idee des üblen Typen in mir noch völlig dada: "1:30er" nannte ich meine Geschichten - Stories, die nicht länger dauern sollten als eine Nachrichtenmeldung. Natürlich absolut nichts für Verlage, die drucken ja nicht einmal Kurzgeschichten. Einfach nur Vergnügen, um die Sau rauszulassen... Man muss ja zwischendurch auch mal was "Richtiges" schreiben!

Gestern dann der Aha-Effekt. Meine männliche Hälfte (jaja, die hat frau in sich, nicht neben sich) ist auf der Höhe der Zeit. Gelangweilte Typen tickern auf ihren i-phones herum und finden Bücher viel zu lang. (Wie die FAZ erzählt, lesen plötzlich mehr Männer als Frauen - E-books nämlich und heimlich Belletristik.) Die Zeit ist mehr als reif für "1:30er"! Und weil ich ohnehin ausprobieren wollte, wie man ein Kindle-Buch erstellt (damit's bei meinen Romanen keine Unfälle gibt) ...

Seit gestern habe ich riesigen Spaß. Der Kerl in mir badete in Blut und Karmaspray. Diese "1:30er" flutschen ja geradeso in der Kaffeepause. Zehn Stücker bräuchte ich noch, dann ist ein Buch voll. Und weil der Kaschemmenwirt in den Anfangszeiten so herrlich mitgemacht hat, gibt's die Dinger vorab veröffentlicht (wir sind ja heutzutage unkonventionell) in der Kaschemme. Dabei gestehe ich ganz beiläufig (Schleichwerbung on), dass ich ein echter Fan vom Wirt bin, obwohl der mir das nie glauben will. Aber ich freue mich jetzt schon auf eine durchlesene Nacht mit seinem Zweitling (irre Leseprobe), auf den ich Jahre geduldig gewartet habe und darüber schier grau wurde. Was tut man nicht alles für freche Bücher!

25. Mai 2011

13 Uhr 13

Punkt 13 Uhr13 geschah die allerletzte Absicherung aller letzten Absicherungen meines Buchblocks und während ich hier sitze, saugt es ihn hoffentlich komplett und fehlerfrei direkt in die Technik. Fast 40 MB schleimen per ISDN immer abenteuerlich im Schneckentempo. Der Fluch des idyllischen Landlebens, wo DSL nur per Satellit oder Kabel möglich ist und Madame bisher zu bequem für riesige Umbauten war ("don't touch running systems").

Ein absolut irres Gefühl. Während das Buch in die Druckerei stottert, kann man Wäsche aufhängen, endlich den unendlich verschobenen Friseurtermin ausmachen, den morgigen persönlichen Feier-Tag planen, die Rosenblütenblätter umwenden, die in der Sonne trocknen, Tee kochen und daran denken, dass man die Fenster putzen könnte. Betonung auf "könnte". Gestern dachte ich noch, die Serie "Ich bastle ein Buch" müsse hiermit beendet sein, aber nach der Arbeit ist vor der Arbeit. Jetzt geht es ja erst richtig los! Überlegungen zum Verkauf und Marketing wollen schnell umgesetzt werden in den paar Wochen, die nun bleiben. Gar nicht immer so einfach. Gestern fragte mich jemand, ob es signierte Exemplare geben würde. Ja, klar, warum nicht!? Aber daran hängt ein Rattenschwanz an Logistik, der bedacht sein will. Ein Buch wird ja nur gedruckt, wenn es gekauft wird. Im Gegensatz zum herkömmlichen Druck gibt es keine Remittendenwirtschaft u.ä.

Ich muss also, um ein Buch bei mir am Schreibtisch signieren zu können, solche Exemplare erst einmal beschaffen, sprich drucken lassen. Und damit muss ich mir überlegen, wie ich sie an die Leser weitergeben kann, ohne ein Risiko dabei zu haben - ich will ja nicht auf zwanzig signierten Exemplaren sitzenbleiben. Kommt dazu, dass der Versand direkt vom Verlag für die Kunden natürlich sehr viel billiger sein wird als das innereuropäische Porto, das ich aus Frankreich aufschlagen muss. Würden sich die Kunden so lange gedulden, wenn ich einmal in der Woche von einer deutschen Post absenden würde? Wo aber wäre diese nächste Post? So bunt und mobil der Buchmarkt wird - hier wollen unkonventionelle Lösungen gefunden werden.

Für alle, die ähnliche Projekte vor sich haben, hier eine kleine Checkliste, worum man sich spätestens in der Wartezeit kümmern sollte, in der das Buch in der Herstellung ist:
  • Welche Handelswege gehe ich? Viele Hersteller versprechen vollmundig die automatische Anbindung an alle Sortimente, sagen aber nicht dazu, dass einen einige Sortimenter sofort wieder rauswerfen, wenn man nicht genug Umsatz macht. Meiner hat mir eine Menge Wissenswertes über die Funktionsweise des Buchhandels erklärt, über Rabattsysteme und Direktvertrieb - dazu später ein gesonderter Artikel.
  • Wie viele Besprechungsexemplare brauche ich für wen? Beim normalen Buch werden bis zu 10% der Auflage für Werbezwecke einkalkuliert und darum auch ziemlich lustig unters Volk geworfen. Bei Print-on-demand zahlt der Autor den Einkaufspreis und sollte sich deshalb gut überlegen, wer wirklich Multiplikator sein könnte oder andersweitig wichtig ist. Außerdem zu überlegen: Vorabexemplare sind per Print-on-Demand nicht möglich - der Rezensent erhält sie nicht vor den Lesern. Um das zu umgehen, müsste man pdf-Dateien verschicken, aber will man die aus der Hand geben? Andererseits hat man bei diesem Verfahren auch mehr Luft zum Atmen: Ein Buch darf langsam kommen, aber gewaltig ;-)
  • Die Website muss aktualisiert werden. Stichwort Direktvertrieb. Und wer Bücher über einen der Online-Shops verkauft, sollte nicht einfach nur Links setzen, sondern sich ins Partnerprogramm aufnehmen lassen - denn da ergibt jeder Verkauf noch einmal Werbetantiemen - ein kleiner Ausgleich für die grundüblen Rabattforderungen der Riesen, die der Autor natürlich indirekt mitbezahlt.
  • Sehr zentral müssen die Social-Media-Verbindungen beim eigenen Webauftritt verlinkt werden: Blogs, Facebook, Twitter, Xing und wie sie alle heißen. Leser wollen sich nicht mühsam durchklicken müssen und nach Aliasnamen suchen. Deutlich sichtbare Buttons - kinderleicht zu navigieren. Wenn auch statische Websites heutzutage manchem altmodisch erscheinen mögen: Sie sind die einzige Visitenkarte, die bleibt und deren Daten man selbst im Griff hat! Facebook hat schon Firmenaccounts ohne Vorankündigung gelöscht, Twitter kann down sein, Blogs können nicht mehr laufen. Vor allem aber ist die eigene Website die ideale Anlaufstelle für alle Leserinnen und Leser, sogar diejenigen, die eher Offliner sind. Selbstverständlich gehört die Domain ins Buch gedruckt und in den Social Media verlinkt.
  • Zu diesem Zeitpunkt sollten Social-Media-Maßnahmen längst angelaufen sein. Ich sprach früher bereits davon: Eine einigermaßen lebendige Leserschaft mit einem Blog aufzubauen, dauert je nach Intensität des Engagements und Strategie neun bis achtzehn Monate. Es reicht auch nicht, jetzt schnell ein Facebook Account zu eröffnen und Däumchen zu drehen. Communities aufzubauen, ist echte Arbeit.
  • Die Pressemappe sollte fertig sein. Ob auf Papier oder als pdf - unbedingt enthalten muss sie: die Pressetexte, eine Kurzbiografie des /der Autor/in, Hinweise auf frühere Veröffentlichungen, falls von Bedeutung, ein technisches Blatt mit den Buchdaten und Coverfoto - und am allerbesten noch ein paar Blurbs. Das sind die knackigen Zitate von Zeitungen, Kritikern oder Fachleuten. Und bitte, den Benimm achten: Riesige pdfs sendet man nur auf Bestellung, man kündigt sie nur an! Wer öfter mit der Presse zu tun hat, kann auch online auf der eigenen Website einen Presseservice bieten: Mit downloadbaren Autorenfotos und Coverabbildungen; Kontakthilfen und Links zu allen relevanten Texten. Rezensionen darf man übrigens - auch für die gilt Urheberrecht - nur nach ausdrücklicher Genehmigung vollständig auf der Website anbringen. Aber kurze Zitate mit Quellenangabe kommen in den meisten Fällen ohnehin besser!
  • Soll es Lesungen und Auftritte geben? Schleunigst Kontakte anleiern!
  • Und zu guter Letzt: Zurücklehnen, Feiern und Atmen nicht vergessen.
Während ich das getippt habe, ist mein Buchblock in der Herstellung angekommen, fehlt noch das schreckensgrellbabyblaue Cover. Auch das ist eine neue Erfahrung für mich, denn ich sehe ja fast alles entweder schon fertig gedruckt auf Papier oder am Bildschirm. Anders als bei dessen RGB-Raum wird aber im CMYK-Farbraum gedruckt. Und das ist wirklich schauderhaft unvorstellbar: Das edle Yves-Klein-Blau sieht auf meinem Bildschirm grellquietschbabyblau aus.

Im gleichen Atemzug fast bekomme ich auch schon vom Hersteller die Bestätigung, dass mein Auftrag eingegangen ist und sich die Grafik bei mir melden wird, sobald alle Daten eingegangen und geprüft wurden. Über das Thema Hersteller werde ich noch einen Beitrag schreiben - die Unterschiede sind teilweise immens und nicht immer ist das billigste Angebot das günstigste. Ich habe lang hin und her überlegt. "Nijinsky" wird in der Edition Octopus im Verlag Monsenstein und Vannerdat erscheinen - und ich bin jetzt schon hellauf begeistert von deren Vorabberatung und den freundlichen Damen am Telefon. Damit dürfte übrigens auch klar sein: Ich bin zwar "Selbermacherin", aber keine Selbstverlegerin. Auch diese Entscheidung will wohl bedacht sein, weil sie von der VG Wort bis hin zu den Behörden Konsequenzen nach sich zieht. Es ist für Autoren überhaupt nicht unbedingt günstig, einen Verlag zu gründen, nur um Bücher schreiben zu können!

Und in dem Moment, in dem ich hier auf Absenden klicken möchte, kommt von meinem Grafiker und Technikzauberer die Mail, ich dürfe jetzt an einen kleinen milden Cognac denken, das Cover ist ebenfalls bei Monsenstein.
Ich gehe jetzt SektkaufenatmenjubelnfeiernschlafenanstoßenjubelnLuftholenlesenfaulenzen ...

24. Mai 2011

Die Tücken des Objekts

Es ist einfach herrlich, welche Unfälle einem Buch auf dem Weg in die Druckerei passieren können. Das gesamte Manuskript, alle Fotos, alles perfekt konvertiert - und dann auf Seite 64 das da:

23. Mai 2011

Es ist vollbracht

Ich kann es noch nicht ganz glauben. Und ich muss auch erst noch den Technikzauberer fragen, wie ich das pdf-Programm genau konfigurieren muss...

"Nijinsky" ist druckfertig. Mitsamt Druckereianweisungen, Werbetexten und allem Gedöns.

In so einem Moment lohnt sich ein Blick zurück - denn keines meiner Projekte war bisher derart von Katastrophen verfolgt wie dieses. Ende 2008 unterzeichnete ich dafür einen feinen Verlagsvertrag. Und dann kam alles ganz anders. Fast drei Jahre Chaos, Widrigkeiten, Durchhaltekraft bis hin zum egoistischen Starrsinn - und allerhand Verrücktheiten. Die größte darunter war das Sabbatsemester, das ich mir mit doppelter Maloche recht und schlecht finanzierte, nur um zu lernen, wie man von der Idee bis zum Handel ein Buch verwirklicht - und wie sich der Buchmarkt derzeit und künftig entwickelt.

Es hat sich absolut gelohnt. Unglaublich, was ich alles gelernt habe, was für hochinteressante Menschen ich aus der gesamten Buchbranche kennenlernen durfte (nicht nur virtuell) - und welch umwälzende Gedanken mich seither verändert haben. Frei nach Heraklit tauchen Autoren aus jedem Buch verändert wieder auf. Dieses Projekt, das kann ich mit Bestimmtheit sagen, hat mich vollkommen verändert. Die nächsten Bücher werde ich anders anpacken als bisher...

Zwei Menschen gaben mir sozusagen posthum Kraft. An Sergej Diaghilew nahm ich mir immer wieder ein Beispiel. Als er seine große Idee in die Tat umsetzte, musste er sich folgenden Spruch anhören:
"Ah Monsieur, das hat man noch nie gemacht, das ist unmöglich!" (Der Leiter der Pariser Oper zu Sergej Diaghilew)
Er hat jedoch mit eisernem Willen durchgesetzt, woran er glaubte; auch wenn alles schief zu laufen drohte und immer wieder das Geld fehlte. Und an Vaslav Nijinskys Beispiel habe ich gelernt: Hingabe an die Kunst braucht neben der Leidenschaft und eisernen Arbeit auch die Achtsamkeit für die eigenen Kräfte. Für jedes Down, für jeden Schlag und jede Doppelschicht muss man irgendwie wieder die eigenen Batterien aufladen. Dieser Beruf ist nicht einfach nur Berufung, sondern auch allzu oft eine Gratwanderung.

Wer noch einmal wissen will, wie es vom Verlagsvertrag zum eigenverantwortlichen Projekt kam und welche Katastrophen am Wegesrand lauerten, hier ein kleiner Rückblick:
Das Achterbahn-Komplott
Ich staune gerade...

jappadappaduh!

Das Gefühl, das ich jetzt habe, wird ein normaler "Nur-Autor" beim Büchermachen leider kaum erleben - denn in der Regel haben dieses Gefühl andere für ihn. Und die haben es aus Routine wahrscheinlich längst nicht mehr.

Ich hatte berichtet: Durch eine winzige Randverschiebung um zwei Millimeter, die ich für nötig empfand, damit die Leser meinem Buch nicht brutal den Rücken brechen, habe ich mir meinen gesamten ausgeklügelten Satzspiegel zerschossen. Und weil ich dieses eine Buch noch nicht mit Profisoftware layoute, ist das eine elende FrickeleiPfriemeleiRechnereiFluchereiChaossetzerei. Außerdem bin ich so verrückt, nicht bequem alle Fotos gebündelt in einen Fotoblock zu schalten, sondern mit Sinn und Verstand ins gesamte Buch zu mischen. Nun gibt es aber noch jede Menge ungeschriebener Schönheitsgesetze ... Kapitel machen sich z.B. gut, wenn sie immer und jedes Mal auf einer rechten Seite beginnen. Plus das Gesetz des Preises: Die Menge der rechtefreien Fotos ist in diesem Fall sehr begrenzt, jedes weitere kostet ab ca. 70 Euro aufwärts. Plus das Gesetz des Grafikers: Der hat das Cover nämlich längst fertig, natürlich auf die alte Buchblockdicke berechnet.

Heute vormittag habe ich mir einen Wolf gerechnet. Mir beim virtuellen Verschieben fast die Hirnwindungen verrenkt. Dazu muss man sagen: Word zeigt Seiten zwar gruppiert, aber nie gruppiert wie in einem Buch. Schließlich habe ich die Wut bekommen und 64 Doppelkästchen auf Papier gekritzelt. Satzspiegel wie bei Großvaddern: gezeichnet. Prompt fielen mir die Übeltäterseiten auf. Und dann hieß es tricksen, tricksen, tricksen - nur wie? Ein paar Fachleute hätte ich im Netz fragen können. Aber die kennen mein Buch nicht - und bis ich das alles erklärt gehabt hätte - da muss eigener Hirnschmalz her!

Kaum zu glauben, wie kreativ Verzweiflung macht. Was hab ich höllisch herumgeschoben! (Und nach jedem Schub doppelte Sicherung). Es war wie die Reise nach Jerusalem, nur schlimmer: Zwei Stühle blieben immer leer. Verrückt, dass jetzt genau das Foto passte, das ich in der ersten Fassung verworfen hatte. Und beim zweiten habe ich einen ganz üblen Taschenspielertrick angewandt, den ich nicht verraten werde.

Mein Hund ist dann zwei Stockwerke hochgerast, um zu schauen, was mir passiert sein könnte. Ich habe nämlich einen Freudenbrüller losgelassen. Ein Indianertänzchen mit ihm gewagt (er glaubt jetzt, ich sei komplett bekloppt). Und dann kam anfallsartig bei 30 Grad im Schatten der Schüttelfrost, Heißhunger...

Schon verrückt, was so ein Gehirn an Kalorien verbraucht, wenn man es wirklich mal nutzt. In der prallen Sonne habe ich bei heißem Tee meine Kästchen neu befüllt und noch einmal gejuchzt. Der Satzspiegel ist absolut perfekt. Das Buch wird richtig schön:
Hardcover 12,5 cm x 20,5 cm
128 Seiten
22 ganzseitige Fotos, davon eins farbig
- und die Fülle der Fotos rechnet sich sogar in der Buchkalkulation. Für die Leser wird das Buch übrigens ca. 15 bis 16 Euro kosten. (Welches Buch? Das hier!)

Nun noch schnell die Daten ins pdf braten, Druckereianweisungen ausfüllen (hach, zum ersten Mal offiziell den noch geheimen Titel getippt), Werbetexte für den Handel tippen ... und sich zwischendurch in der Sonne aufwärmen. Vergleichbar ist das Erfolgserlebnis übrigens ungefähr mit dem Zustand, wenn man als Autor seine ersten Belegexemplare auspackt. Dafür habe ich genau vor dem Moment diesmal die größte Angst!

PS an die Autorin: InDesign zulegen statt jammern.
PPS: Irgendwann das Geheimnis ergründen, warum das Buch länger wurde, aber immer noch 128 Seiten hat.

22. Mai 2011

Die Backlist als Rückgrat

Wenn irgendwer im Netz Reichtümer durch Self-publishing verspricht, bin ich von vornherein kritisch - denn in 99,9% aller Fälle handelt es sich bei den vollmundigen Versprechen um Illusionen oder Geschäftemacherei. Wenn jedoch jemand wie Alan Rinzler einen Artikel betitelt: Is there gold in your backlist? Self-publish to find out! - dann lese ich genau hin. Alan Rinzler ist nämlich kein Selbstverleger-Guru. Als verantwortlicher Lektor, Herausgeber und in anderen Funktionen arbeitete er für Größen wie Bantam, Simon and Schuster, Macmillan und andere. Er ist eher derjenige, der Autoren berät, wie sie zu einem Verlag kommen. In seinem lesenswerten Artikel berät er Autoren, deren Bücher am Markt nicht mehr zu haben sind.

Was ist mit all denjenigen, die einen Verlag gefunden hatten, deren Bücher im herkömmlichen Geschäft liefen, aber plötzlich nicht mehr aufgelegt werden? Backlists werden auch in Deutschland nur noch von sehr engagierten und meist von literarischen Verlagen gepflegt. Selbst denen kann es passieren, dass eines Tages der Verlag umstrukturiert wird und damit die Backlist. Früher konnte man noch sagen: Wenn ein Buch beim Publikum nicht ankommt, wird es eben verramscht und ist weg vom Fenster. Vergriffene Bücher sind schlechte Bücher. Ein Urteil, das schon längst nicht mehr zutrifft. Auch Beststellerautoren werden aus dem Programm genommen.

Das "Haltbarkeitsdatum" von Büchern wird nämlich immer kürzer. Manche Verlage leisten sich lieber viele neue Titel, als dass sie alte mit durchschleppen. Manchmal kommt ein Buch ohne gehörige Werbung auch tatsächlich nicht in den ersten beiden Monaten beim Zielpublikum an. Viel häufiger aber werden Bücher Opfer der Konzentrationsprozesse des Buchmarkts. Ich kann ein Lied davon singen, denn ich bin so eine Autorin mit vielen vergriffenen Büchern. Sie gingen nicht am Publikum unter. Sie wurden Opfer von Verlagspleiten, Verlagsverkäufen, Verlagsfusionen, Verlagsumstrukturierungen - oft in der Blüte ihrer Laufzeit. Ist man solchen wirtschaftlichen Situationen hilflos ausgeliefert, tut das weit mehr weh, als wenn man sich sagen könnte: Ok, das Buch war schlecht, das nächste wird eben besser. Stattdessen hat man als Autor in solchen Situationen ganz andere Sorgen: Man rennt womöglich Honoraren nach, bevor sie in der Konkursmasse verschwinden, man braucht Abrechnungen von Leuten, mit denen man nie zu tun hatte. Immer muss einem die Agentur beistehen und oft sogar der Anwalt. Denn man hat nach deutschem Brauch oft allzu viele Rechte an jemanden abgetreten, dessen Firma sich gerade auflöst, nicht mehr geschäftsfähig ist oder auf einmal jemand ganz anderem gehört.

Wie viele meiner KollegInnen habe auch ich teilweise jahrelang um einen einzigen Titel gekämpft. Ich hatte das Glück, dass die vereinbarten, ausstehenden Gelder letztlich immer bezahlt wurden - aber ich weiß inzwischen auch, was ein gerichtlicher Mahnbescheid ist. Mit meinen Buchrechten hatte ich oft weniger Glück: Da war die Fusion von Diederichs, dann das Einverleiben bei Hugendubel, der Verkauf von Hugendubel - und erst als Jahre später Random House den Rest der Firma aufkaufte, bekam ich von dort eindeutig und explizit alle Rechte meiner ersten beiden Bücher zurück. Weil bei Random House im Gegensatz zu den anderen Partnern die Rechteabteilung bestens funktioniert und Autoren achtet. Seither bin ich ein gebranntes Kind und rechne schon bei Vertragsabschluss mit dem Schlimmsten. Und ich habe gelernt, dass Buchrechte automatisch auf die Autoren zurückfallen, wenn der Verlag nach einer gewissen Frist diese nicht mehr nutzt, sprich, das Buch neu auflegt. Jede Agentur klärt das für einen wasserdicht und fragt auch rechtzeitig nach.


Die persönliche Backlist ist das Rückgrat eines Autors: Sie zeigt seine Entwicklung, seinen inneren Reichtum und sein Können. Wer ein Buch eines Autors gut findet, wird womöglich noch andere kaufen wollen. Sie spielt bei weiteren Verlagsbewerbungen eine Rolle. Und vielleicht ist auch einmal ein Band, der gar nicht gut laufen wollte, ein geliebtes Thema, auf das man nicht verzichten möchte.

Alan Rinzler empfiehlt Autoren deshalb, ihre vergriffenen Bücher wiederzubeleben. Nicht immer wird man damit reich - das hängt von genauso vielen Glücksfaktoren ab wie der Verkauf zuvor beim Verlag. Die Erfolgsbeispiele, bei denen Autoren im Self-publishing der Backlist mehr verdienen als vorher an Vorschüssen, gründen sich auf mehrere Gegebenheiten:
  • Die Autoren sind durch den "Verlagsfilter" etabliert, gelten von vornherein nicht als "Möchtegerns".
  • Die Tantiemen sind ungleich höher.
  • Die Bücher sind geschrieben, müssen nur aktualisiert werden. Manchmal lassen sich sogar Lektoratsfehler wieder entfernen.
  • Viele Bücher sind bereits durch die Presse gelaufen und verfügen so über wichtige Verkaufszitate.
  • Die meisten Autoren mussten auch schon im Verlag Eigenmarketing betreiben und haben es gelernt.
  • Etablierte Schriftsteller, die über eine eigene Community verfügen, kommen leichter an ihr Zielpublikum als ein Verlag.
  • Im direkten Kundenkontakt können ganz andere Themen wichtig werden als in einem vorgegebenen Verlagsprogramm.
Die von ihm zitierte Literaturagentin Jessica Faust hält das Self-publishing der Backlist jedoch nicht nur aus finanziellen Gründen für wichtig: Die Backlist ist ein wichtiger Grundfaktor beim Aufbau eines Autors als Marke! Wie man das Wiederauflegen praktisch anpackt, erklärt er genau. Umgedacht auf unsere Verhältnisse hieße das:
  • Der Rechterückfall ist in Europa anders geregelt (s.o.), aber auch immer individuell vom Vertrag abhängig. So fallen z.B. auch bei Erlöschen einer deutschen Ausgabe nicht die Übersetzungsrechte zurück, wenn eine Lizenz im Ausland noch läuft. Hier hilft einem die Agentur nicht nur im Ernstfall danach, sondern schon im Vorfeld bei der Vertragsabfassung.
  • Eine Datei der letzten Buchfassung sollte jeder Autor auf der Festplatte haben und im Lauf der Jahre womöglich rechtzeitig in neue Programme konvertieren.
  • Layout und Buchcover müssen natürlich selbst erstellt werden. Hier rät Rinzler in Einzelfällen, sogar einmal den Grafiker des Originals zu fragen, ob er seine Rechte nicht verkauft. In Deutschland bietet sich dieser Weg seltener an - die meisten Cover werden nämlich innerhalb der Verlage erstellt. Und die sind auch nicht unbedingt zimperlich mit Fotokosten, kaufen oft bei Edelagenturen ein. Bei einer Neuauflage würden diese Fotorechte jedoch wieder fällig! In den meisten Fällen ist es also günstiger, alles neu zu erstellen. Das hat auch einen großen Vorteil: Will ich mich zur Marke machen, kann ich meine Cover zum eigenem Branding passend konzipieren. Sie müssen dann nicht in Verlagsprogrammplätze oder Trends passen, sondern zum eigenen, nachhaltig konzipierten Image.
  • Gut finde ich Rinzlers Hinweis, man dürfe auch ruhig ältere lektorierte Bücher noch einmal lektorieren. Schließlich entwickeln sich auch Autoren weiter. Einige Verlage bestehen im Rechterückfallschreiben (das gar nicht notwendig ist) neuerdings auch darauf, dass ihr Lektorat geschützt sei. Darüber lacht der Urheberrechtsanwalt, falls nicht der Lektor allzu tief und völlig verändernd ins Buch eingegriffen hat. Den Streitpunkt nennt man "Schöpfungshöhe" - und die dürfte in den meisten Fällen in Zeiten, in denen Autoren immer druckreifer arbeiten müssen, bei den Urhebern selbst liegen. Vor allem müsste im Ernstfall der Lektor echte Eigenschöpfungen beweisen.
  • Dass es ohne Netzwerke mit Grafikern, Layoutern etc. und vor allem dem Publikum selbst bei etablierten Autoren nicht geht, trifft auch auf Europa zu. Sehr viel mehr sogar als in den USA, denn hierzulande unterstützt einen der stationäre Buchhandel außerhalb von Verlagen nicht. Da sind alternative Verkaufswege und Großdistributoren gefragt, leider. Ich habe als Autorin immer und überall für wichtige Strukturen des Buchmarkts wie Verlage und unabhängigen Buchhandel gekämpft. Wenn ich allerdings bei der Backlist von beiden im Regen stehen gelassen werde, greife ich auch zu Amazon & Co. Da werden derzeit jede Menge Chancen und Wege verschlafen, aber wir Autoren haben am wenigsten Geld zu verschenken.

Drüben schauen!

Lesestoff gibt's heute im Nijinsky-Blog, obwohl die Geschichte eigentlich nichts mit Nijinsky, sondern mit Gustav Mahler zu tun hat. Und natürlich auch auf
https://www.facebook.com/cronenburg

19. Mai 2011

Virtuelles Echtleben

Ich muss immer lachen, wenn zwei sich über virtuelles und echtes Leben streiten, als hätten wir online nur mit Zombies und in der Fußgängerzone mit garantiert echten Menschen zu tun. Als würde ein "himmlischer Äther" immer noch über einer fixen Glaskugel schweben, die Erde darunter eine Scheibe. Dann kommen noch Menschen wie der Chef der New York Times daher und behaupten vollmundig, Twitter und Facebook würden das Gehirn umstrukturieren und verblöden, weshalb er selbst kaum twittere, aber um viele viele Retweets bitte. Für sein Buch natürlich, das ob der Online-Debatte zum ganz realen Bestseller wird.

Vor Urzeiten empfahl ich in diesem Blog das hochspannende Sachbuch "Ich. Wie wir uns selbst erfinden" von Werner Siefer und Christian Weber (campus), das sich liest wie ein Wissenschaftsthriller und den Stand der Hirnforschung von nunmehr 2006 wiedergibt. Demnach kann man seinem Hirn gar nicht oft genug solche Umstrukturierungs-Anreize bieten und es bis ins hohe Alter mit neuen Denkmechanismen bombardieren - das hält das edle Teil nämlich besonders fit. Dass man der grauen Schwabbelmasse dabei nicht nur einen einzigen, suchtgetriebenen Cocktail bieten sollte, versteht sich von selbst. Wer jeden Tag nichts anderes trinkt als Orangensaft, bekommt irgendwann einen übersäuerten Magen. Man achte aber demnächst einmal darauf, wie viele Wöff-Klicko-Säufer online erzählen, nur Wöff-Klicko mache intelligent. Nee - das macht im Übermaß den gleichen übersäuerten Magen.

Was mich betrifft, so muss ich mit Schrecken gestehen: Das Social Web beeinflusst schon mein geheimstes Privatleben. Dank Matthias Brömmelhaus (Twitter + Blog + Facebook) ist seit Jahren endlich wieder meine Mordlust gestillt. Nachdem das Genre Krimi gerade ebenso vermüllt wird wie dazumal der historische Roman (Perlen gibt es, aber man findet sie immer schwerer), habe ich schon ewig keinen guten Krimi mehr in der Hand gehabt. Aber heute habe ich dank ihm Tana French entdeckt und beim ersten Reinlesen bemerkt: Es gibt tatsächlich noch Verlage, bei denen Krimis nicht allein aus Blutsoße in Strömen bestehen müssen, sondern Niveau und Sprache haben dürfen!

Rabenblut (Twitter + Blog + Facebook) wiederum ist schuld daran, dass ich mir nach dem gestrigen Stress und dem heutigen in der Tierklinik ("nein, keiner zieht mir Fäden") einen vergnüglichen freien Tag gönne. Vergnüglich deshalb, weil ich Miss Pettigrew (auch verfilmt worden) verfallen bin, einer von Nikola so warmherzig empfohlenen Screwball-Komödie aus den 1930ern. Nichts fürs heutige Frauenbild, aber sie liest sich so kurzweilig wie ein zerkratzter Schwarz-Weiß-Film, in dem sich Platinblondinen und Brünette mit Schnurrbartträgern und Schwiegermutters Liebling die Dialoge um die Ohren hauen. Und die Glamour-Damen haben es dann doch am Ende faustdicker hinter denselben als die Männer.

Jetzt kommt's noch dicker mit dem Einfluss der virtuellen Welt! Dieses Vergnügen haben mir nämlich BlogleserInnen geschenkt. Denen möchte ich für ihre Buchspende (via Danke-Button rechts im Menu) an dieser Stelle ganz herzlichen Dank sagen, denn auch für 5 Euro lässt sich schon ein Schmöker kaufen. Ich garantiere: Jeder, der sich hier bereits beteiligt hat, schafft es, dass ich mich still und verzückt irgendwo ausstrecke und für die wahre Welt, das echte Leben, eine Weile nicht mehr zu sprechen bin. Wenn das keine Wirkung ist!

Ähm - das war eben ein bißchen gelogen. Ich habe mal einen Gutschein für Fachliteratur missbraucht. Da saß ich dann über Stunden sehr aufrecht.

Sei's drum, Verblödung hin oder her: Etwa 85 % meiner Lektüre entdecke ich inzwischen in der virtuellen Welt, Tendenz steigend. Vor allem, wenn ich mir die vielen feinen Verlage bei Facebook und Twitter anschaue, wo ich ihre Bücher eher, informativer und besser sehen kann als bei Thalia & Co! Und ohne Twitter hätte ich schließlich auch gar nicht erfahren, dass Twitter so verblöden kann.
Miss Pettigrew ... ich komme ... !

Lesen ist ja so cool!

Heute beantrage ich die Rente ab 49, nein, was sage ich, ab 19: zum Lesen. Wir haben nämlich jetzt kostenlosen Lesestoff, bis die Erde verraucht. Mehr jedenfalls, als man in einem einzigen Menschenleben lesen kann. Mehr, als man während der Arbeitszeit schmökern kann, wenn man künftig in Deutschland bis ins Pflegeheim hinein malochen muss.
Google war anständig und hat sich diesmal auf wirklich richtig tote Schriftsteller gestürzt, die länger als 70 Jahre von den Würmern gefressen sind. So wird es künftig edle Preziosen aus dem 16. bis 18. Jahrhundert als Farbscan online geben - eine gigantische Bibliothek. Eine gute Aktion, Welterbe zu bewahren. Und ich hoffe, sie fragen die noch lebenden Schriftsteller ganz brav, wenn sie in späteren Jahrhunderten herumscannen.

Noch mehr E-Books wird es auch geben. Es drang nämlich an mein Surfauge, dass Amazon künftig das Format epub auf dem Kindle zulassen will. Das ist natürlich keine Aktion reiner Menschenliebe, sondern knallharte Kalkulation, aber die Leser wird's freuen und mehr Konkurrenz allüberall könnte ja vielleicht endlich einmal die immer noch hohen Readerpreise ins Wanken bringen. Da fällt mir ein: Warum diskutiert eigentlich jeder aufgeregt die ohnehin niedrigen Buchpreise und will am liebsten noch die Zwei-Euro-Schwarte kostenlos, obwohl Autoren immer weniger verdienen? Warum bitte will keiner seinen Reader geschenkt haben, dafür, dass er einen Distributor reich macht??? Irgendetwas stimmt in dieser Logik ganz und gar nicht!

Moment, die Hauptsache kommt noch. Falls die Typen von der Rente anklopfen oder die Bundesregierung oder euch sonstwer vom Lesen abhalten will - da hilft nur das (gefunden via glaserei):

18. Mai 2011

Ich werd' zum Hirsch

Heute ist ein Tag, wie man ihn normalerweise vor der Öffentlichkeit versteckt. Die Profis und die Perfekten könnten sich ja womöglich krummlachen, wenn ich plötzlich nach der vollautomatischen Felsbeißerwumme giere, die ich im letzten Beitrag erfunden habe. Ich werde zum Hirsch!

Noch bin ich nur ein Rindvieh...
Zum Glück habe ich in vorletzter Sekunde noch einmal eine "echte" Verlegerin gefragt (Bücherfrauen, wenn ich euch nicht hätte!), ob mein Satzspiegel gewisse Grundvoraussetzungen erfüllt. Haarscharf, rasiermesserhaarscharf stimmt er. Weil ich aber eher von der vorsichtigen Truppe bin, zumal ich beim Bedrucken und Schneiden ja nicht dabei bin, habe ich beschlossen, zwei Millimeter Sicherheitszone einzuplanen. Und dann ging der Spaß von Neuem los. Neue niedliche Hurenkinder, freche Schusterjungen und tatsächlich noch jede Menge laut kichernder Fehler. Letzteres darf eigentlich gar nicht wahr sein, denn das Buch wurde von einem Profi lektoriert, von zwei Fachleuten gegengelesen und von der Autorin dann noch mehrmals schier tot korrigiert. Und sie alle haben die gleichen Fehler übersehen! So viel zur Wichtigkeit eines hochprofessionellen Lektorats! Wie fehlerhaft wäre das Buch ohne dieses Durchforsten!

Merke außerdem: Tausche nie in letzter Sekunde ein Foto aus. Das hat zwar - irgendwo gegen Ende des Buchs - geklappt, aber plötzlich war der Schmutztitel auf Seite 3 komplett verschwunden. Wusch, wie von Gundel Gaukeley weggezaubert. Ich weiß bis jetzt noch nicht, wo genau er spazierenging. Irgendwie war er drei Änderungen weiter nämlich plötzlich wieder da. Wunder der Technik. Merke: Extrem fleißig Back-ups machen und am besten unterschiedliche Phasen getrennt abspeichern!

Aber da wartete noch eine böse Überraschung. Meine winzigen zwei Millimeter vermehrten das Buch wundersam um zwei Seiten. Kein Problem bei reinen Textbüchern. Aber weil ich die Fotos quer durchs Buch anordne, muss jetzt Kapitel 4 dran glauben. Es fängt nicht wie die anderen auf einer rechten Seite an! Die pure Katastrophe für eine Perfektionistin wie mich. Und das, wo es sich bei der einen Seite nur um eine halbe handelt! Normalerweise kann man tricksen. Entweder müsste man sie wegkürzen oder mehr als eine halbe Seite dazuschreiben. Letzteres fällt aufgrund des gefeilten Texts absolut flach. Ersteres ist auch mit den besten Schiebetricks nicht zu schaffen. Vierzehn Zeilen, die mir das Leben zur Layouterhölle machen. Das sind die Momente, wo ich bei der Fahnenkorrektur im Frauenroman gesagt hätte: Pfeifen wir drauf, raus mit dem Kram, eh alles nur Blähtext, weg und weg und weg. Doch dieser Text ist bereits aufs Äußerste filetiert. Zwölf Zeilen könnte ich mit einem ganz miesen Trick schaffen, den jeder Setzer, jeder Layouter sofort erkennen würde. Und deshalb tu ich's nicht. Und fluche.

Es wird gehen müssen. Aber zuvor muss ich berechnen, ob mir das gleiche Wunder nicht später noch blüht. Nur ... mit dem Rechnen ist das so eine Sache. Vorhin wollte ich etwas im Duden nachschlagen. Und habe nicht bemerkt, dass ich im Englischwörterbuch las.
Ich muss auch etwas anderes einrechnen: So sehr viel dicker darf mein Buch nicht werden. Das Cover ist nämlich längst fertig. Feinst berechnet auf die Papierstärke jeder einzelnen Seite plus Deckel.

Merke: Nimm den Mund nicht zu früh zu voll. Erzähle nie, du müsstest eine Datei nur noch in ein pdf umwandeln. Auf dem Weg dahin können die schönsten Katastrophen passieren.

Merke außerdem: Der Satzspiegel für ein Buch mit Abbildungen, zumal ohne Profisoftware, ist eine elende Frickelei, hässliche Mathematik und Arbeit mit Augenmaß bis zum Überlaufen derselben. Nie, aber auch nie wieder Dagoberts Geiz beim Programm - es endet in Donald'scher Maloche!

PS: Die Danksagungsliste im Buch wird auch immer länger.

PPS: Morgen aber! Wär doch gelacht.

PPPS: Was strenge ich mich eigentlich so an, wo man doch heute ganz einfach und ohne große Kenntnisse Bücher produzieren kann?

16. Mai 2011

Klondike oder Kompetenz?

*Heftiges Disney-Streicher-Schrammeln*

Der berühmteste und reichste Mann der Welt, Onkel Dagobert, steckte sich einst zur Zeit des Goldrauschs einen Claim in der Nähe des Klondike ab. Hier findet und verliert er die Liebe seines Lebens und macht seine erste Million. Und wie macht er die? Als Knauser und Geizhalz, im Kampf gegen üble Claimräuber und Betrüger. Aus Millionen werden Milliarden, irgendwann Phantastillionen. Fortan badet er in seinem Geldspeicher und fürchtet nichts so sehr wie den Verlust seines ersten Glückstalers. Für die Gefühle ist der arme Schlucker Donald zuständig - ein Sympathieträger, weil er als einziger nicht nach dem schnöden Mammon lechzt. Er backt von seinem letzten Geld leckere Pfannkuchen für die Familie.

Was aber haben Donalds leckere Pfannkuchen bitteschön mit dem Buchmarkt zu tun? Beim heutigen Surfen durch die Buchartikel kam ich mir vor wie im guten alten Entenhausen, das sich aufmacht, den Klondike zu erobern. Jeder verspricht einem die Goldmine des Lebens. Typen, die von Hauen und Stechen keine Ahnung haben, machen sich mit Spitzhacke und Spaten auf - riesige Dollarzeichen in den Augen. Im Saloon streiten sie um ihre Claims, träumen davon, des Nachts Grenzsteine zu versetzen. Seriöse bürgerliche Enten fühlen sich plötzlich umringt von Panzerknackern und irgendwo kichert Gundel Gaukeley, weil sie glaubt, den absoluten Zaubertrick rauszuhaben. Klaas Klever hat mal wieder nicht aufgepasst und frisst seinen Hut. Theoretisch könnte heute jede Ente Millionär werden. Nur Onkel Dagobert weiß es besser: Er besinnt sich auf seine Kompetenzen und verbündet sich mit dem einzigen, der menschlich den Überblick behält: mit Donald Duck.

*Fürchterlich tragisch-dramatisches Disney-Geigen-Sägen mit viel Harfen-Pling-Pling*

Klondike, pardon, das oder der Kindle ist da. Wie kindleleicht es ist, ein E-Book herzustellen, probt Wolfgang Tischer vom Literaturcafé in Echtzeit. Er hat seinen Claim in der Gänseblümchenwiese abgesteckt. Stolz erfährt er im Saloon: Seine Nuggets haben irre 8,40 Euro eingebracht - bei einem Verkaufsrang in den Top 100. Was lesen wir daraus? Dass der Klondike eben nicht der ganze große amerikanische Kontinent ist? Dass es so gemütlich ist, weil die Panzerknacker und die Typen mit den Spitzhacken noch nicht angereist sind? Dass die Menschheit schon seit Jahren auf Gänseblümchen gewartet hat? Lustig ist es, ein Buch zu machen, lustig und schnell...

Aber hoppla, wen haben wir denn da? Lustige schnelle Buchmacher, die sich hinter den drei Buchstaben LLC verstecken. Während andere mühsam nach Nuggets suchen, verkauft man hier offensichtlich gleich den Erdboden: Copy & Paste-Bücher aus dem, was andere fallen lassen, zum Teil mit falschen Autorennamen. Im Web wird allerorts davor gewarnt, etwa hier, aber Amazon ist voll davon. Als ich gestern deren Suchmaschine für ein Fachthema durchforstete, empfand ich es regelrecht als Spam. Merke: In Klondike ist eben wirklich alles möglich. Wer künftig ein gutes Buch sucht, sollte sich vielleicht zuerst ein gutes Goldgräbersieb zulegen?

Schlimm ist es, wie die Lumpen und Professoren, Unternehmer und arme Schlucker, Künstler und Geldgeile in Scharen nach Alaska wandern. Sind sie erst einmal eine Weile da, kann man sie nämlich kaum noch unterscheiden. Abgerissen sehen sie alle aus, die gemeinsame Gier treibt an, und wer gewinnt, schlägt über die Stränge. Es wird gesoffen und geschürft. Und manchmal schürft man eben auf Nachbars Grund - und wenn dessen Erde lockerer ist...

Es schlottern gar sehr die Verlage. Oder schlottern sie noch nicht genug? Hält irgendwer Gundel Gaukeley immer noch für eine bezaubernde Fee? Steffen Meier vom Fachverlag Ulmer warnt: In Zukunft könnten die eigenen Dienstleister die Verlage ausbooten! Es geht um das Problem Kompetenz und Reichweite. Wer sich in Sachen technologischem Know-How nicht weiterentwickelt und das fleißig outsourct, könnte eines Tages seine Autoren nicht mehr halten können. Denn warum sollten die nicht zu den Dienstleistern überlaufen, die sich längst Kompetenzen von Verlagen aneignen? Auf Entenhauserisch gesagt: Du reist mit Dagobert am Klondike an. Der alte Knauser hat dir nur eine halbverfaulte Gartenharke gegönnt. Plötzlich kommt Klaas Klever, lacht höhnisch und reicht dir eine vollautomatische Felsbeißerwumme. Welchem von den beiden verkaufst du dein Leben?

Die Verlage müssen tüchtig auf ihre Claims aufpassen! Der Riese Amazon ist bereits als Verleger tätig und macht jetzt sogar schon eigene Übersetzungen - besetzt also auch das Lizenzgeschäft. Man könnte munkeln, dass mit seinem speziellen Auswahlverfahren durch Popularitätsmessungen vielleicht sogar das Geschäft der Agenten eines ist, das sich wandeln muss. Nun zieht die Amazon-Tochter Audible bei Hörbüchern nach: mit einer Art Listen-on-Demand. Hörbücher frei Haus, mit flexiblen Honorarstrukturen je nach Leistungskatalog. Noch nie war Buchverlegen so lustig. Ein Nugget hier, ein Nugget da - wer braucht eigentlich noch Verlage?

Und wo bleiben die? Der Direktor der Leipziger Unibibliothek beklagt offen, Bibliotheken würden immer mehr in die Rolle von Verlagen gedrängt. Hoppla? Im englischsprachigen Raum gehen den Verlagen immer mehr gute Autoren durch die Lappen, weil sie selbst nicht dort aufmerksam hinlesen, wo die modernen Geschichten erzählt werden: in Blogs. Auf der anderen Seite wird bei amazon.com wirklich jedes Blog zu E-Books verwurstet. Tante Ernas Fußpilz, die schreckliche Beerdigung von Onkel Ferdinand, ein Wurstsalat, der aussieht, wie schon einmal gegessen, und viele süße Miezefotos - alles in Buchform geadelt.

Vielleicht nicht ganz so schlimm wie die neuen Instant-E-Books, die sich einige Verlage auf die Fahne geschrieben haben, weil sie glauben, mit dem schnellen Penny schneller von Klondike in die Heimat zu kommen. Eigentlich ist die Idee verführerisch: Mit dem elektronisch betriebenen Presslufthammer ist man einfach schneller auf dem Fels, in einer Zeit, in der alle ganz viel Fels sehen wollen. Aber warum, verdammt noch mal, schürft der alte Heini nebenan, der alles mit der Hand macht, viel mehr Gold? Egal, Fast-Food-Bücher sollen jetzt verstärkt auf den Markt kommen, von fleißigen Content-Bienchen in die Tasten gehauen, auf den Markt geschmissen wie Twittertrends. Höre ich Rülpsen im Saloon?

Tatsache ist: Autoren - also diese fleißigen Typen mit dem Spaten oder der Gartenharke in der Hand, werden gebraucht wie nie zuvor. Nur sind die Tendenzen, tüchtig an diesen ohnehin billigen Arbeitskräften zu sparen, eher stärker - es rücken ja lange Schlangen nach. Texte hauen sich mit Content, Schlagwortschreibe drischt auf Literatur: Wird nur der Stärkere überleben? Wo wird künftig der Platz für die Inhalte sein, die nicht in Dollarzeichen zu messen sind? Donald adé?

Und wie, bitteschön, sollen wir künftig Donalds leckere Pfannkuchen überhaupt ausfindig machen, wenn wir sie kaum noch irgendwo frisch auf dem Büchertisch schnuppern können? Im Müll von Copy&Paste, Fastfoodbüchern und Tante Ernas Fußpilz-Ratgeber fehlt schlichtweg eines: das Fähnlein Fieselschweif! Ohne die schlauen Pfadfinder - die unerschrockenen, neugierigen und hochinteressierten Entchen - ist im Dschungel wie auf dem Meer kein Durchkommen. Wenn Menschenfresser, Panzerknacker oder üble Piraten auftauchen, hilft der härteste Dollar nicht mehr - da brauchte es die Kompetenzen von Tick, Trick und Track. Onkel Dagobert wusste noch, Millionen zu scheffeln: Er hat eigentlich immer nur so getan, als ginge es ihm vorrangig ums Gold.

In Wirklichkeit machte ihn nichts glücklicher, als sich zum Pfannkuchenessen einzuladen. Er hat nie den ganz bösen "Uncle Scrooge" durchhalten können, sondern sehr darauf geachtet, dass ihm Donald treu bleibt und die Familie vereint gegen die bösen Räuber antritt. Wie er das geschafft hat, lässt sich in jedem Lustigen Taschenbuch von Entenhausen nachlesen.

*Wildes Whiskey-Disney-Gedudel*

Die Autorin ist nach Diktat verreist, um sich ein Schlittenhundegespann zusammenzustellen. Geplanter Bestseller: "Der Donald Faktor. Wie Sie als Ente irre schnell und wahnsinnig lustig mit Büchern Phantastillionen verdienen und gnadenlos alle anderen Enten verbraten."


*Lauter langer Disney-Rülpser*

15. Mai 2011

Rosige Laune

Wer bei Sonnenschein in einem blühenden, duftenden Rosengarten sitzt, kommt sich vor wie im Paradies. Woher kommt das eigentlich? In meiner Kulturgeschichte der Rose unter dem Titel "Das Buch der Rose"* gehe ich noch weit hinter die Paradiesvorstellungen der Welt - bis zu den Anfängen der Pflanze. An einer Stelle lande ich im alten Sumer, in dem es das Konzept von "edin" gab. Akkader und Babylonier nannten es "edinu". Gemeint war damit die "gezähmte Ebene in ihrem Gegensatz zur ungezähmten, die Oase inmitten der Wüste", der Urgarten als Kulturschaffen einer Zivilisation. Ein Ideal, das sich in vielen Paradiesbeschreibungen erhalten hat und uns als "Garten Eden" bekannt ist.

Wer die Wüste grün machen konnte, garantierte damals Überleben auf engem Raum. Eine Wüstenstadt wie Uruk zählte vor 5000 Jahren bereits 50.000 Einwohner. Nicht umsonst waren in diesen alten Kulturen Gärtner Könige und Könige Gärtner. Kriege wurden um die Kontrolle der Bewässerungssysteme geführt. Bei den Raubzügen hatten es die Könige im mesopotamischen Raum immer auch auf neue und unbekannte Pflanzen abgesehen. Die Königin dieser ersten mythischen Gärten war die Rose. Ihre Herkunft merkt man der Pflanze heute noch an: Sie blüht in diesen heißen und viel zu trockenen Tagen üppig auf - vorausgesetzt, das Bewässerungssystem stimmt. Duft und Textur lassen sich zwar über das Internet nicht teilen, aber vielleicht ist die Schönheit der Rosen ein wenig zu erahnen - mit ein paar Fotos (zum Vergrößern anklicken) aus meinem Garten.

Die Deutschen nennen sie "Edenrose", im Ursprungsland Frankreich heißt sie nach dem berühmten (Rosen)Dichter "Pierre de Ronsard". Je nach Feuchtigkeit und Wärme ist ihr Weiß grünlich bis rosa.

Direkt aus Persien soll die Damaszenerrose "Rose de Resht" stammen, die hier unter einer "Lavender Dream" wächst.

Sie verträgt auch Inselklima: Die englische "Tradescant" von Austin, die aufgeblüht fast schwarz wird.

Zart und intensiv duftend wie alle historischen Rosen: "Louise Odier" aus dem 19. Jahrhundert

Die erste Ernte. Wenn man Rosen nicht spritzt, lassen sich die Petalen von historischen Duftrosen und Damaszenersorten hervorragend in Küche und Kosmetik verwenden. Dafür ist die Trockenheit ideal!


* Wer sich wundert, warum "Das Buch der Rose" so schnell vom Markt verschwunden ist: Es wurde leider durch einen Verlagsverkauf Opfer einer Liquidationsfirma. Leser werden dadurch zahlreiche Billigexemplare im Antiquariat finden und das ist auch der Grund, warum sich für mich eine Neuauflage nicht lohnt. Weil mir selbst das Buch aber sehr am Herzen liegt, werde ich vielleicht im nächsten Jahr überlegen, ob ich es nicht völlig umgestalten kann - vor allem in der Bebilderung. Nur dann hätte ich eine Chance, als Autorin überhaupt gegen die nun "vermüllten" Exemplare meines eigenen (!) Buchs anzukommen - an denen ich derzeit nur Schaden, aber keinen Verdienst habe. Auch das kann leider passieren - Bücher als Abwicklungsware in einer Liquidation...

14. Mai 2011

Neuerungen

Ich habe inzwischen auf wichtige Buchmenschen gehört und mein kleines "Social Media Imperium" aufgebaut. Imperium deshalb, weil man einen ganzen Hofstaat gebrauchen könnte, der einem all das pflegt und up-to-date hält. Damit das auch wirklich alles vernetzt, verschraubt und verschnorchelt ist, gibt es hier im Blog unter dem Twitterstream den Stream meiner Fanpage auf Facebook. Der gibt natürlich nur meine letzten Einträge wieder, nicht das Gekrabbel drumherum.

Durch das Drücken des "Like" wird man ganz einfach Fan und durch das Klicken meines Namens kommt man direkt auf die Fanpage. Das ist sozusagen die absolut öffentliche Seite für alle und jeden - also auch für die Menschen, die ich nicht persönlich kenne. Man kann auch deren furchtbar einfache URL eingeben:
http://www.facebook.com/cronenburg

Klingt vielleicht ein wenig verwirrend, aber ich habe dort auch ein "persönliches Profil":
http://www.facebook.com/petra.van.cronenburgDas sind die Seiten, mit denen man Freunde basteln kann und ein paar Zusatzfunktionen hat. Die nutze ich hauptsächlich zu beruflichem Austausch, weniger zum Herumklönen, wie das manche tun. Ich nehme auch nicht jeden zum Freund*. Man muss mir schon mindestens einen knackigen, sehr überzeugenden Grund bei der Anfrage mitliefern, warum ich das tun sollte.

* Ich hasse dieses Facebook Pseudowort "Freund". Freunde sind für mich Menschen, auf die ich mich im echten Leben verlassen kann und sie auf mich. Wer wirklich Freund ist, erweist sich auch dort oft nur in harten Zeiten. Was bei Facebook abgeht, ist für mich "Bekanntschaft auf unterschiedlichen Realitätsebenen". Und ich finde das ganz ganz pervers, wenn ich mit einer echten Freundin bei FB chatte, anstatt sie gleich anzurufen! Ok, ok, es ist billiger ;-)

Trockene Impressionen

Während es anderswo immer wieder einmal regnet, liegt das Elsass in einer von Wolken besonders verschonten Ecke. Selbst wenn der Himmel einige Male grau wird, reicht das zaghafte Getröpfle, das eben keine halbe Stunde anhielt, lange nicht mehr aus. Der lehmige Boden ist betonhart; wo er gepflügt wurde, zerbröckelt er wie Konglomerat. Die Waldbrandgefahr ist extrem. Wir bräuchten mindestens eine Woche Dauerregen, aber die ist lange nicht in Sicht. Meterologen sprechen davon, dass die Dürre in Nordeuropa noch Wochen, wenn nicht sogar Monate anhalten kann.
Saftig grün scheint es. Neu ist das fremde Blaugrün eines hochgezüchteten Superweizens

Für unbekümmerte Laien sieht alles prächtig grün aus. Dass die Vegetation der im Juli ähnelt, finden viele schick. Wer genau hinschaut, sieht, dass die Kirschen sich zwar schon röten, aber kein Fleisch ansetzen konnten. Braunrote Schrumpelhaut zieht sich direkt über den Kern. Der Weizen vertrocknet von unten her - und die Spelzen sind hohl ... Ein paar Impressionen vom heutigen Ausflug. (Zum Trost gibt's morgen dann Fotos einer herrlichen Wüstenpflanze!) Fotos zum Vergrößern anklicken, am besten in neuem Tab öffnen.

Der Weizen sieht nur von weitem und von oben saftig aus.
Mühsam kämpfen sich die Halme durch den betonharten Boden.

Die Wiesen vertrocknen, kaum etwas außer Gräsern blüht noch.

Überlebenskünstler keimen in schattigen Spalten.

Bleibendes: Maschinen

Abgefallene Blätter verbrennen sofort von der trockenen Hitze


13. Mai 2011

Test und sorry

Leider konnte ich es bisher nur via Twitter und FB mitteilen: Blogger hatte es vor zwei Tagen komplett zerschossen, zwei Tage lang war kein Herankommen an irgendeine Funktion. Beiträge seitdem sind (noch) verschwunden, weil die Mitarbeiter von Google eine ältere Version aufgespielt haben, um überhaupt zur Stabilität zu kommen. Was genau passiert ist, erfährt man nicht. Kurios, dass es sogar Profilen neue Identitäten verpasst hat, wie bei mir (ich hoffe, ich heiße jetzt wieder PvC!) Noch stottert das System, geht aber vielleicht wieder...

Falls es wieder Schwierigkeiten gibt, erfährt man das am aktuellsten hier bei Google in den USA. Es gibt zwar auch eine deutschsprachige Statusseite, die hinkt der amerikanischen aber hinterher und ist auch nicht so komplett. Dass es beide seit heute (!) gibt, ist dem Unmut vieler User zu verdanken, die sich über die zunächst schleppende Informationspolitik beschwerten. Ich hoffe, spätestens nächste Woche wieder bloggen zu können und bedanke mich für die Geduld meiner LeserInnen!

12. Mai 2011

Test

Blogger hat heute bereits den ganzen Tag massive technische Probleme, zeitweise funktionierte weder die Bedienung durch die Admins noch das Kommentieren. Sogar im Profil haben sie mich mal ganz schnell umbenannt, das musste ich mit der Hand korrigieren.
Wenn dieser Beitrag durchkommt, funktioniert es scheinbar wieder.

11. Mai 2011

Der Tag danach

... ist ein elend arbeitsreicher. Die Daten für den Nijinsky werden für die Druckerei aufbereitet. Das heißt nicht einfach bequemes Klicken auf "pdf herstellen" (das Programm will konfiguriert sein) - sondern zuerst einmal Studieren all der Programmeinstellungen und Eventualitäten, die genau diese Druckerei haben will (andere wollen manchmal anderes). Bei der Gelegenheit sind dann noch ein paar Fehler aufgetaucht, die zig Augen vorher übersehen haben. Und ein Disclaimer zur Transliteration russischer Eigennamen wollte auf die Schnelle erfunden werden.

Ich schraube also fleißig herum, dass auch ja alles eingebettet ist, die dpi-Zahlen stimmen, das Buchformat richtig eingestellt ist und und und... Morgen kommt der ultimative Klick und dann ist "nur" noch der Herstellungsauftrag auszufüllen. Da geht's richtig zur Sache: Titel, technische Daten und vor allem die Werbetexte fürs Sortiment müssen mit rein. Wer sich je über Vertipper in Amazon-Präsentationen geärgert hat, weiß, wie sorgfältig man auch das ausfüllen sollte.

Spätestens am Montag soll der ganze Sabbel in der Herstellung liegen. Je nach deren Arbeitsauslastung ist das Buch dann vier bis sechs Wochen später käuflich zu erwerben. Ich bin grauenhaft aufgeregt, so sehr wie nie im Leben mit einem Buch.
Zur Belohnung fürs mathematische Denken schreibe ich im Nijinsky-Blog noch einen Beitrag über multimediales Schreiben. Vom Hörbuch zum Buch - geht das? Demnächst zu lesen...

Was Facebook betrifft, lerne ich natürlich schnell und finde auch endlich die Leute, die ich finden wollte.
Lernstoff 1: Das geht wirklich nur mit äußerstem Selbstmanagement und Disziplin.
Lernstoff 2: Es kann witzig sein, wenn sich zwei Freundinnen, die wegen der Arbeit keine Zeit zum Kaffeetrinken haben, sich plötzlich im Chat begegnen.
Lernstoff 3: Die Technik bietet grauenhaft gute Möglichkeiten, wenn man sie zu nutzen weiß. Mit äußerst interessanten Menschen aus der gesamten Buchbranche kann ich "Das Prinzip Buch" und seine Zukunft diskutieren - einfach aufregend.
Lernstoff 4: Es ist wie damals, als ich exzessiv Leisure Larry spielte. In den ersten beiden Tagen kommt man zu spät zum Essen, verdaddelt die Zeit, kriegt nichts geschafft und hat danach einen Datenkater. Am dritten Tag ist es immer noch zu viel und faszinierend, fühlt sich aber an wie ein schon mal gespieltes Spiel. Irgendwann benutzt man es diszipliniert und gezielt und ist sich bewusst, auch Leisure Larry wird eines Tages ein absolut lachhaftes, altmodisches Spiel sein.

10. Mai 2011

Das große Menschenspiel

Gestern bin ich ins kalte Wasser gesprungen: Ich habe mich bei Facebook angemeldet. Ich mag Facebook nicht. Ich finde die Plattform potthässlich. Ich mag noch weniger den Umgang mit Daten dort. Ich mag ihn so wenig, dass ich vor zwei Jahren schon einmal voller Überzeugung bei Facebook ausgetreten bin. Und jetzt habe ich mich von ein paar Bücherfrauen überreden lassen, dass mir eine Menge wunderbarer Möglichkeiten entgingen: Leichteres Kontakten innerhalb der Branche, leichteres Kontakten weltweit zu Leuten, die man zwecks Recherchen ausquetschen könnte, Finden von Zielpublikum für meine Bücher und jede Menge ausführlicher Infos (z.B. über das BuchCamp), die sich inzwischen aus Blogs und von Websites hin zu Facebook verlagern würden. Twitter und Facebook würden sich dabei perfekt ergänzen.

Warum ich mich habe plattquatschen lassen? Mich reizt es tatsächlich, weltweit bei Leuten anklopfen zu können. Vielleicht antwortet der weltweit größte Spezialist für Krummbohnen auf dem Mond, den ich für ein Bohnenbuch brauche, bei Facebook viel lockerer als früher per Institutsmail? Vielleicht treffe ich zufällig auf einen Ballettomanen in Papua-Neuguinea, der mir auf einen Schlag zehn Nijinsky-Bücher abkauft? Vielleicht werde ich mit meiner nächsten Lektorin besonders schnell warm, weil ich weiß, was sie unter der Bettdecke liest? Vielleicht klopft ein berühmter Schriftsteller aus den USA bei mir an: Hallo, lass uns über Literatur reden? Oder gar ein Mäzen? Spaß beiseite: Genau damit lockt eine Plattform, auf der sich weltweit Millionen tummeln. Alles scheint möglich. Aber in Wirklichkeit hängen da auch nur die gleichen Leute ab, die im echten Leben auf dieser Welt herumhängen - nur sind jetzt auch all die sichtbar, die man gar nicht kennenlernen möchte. Denen man womöglich ums Verrecken nicht begegnen wollte.

Ich habe zuerst zwei Stunden intensiv herumgeschraubt. Es wird einem unendlich gemütlich gemacht, das fleissige Datensammeln zuzulassen, das Unternehmen so viel Geld wert ist. Wer es nicht zulassen möchte, muss schon ziemlich suchen und nachdenken, wo er Häkchen wegnimmt und Voreinstellungen ändert. Diese Arbeit sollte die erste sein und mir hat Annette Schwindts Facebook-Ratgeber (Kurzfassung als pdf zum Download) geholfen, weil ihn auch Dummies wie ich verstehen. Man sollte sich eine gute Strategie zurechtlegen, bevor man loslegt: Was will ich dort eigentlich? Will ich echte, wirkliche Freunde aus dem echten Leben bespaßen und die Schwiegermutter ablegen? Will ich Geschäftskontakte? Will ich ein privater oder ein professioneller Mensch sein? Was lasse ich in die Öffentlichkeit und was nicht? Da wird theoretisch alles abgefragt bis zur religiösen und politischen Gesinnung - und es ist erstaunlich, wie freudig viele Menschen solche Funktionen nicht deaktivieren.

Dann war ich drin, im großen Menschenspiel. Es hat tatsächlich etwas von einem gigantischen Computerspiel und es hat ähnliche Wahrnehmungsveränderungen zur Folge. In meinem Kopf bilden sich neue virtuelle Räume, die sich landkartenartig mit meinen bisherigen Internetaktivitäten verbinden. Habe ich mich bisher auf einer relativ flachen, eindimensionalen Ebene bewegt, so fügt sich plötzlich ein Level an den anderen, ohne dass ich noch Grenzen erkennen kann. Mitspieler ballern mit Nachrichten oder Benachrichtigungen auf mich, es hagelt plötzlich Freundesanfragen, bevor ich auch nur für mich geklärt habe, wie ich künftig wirklich wahre Freunde von sogenannten Freunden unterscheiden soll, wenn beide mit dem gleichen Wort bezeichnet werden.

Eine geheimnisvolle Maschine kreuzt und klont Kommunikationspartikel, "gefällt mir"-Buttons kopulieren miteinander, jemand "liked" meinen "Status", was auch immer er damit meinen mag. Was ich jemandem privat antworte, erscheint genauso auf dem Bildschirm wie öffentliche Pinnwand-Bekenntnisse, die ich auch auf halbprivat stellen könnte. Was meine "Freunde" bei sich schreiben, tippen sie zeitgleich virtuell auch bei mir, was ich zu jemandem auf meiner Pinnwand sage, multipliziert sich in Affengeschwindigkeit auf mehr Pinnwände, als ich mir das vorstellen kann. Die Wirklichkeitsmembrane, die einst zwischen Büttenbriefen, Emails oder der Twitter-Timeline noch fühlbar schienen, lösen sich auf. Es ist die totale Kommunikationsosmose. Alles tropft irgendwohin, diffundiert, wabert durch etwas, das die Alten vielleicht Weltäther genannt hätten, wird geklickt, gelesen, überlesen, "geliked" und genauso schnell wieder vergessen.

Wer in dieser Kommunikationshölle aus dem Fegefeuer der Unbekanntheit aufsteigen will, muss präsent sein. Denn für jeden, der hier das Foto seines Blumenbeets zeigt, einen Kommentar zu einer Konferenz gibt, ein Buch empfiehlt, einen schlechten Witz reißt, wachsen Hunderttausende nach, die den lieben langen Tag auch nichts anderes tun. Auf den ersten Blick scheint Facebook eine gigantische Quasselbude zu sein. Auf den zweiten Blick unterscheidet sich das Gequassle nicht von dem beim Dorfbäcker, am Stammtisch oder auf dem Fußballplatz. Intelligente Leute sagen dumme Sachen und dumme Leute landen Zufallstreffer. Aber will ich das alles wirklich auch hören? Was will ich hören und wo finde ich es? Und wie entwickle ich je eine ausgewogene eigene Meinung, gar eine Persönlichkeit, wenn ich alles ent-höre, was ich nicht hören mag?

Facebook ist eine gigantische Spielmaschine. Um ein Profil zu erstellen, brauche ich keinerlei Bildung und nicht einmal viel Sprache. Alles ist so schön intuitiv, klickt sich bequem, bis das System selbst mit einem spricht und vorschlägt, was man zu tun hat oder tunlichst nicht tut, weil man sich sonst so vieler Möglichkeiten beraubt und die Datensammler der Daten. Ist man drin, bewegt man sich unter Mitspielern, wechselt die Level und die Welten, klickt sich von Großmutters Geburtstagskuchenrezept aus Honolulu zum Terroranschlag im Hindukusch. Ein böser Nazi wirft Werbung ein - soll man schießen und wenn ja, wie? Neuer Level für alle, die einen bestimmten Kaffee trinken, einen bestimmten Wurm weitergeben oder öffentlich in der Nase bohren. Wer wissen will, was persönliche Freizügigkeit ist, der betrachte die schaurigen Partyfotos  vom Chef, vom Zukünftigen der eigenen Tochter, von den Arbeitskollegen, von der Bürgermeisterin.

Markiere Fotos mit deinen Freunden, verrate, was du im Fernsehen schaust, logge dich nicht aus, kassiere nicht 4000 Euro, like it, like it even if there is nothing, gehe nicht über los, update, nimm diesen Freund, verwirf diese Freundin, logge nicht aus, du hast zehn neue Benachrichtigungen, jemand hat deinen Nasenpopel geliked, du hast diesen Freund noch gar nicht geliked, drei finstere Gestalten wollen deine Freunde werden, Level 2, du hast eine magische Werbeanzeige im Sack, lade ein Foto hoch, teile ein Video, du hast drei neue Likes und vier Nachrichten, Level drei, befreunde dich mit Justin Bieber, du hast acht magische Werbeanzeigen im Sack, Gundula Haferstroh hat zwanzig Freunde mit dir gemeinsam, Level vier, du ignorierst Gundula Haferstroh weiterhin, aber logge nicht aus, logge niemals aus. Sonst dreht sich dieser Spielekosmos ohne dich. Sonst bist du out. Keine Nachrichten mehr. Facebook ist eine riesige Verführungsmaschine.

Unser kindlicher Spieltrieb kommt voll auf seine Kosten. Ich verrate dir, welchen Schriftsteller ich liebe und schon erscheint sein Konterfei in meinem Profil, wie von Zauberhand eingefügt. Jetzt könnte ich sogar "Freundin" meines Idols werden. Der Typ würde mich im Leben nie anschauen, nicht einmal bei einem Plastikbecher des miesen Kaffees aus der magischen "Sozialwerbung". Jetzt könnte ich ihn dazu zwingen. Zumindest meine Anfrage würde ihm vor Augen geballert werden. Angriff, Attacke!!!

Zeig mir deine Freunde und ich sage dir, wer du bist. Zeigst du mir genügend wirklich echte Freunde, sage ich dir sogar, wo du wohnst, auch wenn du die Ortsangabe deaktiviert hast. Ich könnte dem Dorfstalker nachstalken - wer hat den längeren Atem? Was ist das für ein Mensch, der Gustav Mahler hört und Bücher liest - lieber mal seine Partyfotos begutachten. Zu was für einem Menschen mache ich mich, wenn ich Gogol Bordello und Schostakowitsch höre, wenn meine Interessen keine automatischen Bildchen bekommen, weil Thomas Mann bei Facebook nicht vorkommt?

Ach was, von wegen Mensch. Mit meinem Profilbild ziehe ich mir ein Kostüm über, werde zur Theaterfigur. Ich bin nicht mehr, ich stelle dar. Wenn ich je so etwas wie Charisma hatte, dann wird es jetzt in Profilsparten eingeordnet und in Zeichen und Zeilen gezähmt. "Dieser Eintrag ist nicht zulässig, antworte in einem Wort". Du sprichst Deutsch? Dafür bekommst du kein Sprachbildchen. Sei nett, sonst bekommst du keine Freunde. Teile das Foto deines Erdbeerkuchens mit deinen Freunden. Nur ein Freund hat geliked, was du nach Feierabend gehört hast. Deine Interessen bekommen keine Bildchen, entscheide dich für Interessen, die alle teilen können. Werde kompatibel. Lass dich markieren, transportieren: Entgrenze dich.

Und schon sitze ich fest in der Falle. In einem Kosmos, in dem Informationen und Kommunikation ständig diffundieren und sich virtuelle Räume krümmen, verliere ich meine Konturen. Ich verschiebe mich zu einem ein-seitigen Menschen, der Filme schaut, Fernsehen konsumiert, Bücher liest, aber keine Kunstwerke empfehlen darf. Ich kann Firmen sammeln, aber keine Querdenker. Ich kann meine Verwandtschaft verstecken, aber ich kann mich nicht vor der Verwandtschaft verstecken. Ich löse mich auf in einem gigantischen Wir, das so riesig ist, dass mich der Hunger nach dem All-Wir nie verlässt. Immer mehr Menschen sammeln, immer größere Wir-Nester bauen, schließlich einen eigenen Wir-Kosmos mit Wir-Listen bestücken. 24 Stunden täglich, sieben Tage die Woche Dauerkommunikation. Gleichgesinnte. Geborgenheit. Welche Religion kann heute noch so viel Facebook-Feeling vermitteln?

Facebook ist spannend. Irgendwann spuckt es den total entgrenzten Menschen aus. Nur Fossile haben hartschalige Grenzen. Schließlich ist auch die Membran um die Ich-Wahrnehmung von Asiaten dünner. Wahrnehmungen zwischen Ich und Wir sind nicht zuletzt kulturell bedingt und anerzogen. Wahrnehmungen unterschiedlicher Kommunikationsräume und Erzähl-Level sind erlernbar, trainierbar. Aber wie viel Entgrenzung darf sein, bevor ich mein Ich verliere, bevor auch ich herumwabere, diffundiere?

Längst habe ich damit begonnen, indem ich mich aus Datenvorsicht aufspalte: da ist die Frau im echten Leben - da ist die Figur bei Facebook. Meine Alter Egos kommunizieren miteinander, vernetzen sich. Die Blogfrau twittert, die Facebook-Frau zieht Unkraut im Garten. Da ist die Figur in meinem Buch. Ist eine Romanfigur weniger echt als ein Facebook-Profil? Was, wenn ich sie bei Facebook anmelde? Bin ich in den Social Media wirklich lebendiger und interessanter als der Fiesling in einem Roman? Was, wenn Literatur auch nur noch ein Level wäre, wenn sich Geschichten überall überschnitten und keiner mehr linear ein Leben wahrnehmen kann? Kreise, Netze, Spinnweben. Irgendwo klafft durch eine unbedachte Bewegung ein Loch. Irgendein Raum krümmt sich und will in einer anderen Welt erzählt werden. Sie zappen sich durch deine Texte und manchmal wird der dümmste Gedanke daraus geliked.

Wer Bücher schreibt, wer sich für Menschen und alles Menschliche interessiert, sollte sich Facebook einverleiben. Wer Gegenwartsliteratur schreibt und sich nicht damit beschäftigt, wie Social Media das Denken und die Wahrnehmung der Menschen verändern, wird eines Tages allenfalls noch historische Romane schreiben können. Wer weiß, was er will, und keine Angst hat, sich selbst zu verlieren, sollte Facebook ausprobieren. Schlimmstenfalls verliert er sich doch und endet nicht übler als manche seiner Mitmenschen: Nasepopelnd auf einem schrecklichen Partybild, markiert für alle Zeiten und Internetarchive. Er könnte auch jemandem begegnen, der mitten im Kosmos der "Likes" und "Freunde" Facebook absolut nicht mag. Und nur mitmacht, weil das Web 3.0 auf sich warten lässt.

PS: Ob Social Media tatsächlich beruflich etwas bringen oder gar mehr Bücher verkaufen helfen als freundliche Buchhändler, werde ich natürlich härtetesten! Aber um da wirklich etwas zu bewegen oder aktiv Ideen zu entwickeln, bin ich noch zu neu dort. Im Moment reicht es nur zum Philosophieren...

Nachtrag: Würde ich ein Essay schreiben, gäbe es einen anderen höchst interessanten Punkt, der zu untersuchen wäre: Netzwerke wie Facebook sind die perfekte Kapitalisierung menschlicher Beziehungen und Kommunikation.

9. Mai 2011

Ich hab's getan

Auf Anraten äußerst wichtiger Persönlichkeiten der Nasen-in-Büchern-Welt habe ich mich vorhin (wieder) bei Facebook angemeldet. Bin dort unter meinem echten Namen zu finden und im Moment durch den Informations-Overload noch zu doof, einen Direktlink zu konstruieren. Ich lerne das alles noch!

8. Mai 2011

Gemütlich, aber unübersichtlich

Der Titel könnte Programm werden, denn er beschreibt, wohin der Buchmarkt rasant steuert. Neben der Ware, die Masse bringt und große Probleme hat (Preisdruck, extreme Rabattierungen, E-Book-Probleme, Piraterie, Werteverfall, sinkende Auflagen etc.), kommt immer mehr die Nische. Den darauffolgenden Effekt kennt man von mittelalterlich verschachtelten Städten: Mit ihren vielen kleinen Ecken und Plätzen sind sie höchst faszinierend, man kann sich darin aber auch sehr schnell verlaufen. Der Buchmarkt wird also chaotischer, die entsprechenden Guides fehlen noch - und die alten Empfehlungsinstanzen (Feuilleton, Printpresse) kümmern sich zu wenig um Neuerungen oder verlieren selbst zu viel Leser.

Klaus G. Saur wurde mit seinem gleichnamigen Verlag Millionär, heute gilt er als einer der meistgeehrten Verleger der Welt. In einem Interview im Buchmarkt zu seinem Buch "Traumberuf Verleger" spricht er aus, was auch im bereits angesprochenen Buchreport-Sonderheft "Herstellung und Marketing" als Resumée immer wieder aufblitzt:
"...dass die Zukunft nicht in den Großauflagen, sondern in den Klein-, Kleinst- und Einzelauflagen liegt."
Wie man damit kostendeckend arbeiten soll, erklärt er mit immer billigeren Print-on-Demand-Techniken, mit neuen Vertriebswegen und vor allem mit Qualität:
"Einer meiner Ratschläge für die Zukunft ist deshalb: Man muss Bücher in der absolut höchsten Qualität herausbringen und zwar Qualität im Inhalt, auch im Lektorat und in der Herstellung. Nur wenn wir eine hohe Qualität anbieten, können wir wirklich noch verkaufen."
 Das Interview sollten nicht nur Verleger lesen - es geht auch alle anderen an, die in Zukunft erfolgreich Bücher verkaufen wollen.

Ein anderes aufschlussreiches Interview gibt es im Buchreport - die als "Klappentexterin" bekannt gewordene Rezensionsbloggerin und Buchhändlerin Simone Finkenwirth sagt Kluges über die Bedeutung von Buch- und Literaturblogs in einer Zeit, in der das Feuilleton seinen Aufgaben irgendwie nicht mehr gerecht wird. Ihr Blog "Klappentexterin" (in meiner Blogroll) will ich bei der Gelegenheit noch einmal sehr heiß empfehlen - es ist mit Leidenschaft und Begeisterung geschrieben und bringt wunderbare Perlen jenseits des Mainstreams.

Während des BuchCamps in Frankfurt wurde jetzt außerdem der Virenschleuder-Preis verliehen. Man konnte sich hier mit Aktionen viralen Marketings in Sachen Bücher in den Social Media bewerben und ich empfehle, sich diese ganze Liste einmal genau anzuschauen. Man kann daraus nämlich jede Menge guter Ideen ziehen, Anregungen bekommen oder sehen, was zwar klingt, aber nicht viel bringt.
Fast schade, dass manche"Neue" durch das Abstimmungssystem nicht ganz die Chancen hatten, die ihnen zu wünschen gewesen wären. Aber auch hier ging es natürlich um viralen Erfolg, also Connections und Fans, die fleißig bei Facebook "liken" - nicht empfehlenswert ist das für Leute, die gerade erst mit einer Aktion beginnen, wenig Zahlen nennen können oder Facebook nicht mögen.

Der Virenschleuderpreis in der Kategorie Verlage ging an die Aktion "Mach dieses Buch fertig" des Antje Kunstmann Verlags. In der Kategorie Buchhandlungen siegte audible mit der Idee, ein Mitarbeiterhörspiel als Adventskalender zu produzieren. In der offenen Kategorie (Dienstleister, Autoren, Lektoren etc.) ging der Preis an die Dienstleisterin Marion Schwehr von euryclia für die Begleitung des Buchs "Universalcode. Journalismus im digitalen Zeitalter".

7. Mai 2011

Das Mini-Imperium

Scheusslich neidisch bin ich auf all die spannenden Menschen aus der Buchbranche, die gerade gemeinsam in Frankfurt beim BuchCamp über Visionen in Sachen Buch nachdenken - was man heute und morgen live bei Twitter verfolgen kann. Während ich sozusagen ans Hundekrankenbett gefesselt bin, nutze ich die Zeit, endlich in Ruhe zu lesen, wofür ich sonst kaum Zeit habe. Mit Hochspannung habe ich gerade ein Special des Buchreport verdrückt: "Herstellung & Management".

Bei der Lektüre ist mir aufgefallen, wie abgeschlagen, unwissend, naiv und vielleicht irgendwann out wir AutorInnen inzwischen sind, was die Kenntnis der Umstürze in der Verlagswelt und im Buchhandel betrifft. Wir drillen uns fleißig selbst darauf, irgendwann in einem althergebrachten Markt Fuß fassen zu können, den es eigentlich schon längst nicht mehr gibt. Und weil viele Verlage in Grundsatzdiskussionen um die Zukunft lieber Unternehmensberatungen als Autoren einzubinden scheinen, bleibt deren Kenntnis von schöpferischen Abläufen und Inhalten in der "Contenterzeugung" immer stärker außen vor. Es wird also "Content" von Menschen definiert, die keinen "Content" schöpfen, aber ihn verkaufen. Es gibt auch kaum eine wirklich seriöse Autoren-Weiterbildung, etwa wie man zum Social Media Crack wird, wie man enhanced ebooks überhaupt schreibt, wie man Crowdfunding so erfolgreich wie Musiker betreibt oder wie man multimedial denken lernt.

Ein wenig überrascht bin ich, wie knallhart und laut maßgebliche Vertreter der Buchbranche aussprechen, was in Autorenforen allenfalls ungläubig und hinter vorgehaltener Hand über die Zukunft geflüstert wird. Massiv sinkende Auflagenzahlen im herkömmlichen Geschäft, Communityfähigkeit von Autoren, Schwerfälligkeit bei der Anpassung an die Herausforderungen der Zukunft in Unternehmen - der Markt fragmentiert sich zusehends. Wenn ich die Zeichen richtig deute, wird sich auch das Aufgabenfeld von Autoren massiv verändern - in die Extreme hinein.

Ich selbst sehe das so: Zu den Auftragsschreibern und Hausautoren werden sich künftig professionelle (!) Trashautoren für schnelldrehende Einmal-Leseware gesellen. Kinder- und Jugendbuchautoren sollten schnellstens spielen lernen - digitales Spielen. Sachbuch- und Ratgeberautoren werden sich immens professionalisieren und digital ähnlich firm sein müssen wie im Print. Wer fürs Bildungsbürgertum erzählt, schreibt für eine schwindende Gruppe, aber immerhin für die Reicheren der Generation 60+. Wohl denen, die wieder zu den Wurzeln des Erzählens an sich zurückfinden, denen das Medium recht egal ist, die gehört wie gesehen, gelesen wie verfilmt auf ihre Leser wirken. Doch aussterben wird trotzdem keine Minderheit dieser Welt - die großen Verlage und Buchhandelsriesen investieren kräftig ins On-Demand-Geschäft. Fast könnte man meinen, sie wollten sich selbst auslöschen und zu reinen Dienstleistern werden. Überhaupt wird es neben der Masse und den Großflächen ein Geschäft der kleinen Geschäfte werden und damit ein Geschäft, das um Sichtbarkeit kämpfen muss. Für Autoren wird die Zukunft zunächst mühevoller, auf alle Fälle arbeitsreicher, aber womöglich auch faszinierender und freier.

Ich musste spontan an eine Spinnerei denken, die ich in den 1990ern mit einem polnischen Freund durchexerzierte, weil damals in der Umbruchsituation in Europas Osten alles möglich schien und alles machbar war. Wir träumten von erzählten Inhalten, die unser kleines Imperium aus Filmschaffenden, Verlegern, Übersetzern, Hörfunkmachern und Werbefachleuten multimedial umsetzen würde - je nach Medium in der adäquaten Form und so, dass sich unterschiedliche Medien miteinander verknüpften und ganz neue Inhalte erzählten. Unser Mini-Imperium hätte Videoclips zu Büchern prodiziert, die es mit den besten Musikclips hätten aufnehmen können - diese "Sehbücher" wären über die riesigen Fassaden des Kaufhaus Centrum oder des Hotels Marriott gelaufen und in einem eigenen Fernsehsender natürlich auch. Geschichtenkonzerte, Geschichtenausstellungen - jede Geschichte hätte das zu ihr perfekt passende Umfeld an Präsentation bekommen.

Dann hätte uns Steven Spielberg entdeckt und vorgeschlagen, multimedial animierte Bücher zu schaffen, die man auf extrakleinen Computern überallhin tragen könnte. Kurz vor Hollywood war aber leider der Wodka leer und Internet funktionierte noch nicht. Als dann auch noch über Nacht per Währungsreform die Million Zloty jede Menge Nullen verlor, blieb das Imperium ungegründet. Wir waren keine Millionäre mehr. Aber träumen darf man ja mal. So träumte es sich Mitte der Neunziger!

Bald 20 Jahre später klappt es mit den Millionen immer noch nicht - im Gegenteil, die kreativen Berufe werden zusehends ausgeblutet und alles ist ordentlich durchorganisiert, selbst im Osten. Mittellosen Einzelverrückten mit außergewöhnlichen Ideen bleibt nur noch das Selbstständigmachen, wofür wiederum die Millionen ... Kurzum: Ich bin realistischer geworden. Zwar bewegt auch heute noch das Geld die Welt, aber ich glaube, je kleiner eine Struktur ist, desto mutiger kann sie Risiken eingehen und absolut flexibel bleiben. Je weniger Menschen man um Erlaubnis fragen muss, je weniger Mitarbeiter von einem abhängig sind, desto größer darf das Risiko sein. Wer nichts mehr zu verlieren hat, kann auch alles aufs Spiel setzen. Eine Stärke, die wir AutorInnen uns bewusst machen sollten!

Und so greife ich zuerst an meine eigene Nase und frage mich, ob ich wirklich alle Chancen nutze, die ich mit relativ geringem Aufwand und ebensolchen Finanzen einrichten könnte. Leider nicht! Auch ich bin durch das Verlagssystem (der Verlags wird's schon richten) viel zu bequem geworden.

Also gehe ich demnächst an die Erichtung des Miniminimini-Imperiums van Cronenburg. Jedes Buch aus der Backlist bekommt seine adäquate Form - bei manchen wird das ein E-Book sein, bei anderen eher Print, bei vielen beides. Dadurch bedingt werden sich Texte durchaus ändern. Neue Ebenen werden hinzu kommen. Warum nicht aktuelles oder flüchtigeres Wissen zu einem Thema als Blog konzipieren, zu dem auch Leser etwas beitragen können - und das wiederum als Kindle-Blog-Ausgabe zum Printbuch kombinieren? Warum nicht bei einem sehr wertigen Sachbuch für Firmen und andere Interessierte Kleinstauflagen in Luxusausführung anbieten, vielleicht sogar in personalisierter Luxusausführung? Bei der heutigen Technik ist das nur noch für den Hersteller Zusatzaufwand - und der freut sich. Nicht zu vergessen all die mäandernden und verschwindenden Themen im Blog, die man gebündelt und fürs neue Medium redigiert durchaus zu Büchern machen könnte. Der integrierte Buchladen muss natürlich ebenfalls her - Bücher wollen nicht nur beworben, sondern auch verkauft werden. Wer bei Thalia nicht reinkommt, macht das doch am besten auch gleich selbst. Und auch das muss einmal laut gesagt werden: Die Einnahmen pro Buch über einen Partnershop liegen sehr viel höher als die Tantiemen, die man fürs Schreiben bekommt.

Auf der Website müsste es die Autorin allerdings auch multimedial und in all ihren virtuellen Daseinsformen erlebbar geben. Die Social Media Kanäle müssen zentral gebündelt werden, die Blog-Communities dazu. Wo bleibt außerdem die Lesestimme oder gar das Video für potentielle Veranstalter? Das scheiterte bisher am Perfektionismus und den damit verbundenen Kosten. Wie viel Trash darf sein? Und wie gut kann eine Low-Budget-Produktion sein?

Verdammt viel Arbeit, so ein Markenaufbau. Aber noch nie war es so einfach wie heute. Sich selbst kann man - bei entsprechenden Kenntnissen oder Helfern - das Miniminimini-Imperium sogar schneller aufbauen, als das jeder Verlag schaffen würde, der die Kapazitäten gar nicht hat. Wir Autoren kennen unsere Leser außerdem am besten! Die Geschäftsfrau in mir fragt sich, ob Autoren hier nicht sogar wirklich geldwerten Mehrwert schaffen könnten?

Warum sollte man solche Leistungen, die eigentlich zu den Kernkompetenzen der Verlage zählen (Pressearbeit & Werbung), in Zukunft umsonst leisten, nur weil man sonst gar keine Buchwerbung bekommt? Dürfte da nicht ein bißchen mehr Stolz bei den Vertragsverhandlungen sein, wenn man Verlagen Twitterkräfte spart, Pressearbeit, Zielpublikumspflege? Mit Kundendaten und der Kenntnis von Kunden werden im Moment anderswo Millionen verdient. Autoren sind sich in den meisten Fällen überhaupt nicht bewusst, welche Reichtümer sie in Händen halten, wenn sie ihr Publikum kennen - warum also die eigenen Communities leichtfertig verschenken? Wer Leser mitbringt, bringt pure Auflage!

Es ist schon vertrackt - für weitere Ideen bräuchte ich Steven Spielberg, die verlorenen Millionen oder ein mutiges Team. Vielleicht sollte ich auch nur mit den richtigen Leuten Wodka trinken?
Naja ... wenn das BuchCamp schon derart inspiriert, wenn man gar nicht dabei ist, dann werde ich es mir für 2012 auf alle Fälle vormerken! Bis dahin weiß ich dann auch, was alles von meinen Plänen nicht funktioniert und warum ...