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31. Januar 2011

Der Hang zum Holz

Bei Twitter werden unter dem Hashtag #schoenesWort immer noch schöne Wörter gesammelt, die sich irgendwie durch Assoziationsreichtum oder Klang auszeichnen. Eine erste Liste für das Geheimprojekt, das wohl Ende Februar ans Netz gehen soll, gibt es nun hier. Spannend, wenn man die zufälligen Eingebungen der Mitmacher einmal genau anschaut. Werden am Ende die gefühligen Wörter aus der Himmel-Harmonie-Liebe-Schmalz-Ecke überhand nehmen? Oder kann man auch Wörter lieben wie Onomatopoesie, Konzeptidee, Erfolg oder Toilettenspülbetätigungsplatten?

Mir fällt noch etwas anderes auf: Werden bunt durch die Menge Menschen gefragt, welche Wörter sie gerade besonders schön finden, so machen eindeutig die Substantive das Rennen. Verlierer sind (bisher) seltsamerweise die Verben. Haben wir engere emotionale Beziehungen zu Substantiven?

Natürlich muss ich als Textarbeiterin sofort an meinen Volontärsunterricht von früher denken. Die ersten Artikel, die wir damals schrieben, strotzten nur so von Substantiven. Und wenn etwas einmal emotional die Leser berühren sollte, quetschten wir auch noch fleißig Adjektive dazu. Das machen übrigens nicht nur journalistische Anfänger so, diesen Umgang mit Sprache findet man in nahezu allen Anfängertexten. Wir haben in der Schule meist nichts anderes gelernt. Frei nach Wolf Schneider gingen unsere Lehrer allerdings sofort auf die Barrikaden. Zuerst wurde uns Hemingway als Beispiel um die Ohren geknallt und die Adjektivitis zur Krankheit erklärt. Obwohl wir später lernten, dass es auch Plätze für ein gutes Adjektiv gibt und Texte, in denen sie sogar erwünscht sind, war diese Radikalmethode hilfreich. Denn Adjektive sind oft Krücken, wenn wir sonst im Satz versagen, ein Bild zu malen. Und in den meisten Fällen sind sie tatsächlich überflüssig.

Da war aber noch ein Rat, den wir zu beherzigen hatten: Gute Verben machen eine Sprache lebendig. Das Deutsche hat tatsächlich den Drang, alles zu substantivieren - wahre Ungetüme finden wir in der Bürokraten- und Politikersprache. Formulardeutsch jagt uns nicht umsonst einen unguten Schauer über den Rücken: Hier ist die Sprache statisch geworden, leblos, fremd - kaum noch ein Verb, das wirklich leben darf. Wir lernten damals, Substantive in einem Satz seien wie Pflöcke, die man zur Orientierung einschlägt - aber da bewegt sich nichts, da atmet nichts. Solche Sätze sind Holz.

Es ist gar nicht so einfach, beim eigenen Schreiben einmal auf die Lebendigkeit der Verben zu achten und zu prüfen, wie viel "Bild" sich in unserem Text aus echten Handlungen ergibt:
Er war an diesem Tag Bergsteiger.
Er machte sich ans Besteigen des Berges.
Er unternahm den Aufstieg.
Er kraxelte zum Grat.
Er mühte sich den Ziegenpfad hinauf.
Er hüpfte den Ziegenpfad hinauf.
Er schwitzte über dem Felsvorsprung.

Es ist gar nicht so einfach, die eigenen Texte immer wieder selbstkritisch unter die Lupe zu nehmen, um zu prüfen, ob man wirklich das treffende Wort gefunden hat, ob man nicht zu viel "Holz" schlägt und zu wenige Bilder, Sinneseindrücke und Handlungen vermittelt. Aber je öfter man das macht, auch bei scheinbar unwichtigen Sätzen, desto eher geht es in Fleisch und Blut über.

Auch beim Übersetzen lässt sich das Sprachgefühl bestens schärfen. Übersetzer tauschen gern untereinander Sprachgags aus, die leider nur bei Kenntnis beider Sprachen wirklich zu verstehen sind. Aber einen dieser Texte, den mir eine französische Kollegin schickte, möchte ich sehr frei aus dem Französischen übersetzen (leider geht der Witz außerhalb der Dialoge verloren), weil er zeigt, wohin man mit deutscher Substantivitis kommen kann:

Eine französische Lehrperson will ihre Schüler überzeugen, dass Deutsch eine absolut einfache Sprache sei. Man könne damit nämlich in völlig logischen Reihungen Sätze konstruieren. Der Franzose präsentiert zum Beweis ein deutsches Buch über die Gebräuche der Hottentotten. Beutelratten werden darin in Koffer gesteckt, die mit Lattengitter versehen sind. Der Lehrer erklärt, man nenne das folglich Lattengitterkoffer - und in gefülltem Zustand Beutelrattenlattengitterkoffer.

Eines Tages nehmen die Hottentotten einen Attentäter fest, der eine Mutter, also eine Hottentottenmutter, umgebracht haben soll. Deren Sohn ist ein Stottertrottel. Daraus bilden wir mit Leichtigkeit die Substantive Hottentottenstottertrottelmutter. Und der Mörder ist ein Hottentottenstottertrottelmutterattentäter. Die Polizeit steckt ihn in einen Beutelrattenlattengitterkoffer, doch der Täter entkommt. Es entspinnt sich folgender Dialog:

- Ich habe einen Attentäter gefangen genommen.
- Was, wen?
-  Den Beutelrattenlattengitterkofferattentäter.
- Was, ihr habt ihn in den Käfig für diese Tiere gesteckt?
- Ja, weil es doch der Hottentottenstottertrottelmutterattentäter ist!
- Du Trottel, warum hast du nicht gleich gesagt, dass du ihn hast, diesen Hottentottenstottertrottelmutterbeutelrattenlattengitterkofferattentäter!

Unsere Substantivitis "vereinfacht" die Sprache also derart, dass sie auch in anderen Sprachen fühlbar ist. Die Franzosen haben es da sehr viel schwerer als wir, weil sie alles in Einzelteilen ausdrücken müssen. Im Französischen ist der Käfig mit einem Gitter versehen und die Ermordete bekommt gleich eine Doppelfunktion: als Mutter eines Trottels und Stotterers. Was wir in einem einzigen Riesenwort ausspucken können, müssen sie mühsam mit "de"-Gestotter und Genitivreihungen erzeugen.
Und weil das auch im Französischen absolut nicht klingt, wird schnell klar: Zu viele Substantive tönen nicht nur wie Holz, sie machen aus einem einfachen Satz auch einen Urwald - bilderfern und undurchdringlich.
Vielleicht fällt ja den Schöneworttwittersammelsucheragentenköpfen auch noch das ein oder andere schöne Verb ein?

Update: Es ist nun amtlich, bei #schoenesWort liegen die Sentimentalen vorn.

30. Januar 2011

Furchtbare Vereinfacher

Manchmal kommt ein Text genau zur richtigen Zeit. Manchmal trifft solch ein Text deshalb ins Mark und lässt das eigene Denken nicht mehr los. Zunehmend finde ich solche Texte nicht mehr in Printmedien oder Büchern, sondern in der großen Form des Radio-Features, das sich einige Sender zum Glück noch leisten.

Eben habe ich leider nur noch den Rest eines solchen gehört und kann es allein von dieser halben Stunde her nur ganz heiß empfehlen. Denn es betrifft so viele Themen, die mich auch in diesem Blog immer wieder umtreiben - wie viele Kreative und Künstler.

"Furchtbare Vereinfacher. Ein Adorno Western in 3 Teilen" heißt das brillante Feature von Holger Noltze, das vom SWR 2 ausgestrahlt wurde. Am Beispiel von Musik - von Beethoven bis DJ Bobo - stellt dieses Feature unbequeme Fragen, wie sich unsere ästhetische Wahrnehmung von Kunst und Kultur verändert hat und wie sich beides dem Konsumverhalten in der Waren- und Leistungswelt angleicht. Es geht auch um die inzwischen drängende Problematik, ob das Publikum tatsächlich so anspruchslos und dumm sein will, wie es zunehmend verkauft wird, ob man das beeinflussen kann - und was Kunst eigentlich noch ausmacht, wo Kunst ihren Raum finden wird.

Ein Zitat aus dem dritten Teil, wo es darum geht, ob man in Zukunft die Kunst anbieten sollte, die eine Masse von Menschen verlangt oder mit Kunst Menschen auch fordern darf:
Die hier angestellten Überlegungen zu anderen Ansätzen der Vermittlung gehen von der Vorstellung aus, dass es zur menschlichen Grunddisposition gehört, zwei Bedürfnisse zugleich zu spüren, die sich im Grunde widersprechen: das Bedürfnis nach Ruhe, Bequemlichkeit, Ersparung von Aufwand und Anstrengung,  den Weg des geringsten Widerstands zu suchen. 
[...] Es gibt aber auch den anderen Impuls, die Freude an der Bewegung, Aufregung, Sichverausgaben, Erreichung eines Ziels, Erfahrung von „Selbstwirksamkeit“. Wir haben alle beides.
Der Autor folgert daraufhin für das Wesen von Kunst:
Im Kunstwerk ist eine spezifische menschliche Erfahrung als Keimzelle enthalten, eingeschrieben, die einer aufgeweckten Wahrnehmung lesbar werden kann als ästhetische Erfahrung, die zugleich ein Akt genussvoller Perzeption ist.  
Doch genau dieser Genuss sei mit Arbeit und Anstrengung verbunden - seitens des Künstlers und seitens des Betrachters / Zuhörers / Lesers. Wie man an dieser Passage sieht, eignet sich das Feature aus der Musikwelt nicht nur für Musiker. So viele Erkenntnisse sind auf andere Künste übertragbar.

Die dreiteilige Sendung ist leider schon gelaufen. SWR 2 bietet jedoch einen Mitschnittservice und noch besser - die Manuskripte der Sendung. Ich sage es gleich: Die Texte sind kein lockerer Zeitvertreib zwischen Twittern und Telefonieren, pro Sendung gibt es außerdem über 20 Manuskriptseiten. Aber ich lege das Manuskript all denen ganz dringend ans Herz, die sich ebenfalls mit diesen Fragen plagen, die zu "Spezialisten des Andersdenkens" werden wollen, wie es bei Holger Noltze heißt - und die sich überlegen, wie das in der modernen "Warenwelt Kultur" noch möglich ist. Eine echte Sendung für Quer- und künftige Vordenker!
Ich habe im Archiv des Senders die Direktlinks zu den pdf der Manuskripte herausgesucht:

Furchtbare Vereinfacher. Ein Adorno Western, Teil 1
Furchtbare Vereinfacher. Ein Adorno Western, Teil 2
Furchtbare Vereinfacher. Ein Adorno Western, Teil 3

29. Januar 2011

Ausgrabungen im Platinenland

Wut tut gut und so beschäftigt sich Madame an diesem halb nebligen Nachmittag mit etwas, das sie gar nicht beherrscht - obwohl sie einmal ein paar Seminare in Archäologie belegt hat...
Auf der verzweifelten Suche nach verschwundenen, uralten Manuskripten saß ich vor einem Laptop aus der Steinzeit, Mitte der Neunziger, dessen Bildschirm sich bereits dunkelrosa verfärbt hat und langsam den Geist aufgibt. Irgendwie hatte ich bei meinem Umzügen zwischen drei Ländern und noch mehr PCs zwar nicht vergessen, die Daten zu sichern - aber die lagerten auf altertümlichen Plastikplättchen, Disketten genannt. Wie zur Hölle ließen sich meine Buchdateien in die Neuzeit retten? Sämtliche Steckplätze an dem Gerät sahen sehr alt aus.

Meinte einer bei Twitter: 
Festplatte ausbauen, in USB Gehäuse rein, an neuen PC anschließen, Daten kopieren. Ist total einfach, sagt der Nerd. ;-)
 Jaja, die Nerds. Ich bin leider keiner. Obwohl ich natürlich rein experimentell alle Schrauben an dem Teil lockern könnte und dann auch irgendwie erkenne, was eine Festplatte ist. Aber woher das USB-Gehäuse nehmen und nicht stehlen?

Frauen machen sowas ja mit Logikspielchen. Zuerst schaut frau, welche Kabel im Arbeitszimmer herumfahren und welche Enden davon in welchen Stecker passen könnten. Klar, dass sie alle zu modern sind für diesen Uralt-USB-Anschluss - jedenfalls an ihrem Hinterteil. Und die Disketten kann mein neuer Computer natürlich auch nicht schlucken. Ist alles ganz einfach, denkt die Ahnungslose. Der Laptop bekommt ein uraltes externes Diskettenlaufwerk verpasst. In den USB-Anschluss kommt das einzige Kabel, das zufällig zu einer alten digitalen Spiegelreflex gehört.

Die ist auch kaputt, macht keine Fotos mehr. Aber Madame folgert, dass in die Kamera dieser ebenso uralte Microdrive von 1 GB passt, für den es auch einen Schlitz im neuen Computer gibt. Was Bilder überträgt, muss auch Manuskripte herumschaufeln können. Aha! Der Laptop bekommt also die Kamera angeschnallt und weil er partout nicht reagieren will, wird er noch mit ein paar Treibern gefüttert. Und dann muss die Kamera alles schlucken, was auf der Festplatte und den alten Disketten fast verrottete.

Es ist schon heiß, wenn dann die neue Festplatte innerhalb von zwei Minuten annimmt, was man gefühlte zwei Stunden lang von einem krachenden Laufwerk heruntersaugen musste. Und ich verstehe jetzt diesen Kick, den Nerds haben, die über die richtigen Kabel und Gehäuse verfügen. Oder haben die überhaupt noch einen Kick, wenn alles so einfach ist?

Die Ausgrabung hat sich gelohnt, obwohl manche Disketten schon nicht mehr lesbar waren (soviel zur Haltbarkeit neuer Techniken). Mein allererstes Buch in allen Entstehungsstadien war dabei - nur muss es erst einmal ins neue Word konvertiert werden. Leute, legt eure Bücher zusätzlich als reine Textdatei ab, ohne Formatierungen. Damit auch das Programm der Zukunft nicht über Sonderbefehlen Sonderzeichen ausrülpst! Auch der "Lavendelblues" ist gesichert! Nur der erste Roman war und ist partout verschwunden. Der steckt natürlich in einem Computer, der nicht mehr anzuschalten ist und eine kaputte Grafikkarte hat. Das geht dann supereinfach: Festplatte ausbauen, Nerd geben, kopieren lassen. Frau sollte immer daran denken, sich noch vor dem Privatsekretär unbedingt einen fähigen Nerd zuzulegen! Echte Nerds sind mindestens so schön wie die kleinen Monster im Radio...

Text aus einer ausgegrabenen Jugendsünde (noch älter als alle Computer):

Ich liebe mein Fotoalbum. Wenn ich es aufschlage, macht es Musik und duftet. Nein, es spielt nicht die Hits, die mit fortschreitenden Zeiten im Radio immer schneller tot genudelt werden. Auf den ersten Fotos gibt es ohnehin nur einen Musikschrank mit einem eingebauten Monster von Radio, dessen magisches Auge grün glomm, wenn man es anschaltete. Damals glaubte ich, ich würde mit der Drehung des Knopfes ein kleines Männchen aufwecken, das meine Eltern in diesem Schrank bei Wasser und Brot hielten. Das war ihnen zuzutrauen, weil sie es jeden Sonntag Vormittag um elf zum Sklavendienst trieben. Ich hatte Mitleid mit dem Männchen; das Geknödel und Gedudel im Sonntagskonzert war auch für mich kaum auszuhalten.
      
Es rieb sich immer erst ein Weilchen das Auge, bis es sich langsam öffnete und das Stimmchen sich aufwärmte. Derweil liebte ich es, mit den Fingernägeln an den Seitenteilen auf und ab zu schaben. Sie waren mit einem gelb-beige-schwarz gestreiften Stoff mit erhabenen Wülsten bespannt. Ich stellte mir vor, ich würde dem armen Gefangenen den Rücken kratzen. Mit einem behaglichen Schnurren begann das Männchen, Musik zu machen.

"Einen Eggen ab haben"

Die perfekte Wochenendlektüre habe ich heute - zumal sie zu meinen Themen der letzten Woche so gut passt! Die Schweizer Autorin Milena Moser, die mit ihrer Kollegin Sybille Berg auch eine "Schreibschule" führt, hat dem "Arbeitsmarkt" ein Interview gegeben.
Erfrischend unprätentiös erzählt sie darin, wie man als Schriftstellerin Leben und Arbeit, Geldverdienen und Leidenschaft, Beruf und Berufung unter einen Hut bekommt. Sie erklärt, warum Schreiben zwar vielleicht heilen, aber nicht therapieren kann, dass der Drang zum Schreiben nicht erlernbar sei und literarisches Schreiben aus einem Mangel entstehe - wenn man "einen Eggen ab habe".

Und sie ist sich vor allem nicht zu fein, aus dem Nähkästchen zu plaudern. Viele Kolleginnen und Kollegen werden sich wiedererkennen bei den kleinen Tricks am Manuskript, mit denen man überprüft, ob es denn je gelesen wurde. Neu und überraschend für mich (die ich ihre Bücher schon lange kenne) war die Tatsache, dass auch Milena Moser im Eigenverlag - mit dem vielsagenden Namen Krösus - angefangen hat. Sechs Jahre versuchte sie vergeblich, ihre Manuskripte zu verkaufen, dann hatte sie die Nase voll und wurde selbst aktiv. Auch ihr Bestseller "Die Putzfraueninsel" war unter diesen selbstverlegten Büchern. Heute ist sie beim renommierten Literaturverlag Nagel und Kimche, ihr aktuellstes Buch "Möchtegern" ist vergangenes Jahr erschienen.

28. Januar 2011

Koinzi Synchronizi

Eben hatte ich den sprichwörtlichen Knoten im Sprachzentrum, als ich überlegte, wie man das nennt, wenn scheinbar zusammenhanglos gleichzeitig Dinge passieren, aus denen der Schamane eine mythische Verbindung zieht und damit schamanisiert. Oder intellektuell gesprochen: Was geht im Hirn eines Schriftstellers ab, wenn er aus unzusammenhängendem Alltagssalat Inspirationen kocht (und natürlich alles auf die schicke Muse schiebt)? Wikipedia bot dazu Folgendes an:
Koinzidenz
Mit Koinzidenz (con, lat. = mit; incidere, lat. = einfallen) ist meist ein zeitliches, manchmal ein räumliches Zusammentreffen von Ereignissen gemeint. Darüber hinaus kann auch die Einnahme gleicher Raum- und Zeitstellen gemeint sein.
Von einer Koinzidenz zweier oder mehrerer Ereignisse auf einen kausalen (ursächlichen) Zusammenhang zu schließen, stellt logisch betrachtet einen Fehlschluss dar.
Synchronizität
Als Synchronizität (von griechisch synchron, gleichzeitig) bezeichnete der Psychologe Carl Gustav Jung relativ zeitnah aufeinander folgende Ereignisse, die nicht über eine Kausalbeziehung verknüpft, jedoch durch konkreten Informationsbezug als miteinander verbunden, aufeinander bezogen erkennbar seien.
Was nun ist mir zugestoßen?
Wir erinnern uns an die gestrige Katastrophe. Beklagte ich mich nicht noch, dass ich endlich die Rechte meiner Romane wiederhaben will?
Nun denn - die Rechterückgabe für den Lavendelblues lag heute im Briefkasten!
Kleines Schmankerl nebenbei: Während Lübbe dazu immer den üblichen knappen Formbrief verschickte, vermerkt Bastei jetzt ausdrücklich, dass man damit weder die Rechte am Lektorat noch an anderen verlagsseitigen Leistungen (Satz, Grafik, Layout u.ä.) erhalte. Das ist eigentlich selbstverständlich. Der ausdrückliche Hinweis lässt mich vermuten, dass Verlage nun ganz fest damit rechnen, dass Autoren die Wiederauflage ihrer Bücher selbst übernehmen und sich das sogar lohnen könnte.

Beide Romane wird es also 2011 in zweiter Auflage geben - und ich freue mich ganz besonders diebisch darauf, diese Romane endlich mit neuem Cover / neuen Klappentexten von ihrem völlig deplatzierten Chick-Lit-Image zu befreien. Mögen sie von der Schublade à la Barbie endlich ins Weinregal finden ... (was bin ich nur so zynisch heute???)

Außerdem bekam ich heute eine Mail. Aus Afrika. Ich gestehe verschämt, dass ich bei Wikipedia nachschauen musste, wo genau Malawi liegt. Daher kam nämlich eine Anfrage nach meinem Uralt-Buch "Schwarze Madonnen", weil ein gewisser Online-Buchhändler nicht nach Afrika liefert. Das macht mir solche Freude, dass ich mir natürlich etwas einfallen lasse.

Keine Bücher mehr da und doch über so viele Kilometer hinweg gefragt ... Das erinnerte mich an alte Zeiten, als die "Schwarzen Madonnen" noch zu haben waren (ebenfalls durch einem Verlagsverkauf untergegangen). Ich habe es selten sonst erlebt, wie ein Buch von mir weltweit gefragt und bekannt wurde. Das war insofern schon verblüffend, als der Verlag die Schublade "neue Hexen" geöffnet hatte ("Sie werden sehen, damit brummt das Buch! Das ist absoluter Trend!") Die Frauen aus der Schublade nahmen mir meine kritische Sichtweise übel - gekauft wurde es von ganz anderen.

Ich bekam Anfragen aus den Niederlanden, aus Spanien, aus den USA oder Australien. Und ich lernte weltweit unwahrscheinlich interessante Spezialisten kennen. Doktorantinnen, Professoren, Archäologen, Äbtissinnen. Das lag auch daran, dass ich den aktuellen Teil des Buchs durch eine englischsprachige interaktive Website recherchiert hatte. Noch überraschender war jedoch ein Fax, das mich damals aus den USA erreichte, mit der Kopie eines sehr edel aussehenden Briefes. Es handelte sich um die persönliche Empfehlung der Leitung der Archive des Vatikans, die einer Forscherin mein Buch als Standardwerk empfahl.

Etwa um die gleiche Zeit kam die Anfrage der BBC, denen ich gemeinsam mit einer amerikanischen und einer englischen Spezialistin ein Interview gab und für die ich das Beiheft für eine DVD schrieb. Beinahe hätte ich sogar einen Artikel für eine theologische Fachenzyklopädie verfassen können, was nur an meinen Abschlüssen scheiterte - ich war eine Laiin. Und dann verschwand das Buch, kurz bevor die Auflage verkauft war, denn der neue Verlagseigner stellte die Reihen des Vorgängers ein. Damals gab es noch keine Möglichkeiten wie heute, ein Buch selbst neu aufzulegen - weder technisch noch bezahlbar. Das ist heute anders.

Ausgerechnet jetzt, wo mich das Verschwinden meines Rosenbuchs so entsetzt, will jemand in Afrika unbedingt mein schon lange verschwundenes Buch von 1999 lesen.

Ich pfeife auf Koinzi-Synchronizi-Dingens-Definitionen. Mein Schwein pfeift nämlich, pardon, meine Muse singt: ein Lied von Zeiten, die sich gerade massiv ändern. In denen Autoren vielleicht die besseren Verbindungen zu ihren wirklich interessierten LeserInnen aufbauen können. Klein, aber fein und ohne falsche Schubladen. Vor allem aber mit unbegrenzt haltbaren Büchern.

Ein kleiner Ausschnitt aus "Schwarze Madonnen" von Petra van Cronenburg. Etwaige Parallelen zur Buchbranche sind nur Koinzi-Synchronizi-Dingens.

Die Madonnenmajestät, die heute in der Kapelle des Schlosses von Chazeuil (Departement Allier) steht, sollte einst einer moderneren Ausführung weichen, von der sich der Priester mehr Pilgerinnen und Pilger erhoffte. Doch in einer dunklen Nacht habe die schöne Königin die Mode-Madonna auf die Erde geworfen und den Thron wieder selbst eingenommen. Der Mesner habe daraufhin seltsam reagiert: Die neuangefertigte Maria wieder an ihren Platz stellend, wollte er die alte Ausgabe in einen Schrank einschließen. Doch zuvor soll er die Schwarze Madonna tatsächlich ausgepeitscht haben, um ihr Respekt aufzunötigen!
   [...] 
Denn wie eine majestätische Göttin verläßt Notre Dame de la Ronde die Kirche, in der sie mißhandelt wurde. Sie zeigt sich in einer Ulme einem Hirten, der sie auf ihren angestammten Platz in der Kirche von Agongesi mitnehmen will, aber dadurch verschwindet die Madonna wie durch Zauber. Epidemien und Katastrophen suchen den Ort heim, der seine göttliche Königin nicht zu würdigen wußte, bis eines Tages Notre-Dame sich wieder einem Hirten in einem Weißdornstrauch zeigt, dem heiligen Busch keltischer Göttinnen. Dieser weiß offensichtlich besser um die alten Traditionen und Bedürfnisse der Madonnen, denn er erkennt, daß der Weißdornbusch auf einem Hügel wächst, dem "Hügel der Runde". Notre Dame de la Ronde bezieht bald die von ihr angeordnete Kapelle am Weißdornbusch. Noch bis zur Zeit der französischen Revolution sollen bei der fortan eingesetzten Bußprozession Priester und Mesner von ihrer Gemeinde zur Strafe gegeißelt worden sein.

27. Januar 2011

nie ma

Anfang der Neunziger gab es in Osteuropa noch die Einkaufsläden altkommunistischer Lieblichkeit. Die Verkäuferin saß irgendwo auf einem Heringsfass und strickte, oder las Zeitung oder mampfte mit ihren Freundinnen Kuchen. Wehe, man störte die Dame mit dem versteinerten, grantigen Gesicht unnütz. Wenn man etwas haben wollte, hatte das zackzack zu gehen, und bitte nur von den Dingen, die in Reichweite standen und gut sichtbar waren.

Verlangte man dagegen eine Ware, die weiter hinten im Laden zu finden war oder gar nur im Lager wartete, blaffte einem die Dame in Polen ein "Nie ma" entgegen, was so viel heißt wie "hammwernich!" Manchmal riefen es die Verkäuferinnen auch schon, bevor man den Laden ganz betreten hatte - oder wenn man nur danach aussah, als wolle man ihnen die Kuchenpause anschneiden. "Nie ma" wurde für mich zum Inbegriff schlechter Laune und Knappheit, zur Auswegslosigkeit zwischen gesalzenem Hering und eingelegten Gurken. Hammwernich, hamm keine Lust, wollnwernich, gipsnich. Mach, dass du weiter kommst...

Eben weiß ich es "amtlich", dass ich jetzt selbst "nie ma" blaffen muss. Es gibt mich nicht mehr. Also so gut wie nicht mehr, denn ein kleines Cornichon schwimmt noch verlassen und einsam im Gurkenfass. Und das ist noch nicht einmal ein Buch. Eigentlich ist meine Existenz als Buchautorin ausgelöscht...

Ich will nicht die grausame Geschichte erzählen, mit der eine externe Abwicklungsfirma nach einem Verlagsverkauf mein geliebtes "Das Buch der Rose" erfolgreich an die Wand gefahren hat und nun verramscht - natürlich ohne mich informiert zu haben. Was interessiert schon den Autor sein eigenes Buch. Was ist schon ein Autor wert, den man abschafft. Das Buch war aus firmenrechtlichen Gründen in die Hände dieser - buchfernen - Firma übergegangen und nicht in den Bestand des neuen alten Verlags. Demnächst wird es schön billig im Antiquariat auftauchen.
Alles andere hätte ich diesem Buch gewünscht.

Damit bin ich unsichtbar. Es gibt mich fast nicht mehr als Autorin. Die einzigen noch verfügbaren Produkte sind keine Bücher. Das Elsassbuch ist noch als Hörbuch zu haben und Opus Arte, die Produktionsfirma der BBC, hält fleißig eine DVD von 2002 auf Lager, an der ich mitgearbeitet habe und auf der ich auch im Interview erscheine. Möglich, das es noch eins der Viola-Beer-Bücher gibt, im Moment kläre ich leider immer noch meine Rechte mit Lübbe ab, die sich mit der Umgestaltung zu Bastei von meinen Büchern getrennt hatten, die bei BLT erschienen.

Obwohl ich weiß, dass Verramschung der ganz normale Lauf eines modernen Bücherlebens ist, obwohl ich selbst ständig erzähle, die Fristen würden immer kürzer werden, treffen mich manche Buchtode ganz besonders. Allein sieben Bücher von mir verschwanden nur deshalb, weil Verlage verkauft oder Programme von neuem Personal völlig neu gestaltet wurden - drei der Bücher waren richtig erfolgreich im Moment ihres Sterbens.

Dabei habe ich noch Glück. Ich habe nie wie einige meiner Kolleginnen und Kollegen ausstehende Honorare oder Bücher nach Konkurs herausklagen müssen. Ich kenne ein paar Schriftsteller, die waren nach einem Verlagskonkurs auf Jahre ruiniert. Dagegen sind reguläre Verlagsverkäufe oder Fusionen noch himmlisch. Aber das tröstet mich nicht. Ich habe zwei Jahre meines Lebens für dieses Buch gegeben.

Abgesehen davon, dass mir jetzt nach einem Hering aus dem Fass einer grantigen Verkäuferin wäre, stürzt mir gerade eine Menge kindlicher Glaube an die heutige Buchwelt zusammen. Die Konzentration wird zunehmen. Wenn schon eine Stadt wie Frankfurt (und Leipzig nun auch) ernsthaft darüber klagt, dass immer mehr Verlage abwandern - weil es sie ins Zentrum zieht, weil sie verkauft werden, weil sie geschluckt werden oder fusionieren - was sollen wir Autoren dann erst jammern?

Früher hätte man geraten: Du musst eben schnell nachlegen. Aber wer garantiert mir, dass der Verlag, bei dem ich nachlegen würde, auch in einem Jahr noch existiert? Wer sagt mir, dass nicht irgendein Controller, irgendeine Unternehmensberatung plötzlich alles umgestalten lässt und Programmplätze streicht?

Ich werde mir jetzt eine gepflegte Vorabenddepression nehmen und mir irgendeine tieftragische Musik anhören. Werde ein Stündlein in triefendem Selbstmitleid schwimmen und schwören, nie wieder auch nur irgendeinem Verlag ein Manuskript anvertrauen zu wollen. Spätestens gegen Mitternacht werde ich meinen Beruf endgültig aufgeben und alles hinschmeißen. Und morgen sehen wir dann mal weiter...

26. Januar 2011

Leserpower

Die Selfpublishingexperts haben eine ganz nette Idee: Du liebst einen Autor ganz besonders? So kannst du ihm helfen! Nun ist die Liste sehr amerikanisch und wird wie immer dazu benutzt, das eigene Buch an den Mann zu bringen. Und natürlich wartet nun jeder Schriftsteller sehnlichst darauf, dass die begeisterte Leserin X den drahtigen Hollywoodagenten aktiviert! Würden wir es allerdings mögen, wenn Leser für uns beten? Ich habe mir deshalb überlegt, ob sich eine solche Anleitung nicht auf deutsche Verhältnisse herunterbrechen ließe. Was können Leserinnen und Leser tun, damit ein Autor, dem sie mehr Erfolg gönnen, auch tatsächlich mehr Bücher verkauft?

1. Kauf das Buch nicht nur einmal und verschenke es. Klingt einfach und selbstverständlich, dürfte aber in Zeiten von Internetpiraterie einen neuen Geschmack bekommen. Autoren bekommen Tantiemen von ordentlich gekauften Büchern und bei Bibliotheksausleihe gibt's ebenfalls eine kleine Zuwendung. Kein Honorar bekommen Autoren von antiquarischen Verkäufen, von Leseexemplaren, vom Verkauf von Ramschware und von illegalen Kopien.

2. Kaufe die Bücher im unabhängigen Buchhandel oder direkt beim Verlag. Natürlich kann man Bücher auch sonstwo kaufen. Aber an anderen Stellen werden die Verlage inzwischen mit horrenden, fast unanständigen Rabattforderungen geknebelt oder mangels finanzieller Potenz gar nicht erst ins Programm aufgenommen. Doch das Geld muss irgendwo eingespart werden: Autoren sitzen bekanntlich am Ende der Nahrungskette. Je weniger Verlage für ihre Bücher Rabatte abdrücken müssen, desto mehr Geld bleibt fürs Büchermachen! Außerdem erhält dieses Einkaufsverhalten die Vielfalt von Verlagen.

3. Empfiehl das Buch! Nichts hilft einem Autor und einem Buch mehr als Mundpropaganda - und sei sie noch so klein und unscheinbar im Bekanntenkreis. Natürlich kann man auch die Website eines Autors empfehlen oder verlinken, dem Autor einen Eintrag bei Wikipedia schenken oder eine Videorezension bei youtube. Darüber hinaus gibt es jede Menge anderer Medien: Lesertage im Radio und bei Zeitungen (auch online), Twitter, Facebook, Blogs, Rezensionen in Communities und Foren. Man kann sein Lieblingsbuch aber auch dem eigenen Buchhändler empfehlen, wenn er es noch nicht kennt, Kinderbücher bei Elterntreffen etc. Vielleicht sucht auch die Firma, in der man arbeitet, ein Weihnachtsgeschenk für Kunden?

4. Nutze deine Kontakte! Unter Freunden geht das natürlich am einfachsten, aber ich kann mich auch als Fremder an einen Verlag wenden: Wenn ich einen Veranstalter aktivieren kann oder selbst einer bin, der den Autor einladen möchte - Honorar für die Arbeit des Autors sollte aber Voraussetzung sein. Natürlich kann ich Medienleute in meinem Bekanntenkreis ansprechen, ob sie nicht etwas über den Autor bringen wollen. Siehe Empfehlungen. Und wenn du tatsächlich den großen Hollywood-Guru kennst, mach hinne!

Und den restlichen amerikanischen Quark vergesst ganz schnell. Lasst das mit dem Beten für den Lieblingsautor. Es macht weder den Schriftsteller reich, noch möchten alle Schriftsteller ungefragt in den Himmel kommen. Auch Sales-Management oder andere Fachdienste in kostenfreier Selbstaufopferung sollte man seinem Lieblingsautor nicht grundsätzlich anbieten. Entweder machen das die Verlage sowieso oder solche Arbeiten haben genauso eine Bezahlung verdient wie die Arbeit des Autors selbst. Auch im Tausch unter Bekannten sollte nicht nur eine Seite geben.
Jetzt müsste ich Eigenwerbung platzieren:

5. Kauft bitte nicht nur aufgrund dieses Beitrags ein Buch von mir. Ich möchte die Dinger nämlich nicht einfach wie Zahnpasta verkaufen, um ein paar Cents zu verdienen. Ich schreibe für diejenigen, die sich wirklich interessieren - und denen ich deshalb mit meinen Texten auch etwas geben kann.
Also - interessiert euch gefälligst ;-)

6. Das mit dem amerikanischen Selbstanpreisen muss ich noch lernen.

25. Januar 2011

Die Angst der Torfrau...

...beim Elfmeter.

Heute fühlte ich ein Momentchen lang Panik. Alles, was ich in meinem langen Leben bisher gelernt hatte, schien sich plötzlich in Luft aufzulösen. Heute bin ich von "Beruf" Lektorin und sitze über meinem Nijinsky-Projekt. Obwohl der Text von mir zigfach fast druckreif korrigiert wurde, obwohl ihn eine Verlegerin lektoriert hat und ein Fachjournalist obendrein, obwohl ich nachkorrigiert habe: Ich finde immer noch Tippfehler! Und ich will jetzt nicht den dummen, aber wahren Spruch hören, dass ich genau in dem Moment, in dem ich das gedruckte Buch aufschlagen werde, sofort den ersten Drcukfehler Druckfehler entdecken werde.

Dann stelle ich fest, dass ich die Fremdtexte nicht am Bildschirm korrigieren kann - ich übersehe zu viel. Ich verliere langsam am Bildschirm das Vorstellungsvermögen vom gesamten Buchaufbau. Mir fehlt die dreidimensionale Komponente, aber genau im richtigen Augenblick ist die Druckerpatrone leer. Wann sonst. Plötzlich entdecke ich, dass irgendein Microsoft-Wunder eine gentechnische Kreuzung aus Endnoten und Bibliografie gebastelt hat und dabei auch noch alles verdoppelt. Man sollte zunächst im .rtf arbeiten, weiß ich. Aber der Text war ursprünglich ja zum Hören, der Anhang fürs Leaflet. Handumbau. Datenbereinigung. Fluchen.

Beim Redigieren der neuen Texte in ihrer spezifischen Form stellen sich mir die Haare auf: Ich kann wetten, dass es hier Hurenkinder und Schusterjungen hagelt. Ich spüre die Stellen regelrecht im kleinen Finger - aber ich werde warten müssen, bis das Buchformat feststeht. Und dann kürzen und aufblasen, einpassen - und wieder korrigieren. Mehrfach korrigieren. Bis zur Fahnenkorrektur ist es dann noch weit. All die Arbeit, die ich als Autorin sonst verschlafe, darf ich nun selbst tun. Auch das Korrigieren auf Mehrfachleerstellen, falsche Zwischenräume oder falsch gesetzte Schriften. Ich habe es ja so gewollt und nicht anders. Ich träume von einem Team, das um meinen Schreibtisch sitzt. Ich träume vom privaten Assistenten, der sich schnell mal zwanzig Kilometer aufschwingt, um an eine neue Druckerpatrone zu kommen. Und habe plötzlich Panik, dass diese Datei nie ein Buch werden wird. Der Weg ist noch so unendlich weit...

Dann geraten mir zufällig drei Interviews mit Verlegerinnen in die Hände, deren Bücher ich sehr schätze. Faszinierend, wie mutig und in Teilen auch blauäugig sich diese Frauen beim ersten Buch ins kalte Wasser gestürzt haben. Schon ist die Welt wieder zurechtgerückt, die anfängliche Panik schwindet. Als eine, die redigieren gelernt hat, sollte ich es ja wohl noch schaffen, einen Text druckreif zu korrigieren!

Die Entstehung von Büchern hat etwas von Ballett an sich. Manchmal sitzt man am Boden, heult und reibt sich verzweifelt den schmerzenden Zeh. Dabei fühlt man die Faszination und Schönheit des Tanzes erst, wenn man wieder aufsteht.

24. Januar 2011

Pool oder Prekariat?

Ich muss sicher nicht das Klischee neu aufwärmen, mit dem Buchautoren öfter von Laien konfrontiert werden: Demnach sitzen wir den ganzen Tag am eigenen Pool vor der eigenen Villa und kippen uns harte Cocktails hinter die Binde, um in lauer Sommernacht endlich für ein Stündchen inspiriert schreiben zu können. Wer nachschaut, welcher Prozentsatz, pardon, Promillesatz von Schriftstellern wirklich erfolgreich wird und zu den Gutverdienern zählt, wird schnell eines Besseren belehrt. Dem Großteil der Buchautoren geht es wie vielen freien Künstlern und Kreativen (die nicht für Agenturen / Firmen arbeiten) auch: Die Verdienstspannen liegen etwa auf Prekariatsebene.

Auf Susannes "Sonnenseite" habe ich den Hinweis auf Anne Köhlers Buch "Nichts werden macht auch viel Arbeit" (Dumont) entdeckt und das Interview, das die Autorin SpOn gab. Anne Köhler lebt ein Leben, das dem vieler Künstler ähneln dürfte: Sie jobbt verzweifelt herum, um sich ihre Kunst finanzieren zu können. Und sie hat sich für dieses harte Leben vorsätzlich entschieden. Auch mich erschrecken die Kommentare bei SpOn - auf Verständnis können Künstler in der "normalen" Bevölkerung offensichtlich nicht unbedingt hoffen.

Zunächst war ich angetan von Anne Köhlers Plänen, weil sie den meinen irgendwie zu ähneln scheinen. Als Freiberuflerin jongliere auch ich mit unregelmäßigen Aufträgen und unterschiedlichen Tätigkeiten. Die Lohnentwicklung der letzten Jahre zwingt mich, nun drei statt zwei Berufe auszuüben, um mit mehr Arbeit auf das gleiche Einkommen wie früher zu kommen. Und das, obwohl ich einmal gut allein von vier Büchern leben konnte. Gleichzeitig gelingt es mir trotzdem nicht immer, mit den deutschen Honoraren auf den französischen Mindestlohn zu kommen - das war einmal genau umgekehrt. In schlechteren Zeiten lebe ich deutlich unter der Armutsgrenze, der französische Staat subventioniert dann weniger eine "faule" Künstlerin, sondern das, was Auftraggeber zu zahlen nicht mehr bereit sind. Ich bin mir bewusst, dass solch ein "Multijobbing"-Leben immer mehr Menschen in vielen anderen Berufen trifft und Freiberufler in den Anfangszeiten oft gar nicht anders können. Trotzdem möchte ich das Problem allein unter dem Gesichtspunkt "Schreiben" beleuchten - und natürlich dabei die wenigen Berühmten ausklammern.

Mich erschreckt nämlich, was ich auf den Websites vor allem junger Menschen immer häufiger lese: "Ich bin Autorin und habe meinen Beruf aufgegeben, um mich ganz meinem ersten Buch widmen zu können." - "Ich bin Schriftsteller und arbeite an einem Roman. Um mich voll entfalten zu können, habe ich meine Stellung gekündigt und einen Gelegenheitsjob angenommen." Erschreckend sind solche symptomatischen Aussagen vor allem deshalb, weil die meisten dieser selbsternannten Autoren sich als solche noch nie bewiesen oder nur wenige Nicht-Bestseller veröffentlicht haben.

Natürlich hat jeder das Recht zu leben, wie er will. Auch die Ansprüche in Sachen Lebensstandard sind individuell verschieden. Natürlich kann man sich von Mama, Papa, Partner oder Erbonkel finanzieren lassen, man kann Stipendien oder Preise gewinnen. Aber ich will es ganz deutlich sagen: Vom Veröffentlichen einiger Bücher allein kann niemand leben. Und wenn er es kann, muss er ständig damit rechnen, irgendwann vielleicht völlig abzustürzen.

Als ich ins Buchgeschäft einstieg, gab es die Faustformel, dass man bei etwa sieben laufenden Büchern keinen Zusatzberuf mehr bräuchte. Bei guten Vorschüssen und schnellem Durchsatz konnte man das sogar toppen. Doch heute hat diese Gleichung neue Unbekannte: Sehr viel längere Wartefristen (auch mit Agentur) und Leerzeiten - sinkende Vorschüsse - allgemein sinkende Auflagenzahlen auch in Publikumsverlagen - kürzere Verramschungsfristen. Die Arbeit an einem Buch bleibt diesselbe - der Nettogewinn ist in den vergangenen Jahren eher gesunken. Der Großteil der Autoren ist also gezwungen, sich irgendwo anders Geld zu verdienen.

Wohl dem, der einen sogenannten "Brotberuf" erlernt hat, der ein halbwegs normales Leben ermöglicht und eine Altersversorgung sichert. Jedem jungen Menschen, der begabt ist und Bücher schreiben will, möchte ich aus eigener Erfahrung inständig raten, nicht wegen eines unsicheren Traums auf eine fundierte Ausbildung und einen Beruf zu verzichten. Nie und nimmer würde ich im Stadium unfertiger Manuskripte oder laufender Verlagsbewerbungen einen guten Job hinwerfen. Das sind Milchmädchenrechnungen, Illusionen. Was wird nach der Ernüchterung, wenn nach anderthalb Jahren auch der 30. Verlag abgesagt hat? Viele erfolgreiche Schriftsteller haben solche Durststrecken hinter sich.

An Anne Köhlers Wahl, die sich als Kellnerin, Köchin oder Bürodame durchschlug, empfinde ich jedoch etwas anderes als kritisch. Sie arbeitet in Gelegenheitsjobs, dem Interview nach im eher ungelernten Bereich. Ich kenne einige Kollegen, die so leben, allerdings darunter leiden und sich auf Dauer vollkommen auspowern. Wer sich ständig auf Hilfsarbeiter-Ebene herumschlägt, bekommt große Probleme:
  • Das Lohnniveau bei Gelegenheitsjobs ist rapide gesunken und zwingt zum Multijobbing in einem Pool extremster Konkurrenz (auch durch Ein-Euro-Jobs).
  • Gelegenheitsjobs verlangen oft körperliche Hochleistung und ermüden geistig. Bis zu welchem Alter hält man so ein Leben durch? Was kommt danach oder in Krankheitszeiten? Und wie viel Energie bleibt daneben wirklich für die nicht minder anstrengende Kreativität?
  • Welche Aufstiegschancen in ein besseres Leben und eine Altersversorgung habe ich konkret?
  • Wie viel Existenzangst kann ich mir leisten, bis sich die Kreativität verabschiedet?
  • Habe ich mir auch nur annähernd bewiesen, dass sich dieses Opfer lohnt? Oder träume ich nur?
Ich habe an früherer Stelle davon berichtet, was ich bei der Künstlerberatung in Straßburg lernen konnte. Obwohl es ähnliche Lebensläufe in Frankreich - vor allem in Notstandsgebieten - auch gibt, scheinen mir viele Künstler doch sehr viel mehr professionalisiert. Nur wenige können sich vorstellen, nicht irgendwann mit ihrer Kunst auf einen grünen Zweig zu kommen und dafür lieber kunstnah zu arbeiten, als Teller zu waschen. Da ist man der Auffassung, dass eine qualifizierte, den eigenen Interessen nahe Berufstätigkeit sehr viel mehr inspiriert und zur Kreativität am Text anstachelt. Wer zufrieden im Brotberuf ist, schreibt leichter.

Hauptberufliche (!) Autoren arbeiten deshalb oft zusätzlich in buchaffinen Berufen, als Korrektoren, Übersetzer, Lektoren, Texter oder Dozenten. Die Künstlerberatung weitet darüber hinaus den Blick, sich als Profiautor wie ein Unternehmer zu betrachten. Der Text fürs Buch ist das Zentrum, um das eine Menge anderer bezahlter Arbeiten kreist. Französische Autoren veranstalten Lesungen und Debatten, engagieren sich aber auch in der Schulung von Kindern  und Jugendlichen, wofür es eigene Programme gibt. Workshops und Werkstätten lassen sich nicht nur persönlich aufziehen, sondern an Firmen, Institutionen oder bei Büchertagen an Kommunen und Bibliotheken verkaufen. Je erfindungsreicher einer ist, desto einträglicher ist das Geschäft. Die kulinarische Lesung in Zusammenarbeit mit Gastronomen bringt natürlich mehr ein als die Wasserglaslesung in der Buchhandlung.

Solch ein freies Dasein ist nicht weniger schwierig zu organisieren und durchzusetzen als jede andere Selbstständigen-Arbeit. Es ist ganz bestimmt nicht für den "Angestellten-Typus" zu empfehlen. Aber im Gegensatz zum Kellnern haben diese Nebenjobs etwas mit dem eigenen Traum zu tun, mit den eigenen Büchern und Vorlieben.

Noch etwas anderes ist mir wichtig bei dieser Empfehlung zum "eierlegenden Wollmilchschwein Autor": All diese Tätigkeiten fallen wieder zurück auf die Arbeit als Autor. Sie helfen den eigenen Büchern, bringen wichtige Kontakte und liefern weitere Mosaiksteinchen auf dem Weg zur Marke, zum Autor, an dessen Name Leser sich erinnern können. Sicher bereichern Gelegenheitsjobs bis zu einem bestimmten Limit die eigene Erfahrung und den Fundus, den man für Romane braucht. Aber irgendwann kommt der Punkt, an dem man mehr Energie in den Aufbau der eigenen Schriftstellerpersönlichkeit stecken muss, an dem man sich öffentlich präsentieren muss. Und woher soll man dann mit mehreren Aushilfsjobs und fleißigem Texten noch die Energie für eine Lesereise nehmen?

Wie gesagt, jeder tickt anders und jedes Konzept hat seine Vorteile und Tücken. Aber auch Schriftsteller werden mit den Jahren nicht jünger... Wer sich also fragt, wie er sein Schreiben langfristig finanzieren könnte, sollte sich zuerst einmal fragen, ob sich nicht das Schreiben mit dem Schreiben und verwandten Arbeiten so unterstützen ließe, dass es wirklich neben der Berufung zu einem echten Beruf wird.

Umfrage zu Lesungen

Die BücherFrauen bitten um Mithilfe: Leserinnen und Leser sind gefragt! Eine Umfrage von Studentinnen der Buchwissenschaft will Lesermeinungen eruieren zum Thema "Lesungen und deren Nutzen und Funktionen". Jeder kann mitmachen, je mehr Menschen sich beteiligen, desto repräsentativer werden die Ergebnisse.

23. Januar 2011

Myślenia między światami

Was für ein Tag! Ich lese in meinen bis zum letzten Jahr verschollenen Aufzeichnungen aus meiner Zeit in Polen - und gleichzeitig schmelzen gerade über 1000 Kilometer und fast fünfzehn Jahre. Man sollte nie die Öffentlichkeit mit Tagebuchaufzeichnungen belämmern. Aber dieses Fundstück sende ich jetzt für ein paar wundervolle Menschen auf direktem Weg nach Warschau ... (und natürlich für alle anderen, die in fremden Tagebüchern schmökern wollen). Wenn ich es jetzt wieder lese, sehe ich dabei Nijinsky in Petruschka...

Wendepunkt (Januar 1994)

Warschau, Hauptverkehrsader zum Kaufhaus Centrum: Das rote Glühbirnenmeer in den Alleebäumen verbreitet noch Ende Januar Weihnachtsstimmung à la Miami. Der abendliche Verkehrsstrom verstopft den großen Kreisverkehr.

Hast du das gesehen? Die bauen hier sogar nachts. Darf man hier etwa nicht mehr durch? So viele Lichter...

Die Handbewegungen der Frau in der Chaosmitte sind alles andere als eindeutig. Auf der Verkehrsinsel in der Mitte des Kreisverkehrs steht sie, in orangefarbener Stadtarbeiterkluft, mit grellem Schutzhelm auf dem Kopf. Monoton schwenkt sie die Arme, die Gesten weit ausholend und angestrengt, bewegt sich, als könne sie sich nicht entscheiden.

Will sie die Autos umleiten? Oder nur einen Kanaldeckel aufdrehen? Ein Loch womöglich in der Mitte einer Insel im Chaos...

Ein Autofahrer tastet nach der Bremse. Richtungsfragen. Unsicherheit. Wohin? Egal, nur immer weiter. Schau niemals zurück.

Alle blicken sie in das versteinerte und verschrumpelte Gesicht unter den wirren Haaren. Unter dem Schutzhelmgrell, über dem Anzugsorange schimmert sie wie die Straßenlampen gelblich. Vielleicht war die Frau einmal blond. Jetzt dirigiert sie weißhaarig und weißgesichtig, eine Insel in der Rush Hour, Leichenblässe in Grellorange. Monoton rudert und hebelt ihr rechter Arm, hackt winzige Zeitintervalle in die Luft. Der linke Arm taktet die zweite Stimme dazu. In puppenhafter Strenge rucken Kopf und Körper.

Wie die Plüschäffchen zum Aufziehen, die metallene Becken aneinanderscheppern und die über den Tisch hoppeln, bis sie über der Kante abstürzen.

Sie scheint das Dröhnen des Verkehrs längst nicht mehr zu hören. Vielleicht hat sie es auch nur wie einen dicken Vorhang vor ihren Geist gezogen. Die Ampelphasen geben ihr den Takt vor. Rudernd, unerschütterlich rudernd, steht sie wie Strandgut in der Brandung des Feierabendverkehrs; eine Klippe, die fröhliche Menschen auf dem Weg zum Essen oder ins Abendvergnügen umschiffen müssen. Mitten im Kreisen von Blech ragt die flammenfarbene Statue, setzt ihre Roboterbewegungen ins Unendliche fort.
Dürstet es sie nach einer früheren Arbeit im Davor? Oder will sie sich mit zwanghaften Handgriffen von einer Erinnerung befreien? Ist sie Teil einer modernen Kunstinstallation? Ist irgendwo die Kamera eines Happening-Künstlers verborgen? In Warschau ist alles möglich, allzeit.

Wie angewachsen steht die Frau in klirrender Kälte. Die Hebelarme drücken und ziehen und rucken. Maschinengleichmäßigkeit. Aus ihren zeitungsgestopften Stiefeln ist der Tagesaufmacher herausgerutscht. Ihre Sohlen kleben unbeweglich am Boden, verwurzelt im rissigen Beton.

Wer Grün hat, erhascht von all dem nur einen leuchtenden, schwindenden Fleck auf der Netzhaut. Den anderen bleibt von Ampel zu Ampel Zeit zum Nachdenken. Wie ein Karussell dreht sich der Kreisverkehr um sein orangefarbenes Auge. Grell blitzt der Schutzhelm auf in der Nacht. Nur vor sich selbst kann er die Frau nicht schützen.

In der Blechkiste ein Science-Fiction-Gefühl, das sich aus Farben nährt: Bläulichem Abenddunkel, grellhellen Scheinwerfern, blutrot blinkenden Bäumen und dem blutleeren Weiß im Gesicht dieser Frau.

Woran mag sie zerbrechen? An ihrer Vergangenheit, ihrer Gegenwart? Warschau packt fünfzig Jahre in einen einzigen Tag.

Mit ihren abgearbeiteten Händen zieht sie die Fahrer im Kreis herum wie Marionetten. Unmöglich, den Blick von ihr abzuwenden. Sie dirigiert die Puppenköpfe hinter den Windschutzscheiben mit leerem, azurblauem Blick. Immer wieder vorwärts, aber an jedem Wendepunkt drehen sie sich nach ihr um. Schau niemals zurück.

Mitten in der City von Warschau, 1994, auf einer Insel kurz vor dem Wendepunkt, zieht eine helmbewehrte Robotergestalt an unsichtbaren Fäden. Autos drehen sich, Köpfe wenden sich, Augen starren gebannt. Sie spiegeln sich im Alles und im Nichts. Sie schauen alle zurück. Fünfzig Jahre an einem Tag.

(c) by Petra van Cronenburg, all rights reserved

22. Januar 2011

Hochgenuss

Die Tasse mit der Teemischung "Prinz Wladimir" dampft auf dem Tisch, der Mond scheint, die Heizung bullert, der Hund schnarcht fast unhörbar, die Lesebrille sitzt auf der Nase. Und in der Hand halte ich den weit gereisten Prachtkatalog der Ausstellung "Diaghilev and The Golden Age of the Ballets Russes 1909-1929" des Victoria & Albert Museums London. Der riecht nicht nur so verführerisch, wie nur ganz besonders feine Kunstbände riechen, wenn sie frisch aus der Druckerei kommen - er ist auch absolut verführerisch für Sinne und Hirn aufgemacht. Demnächst als Empfehlung im Nijinsky-Blog, heute gibt es dort erst einmal einen Film und eine Frage. Auch mein absoluter Geheimtipp für ein Nijinsky-Ballett (youtube), das im Februar zum letzten Mal in Halle gezeigt wird, dürfte mit der "Hilfe"-Anleitung in Deutschland sichtbar werden, wo selbst die Urheber traurig über die Sperrungen sind.
Und ansonsten schwindet nun die Welt da draußen für mich dahin...

21. Januar 2011

Der Traum von der Unsterblichkeit

Wie ging dieser Spruch gleich noch mal: Ein Haus bauen, einen Sohn pflanzen, einen Baum zeugen und ein Buch schreiben? Früher waren das die Zutaten für ein erfülltes Leben und die Grundvoraussetzung für Unsterblichkeit. Auch heute noch kann man auf den ein oder anderen naiven und weltfernen Autor treffen, der glaubt, mit einer Buchveröffentlichung sei die Unsterblichkeit ein wenig näher gerückt. Unser Autor hat wahrscheinlich noch nie etwas davon gehört, dass modernes Taschenbuchpapier nur noch zwanzig Jahre halten muss und Verramschungsfristen immer kürzer werden - bei manchen Büchern liegen sie schon unter einem halben Jahr. Inzwischen ist es außerdem oft lohnenswerter, den Ramsch in Altpapierpressen zu schreddern, als billigst auf den Second-Hand-Markt zu werfen.

Machen wir uns nichts vor. Die Halbwertszeit von Büchern sinkt rapide. Nicht nur erfolglose Autoren landen früher oder später auf der Deponie. Zeit zum Trauern bleibt bei der Fülle der Neuerscheinungen keine. Hat man in der Antike Schrift noch haltbar in Steine geschlagen, werden wir heute von einer Schwemme von Buchgeburten erschlagen. Bücher sind ersetzbar, Autoren erst recht. In einer Kultur mangelnder Aufmerksamkeit wird lustig zwischen den Titeln gezappt, aber selten eine Träne ums Verschwundene vergossen. Was weg ist, kann nicht gut gewesen sein, denken viele. Und haben auch diesen Gedanken am nächsten Tag schon vergessen.

Wer unsterblich bleiben will, wer nachfolgenden Generationen etwas hinterlassen möchte, der ist schlecht beraten, wenn er Bücher schreibt. Viel einfacher ist es, die unterschiedlichen Social Media Plattformen heimzusuchen, bis dass der Tod uns nicht scheidet. Welch eine Vorstellung, die uns die ZEIT mit den digitalen Zombies anbietet! Man denke das Szenario konsequent weiter: Überalterung bei Facebook, Pflegefälle im Netz, zunehmende Demenz bei StudiVZ! Digitale Entsorger, Bestatter und Friedhofsanbieter stehen bereits mit offener Börse im hungrigen Markt bereit...

Ich finde, hier wäre die ideale Spielwiese für Autoren, die von der eigenen Unsterblichkeit träumen und Verlagen wie Bestattern gleichermaßen ein Schnippchen schlagen wollen. Herrliche Zukunftsaussichten warten auf uns. Wir müssen uns nach dem Tod nicht mehr für spätere Alienbesuche schockfrosten lassen, sondern können darauf zählen, dass auch das letzte Geschmeiß von Text in den Kühlhallen des Google Cache überleben wird. So ein digitales Geschreibsel ist zählebig, übersteht Kriege in Nahost und Atomunfälle in Fernost. Unser dämlichstes Facebook-Gefasel überdauert sogar uns selbst. Anders als bei der guten alten CD-ROM überlebt ein virtueller Text auch noch das vierte Modell der sechsten Reader-Generation. Und deine Rechtschreibfehler werden dich verfolgen bis ins siebte Glied.

Die Zeit der Unsterblichkeit durch Papierbücher ist vorbei. Wissen wir denn, ob Tante Erna den geerbten Erstling wertschätzt oder abfackelt? Es ist so einfach heute! Twittern wir, was das Zeug hält, am besten ganze Fortsetzungsromane, Autobiografien in Hackstücken, mehrbändige Aphorismensammlungen! "Liken" wir, was das Zeug hält, "liken" wir alles und jeden, mit Ausnahme natürlich von Tante Erna. Nehmen wir uns an Wikileaks ein Beispiel: Schütten wir alles ins Netz, jeden noch so erbrochenen Textschnipsel, jeden unvollständigen und verqueren Satz unserer Laufbahn. Legen wir überall Profile an, die ewig schön, ewig rüstig, ewig intelligent bleiben!

Der wahre unsterbliche Autor von heute giert nicht mehr nach Verlagsverträgen, sondern verstopft das Netz. Er achtet darauf, dass seine Hinterbliebenen nie erfahren, wohin er seine Texte gesendet hat. Und wenn er eines Tages das Zeitliche segnen sollte, dann geht er und nimmt das Geheimnis seiner Passwörter mit! Tante Erna wird sowieso eines Tages schockgefrostet von Aliens entführt werden - hartnäckigen Offlinern, die sich an dieser zweibeinigen Plappermaschine noch erfreuen können.

20. Januar 2011

Bücherfrauen, Büchermänner

Ich freue mich gerade sehr. Eben habe ich per Mail erfahren, dass ich nun "ordentliches Mitglied" bei den Bücherfrauen bin, wo ich mich aufgrund der Landkarte für die Gruppe Rhein-Neckar entschieden habe. Einer der ausschlaggebenden Gründe, Stuttgart zu verschmähen, sind tatsächlich die vielen Staus und das Chaos um Stuttgart 21. Da wäre ich dann doch ebenso schnell in Paris... Ziemlich neugierig bin ich natürlich jetzt auf das Netzwerk!

Ansonsten schätze ich heute sehr die Büchermänner. Nicht, dass die ein eigenes Netzwerk hätten, aber da kann ich heute zum Glück einige in Sachen Software und Buchherstellung löchern, ohne dass sie krampfhaft dpi-Größen nachschlagen müssen oder von Schlagwörtern wie CMYK erschlagen werden. Mein "kleines" Laienproblem, in einem pdf zum Buch einfach die Fotos auszutauschen, entpuppte sich druckereitechnisch als Knobelaufgabe.

Niederschmetternd auch folgende Erkenntnis: Wer mehr als einmal oder mehr als aus Hobby ein Buch im PoD-Verfahren herstellen lassen möchte, kommt um Profisoftware wie Indesign eigentlich kaum herum - Word produziert nicht nur zu viele Schwachstellen und potentielle Fehlerquellen, es ist vor allem bei Büchern mit Fotos / Grafiken nicht ausreichend. Profisoftware ist jedoch so brutal teuer, dass sich das ganze Unterfangen nicht rechnet. Allerdings kostet ein Hersteller auch Geld, so dass sich irgendwann die Anschaffung der Software lohnt. Die sollte man aber auch im Schlaf beherrschen lernen, sonst braucht man wiederum den Hersteller. Nun habe ich das kostenlose Scribus als Notlösung heruntergeladen und hoffe das Beste. Vorgewarnt wurde ich bereits...

Auf der anderen Seite versuche ich mich mit all den Horden von BoD-Usern zu trösten, die ja auch nur mit Word ein Buch gebacken haben. Aber vielleicht sehen diese Bücher dann auch "selbstgebacken" aus? Das Fazit meiner Serie "Ich bastle ein Buch" steht jedenfalls jetzt schon fest: Das erste in allen Arbeitsschritten selbst zur Druckreife gebrachte Buch ist das schwerste - und es verlangt entweder Mitarbeit aller möglicher Profis oder eine Menge Kalorien für intensiv verbranntes Hirnschmalz! Ein anderes Fazit befürchte ich: Man gibt entweder gleich auf oder wird danach erst richtig süchtig...
Wenn ich gleich zum Austesten die neue Software öffnen werde, kommt mir wahrscheinlich der ganz große Katzenjammer.

Buchhandel on oder off

Passend zum letzten Thema gibt es Lesestoff in Sachen Buchhandel. Gar nicht so einfach scheint die Sache mit den Schubladen zu sein, zumal seit einiger Zeit zwei viel größere Schubladen angeblich gegeneinander kämpfen: Offline-Buchhandel, also stationärer, und Online-Buchhandel. Wer wird gewinnen?

Zwei Beispiele zeigen, dass es angebrachter wäre, die Scheuklappen von den Augen zu nehmen und zu erkennen: Unsere Welt ist längst keine gespaltene mehr. Virtuelle Welt und "real life" durchdringen sich gegenseitig.

Die Stuttgarter Buchhändlerin Susanne Martin, die auch als @SchillerBuch twittert, argumentiert im Börsenblatt eindrücklich, warum keine Buchhandlung auf einen Web-Auftritt verzichten sollte. Tatsächlich habe auch ich mich schon mehrfach geärgert, dass ich vor einer Reise in fremde Städte zwar jeden Orthopäden oder Handtaschenladen in der Suchmaschine finde, aber selten wenigstens eine aussagekräftige "Visitenkarte" der ortsansässigen Buchhandlungen. Und wenn ich bei meinem Leib- und Magenbuchhändler bequem und jederzeit per Mail meine Bestellung loswerden kann, um erst dann zu ihm zu fahren, wenn alles da ist, so bindet mich das erst recht an den Laden. Mein Buchhändler ist sogar so vif, dass er mir per Mail Vorschläge für Recherchen oder Bücher zu bestimmten Themen macht - nicht zu reden von den zufälligen Fundstücken, die ich dann im Laden noch zusätzlich einpacken lasse. So zeigt auch Susanne Martin: Die Kunden von heute bewegen sich on- wie offline. Wohl dem, der sie an beiden Orten abholen kann.

Allerdings ist der ach so grenzenlose Onlinehandel dann oft nicht besser als das schlecht sortierte Geschäft im echten Leben. In dieser Hinsicht sorgt Hugendubel derzeit für sehr negative Schlagzeilen. Anspruchsvolle Kunden, die glauben, in einem Onlineshop seien tatsächlich alle im VLB gelisteten Bücher auch käuflich zu erwerben, unterliegen nämlich einem Irrtum. Der Hugendubel Verdi Infoblog will wissen, dass Hugendubel scheinbar mit Methode Bücher aus dem Programm wirft, die der katholischen Kirche nicht passen könnten. Bücher zu Kirchenkritik und Homosexualität seien besonders betroffen.
Die Aufregung darum verstehe ich allerdings nicht so ganz: Ein Austritt als Kunde dürfte leichter zu bewerkstelligen sein als ein Kirchenaustritt.

Support your local hero ;-)

19. Januar 2011

Ein "gemachter" Mann

Ein Artikel im Buchreport über Terry Pratchett gibt mir gerade sehr zu denken. Der Bestsellerautor steht auch in meinem Regal, weil er wohltuend mit dem üblichen Fantasygedöns brach. Seine "Scheibenwelt" ist Gesellschaftskritik, nicht einfach ein Sammelsurium niedlicher Elfen und böser Trolle. Ich hatte schon immer ein Faible für Satire und vermisste nur manchmal, wie viel beißender Humor und Sprachspiel bei der Übersetzung verlorenging. Viele Fans lasen ihn deshalb lieber gleich im Original.

Tja - und jetzt kommt man in Deutschland plötzlich auf den Trichter, dass man den Autor all die Jahre über ins völlig falsche Regal geräumt hat. Die Idee kommt jedoch nicht etwa deshalb auf, weil Fans genau das seit vielen Jahren bemängeln. Es dürfte eher das Versprechen von noch mehr Profit sein, dass Terry Pratchett jetzt aus dem "Schmuddeleck" Fantasy befreit werden soll und zum "richtigen" Autor gekürt wird. Schluss mit Genre, er kann mehr als Genre. Das sage nicht ich, das sagen Verleger und Lektorin bei Goldmann (oder war's doch Manhattan und Buchreport verwechselt da etwas?), jedenfalls: Der Manhattan Verlag gönnt ihm jetzt andere Übersetzer und ein feineres Outfit dazu.

Es ist schon faszinierend, welche Einsichten man aus diesem Vorgang und diesem Artikel gewinnen kann. Obwohl es eigentlich nichts Neues ist: Genre ist nichts Richtiges. Weder für die Verleger noch für die Buchhändler. Richtig ist man nur, wenn man keinen Genre-Aufkleber auf der Stirn mit sich herumträgt. So ein richtiger Schriftsteller wird nicht in Spezialregale geräumt. So ein richtiger Schriftsteller wird nicht mehr auf Genrezutaten heruntergebrochen, sondern völlig neu wahrgenommen - nämlich mit dem, was er kann. Pratchett wird künftig sogar im Feuilleton ernst genommen werden. Da regen sich Genre-Autoren über das Schmuddelimage auf - dabei beginnt es schon im Verlag: 1. Klasse, 2. Klasse...

Etwas neuer ist vielleicht für manche die Erkenntnis, wie leicht sich Genre oder Nicht-Genre mit Marketing "machen" lässt. Man nehme einen Künstler für die Cover, achte auf Corporate Identity bei den Umschlägen und gestalte das Buch edel und modern. Man investiere kräftig in Werbung für den Buchhandel und Social media. Fertig ist der richtige Autor, der einst Genre-Autor war. Nur der Inhalt der Bücher - der ist völlig gleich geblieben. Der wird aber jetzt vielleicht anders wahrgenommen, weil er anders verpackt ist.

Wie viele Autoren, die nicht so berühmt sind, werden eigentlich falsch platziert? Wie viele Bücher ließen sich völlig anders ins Licht der Öffentlichkeit rücken, wenn sich ein Verlag wirklich für deren Inhalte engagieren würde? Wie abhängig sind wir Autoren von Grafikern? Wie kommen wir aus einer Schublade wieder heraus, falls es die falsche war? Warum werden Autoren nicht an ihrem Können und ihren Inhalten gemessen, sondern an künstlich gemachten Schubladengrenzen, die einzig und allein der leichteren Sortierbarkeit im Regal dienen?
Nein, Antworten habe ich leider keine...

Nachtrag: In der Bibliotheka Phantastika kann man nachlesen, was Pratchett-Fans und Fantasyleser von der Aktion halten.
Bei Schreibblockade kann man die neuen Cover begutachten und findet eine Menge Links zum Nachhall über die Aktion.
Ganz spontan fände ich die Cover richtig niedlich für leicht trashige Kinderbücher ... etwa: "Das kleine grüne Männchen in Papas DVD-Player verstehen - leichtgemacht" und "Quidditch gegen die schwarze Lehrer-Gang" und "Hexe Bullerbü räumt auf". Ob die Fans das Outfit schlucken werden?

17. Januar 2011

Blattkritik

Uff, es ist geschafft. Eine ganze Woche das Special "Frauenwoche für Buchmacherinnen" ausgedacht, recherchiert, geschrieben, betreut, erfragt, beworben, korrigiert und organisiert. Und wie das in Sabbatsemestern offensichtlich so ist, kam in dieser Woche auch alles andere auf einmal: Endendendlektorat der Übersetzung, eine Lyrikübersetzung, aufwändiger Behördenschriftverkehr und und und... Am Samstag Abend war ich erleichtert, erschöpft und stolz, wirklich alles geschafft zu haben. Doch so schön das ist, dass man heutzutage ganz allein "Ich mache eine Zeitschrift" spielen kann - mir fehlt etwas. Mir fehlt ganz gewaltig eine schöne Institution namens "Blattkritik", wenn die beteiligten Redakteure konferieren und sich gegenseitig kritisieren, um es das nächste Mal besser zu machen.

Ich kann das natürlich mit mir selbst durchspielen und meine Erkenntnisse und Eindrücke wiedergeben. Was bringt eine Themenwoche im Blog, wo liegen die Haken?

Anders als bei Zeitungen / Zeitschriften könnte das Medium "Blog" von der Dichte und Länge überfordert sein. Obwohl das ausdrückliche Angebot besteht, Artikel über längere Zeiträume nachlesen zu können, scheinen mir BlogleserInnen doch schnelllebiger zu denken. Ist es ein Indiz, dass die Kommentare schlagartig ausbleiben? Ist es ein Indiz, dass Applaus- und Buhtaste sehr viel weniger geklickt werden als sonst? Oder wird auch in Zeitungen / Zeitschriften inziwschen bei einem Special nur der Aufmacher gelesen?

Eine Themenwoche - vor allem, wenn sie wie diese nach außen verknüpft wird (ich danke den Bücherfrauen und der Mädchenmannschaft) - zieht eine erstaunliche Menge völlig neuer Leserkreise an. Unerwartet für mich: Es sind auch diese neuen Leserkreise, die verlinken und empfehlen, seltenst die StammleserInnen. Hier liegt ein Potential, aber auch eine Gefahr: Ab wann vergrault man sich die StammleserInnen, die ihr gewohntes Umfeld vermissen oder mit einem Spezialthema nichts anfangen können? Wie kann man die NeuleserInnen auch nach der Themenwoche begeistern? (Notiz: Twitter ist inzwischen ein unverzichtbares Instrument für "Neuzugänge" geworden).

Man sollte auch in Blogs mehr mit journalistischen Formen experimentieren. Nicht nur während der Frauenwoche habe ich festgestellt, dass Interviews besonders gern gelesen werden - vorausgesetzt, man bringt nicht nur eine nette Plauderei, sondern bietet auch genügend Informationsgehalt.

Interviews sind eine hervorragende Methode, ein Blog zu öffnen und andere Menschen einzubinden. Man sollte aber nicht die Arbeit unterschätzen. Dabei meine ich nicht einmal die Gesprächsführung. Es ist ungemein viel einfacher, ein mündliches Interview zu führen, das man ohne Authentifizieren ins Blatt heben kann. Abgesehen davon, dass schriftliche Interviews nie so lebendig werden, muss man hier auch nachträglich mehr nachfragen, kann nicht spontan auf eine Aussage reagieren oder muss mehr erklären. Und leider ist es auch eine Platzfrage im Blog, wie man Substanz konzentrieren kann.

Eine Themenwoche dieser Größe überschreitet die Grenze zur Selbstausbeutung. Da steckt einfach so viel professionelle Arbeit drin, dass man sich schon fragt, warum man das nicht bezahlt woanders macht. Idealismus ist also doppelt von Nöten.

Aber - mir hat die Themenwoche auch hinter den Kulissen derart viele interessante Kontakte in die Buchbranche gebracht, dass sich das schon deshalb gelohnt hat. Die beiden Interviews und die Zusammenarbeit mit den Bücherfrauen, die mir technisch geholfen haben und sogar ihre eigenen Texte brav selbst korrigierten (welch Luxus), haben mich schließlich dazu gebracht, mich in dem Verein anzumelden. Nun fühle ich mich in Frankreich etwas weniger abgeschnitten. Natürlich lässt sich so ein Ergebnis nicht verallgemeinern. Aber ich denke, Specials können für Kontakte zu anderen Menschen sorgen.

Die Auswertung der Themenwoche und meines Blogs an sich zeigt mir außerdem sehr deutlich, was Leser am meisten bevorzugen und wo eher ein paar Stammleser sich heftig engagieren oder neue "Surfer" vorbeikommen. Ganz am Ende der Beliebtheitsskala liegen - man glaubt es kaum - die lockeren Artikelchen, in denen eine Autorin von ihrer täglichen Arbeit oder ihren Büchern erzählt. Heiß begehrt: Insider-Infos und provokative Themen.

Spätestens hier ist Analyse angesagt: Warum macht man so ein Blog? Wen will man ansprechen? Was will man davon haben? Mein eigenes Fazit wird immer deutlicher: Ich erreiche hier nur in Ausnahmefällen potentielle LeserInnen meiner Bücher. Ich erreiche interessante Kontakte in der Buchbranche und schärfe mein Profil als "Marke". Für reine LeserInnenkontakte eignet sich jedoch ein Blog zum Buch eher als ein Autorenblog - ich habe den Vergleich mit dem Nijinsky-Blog. Für Autoren, die wie ich sehr unterschiedliche Bücher schreiben, bedeutet das jedoch einen immensen Arbeitsaufwand mit nicht immer garantiertem Ergebnis. Man steht also immer vor der Frage: Baue ich mich selbst als Marke auf oder baue ich eine Schublade für meine Bücher auf?

Das waren meine spontanen Beobachtungen vor einer undurchsichtigen Wand - ich kann in meine Leserinnen und Leser ja nicht hineinschauen. Darum an alle die Frage: Was hat gefallen, was kann man besser machen? Ich bin dankbar für jedes Feedback!

15. Januar 2011

Am linken Ufer

Es war einmal eine Zeit, als in einer bestimmten Stadt zumindest für KünstlerInnen und Intellektuelle paradiesische Freiheit in Sachen Leben und Arbeit herrschte. Sie alle trafen sich in den Cafés: Anarchisten und Nationalisten, Nacktmodelle und Verlegerinnen, heruntergekommene und berühmte Maler, Mäzeninnen und Millionärinnen, Menschen aus den USA und Russland, lesbische, schwule, bisexuelle ... Stop.

Zu jener Zeit in jener Stadt gab es nämlich unsere heutigen Schubladen nicht und auch nicht das Bedürfnis, sich oder die Mitmenschen in solche einzuordnen. Die Künstlerinnen und Künstler lebten, wie es ihrer Persönlichkeit gerade entsprach. Nie zuvor und nie mehr danach befruchteten diese grenzenlose Vielfalt und der tolerante Umgang miteinander derart bahnbrechend und umwälzend Kunst und Kultur. Die Rede ist vom Paris der Avantgarde, welche die ersten beiden Jahrzehnte des zwanzigsten Jahrhunderts prägte. Eigentlich ist das Thema ein alter Hut, Bücher und Filme über diese einmalige Zeit und Lebensweise gibt es wie Sand am Meer. Leider folgen viele davon der auch später wieder üblichen Geschichtsschreibung, bei der berühmte Männer genannt und berühmte Frauen vergessen werden.

Mir selbst war diese Haltung nicht immer leicht, als ich gerade Dan Francks Buch "Montparnasse und Montmartre" aus dem Französischen übersetzte. Ab und zu habe ich mir als Übersetzerin Fußnoten erlaubt. Habe etwa darauf hingewiesen, dass es sich bei der drolligen Kantinenwirtin, die für die berühmten Männer im Kessel rührte, tatsächlich um die erste weibliche Kubistin von Rang handelte. Aber immerhin hat dieser Autor zwei Frauen mit Respekt behandelt, die in einem anderen Buch eine führende Rolle spielen. Dieses andere Buch möchte ich vorstellen.

Das Frauenpaar, mit dem es beginnt, steht fast schon symptomatisch für die Lebenskultur von Paris in der Zeit der Bohème. Die eine ist Französin, wirkt wie eine Frau vom Land und will sich ihren Kindheitstraum erfüllen. Die andere kommt aus den USA, kleidet sich schulmädchenhaft und gründet ihr Geschäft nur, weil ihr der Kriegsdienst auf den Nerv geht. Sie lernen sich kennen und lieben und verändern das schriftstellerische Leben Europas. Heute kennt jeder Adrienne Monniers "La Maison des Amis des Livres", die erste avantgardistische Buchhandlung und erste Leihbücherei Frankreichs. Zwei Häuser weiter zog schließlich Sylvia Beach mit "Shakespeare & Company" ein, jenem legendären Treffpunkt der Emigranten, in dem sie zur Poststelle und Kontaktbörse wurde. Ein damals völlig unbekannter Journalist und Möchtegernschriftsteller namens Hemingway lieh sich bei Adrienne Monnier aus Geldmangel Bücher, während Sylvia Beach seinen Sohn hütete. Sylvia hatte ein Herz für ihre Kundinnen und Kunden, war aber auch ungemein mutig. Ständig in Gefahr, verhaftet zu werden oder in den Bankrott zu geraten, gab sie den in den USA verbotenen Roman "Ulysses" von James Joyce heraus.

In den beiden Buchläden des lesbischen Paars ging die künstlerische und literarische Welt Europas ein und aus. Eine aus Deutschland geflohene jüdische Fotografin lichtete diese Berühmtheiten alle ab, indem sie sich Endstücke von 35-mm-Filmen zusammenschnorrte. Adrienne mietete Stühle, lud die Fotografierten ein. Die Wände waren mit weißen Leintüchern bedeckt und die später weltbekannte Giselle Freund projizierte ihre Portraits darauf. Vorher hatte Man Ray hier seine ersten Bilder ausgestellt. Die beiden Buchhändlerinnen ließen sich für die Kundschaft ständig Neues einfallen. Bei Adrienne konnte man sämtliche europäischen Avantgarde-Zeitschriften lesen oder kaufen - und beide veranstalteten Lesungen, Musik-Tees oder Ausstellungen. Kein Wunder, dass sich hier wichtige Kontakte ergaben und Künstlerinnen oder Literaten gemeinsame Projekte entwickelten.

Die Namen der Männer sind Schulstoff: Breton, Apollinaire, Cocteau, Gide. Vielleicht erinnert man sich an Colette. Und die anderen Frauen?

"Paris war eine Frau. Die Frauen von der Left Bank" erzählt ihre Geschichte. Die amerikanische Film- und Kulturhistorikerin Andrea Weiss, die für ihren Doku-Erstling "Before Stonewall" den Emmy bekam, drehte mit Greta Schiller als Regisseurin zunächst den gleichnamigen preisgekrönten Film, in dem die beiden Frauen Giselle Freund noch interviewten. Der in der Edition Ebersbach erschienene, mir vorliegende Bildband ist nur noch antiquarisch erhältlich, doch liefert Rowohlt offensichtlich wieder das Taschenbuch. Die DVD mit dem Film kann man immer wieder im Antiquariatshandel finden. Untergehen sollte beides nicht - es ist ein Standardwerk der Frauengeschichte.

Andrea Weiss schreibt sehr lebendig und unterhaltsam, sie montiert ihre eigene Erzählung so geschickt mit Originalzitaten der Beteiligten zusammen, dass man in diese lebendige Frauengesellschaft der Avantgarde zurückversetzt wird. Achtundzwanzig außergewöhnliche Frauen werden in dem Buch portraitiert, darunter z.B. Frauen wie die irische Designerin und Architektin Eileen Gray, die französische Malerin Marie Laurencin oder die amerikanische Kunstsammlerin Gertrude Stein mit ihrer Partnerin Alice B. Toklas.

Symptomatisch sind die Lebensläufe - wenn etwa die Millionenerbin Nancy Cunard mit ihrer Familie brach, um als Dichterin mit der Bohème zu leben - oder wenn Radclyffe Hall in ihrem Roman "The Well of Loneliness" (1928) von Paris aus für mehr Toleranz gegenüber lesbischen Frauen warb und bis 1948 in England verboten blieb. Da ist die Nichte von Oscar Wilde, Dolly Wilde, die auch Schriftstellerin wurde, sich aber durch Alkohol und Drogen zugrunde richtete. Oder die Schriftstellerin und Journalistin Solita Solano, die auf ihre Karriere verzichtete, um ihre Partnerin Janet Flanner zu unterstützen, die als Korrespondentin für den New Yorker schrieb. Die große Natalie Barney, von Dutzenden von Schriftstellern in Romanen verewigt, brach in ihrem Salon zahlreiche Frauenherzen und förderte die größten Talente unter männlichen wie weiblichen Intellektuellen und Künstlern.

Es ist ein faszinierend breites, individuell äußerst reiches Spektrum von Frauen, die zu Pionierinnen in Architektur, Fotografie, bildender Kunst, Ballett, Theater, Modedesign und Kinematografie werden. Das Buch von Andrea Weiss macht deutlich, warum es dieses Paris der Rive Gauche, des linken Seineufers, nie mehr danach geben konnte: Hier lebten sie alle miteinander auf engem Raum, die Migranten und die Einheimischen, die Menschen aus so extremen Enden der Welt wie Amerika und Russland. Ihre Unterschiede waren teilweise gravierend, von der sozialen Herkunft her, der Kultur, der Religion oder Bildung. Aber es herrschte ein respektvoller Umgang, bei dem sich die Unterschiede gegenseitig befruchteten. Es wurde weniger integriert als experimentiert - es wurde gelebt, was man heute "Interkultur" nennt. Und da war noch etwas anders...

Die meisten dieser ungemein begabten und zum großen Teil auch heute noch berühmten Frauen hatten zur Zeit ihrer Ankunft in Paris weder Mann noch Kinder - und ihre sexuellen Vorlieben waren beileibe nicht genau definiert oder gar lebenslänglich festgeschrieben. In der Bohème von Paris fanden sie die Freiräume, ihre eigenen Vorstellungen zu leben und selbstverständlich mit Menschen umzugehen, die andere Vorstellungen hatten. In diesem Paris, das es nicht mehr gibt, probten Ausländer wie Einheimische neue Lebens-, Liebes- und Arbeitskonzepte, die teilweise so ihrer Zeit voraus waren, dass man sie erst in den 1960ern wiederentdeckte. Es waren die Kriege und Nationalismen, die dieses Paradies zerstörten.

Hier setzt auch mein einziger Kritikpunkt an: Das Buch konzentriert sich im Widerspruch zu jener Wirklichkeit doch sehr auf englischsprachige Migrantinnen. Ich hätte mir auch ein paar Beispiele aus anderen Kulturen gewünscht, von Frauen, deren Namen nur kurz angerissen werden.

Paris, das einstige kulturelle Zentrum Europas mit seiner Fernwirkung bis in die USA und nach Russland ist heute eher ein inszeniertes Museum alter Glanzzeiten. Migranten werden in die Ghettos der Banlieues gepfercht und Frauen haben in den Vorstädten nur noch wenig zu lachen. Das reich mit Fotos bebilderte Buch von Andrea Weiss lässt jedoch eine Welt auferstehen, die uns so fern gar nicht ist, wie sie scheint. Wir könnten uns von vielen dieser Frauen eine gehörige Scheibe abschneiden, was den Mut betrifft, sich selbst und die eigene Kunst völlig selbstverständlich zu leben, auch wenn der Mainstream anderes propagiert.

Andrea Weiss: Paris war eine Frau. Die Frauen von der Left Bank. Paperback: Edition Ebersbach (antiquarisch), TB: rororo.
Paris war eine Frau. Film von Andrea Weiss und Greta Schiller (Regie) (Im Original "Paris was a Woman" im Handel, in limitierter Auflage auf Deutsch bei Delicatessen)

14. Januar 2011

Alltagswahnsinn, weiblich

Wie lebt eigentlich eine Autorin mit drei Berufen (waren's nur drei?) während so einer Frauenwoche? Die Antwort ist einfach: gar nicht. Diese Woche habe ich neben der Arbeit (zu der ich gerade das Blog zähle) für genau drei Dinge Zeit: Essen, Schlafen, Hundelauf. Daneben brüllt alles gleichzeitig nach mir. Beiträge wollen vorbereitet und bei Twitter nachbereitet werden, vor dem Abklicken zig mal redigiert werden, während die Mailbox explodiert. Auch Leute, die sonst nie anrufen, werden auf einmal redselig.

Mein Mailprogramm arbeitet längst mit Farben, grellgelb kommt der Alarm aus dem Übersetzungslektorat, in dem just in dieser Woche die letzten Fragen zu klären sind. Zwei Tage lang laufe ich mit dem Text eines französischen Gedichts von Apollinaire in der Tasche herum. Ich bin keine Lyrikübersetzerin, ich will eigentlich keine werden, aber dieses im Prosabuch zitierte Gedicht wurde noch nie ins Deutsche übersetzt. Ich bin die erste und ich muss es tun. Lautmalerei, Rhythmen, Gefühl für Zweideutigkeiten. "Les obus miaulaient..." Ich stapfe damit in Gummistiefeln durch überflutete Wiesen, frisch aufgebrachter Kuhmist fließt mir um die Füße. Der Hund muss sich meine Stammeleien anhören. Lautmalerei. Sirrende Granaten - oder krachen sie besser oder sollen sie jaulen ... er lässt sich nicht ablenken, gräbt Wühlmausgänge auf. Kleine Schützengräben fluten, fließen ab, und ich habe mein Ambiente für Apollinaires versiegendes Blut. Mein Hund hört sich das Gedicht an, bis ich dessen Übersetzung auswendig kann - denn ich habe meinen Stift vergessen.

Daheim all diese Nebenjobs: Die Chefin (ich) braucht dringend frischen Tee, die Köchin (ich) eilt an den Arbeitsplatz. Die Chefin (ich) schreit nach der Sekretärin (ich), zu viel Post ist aufgelaufen. Die Chefin (ich) wünscht sich einen athletischen Hinterntreter (ich? aber athletisch?) für die Behörden, die ausgerechnet jetzt wieder vorgestern Formulare ausgefüllt haben wollen. Die Sekretärin (ich) plant Überstunden fürs Wochenende ein. Die Chefin (ich) lässt mich alleine. Beauty-Termin beim Friseur über 30 Kilometer weit weg - und dann geht sie auch noch frech Kaffee trinken! Ich bleibe erschlagen am Schreibtisch zurück. Muss mir abends Frohlocken über den schönsten Stau aller Staus anhören. Bei France Musique hätten sie eine Sondersendung über die Ballets Russes gebracht, aus Nijinskys Tagebüchern zitiert, Strawinsky gespielt, zum Glück hätte sie so lange gestanden. Dafür ist die frohlockende Chefin (ich) an diesem Abend eine verdammt miese Köchin (ich) und mich (ich) reißt dann auch das Fernsehprogramm nicht mehr hoch. Es hat mich ermüdet, an diesem Tag auch noch Chauffeuse (ich) zu spielen.

In der gleichen Woche melden sich nach unendlichen Jahren plötzlich völlig verschollen geglaubte tolle Freunde von früher, für die ich eigentlich Zeit haben muss. Schließlich haben sie die Chefin (ich) gegoogelt, um mich endlich ausfindig zu machen. Mit halb geschlossenen Augen und Muskelkater in den Fingern tippe ich kurze Morsezeichen: "Auf ganz bald!" Jahre meines Lebens sausen an mir vorbei, Länder, Sprachen. Und dann fehlt mir einfach eine Sekretärin (ich).

Die wiederum (ich) lässt frech einen Termin der Chefin (ich) sausen, weil Menschen aus London via Frankreich in Deutschland am gleichen Tag eine Preziose in Sachen Nijinsky übergeben wollen. Wir brechen eine internationale Verschwörung vom Zaun und vereinbaren, dass die Chefin zu diesem Zeitpunkt dringend Labung beim Winzer braucht. Die Verschwörungstechnikerin (ich) wartet jetzt geduldig, bis die Chefin (ich) ein Schlückchen Elsässer Sylvaner geschlürft hat, und eilt derweil als Köchin (ich) an die Garnelen (nicht ich), um die Genusschefin (ich) zu fragen, ob dazu eher ein Safranrisotto oder...

Soll mal noch einer sagen, Frauen könnten sich nicht zweiteilen! Unsereins kann sich sogar selbst rädern und vierteilen.

Möge dieser Beitrag all diejenigen entschädigen, die in dieser Woche vergeblich auf Antwort von mir warten.

Frauenlektüren

Da habe ich ja etwas Schönes angerichtet. Völlig unjournalistisch, sich in solch persönliche Nähe zu Interviewpartnern zu begeben, oder? Was hilft es da, wenn ich schwöre, vor den Interviews nicht an einen Beitritt bei den Bücherfrauen gedacht zu haben? Ich höre schon manche im Hintergrund zischen: Vetternwirtschaft. Was nützt es da, zu sagen, ich sei erst danach wirklich überzeugt gewesen?

Mir geht es bei meiner Arbeit oft so. Als ich den Text für ein Theaterprojekt übersetzte, war ich so begeistert von der Arbeit der Auftraggeber, dass ich mich danach für Theater auf dem Land engagierte. Ein guter Freund war ein "Interviewopfer" von mir, zu dem mich die Redaktion schickte, obwohl ich dazu wirklich absolut keine Lust hatte. "Den habe ich in einer halben Stunde abgefrühstückt", sagte ich noch zu den Kollegen. Einige Menschen, über die ich objektiv als Journalistin geschrieben hatte, fanden in mein ganz privates Leben. Auch darum liebe ich diesen Beruf und vermisse ihn als Buchautorin manchmal: Man kommt einer Vielfalt von Menschen sehr nah, kann neugierig Fragen stellen und neue Dinge kennenlernen. Und manche Dinge faszinieren dann länger als nur für ein Interview.

Für mein Leben gern hätte ich diese Grande Dame des Kriminalfilms interviewt: Margaret Rutherford. Der Tagesspiegel hat ein wunderbar sensibles Portrait der unvergessenen Darstellerin der Miss Marple gezeichnet. Und während man heute immer noch und immer wieder darüber streitet, ob die Autorin Agatha Christie denn nun "echte" Literatur geschöpft habe, gerät gern in Vergessenheit, dass man mindestens genauso erbittert darüber streitet, ob sie nun Feministin war oder nicht. Auf welche Seite in diesem Streit man sich auch immer stellen mag - wir sollten nicht vergessen, dass all unsere Fernsehkommissarinnen dank dieser frühen Vorbilder existieren. Miss Marple war vielleicht nicht der Inbegriff moderner Feminismusschubladen, aber sie war in ihrer männergeprägten, sehr traditionellen Welt eine hochintelligente, brillante Detektivin mit einem sehr eigenen Kopf.

Feminismus. Das war doch mal. Irgendwann in den 1960ern, als die Pille erfunden wurde und die Leute von mehr Freiheit träumten. Und dann gab es ja noch ein paar Wellen. Ziemlich militant sogar in den 1980ern, Müsligeneration, Turnschuhpolitiker. Manchmal gibt es im Fernsehen heute noch Feministinnen. Und ziemlich oft streiten dann die anderen Feministinnen, ob sie die überhaupt noch gut finden. Was also soll das alles heute noch? Sind wir nicht alle längst immun gegen so etwas?

"Das wird mir alles nicht passieren. Wie bleibe ich FeministIn" heißt das Buch von Marlene Streeruwitz (Fischer), das eigentlich ein "Crossmedia"-Projekt sein soll. Interessant ist der Ansatz: Marlene Streeruwitz ist Literatin, sie schreibt keine Kampfschrift, sondern Erzählungen. Erzählungen, die Wirkung hinterlassen und auf ihrer Website diskutiert und sogar weitergeschrieben werden können. Die Mädchenmannschaft hat die Autorin zum Projekt interviewt. Das Experiment ist gewagt, denn die Hochliteraturszene in Deutschland ist nicht so internetaffin wie die der Unterhaltungsliteratur - warum auch immer. An einer Community für das Projekt mangelt es leider etwas. Das Buch ist im Internet angekommen, aber noch nicht wirklich in der Kommunikation - da ginge mehr bei den KommentatorInnen.

In den USA sind Leserinnen nun so wütend, dass sie zu eifrigen Kommentatorinnen, aber auch Boykotteurinnen werden. "The New Yorker" bekam Ausgaben von erbosten Leserinnen zurückgeschickt, denen es auf die Nerven fiel, dass fast nur Artikel von Männern veröffentlicht wurden, obwohl auch in den USA Journalistinnen inzwischen völlig selbstverständlich den Beruf erobert haben. Jezebel hat daraufhin andere bekannte US-Zeitschriften, auch literarische, untersucht. Das Ergebnis ist ähnlich niederschmetternd.

Da sind wir wieder am Anfang meines Beitrags, bei den Journalistinnen. Journalismus ist längst kein Männerberuf mehr in Deutschland. Aber vielleicht macht sich jemand einmal den Spaß, unsere Qualitätsmedien auf das Verhältnis zwischen schreibenden Männern und Frauen zu untersuchen? Einfach einmal außerhalb der "typischen" und "weichen" Frauenthemen (und -zeitschriften) hinschauen: Im großen Feuilleton etwa, bei den führenden Kritikern, in der Politik, bei IT-Themen, in der Wirtschaft...

Kleiner Nachtrag: Mein Artikel "Lesen ist gefährlich" erschien als Gastbeitrag auch bei der Mädchenmannschaft.
Morgen stelle ich zum Abschluss der Frauenwoche ein besonderes Buch zu einem besonderen Film vor - die Reise geht nach Paris.

13. Januar 2011

Frauke Ehlers über die BücherFrauen

Wer sind eigentlich die BücherFrauen und was macht dieses Netzwerk? Einblicke gibt BücherFrauen-Beirätin Frauke Ehlers (FE) im Gespräch mit Petra van Cronenburg (PvC)

Aufgrund der Platzkapazitäten von Blogger gebe ich hier ein gekürztes Interview wieder. Die Kürzungen sind mit [...] markiert. Das ungekürzte Interview kann man bei den BücherFrauen als pdf lesen. (Link direkt aufs pdf)

PvC: Frauke Ehlers, Sie sind für die BücherFrauen gleich an mehreren Stellen aktiv. Können Sie einen kurzen Überblick Ihrer Aufgaben geben?

FE: Seit Frühjahr 2009 betreue ich die Social Media-Aktivitäten des Vereins. Den Twitter Account hatten wir für die Bewerbung unseres Mentoring-Kongresses im Sommer 2009 in Stuttgart eingerichtet. Daraufhin kam so viel gute Resonanz, dass schnell entschieden wurde, diesen Kommunikationskanal weiter zu nutzen und in einen @buecherfrauen Account umzuwandeln. Zudem gibt es seit dem Kongress eine XING-Gruppe, die ich mitmoderiere.

Seit Anfang November 2010 bin ich eine von drei Beirätinnen. Dieses Gremium wurde 2007 ins Leben gerufen. Es sollte helfen, den strategischen Blick auf die Aufgaben, Tätigkeiten und die Entwicklung der BücherFrauen zu schärfen und dem Vorstand in beratender Funktion zur Verfügung stehen. [...]


PvC: Was bieten die BücherFrauen ihren Netzwerkerinnen?

FE: Das wichtigste Vernetzungsinstrument sind die Regionalgruppen. Dort wird auch die inhaltliche Arbeit geleistet. Auf der Website www.buecherfrauen.de finden sich zum Beispiel für 2011 schon die Jahresprogramme der Städtegruppen Berlin, Stuttgart u.a. Diese Programme werden nach den Bedürfnissen der Mitgliedsfrauen vor Ort erstellt und es findet sich dann immer eine oder zwei, die sich für je einen Abend verantwortlich zeichnen. Auch Stammtische spielen eine wichtige Rolle, bei denen die Mitgliedsfrauen miteinander ins Gespräch kommen. In Stuttgart gibt es monatlich ein BücherFrauen-Frühstück, das diese Funktion erfüllt, in Berlin einen Salon etc.

Größere Außenwirkung haben die beiden „Flaggschiffe“ BücherFrauen-Mentoring und die BücherFrauen-Akademie.
Das Mentoring Programm gibt es mittlerweile seit elf Jahren. Knapp 500 Teilnehmerinnen, Mentorinnen, Mentees und Organisatorinnen profitierten schon davon. [...]
Mentoring ist eine vertrauliche Zweierbeziehung, in der eine berufserfahrene eine jüngere Branchenfrau für ein Jahr in ihrer beruflichen Entwicklung begleitet. Bei gemeinsamen Auftakt-, Zwischen und Schlussveranstaltungen sowie bei Stammtischen mit der gesamten Gruppe steht wieder die Vernetzung zwischen den Teilnehmerinnen im Mittelpunkt. Mentoring ist ein wunderbares Instrument aus dem großen Pool der BücherFrauen diejenigen zusammenzubringen, die sich gegenseitig unterstützen können. Es funktioniert ausschließlich aufgrund des großen Engagements der Organisatorinnen, die oft mehrere Runden auf die Beine stellen. Manchmal findet sich aus dem Kreis der Mentees ein neues Team, die von ihrem eigenen Mentoring so begeistert waren, dass sie sich als künftige Organisatorinnen zur Verfügung stellen.

Die BücherFrauen Akademie ging aus einer Idee auf einer unserer Jahresversammlungen hervor. Seit vier Jahren finden die Workshops unter diesem Namen zweimal jährlich statt. Im Frühjahr auf dem Mediacampus in Frankfurt und im Sommer auf Sylt. Die nächste Winterakademie startet am 4. Februar 2011 mit zwei parallel laufenden Seminaren: „Verhandlungsführung“ mit der Sachbuchagentin Heike Wilhelmi und „E-Books, Apps, Twitter und Co – elektronisches Publizieren“ mit Martina Steinröder, Managementberaterin für Verlage. Die Sommerakademien stehen ganz im Zeichen der Textarbeit – sind also geeignet für Autorinnen, Übersetzerinnen und andere „Textarbeiterinnen“.


PvC: Virtuelle Vernetzung spielt inzwischen auch bei den BücherFrauen eine große Rolle. Viele Netzwerke kranken jedoch daran, dass sich die Mitglieder nicht persönlich kennen und darum oft nicht verpflichtet fühlen. Sind die BücherFrauen eher ein „analoger“ oder ein „digitaler“ Verein? Was stärkt den persönlichen Kontakt im „wahren Leben“?

FE: Die BücherFrauen sind in meinen Augen ein analoger Verein. Aber seitdem es zur oben erwähnten BücherFrauen-Akademie ebenfalls eine E-Akademie gibt, in der Social Media im Fokus steht, öffnen sich die Teilnehmenden dieser sehr guten Online-Fortbildung dem virtuellen Raum – und plötzlich sind sie bei Twitter, Facebook und XING anzutreffen. [...]

Die beste Eintrittskarte, um sich zu vernetzen, ist jedoch das Engagement für ein „reales“ Projekt. Ein solches findet sich bei den BücherFrauen, die offenen Auges sind, schnell, und über die Teamarbeit lernt frau sich dann am besten und intensivsten kennen.



PvC: Die BücherFrauen machen wahr, was angeblich ein Ding der Unmöglichkeit ist. Sie nehmen Freiberuflerinnen und Angestellte auf, bringen Frauen in führenden Positionen der Buchwelt mit Frauen in Zulieferjobs, Erfahrene mit Berufsanfängerinnen an einen Tisch. Entstehen bei solch unterschiedlichen Interessenslagen eher Konflikte oder gegenseitige Befruchtungen?

FE: Es gibt natürlich beides: Konflikte und Befruchtungen. Ich möchte aber annehmen, dass Letzteres überwiegt. Es gäbe sicher ein tolles Buch, welche Bücher über BücherFrauen-Kooperationen zustande gekommen sind. Ich nehme an, es sind viele. Ein Beispiel ist das Buchprojekt „Frauengesellschaften“. Eva Hehemann, Fotografin aus Köln, hatte über unsere Pressefrau angefragt, bei welcher Gelegenheit sie denn mal BücherFrauen bei der Arbeit fotografisch begleiten dürfe. Gewählt wurde ein Treffen des Erweiterten Vorstands, das jeweils im Frühjahr stattfindet und auf dem sich die Regionalsprecherinnen, der Vorstand, der Beirat und Vertreterinnen der verschiedenen Arbeitsgruppen für ein Wochenende zusammenfinden. Eva Hehemann machte bei einem dieser Treffen also Bilder von uns und schließlich erschien das Mammut-Projekt von 512 Seiten beim AvivA Verlag in Berlin. Die Verlegerin Britta Jürgs ist übrigens eine BücherFrau. Inzwischen ist auch Eva Hehemann eine engagierte Mitgliedsfrau geworden, die unser Tun immer wieder fotografisch festhält.

Natürlich sind die BücherFrauen beruflich in einem engen Markt unterwegs und dann gibt es schon auch Konkurrenz, aber die belebt ja bekanntlich das Geschäft.


PvC: Zehn Prozent der BücherFrauen sind Autorinnen. Was hat ein Beruf, der eher als einzelkämpferisch und individualistisch gilt, von einem Netzwerk mit Frauen aus Verlagen, Buchhandel und Vertrieb?


FE: Für Autorinnen öffnet sich meiner Ansicht nach bei den BücherFrauen der Buchmarkt. Und die Bereicherung ist dann ähnlich derer, die Sie in ihrem „Twitter-Märchen“ beschreiben. Begegnungen jenseits von Hierarchieebenen im Netzwerk machen das Suchen nach Antworten um ein Vielfaches leichter. Ähnlich wie auf Twitter Follower-Power organisiert wird, kann eine BücherFrau über die BücherFrauen Mailingliste Fragen an die Community stellen, die ähnlich schnell, fundiert, kompetent und präzise beantwortet werden.


PvC: Wie man sieht, lebt ein Netzwerk von ehrenamtlicher Arbeit und davon, dass sich die Netzwerkenden einbringen. Jedes Netzwerk bietet darum etwas, was Einzelkämpferinnen so nicht finden können. Worin liegt Ihrer Meinung nach die größte Stärke der BücherFrauen als Netzwerk?

FE: Für mich persönlich ist die größte Stärke die, dass das Netzwerk Raum für Engagement bietet, in den sich jede mit ihrer Kompetenz einbringen kann, aber nicht muss. Die Ergebnisse von dieser Stärke sieht man, wenn man sich anschaut, was die BücherFrauen inzwischen alles leisten.

Ich selbst würde heute beruflich nicht das machen, was ich mache, Controlling in der Kreativwirtschaft, wenn ich nicht Erfahrungen als Finanzfrau bei den BücherFrauen gemacht hätte. Dieses Ausprobieren hat mir die Angst vor Zahlen genommen und ich habe gelernt, wie gut sich auf diesem Gebiet gestalten lässt. Aber auch meine jetzige Tätigkeit hat Auswirkungen auf die BücherFrauen. Würde ich nicht im Bereich Live-Entertainment arbeiten, hätten wir für den Mentoring-Kongress, der 2009 zehn Jahre Mentoring bei den BücherFrauen feierte, sicher nicht gewagt, eine Größe wie Maren Kroymann für die Abendveranstaltung einzuladen.

So gibt es bei den BücherFrauen mannigfaltige Möglichkeiten, sich auszuprobieren; wobei immer vorzeigbare Ergebnisse für das Netzwerk rauskommen. Und mir macht es über die Jahre immer mehr Spaß, zu sehen, wie Frauen sich durch ihr Engagement bei den BücherFrauen Kompetenzen aneignen, die dann im Beruf Wirkung zeigen.


PvC: In den Medien gibt es derzeit kontroverse Diskussionen um das Thema Feminismus. Schnell wird vergessen, was die feministischen Bewegungen der Vergangenheit für uns Frauen von heute erreicht haben. Hat sich Feminismus in der Buchbranche erledigt oder ist dieses Denken nach wie vor notwendig?

FE: Seitdem die teilweise erschreckenden Ergebnisse der Studie „MehrWert“ vor uns liegen, ist, glaube ich, allen BücherFrauen klar, dass sich der Feminismus für die Buchbranche überhaupt nicht erledigt hat. Meine Hoffnung – und mein Anliegen – ist, dass es den BücherFrauen in naher Zukunft gelingt, in einer offenen und produktiven Weise der Branche diesen Missstand zu vermitteln. Denn in der Buchbranche verhält es sich eben ähnlich, wie es Ferdinand Schirach in seinem Artikel „Einspruch: Notfalls ein Gesetz“ im Spiegel kürzlich für die Zeitungsbranche beschrieben hat: „In den Verlagen scheint alles höflicher, heller und erfreulicher. Aber die verknöcherte Justiz ist offenbar moderner als die Welt des Journalismus: Kluge Frauen dürfen kluge Artikel schreiben, aber sonst dürfen sie nichts.“

Vor allem möchten wir aber gemeinsam Mittel und Wege finden, diese Missstände zu beseitigen. Das steht neben dem Jahresthema „Zukunft jetzt – Perspektiven für den Branchennachwuchs“ in diesem Jahr ganz oben auf unserer Agenda: Die Umsetzung unseres 7. Leitsatzes: „BücherFrauen beziehen Position in frauen- und branchenpolitischen Fragen.“


PvC: Was sollte eine Frau mitbringen, wenn Sie BücherFrau werden will?

FE: Branchenaffinität und Offenheit. Und dann mal schauen, was geht!


PvC: Wie mächtig sind die BücherFrauen eigentlich?
 
FE: Ich glaube, wir sind mächtig im Sinne der Sensibilisierung für bestimmte, meist unbewusste Mechanismen, die wir Frauen gerne so mit uns rumschleppen. Schon das Thematisieren hilft. Vor kurzem gab es da einen wunderbaren Dialog zwischen BücherFrauen auf Facebook, was Mechanismen der Selbstabwertung betrifft. Zudem macht die Solidarität unter den BücherFrauen stark!
Im politischen Sinne sind wir noch nicht mächtig genug – aber das wird sich in diesem Jahr ändern.


PvC: Angenommen, Sie hätten drei Sätze, um mich anzuwerben. Was würden Sie mir sagen?

FE: Das ist klasse, dass Sie mir diese Frage aufs Tablett legen. Überlege ich mir doch schon ewig, wie ich Sie anwerben kann. 1.) Ich nehme an, Sie sind an sich keine Person, die ein Faible für Vereine hat. Macht nichts – solche gibt es bei den BücherFrauen viele. WIR sind die Ausnahme. 2.) So wie ich Sie online kennengelernt habe, ist eine Mitgliedschaft bei den BücherFrauen DIE natürliche Fortführung Ihrer Online Identität. Da finden Sie Gleichgesinnte. 3.) Probieren Sie es einfach aus. Neulich gab eine BücherFrau kund, sie sei wieder ausgetreten, weil sie dachte, sie sei zu branchenfremd tätig. Dann machte sie ein eigenes Buch, ist wieder eingetreten und jetzt bleibt sie BücherFrau bis an ihr Lebensende.


PvC (diese Antwort kennt Frauke Ehlers im Moment der Veröffentlichung noch nicht): Stimmt, ich wollte frei nach Groucho Marx nie in einen Verein eintreten, der Leute wie mich aufnimmt. Ich will mir kurz vor Lebensende auch noch ein wenig Platz für andere Rendezvous lassen. Aber ich habe gestern schon einmal im Michelin geblättert, welche Regionalgruppe am nahsten zu einer "Außenstation" Frankreich liegt ... wenn man so charmant eingeladen wird!