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30. April 2011

Wenn es in der Birne brennt

Nein, ich weiß mich noch kurz zu fassen, keine Angst! Bei den letzten beiden Beiträgen stand ich vor der Wahl, sie zu splitten. Weil man dann aber im Blog rückwärts anfangen muss mit dem Lesen - der Anfang rutscht ja nach hinten - habe ich mich dafür entschieden, sie ganz zu bringen. Man darf in so ein Blog ja durchaus auch mal mehrere Tage hintereinander hineinlesen oder alte Beiträge neu ausgraben. Die massive Überflutung mit Lesestoff hat natürlich noch einen anderen Sinn: Ich werde hier die nächsten Tage nichts Nennenswertes zustande bringen.

Am Dienstag muss mein Hund operiert werden, was mich bereits jetzt mit Vorpanik erfüllt. Die Tage darauf bin ich natürlich ganz für ihn da und werde das Krankenschwester-Spielen im Haus dazu nutzen, den Auftrag für den Nijinsky-Hersteller fertig zu machen. Da wollen noch diverse Werbetexte für die Buchmeldungen geschrieben sein. Vor zwei Tagen nämlich war das Cover picobello fix und fertig - ein echter Hingucker, aber völlig außergewöhnlich anders. Bis zum Erscheinungstermin handelt es sich dann nur noch um ein paar Wochen.

Außerdem ist mir heute etwas Seltsames passiert, das mich ziemlich aufwühlt und schon den ganzen Tag in eine Art Halbtrance versetzt hat. Ich habe ein ultradickes neues Heft aus der Schublade geholt und notiert wie eine Wahnsinnige. Wer mich kennt, der weiß, dass ich für neue Projekte "Denkhefte" anlege (wäre auch mal einen Artikel wert). Das Problem ist: Ich habe in diesem Blog schon so oft verkündet, dass ich nun ganz genau wüsste, welches Buch ich als nächstes schreiben wollte. Im Lauf der Zeit sind auf diese Art sogar Denkhefte zu Projekten entstanden, die nie das Licht der Welt erblickten. Kollegen schimpften mich schon, ich würde mich wohl lieber im Blog verzetteln, als irgendeines dieser Bücher zu schreiben. Mein Problem: Keins dieser Projekte schrieb sich. Zu jedem gibt es Textversuche, aber dann war plötzlich die Luft raus oder das Ganze hielt meiner Selbstkritik nicht stand.

Ein Projekt bekam erst gar kein Denkheft. Das Thema (ein Roman) widersprach jeder Vernunft, hätte mich irgendwann womöglich tödlich langweilt und wäre auch nicht an den Mann und die Frau zu bringen gewesen. Sagte mein Verstand. Und kürzlich jubelte ich ja wieder, ich wüsste nun ein neues Sachbuchthema, ebenso riskant wie das Buch über Nijinsky...

Leider - oder zum Glück - überfällt es einen immer hinterrücks und heimtückisch. Ich schmökerte ein wenig in Ortheils wunderbarem Buch "Wie Romane entstehen" und stieß auf die wissenschaftliche Beschreibung der Magie, mit der ein Sujet den Autor derart packt, dass er in der Welt seines Projekts nicht nur leben will, sondern durch die Teilnahme an der Geschichte auf einer nicht greifbaren Ebene in einer anderen Form tatsächlich ins Leben kommt. Kurz darauf surfte ich bei Radio Free Europe / Radio Liberty - und entdeckte beiläufig die Meldung von einem Großbrand in irgendeiner Universität in Tadschikistan, bei dem womöglich eine Musiksammlung von unschätzbarem Wert verbrannte. Ich nahm nur die Schlagzeilen wahr und schmökerte noch vieles andere.

Ich kann nicht sagen, was es ist. Aber so entstehen Bücher. Ich sah Feuer vor mir. Verbrennende Akten, Noten. Und plötzlich sah ich schmelzende Wachsrollen. Ich verbrachte den Tag ganz normal, las noch ein paar Häppchen Ortheil und sah ständig schmelzendes Wachs vor mir. Mit dem sicheren Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, wenn ich nicht sofort zu Papier und Stift griff. Bei einem Großbrand schmelzen Phonographenwalzen dahin. Von unschätzbarem Wert - denn keiner kennt sie, keiner wusste von ihnen.

Was dann folgt, ist wie eine Trance - man ist verloren für diese Welt. In meinem Fall diesmal war es besonders schlimm. Denn plötzlich redeten all die angefangenen Projekte und Textfragmente miteinander. Es war, als hätte ich in den letzten Jahren immer das Gleiche umkreist und von verschiedenen Seiten betrachtet, ohne zu wissen, um was es sich handelt. Als hätte ich Texte um einen blinden Fleck herum geschrieben - die genau darum nicht funktionieren konnten. Als die Wachsrollen vor meinem inneren Auge geschmolzen waren, konnte ich den blinden Fleck ganz klar erkennen. Was da passiert, verwirrt mich. Natürlich befürchte ich einen neuen Rohrkrepierer. Auf der anderen Seite wäre es gut möglich, dass man sich selbst durch die Schere im Kopf derart blockiert, dass man sich einem Thema erst von den extremsten Außenrändern her nähern muss. Es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass ich mich selbst erst entwickeln und verändern musste, um meiner Idee gewachsen zu sein. Erst jetzt fühle ich mich außerdem fähig, auch formal zu stricken, was sich in meinem Geist abzeichnet.

Komisch ist dabei, dass es sich genau um das Thema handelt, dem ich gar nicht erst ein Denkheft bescheren wollte. Es handelt sich um das Thema, das ich auffallend mied und unwillkürlich umkreiste - für das mir ständig nur Nein-Argumente eingefallen waren. Alle anderen Denkhefte wären die Fingerübungen dazu.

Es treibt mich um und ich weiß noch nicht genau, was mich umtreibt. Auch dafür will und muss ich mir die nächsten Tage Zeit nehmen. Ich muss mir von einer Figur, die das Feuer nur knapp überlebt hat, erzählen lassen, was auf diesen Phonographenwalzen aufgenommen war. Falls sie mich packen und überzeugen kann, müsste ich endlich einen Roman schreiben, kein Sachbuch. Und zwei Kollegenfreunde würden triumphieren ("hab ich dir's nicht immer gesagt!") und vielleicht, hoffentlich, einsehen, dass man manchmal all das Bloggeschwätz braucht, um sich zu sich selbst zu schreiben.

28. April 2011

Der kurze Weg zum Leser


Der Artikel "Der lange Weg zum Leser" in der Welt inspiriert mich gerade. Dort wird am Beispiel des Bestsellerautors Gunter Dueck beschrieben, wie viel Aufwand es braucht, ein Buch in einen Verlag und zum Leser zu bringen. Weil es bei ihm wie bei mir um Sachbücher geht (Schmankerl: ""Zwölf oder 13 Bücher" hat er schon geschrieben, ... Die meisten sind Managementbücher, ein Vampirroman ist auch dabei."), möchte ich den Versuch wagen, zwei Wege zu vergleichen:
Ein Sachbuch entsteht im Verlag - ein Sachbuch entsteht ohne Verlag

Kursiv werde ich Anreißer aus dem Artikel entnehmen, doch sollte man den Artikel dazu unbedingt lesen, wenn man das Verlagsgeschäft nicht kennt. Und in einem Punkt hinkt das Beispiel leider gewaltig: Er schreibt Bestseller, ich bin ein Noname. Aber ich habe bisher regelmäßig in Verlagen veröffentlicht und gebe nun selbst ein Buch heraus - ich kenne also beide Seiten. Nicht gedacht ist dieser Beitrag für Tante Erna, die ihr Gartentagebuch für den nächsten Familiengeburtstag veröffentlichen will - hier geht es ausschließlich um professionelles Schreiben. Tante Erna hat's da sehr viel leichter...

Wie entsteht also ein Sachbuch?

Idee und Schreiben: 
Dück schreibt im Zug, zieht seine Ideen aus der Arbeit und entwickelt das Sachbuch mit seiner Agentin.

Ich kann im Zug nicht schreiben und eigentlich ist es komplett egal, wie man zu seinen Ideen kommt. Für mich gibt es sowohl mit als auch ohne Verlag drei wichtige Phasen der Konzeption:
  1. Die Idee muss experimentell und frei wachsen dürfen.
  2. Ist die Idee stark genug, "beißt" und begeistert sie mich ausreichend lang? Dann wird sie auf Herz und Nieren geprüft, ob sie Bestand hat: Habe ich wirklich etwas zu sagen? Habe ich etwas Neues, Ungewöhnliches, Spannendes, Wichtiges, Anderes zu sagen? Wie viele Leute haben vor mir das Gleiche erzählt - wo läge mein USP? Bin ich fachkundig genug, kann ich Ungewöhnliches recherchieren? Bin ich fähig, mit dem Sachthema Emotionen, gar Leidenschaft zu verknüpfen? Interessiert das Gesabbel außer mir noch jemanden - und wenn ja, wen? Bin ich die richtige Autorin für dieses Thema? Bin ich kompetent genug?
  3. Die nächste Phase geht nach außen: Ich schreibe ein Exposée. Übrigens auch ohne Verlag - denn es ist ein Verkaufsinstrument, mit dem ich überprüfe, ob mein Buch überhaupt Marktchancen hat. Zu einem Sachbuch-Exposé gehört unbedingt eine Konkurrenzanalyse. Seine Inhalte überprüfe ich mit Fachmenschen aus der Branche und mit Leuten aus meinem Zielpublikum in spe, aber nie und nimmer mit Freunden, Verwandten und Bekannten. Ich diskutiere intensiv mit befreundeten AutorenkollegInnen (nicht virtuell).
Ich bin nie vor Phase 2 an meinen Agenten gegangen. Ich habe dann zwar wertvolle Hinweise und Ratschläge bekommen, aber immer recht frei entwickeln dürfen - da unterscheiden sich die Agenturen tw. sehr in der Arbeitsweise. Mein Ex-Agent, der leider seine Agentur geschlossen hat, ist mir auch heute ein wichtiger Ratgeber. Ohne Agentur und Verlag muss ich noch selbstkritischer und pingeliger mit mir umspringen - und mir vor allem wirklich fachkundige Diskussionspartner suchen. Es wäre heutzutage tödlich, ein Sachbuch autistisch und völlig allein bis zum Endkonzept zu bringen, denn man selbst ist nicht nur betriebsblind, sondern weiß auch viel zu wenig von sämtlichen Marktmechanismen.

Ist meine Idee für einen Verlag geeignet?
Duecks Agentin: "Er wollte sich nun an eine breitere Leserschaft wenden und hat dafür einen Publikumsverlag gesucht."

Wenn ich mich bei einem Verlag bewerben will, muss mein Buch eine gewisse Auflagenhöhe versprechen können - nicht nur in Publikumsverlagen. Ich muss also auch sehr wirtschaftlich denken und meine Konzepte natürlich danach ausrichten, in welche Richtung die Agentur mich für vermittelbar hält. Im Sachbuchgeschäft konzentriert es sich zunehmend: Promifaktor, Skandalbücher, Biografien von Promis - da haben es anspruchsvolle Themen von ganz normalen Autoren immer schwerer. Oft werden deshalb besondere Vermarktungsaufhänger gesucht, immer stärker z.B. große Jubiläen oder aktuelle Ereignisse, die langfristig wirken.

Ohne Verlag kann ich größere Risiken eingehen - wirtschaftliche, formale wie thematische. Und ich kann sehr viel schneller produzieren, etwa bei heißen Themen. Aber auch hier bringt es nichts, egomanisch vom Lieblingsthema zu träumen. Ich muss ebenfalls wirtschaftlich denken, denn ich werde es beim Verkauf ohne Verlag ungleich schwerer haben - der Buchhandel in Deutschland und das Feuilleton mögen Selbermacher nicht. Ich muss mich also genau mit den Werbe- und Verkaufsmechanismen der Branche "Nichtverlag" auseinandersetzen. Siehe da, die funktioniert ganz anders als die Massenindustrie:
  • Eminent wichtig ist der Direktkontakt Autor - Leser.
  • Je fester umrissen mein Zielpublikum ist, desto eher kann ich es ansprechen. Das ist die Chance der Nische.
  • Ich kann mit langem Atem arbeiten, muss mich nicht in einem Monat beweisen. Das ist die Chance von Longsellern.
Je nach Art des Buches entscheide ich mich also für oder gegen einen Verlag. Entscheide ich mich fürs Selbermachen, muss ich in dieser Phase mein Konzept noch einmal besonders kritisch durchbürsten:
  • Kann ich mein Zielpublikum und sich überschneidende Randgruppen außerhalb genau definieren?
  • Wo hole ich dieses Publikum ab - auch inhaltlich?
  • Kann ich durch Veränderungen am Buch dieses Zielpublikum erweitern?
  • Kann ich womöglich Menschen / Themen einbinden, die die Leserschaft vergrößern?
  • Wie kann ich eine sehr fest umrissene Nische möglichst groß gestalten?
Beispiel wie so etwas funktioniert: Ein Sachbuch für ältere Liebhaber schwuler Balletttänzer aus Petersburg wäre zu eng gedacht. Zu den Ballettomanen und Schwulen dürfen auch gern noch die Heteros, die Jüngeren und die nur am Rande an Ballett Interessierten hinzukommen, aber auch die Themen Europa, USA etc. Also muss man das Buch öffnen, muss mehr bieten. So entwickelt sich das Anfangsthema anders.
Kurzum: Die Arbeit mit dem Agenten ersetze ich durch die ständige Überprüfung mit Leuten vom Fach, durch viele Diskussionen und Brainstormings. Das sind entweder Leute, die Ahnung von der Buchbranche haben - oder Leute, die Ahnung von meinem Thema haben.

Vertrag, Geld, Anfänge:
Dueck hat bereits Erfolge vorzuweisen, sein Thema kommt an - er erhält einen Verlagsvertrag.

Sachbücher werden heutzutage fast ausschließlich erst nach Vertrag geschrieben, weil ihr Konzept nicht nur mehr oder weniger im Team entwickelt wird, sondern auch noch einmal speziell für den einkaufenden Verlag ein Feintuning erhält. Ohne Verlag ereilt mich jetzt der größte Unterschied: Ich finanziere mich selbst und kann nicht eine Weile vom Vorschuss leben. Das macht im Schnitt - große und mittelgroße Verlage gerechnet - 4000 E weniger in der Kasse aus. Der Ausgleich kommt später: Im Verlag muss ich diese Garantiesumme erst an Tantiemen abverkaufen, bevor ich auch nur einen Cent Tantiemen sehe. Die meisten Sachbücher erleben heutzutage diesen Tag nie.

Im Verlag schreibe ich in dieser Phase längst nach einem festen Exposé. Ohne Verlag schreibe ich ebenfalls schon, bin aber in der Planung sehr viel flexibler und offener. Das setzt allerdings voraus, dass ich trotzdem eine sehr genaue Vorstellung davon habe, wo ich hinkommen möchte. Denn nichts ist schlimmer, als dass man ein gutes Thema ohne Konzept versanden lässt. Ich muss jedoch ungleich offener für Chancen sein.

Einfach nur schreiben?
Herr Dueck schreibt im Zug.

Im Verlag, so geht ein Gerücht, könne man sich ganz und gar dem Schreiben widmen, wann immer man die Ruhe dazu hat. Das mag zutreffen, wenn man ein belletristisches Manuskript vor sich hinschreibt und irgendwann fertig beim Agenten abliefert: Verkauf du das mal. Die Regel ist es nicht - und wie wir gesehen haben, brauchen Sachbücher schon in der Vorbereitungsphase viel mehr Arbeit und Disziplin. Mit Verlag muss ich ebenfalls meine Termine managen, denn in den meisten Fällen finanzieren sich Autoren mit einem Brotjob und treten auch noch in ihrer Freizeit auf. Je größer ein Verlag, desto unvorhergesehener die Extrawünsche und Terminprobleme: Das reicht vom Mutterschaftsurlaub der Lektorin über die Krankheit der wichtigsten Werbefrau über quengelnde Vertreter bis hin zu anderen plötzlichen Terminen.

Irgendwie muss man auch mit Verlag mühevoll Zeit und Muße freischaufeln und sich abschotten. Ohne Verlag muss man diese Abgrenzungen noch sehr viel disziplinierter durchziehen. Denn jetzt erfüllt man ja Aufgaben nebenher, die einem sonst andere abnehmen. Mein Tipp, wenn das Sachbuch nicht mit einem hochaktuellen Thema drängt: Sich Zeit lassen. Nichts ist schlimmer als ein guter Selbstverleger mit geschluderten Texten. Ein Buch muss sich entwickeln - und es muss vor allem ständig und immer wieder überarbeitet werden. Außerdem habe ich die Erfahrung gemacht, dass man sich als Anfänger im Zeitmanagement mit anderen (Grafiker, Lektorat, Druckerei etc.) gründlich verschätzen kann.

Verlagswerbung oder Eigen-PR?
"So hat sie mit Eichborn auch darüber verhandelt, welchen Stellenwert das neue Buch für den Verlag haben wird - also zum Beispiel darüber, ob es prominent beworben wird."

Mit Verlag wird mein Buch nur dann ausreichend beworben, wenn es Spitzentitel wird, also das große Los zieht. Ansonsten kippt man es einfach auf den Markt: Friss oder stirb. Ein Vertreter hat in der Regel etwa 30 Sekunden Zeit, einem Buchhändler einen Titel ans Herz zu legen. Mit Verlag, aber ohne Spitzentitel habe ich zwei Möglichkeiten:
  • Ich ruhe mich auf den Lorbeeren des Verlagslabels aus und rechne mit ausreichend Zufallsverkäufen, weil mein Buch ja im Laden liegt und dieses schöne Verlagslabel hat.
  • Ich unterstütze meinen Verlag tatkräftig durch Eigeninitiative. Und weil der jetzt schon das Erscheinen plant, muss ich mir jetzt schon Werbemaßnahmen ausdenken.
Ohne Verlag sieht das so aus:
  • Mein Buch ist immer ein Spitzentitel. Ich kann ihm im Rahmen meiner Fähigkeiten und Mittel jede nur erdenkliche Werbung zukommen lassen.
  • Bestimmte Werbemaßnahmen fallen für mich weg. Ich muss weder Schaufensterdekomaterial für Buchhändler liefern noch auf Feuilletonbesprechungen hoffen.
  • Ich muss mir darum immens Gedanken um alternative PR-Wege machen und bei Bedarf jetzt schon jemanden damit beauftragen. Oder ich mache den Job selbst.
  • Bereits in dieser Phase müssen Social-Media-Aktionen anlaufen. Man rechnet etwa ein bis anderthalb Jahre, bis sich z.B. ein Blog zum Buch oder ein Twitteraccount wirklich durchgesetzt haben.
Buchherstellung:
"Die Arbeit am Buch beginnt für die Lektorin spätestens nach Vertragsabschluss und lange bevor das Manuskript fertig ist."

Hier kommt einer der größten Unterschiede zwischen Selbermachen und Verlag zum Tragen. Ein gutes Buch steht und fällt mit dem Lektorat, dass auch der beste Profi nicht selbst machen kann. Hier sollte man nicht am falschen Ende sparen und sich auf Dauer jemanden suchen, mit dem man gut zusammen arbeiten kann - und der kompetent die Themen betreut. Nicht, dass das im Verlag immer klappen würde - durch Outsourcing können einem wahre Hämmer passieren. Outsourcing hat aber den Vorteil, dass man als Selbermacher die gleichen guten Fachkräfte bekommen kann wie ein Verlag.

Für den Selbermacher fängt hier Arbeit an, die Verlagslektoren "nebenbei" ebenfalls erledigen müssen: Produktmanagement. Ich muss eine Kalkulation aufstellen (denn auch am Buchcover sollte man zuallerletzt am falschen Ende sparen und Autoren sind seltenst Grafiker). Ich muss mir einen Hersteller suchen, mit Fristen und Terminen jonglieren, Leute beauftragen, deren Arbeit terminieren, mich in fremde Fachgebiete einarbeiten.
Damit ein Buch sich finanziell überhaupt trägt, muss ich möglichst viele Eigenleistungen bei der Herstellung erbringen. Ich muss mir Gedanken um das Format machen, um die Erscheinungsform, das Layout u.v.m. Wer das langfristig für mehrere Bücher plant, sollte sich im Idealfall ein kleines privates Team zusammenstellen, vielleicht sogar wie in den USA in gegenseitigem Arbeitsaustausch, um die Kosten bezahlen zu können.

Im Verlag habe ich in den meisten Fällen keinerlei Einfluss auf die Gestaltung des Buchs, Titel und Cover oder die Art des Abverkaufs. Dafür wissen aber die Profis auch oft besser als ich, was ankommt im Buchhandel. Ohne Verlag bin ich nicht auf die Corporate Identity eines Verlags angewiesen, kann Risiken eingehen und alles selbst bestimmen. Natürlich vor allem mit dem Risikofaktor, dass ich für einiges zu dumm bin. Titelmachen will gelernt sein und ist schwieriger, als es aussieht. Ein falsches Cover kann ein Buch zum Ladenhüter machen - ungeachtet seines Inhalts. Und der Verkauf wird meine Schwachstelle sein.

Für mich ist es deshalb auch in dieser Phase eminent wichtig, nicht alles allein zu entscheiden, sondern mit Fachmenschen zu besprechen. Ich kann sogar einen Schritt weiter gehen als ein Verlag - und meine Klappentextentwürfe gleich am lebendigen Publikum austesten. Während ein Verlag bis zum Erscheinen der Buchhandelsvorschau eisernes Schweigen vorschreibt, kann ich als Selbermacher lange vorher an die Öffentlichkeit gehen und Leser einbinden. Neben dem Werbeeffekt lerne ich selbst dabei am meisten gegen die eigene Betriebsblindheit. Allerdings brauche ich die innere Stärke, mich nicht konfus machen zu lassen und Lesermeinungen nicht mit Branchenmeinungen zu verwechseln. Ich bin der Chef über meinen Text.

Basteln, Drucken, Pferdefüße:
"Die Herstellerin. Damit ein Buch dem Käufer ins Auge springt, muss es gut gestaltet sein."

Sehr zeitig sollte ich mir ohne Verlag Gedanken machen, ob ich ein Buch im Print oder ein E-Book oder beides herausgeben will, ob es im Print-on-Demand-Verfahren oder im Offset gedruckt werden soll. Den richtigen Hersteller auszusuchen, ist gar nicht so einfach. 80% aller Anbieter versprechen einem das Blaue vom Himmel und nicht wenige locken, indem sie einen bei der Eitelkeit packen wollen. Es sind fast eher die Druckereien, die sich professionell-sachlich geben. Beim ersten Mal muss man sich durch Kilometer von Kleingedrucktem arbeiten und nach Pferdefüßen in den Verträgen Ausschau halten. Nicht immer ist der Anbieter, der sich als große Plattform geriert, auch groß im Abverkauf. Wer Amazons Verträge studiert, wird feststellen, dass die großartigen 70% Tantiemen durch allerhand Wenn und Aber gemindert werden. Wer sich bei BoD umschaut, sollte nicht allzu sehr davon träumen, von einem echten Verlag entdeckt und übernommen zu werden - denn das kostet dort eine saftige Ablösesumme.

Es führt zu weit, hier genaue Ratschläge zu geben. Achten sollte man darauf:
  • Sich mit möglichst vielen Kunden eines Anbieters austauschen, dessen Foren studieren und testweise versuchen, dessen Bücher zu erstehen. Sich vielleicht ein Buch anschauen.
  • Tatsächliche und versteckte Kosten eruieren und vergleichen - in Relation zur Leistung. Schauen, wie schnell man aus einem Vertrag kommt und wie flexibel der Anbieter zwischen unterschiedlichen Buchformen herstellen kann.
  • Aufpassen, dass man nicht bei einem Druckkostenzuschussverlag landet. Das wäre nicht nur finanziell dumm, sondern killt die Profikarriere nachhaltig.
  • Überlegen, ob man Ansprechpartner braucht. Je größer die Fabrik, desto schwieriger die Sache mit der Hotline.
  • Websites der Anbieter kritisch lesen. Je sachlicher und transparenter, desto besser. Wer seine Vertragstexte oder Preistabellen versteckt, sollte nicht in Frage kommen. Es gibt genügend Anbieter, die beides offen kommunizieren.
Verkauf und Vertrieb:
"Manche Bücher ... werden Kassenschlager ... Andere versickern einfach. Viele schaffen es nicht einmal in die Buchläden, sind im Laden nur bestellbar oder bei Onlinehändlern wie Amazon zu kaufen."

Abverkauf ist auch mit Verlag ein Lottospiel. Die Marktkonzentration im Buchhandel sorgt dafür, dass vor allem kleinere Verlage und solche, die sich den irrsinnigen Rabattforderungen der Ketten und Riesen nicht beugen wollen, immer öfter außen vor bleiben. Aber auch ein Buch im Publikumsverlag kann ohne Betreuung sofort scheitern. Oder ein Buch wird nach einem Verlagsverkauf oder Programmwechsel voll an die Wand gefahren. Kommt dazu, dass die Abverkäufe von Spitzentiteln explodieren und die der anderen Bücher auch in Großverlagen stetig sinkt. Krimis, die vor Jahren 30.000 Auflage erreicht hätten, werden heute mit 3.000 eingeplant. Trotz alledem hat ein Verlag eine andere Marktmacht als Mr. Noname.

Mr. Noname fährt am besten, wenn er tatsächlich direkt an sein Zielpublikum kommt und direkt verkauft. Hier bliebe noch sehr viel zu sagen - z.B. zum Thema Vertrieb für Nische und Longseller, alternative Ladenkonzepte oder Sonderauflagen. Selbermacher sollten sich außerdem ein wenig mit der Funktionsweise des Buchhandels vertraut machen. Denn wenn ein Anbieter vollmundig Barsortiment und Amazon verspricht, heißt das auch nur, dass im letzten Fall brutale Rabattmargen abgerechnet werden müssen und im ersten Fall, dass man zwar gemeldet, aber nicht unbedingt aufgenommen wird. Dazu braucht nämlich auch der Selbermacher eine gewisse Abverkaufszahl. Aber das wäre ein Artikel für sich.

Ein Buch zu schreiben und selbst herauszubringen, ist also verdammt einfach. Für Tante Erna. Für alle anderen stellt sich die Frage "Verlag oder nicht Verlag" überhaupt nicht in dieser Dialektik. Heute ist es so, dass jeder Weg seine Vorteile und Tücken hat. Ich muss nach der Art des Projekts und meinen Vorlieben in Sachen Unternehmertum oder Künstlerdasein jedes Mal neu entscheiden, was besser passen könnte. Überall verfallen Menschen der Illusion, man müsse nur eine Idee aufschreiben und schon würde man zum Bestsellerautor. Beide Wege sind steinig - und auf beiden Wegen bleibt ein Großteil der Autoren schlichtweg auf der Strecke.

Für Sach- und Fachbücher ist der Weg ohne Verlag längst eine Alternative, weil eben bestimmte Arten von Themen überhaupt nicht mehr von Verlagen aufgekauft werden. Weil Nische, Longseller und Risikothemen im Eigenbau schneller und flexibler herzustellen und zu betreuen sind. In der Belletristik sieht das hier Beschriebene völlig anders aus - dort hat man es als Selbermacher ungleich schwerer. Belletristik ist ein anderes Schreiben, ein ganz anders funktionierender Markt.

PS: Interesse daran, solche Sachen ausführlicher (mit Fallbeispielen) und vor allem gründlich lektoriert in einem Ratgeber zu lesen? Ich ließe mich überreden...

27. April 2011

1986: Die Kunst des Ausklammerns

Ich war herrlich jung damals, etwa so jung wie die meisten der russischen Rekruten, die man zur "Weltrettung" nach Tschernobyl abkommandierte. Und ich war eine frischgebackene Journalistin voller Ideale, die jenen Übergang zwischen April und Mai mit einem ganz besonderen Projekt feierte. Mein Chefredakteur wollte mich zwingen, für einen Dauervertrag sehr politische Leitlinien zu unterschreiben. Leitlinien, die sich meiner Meinung nach mit Pressefreiheit nicht vertrugen und die Frage aufwarfen: Konnte es sein, dass es auch in unserem westlichen, freiheitlichen Mediensystem so etwas wie eine innere Zensur oder Propaganda gab? Wie stark klaffte die Diskrepanz zwischen Realität und Berichtetem? Hatte vielleicht auch ich schon eine Schere im Kopf?

Mein Experiment war so einfach wie folgenschwer: Ich verpflichtete mich selbst in einem zweiwöchigen Urlaub zu völliger Medienabstinenz. Kein Fernsehen, keine Zeitungen, kein Radio. Internet gab es nicht. Würde zufällig irgend etwas an mich gelangen, würde ich versuchen, es nicht wahrzunehmen. Wie würde sich dadurch für mich als Journalistin die Wahrnehmung der Welt verändern?

Ich freute mich am Leben, an der neugewonnenen Ruhe und spazierte glücklich durch diesen herrlichen, warmen Frühlingsregen, den wir so ersehnt hatten. Mit jeder Pore wollte ich das köstliche Nass aufnehmen, klatschnass und pfeifend, das Leben war schön. Endlich keine nervigen Negativschlagzeilen mehr und kein Chefredakteur, der die Welt zurechtgedichtet haben wollte. Tschernobyl fand in meiner Welt nicht statt. Ich sog den verstrahlten Regen auf, dem man nicht ansah, nicht anfühlte, wie gefährlich er war. Ich fand nur eigenartig, dass so wenige Menschen unterwegs waren, dass alle lieber zuhause saßen in diesen herrlichen Frühlingstagen. Eine Woche später zersprang meine heile Welt in Scherben. Mein Experiment mit der Medienabstinenz hatte mir eine friedvolle, sichere Welt vorgegaukelt, die es längst nicht mehr gab. Plötzlich war jener genussbringende Regen mein Feind. Plötzlich wurde mir klar, welche Macht das Wort besitzt, das nicht geschrieben, nicht gesprochen, nicht gesendet wird.

Nach dem Super-GAU und meinem bösen Erwachen habe ich wahrscheinlich ähnlich empfunden und reagiert wie die meisten anderen auch. Und als Journalistin war ich jetzt hoch sensibilisiert, wollte keine Information mehr versäumen. Als ich jedoch drei Jahre später nach Frankreich zog, war die Verwunderung groß. Lustig und munter gingen die Elsässer Pilze sammeln, brieten ihr Wildschwein. Die deutsche Panikmache war ihnen fremd, denn die Wolke von Tschernobyl hatte am Rhein Halt gemacht - der französische Gesundheitsminister persönlich gab damals die Entwarnung, die Medien zogen nach. Ein paar Grenzgänger, die mit anderen Daten konfrontiert wurden, brachten Zweifel über den Rhein. Die Bekannte, die Ende 1986 von einem mehrfach behinderten Kind entbunden wurde, obwohl in Voruntersuchungen alles perfekt erschienen war, wurde verlacht. Wagte die Frau doch tatsächlich, zu erzählen, alle Kinder des Jahrgangs hätten irgendwie mehr gesundheitliche Probleme als die Kinder früher. Irgendwie muss die sich ja ihre eigenen Probleme zurechtreden, sagten die anderen. Blödsinn, diese Phobie vor verseuchtem Salat, verseuchter Milch, gefährlichen Sandkästen. Tschernobyl kam nicht bis nach Frankreich.

Es gab damals kein Internet, keine Informationsvernetzung wie heute. Sonst hätten die wenigen Franzosen, die auf eigene Faust Messungen durchführten und Haarsträubendes, etwa aus Korsika, zutage förderten, nicht verlacht und totgeschwiegen werden können. Und vielleicht hätten wir bemerkt, wie die Atomlobby, die Regierung und die Medien im Atomland Frankreich ein abgekartetes Spiel spielten: Das Spiel vom Ausklammern, vom Kleinreden. Vom Verrücktreden der Gegner mit ihrer kindischen Panik. Das marode Russland und die dann noch marodere Ukraine schienen weit weg. Es ging uns nichts an.

Es schien immer noch weit, als ich 1993 nach Warschau zog. Auch wenn die Polen 1986 so schlau gewesen waren, in manchen Gebieten Jodtabletten zu verteilen, war man dazu übergegangen, Tschernobyl kleinzureden, wegzuschweigen. Die Bauern wollten endlich wieder ihre Waren verkaufen. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs war Kapitalismus angesagt - mit verseuchten Gebieten machte man keine Profite. Wenn keine Karten von radioaktiven Wolken veröffentlicht werden, kann die Strahlenbelastung nicht hoch gewesen sein. Als ich nach Polen kam, wurde die Luftverschmutzung in Krakau diskutiert, redete man über die Altlasten der Huta Warszawska und wie mit Westgeldern alles saniert werden würde. Wir schwelgten in frisch gesammelten Waldpilzen, kauften wegen der Luftverschmutzung in der Großstadt gesunde Bionahrung aus Masuren und sammelten dort im Urlaub köstliche Beeren.

Als die erste Bekannte wegen Schilddrüsenkrebs nach Paris ausflog, galt das noch als persönliches Pech. Als in meinem Bekanntenkreis immer mehr Schilddrüsenprobleme bekamen, redeten es sich die Franzosen mit Jodmangel schön - wir bekamen einfach nicht genügend frischen Fisch! Fortan stürzten wir uns bei jedem Empfang und jedem Buffet auf Lachs und Kaviar. Als einer meinte, Tschernobyl sei eigentlich nur 600 km entfernt, einen Wochenendausflug weit also, lachten sie ihn aus. Man wisse doch, die Wolke sei nach Schweden und nach Deutschland gewandert, aber doch nicht hier unten im Osten ... Dass in Tschernobyl zu dieser Zeit wieder fleißig Reaktoren liefen, ahnte keiner. Es fand nicht statt in den polnischen Medien damals. Und in anderen auch nicht.

Bald fand auch ich mich in einer Klinik wieder. Nach Deutschland war ich ausgeflogen. Ich, die ich so viel Fisch wie nur möglich gegessen hatte, konnte mir meine Schilddrüsenprobleme nicht mehr schönreden. Wo ich leben würde, wollte der Arzt wissen. Wie lange schon. Aus welcher Region unsere Nahrungsmittel kämen. Was ich 1986 gemacht hätte. Dann sei ja alles klar. Jodmangel?, fragte ich hoffend. Tschernobyl, sagte er. Haben wir bei allen Patienten, die mindestens ein Jahr in Osteuropa lebten. Sie sind nicht die einzige. Aber Sie sind spät dran, die meisten kamen früher. Die meisten kommen aus Tschechien und Polen zu uns. Die Operation ist zur Routine geworden, seit 1986 haben wir richtig Übung im Entnehmen von Schilddrüsen. Nur sagen dürfen wir das nicht laut. Wir wissen die Gründe, aber wir können sie nicht beweisen. Es gibt keine Forschungsgelder.

Ich bin dann wieder zurück nach Polen, die Schilddrüse wie ein selbstständiges Tier im Hals. Ein Tier, das regelmäßig beobachtet werden muss, weil es bösartig werden könnte. Ein Tier, das ich nicht durch lebenslängliche Tablettengaben ersetzen wollte und doch irgendwann loswerden muss. Und ich hatte deutsche Zeitschriften im Gepäck, deren Inhalte mir zumindestens im französischen Umfeld kaum jemand glauben wollte. Die Deutschen mit ihrer Panik, man kann alles übertreiben. Bis eines Tages in Warschauer Buchhandlungen eine amerikanische Ausgabe des National Geographic lag. Die amerikanischen Freunde nahm man ernst in Polen. Schonungslos zeigten sie, wie verseucht und gefährdet Polen wirklich war - der Bionahrungsproduzent Masuren allem voran. Und es gab darin Karten von Frankreich.

Eine zweite Schockwelle ging in Europa um. Tschernobyl hatte also doch stattgefunden, auch in den Landstrichen des Verschweigens und Schönredens. Wie sehr hätte man die Menschen schützen können, wenn man das Desaster zugegeben hätte! All die herrlichen Pilzgerichte und frischen Waldbeeren, das köstliche Wild und das Biofleisch und die Milchprodukte, all das herrliche Geld, das geflossen war, während die Deutschen und die Schweden lieber Nahrungsmittel vernichteten ... Jetzt holten sie alle die Berichte und Untersuchungen nach, Jahre zu spät.

Heute lebe ich wieder in dem Land, dass die wahre Katastrophe erst in der Rückschau begreift, nur langsam aufgewühlt von Fukushima. Wieder erfahre ich von der ausländischen Presse mehr und zum Glück gibt es das Internet. Doch was wird erzählt und wie viel? Was wiegt das Schweigen? Wie still ist es geworden um Fukushima, nachdem die ständig willkürlich geänderten Messergebnisse und Grenzwerterhöhungen, die lächerlichen Pressekonferenzen von Tepco und die Hilflosigkeit der Regierung jede Glaubwürdigkeit ad absurdum geführt hatten. Ausländische Fachleute sind vor Ort - sind wir seither besser informiert? Warum gelangen jetzt keine Daten nach draußen, nur Beschwichtigungen? Ist es wirklich nur "typisch russisch", wie damals behauptet, wenn man Menschen in Lebensgefahr verschaukelt und zynisch Opfer einplant?

Das Ausklammern macht unsere Welt heiler. Wer könnte schon noch ruhig schlafen, diesseits und jenseits des Rheins, wenn er sich den Super-GAU in der nächsten Nachbarschaft vorstellte. So eine Schilddrüse, so ein Krebs - das alles ist anders interpretierbar, hätte die Menschen vielleicht auch so irgendwann ereilt. Haben sich vielleicht nicht richtig ernährt. Sind vielleicht selbst schuld. Schönreden kann man sogar den Tod. Und trotzdem - etwas ist anders seit meinem naiven Medienexperiment im Jahr 1986 und meinem unschuldigen Spaziergang im strahlenden Regen!

Wir haben alle unsere Unschuld verloren. Informationen sind im Internetzeitalter nicht mehr aufzuhalten. Staaten können noch so sehr zensieren, die Atomlobby kann noch so viel verschweigen - irgendwann und irgendwo treten durch einzelne Menschen immer relevante Einzelheiten zutage. Die Rolle der einst kritischen und objektiven Medien haben heute mutige Dokumentarfilmer und Augenzeugen übernommen.

Wir können wegschauen. Aber wir können nie wieder in der Geschichte behaupten, wir hätten nichts davon gewusst. Doch wir vergessen zu schnell - und diejenigen, die Tschernobyl vor Ort erlebt haben, sterben viel zu schnell. Wir könnten jedoch das Schweigen brechen und endlich all die Geschichten erzählen, die längst hätten erzählt werden müssen. Wir könnten versuchen, die betroffenen Menschen und ihre Schicksale wenigstens eine winzige Halbwertszeit lang lebendig zu halten. Vererben wir doch auch Tschernobyl und Fukushima als lebendige, ganz und gar nicht berechenbare Monster an viele zukünftige Generationen.

Gucktipps:

Die Künstlerin Cornelia Hesse-Honneger sammelt für ihre Werke mutierte Wanzen aus der Sperrzone von Tschernobyl - ein Interview im Deutschlandradio und die Website der Künstlerin.

Tschernobyl. Eine umfassende Dokumentation mit Augenzeugenberichten und vorher weitgehend unbekanntem Film- und Fotomaterial von Thomas Johnson aus dem Jahr 2007. - Die DVD

Tschernobyl forever. Doku von Alain de Halleux, ein absolutes Must auch für den letzten Zweifler. - Sieben Tage auf ARTE anzusehen - Interview mit Alain de Halleux

Alles im Griff? Erschütternde Doku von Alain de Halleux über die Zustände unter Frankreichs "Atomnomaden" und den Umgang mit der Reaktorsicherheit. - Artikel bei ARTE: der Film wird leider nicht mehr ausgestrahlt - die DVD

26. April 2011

Autoren aufgepasst!

"Escalator" nennt man es auf Englisch, auf Deutsch sagen viele schnoddrig und eigentlich unpassend "Bestsellerklausel" dazu. Das ist ein Paragraf, den man tunlichst in den Verlagsvertrag aufnehmen lassen sollte - was Literaturagenturen übrigens wissen. Er besagt sinngemäß, dass die Tantiemen bei größeren Steigerungen von Buchverkäufen ebenfalls steigen. Dass also nach den vereinbarten 8% ab soundsoviel Exemplaren 10% fällig werden und so fort. Was die wenigsten Autoren wissen: Hat man eine entsprechende Klausel vergessen und das Buch entwickelt sich über Nacht zum Bestseller, so greift die "Bestsellerklausel" auch ungeschrieben - sprich, Autor oder Agent können sofort nachverhandeln.

Dass die Tantiemen bei den E-Book-Rechten in Bewegung geraten könnten, war abzusehen. Ich berichtete schon einmal: In Uraltverträgen, als alle noch über das E-Book lachten, waren viele Verlage dennoch schlau genug, sich die Rechte für diesselben zu sichern. So habe ich einige (inzwischen erloschene) Verträge, in denen man mir dafür lächerliche, perverse 6,5% anbot. Im angelsächsischen Raum hat sich die Marge offensichtlich auf 25% eingependelt. Das ist aber bei weitem nicht das, was E-Book-Anbieter außerhalb der Verlagslandschaft anbieten. Im deutschsprachigen Raum sind es bei Plattformen und anderen Anbietern oft 50 bis 60% und Amazon toppt das Ganze mit 70%. Verlage müsen also sich etwas einfallen lassen, um Autoren dazu zu bewegen, dass sie ihre E-Rechte abtreten!

Bewegung kommt nun im anglo-amerikanischen Raum auf. Agenten sprechen davon, dass die sogenannte escalator-Klausel zur Norm für E-Books werden könnte. Verlage wollen bei Erfolg Autoren an den E-Books also stärker beteiligen- was nur gerecht wäre! Man will Autoren vor allem damit ködern, dass man mehr Vermarktung verspricht, als dies ein Online-Anbieter leisten könnte. Da heißt es, hart zu vergleichen! Jedenfalls liest man im Bookseller, dass die niedrige Rate von 25% auf Dauer nicht zu halten sei, dass sich aber vor allem die Verlagsgiganten dagegen sperrten, ihre Autoren ordentlich zu beteiligen. Zum ersten Mal seit Jahren hat sich damit das Rad der Verhandlungshierarchien gründlich gedreht. Jetzt sind die Autoren in der starken Position, Nein sagen zu können und weniger erpressbar zu sein. Die Verlage dagegen geraten immer stärker in die Position, ihre Bringschuld zu beweisen.

Die Konkurrenz indes schläft nicht. Amazon startete jetzt nicht nur mit seinem Kindle in Europa durch, sondern zeigt mehr und mehr Tendenzen, auch Teile des üblichen Verlagsgeschäfts zu übernehmen. Eigene Ausgaben und Übersetzungen sind erst der Anfang, jetzt will man auch noch den großen Verlagskonzern-Communities Konkurrenz machen. The Backstory heißt der neueste Launch, bei dem es wie in Lese- und Autorencommunities Zusatzstoff zur bisher bekannten Author's Central geben soll: Interviews, Essays, Podcasts und Lieblingskrempel von Autoren.

Weil das Ganze mit Facebook und anderen Sites vernetzt werden soll, bietet sich für im Web unerfahrene Autoren ein zentraler, kostenloser und einfach zu bedienender Werberaum an, der die aufwändige Programmierung einer schicken Website ersparen könnte. Aber aufgepasst! So werbewirksam es sein kann, diese Plätze zu füllen - für Selbstverleger übrigens ein Must - man gibt damit auch Daten ins potentielle Nirwhana. So manche Firma wachte böse auf, als ihr Facebook-Account plötzlich aus Versehen gesperrt war. Mein Rat: Social media und Autorenangebote dieser Art entbinden einen nicht davon, die wichtigen Daten doch auf einer eigenen Website zu platzieren - wo man Verfügungsgewalt darüber hat und im Fall der Fälle vor Datenverlust gesichert ist! Dann können Angebote wie The Backstory sogar als Vehikel genutzt werden, die eigenen Website oder das eigenen Blog bekannter zu machen und in größere Zusammenhänge einzubinden! Und sage keiner, das sei wieder Zukunftsmusik aus den USA - auch der Kindle ist zuletzt gekommen. Schließlich geht es um sehr, sehr viel Geld, das sich ein Konzern nicht weltweit entgehen lassen wird.

Deshalb hat Amazon übrigens nun auch Pay Pal den Kampf angesagt. Der hauseigene Amazon-Bezahldienst ist ab sofort auch im deutschsprachigen Raum für Händler und Kunden zu haben. Schweinisch schlau, nun auch als Banker Kunden zu binden - unternehmerisch kann man von diesem Blumenstrauß an neuen Maßnahmen nur lernen. Auf der anderen Seite muss ich nach einer sehr schlechten Pay-Pal-Erfahrung sagen: Es war höchste Zeit, dass hier endlich jemand Konkurrenz ins Geschäft bringt. Hoffentlich bleibt es bei der gewohnten Seriosität der Geschäftsabwicklung, die man gewohnt ist von Amazon. Aber warum verschlafen sämtliche Banken dieser Welt die Möglichkeiten? Sind wohl zu viel mit Zocken beschäftigt?

Ein wenig klingen mir die Zeiten im Moment wie bei Onkel Dagobert in Klondike. Autoren sollten sich zwar vor allerhand Panzerknackern hinter freundlichen Masken hüten, aber unbedingt dazulernen, wie man um den kleinen Glückstaler einen Geldspeicher baut. Ich werde die Sache natürlich intensiv beobachten. Denn vor allem für Selbstherausgeber und Selbstverleger kommt so langsam ein sehr potentes Instrumentarium für Vermarktung und Vertrieb zustande, das als Alternative zum herkömmlichen Verlagsbetrieb und Buchhandel zumindest beim Sachbuch und bei Nische jetzt schon besticht. Verträge genau lesen, Verträge akribisch vergleichen und sich nicht zu schade sein, auch einmal etwas zu fordern - das empfehle ich den KollegInnen derzeit. Was die neuen Alternativen bieten und wo die Fußangeln liegen könnten, würde ich in einem Ratgeber genauer betrachten (gib mir jemand Zeit zum Schreiben!).

Kraut und Rüben

Ich sollte heute Rasen mähen oder die Osterpause im Blog abbrechen. Dumm nur, dass ich im Kopf eher Kraut und Rüben habe, denn ich berechne grausame Formeln, die sich aus Papierstärken und -gewichten und Pappedeckel und solchen Sächelchen multiplizieren. Ist ein klein wenig amüsanter als eine Steuererklärung - Betonung auf klein. Mein Kopf allerdings ähnelt dadurch dem Boden draußen: Zentimeterbreite Lücken tun sich auf. Das letzte Mal hat es Mitte März geregnet und der Regen scheint auch diesmal unsere Region auszusparen. Im Wald vertrocknen die Bäume, kaum dass sie geknospt haben, und die Wiesen werden gelb. Aber ich könnte wetten, bei Twitter jammern demnächst die ersten über ein paar Tröpfchen dringend benötigten Wassers von oben.

Wer wissen will, ob er bei Twitter Erfolg für sein Projekt oder seine Strategie verbuchen kann, für den gibt es übrigens eine Studie. Die ist tüchtig in Fachsprech gehalten, lohnt sich aber, wenn man Twitter als PR-Instrument nutzt. In Trotteldeutsch sagt die Studie ungefähr: Pfeif auf Followerzahlen und ähnliches Rankinggedöns. Erfolgreich bist du nur, wenn du Einfluss hast. Und Einfluss ist, lieber eine Person in engerer Beziehung zum Denken zu bringen, als 1000 Personen am Wind vorbei zu nerven. Twitter funktioniert also genauso wie ein Marienkäferliebestanzbuch. Wie das funktioniert? Lokal statt global.

Ganz einfach: Mit einem Marienkäferliebestanzbuch bewirbt man sich nicht bei Random House. Man bläst die PR dafür nicht wahllos heraus an Kleintierzüchter mit Grillphobie, Zwergentöter oder SPD-Mitglieder mit Heuschnupfen. Man fängt klein und lokal an. Im Käfer- oder Liebesverlag, am besten aber in einem Nischenverlag, der die Puppen tanzen lässt. Baut sich den Ruf als durchgeknalltester Marienkäferintimbeobachter mit Tanzdiplom im ganzen Dorf auf, was wiederum Lokalpresse beibringt. Und dann vernetzt man sich mit all den käfergeilen Tanzmäusen, die unter Twitters Elite zu finden sind. Auf keinen Fall also mit Sascha Lobo. Der ist für Hahnenkämpfe zuständig. Oder so.

Kraut und Rüben in meinem Hirn, ich sag's ja! Dabei hätte ich durchaus Lust, mal wieder eine Sprache zu lernen. Nachdem ich heute gelesen habe, Polnisch und Russisch zählten angeblich zu den schwersten Sprachen der Welt - und ich Polnisch viel leichter als Französisch fand - dachte ich, wäre Russisch nicht übel. Wo und wie aber den richtigen Sprachkurs finden, wenn ich es mit Paukmethode nicht schaffe? Ich kann Sprachen nur durch Nachahmung und Intuition lernen, am liebsten von jemandem mit linguistischem Gespür...

Die Kurse von Rosetta Stone wurden mir empfohlen (vor allem für schnelle Konversation), aber hoppla, 400 Euro??? Dafür bekomme ich eine Menge fremdsprachlicher Donald-Duck-Hefte - meine bisherige Methode, mich an fremde Sprachen heranzutasten, und übrigens die einzige, die mir Französisch wirklich schmackhaft machte. Monsieur Picsou sei Dank. Wer sich mit ähnlichen Gedanken herumschlägt - hier gibt es eine sehr aufschlussreiche Rezension in Sachen Rosetta. Und wer es mit Englisch schafft und es gern abenteuerlicher mag, dem seien die FSI Language Courses empfohlen - public domain übrigens. Da lassen sich dann auch so exotische Idiome erlernen wie Amharic, Chinyanja oder Fula, Igbo, Lingala, Tagalog, Twi oder Yoruba. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Gönnen könnte man sich ein anderes globales Vergnügen. Der Insel-Verlag hat den kunsthistorischen Bildband von Beat Wyss: "Die Pariser Weltausstellung 1889 - Bilder von der Globalisierung" aufgelegt. Das ist nicht nur ein Muss für Avantgarde-Fans und Menschen, die erfahren wollen, wie es zu der großen kulturellen und künstlerischen Umwälzung zum Jahrtausendwechsel nach 1900 gekommen ist. Es ist auch eine dieser Preziosen, anhand derer man scheinbar moderne Probleme und Veränderungen an längst vergangenen Zeiten überprüfen und vergleichen kann, um die heutige Befindlichkeit zu relativieren.

1900 liefert mir das Stichwort zu einer grandiosen Verwurschtelung von Zeiten und Räumen - oder anders gesagt: Ein Buch muss nicht immer nur einfach ein Buch sein. Der so ganz andere Verlag Das Wilde Dutzend (Twitter @daswildedutzend) hat in letzter Sekunde beim Virenschleuder-Preis eine Aktion eingereicht, die mich spontan fasziniert: Ausstellung rund um das Logenmitglied Adele 1900 in Berlin.

Fiktiv oder nicht, hinter dem Verlag steht angeblich keine Mitarbeiterschaft, sondern eine geheime Loge, die nach und nach Geheimnisse verlegen will. Also scheinbar ganz normale Bücher in einem nur scheinbar normalen Verlag. Als erstes Buch erschien eine viktorianische Schreckenschronik eines fiktiven Autors. Also ein scheinbar normales Buch eines scheinbar normalen Autors. Noch können wir der Verquickung von Realität und Fiktion folgen. Irgendwie ist die Loge alias Verlag also an die Schrift gekommen.

Jetzt wird es aber erst richtig geheimnisvoll! Adele ist Logenmitglied. Das einzige bekannte und auch noch uralt - 1900 soll sie in Berlin gewohnt haben. Adele nun hat sich an die Fersen jenes verschollenen Autors geheftet, der im 21. Jhdt. gedruckt wird. In der Berliner Kunstbox wiederum kommunizieren die Besucher mit Adele, die eigentlich längst tot sein müsste - und helfen ihr bei der Spurensuche. Dann wird das ganze Geheimdingenslogenverschollengeheimnis auch noch auf Facebook und ins Blog gehievt - Zeiten und Räume verwirren sich endgültig und bilden ein Gespinst um ein real existierendes Buch eines real nicht greifbaren Autors eines realen, geheimnisvollen Verlags ... Nachlesen! Das ist transmediales Storytelling at it's best. Nun soll sogar ein Laden, pardon, ein Salon von Adele dazukommen ... eine Zeitmaschine?

Wenn ich von solchen Ideen höre, fängt mein Hirn an, fröhlich zu ticken. Was ließe sich alles aus Büchern gestalten, wenn man sich endlich von all den herkömmlichen Ideen lösen würde! Wenn man Büchern mindestens eine vierte, wenn nicht fünfte und sechste Dimension zugestehen würde. Dann hätte es vielleicht auch bald ein Ende mit diesen Pseudo-E-Books, die lediglich Dateien für Papier in ein anderes Format konvertieren, ohne die erzählerischen Möglichkeiten eines anderen Mediums auch nur im geringsten zu nutzen.

Unsereins geht an die Rechenmaschine zurück. Aber die Idee eines Nijinsky-E-Books schwebt natürlich längst im Raum. Nur würde darin nie und nimmer das Gleiche stehen wie im Printbuch. Warum auch?

Da kommen natürlich auch die Warner und Mahner gerade richtig: Eine vergnügliche Satire zur Zukunft von Büchern und Autoren: 2050: "Analog Reading Will Be Digitally Simulated".

21. April 2011

Heiße News

Wie soll man als Journalistin Osterpause machen, wenn heiße News durch den virtuellen Äther tickern? Das muss noch raus (Berufskrankheit):

Buchmarkt meldete gestern Abend die Ungeheuerlichkeit, dass Aufbau-Eigner Matthias Koch offenbar doch nicht bei Eichborn einsteige. Nichts Genaues weiß man nicht, für weitere News empfiehlt es sich, die Zeitschrift Buchmarkt und deren Tweets zu verfolgen. Schade nicht nur um das Hin und her mit Mitarbeitern - auch die Autoren dürften sich langsam verschaukelt fühlen und hängen im Ungewissen.

Irgendwie war es als Osterei zu erwarten, nun ist es amtlich: Der / das (?) Kindle kommt nach Deutschland. Buchreport listet die Einzelheiten auf - damit können nun also auch deutschsprachige Autoren direkt E-Books veröffentlichen und bekommen 70% als Tantiemen. Das sollte jeden Autor gehörig auf den entsprechenden Paragrafen in Verlagsverträgen aufmerksam machen. E-Book-Rechte sollte man nicht mehr leichtfertig zu schlechten Konditionen vergeben. Selbst wenn man technische Hilfe bezahlen muss, rechnet es sich, sie selbst zu halten. Leider will Amazon Deutschland noch keine Blogs als Kindle-Version zulassen, mir völlig unverständlich, weil es sich z.B. bei Blogger.com ohnehin um US-Software handelt.

Ich bin gespannt, ob sich nun in deutschsprachigen Landen das E-Book-Geschäft auch derart stark aufbaut wie in den USA - oder ob man sich eher konservativ verweigert. Ein wichtiges Argument dürften weiterhin die Reader-Preise bleiben.

Ergänzende Links zum Kindle-Start:
Buchreport-Interview mit Amazon-Chef Kleber:
"Wir sind seit 13 Jahren auf dem deutschen Buchmarkt und kennen die Preisbindung ... Obwohl wir die gleichen Preise wie andere haben, strömen die Kunden zu uns."
Buchreport über die Konkurrenzsituation in Sachen E-Book auf dem deutschsprachigen Markt:
"Anders als beispielsweise Apple zeigt Amazon neuerdings auch verlegerische Aktivitäten."

Was die wenigsten Leser wissen: Um Kindle-Bücher zu lesen, braucht man keinen Kindle-Reader. Kostenlose Lese-Apps ermöglichen das z.B. auch auf dem PC.

Wie immer gut versteckt: Hier geht's direkt zur Veröffentlichungszentrale.

20. April 2011

Blogparaden

Bevor (wahrscheinlich nicht nur) ich in eine faule, sonnige Osterpause verschwinde, möchte ich ein Marketinginstrument für Blogs vorstellen, das unter AutorInnen so gut wie unbekannt scheint. "Blogparaden" kommen ursprünglich aus dem Businessbereich, lassen sich aber auf jedes andere Thema anwenden. Vorteil: Sie bringen völlig neue Leserschichten ins Blog, man kann sich je nach Thema einen Fachruf erwerben und je nach Vernetzung natürlich und vor allem die eigenen Bücher promoten.

Der Kulturmanager stellt ebenfalls fest, dass Künstler sich diesem Instrument irgendwie noch verweigern oder es nicht kennen. Ein Gastbeitrag bei ihm beschreibt (mit Beispiel), wie man sich Blogparaden als Aktion in der Bildenden Kunst vorstellen kann. Natürlich lassen sich diese Gedanken auch auf Bücher projizieren.

Was ist eine Blogparade?

Mehrere Blogger, deren Blogs sich irgendwie zum Thema ergänzen, tun sich zusammen. In einem fest umrissenen Zeitraum (mehrere Wochen) bearbeitet jeder von ihnen das vorgegebene Thema aus seiner Sicht. Wichtig ist: Alle kündigen gemeinsam zum Start auf ihren eigenen Blogs den Beginn der Blogparade an und verweisen im Social Web und in ihren eigenen Blogs stets mit Links auf die Arbeit der anderen.
Das unterscheidet sich also von den sogenannten "Stöckchen", einer Art Kettenbriefaktion, die zwar lustig zu lesen ist, aber den Vorgängern meist gar nichts bringt, weil die nachfolgenden Blogger zum Verlinken und Werben für die anderen oft zu faul sind.

Andere Möglichkeit: Ich setze ein Schwerpunktthema im eigenen Blog und lade dazu Gastautoren ein, deren Blogs ich natürlich auch bewerbe. Und die wiederum schreiben in ihren Blogs mit Link darüber, wo ihr Gastbeitrag zu finden ist und warum.

Solche Werbemaßnahmen denkt man sich natürlich nicht einfach nur danach aus, wessen Nase man gerade nett findet. Man will ja gemeinsam etwas erreichen und kann - wie im Beispiel des Kulturmanagers, sogar für Aktionen gesponsert werden. Wichtig ist deshalb eine Strategie, welche Vernetzungen mit welchem Thema den Teilnehmenden am meisten bringen - schließlich will man ja erreichen, dass sich die Leserkreise überschneiden und neue Leser in neue Blogs finden. Umso idealer, wenn man die Aktion kräftig per Twitter, Facebook etc. unterstützt. Daran wird deutlich: Man muss Partner suchen, die bereit sind, nicht nur zu nehmen, sondern aktiv mitzumachen und fleißig zu verlinken.

Wie kann so etwas in der Literatur aussehen?

Ich muss mir zuerst die Frage stellen: Wen will ich als neue Leserschaft erreichen? Buchleser? Kollegen? Geschäftskontakte aus der Branche?

1. Buchleser finden

Ich vernetze mich hier idealerweise mit Blogs, auf denen sich vorwiegend Leser tummeln - die im Idealfall auch Interesse für meine Bücher haben. Denkbar wären Blogparaden, bei denen z.B. Frauenromanautorinnen reihum ihr Lieblingsbuch einer Kollegin rezensieren, Krimiautoren über ihre Erfahrungen mit Polizeirecherche berichten oder Gartenbuchautoren ihre Lieblingstipps für die Pflanzzeit loswerden.Das ließe sich sogar über die Buchwelt hinaus ausweiten: Man könnte mit etablierten Gartenblogs zusammenarbeiten, die Krimiblogger finden vielleicht sogar bloggende Kriminaler und die Frauenromanautorinnen kennen sicher andere Blogs, wo sich ihre Leserinnen gern aufhalten, etwa bei Frauenzeitschriften.

2. Kollegen finden

Es ist ein offenes Geheimnis, dass die meisten Blogs von Autoren so geschrieben sind, dass sie selten von den potentiellen oder tatsächlichen Lesern der Bücher besucht werden. Kollegen interessieren sich für die Kämpfe am Buch, für Recherchemethoden, für all den Psychokram, der einem beim Schreiben unterkommt. Das kann man forcieren und ausnutzen, indem man sich unter Kollegen feste Themen dazu vorgibt und sich vernetzt. Mit dieser Methode lassen sich unbekanntere Autorenblogs ins Bewusstsein heben und mit ein wenig Austausch eine kleine Community unter Kollegen bilden.

3. Geschäftskontakte finden

Je breiter man über die eigene Branche berichtet, desto eher mischt sich auch die Leserschaft. Mit einer Blogparade kann man Kontakte knüpfen, die den Blick über den eigenen Tellerrand weiten. Nehmen wir das Beispiel Kinderbuch: Daran arbeiten nicht nur Autoren, sondern auch Illustratoren, Verleger, Agenten, Buchhändler. Warum also nicht einfach aus jedem Beruf ein paar Blogger nehmen und über ein gemeinsames Thema eine Parade veranstalten? Das ist zum einen hochspannend für die Käufer von Kinderbüchern, zum anderen finden sich hier nicht nur Kollegen. Vielleicht kommt es "real life" zur Lesung, weil man die Buchhändlerin kennengelernt hat? Vielleicht kommen von der Agentin wertvolle Tipps für die Autoren? Überhaupt gäbe es ungeahnte Möglichkeiten, wenn man eine solche Bloggeraktion mit Aktionen im Leben verknüpfen könnte!

Alles zu viel Arbeit? Das tut man doch nicht?

Mir kommt immer wieder zu Ohren, wie eifersüchtig und neidisch es in der deutschen Autorenszene zugehen soll, wo KollegInnen PR-Aktionen von den eigenen KollegInnen offen kritisieren. Ich persönlich gönne es jedem, der allein durch Verlagsmacht zum Bestseller hochgewuchtet wird und sich für seine Bücher auch auf Wunsch des Verlags nicht engagieren muss. Aber ich kann und mag mir nicht vorstellen, dass irgendwer gemeinsame Aktionen in den Social Media auch nur annähernd anrüchig finden könnte - ich habe nämlich (toitoitoi) bisher nur das Gegenteil kennengelernt. Sollte jemandem trotzdem ein ewig Gestriger begegnen: laufen lassen. Sich nicht beirren lassen. Ja, man tut das. Ja, es ist absolut normal, sich zu vernetzen und gemeinsam etwas für die eigenen Bücher, die eigene Arbeit zu tun. Wer es nicht glaubt, der sollte sich einmal die Social Media Aktivitäten von Deutschlands Literaturverlag Nr. 1 (inklusive seiner AutorInnen) anschauen: Hanser. Kann man sich vieles abschauen. Sogar Literaten dürfen das also.

Was die Arbeit betrifft: Es lohnt sich. Wer bloggt, muss ständig etwas dafür tun, um neue Leserschichten zu finden und wegfallende Surfer zu ersetzen. Gemeinsam ist man stärker.
Nun muss ich zugeben, dass ich selbst kaum die Disziplin aufbringe, an einer Blogparade dranzubleiben. Es geht aber durchaus eine Nummer kleiner!

Bestes Beispiel war meine "Frauenwoche für Buchmacherinnen", als ich im Januar eine Woche lang täglich einen Beitrag zum Thema Frauen und Büchermachen im Blog brachte. Damit ich mir nicht alles selbst aus den Fingern saugen musste, habe ich zwei BücherFrauen interviewt und schon war die Vernetzung perfekt. Die BücherFrauen haben aktiv meine Frauenwoche auf ihrer Website, bei Twitter und Facebook begleitet - und die Mädchenmannschaft hat einen meiner Blogbeiträge aufgenommen und mich später interviewt.
Das Ganze hatte weitreichende Folgen: Ich bin selbst BücherFrau geworden, habe für meine Arbeit wichtige Kontakte hinter den Kulissen knüpfen können und meine Blogleserschaft kurzzeitig vervierfacht und langfristig verdoppelt. Die Vernetzungen und die Art meiner Beiträge hat immer wieder andere positive Folgen gebracht - zuletzt die, dass ich nun schon zweimal fürs Buchreport-Blog geschrieben habe.

Der Erfolg war so groß, dass ich diese Frauenbuchwoche nächstes Jahr anders aufziehen möchte - etwas entspannter über einen längeren Zeitraum und nicht nur in Eigenarbeit. Ich stelle mir Gastbeiträge vor oder eine Vernetzung mit anderen Branchenblogs. Und vielleicht reicht es dann 2012 auch, nicht nur bei einer Nominierung zum Virenschleuderpreis erwähnt zu werden, sondern selbst nominiert zu werden?

Folgen haben solche Aktionen längst auch im Leben außerhalb des Webs - ich taste mich derzeit an Ideen für Vorträge oder Workshops und werde außerdem aus meiner Aktion "Ich bastle ein Buch" einen Ratgeber machen für alle, die dieses Abenteuer ebenfalls wagen wollen. Ich orientiere mich zwar an meinen Blogbeiträgen, werde das Ganze jedoch entsprechend straffen und als reelle Hilfe formulieren - mit wichtigen Adressen, Grundlagen etc. Ein echter Ratgeber eben. Auch das ist das Wunderbare am Vernetzen: Die Ideen gehen einem nicht aus und irgendwann wird aus dem Bloggen vielleicht auch einmal wertige Arbeit.

Damit wünsche ich all meinen fleißigen Leserinnen und Lesern wunderschöne, erholsame, sonnige Ostertage! Und falls noch jemand das ultimative Geschenk per Osterhase sucht, empfehle ich den Damen dies hier und den Herren das da (erste Rezension lesen!)

update: 
Nicht von der Technik und den Zahlen abschrecken lassen, Frank Koebsch hat in seinem Blog eine erste Bilanz von der Startphase seiner Blogparade in der Bildenden Kunst gezogen. Man kann daran ganz gut sehen, wie es funktionieren kann, auf ein Blog aufmerksam zu machen.

Sehr lesenswert ist außerdem diese Zusammenfassung, was eine Blogparade ist, wie sie funktioniert und was man beachten sollte. (Anmerkung zum trackback / pingback im Artikel: Funktioniert leider nicht zwischen Blogger und Wordpress, habe auch noch nicht herausgefunden, wie sich dieses Problem austricksen lässt.)

19. April 2011

Unheilbar: Abgabewahn

Ich pro-kras-ti-niere. Während ich auf die Mail aus der Technik warte, verschiebe ich so anregende Arbeiten wie das Ersetzen von deutschen Anführungszeichen durch französische - vielleicht muss ich es ja doch nicht tun. Und solange nicht das letzte i-Tüpfelchen stimmt, werde ich meine Datei nicht in ein pdf umwandeln. Noch ist mein Buch also nicht so ganz fertig. Noch ist dieser Schlussstrich nicht gesetzt, nach dem man ein neues Leben anfangen könnte. Oder wenigstens Fenster putzen.

Ganz ehrlich: Ein Scheidungsurteil fühlt sich schöner an. Das ist ein echter Schlussstrich, den man wenigstens feiern kann. Die Abgabe eines Buchs, wohin auch immer, stößt Autorensensibelchen dagegen in einen existenziellen Abgrund. Ich habe plötzlich Heißhunger auf Malossolgurken, renne sinnlos in der Wohnung herum, zupfe ein wenig Unkraut, will in den nächsten Zug nach Warschau steigen, gieße ein wenig Unkraut, renne sinnlos im Garten herum, habe keine Lust, die Mülltonne von der Straße zu holen, renne sinnlos auf der Straße herum und bin mir einfach zu viel, weil plötzlich alles zu wenig ist. Abgabe-Blues heißt die Krankheit in der Fachsprache und die wenigsten Psychotherapeuten sehen sich imstande, einen davon zu heilen. Wie auch, die Künstlersozialkasse zahlt das bestimmt nicht.

Normalerweise putze ich nach getanem Buchwerk Fenster. Ich habe genügend, dass es ablenkt, und Fenster wollen in regelmäßigen Abständen geputzt werden. Wie lange schreibe ich an diesem Buch schon? Zwei Jahre, drei? Irgendwie muss ich zwischendurch aus Versehen zum Putzlappen gegriffen haben. Also nix mit Therapie à la "neuer Durchblick, neues Leben". Wenigstens muss ich meine Ballets Russes noch nicht gehen lassen, wie das bei Verlagsarbeiten sonst der Fall ist. Ich werde die Jungs ja noch tüchtig und fleißig unters Volk bringen müssen. Und wenn ich traurig über den Fast-Abschied mit dem Hund über die Wiesen laufe, duften die nach Zubrówka-Wodka, wie zum Teufel soll einem da leicht ums Gemüt werden?

Vielleicht sollte ich wieder wieder wieder Schostakowitsch hören. Dabei herumlaufen, als würde ich nicht zu mir gehören. Ich habe das Leben verlernt. Ich habe endgültig dieses Leben verlernt, da so viele Menschen um mich herum beherrschen: Dazusitzen, ohne zu denken. Herumzulaufen, ohne Geschichten zu erfinden. Unkraut zu zupfen, ohne dass man irgendwelche Szenen vor sich sieht. Fenster zu putzen, ohne dass eine Buchfigur ans selbige klopft und Einlass begehrt.

Vielleicht stehe ich deshalb so sehr neben mir: Ohne Buch im Kopf bin ich diese Person nicht gewohnt. Die grenzenlose Freiheit, sich jetzt alles mögliche ausdenken zu können, verlockt. Aber die Qual der Wahl fühlt sich an, als müsse man all das Unkraut an einem Tag ausreißen. Vielleicht doch lieber die Mülltonne holen? Schreiben, wie geht das noch gleich? Ob ich es noch kann, nach so viel Lektorieren, Layouten, Setzen, Datenbasteln? Ich beschließe, Freunde einzuladen, die kein Problem mit Unkraut haben und mir nicht beim Fensterputzen helfen wollen. Vielleicht fragen sie mich nach Nijinsky und dann kann ich für einen kurzen Moment so tun, als würde ich ihn immer noch mit mir herumtragen. Ich müsste dann nicht an die typische Angst denken, die manche Autoren in diesen Momenten befällt und die von der Künstlersozialkasse nicht betuddelt wird ...

Die Angst, es beim nächsten Buch nicht mehr zu können, nicht mehr so gut zu können. Die Angst, sich mit den neuen Figuren nicht anfreunden zu können. Die Angst, die nächste Figur vielleicht weniger zu lieben. Die Angst, Unkraut und Fensterputzen nie in den Griff zu kriegen. Die Angst, Tage ohne Text aushalten zu müssen. Die Angst, plötzlich aufzuwachen und sich nichts vorstellen zu können. Die Angst, dass Fantasie einrosten könnte. Die Angst, nicht mehr von einem Thema "gebissen" zu werden. Die Angst, Leidenschaft könne sich aufbrauchen. Die Angst, nicht gelesen zu werden. Die Angst, bei der nächsten Abgabe diese Angst zu spüren.

Manchmal hilft Fensterputzen gegen den ersten Anflug von Autorenblues. Manchmal hilft auch Schostakowitsch, gedonnert, gegen aufkommende Abgabepanik. Aber eigentlich macht man all das - das Putzen, Unkrautjäten, Herumlatschen und Mülltonnenschieben, Jammern und Greinen und Feiern und Reden doch nur, um einen gefährlichen Anfall zu provozieren. Nämlich den, im Schweinsgalopp zum nächsten Stift und Papier zu rennen, um irgendeinen vorwitzigen, ungefragt hereinschneienden Gedanken zu notieren. Das ist der Moment, in dem man aufatmet, weil man weiß, dass man trotz allem noch lebt.

Piraten, Ohrwürmer und ein Messias

Allüberall schlägt die Sonne in den Hirnen zu, die Lektüre wird eindeutig kurzweiliger - und das in Zeiten, in denen die Kirche immer noch Tanz und andere Lustbarkeiten verbieten will. Zumindest wenn sie aus dem Vatikan kommen, sollte man solche kirchlichen Verlautbarungen jedoch kritisch lesen: Sie könnten falsch übersetzt sein. Es wird nicht unbedingt die Google-Übersetzungsmaschine der "Schuldiger" sein, aber falsche Sparsamkeit am falschen Fleck rächt sich eben und ein guter menschlicher Übersetzer denkt selbst mit, kostet aber eben auch. Wenn jetzt also der Vatikan plötzlich durchlöcherte Kondome ausdrücklich erlaubt und der Papst in der italienischen Fassung auch solche ohne Fehl und Tadel, dann ist das Lachstoff genug in einer Zeit ohne Tanzvergnügen. Stefan Troendle vom ARD-Hörfunkstudio Rom deckt die schlimmsten Übersetzungspannen auf.

Wäre Troendle beim ZDF, könnte man vermuten, dass auch er nicht echt sei. So geschehen mit dem Twitteraccount @ZDFonline, das seit zwei Jahren erfolgreich übers Programm des Senders twittert. Auch ich war schon angetan, wie nett man dort auf Zuschauer-Kritik reagiert, hatte ich doch einmal eine gewisse Art von Film als "Seniorenprogramm" bezeichnet. Normalerweise antworten Feuilleton oder Sender nicht bei Twitter - man gibt sich lieber unnahbar und unkommunikativ. Keiner hat's gemerkt, vor allem das ZDF nicht: Hinter dem Account verbargen sich zwei Schwaben, die mit dem Sender nichts zu tun hatten. Steffen Meier gratuliert dem ZDF zum PR-technischen Geniestreich, aus einer kriminellen Tat eine Arbeitsanstellung zu machen. Ich frage mich kritisch, ob das nicht zu einer neuen Masche von Jobbewerbungen anstiften könnte. Schließlich gibt es im Web genug Klientel, denen Recht und Gesetz am Hintern vorbeigehen, wenn es nur genügend hippe Typen brechen.

Werden wir mal ernst. In Moskau gibt es eine neue Ökobewegung, vielmehr die ersten zarten Triebe einer Ökobewegung überhaupt. Der Freitag beschreibt eine ökologische WG und einen 25jährigen Neureichen, der nicht nur vom Saulus zum Paulus, sondern gleich zum Messias mutierte. Kein Fleisch, kein Alkohol, keine Drogen, keine Zigaretten, keine Anzüge und keine Frauen mehr - grünes Gewissen kann verdammt anstrengend und extremistisch sein. Der Mann erinnert ein wenig an die superasketischen Jünger Tolstois, die in ihrer lebensfeindlichen Lebensretterhaltung selbst den großen Meister erschreckten. Aber wie soll man sonst ein Vorbild unter Ignoranten werden, wenn man nicht aufs Ganze geht und an die eigene Sache glaubt? Geht's auch ein wenig versöhnlicher?

Was dieser Artikel mit Medien und solchem Kram zu tun haben könnte? Nun, mir ist dabei schlicht klargeworden, woran mich die bei Twitter und im Web Zwonull wortreich umrauschte, in meinen Augen nach Durchsicht diverser Web-Berichte seltsam inhaltsleere Konferenz re:publica (herrlich polemischer Verriss) erinnerte, wo irgendwelche Leute irgendeine "digitale Gesellschaft" gegründet haben. Dabei haben wir auf dieser globalisierten Welt noch so viel Gesellschaft, die nicht einmal am Web 1.0 teilhat! Egal. Sollen sie spielen, sollen sie gute Ideen haben. Aber muss es immer gleich diese Messiasrolle sein?

Mir lieber sind Leute, die mit beiden Beinen auf dem Boden stehen und das vergötterte Web Zwonull als das betrachten, was es ist: ein reines Medium, ein Handwerkszeug wie früher der Staubsauger oder die Buschtrommel. Marie-Christine Schindler schreibt im O'Reilly-Blog wie das Social Web zur Fundgrube für Recherchen gemacht werden kann und wie sich mit den unterschiedlichen Instrumenten Informationen zu Wissen machen lassen. Kenntnisreich zeigt sie, dass trotz aller Fülle, Automatisierung und schier unbegrenzten Möglichkeiten eines immer wichtiger wird: Der Mensch, der sich ganz offline und im eigenen Hirn Gedanken macht, der auswählt und kuratiert, der die Fähigkeit hat, Informationen einzuschätzen und Menschen zu beraten oder durchs Web-Dickicht zu leiten. Dass der Artikel auch hemmungslos Werbung für ihr Buch macht, nimmt man bei so viel Nachdenkenswertem gar nicht übel.

Achtung, jetzt wird's ganz ernsthaft. Viele wissen das gar nicht: Ein Text ist nicht ein Text ist nicht ein Text. Je nach Medium oder Kanal im Medium muss ich die gleiche Geschichte im Idealfall jedesmal anders erzählen. Einfach den Text eines Flyers online zu heben, macht noch lange keine gute Website. Bei Twitter formuliere ich anders als im Blog. Die Verfilmung eines literarischen Werks ist so schwierig, weil beide Medien über eine andere Sprache verfügen. Und wie ist das mit Hörbüchern? Da wird doch einfach geschriebener Text vorgelesen! Stimmt - aber nicht jedes Buch gewinnt dadurch, manchen würde man wünschen, sie würden nie vertont. Andere Bücher berauschen dagegen plötzlich im mehrstimmigen Vortrag.

Heute abend um 19:30 bringt das Deutschlandradio Kultur einen Beitrag über dieses Phänomen: Text im Ohr. Wie die Schrift im Hörbuch zur Sprache kommt. Wer wie ich das Radio nicht empfangen kann, kann sich in Ruhe das Sendemanuskript als pdf durchlesen.

Mich fasziniert das Thema besonders. Mein Nijinsky-Text ging nämlich den umgekehrten Weg: Ich konzipierte ihn direkt für das Medium Hören - ursprünglich sollte sogar Musik eingespielt werden. Anfangs war das ein völlig neues Schreiben, denn durch das Ohr nehmen wir Inhalte absolut linear auf. Wir können nicht so einfach im Satz vorausschauen oder zurückspulen. Wir "sehen" in der Reihenfolge des Erzählten. Gehörter Text muss außerdem klingen - abwechselnd mit Musik entwickelt er eine eigene Dynamik, reibt sich oder geht unter. Nun hatte ich mich auf das Experiment vor allem deshalb eingelassen, weil ich ohnehin sehr stark nach "innerem Gehör" schreibe. Rhythmen, Klangfarben, der wechselnde Atem von Texten spielen bei mir auch in der rein geschriebenen Form eine große Rolle.

Trotzdem war die Umkehrung dann wieder abenteuerlich: Wie würde sich ein ursprüngliches Hörmanuskript als gedrucktes Buch machen? Würde man die Übergänge zur Musik plötzlich wie "Werbepausen" wahrnehmen? Könnte man schriftlich die gleichen Sprünge machen wie im Hörbuch? Ich habe den Text nur leicht bearbeitet - wie gesagt, entspricht dieses Schreiben meinem eigenen Stil. Trotzdem konnte ich einiges einfügen, das beim Hören nicht funktioniert hätte. Und da waren die Endnoten nur das kleinste Problem...

Ich habe natürlich jetzt genau das angewandt, was alle hippen Leute im Web Zwonull zelebrieren: Raffiniert Information und Wissen mit gnadenloser Eigenwerbung mischen. Ich mache das natürlich nur, damit ich einen Übersetzerjob beim Vatikan bekomme oder vom ZDF entdeckt werde. Denn auch ich bin für Geld zu haben.

18. April 2011

Anmelden!

Ich habe bereits hier auf das BuchCamp hingewiesen, das vom 7. bis 8. Mai in Frankfurt stattfindet. Achtung: MORGEN ist Anmeldeschluss - nur noch 19 Plätze sind frei!!!
Wenn ich nun schaue, welche Leute da mitmachen und was an Sessionvorschlägen bisher hereingekommen ist, werde ich grün vor Neid, weil ich nicht dabeisein kann. Hier passiert genau das, wofür im Verlags und Buchhandelsalltag keine Zeit ist: Man lernt hochspannende Menschen aus der gesamten Buchbranche locker und unkompliziert kennen und beschäftigt sich auf Augenhöhe mit der Zukunft des Buchs. Aus solchen Think Tanks entstehen nicht selten Visionen, die später umgesetzt werden.
Ich kann es nur sehr empfehlen, mitzumachen. Und werde alles daransetzen, im nächsten Jahr selbst dabei zu sein! Bis dahin werde ich ein paar TeilnehmerInnen vielleicht auch schon woanders kennengelernt haben.

17. April 2011

Hoch die Tassen!

Im Kühlschrank steht ein Crémant, der an den Hängen des Berges gewachsen ist, von dem mein Erstling handelte. Und der ist jetzt fällig.

Nachdem ich heute Unmengen von Daten herumgeschoben und abgesogen habe (und mir ein lieber Kollege hier mit seinen Duft-Noten wunderbar die Zeit verkürzt hat), konnte ich vorhin jubeln. Es war eine gute Entscheidung, die Fotobearbeitung für das Nijinsky-Buch nicht mühevoll selbst zu machen, sondern einem Profi in die Hand zu geben (langsam lerne auch ich delegieren). Der Mann hat wunderbare Arbeit geleistet. Er brachte nicht nur abgerissene Fotoecken zum Verschwinden, sondern holte auch aus fast undruckbaren historischen Aufnahmen noch das Letzte heraus. Dadurch war die Auswahl nun größer und ich habe es endlich tatsächlich geschafft, dass jedes Kapitel auf einer rechten Seite beginnt, obwohl das Buch durchweg und nicht als Block illustriert ist. Ich gebe zu, ich habe ziemlich gejubelt, als ich die fertig gesetzte Fassung mit den Bildern an der richtigen Stelle vor mir hatte! So schön und passend illustriert habe ich mir das Buch nicht erträumt - und ohne die Library of Congress in Washington wäre das auch nicht möglich gewesen.

Nun ist die Sache offiziell:
Das Nijinsky-Buch wird 128 Seiten haben und als Hardcover im Format 12,5 x 20,5 (B x H) in der Edition Octopus von Monsenstein & Vannerdat erscheinen. Das Cover wird sehr blau sein ... Das Buch hat eine farbige Abbildung und 21 Schwarz-Weiß-Fotos. Es wird etwa 16 Euro kosten - die genaue Kalkulation kann ich erst machen, wenn ich die genaue Seitenzahl vor mir habe.
Den Titel kann ich noch nicht verraten, weil ich das (geldsparende) Risiko eingegangen bin, keinen Titelschutz beantragt zu haben - und der Teufel ist bekanntlich ein Eichhörnchen.

Morgen muss ich noch einige technische Fragen mit der Druckerei klären, dann muss noch ein klein wenig Feintuning gemacht werden. Anschließend wird hoffentlich perfekt das pdf der Druckversion entstehen. Kurzum - nach Ostern geht das pdf auf die Reise und nimmt dann seinen üblichen Weg. Je nach Andrang in der Herstellung und Zustand meiner Daten müsste das Buch vier bis sechs Wochen später im Handel sein. Allerdings nicht bei Thalia & Co., denn auch hier heißt es, völlig neue Wege zu gehen.

Ich verrate ein bis jetzt gehütetes Geheimnis:

Erinnert sich noch jemand, als ich völlig verzweifelt war, weil das Projekt zu scheitern drohte? Als mich bei einem gewissen Abend Russen aus Petersburg und Amerikaner aufhetzten, einfach selbst das Unmögliche zu wagen; mir Menschen zu suchen, die nicht behinderten, sondern motivierten? An diesem Abend wurde die Idee geboren, neben dem Text über Nijinsky etwas in Büchern dieser Art völlig Unübliches zu wagen - nämlich mit Fachleuten zu plaudern, die Faszinierendes zu erzählen haben.

Und weil alle so herrlich mitgefiebert haben, verrate ich jetzt auch, wer die beiden Menschen sind, die sich so großzügig und offen an Gesprächen zum Buch beteiligt haben: Der Ballettdirektor und Chefchoreograf Ralf Rossa von der Oper Halle, der selbst ein grandioses Nijinsky-Ballett inszeniert hat (Video) - und der Kurator Dr. Michael Braunsteiner vom Museum für Gegenwartskunst im Stift Admont, der Teile der weltberühmten Prinzhorn-Sammlung nach Österreich gebracht hatte.

Die Sammlung Prinzhorn in Heidelberg feiert übrigens von Mai bis August mit der Sonderausstellung "Von Kirchner bis heute" ihr zehnjähriges Bestehen als Museum und den 125. Geburtstag Prinzhorns, der sich mit seinem Buch "Die Bildnerei der Geisteskranken" einen Namen machte und in Verbindung mit Nijinskys erster Klinik stand. Ich erinnere: Von Nijinsky gibt es einen größeren Fundus an Zeichnungen, der zuletzt in der Hamburger Kunsthalle zu sehen war.

An dieser Stelle möchte ich noch einmal ganz herzlich der wunderbaren Presseabteilung der Oper Halle danken, die nicht nur vorbildliche Arbeit leistet, sondern auch alte Journalistenhasen noch mit ihrer Schnelligkeit und Hilfsbereitschaft überraschen kann. Übrigens kamen beide Kontakte via Social Media zustande.

update:
Für die armen, von der GEMA gebeutelten youtube-Zuschauer aus Deutschland habe ich das Video des Nijinsky-Balletts gegen die Vimeo-Fassung ausgetauscht - damit dürfte es keine Sperrungen mehr geben.

16. April 2011

Der Duft der Bücher

Es dürfte ja inzwischen hinlänglich bekannt sein, dass Bücher im Verkauf auch deshalb vermehrt als reine Ware wie Shampoo oder eingelegter Hering behandelt werden, weil immer mehr "Buchhändler" gar nicht mehr ausschließlich mit Büchern handeln. Amazon ist das Paradebeispiel für einen Gemischtwarenladen - es gibt dort inzwischen sogar eine Kfz-Abteilung. Und wer sich für "Witze unter der Gürtellinie" interessierte, kaufte auch die "Klobürste Sissi" oder Kondome mit Nana-Minze-Geschmack. Bei Thalia gibt man sich etwas gediegener - das Hauptgeschäft bringt Parfums, Cremes und Kosmetik unters Frauenvolk.

Irgendwie haben wir gerade bei Twitter herumgewitzelt, wie verkaufsfördernd darum ein Duft zum Buch sein könnte. @PeterHellinger kreierte gleich "Kiss of the Vampire" passend zum Trend. Wenn es nur nicht so verdammt teuer wäre, ein Parfum zu lancieren und dann auch noch bei Douglas in den Regalen zu platzieren - das Geld steckt man dann doch lieber in den Buchvertrieb.

Manche Leute hätten ja das Geld. Und den richtigen Namen. Zuerst hielt ich es für einen gelungenen Aprilscherz, aber gestern war nicht der erste April. Karl Lagerfeld himself möchte nämlich ein Buchparfum kreieren! Er hat sich eigens dafür mit dem Verleger Gerhard Steidl zusammengetan. Das ist der Mensch, dessen atemberaubenden Kunst- und Fotobände einem beim Auspacken im schönsten Sinne des Wortes den Atem nehmen - sie riechen so wunderbar nach wertvollen Papieren, hochwertigen Lacken und leckeren Farben. Nicht gemeldet wurde allerdings, ob sich Frauen künftig den "fettigen Duft" mit linolhaltigen Nuancen hinters Ohr oder doch lieber auf den E-Reader tupfen werden.

Für mich als Synästhesistin haben Bücher tatsächlich einen Duft - völlig unabhängig davon, ob Papier und Druckfarben riechen. Mein Roman "Stechapfel und Belladonna" duftet für mich in der Herznote ganz stark nach goldgelben Freesien, in der Kopfnote nach frisch gemähten Butterblumen, und er hat als Basis eine Mischung aus Moosen und etwas Moschus. Nur deshalb konnte ich mich mit dem maigrünen Cover anfreunden, denn nichts ist schlimmer, als wenn das Cover anders riecht als das Buch.

Duften wird auch der Nijinsky. Das kommt allerdings nicht von ungefähr, denn eine Reise in die Zeit der Ballets Russes ist auch eine Reise zu den Nobelkreationen Pariser Parfumeure. Damals war man so verrückt nach dem Erlebnis "Gesamtkunstwerk", dass zu den berühmtesten Balletten gleich die passenden Düfte lanciert wurden. Als mir mein Artikel dazu jetzt wieder in die Hände fiel, fiel es auch gleichsam wie Schuppen von meinen Augen: L'Heure Bleue (Die blaue Stunde) von Guerlain, kreiert, als Nijinsky 1912 den "Blauen Gott" getanzt hatte, ist das Parfum, dem ich in einer gewissen Ladenkette vergeblich nachgespürt habe. Dort setzt man bekanntlich eher auf Modetrends und Stapelware.

Ich musste lachen: Autorin mit Nischenbuch sucht verzweifelt Nischenparfum. Buch und Parfum sind blau und das ist die Lieblingsfarbe der Autorin. Der Duft muss einfach her! Natürlich werde ich so mein Buch auch nicht bei Thalia platzieren können. Will ich aber gar nicht, das wird exklusiver verkauft werden.
Aber der passende Duft zum Buch*, wenn das kein Anstoß ist für komische Ideen! Monsieur Lagerfeld kommt mir da mit seiner Buchbastelei gerade recht zur Inspiration.

* Natürlich duftet auch dieser Artikel. Vielmehr die Autorin. Schicksalsjahr Nijinskys, Kriegsende-Parfum, 1919 für die Ballets Russes kreiert und dank der alten Parfumeurskunst ein Duft, der auf keiner Haut, an keinem Tag gleich riecht.

14. April 2011

So müssen Tage sein

I proudly present: Mit meinem "Haifischbecken" habe ich es wieder einmal ins Buchreport-Blog geschafft. Ich bilde mir ja oft ein, recht viel über Leserschaften zu wissen und darüber, wie Artikel Aufmerksamkeit erregen, muss aber gestehen, dass ich allzu oft völlig betriebsblind bin. Bei diesem Beitrag war ich mir nicht einmal sicher, ob ich ihn überhaupt schreiben soll, allzu bekannt kam mir das alles vor ... Aber man sollte eben nicht von sich selbst auf andere schließen. Manche Artikel entwickeln durch Social Media ein interessantes Eigenleben und schlagen dann auf die Autorin gnadenlos zurück.

Die denkt hier nämlich manchmal nur laut, weil laut Gedachtes Konsequenz erfordert. Ein alter Trick, den eigenen inneren Schweinehund zu überlisten und mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen über das, was einen selbst so umtreibt. Natürlich stelle ich mir ständig die Frage, wie es für mich als Autorin weiter geht. Ein "Abfallprodukt" meiner Blogthematiken ist die Idee für ein brotberufliches Projekt, das zwar in Büchern münden soll, aber nicht die ganz große Kür sein wird. So eine manisch Schreibende braucht schließlich auch ein ganz eigenes Literaturventil. Ich müsste mir bald eine neue Literaturagentur suchen, weil die meine leider ihre Pforten geschlossen hat. Ich müsste mal wieder Exposés verlagsfein frisieren und mir Gedanken machen, was heutzutage an den Verlag zu bringen wäre. Und schon hätte ich wieder den Kopf verstopft, bevor das Projekt überhaupt geboren wäre.

Bei all dieser Bloggerei der letzten Monate ist mir aufgegangen, dass das narrative Sachbuch - auf einem Niveau wie im "Nijinsky" - meine ganz große Leidenschaft ist. Nicht weniger Leidenschaft wie die Recherche abstrus und viel zu komplex erscheinender Themen (wie den Ballets Russes), für die man Menschen begeistern kann, die nicht einmal ahnten, dass sie solche Themen interessieren könnten. So ein Thema liegt in meiner Schublade, ist mit der Arbeit an den Ballets Russes eher gewachsen und scheint mir heute eines der brennendsten, heißesten Themen überhaupt zu sein. Nur ist mein Ansatz, es zu betrachten, so schräg und verrückt, dass es mit den meisten Programmen gar nicht kompatibel wäre. Als ich meinem Agent davon erzählte, riet der mir sofort zum Selbermachen. Ich würde mir bei Bewerbungen nur Beulen holen, weil solche Ideen im Verlagsalltag nicht vorgesehen seien. Damals fand ich es verrückt, von einer Agentur so einen Rat zu hören. Ich legte die Idee in die Schublade.

Jetzt, nach all der Bloggerei, habe ich große Lust, das Projekt völlig frei nach meinem Gusto zu entwickeln - und so sollte Kunst ja eigentlich entstehen. Es würde ein Buch werden, an dem ich nicht nur im stillen Kämmerlein sitzen würde. Ein Buch, vernetzt mit Social Media, ein Thema zum Mitmachen. Leider ein Projekt, das Kosten verursachen würde - es lebt nur mit ausreichend Bebilderung. Warum aber, denke ich jetzt, nicht auf Crowdfunding zurückgreifen, wenn man ohnehin andere Menschen einbindet? Wenn es dann steht, könnte ich mir einen Spaß machen: Mich ganz ordentlich und brav bei Literaturagenturen und / oder Verlagen bewerben. Ohne diese Schere im Kopf von Anfang an! Würden die absagen oder wie mittlerweile üblich über ein Jahr lang zögern, wäre das Buch dann schon gedruckt. Schöne neue Welt. Wenn ich allein an die Möglichkeiten denke, an was für spannende und wichtige Leute ich in Sachen Recherche per Internet herankomme, juckt es mir in den Fingern. Ich fürchte, es ist so weit: Kaum ist das eine Buch in der Druckerei, nimmt das nächste Formen an!

Ein bißchen an diesen Überlegungen "schuld" ist auch der Verleger und Hersteller Johannes Monse von Monsenstein & Vannerdat, wo mein Nijinsky-Buch erscheinen wird (in der Edition Octopus). Ich führte heute mit ihm ein äußerst sympathisches Telefonat über Buchvertrieb, Buchhandel, Barsortimente, Amazon, alternative Verkaufswege und vor allem die besonderen Herausforderungen von "Nische" im Gegensatz zu Mainstream.

Beim Sachbuch ist das eins der wichtigsten Themen der Zukunft überhaupt. Wir sehen es an den Bestsellerlisten: Mainstream bedeutet beim Autor Promifaktor und beim Thema Aufsehenerregendes mit Millionenseller-Qualität. Wo und wie aber landen Verlage künftig Nischenthemen, literarische Sachbücher und Bücher, deren Publikum direkt angesprochen werden will? Irgendwie scheint die Zeit reif zu sein für ein Ideenheft, das derzeit den Arbeitstitel "BLAU" trägt. Als ich im Blog den Tag "Grenzgängerei" kreierte, ahnte ich nicht, dass mich dieses Lebens(?)thema auch bei den Büchern nicht loslassen würde.

Jetzt ist harte Disziplin angesagt. Noch quäle ich mich mit der Technik (als nächstes kommt mir InDesign ins Haus). Und ich staune, wie oft man ein längst perfekt lektoriertes Buch noch korrigieren kann, bis auch der letzte Tippfehler, der letzte doppelte Zwischenraum verschwunden ist (und in der gedruckten Version wird es trotzdem Fehler geben, wie in allen Büchern). Wenn alles gut geht (toitoitoi und dreimal hinter die Schulter gespuckt), soll der Nijinsky nach Ostern in die Druckerei. Ich bin so aufgeregt wie schon lange nicht mehr!

13. April 2011

Zeit der Übergänge

Es ist manchmal faszinierend, wie Themen überall gleichzeitig in der Luft liegen. Wenn ich Sujets wie das heutige bearbeite, werde ich ja manchmal hinter den Kulissen selbst von Kollegen ungläubig angeschaut. "Du stilisierst Randerscheinungen hoch!" - "Ach was, im Großen und Ganzen ändert sich doch nichts für uns Autoren, nur weil ein paar Firmen sich umstrukturieren." - "Ohne Verlag wirst du nichts und ohne Agent kommst du nicht zum Verlag." - "Diese Umwälzung wollen doch nur Leute herbeireden, die woanders gescheitert sind." Das sind so ungefähr die Kommentare, die ich hier selten lese, aber im echten Leben öfter höre. Im Moment gebe ich gern süffisant den Rat, in den Branchenblättern mitzuverfolgen, was derzeit im Börsenverein abgeht. Man möge weiterträumen, auch der Buchhandel wird bald nicht mehr der sein, den wir kennen, wenn es so weitergeht...

Es gibt aber auch handfeste Beweise dafür, dass wir massiv im Umbruch stecken und dass das Autoren und ihre Arbeitsweise sehr wohl betrifft. Besonders schön kann man Veränderungen erkennen, wenn man in die Vergangenheit schaut. Der Washington Post Journalist und Verleger Peter Osnos hat jetzt im Atlantic eine Serie gestartet, um die Veränderungen in der Buchbranche von 1984 bis heute zu betrachten: "How Book Publishing Has Changed Since 1984". Soll keiner mehr erzählen, er sei nicht gewarnt worden.

Ein Haifischbecken für alle?

Die Branche brodelt

Manchmal macht es richtig Spaß, zufällig ein neues Blog zu entdecken, das man sofort abonniert: Weil es gut und hochinformativ geschrieben ist und zum Nachdenken bringt. The Book Deal Blog ist so eins - sein Autor Alan Rinzler kein unbeschriebenes Blatt: Der heutige Cheflektor arbeitete für Verlage wie Schuster & Schuster oder Bantam Books und brachte Autoren wie Toni Morrison oder Tom Robbins heraus. Sein Blog richtet sich an Autoren und andere Buchmenschen, die sich für die "seltsamen" Wege interessieren, auf denen Bücher veröffentlicht werden, und gibt wertvolle Tipps, wie man einem Manuskript auf die Welt verhelfen kann. Spannend ist dabei, dass er die großen Umwälzungen in der Branche und alternative Wege genau beobachtet und öfter Co-Autoren einlädt, die auch nicht von Pappe sind.

Eine Perle solcher Differenzierungskunst ist sein letzter Beitrag: Advice for Amanda Hocking from Authors and Agents - ein Beitrag, den man mitsamt den Kommentaren genau lesen sollte. Auch wenn man sich überhaupt nicht für Amanda Hocking interessiert.

Tellerwäschermärchen - wer hat recht?

Wir erinnern uns: Amanda Hocking ist die junge Amerikanerin, die im Eigenbau und per Kindle-E-Books mit Vampirromanen zur Millionärin wurde und sich nun für einen Vier-Buch-Vertrag vom renommierten Verlagshaus St. Martin's Press hat kaufen lassen, wofür sie 2 Millionen Dollar kassierte. Und sie war schlau: Sie hat nämlich darauf bestanden, neben den vertraglich festgelegten Büchern weitere im Selbstverlag zu schreiben und ihre gesamten E-Rechte zu behalten. Ihr Grund, zu einem Verlag zu gehen, lag auf der Hand. Sie erhofft sich neue Käuferschichten jenseits der E-Book-Szene, eine perfekte Werbe- und Lektoratsmaschinerie, das "Qualitätslabel" Verlag und vor allem endlich jede Menge Zeit zum Schreiben. In den USA hat das zu großen Diskussionen geführt, weil einige Millionenseller genau den anderen Weg gehen: Joe Konrath, Barry Eisler und Bob Mayer etwa stiegen bei ihren Verlagen aus (ich berichtete mehrfach im Blog) - und auch ihre Argumente können sich sehen lassen.

Warum ist Alan Rinzlers Beitrag nun so lesenswert? Hier sagen etablierte und Indieautoren ihre Meinung, Agenten und Menschen aus der Buchbranche. Ergebnis ist eine Welt, die sich nicht in Schwarz und Weiß teilen lässt, in der Entscheidungen über die Art des Verlegens auch vom Typ des Schreibenden abhängig sind, in der man auf beiden Seiten scheitern oder berühmt werden kann. Vor allem aber räumt die differenzierte Abbildung unterschiedlicher Meinungen auf mit Buchbranchenmythen.

Autoren- und Verlagsmythen

Kann man mit einem Verlag wirklich die Hände in den Schoß legen und endlich nur noch schreiben? Bestsellerautor Garth Stein sagt, mit einem Verlag fange die Arbeit erst richtig an - Amanda Hocking wird womöglich noch härter als bisher schuften müssen. Denn eine Werbebteilung im Verlag entbinde den Autor nicht von zunehmend größeren Eigenmarketing-Verpflichtungen. Tom Robbins ist froh, heutzutage nicht mehr als Newbie anfangen zu müssen, denn der Markt ist für neue und  unbekanntere Autoren erschreckend viel härter geworden. Kritische Stimmen fragen sich, ob sich der Verlag mit dem Millionendeal nicht überhoben hat - er wird seine Bücher nicht zu Ausverkaufspreisen à la Hocking anbieten können. Werden da wirklich so viele neue Fans im Print nachwachsen? Lesen! Die Meinungen sind so vielfältig, dass man ein gutes Bild über den modernen Verlagsbetrieb bekommt.

Spitzentitel oder Altpapiertapete?

Und der unterscheidet sich in vielen Punkten im deutschsprachigen Raum gar nicht mehr so sehr vom US-Markt. Konzernverlage (Betonung auf Konzern, es gibt auch andere) selektieren ihre Autoren nach genau den gleichen Maßstäben: Gekauft werden weniger Geschichten, sondern vermarktbare Persönlichkeiten; Autoren, die entweder schon einen Rattenschwanz an Fans mitbringen oder bereit sind, zur Personality-Show zu werden. Gekauft wird immer weniger Midlist, sondern entweder Trendmaterial, das sich mit wenig Aufwand zum Spitzentitel machen lässt - oder sogenannte "Altpapiertapete". So nennt man in Insiderkreisen die Bücher von einem Heer von austauschbaren, unbekannten einheimischen Beta-Autoren, die man braucht, um die Trendtitel zu unterfüttern; um zu zeigen, dass der Verlag ein riesiges Programm hat. Das sind die Bücher, die am schnellsten im Ramsch landen, weil sich Programmbedürfnisse alle halbe Jahre ändern. Es ist ein Haifischbecken - und dafür muss man gemacht sein. Schreiben allein reicht schon lange nicht mehr.

Nachwehen des Outsourcings

Hat man es dann geschafft, hat man keinesfalls alles vom Hals, was ein Selbstverleger allein oder mit Hilfen leisten muss. Wohl dem, der auf Anhieb eine vernünftige Lektorin zugeteilt bekommt. In meinem Kollegenkreis nehmen die Klagen in den letzten drei Jahren massiv zu: Viel zu oft wechselt auch bei Hausautoren die Lektorin, Newbies geraten an Anfänger und Praktikanten, die outgesourcten Kräfte arbeiten teilweise frustriert unter einem enormen Leistungsnachweis-Druck, den sie an die Autoren weitergeben. Wenn nämlich ein Manuskript heutzutage rot gesprenkelt aussieht, als sei ein Huhn darüber gelaufen, liegt das nicht mehr zwingend an einem schlechten Text. Freie Lektoren müssen in manchen Verlagen für ihre Existenzberechtigung Textbearbeitung nachweisen. Weil aber Autoren immer druckfertiger schreiben können müssen, wird dann eben einfach etwas hineinkorrigiert. "Lehnen Sie die Korrekturen ruhig ab", bekommt man dann manchmal gesagt, "ich muss sie einfach vorzeigen." So braucht es einen kaum zu wundern, wenn auch in Deutschland bekannte Autoren ihren Leib- und Magen-Lektoren bei deren Jobwechsel in andere Verlage folgen oder vertraglich darauf bestehen, ihre eigene Lektorin mitbringen zu können. Amanda Hocking jedenfalls hätte sich mit ihren Millionen längst eine eigene Spitzenlektorin leisten können!

Und wenn man dann alles selbst macht, weil man sowieso so viel selbst machen muss? Der Markt der Selbermacher befindet sich in einer gigantischen Wachstumsphase. Sogar etablierte Verlage investieren kräftig in den Dienstleistungsmarkt (z.B. neobooks, epubli). Wer jedoch glaubt, wie im Hocking-Märchen schnell auf eigene Kappe berühmt werden zu können, der irrt. Wer glaubt, es genüge, sich von Vorgaben der Verlagswelt zu befreien, um ganz groß rauszukommen, der träumt. In einem Massenmarkt, in dem es keinerlei etablierte Qualitätskriterien mehr gibt, nur noch Lesermeinungen und Leserverhalten, ist das Haifischbecken nicht dünner besiedelt - im Gegenteil. Einzelne Autoren sind zunächst kleine unbekannte Nümmerchen. In einer Welt, in der jeder schreiben will, wachsen für jeden gestrauchelten Autor hundert andere nach.

Ein einziges Haifischbecken für zu viele Autoren?

Das ist das interessante an Alan Rinzlers Beitrag - er zeigt, wie sich im anglo-amerikanischen Markt derzeit die Verlagswelt und die Selbstverlegerwelt immer stärker überschneiden, teilweise sogar annähern. Es gibt kein klares Entweder - Oder mehr für Autoren. Es gibt nur noch drei wichtige Fragen: Was will ich schreiben, was will ich erreichen und auf welchem Weg bringe ich mein Werk am nachhaltigsten an die Leser? Harte Maloche und ein Leben fast ohne Freizeit verlangen beide Wege. Hartnäckigkeit, Durchhaltevermögen, Disziplin, einen starken Charakter und eine gewisse Unempfindlichkeit brauchen verlegte wie selbstverlegende Autoren - ganz abgesehen vom Können und vom Talent. Illusionen und falsche Vorstellungen sind auf beiden Seiten tödlich. Es gibt längst kein "besser" oder "schlechter" mehr - die Verlagswelt scheint sich zu einer Welt der Großfabriken und der individuellen Wege zu entwickeln. Gehätschelt wird kaum noch, entwickelt immer weniger, aufgebaut nur in Ausnahmefällen. Selbst ist der Autor - auch im Verlag.

Ich persönlich glaube, dass sich die Autorenschaft in Zukunft ähnlich teilen wird, wie man das im Berufsleben mit Angestellten und Freiberuflern oder Unternehmern hat. Die einen brauchen ein Mindestmaß an festen Strukturen und jemanden, der einem sagt, was man zu tun hat, wo es lang geht. Sie brauchen die vermeintliche Sicherheit (Arbeitslosigkeit kann man ja ausblenden). Die anderen werden sich eher als Ein-Mensch-Unternehmung wohlfühlen, werden Freude an vielfältigen und wechselnden Aufgaben haben, Freude am Umgang mit Menschen. Die Mutigen, die mit der inneren Risikobereitschaft und dem Überblick über das Ganze sind für einen Ausstieg eher gemacht als Nur-Schreiber. Mutig müssen sie sein, denn noch gibt es außer bei Crowdfunding wenig Konzepte, um die eigene Buchproduktion fremdzufinanzieren. Ein Verlag zahlt im Idealfall eine Garantiesumme als Vorschuss und finanziert alles rund ums Buch.

Egal, welchen Weg sie einschlagen - beide Sorten von Schriftstellern schwimmen in genau dem gleichen Pool: Er ist überfüllt von Büchern, umringt von zunehmend übersättigten Lesern. In diesem Pool herrscht derzeit extrem hoher Wellengang und keiner weiß, ob und wann neue Medien und neue Techniken zum Tsunami werden. Nur eines ist gewiss: In diesem Pool begegnet man eher dem weißen Hai als der Zauberfee mit dem Millionendeal. Nach dem großen "Ich schreibe auch ein Buch"-Hype wird womöglich das große Autorensterben kommen?