Wer hat eigentlich diesen schlauen Ausspruch "sag niemals nie" geprägt? Um mich herum brüllen Chaos, Extrembelastung und ein Berg an Aufgaben, der auch einen Elefanten in die Knie zwingen würde; den Kreislauf hat es schon zweimal zu Boden gebracht. Es gibt gewisse unerschütterliche Dinge, die Halt bieten und wie Balsam wirken: gute Musik, Kunst und Schönheit, das Laufen in der Natur. Und dann schreit sie wieder, die Überschwemmung im Kopf, der man mit To-do-Listen und Terminkalender zu Leibe zu rücken versucht. Mit gesunder Dissoziation sorgt das Leben für ein Überleben im Listendasein.
Jeder reagiert wohl anders, wenn die Belastung an kaum aushaltbare Grenzen gerät. Bis gestern dachte ich, ich könne das auch, wie ein "normaler" Mensch reagieren, dem theoretisch alle Wege offen stehen: vom Durchdrehen mit anschließender Therapie bis zum Erholungsaufenthalt im Zenkloster. Aber dann ertappte ich mich: Ich bin nicht normal. Aus meinen To-do-Listen wurde ein Heft (angeblich praktischer), das man wohl eher ein Skizzenheft nennen sollte. Lyrische Passagen, Eindrücke, literarische Textfragmente und immer wieder die Termine; die Dinge, die ich erledigen muss. In einer Situation, in der eigentlich nichts mehr geht, in welcher der Mensch gefährdet und bloß vor sich selbst dasteht, fällt mir nichts besseres ein, als zu schreiben! Ich würde krank, wenn ich es nicht mache.
Mir ist das nie so bewusst geworden, was Schreiben für mich bedeutet. Dass es nicht einfach ein nettes Hobby ist oder ein "Job", war mir klar. Es erstaunt mich jedoch, dass es für mich so absolut überlebenswichtig ist. Es wundert mich, wie sehr sich ein Mensch im Schreibvorgang selbst strukturieren kann und auch am Leben erhält, sich selbst aus dem Schreiben speist. Diese Schriftstellerei ist existentiell, sie ist Leben, weil sie Leben spiegelt, bricht und immer wieder neu zusammensetzt. Ist Schreiben dann wirklich "nur" eine Begabung? Mir kommt es eher vor, als sei ich mit dem Schreiben geschlagen: Es gibt kein Entrinnen; keine Welt, die nicht erschrieben werden könnte und müsste. Es ist wie Atmen. Man kann beschließen, für eine Weile die Luft anzuhalten. Man kann trainieren, die Luft etwas länger anhalten zu können. Aber dann kommt der Moment, wo man spürt, jede weitere Minute ohne Luft wäre der Untergang. In diesem Moment ringt man nach Luft und atmet, atmet so tief und intensiv, als müsse man für zwei atmen.
Jeder vernünftige Mensch greift sich an den Kopf: Wie kann sie jetzt auch noch im Blog schreiben? Es ist ein anderes Schreiben als in jenem Heft. Das Wissen um mögliche Leser strukturiert die Gedanken anders, man formuliert sauberer aus, überprüft sich an einem potentiellen Gegenüber, geht in Distanz zum eigenen Emotionsgeblubber. Brauchen Schriftsteller auch darum Leserinnen und Leser? Wenn diese kreative Ursuppe zu sehr schwappt, überschwappt, dann ist es hilfreich, sich vorzustellen, man erzähle irgendjemandem davon. In der Ursuppe bilden sich darum Buchstabennudeln, der Brei wird womöglich genießbarer.
Denn auch in den eigenen Texten könnte man ersaufen, weil man ja so intensiv und tief atmet. Und weil solche Texte manchmal etwas von einem Ozean haben, weil sie Dinge an Land spülen, die einen verwundern oder ratlos lassen, weil sie Geheimnisse bergen, die man selbst nicht erahnt. Und so strukturiert sich der Schreibende durch sein Schreiben zu einem Schriftstellerleben und strukturiert gleichzeitig sein Schreiben durch andere Leben, angenommene und zufällige. Vielleicht liegt hier das Geheimnis, warum manche Bücher Leben enthalten? Echtes Leben, kein Abziehbilderdasein.
Seiten
▼
30. Mai 2010
26. Mai 2010
Zwangspause
Ich verschwinde mal in Versenkung wegen eines in kürzester Zeit zweiten Todesfalls in der Familie. Statt Internet muss ich Beerdigung und Haushaltsauflösung in einem mir mittlerweile völlig fremden Land organisieren ... daneben schreien berufliche Termine, die nicht aufzuschieben sind. Ich komme wieder, wenn ich mich dann sortiert habe und hoffe, dass dann auch meine Leser wieder zurückkehren mögen.
Die Kommentare schalte ich auf moderiert, damit derweil kein Spam-Robot übernimmt.
Die Kommentare schalte ich auf moderiert, damit derweil kein Spam-Robot übernimmt.
25. Mai 2010
Topmode statt Trendsuppe!
In meinen Kaffeepausen lese ich ziemlich viel über Dinge, die mit meinen Berufen überhaupt nichts zu tun haben. Und dann springt mich manchmal plötzlich ein verquerer Gedanke an. Wie eben jetzt, beim Schmökern über Mode.
Im sehr empfehlenswerten Blog flannel apparel schreibt @fraeulein_tessa über eine Modetagung, und dass inzwischen Mode sowohl im echten Leben zum Anfassen wie auch virtuell verkauft wird - ohne gegenseitige Berührungsängste wie in anderen Branchen. Und als ich da von Modenschauen lese und der Theorie, Begehren zu wecken, hat es bei mir Klick gemacht.
Stellen wir uns vor, es ginge nicht um Trends von Rocklängen, Blusenfarben oder Kleiderschnitten. Stellen wir uns vor, es ginge um ein immer trendanfälligeres Gewerbe: das Geschäft mit dem Buch.
Halten wir das im Hinterkopf und lesen dazu das Zitat, das die Autorin bringt, das Zitat aus einem Vortrag von Alicia Kühl: "Der beschränkte Zugang zu Modenschauen, die zeitliche Begrenzung und die Inszenierung der Präsentationen, die stets signalisiert: „Nur schauen, nicht berühren“, wecken das Begehren, das so zentral für den Erfolg von Mode ist." Sie nennt dabei das Beispiel eines Berliner Modelabels, das offenbar erfolgreich seine Mode über einen Webshop verkauft, der gar nicht öffentlich zugänglich ist. Wer ihn sehen will, muss sich persönlich darum bewerben.
So. Da hat es Klick gemacht. Auch Bücher sind Moden unterworfen. Mal trägt die Trendleserin historische Romane in der Handtasche, mal Vampirschmonzetten; sogar für Berliner Clubs gibt es bereits passende Lektüre. Ab und zu veranstalten Verlage sogar so etwas wie Modeschauen, man nennt das Buchpremieren. Bezahlt werden sie in der Regel nur für ganz berühmte Autoren oder Spitzentitel, nie für die gesamte Kollektion. Stattdessen wird aber ausgerechnet das, was Trend sein oder werden soll, vors Lesevolk geschmissen, als verhökere man Gummistützstrümpfe beim Billigdiscounter. Die Stapel können nicht hoch genug, die Preise nicht niedrig genug sein. Ergo macht der Buchmarkt alles ganz anders als der Modemarkt. Und wundert sich, warum ein Buch vom Provinzautor nicht so begehrt ist wie eine Klamotte vom Pariser Modeschöpfer.
Was würde passieren, wenn man das umgekehrte? Auch Bücher sind Konsumgüter. Auch für Bücher will man Begehren wecken. Aber wie, bitteschön, soll ich etwas begehren, was mir überall nachgeworfen wird? Bei flanell apparel heißt es außerdem, Modeschauen müssten gleichzeitig abstoßen und anziehen, um Erfolg zu haben. Kennen wir das nicht auch von Büchern? Was im Feuilleton nur gelobt wird, erreicht nie so hohe Verkaufzahlen wie Bücher, die Kontroversen auslösen, die gleichzeitig gehasst und geliebt werden. Streit ist das beste Verkaufsinstrument für Bücher.
Denken wir das mal konsequent weiter...
Im sehr empfehlenswerten Blog flannel apparel schreibt @fraeulein_tessa über eine Modetagung, und dass inzwischen Mode sowohl im echten Leben zum Anfassen wie auch virtuell verkauft wird - ohne gegenseitige Berührungsängste wie in anderen Branchen. Und als ich da von Modenschauen lese und der Theorie, Begehren zu wecken, hat es bei mir Klick gemacht.
Stellen wir uns vor, es ginge nicht um Trends von Rocklängen, Blusenfarben oder Kleiderschnitten. Stellen wir uns vor, es ginge um ein immer trendanfälligeres Gewerbe: das Geschäft mit dem Buch.
Halten wir das im Hinterkopf und lesen dazu das Zitat, das die Autorin bringt, das Zitat aus einem Vortrag von Alicia Kühl: "Der beschränkte Zugang zu Modenschauen, die zeitliche Begrenzung und die Inszenierung der Präsentationen, die stets signalisiert: „Nur schauen, nicht berühren“, wecken das Begehren, das so zentral für den Erfolg von Mode ist." Sie nennt dabei das Beispiel eines Berliner Modelabels, das offenbar erfolgreich seine Mode über einen Webshop verkauft, der gar nicht öffentlich zugänglich ist. Wer ihn sehen will, muss sich persönlich darum bewerben.
So. Da hat es Klick gemacht. Auch Bücher sind Moden unterworfen. Mal trägt die Trendleserin historische Romane in der Handtasche, mal Vampirschmonzetten; sogar für Berliner Clubs gibt es bereits passende Lektüre. Ab und zu veranstalten Verlage sogar so etwas wie Modeschauen, man nennt das Buchpremieren. Bezahlt werden sie in der Regel nur für ganz berühmte Autoren oder Spitzentitel, nie für die gesamte Kollektion. Stattdessen wird aber ausgerechnet das, was Trend sein oder werden soll, vors Lesevolk geschmissen, als verhökere man Gummistützstrümpfe beim Billigdiscounter. Die Stapel können nicht hoch genug, die Preise nicht niedrig genug sein. Ergo macht der Buchmarkt alles ganz anders als der Modemarkt. Und wundert sich, warum ein Buch vom Provinzautor nicht so begehrt ist wie eine Klamotte vom Pariser Modeschöpfer.
Was würde passieren, wenn man das umgekehrte? Auch Bücher sind Konsumgüter. Auch für Bücher will man Begehren wecken. Aber wie, bitteschön, soll ich etwas begehren, was mir überall nachgeworfen wird? Bei flanell apparel heißt es außerdem, Modeschauen müssten gleichzeitig abstoßen und anziehen, um Erfolg zu haben. Kennen wir das nicht auch von Büchern? Was im Feuilleton nur gelobt wird, erreicht nie so hohe Verkaufzahlen wie Bücher, die Kontroversen auslösen, die gleichzeitig gehasst und geliebt werden. Streit ist das beste Verkaufsinstrument für Bücher.
Denken wir das mal konsequent weiter...
- Den Zugang zu einem Buch begrenzen, exklusiv gestalten, für einen exklusiven Kreis
- Den Zugang zu einer Buchauflage zeitlich begrenzen, limitieren
- Die Neuerscheinung inszenieren zum "Schauen, nicht zum Anfassen"
- Die Inszenierung eines Buchs auf Polaritäten und möglichen Kontroversen aufbauen
- Das Buch edel aufbauen
- Begehren wecken...
24. Mai 2010
Es geht auch ohne!
Angefangen hat alles in einer der angeblich schwersten Sprachen der Welt als dwutygodnik.com - jetzt ist, wie das bunte Cover verheißt, das Kleine schon ein Jahr alt und sollte seinen Schnuller ausspucken. Das hat es auch erfolgreich gemacht, finde ich: Dwutygodnik heißt jetzt Biweekly und erscheint auf Englisch, online. Ich möchte es allen ans Herz legen, die sich für Kunst und Kultur interessieren und die einen neuen frischen Blick auf die Welt schätzen. Der entsteht und wächst in Polen und mit polnischen Bezügen, aber keinesfalls in Nabelschau wie so viele andere Zeitschriften dieser Art anderswo in der Welt. Hier reibt man sich an der Welt, vergleicht, schaut über den Tellerrand und den Gartenzaun - und das tut der übrigen Welt gut, wenn sie sich da endlich mitreiben kann.
Die hellen Köpfe, die sich zweimal die Woche über Literatur, Theater, Film, Kunst, Musik und vieles andere Kulturelle auslassen, sind alles andere als Hobbyisten. Neben diesem Onlineprojekt arbeiten die Redakteurinnen und Redakteure für renommierte Zeitungen und Zeitschriften wie Elle, Tygodnik Powszechny, Gazeta Wyborcza, Polityka oder sie arbeiten fürs Fernsehen, als Operndirektor, Verleger, Philosophin, Buchautoren, Seefahrerin, Anthropologe, Filmkritiker oder Schauspielerin. Kurzum: Eine Mischung von Menschen, die man sofort bei sich zuhause für spannende Diskussionen um einen Tisch versammeln möchte.
Und warum machen sie sich die Arbeit für Kunst und Kultur und schaffen diesen "link with culture"? Die Antwort klingt verblüffend einfach:
Ich finde, man kann von den polnischen Kolleginnen und Kollegen auch viel über den journalistischen und denkerischen Ansatz lernen. Da kommt z.B. Werner Herzog für eine Meisterklasse nach Warschau. Statt über das offizielle Gedöns mit all den Professionellen zu berichten, fragt Biweekly den großen Meister, was er all denen zu sagen hat, die nicht teilnehmen konnten und doch etwas von ihm mitnehmen wollen. Kann man wirklich ohne Script entwickeln? Was darf der Kameramann und welche Unterschiede gibt es zwischen Zelluloid und Digitalfilm? Was macht Werner Herzog anders?
"A as amateur" untersucht ein Kulturphänomen, das derzeit in Deutschland zu ablenkenden bis lähmenden Grabenkämpfen statt Kultur führt: die durch die neuen Massenmedien wie Internet wachsende Kultur der Amateure neben der von Profis gemachten. Der polnische Blick auf das internationale Phänomen liest sich weitaus leichtfüßiger und optimistischer, mit einem lächelnden Seitenblick auf die alten Amateure Einstein und Kafka. Und die Idee, dass Social Media jetzt vom Konsum endlich in die Kreation führen sollten, ist bestechend.
Einfach wunderschön zu lesen (wobei man vergisst, dass man gebildet wird) ist die Kolumne "Cocktail Arty" über die verrücktesten Partys der Kunstgeschichte. Diesmal ist die Fete dran, die als "Bankett für den Zöllner Rousseau" in die Geschichte einging, weil hier unter Picassos Anstiften Leute wie Marie Laurencin, Juan Gris, Fernande Olivier, Guillaume Apollinaire, Max Jacob oder Georges Braque ihre Gläser füllten. Heiß ging es her bei dieser Party zu Ehren von Henri Rousseau. Viele Darstellungen der Party habe ich bereits gelesen - diese ist die vergnüglichste - und irgendwann könnte man doch ein Partybuch... ?
Meine Empfehlung:
Biweekly - link with culture - die Kulturzeitschrift made in Poland
auch als RSS Feed zu abonnieren, bei Facebook und Twitter zu finden.
Dankenswerterweise entdeckt durch das deutschsprachige Polenmagazin - beide in meiner Rubrik "Statt Zeitung" als Dauerlink zu finden.
Die hellen Köpfe, die sich zweimal die Woche über Literatur, Theater, Film, Kunst, Musik und vieles andere Kulturelle auslassen, sind alles andere als Hobbyisten. Neben diesem Onlineprojekt arbeiten die Redakteurinnen und Redakteure für renommierte Zeitungen und Zeitschriften wie Elle, Tygodnik Powszechny, Gazeta Wyborcza, Polityka oder sie arbeiten fürs Fernsehen, als Operndirektor, Verleger, Philosophin, Buchautoren, Seefahrerin, Anthropologe, Filmkritiker oder Schauspielerin. Kurzum: Eine Mischung von Menschen, die man sofort bei sich zuhause für spannende Diskussionen um einen Tisch versammeln möchte.
Und warum machen sie sich die Arbeit für Kunst und Kultur und schaffen diesen "link with culture"? Die Antwort klingt verblüffend einfach:
"Culture is essential, because one can live without it. - Kultur ist lebensnotwendig, weil man ohne sie leben kann."So frisch, ironisch und querdenkend sind viele Texte in Biweekly.
Ich finde, man kann von den polnischen Kolleginnen und Kollegen auch viel über den journalistischen und denkerischen Ansatz lernen. Da kommt z.B. Werner Herzog für eine Meisterklasse nach Warschau. Statt über das offizielle Gedöns mit all den Professionellen zu berichten, fragt Biweekly den großen Meister, was er all denen zu sagen hat, die nicht teilnehmen konnten und doch etwas von ihm mitnehmen wollen. Kann man wirklich ohne Script entwickeln? Was darf der Kameramann und welche Unterschiede gibt es zwischen Zelluloid und Digitalfilm? Was macht Werner Herzog anders?
"A as amateur" untersucht ein Kulturphänomen, das derzeit in Deutschland zu ablenkenden bis lähmenden Grabenkämpfen statt Kultur führt: die durch die neuen Massenmedien wie Internet wachsende Kultur der Amateure neben der von Profis gemachten. Der polnische Blick auf das internationale Phänomen liest sich weitaus leichtfüßiger und optimistischer, mit einem lächelnden Seitenblick auf die alten Amateure Einstein und Kafka. Und die Idee, dass Social Media jetzt vom Konsum endlich in die Kreation führen sollten, ist bestechend.
Einfach wunderschön zu lesen (wobei man vergisst, dass man gebildet wird) ist die Kolumne "Cocktail Arty" über die verrücktesten Partys der Kunstgeschichte. Diesmal ist die Fete dran, die als "Bankett für den Zöllner Rousseau" in die Geschichte einging, weil hier unter Picassos Anstiften Leute wie Marie Laurencin, Juan Gris, Fernande Olivier, Guillaume Apollinaire, Max Jacob oder Georges Braque ihre Gläser füllten. Heiß ging es her bei dieser Party zu Ehren von Henri Rousseau. Viele Darstellungen der Party habe ich bereits gelesen - diese ist die vergnüglichste - und irgendwann könnte man doch ein Partybuch... ?
Meine Empfehlung:
Biweekly - link with culture - die Kulturzeitschrift made in Poland
auch als RSS Feed zu abonnieren, bei Facebook und Twitter zu finden.
Dankenswerterweise entdeckt durch das deutschsprachige Polenmagazin - beide in meiner Rubrik "Statt Zeitung" als Dauerlink zu finden.
Im Namen der Kunst
Bei einer Freundin hängt Picassos gezeichnete Eule als Kunstdruck an der Wand. Natürlich bleiben die Kommentare nicht aus: "Das kann doch jeder, Kinderkrakel!" Drückt man dann demjenigen Stift und Papier in die Hand, ist es wohl doch nicht so einfach, diese "primitiven" Linien auch nur halbwegs zu kopieren. Der ertappte Kunstverächter brummelt dann: "Das ist doch nur Kunst, weil der so einen großen Namen hat!" Hoppla - war das nicht umgekehrt?
Viele Menschen glauben tatsächlich, Kunst finde nur unter großen Namen statt. Und deshalb werden fleißig Tempel dafür geweiht, wohin dann die Pilgerströme fließen, zu Mammutschauen und Namensschlachten. Auch der Kunstverächter, der Picassos Eule nicht kopieren kann, horcht ehrfürchtig auf, wenn aus dem städtischen Museum von Paris nicht nur ein Picasso gestohlen wurde, der Dieb erlangt bei ihm fast mehr Respekt als der Maler. Und dann überlegt er vielleicht: Hat man wegen der Krise am Personal gespart? An Alarmanlagen? Seine Kunsttempel will er nämlich behalten, der Bürger. Wegen der großen Namen. Und manchmal tragen sogar die Tempel selbst große Namen.
Aber wie ist das nun in der Krise, wo man allenthalben davon redet, Kunst und Kultur würden kaputt gespart? Warum tun denn die Künstler alle so, als ginge es ihnen schlechter? Sollen sich doch erst mal einen Namen schaffen? Drei Mal schauen wir auf Europa in all seinen Extremen, drei Mal auf den Umgang mit Kunst und Kultur in der "Krise":
Istanbul, Türkei
Europa endete einst am Bosporus, noch hat es die Türkei nicht in die Europäische Union geschafft, aber der Fall "Kulturhauptstadt Istanbul" beschäftigt jetzt sogar das europäische Parlament. Nicht etwa, weil das Label "Kulturhauptstadt" eine einmalige Chance zu Stadt- und Kulturentwicklung wäre und jede Menge westlicher Kunsttouristen erwartet werden.
Wenn Gelder von Politikern verteilt werden, sind Kunst und Kultur Aushängeschilder, Ausdrucksform von Offiziellen - das ist überall so. In Istanbul hat man aber schnell herausgefunden, welche Kunst man nicht mehr haben will: die Musik der Roma. Ein neuer Django Reinhart wird garantiert nicht aus der Türkei kommen, allenfalls von dort flüchten. Tausend Jahre sind die Roma in Istanbul ansässig, für Fahrende eine lange Zeit. Ihre Musik, ihre Musikkneipen haben Zeiten und den Ort geprägt, der selbst wie Musik klingt: Sulukule.
Jetzt werden sie vertrieben, im großen Stil. Bagger machen ihre Behausungen platt. Spekulanten und Politiker lassen Menschen enteignen. 3500 Menschen, welche die Mieten in den neuen Behausungen nicht werden bezahlen können. "Museumsstadt" nennt man das größenwahnsinnig, um nicht mit den Bestimmungen des Weltkulturerbes der UNESCO in Konflikt zu geraten. Das "osmanische Reich" soll in Puppenstubengröße wiedererstehen - als Villenviertel für die Superreichen. Auch so kann man Gelder für eine Kulturhauptstadt umwidmen, fantasiereich ist das schon. Aber wem oder was dient diese Kultur?
Sofia, Bulgarien
Wer Lewitscharoff gelesen hat, wird sich jetzt fragen: Wer fährt schon für Kunst und Kultur nach Bulgarien? Premierminister Borisow würde demjenigen eins pfeifen. Er hat nämlich erkannt, dass große und gut gemachte Museen Kulturtourismus fördern und ergo einem Staat Geld einbringen. Leider vergleicht er dabei seine Hauptstadt mit Florenz, träumt von teuren Eintrittsgeldern und Millionen kunstbegeisterter Ausländer.
Und deshalb soll das eigentlich arme Land Bulgarien jetzt mit Kunst klotzen, ein echter Louvre soll her und der wird, falls einmal fertig gestellt, immerhin ein Drittel vom Pariser Louvre ausmachen. 25 Millionen Euro soll das Prestigeobjekt kosten, in dem man alle bisherigen Museen zusammenfassen will. 15 Millionen will man selbst aufbringen - für den Rest hofft man auf Subventionen. Europa könnte ja etwas beisteuern.
Derweil sind nicht nur die archäologischen und kuturellen Schätze außerhalb der Hauptstadt in einem jämmerlichen Zustand, nicht zu reden vom Fehlen jeglicher Infrastruktur, die Reisende anlocken könnte. Sie sind womöglich in einem solch erbärmlichen Zustand, dass noch keiner auf die Idee kam, sie zu stehlen - selbst da bedient man sich in besseren Strukturen. Museumsleiter, Künstler, Restauratoren - sie alle klagen über ihre Arbeitsbedingungen, über die fehlenden Mittel für die Erhaltung. Und seit zwanzig Jahren hat man in Bulgarien keine Kunst mehr angekauft. Von im Lande lebenden Künstlern redet erst gar keiner - gibt es die überhaupt? Wie werden sie gefördert, wo stellen sie aus, welchen Austausch gibt es? Noch ist der bulgarische Louvre ein spinnerter Politikertraum, aber im Zeitalter der Subventionen weiß man ja nie. Aber wem oder was dient dieser Kunstüberbau wirklich?
Paris, Frankreich
Dass die Stadt trotz aller Abstriche in den letzten Jahren weltweit ein ganz großes Kunst- und Kulturmekka ist, bleibt unbestritten. Millionen strömen in die Museen und Galerien, Einheimische wie Touristen - und immer mal wieder Kunsträuber auf der Suche nach der Crème de la Crème. Und ausgerechnet in einer Zeit, in welcher Frankreichs Staatshaushalt am Boden röchelt, in welcher die Bürger Angst haben, vor dem was kommt - oder ob überhaupt noch etwas kommt, eröffnet der lächelnde Präsident ein zweites Centre Pompidou in Metz. Die Besucher strömen, die Presse jubelt, das Ausland ist beeindruckt.
Hoppla, Metz, wo liegt denn das? Es liegt in der tiefen Provinz für den Pariser, auf der Strecke zwischen Sarkozy und Merkel, mehr zu Merkel hin. Es liegt genau dort, wo Sarkozys neue Gesetze den Rotstift ansetzen uund wieder die Oberhoheit von Paris zusichern. Denn in all der staatlich verordneten Freude ging unter, dass die mühsam errungene Entscheidungsfreiheit der Regionen über Kunst und Kultur neuerdings wieder beschnitten wurde. Was wollen denn diese regionalen Politiker, Metz wurde doch so reich beschenkt!
Und da war noch etwas. Vor nicht allzu langer Zeit standen Touristen beim Pariser Centre Pompidou vor verschlossenen Türen. Tagelang. Das gesamte Personal hat nämlich gestreikt und nicht nur dort. Dabei ging es nicht um Lohnerhöhungen, sondern darum, dass es mit der neuen Gesetzgebung Kunst und Kultur ans Eingemachte geht, ans Personal, an die Arbeitsbedingungen. Noch in der Woche vor der Eröffnung des Centre Pompidou in Metz gingen Angestellte in Kunst und Kultur und Künstler gemeinsam im ganzen Land auf die Straße. Sie protestierten gegen die Erlasse der Regierung, die kommunalen und regionalen Kulturveranstaltungen und Kunstschaffenden die Luft abdrehen werden. Aber wer redet schon von Sparplänen, wenn ein neues Giganteum der Öffentlichkeit übergeben wird? Selbst das Feuilleton in Merkels Landen spart die Hintergründe zur Finanzierung verschämt aus. Wem oder was dient gigantische Kunst großer Namen, wenn man Kunst dort aushungert, wo sie entsteht?
Sind wir noch nicht arm genug für brodelnde, lebendige, widersprüchliche, sich ständig erneuernde Kunst und Kultur? Oder liegen wir nur gut in der Zeit, jetzt die großen Mausoleen für morgen zu schaffen?
Viele Menschen glauben tatsächlich, Kunst finde nur unter großen Namen statt. Und deshalb werden fleißig Tempel dafür geweiht, wohin dann die Pilgerströme fließen, zu Mammutschauen und Namensschlachten. Auch der Kunstverächter, der Picassos Eule nicht kopieren kann, horcht ehrfürchtig auf, wenn aus dem städtischen Museum von Paris nicht nur ein Picasso gestohlen wurde, der Dieb erlangt bei ihm fast mehr Respekt als der Maler. Und dann überlegt er vielleicht: Hat man wegen der Krise am Personal gespart? An Alarmanlagen? Seine Kunsttempel will er nämlich behalten, der Bürger. Wegen der großen Namen. Und manchmal tragen sogar die Tempel selbst große Namen.
Aber wie ist das nun in der Krise, wo man allenthalben davon redet, Kunst und Kultur würden kaputt gespart? Warum tun denn die Künstler alle so, als ginge es ihnen schlechter? Sollen sich doch erst mal einen Namen schaffen? Drei Mal schauen wir auf Europa in all seinen Extremen, drei Mal auf den Umgang mit Kunst und Kultur in der "Krise":
Istanbul, Türkei
Europa endete einst am Bosporus, noch hat es die Türkei nicht in die Europäische Union geschafft, aber der Fall "Kulturhauptstadt Istanbul" beschäftigt jetzt sogar das europäische Parlament. Nicht etwa, weil das Label "Kulturhauptstadt" eine einmalige Chance zu Stadt- und Kulturentwicklung wäre und jede Menge westlicher Kunsttouristen erwartet werden.
Wenn Gelder von Politikern verteilt werden, sind Kunst und Kultur Aushängeschilder, Ausdrucksform von Offiziellen - das ist überall so. In Istanbul hat man aber schnell herausgefunden, welche Kunst man nicht mehr haben will: die Musik der Roma. Ein neuer Django Reinhart wird garantiert nicht aus der Türkei kommen, allenfalls von dort flüchten. Tausend Jahre sind die Roma in Istanbul ansässig, für Fahrende eine lange Zeit. Ihre Musik, ihre Musikkneipen haben Zeiten und den Ort geprägt, der selbst wie Musik klingt: Sulukule.
Jetzt werden sie vertrieben, im großen Stil. Bagger machen ihre Behausungen platt. Spekulanten und Politiker lassen Menschen enteignen. 3500 Menschen, welche die Mieten in den neuen Behausungen nicht werden bezahlen können. "Museumsstadt" nennt man das größenwahnsinnig, um nicht mit den Bestimmungen des Weltkulturerbes der UNESCO in Konflikt zu geraten. Das "osmanische Reich" soll in Puppenstubengröße wiedererstehen - als Villenviertel für die Superreichen. Auch so kann man Gelder für eine Kulturhauptstadt umwidmen, fantasiereich ist das schon. Aber wem oder was dient diese Kultur?
Sofia, Bulgarien
Wer Lewitscharoff gelesen hat, wird sich jetzt fragen: Wer fährt schon für Kunst und Kultur nach Bulgarien? Premierminister Borisow würde demjenigen eins pfeifen. Er hat nämlich erkannt, dass große und gut gemachte Museen Kulturtourismus fördern und ergo einem Staat Geld einbringen. Leider vergleicht er dabei seine Hauptstadt mit Florenz, träumt von teuren Eintrittsgeldern und Millionen kunstbegeisterter Ausländer.
Und deshalb soll das eigentlich arme Land Bulgarien jetzt mit Kunst klotzen, ein echter Louvre soll her und der wird, falls einmal fertig gestellt, immerhin ein Drittel vom Pariser Louvre ausmachen. 25 Millionen Euro soll das Prestigeobjekt kosten, in dem man alle bisherigen Museen zusammenfassen will. 15 Millionen will man selbst aufbringen - für den Rest hofft man auf Subventionen. Europa könnte ja etwas beisteuern.
Derweil sind nicht nur die archäologischen und kuturellen Schätze außerhalb der Hauptstadt in einem jämmerlichen Zustand, nicht zu reden vom Fehlen jeglicher Infrastruktur, die Reisende anlocken könnte. Sie sind womöglich in einem solch erbärmlichen Zustand, dass noch keiner auf die Idee kam, sie zu stehlen - selbst da bedient man sich in besseren Strukturen. Museumsleiter, Künstler, Restauratoren - sie alle klagen über ihre Arbeitsbedingungen, über die fehlenden Mittel für die Erhaltung. Und seit zwanzig Jahren hat man in Bulgarien keine Kunst mehr angekauft. Von im Lande lebenden Künstlern redet erst gar keiner - gibt es die überhaupt? Wie werden sie gefördert, wo stellen sie aus, welchen Austausch gibt es? Noch ist der bulgarische Louvre ein spinnerter Politikertraum, aber im Zeitalter der Subventionen weiß man ja nie. Aber wem oder was dient dieser Kunstüberbau wirklich?
Paris, Frankreich
Dass die Stadt trotz aller Abstriche in den letzten Jahren weltweit ein ganz großes Kunst- und Kulturmekka ist, bleibt unbestritten. Millionen strömen in die Museen und Galerien, Einheimische wie Touristen - und immer mal wieder Kunsträuber auf der Suche nach der Crème de la Crème. Und ausgerechnet in einer Zeit, in welcher Frankreichs Staatshaushalt am Boden röchelt, in welcher die Bürger Angst haben, vor dem was kommt - oder ob überhaupt noch etwas kommt, eröffnet der lächelnde Präsident ein zweites Centre Pompidou in Metz. Die Besucher strömen, die Presse jubelt, das Ausland ist beeindruckt.
Hoppla, Metz, wo liegt denn das? Es liegt in der tiefen Provinz für den Pariser, auf der Strecke zwischen Sarkozy und Merkel, mehr zu Merkel hin. Es liegt genau dort, wo Sarkozys neue Gesetze den Rotstift ansetzen uund wieder die Oberhoheit von Paris zusichern. Denn in all der staatlich verordneten Freude ging unter, dass die mühsam errungene Entscheidungsfreiheit der Regionen über Kunst und Kultur neuerdings wieder beschnitten wurde. Was wollen denn diese regionalen Politiker, Metz wurde doch so reich beschenkt!
Und da war noch etwas. Vor nicht allzu langer Zeit standen Touristen beim Pariser Centre Pompidou vor verschlossenen Türen. Tagelang. Das gesamte Personal hat nämlich gestreikt und nicht nur dort. Dabei ging es nicht um Lohnerhöhungen, sondern darum, dass es mit der neuen Gesetzgebung Kunst und Kultur ans Eingemachte geht, ans Personal, an die Arbeitsbedingungen. Noch in der Woche vor der Eröffnung des Centre Pompidou in Metz gingen Angestellte in Kunst und Kultur und Künstler gemeinsam im ganzen Land auf die Straße. Sie protestierten gegen die Erlasse der Regierung, die kommunalen und regionalen Kulturveranstaltungen und Kunstschaffenden die Luft abdrehen werden. Aber wer redet schon von Sparplänen, wenn ein neues Giganteum der Öffentlichkeit übergeben wird? Selbst das Feuilleton in Merkels Landen spart die Hintergründe zur Finanzierung verschämt aus. Wem oder was dient gigantische Kunst großer Namen, wenn man Kunst dort aushungert, wo sie entsteht?
Sind wir noch nicht arm genug für brodelnde, lebendige, widersprüchliche, sich ständig erneuernde Kunst und Kultur? Oder liegen wir nur gut in der Zeit, jetzt die großen Mausoleen für morgen zu schaffen?
21. Mai 2010
amazonically correct
Leute, kauft Bücher! Auf Papier und nur noch bis Ende des Jahres unzensiert. Denn es steht eine Textreform ungeahnten Ausmaßes an, die Gutenberg und Luther und alle Keilschriftkeile dieser Welt uralt aussehen lässt. Unsere Redaktion bekam vorab und exklusiv Einblick in die Reformtextfassungen, die ab 2011 die alten Texte ersetzen werden:
aus Johann Wolfgang von Goethe: Der Erlkönig
„Ich liebe dich in reiner Nächstenliebe, mich reizt deine schöne Gestalt zum Malen;
Und stehst du nicht still, so gebrauch’ ich Zahlen.“ —
Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich nicht an!
Erlkönig hat mir kein Leids getan! —
aus Rainer Maria Rilke: Im Kreuzgang von Loretto
Wo ein Leser bestellte auch eine Klobürste eine Wachsmadonna drei Leser fragten: Schmilzt die nicht?, die man zeiht 83% der Leserinnen unter 40 verstehen dieses Wort nicht
so manchen langweiliger Ausdruck, Wiederholung gnadenvollen Heilmirakels vier Leser legten das Buch weg, 68% aller grauhaarigen Männer mit Abitur finden zu viele Fremdwörter,
prangt hinterm grauen Glas da kann man doch nicht durchgucken? des Tabernakels hier steigen auch die Realschüler aus, drei Gärtner suchten im Register nach Rosen
im silberübersäten Seidenkleid. Erna aus Bochum will auch so ein Kleid, Susimaus aus Buxtehude verdrückt eine Träne.
aus Sibylle Lewitscharoff: Apostoloff
Weg Leser, die dieses Wort mochten, kauften auch "Gartenwege aus Kies - leicht gemacht" und fort du willst einen Ford KA oder die Biografie von Henry Ford, bitte anklicken und Ende, sage ich. Ein Vater, der ein Ende macht, bevor er die ganze Familie zermürbt,ist eher zu loben als zu verdammen. Unerlaubter Sarkasmus! ist eher zu verdammen als zu loben.
aus Ephraim Kishon: Tagebuch einesHaarspalters Mannes in den besten Jahren
... Foto von Chruschtschow ... Wie kann ein Mann, und noch dazu derFührer Regierende einesr großen Volkes Menschenmenge, einen Glatzkopf hirnperiphere Streichelfläche haben, der von einer polierten Billardkugel kaum zu unterscheiden ist? Sarkasmusalarm!!! So etwas müsste sich doch vermeiden lassen! Sarkasmusalarm!!!
Wie man aus diesen Texten unschwer erkennen kann, betrifft die literarische Säuberungsaktion vor allem die gefährliche und zivilisationszersetzende Stilform des Sarkasmus und ähnliche politische Unkorrektheiten. Darüberhinaus wird Lesen endlich jenseits der einsamen Kammer zum Social Event.
Autoren, die sich jetzt schon auf die neuen Textanforderungen der Weltzensurstelle für Literatur vorbereiten wollen, empfehlen wir ein genaues Studium der neuen Social Reading Software und der Sarkasmusalarmmaschine. Die Entwickler dieser Maschine versichern, mit Kasimir Blaumilch weder verwandt noch verschwägert zu sein.
aus Johann Wolfgang von Goethe: Der Erlkönig
„Ich liebe dich in reiner Nächstenliebe, mich reizt deine schöne Gestalt zum Malen;
Und stehst du nicht still, so gebrauch’ ich Zahlen.“ —
Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich nicht an!
Erlkönig hat mir kein Leids getan! —
***
aus Rainer Maria Rilke: Im Kreuzgang von Loretto
Wo ein Leser bestellte auch eine Klobürste eine Wachsmadonna drei Leser fragten: Schmilzt die nicht?, die man zeiht 83% der Leserinnen unter 40 verstehen dieses Wort nicht
so manchen langweiliger Ausdruck, Wiederholung gnadenvollen Heilmirakels vier Leser legten das Buch weg, 68% aller grauhaarigen Männer mit Abitur finden zu viele Fremdwörter,
prangt hinterm grauen Glas da kann man doch nicht durchgucken? des Tabernakels hier steigen auch die Realschüler aus, drei Gärtner suchten im Register nach Rosen
im silberübersäten Seidenkleid. Erna aus Bochum will auch so ein Kleid, Susimaus aus Buxtehude verdrückt eine Träne.
***
aus Sibylle Lewitscharoff: Apostoloff
Weg Leser, die dieses Wort mochten, kauften auch "Gartenwege aus Kies - leicht gemacht" und fort du willst einen Ford KA oder die Biografie von Henry Ford, bitte anklicken und Ende, sage ich. Ein Vater, der ein Ende macht, bevor er die ganze Familie zermürbt,
***
aus Ephraim Kishon: Tagebuch eines
... Foto von Chruschtschow ... Wie kann ein Mann, und noch dazu der
***
Wie man aus diesen Texten unschwer erkennen kann, betrifft die literarische Säuberungsaktion vor allem die gefährliche und zivilisationszersetzende Stilform des Sarkasmus und ähnliche politische Unkorrektheiten. Darüberhinaus wird Lesen endlich jenseits der einsamen Kammer zum Social Event.
Autoren, die sich jetzt schon auf die neuen Textanforderungen der Weltzensurstelle für Literatur vorbereiten wollen, empfehlen wir ein genaues Studium der neuen Social Reading Software und der Sarkasmusalarmmaschine. Die Entwickler dieser Maschine versichern, mit Kasimir Blaumilch weder verwandt noch verschwägert zu sein.
20. Mai 2010
Der Grenzgängerweg
Grenzgängerei in jedem erdenklichen Wortsinn ist schon fast so etwas wie ein Lebensthema für mich - und den LeserInnen hier als feste Rubrik vertraut. Nun sind Spuren von Grenzgängerei auch in der Landschaft zu sehen. Nächste Woche wird der "Grenzgängerweg" eingeweiht werden, der die elsässische Gemeinde Wingen (ab Col du Litschhof) und die pfälzische Gemeinde Nothweiler verbindet. Über die deutsch-französische Grenze hinweg wandert man größtenteils durch Wald mit herrlichen Aussichten in den beiden Naturparks Nordvogesen und Pfälzerwald, die von der UNESCO als Biosphärenreservat klassifiziert sind.
Die Grenze ist dementsprechend auch Grundthema des Weges: Wanderer begegnen dem Phänomen unterschiedlicher Rechtsformen von Grenzen ebenso wie Geschichten um Grenzen in Köpfen, um Grenzgängerei und Naturgrenzen, vor allem aber den grenzüberschreitenden Reichtum an Kultur, Geschichte und ökologischen Nischen. Dabei sollen die Schilder nicht von der Natur ablenken, sondern sinnlich erfahrbar neugierig machen, den Blick weiten, vielleicht sogar verändern - und auch den Kindern etwas bieten. Eine ausführliche Broschüre zum Weg ist in Vorbereitung. Selbstverständlich ist alles zweisprachig zu lesen, wobei wir Wert darauf legten, uns nicht "Wort für Wort" zu übersetzen, sondern adäquat in beiden Sprachen die gleichen Dinge zu beleuchten.
Auftraggeber waren die beiden Kommunen, beteiligt waren alle, deren Logos auf den Schildern prangen (und die ich mir hier spare), kofinanziert wurde das Projekt von der Europäischen Union (pamina 21 / interreg).
Die Macher:
Josiane Podsiadlo: Projekt-Koordination, Texte und Übersetzungen (F)
Andreas Mischke, AMIDES (Atelier für Medien- & Informationsdesign): Layout, Grafik, Fotos, Karten, Herstellung
Mato Suss, Künstlerin: Entwurf und Herstellung der Strukturen und Installationen in der Landschaft, Grafiken
Petra van Cronenburg: Texte und Übersetzungen (D)
Und wie man sich vorstellen kann, entsteht ein solches Projekt nicht in reiner Arbeitsteilung, sondern in engem Teamwork - und vielen vielen Präsentationen und Verhandlungen.
Minibildchen zum Vergrößern anklicken. Die Fotos sind von Andreas Mischke, mit freundlicher Genehmigung.
Bei der Tafel über das Biotop des Waldes kann man die unterschiedlichen Hölzer der Gegend ebenso befühlen wie "Splitterholz", ein typischer Kriegsschaden aus dem Ersten Weltkrieg. Granatsplitter sind über viele Jahrzehnte in Bäume eingewachsen.
Dass die wichtigte Ressource Wasser im Biophärenreservat auch bei Trockenheit erfahrbar wird, ist Werk der Künstlerin Mato Suss.
Zwei Waldwichtel beobachten den Grenzverlauf zwischen Deutschland und Frankreich mit den alten Grenzsteinen, der als Parcours für Grenzübertretungen gestaltet ist und noch einige andere Überraschungen bietet.
Und dann war da mal "Das Brett vor dem Kopf" auf dem Kappelstein. Im Zweiten Weltkrieg war es nämlich mit der Freundschaft aus. Die einen zogen einen Spähturm hoch, die anderen bauten den Spähern eine hohe Bretterwand vor die Nase. Und da saßen sie dann im abgeholzten Wald in den Bunkern beider Seiten und belauerten sich im "Sitzkrieg".
In dieser Rückschau wird es umso wertvoller zu erleben, wie lebendig heute der Austausch zwischen den beiden Kommunen ist - und wie man in deutsch-französischen Teams mehrsprachig Grenzüberschreitungen als Selbstverständlichkeit leben kann. Beim Wandern natürlich auch!
Bei gemütlichem Schritttempo und ausführlichem Lesen braucht man etwa zwei Stunden für den Rundweg - Einkehrmöglichkeiten gibt es sowohl in Wingen als auch Nothweiler. Stöckelschuhe sind nicht unbedingt zu empfehlen. Für Kurzurlauber finden sich die Wasgauburgen im Umland, zu den bekannten Ausflugszielen Fleckenstein oder Gimbelhof kann man sogar laufen. Für deutsche Besucher, die nicht aus der Pfalz kommen, ist Wissembourg der nächste Grenzübergang.
Die Grenze ist dementsprechend auch Grundthema des Weges: Wanderer begegnen dem Phänomen unterschiedlicher Rechtsformen von Grenzen ebenso wie Geschichten um Grenzen in Köpfen, um Grenzgängerei und Naturgrenzen, vor allem aber den grenzüberschreitenden Reichtum an Kultur, Geschichte und ökologischen Nischen. Dabei sollen die Schilder nicht von der Natur ablenken, sondern sinnlich erfahrbar neugierig machen, den Blick weiten, vielleicht sogar verändern - und auch den Kindern etwas bieten. Eine ausführliche Broschüre zum Weg ist in Vorbereitung. Selbstverständlich ist alles zweisprachig zu lesen, wobei wir Wert darauf legten, uns nicht "Wort für Wort" zu übersetzen, sondern adäquat in beiden Sprachen die gleichen Dinge zu beleuchten.
Auftraggeber waren die beiden Kommunen, beteiligt waren alle, deren Logos auf den Schildern prangen (und die ich mir hier spare), kofinanziert wurde das Projekt von der Europäischen Union (pamina 21 / interreg).
Die Macher:
Josiane Podsiadlo: Projekt-Koordination, Texte und Übersetzungen (F)
Andreas Mischke, AMIDES (Atelier für Medien- & Informationsdesign): Layout, Grafik, Fotos, Karten, Herstellung
Mato Suss, Künstlerin: Entwurf und Herstellung der Strukturen und Installationen in der Landschaft, Grafiken
Petra van Cronenburg: Texte und Übersetzungen (D)
Und wie man sich vorstellen kann, entsteht ein solches Projekt nicht in reiner Arbeitsteilung, sondern in engem Teamwork - und vielen vielen Präsentationen und Verhandlungen.
Minibildchen zum Vergrößern anklicken. Die Fotos sind von Andreas Mischke, mit freundlicher Genehmigung.
Bei der Tafel über das Biotop des Waldes kann man die unterschiedlichen Hölzer der Gegend ebenso befühlen wie "Splitterholz", ein typischer Kriegsschaden aus dem Ersten Weltkrieg. Granatsplitter sind über viele Jahrzehnte in Bäume eingewachsen.
Dass die wichtigte Ressource Wasser im Biophärenreservat auch bei Trockenheit erfahrbar wird, ist Werk der Künstlerin Mato Suss.
Zwei Waldwichtel beobachten den Grenzverlauf zwischen Deutschland und Frankreich mit den alten Grenzsteinen, der als Parcours für Grenzübertretungen gestaltet ist und noch einige andere Überraschungen bietet.
Und dann war da mal "Das Brett vor dem Kopf" auf dem Kappelstein. Im Zweiten Weltkrieg war es nämlich mit der Freundschaft aus. Die einen zogen einen Spähturm hoch, die anderen bauten den Spähern eine hohe Bretterwand vor die Nase. Und da saßen sie dann im abgeholzten Wald in den Bunkern beider Seiten und belauerten sich im "Sitzkrieg".
In dieser Rückschau wird es umso wertvoller zu erleben, wie lebendig heute der Austausch zwischen den beiden Kommunen ist - und wie man in deutsch-französischen Teams mehrsprachig Grenzüberschreitungen als Selbstverständlichkeit leben kann. Beim Wandern natürlich auch!
Bei gemütlichem Schritttempo und ausführlichem Lesen braucht man etwa zwei Stunden für den Rundweg - Einkehrmöglichkeiten gibt es sowohl in Wingen als auch Nothweiler. Stöckelschuhe sind nicht unbedingt zu empfehlen. Für Kurzurlauber finden sich die Wasgauburgen im Umland, zu den bekannten Ausflugszielen Fleckenstein oder Gimbelhof kann man sogar laufen. Für deutsche Besucher, die nicht aus der Pfalz kommen, ist Wissembourg der nächste Grenzübergang.
Es elsasst...
Genial, wie an so einem trüben Tag die Sonne aufgehen kann! Eben kamen die Fotos von den nun im Wald installierten Strukturen für unseren "Grenzgängerweg" zwischen dem elsässischen Wingen und dem deutschen Nothweiler - und ich habe richtig Tränen in den Augen vor Begeisterung. Monatelang hatte ich ja nur Entwurfszeichnungen oder Dummies vor Augen - aber was die Künstlerin daraus gemacht hat, sprengt alle Vorstellung. Allein die Inszenierung der Grenze - mir fehlen gerade die Worte.
Wenn ich sie wieder gefunden habe und die Erlaubnis des Fotografen dazu, werde ich hier mal einige "Schilder" vorstellen. Wer in der Region ist, kann sich jetzt schon den 30. Mai vormerken: Unser Team bietet zur öffentlichen Einweihung an diesem Tag eine geführte Wanderung über den Grenzgängerweg an, dreisprachig. Weil das Internet kurzlebig ist, werde ich nächste Woche genaue Daten bekanntgeben.
Und was soll ich sagen - gleichzeitig jage ich meinem Elsassbuch im Handel hinterher, denn ausgerechnet jetzt, wo es vergriffen ist, kommt massiv Nachfrage vor allem aus Frankreich. Plötzlich werde ich zu Lesungen angefragt. Die Europaarbeit hinterlässt ihre Spuren oder vielleicht sind das auch Spinnfäden. Es fügen sich Dinge zusammen, Menschen, Fachleute. Eine schon ältere, verwegene Idee spukt herum, nicht nur in meinem Kopf. Und so werden sich demnächst eine Französin und eine Deutsche zusammensetzen und konkret darüber nachdenken, dieses Elsassbuch zu einem Starter für eine neue Reihe zu machen. Einer zweisprachigen. Das wird dann kein Bücherbasteln mehr, sondern sehr professionell. Allerdings wahrscheinlich auch außerhalb von herkömmlichen Verlagen, denn für das, was machbar wäre, sind die meisten, die in Frage kämen, entweder zu unflexibel oder zu unprofessionell. Hach, das gibt Strom in die Finger!
Wenn ich sie wieder gefunden habe und die Erlaubnis des Fotografen dazu, werde ich hier mal einige "Schilder" vorstellen. Wer in der Region ist, kann sich jetzt schon den 30. Mai vormerken: Unser Team bietet zur öffentlichen Einweihung an diesem Tag eine geführte Wanderung über den Grenzgängerweg an, dreisprachig. Weil das Internet kurzlebig ist, werde ich nächste Woche genaue Daten bekanntgeben.
Und was soll ich sagen - gleichzeitig jage ich meinem Elsassbuch im Handel hinterher, denn ausgerechnet jetzt, wo es vergriffen ist, kommt massiv Nachfrage vor allem aus Frankreich. Plötzlich werde ich zu Lesungen angefragt. Die Europaarbeit hinterlässt ihre Spuren oder vielleicht sind das auch Spinnfäden. Es fügen sich Dinge zusammen, Menschen, Fachleute. Eine schon ältere, verwegene Idee spukt herum, nicht nur in meinem Kopf. Und so werden sich demnächst eine Französin und eine Deutsche zusammensetzen und konkret darüber nachdenken, dieses Elsassbuch zu einem Starter für eine neue Reihe zu machen. Einer zweisprachigen. Das wird dann kein Bücherbasteln mehr, sondern sehr professionell. Allerdings wahrscheinlich auch außerhalb von herkömmlichen Verlagen, denn für das, was machbar wäre, sind die meisten, die in Frage kämen, entweder zu unflexibel oder zu unprofessionell. Hach, das gibt Strom in die Finger!
19. Mai 2010
Lebenswege
Ich muss heute einen Lebenslauf verschicken. Ratlos sitze ich vor meinem Computer, auf dem mindestens zehn Dateien "Lebenslauf" gesammelt sind. Keine passt so richtig, ich werde den elften abfassen müssen. Ist das nicht ein wenig zuviel des Guten? Aber unlängst meinte eine französische Freundin, ich solle doch auf der Webseite endlich auch einen ordentlichen für französische Kunden abfassen. Was wir in Deutschland für wichtig halten, interessiere in Frankreich weniger, wo man sich außerdem knapp in Stichworten fasst. Und manches, was als Biografie in meinen Büchern abgedruckt sei, erscheine wie Apfelmus, so ganz ohne Qualifikationen und Meriten.
Kann ein einzelner Mensch so viele Leben haben, dass man Apfelmus daraus kochen könnte? Als Buchautor: ja. Verlage wie Leser interessieren sich allenfalls bei Sach- und Fachliteratur für Studienabschlüsse. Sonst ist eine andere Frage viel wichtiger: Was prädestiniert ausgerechnet diesen Autor dafür, dieses Buch zu schreiben? Warum soll er passender oder fähiger sein als ein anderer? Welche Persönlichkeit kaufe ich da ein?
Wer also immer die gleiche Art Bücher schreibt, ist fein heraus. Und wer kein allzu langweiliges und stromlinienfömiges Leben geführt hat, findet genug Stoff, um seinem Leben immer wieder einen neuen Schwerpunkt zu verleihen. Vor allem Versager und Berufsabbrecher sind im Vorteil. So kann man seinem Krimiselbst den Hilfsarbeiterjob als Kloputzer im Fünf-Sterne-Hotel zuordnen und für die Liebesromane das Praktikum in der Partnervermittlungsagentur aufblasen. Nicht dass beides gelogen sein müsste - es passt nur jeweils besonders gut zum Buch - aber in den seltensten Fällen fürs Arbeitsamt.
Mein zum Glück von mir getötetes "Alter Ego" Viola Beer hat mal in Archäologie gemacht. Nicht gelogen, denn immer, wenn mir die Theologie auf die Nerven fiel - und aus Interesse sowieso - ging ich bei den Archäologen fremd. Nur hatte ich diese Intermezzi längst vergessen, bis der Verlag auf mich zukam: "Finden Sie doch mal für die Viola was Schönes, was die Petra nicht hat." Also spaltet man sich auf, je älter, desto besser für die Materialfülle. Nur eines sollte man tunlichst vermeiden: die Floskel "Lebt mit Mann / Frau..." Auch in Zeiten der Verramschung sind Bücher oft langlebiger als Lieben.
Das reicht, könnte man meinen. - Beileibe nicht! Denn die Biografie, die ich für die Bewerbung beim Verlag schreibe, unterscheidet sich noch einmal heftig von der eher werberisch abgefassten im Buch. Eine Bewerbungsbiografie muss herausschreien: "Sieh, mein ganzes Leben hat zwangsläufig in diesem Buch münden müssen - kein anderer auf dieser Welt ist so prädestiniert für dieses Herzenswerk wie ich. Schau, mit welchen feinen Sächelchen du nachher bei der Presse angeben kannst! Du kannst dieses Buch nur von mir haben."
Natürlich ist es hilfreich, für ein Elsassbuch ins Elsass emigriert zu sein - und das kommt dann auch so heftig an, dass die Presse einen gleich zur eingeborenen Elsässerin macht. Die lesen ja bekanntlich nicht immer so genau hin. Und so wird aus einer Journalistin, die auch frei veröffentlicht, ganz schnell eine Publizistin, was ebenfalls ein verzeihlicher Flüchtigkeitsfehler ist, diese Berufsbezeichnung ist ja bekanntlich wie ein Schwamm. Irgendwann schwirrt mir selbst der Kopf und ich muss haarscharf nachdenken, wer ich nun eigentlich bin, in welchen Proportionen und Wertigkeiten. Vielleicht schreiben deshalb so viele Schriftsteller ihre Memoiren. Um sich selbst wieder mühsam zu rekonstruieren.
Aber bevor ich so weit bin, muss ich mich einem Aspekt meines Lebens widmen, der bisher nur wenige interessiert hat. Ich kann also wieder von vorne anfangen. Und jedes Mal schwöre ich mir von Neuem, endlich im Zeitalter der Datenverarbeitung einen ellenlangen Lebenslauf im Baukastenprinzip zu erstellen. Dann könnte ich meine Persönlichkeit durch Copy & Paste erschaffen. So viele Aspekte ruhen noch unbenutzt in der Kiste: der Studentenjob in der Siebdruckerei, der Hilfsarbeiterjob im Landschafts- und Gartenbau, die Episode als Zimmermädchen in Brenners Park Hotel... Vielleicht sollte ich endlich den Brummi-Führerschein machen? Das kommt gut bei moderner Belletristik. Und wie war das mit den Ballets Russes ... bin ich nicht als Vierjährige über den Hof getanzt und habe mir vorgestellt, ich sei Barbie?
Es ist nicht leicht, aus sich selbst ständig irgendwelche Wundertiere abzuspalten. Ich komme mir manchmal vor wie ein uralter bemooster Karpfen im Teich der tollen Hechte. Und das alles nur, weil die da draußen nach Delikatessen gieren. Weil sie sich lieber einen Professor als einen Doktor angeln, lieber eine "bekannt aus Film und Fernsehen" Rampensau als eine Debütantin aus einem Eifelkaff, lieber einen Brummifahrer Kellner Türsteher Karatemeister als einen Postangestellten.
Und wenn's nicht klappt, wie so oft? Dann blubbert der Karpfen traurig Luftblasen durch den Modder und strengt sein uraltes Hirn an, welche Gräte dem Adressaten wohl jetzt wieder im Hals stecken geblieben ist. War das konstruierte Leben vielleicht doch nicht so gut? Hat man zu viel mit seinem Moos auf dem Rücken angegeben oder zu wenig auf die Schwanzflosse geachtet? War womöglich der Adressat nur überfüttert an "Gefillte Fisch" oder hatte er Weihnachten einen Kater gehabt? Gar nicht so einfach, so ein passendes Leben. Also fangen wir an:
"Die Autorin entdeckte früh, dass sie eigentlich ein Karpfen war. Einer ihrer berühmten Vorfahren, in Tschechien bekannt aus Film und Fernsehen, lebte in der Badewanne einer Filmfamilie und überlebte den weihnachtlichen Kampf . Bei einem Aufenthalt im Karpfentümpel lernte die Autorin fließend karpfisch und machte bald perfekte Karpfenaugen. In letzter Sekunde entging sie dem Beil des Fischhändlers, landete in einem Biotop und schrieb ein Buch, das gegen jeden Fischgeruch anstinken konnte..."
Petri Heil!
Kann ein einzelner Mensch so viele Leben haben, dass man Apfelmus daraus kochen könnte? Als Buchautor: ja. Verlage wie Leser interessieren sich allenfalls bei Sach- und Fachliteratur für Studienabschlüsse. Sonst ist eine andere Frage viel wichtiger: Was prädestiniert ausgerechnet diesen Autor dafür, dieses Buch zu schreiben? Warum soll er passender oder fähiger sein als ein anderer? Welche Persönlichkeit kaufe ich da ein?
Wer also immer die gleiche Art Bücher schreibt, ist fein heraus. Und wer kein allzu langweiliges und stromlinienfömiges Leben geführt hat, findet genug Stoff, um seinem Leben immer wieder einen neuen Schwerpunkt zu verleihen. Vor allem Versager und Berufsabbrecher sind im Vorteil. So kann man seinem Krimiselbst den Hilfsarbeiterjob als Kloputzer im Fünf-Sterne-Hotel zuordnen und für die Liebesromane das Praktikum in der Partnervermittlungsagentur aufblasen. Nicht dass beides gelogen sein müsste - es passt nur jeweils besonders gut zum Buch - aber in den seltensten Fällen fürs Arbeitsamt.
Mein zum Glück von mir getötetes "Alter Ego" Viola Beer hat mal in Archäologie gemacht. Nicht gelogen, denn immer, wenn mir die Theologie auf die Nerven fiel - und aus Interesse sowieso - ging ich bei den Archäologen fremd. Nur hatte ich diese Intermezzi längst vergessen, bis der Verlag auf mich zukam: "Finden Sie doch mal für die Viola was Schönes, was die Petra nicht hat." Also spaltet man sich auf, je älter, desto besser für die Materialfülle. Nur eines sollte man tunlichst vermeiden: die Floskel "Lebt mit Mann / Frau..." Auch in Zeiten der Verramschung sind Bücher oft langlebiger als Lieben.
Das reicht, könnte man meinen. - Beileibe nicht! Denn die Biografie, die ich für die Bewerbung beim Verlag schreibe, unterscheidet sich noch einmal heftig von der eher werberisch abgefassten im Buch. Eine Bewerbungsbiografie muss herausschreien: "Sieh, mein ganzes Leben hat zwangsläufig in diesem Buch münden müssen - kein anderer auf dieser Welt ist so prädestiniert für dieses Herzenswerk wie ich. Schau, mit welchen feinen Sächelchen du nachher bei der Presse angeben kannst! Du kannst dieses Buch nur von mir haben."
Natürlich ist es hilfreich, für ein Elsassbuch ins Elsass emigriert zu sein - und das kommt dann auch so heftig an, dass die Presse einen gleich zur eingeborenen Elsässerin macht. Die lesen ja bekanntlich nicht immer so genau hin. Und so wird aus einer Journalistin, die auch frei veröffentlicht, ganz schnell eine Publizistin, was ebenfalls ein verzeihlicher Flüchtigkeitsfehler ist, diese Berufsbezeichnung ist ja bekanntlich wie ein Schwamm. Irgendwann schwirrt mir selbst der Kopf und ich muss haarscharf nachdenken, wer ich nun eigentlich bin, in welchen Proportionen und Wertigkeiten. Vielleicht schreiben deshalb so viele Schriftsteller ihre Memoiren. Um sich selbst wieder mühsam zu rekonstruieren.
Aber bevor ich so weit bin, muss ich mich einem Aspekt meines Lebens widmen, der bisher nur wenige interessiert hat. Ich kann also wieder von vorne anfangen. Und jedes Mal schwöre ich mir von Neuem, endlich im Zeitalter der Datenverarbeitung einen ellenlangen Lebenslauf im Baukastenprinzip zu erstellen. Dann könnte ich meine Persönlichkeit durch Copy & Paste erschaffen. So viele Aspekte ruhen noch unbenutzt in der Kiste: der Studentenjob in der Siebdruckerei, der Hilfsarbeiterjob im Landschafts- und Gartenbau, die Episode als Zimmermädchen in Brenners Park Hotel... Vielleicht sollte ich endlich den Brummi-Führerschein machen? Das kommt gut bei moderner Belletristik. Und wie war das mit den Ballets Russes ... bin ich nicht als Vierjährige über den Hof getanzt und habe mir vorgestellt, ich sei Barbie?
Es ist nicht leicht, aus sich selbst ständig irgendwelche Wundertiere abzuspalten. Ich komme mir manchmal vor wie ein uralter bemooster Karpfen im Teich der tollen Hechte. Und das alles nur, weil die da draußen nach Delikatessen gieren. Weil sie sich lieber einen Professor als einen Doktor angeln, lieber eine "bekannt aus Film und Fernsehen" Rampensau als eine Debütantin aus einem Eifelkaff, lieber einen Brummifahrer Kellner Türsteher Karatemeister als einen Postangestellten.
Und wenn's nicht klappt, wie so oft? Dann blubbert der Karpfen traurig Luftblasen durch den Modder und strengt sein uraltes Hirn an, welche Gräte dem Adressaten wohl jetzt wieder im Hals stecken geblieben ist. War das konstruierte Leben vielleicht doch nicht so gut? Hat man zu viel mit seinem Moos auf dem Rücken angegeben oder zu wenig auf die Schwanzflosse geachtet? War womöglich der Adressat nur überfüttert an "Gefillte Fisch" oder hatte er Weihnachten einen Kater gehabt? Gar nicht so einfach, so ein passendes Leben. Also fangen wir an:
"Die Autorin entdeckte früh, dass sie eigentlich ein Karpfen war. Einer ihrer berühmten Vorfahren, in Tschechien bekannt aus Film und Fernsehen, lebte in der Badewanne einer Filmfamilie und überlebte den weihnachtlichen Kampf . Bei einem Aufenthalt im Karpfentümpel lernte die Autorin fließend karpfisch und machte bald perfekte Karpfenaugen. In letzter Sekunde entging sie dem Beil des Fischhändlers, landete in einem Biotop und schrieb ein Buch, das gegen jeden Fischgeruch anstinken konnte..."
Petri Heil!
17. Mai 2010
Kafka für Buchgenießer
Habe ich in diesem Blog nicht schon öfter orakelt, die Zeit sei reif für besondere Bücher, gar für limitierte Luxuseditionen? Während manche Nerds so tun, als stürbe demnächst das Papierbuch aus, greift der Mensch nach einem harten Arbeitstag vor dem Bildschirm doch ganz gern wieder zum - Papier. Dann aber sollte es, wie beim Gourmet, doch auch ein feines sein.
Wer Franz Kafka mag oder sich schon immer einmal mit ihm und seinen Texten vertraut machen wollte, sollte sich jetzt schon den Oktober vormerken. Ich habe die bibliophile Köstlichkeit eben in der druckfrischen Herbstvorschau gefunden - online gibt es sie hier, leider absolut nüchtern. Man stelle sich das vor: Da findet man als Leser eine Mappe, öffnet sie neugierig - und heraus fallen Postkarten und Briefe, ein Zeugnis ... und viele andere Papiere eines Herrn namens Kafka. Nicht möglich? Doch, als Buchkunst schon.
Der Parthas Verlag in Berlin gibt in Zusammenarbeit mit dem Stroemfeld Verlag in Frankfurt eine einmalige, limitierte Auflage von Josef Cermáks Kafka-Biografie heraus: "Ich habe seit jeher einen gewissen Verdacht gegen mich gehabt". Es handelt sich dabei um ein hochwertig gestaltetes Buch mit zahlreichen Abbildungen, das den Lesern den Privatmenschen und den Dichter Franz Kafka näherbringt. Cermáks Stärke: Er verknüpft die biografische Erzählung mit entsprechenden Originaltexten, literarischen ebenso wie welchen aus Briefen und Tagebüchern. Für mich ist das immer ein wunderbarer Weg, mit einem Literaten vertraut zu werden und leichter in sein Werk einsteigen zu können.
Die Besonderheit ist allerdings die im Schuber beigelegte Mappe mit einzelnen Fächern, in denen sich in Faksimiledruck dreißig Originaldokumente von Kafka finden lassen. Ich kann vom Foto in der Vorschau her nur sagen: Das möchte man sofort berühren, in die Hand nehmen - und besitzen.
Die kleine Kostbarkeit soll ungefähr 68 E kosten und Ende Okober erscheinen.
Ich werde sie mir gleich mal reservieren. Und dann vor Stolz platzen, dass ich mit diesem feinen Verlag arbeite (die Begeisterung für dieses neue Buch ist aber ganz allein auf meinem Mist gewachsen!).
Josef Cermak: Franz Kafka - Dokumente zu Leben und Werk. "Ich habe seit jeher einen gewissen Verdacht gegen mich gehabt." Parthas Verlag Berlin, ISBN 978-3-86964-026-6
ebenfalls bei Parthas erschienen:
Petra van Cronenburg: Das Buch der Rose
Wer Franz Kafka mag oder sich schon immer einmal mit ihm und seinen Texten vertraut machen wollte, sollte sich jetzt schon den Oktober vormerken. Ich habe die bibliophile Köstlichkeit eben in der druckfrischen Herbstvorschau gefunden - online gibt es sie hier, leider absolut nüchtern. Man stelle sich das vor: Da findet man als Leser eine Mappe, öffnet sie neugierig - und heraus fallen Postkarten und Briefe, ein Zeugnis ... und viele andere Papiere eines Herrn namens Kafka. Nicht möglich? Doch, als Buchkunst schon.
Der Parthas Verlag in Berlin gibt in Zusammenarbeit mit dem Stroemfeld Verlag in Frankfurt eine einmalige, limitierte Auflage von Josef Cermáks Kafka-Biografie heraus: "Ich habe seit jeher einen gewissen Verdacht gegen mich gehabt". Es handelt sich dabei um ein hochwertig gestaltetes Buch mit zahlreichen Abbildungen, das den Lesern den Privatmenschen und den Dichter Franz Kafka näherbringt. Cermáks Stärke: Er verknüpft die biografische Erzählung mit entsprechenden Originaltexten, literarischen ebenso wie welchen aus Briefen und Tagebüchern. Für mich ist das immer ein wunderbarer Weg, mit einem Literaten vertraut zu werden und leichter in sein Werk einsteigen zu können.
Die Besonderheit ist allerdings die im Schuber beigelegte Mappe mit einzelnen Fächern, in denen sich in Faksimiledruck dreißig Originaldokumente von Kafka finden lassen. Ich kann vom Foto in der Vorschau her nur sagen: Das möchte man sofort berühren, in die Hand nehmen - und besitzen.
Die kleine Kostbarkeit soll ungefähr 68 E kosten und Ende Okober erscheinen.
Ich werde sie mir gleich mal reservieren. Und dann vor Stolz platzen, dass ich mit diesem feinen Verlag arbeite (die Begeisterung für dieses neue Buch ist aber ganz allein auf meinem Mist gewachsen!).
Josef Cermak: Franz Kafka - Dokumente zu Leben und Werk. "Ich habe seit jeher einen gewissen Verdacht gegen mich gehabt." Parthas Verlag Berlin, ISBN 978-3-86964-026-6
ebenfalls bei Parthas erschienen:
Petra van Cronenburg: Das Buch der Rose
16. Mai 2010
Buchcover - alles ganz einfach?
Autoren leiden oft unter dem Buchcover, das in der Gesamtkonferenz des Verlags ausgetüftelt wird - das sie aber in den seltensten Fällen beeinflussen können oder dürfen. Denn Autoren sind in den seltensten Fällen Grafiker, haben keine Ahnung von der Corporate Identity ihres Verlags (Wiedererkennungswert von Reihen / Programmen etc.) und schon gar kein Vertriebswissen. Und wer keine Ahnung hat, sollte die Finger davon lassen und auf die Profis vertrauen.
Die können es natürlich auch nicht immer. Mein schärftes Erlebnis hatte ich mit dem Roman "Lavendelblues", auf dessen Deckel sich eine extrem leicht bekleidete Blondine am Strand räkelte, hochgeschürzt, die Beine breit für - tja, für was eigentlich? Ich erinnere mich an meinen Entsetzensschrei, als ich die bereits an Buchhändler verteilte Vorschau aufschlug. Keiner hatte die Autorin gefragt oder informiert. Damals habe ich mit Zähnen und Krallen gekämpft, weil ich einen Ruf zu verlieren hatte. Und zum Glück unterstützte mich die ebenso entsetzte Lektorin.
Ich selbst suchte in nächtelanger Arbeit bei Getty-Images 48 Fotos aus und gab die Order: Ihr nehmt eins davon. Das, von dem ich ahnte, dass sie es nehmen würden, kam dann als Titelbild aufs Buch. Hinterher stellte sich heraus, die vorherige Grafikerin war überlastet gewesen, hatte sich diese Fotorecherche nicht erlauben können. Aber der Schaden, den das billige Schmachtliebchen in der Buchhändlervorschau angerichtet hatte, war so schnell nicht auszubügeln gewesen.
Trotzdem, auch ich gehe viel zu geschmäcklerisch und subjektiv an Buchcover heran. Ich bekomme einen Fluchtreflex bei präraffaelitischen Dekolletés und kopflosen Frauen auf Mittelalterromanen und kann auf Krimis keine Blutschlieren mehr sehen. Dabei sollte auch Autoren klar sein: Ein Buchcover hat nichts mit dem Inhalt zu tun, muss nicht unbedingt geschmackvoll oder gar künstlerisch sein und wirkt auch noch nach der 1001sten Version. Cover sind nämlich nichts als Hingucker, Reizstoff. Man lege sich verschiedene Bücher eng nebeneinander auf einen Tisch und nähere sich von Weitem. Welches Buch fällt rein optisch zuerst ins Auge? Wo verspüren wir den größten Reiz, hinzugreifen und warum?
Tja, und jetzt sitze ich da und muss mein Elsassbuch neu gestalten. Plötzlich bin ich frei, freier geht es gar nicht mehr. Und gerate an die gleichen Grenzen wie ein Verlag: Welche Abbildung ist zu haben? Werden die Rechte zu bezahlen sein? Ist ein Foto billiger / weniger aufwändig als grafische Gestaltung? Und wie muss das überhaupt aussehen, dass es nicht mit einem Baedecker verwechselt wird, und Genussleute anspricht? Wer sind meine Leser und wonach grapschen die? Was kommt auf dem Büchertisch an?
Zuerst beobachtet man die Konkurrenz. Die Sucheingabe "Elsass" beim Onlinehändler meiner Qual förderte Kitsch zutage, wie ich ihn befürchtete. Von 16 Büchern zeigen 8 schnulzigstes Fachwerkidyll und 5 austauschbare Landschaften. Der Rest kommt aus der Billigretorte. Schnell weiß ich, was ich nicht will: Fachwerkidyllen und Tourismuskitsch. Wie aber unterscheidet sich dann mein Elsass von Baden, Bayern oder Brandenburg? Auf dem bisherigen Buch hatten wir das Zugeständnis an Storch und Münster gemacht, um einen Wiedererkennungswert zu haben. Also vielleicht doch Fachwerkidyll, nämlich das Ungewöhnliche, das keiner kennt?
In einem Dorf kenne ich ein rotes und pinkfarbenes Haus in Nachbarschaft. Dann gäbe es noch dieses knallblaue neben dem giftgrünen. Ich sehe schon: Mein Fotomaterial (Selbstausbeutung ist billiger) genügt Coveransprüchen nicht unbedingt und ist zur Auswahl nicht reichhaltig genug. An jedem Foto habe ich etwas anderes zu meckern. Eins schwirrt in meinem Kopf herum, weil sich auf den ruhigen Flächen Name und Titel leicht montieren lassen. Aber ist es Hingucker genug? Bringt es "Elsass" rüber und Genuss und Sinnesreisen? Wie und wo müsste ich es beschneiden? Was mache ich mit einem Querformat auf einem hochformatigen Buch? Wo nimmt eine Querformat-Liebhaberin hochformatige Fotos her? Gar nicht so einfach... (Foto durch Anklicken vergrößerbar). Mir fehlt doch tatsächlich die Programmkonferenz! Vielleicht mal die Leser hier fragen: Wie sollte ein neues Kleid des Elsassbuches (altes Cover / Cover Hörbuch) aussehen?
Ich habe jetzt mal mit dem Idiotenprogramm (Pi mal krummem Daumen) aus dem Foto ein Cover-Dummie gebastelt, damit man sich das vorstellen kann (zum Vergrößern anklicken). Meine Meinung: Das ist schon ohne Minifotos voll genug. Mit Minifotos müsste man es völlig anders schneiden und umbauen. Hach, macht das Spaß.
Und in so etwas könnte Zander schwimmen, hahaha (aber der See könnte auch sonstwo liegen):
Die können es natürlich auch nicht immer. Mein schärftes Erlebnis hatte ich mit dem Roman "Lavendelblues", auf dessen Deckel sich eine extrem leicht bekleidete Blondine am Strand räkelte, hochgeschürzt, die Beine breit für - tja, für was eigentlich? Ich erinnere mich an meinen Entsetzensschrei, als ich die bereits an Buchhändler verteilte Vorschau aufschlug. Keiner hatte die Autorin gefragt oder informiert. Damals habe ich mit Zähnen und Krallen gekämpft, weil ich einen Ruf zu verlieren hatte. Und zum Glück unterstützte mich die ebenso entsetzte Lektorin.
Ich selbst suchte in nächtelanger Arbeit bei Getty-Images 48 Fotos aus und gab die Order: Ihr nehmt eins davon. Das, von dem ich ahnte, dass sie es nehmen würden, kam dann als Titelbild aufs Buch. Hinterher stellte sich heraus, die vorherige Grafikerin war überlastet gewesen, hatte sich diese Fotorecherche nicht erlauben können. Aber der Schaden, den das billige Schmachtliebchen in der Buchhändlervorschau angerichtet hatte, war so schnell nicht auszubügeln gewesen.
Trotzdem, auch ich gehe viel zu geschmäcklerisch und subjektiv an Buchcover heran. Ich bekomme einen Fluchtreflex bei präraffaelitischen Dekolletés und kopflosen Frauen auf Mittelalterromanen und kann auf Krimis keine Blutschlieren mehr sehen. Dabei sollte auch Autoren klar sein: Ein Buchcover hat nichts mit dem Inhalt zu tun, muss nicht unbedingt geschmackvoll oder gar künstlerisch sein und wirkt auch noch nach der 1001sten Version. Cover sind nämlich nichts als Hingucker, Reizstoff. Man lege sich verschiedene Bücher eng nebeneinander auf einen Tisch und nähere sich von Weitem. Welches Buch fällt rein optisch zuerst ins Auge? Wo verspüren wir den größten Reiz, hinzugreifen und warum?
Tja, und jetzt sitze ich da und muss mein Elsassbuch neu gestalten. Plötzlich bin ich frei, freier geht es gar nicht mehr. Und gerate an die gleichen Grenzen wie ein Verlag: Welche Abbildung ist zu haben? Werden die Rechte zu bezahlen sein? Ist ein Foto billiger / weniger aufwändig als grafische Gestaltung? Und wie muss das überhaupt aussehen, dass es nicht mit einem Baedecker verwechselt wird, und Genussleute anspricht? Wer sind meine Leser und wonach grapschen die? Was kommt auf dem Büchertisch an?
Zuerst beobachtet man die Konkurrenz. Die Sucheingabe "Elsass" beim Onlinehändler meiner Qual förderte Kitsch zutage, wie ich ihn befürchtete. Von 16 Büchern zeigen 8 schnulzigstes Fachwerkidyll und 5 austauschbare Landschaften. Der Rest kommt aus der Billigretorte. Schnell weiß ich, was ich nicht will: Fachwerkidyllen und Tourismuskitsch. Wie aber unterscheidet sich dann mein Elsass von Baden, Bayern oder Brandenburg? Auf dem bisherigen Buch hatten wir das Zugeständnis an Storch und Münster gemacht, um einen Wiedererkennungswert zu haben. Also vielleicht doch Fachwerkidyll, nämlich das Ungewöhnliche, das keiner kennt?
In einem Dorf kenne ich ein rotes und pinkfarbenes Haus in Nachbarschaft. Dann gäbe es noch dieses knallblaue neben dem giftgrünen. Ich sehe schon: Mein Fotomaterial (Selbstausbeutung ist billiger) genügt Coveransprüchen nicht unbedingt und ist zur Auswahl nicht reichhaltig genug. An jedem Foto habe ich etwas anderes zu meckern. Eins schwirrt in meinem Kopf herum, weil sich auf den ruhigen Flächen Name und Titel leicht montieren lassen. Aber ist es Hingucker genug? Bringt es "Elsass" rüber und Genuss und Sinnesreisen? Wie und wo müsste ich es beschneiden? Was mache ich mit einem Querformat auf einem hochformatigen Buch? Wo nimmt eine Querformat-Liebhaberin hochformatige Fotos her? Gar nicht so einfach... (Foto durch Anklicken vergrößerbar). Mir fehlt doch tatsächlich die Programmkonferenz! Vielleicht mal die Leser hier fragen: Wie sollte ein neues Kleid des Elsassbuches (altes Cover / Cover Hörbuch) aussehen?
Ich habe jetzt mal mit dem Idiotenprogramm (Pi mal krummem Daumen) aus dem Foto ein Cover-Dummie gebastelt, damit man sich das vorstellen kann (zum Vergrößern anklicken). Meine Meinung: Das ist schon ohne Minifotos voll genug. Mit Minifotos müsste man es völlig anders schneiden und umbauen. Hach, macht das Spaß.
Und in so etwas könnte Zander schwimmen, hahaha (aber der See könnte auch sonstwo liegen):
15. Mai 2010
Elsass: Mit Vollgas voran
Es ist unwahrscheinlich, wie gut ein Buch laufen kann, das restlos ausverkauft ist und es auch bleiben wird, weil der Verlag die gesamte Serie aus dem Programm nehmen will. Neuerdings kommen Bestellungen bei mir herein, weil die Leute im Handel vergeblich nach "Elsass. Wo der Zander im Riesling schwimmt" suchen. Und durch meine Europaarbeit wollen es jetzt plötzlich auch die Elsässer, am liebsten gleich paketweise: "Hätten Sie noch fünf Stück?", hieß es heute. Leider muss ich im Moment noch vertrösten, man möge sich die restlichen Exemplare im Handel heraussuchen.
Hier wird jedoch gerade der "Plan Elsass" in die Tat umgesetzt:
Am Montag muss dringend der Brief für den Rechterückruf zur Post.
Derweil arbeite ich am Entwurf der Neuausgabe. Weil sich in solchen Mengen leider nur ein Paperback lohnt, kein Hardcover, will ich dasselbe mit eigenen Farbfotos verschönern. Dazu sollte auch die Sonne endlich scheinen. Bei Regen lässt sich aber schon einmal ein passendes Format finden - und ich experimentiere mit Schrifttypen und Layout und lerne mich in den Datenkram ein.
Sobald die Rechte wieder bei mir liegen (ich hoffe, das wird schneller gehen als erlaubt), soll das Buch nämlich in Druck gehen können. Entschieden habe ich mich bei reiflichem Preis-Leistungs-Vergleich für BoD, so dass es auch für die Leser wenig Hürden beim Bestellen gibt.
Eine ganz besondere Überraschung für diese dritte Auflage habe ich außerdem: Beim Suchen nach der Originaldatei fand ich nämlich eine Rezeptesammlung aus meiner Küche, aus welcher die Lektorin damals die passenden Rezepte ausgesucht hatte. Es gibt also wesentlich mehr Genussstoff! Die schönsten unveröffentlichten Rezepte werde ich deshalb zusätzlich anbieten, etwa das Geheimrezept für ein Lebenselixir, das mir eine über neunzigjährige Kräuternonne aus dem Elsass verraten hat - oder eine Kalorienbombe von Holzfällerspeise aus den Hochvogesen, die bei Bergwanderungen und im Winter die rechte Energie spendet.
Hier wird jedoch gerade der "Plan Elsass" in die Tat umgesetzt:
Am Montag muss dringend der Brief für den Rechterückruf zur Post.
Derweil arbeite ich am Entwurf der Neuausgabe. Weil sich in solchen Mengen leider nur ein Paperback lohnt, kein Hardcover, will ich dasselbe mit eigenen Farbfotos verschönern. Dazu sollte auch die Sonne endlich scheinen. Bei Regen lässt sich aber schon einmal ein passendes Format finden - und ich experimentiere mit Schrifttypen und Layout und lerne mich in den Datenkram ein.
Sobald die Rechte wieder bei mir liegen (ich hoffe, das wird schneller gehen als erlaubt), soll das Buch nämlich in Druck gehen können. Entschieden habe ich mich bei reiflichem Preis-Leistungs-Vergleich für BoD, so dass es auch für die Leser wenig Hürden beim Bestellen gibt.
Eine ganz besondere Überraschung für diese dritte Auflage habe ich außerdem: Beim Suchen nach der Originaldatei fand ich nämlich eine Rezeptesammlung aus meiner Küche, aus welcher die Lektorin damals die passenden Rezepte ausgesucht hatte. Es gibt also wesentlich mehr Genussstoff! Die schönsten unveröffentlichten Rezepte werde ich deshalb zusätzlich anbieten, etwa das Geheimrezept für ein Lebenselixir, das mir eine über neunzigjährige Kräuternonne aus dem Elsass verraten hat - oder eine Kalorienbombe von Holzfällerspeise aus den Hochvogesen, die bei Bergwanderungen und im Winter die rechte Energie spendet.
Schlechtwetterlese
Während draußen alles in den Kurzurlaub oder die nächste Arche wandert, biete ich den Gelangweilten oder Interessierten wieder Surfstoff aus dem Meer der Überinformation, diesmal englisch und deutsch. Wer das immer noch nicht geschnallt hat (ja, solche gibt es), die Links führen zu den Beiträgen, dürfen also bei Interesse angeklickt werden!
Schöne neue Welt da draußen, die uns immer mehr Möglichkeiten bietet, sogar solche, die wir gar nicht wollen oder brauchen, sondern aufgeschwatzt bekommen. Ich rede da nicht einmal von der Facebook-Austritts-Aktion berühmter Köpfe (z.B. Cory Doktorow), denen Datenmissbrauch und die Durchsichtigkeit des Individuums mittlerweile bis oben stehen. Ich bin ja schon lange weg.
Danah Boyd vom Harvard Berkmann Center for Internet and Society befasst sich in ihrem Blog mit dem Datenschutz bei Google und Facebook. Google hat ihr immerhin geantwortet. Facebook kommt bei ihrer Untersuchung (mit hilfreichen Links zu Aufklärungsartikeln) allerdings übel weg. Was sie - und viele investigative Journalisten - zutage fördern, ist Stoff für die perversesten Science-Fiction-Plots, mutet an wie der Kampf der "Affen gegen die Roboter", die Spaltung der Welt in das Dummvieh der "exposed people" gegen die privilegierten Lenker. Natürlich geht es um jede Menge Zaster und Macht. Kennern der Geschichte oder von diversen Sekten dürfte solch ein Plot bekannt vorkommen.
Ebenfalls im Land, wo alles seinen Anfang nimmt, was Mode wird, nämlich den USA, regt sich nun langsam Kritik am vielgepriesenen System der kostenlosen Sharing-Kultur unter Aushöhlung des Urheberrechts. Im Burns Auto Parts Blog geht es um Laurence Lessig, die Kultfigur hinter Creative Commons. Eigentlich keine schlechte Sache, mit diesem Lizensierungssystem Texte, Bilder und andere Schöpfungen kostenlos und in geordneter Weise weltweit zu verschenken und teilweise auch für Veränderungen und Bearbeitungen frei zu geben. Der Autor hat Lessig jedoch genau aufs Maul geschaut und konstatiert außerdem: Durch Verschenk-Content sind in den USA zahlreiche kleine Kreativunternehmen kaputtgegangen. Es leiden nicht nur die von ihm angesprochenen Fotografen, sondern Kreative aller Art. Diskussionen um die Abschaffung von Urheberrechten und Copyright haben die Wertigkeit kreativer Schöpfungen völlig unterhöhlt, anstatt mehr künstlerische Schöpfungen anzuregen: "Yes, copyright may impede some creative growth, but what about all the incredible creative growth we have seen thus far in our society?"
Für deutsche Autoren mag all das in weiter Ferne liegen, was allerdings einer gefährlichen Unterschätzung der Realität gleich käme. Viele KollegInnen wissen kaum, was sie in ihren Verlagsverträgen unterschreiben, oder kümmern sich nicht, weil sie kaum glauben können, dass Verträge grundsätzlich verhandelbar sind. Manche vergeben lustig ihre Nebenrechte, sogar solche, die noch gar nicht erfunden sind. Inzwischen wissen wir aber: Sollte sich das Ebook durchsetzen, ist auch damit eine Menge Geld zu machen - von den Verwertern allerdings, zumal die Kosten geringer sind, die Autorentantiemen aber nicht unbedingt steigen! Während sich mancher naive deutschsprachige Autor darüber freut, wenn er wenigstens in elektronischer Form in der Backlist landet, statt gleich verramscht zu werden, denken US-Autoren längst um.
Anlass war ein Streit zwischen Random House und der Erbin des Autors William Styron. Dessen Werke sollten ungefragt als Ebook veröffentlicht werden - eingedenk der damals noch nicht ausreichend formulierten Verträge. Random House hat inzwischen nachgegeben und spätestens damit ist klar: Es geht nicht an, dass ein Verlag sich automatisch Nebenrechte herausnimmt, die zur Zeit des Vertragsschlusses nicht existierten. Dies ist für Autoren vor allem deshalb wichtig, weil sie bequem und einfach ihre Backlisttitel selbst als Ebooks veröffentlichen und damit sehr viel mehr pro Stück verdienen könnten.
In Europa ist das von noch mehr Brisanz: Viele Verlage sind viel zu unflexibel in Sachen Ebook - hier können Autoren in Direktarbeit für ihr Buch sehr viel mehr erreichen. Bleibt zu raten, was bei allen Nebenrechten der Fall ist: Der Autor sollte im Buchvertrag wirklich nur diejenigen Nebenrechte vergeben, die er garantiert nicht selbst verwerten möchte / kann. Das Streichen von anderslautenden Passagen war schon immer erlaubter Usus - nur die wenigsten machen sich Gedanken um die unterschiedlichen Erscheinungsformen ihrer Bücher.
Welche Möglichkeiten Autoren selbst haben, machen die Franzosen vor. "In libro veritas" ist ein Verlag (spezialisiert auf rechtefreie Klassiker) mit angeschlossener PoD-Produktion, der Autoren erlaubt, ihre Werke gleichzeitig woanders zu veröffentlichen. Bekannt wurde er dadurch, dass Leser sich Bücher mit Wunschbefüllung im Baukastensystem drucken lassen können. Seine Besonderheit ist die Stärke im Ebook. Und damit die noch größer wird, bietet der Verlag nun einen eigenen Reader an, den man vor dem Kauf mit unterschiedlichen "Bibliotheken" aus dem Programm befüllen lassen kann. Spätestens hier wird klar: Für ein Ebook in Parallelauflage und dessen effiziente Vermarktung brauchen Autoren wirklich keine herkömmlichen Verlage mehr.
Falls das alles irgendwem zu düster war: Hier gibt's die Brille gegen den Krisenblick auf die Welt.
Schöne neue Welt da draußen, die uns immer mehr Möglichkeiten bietet, sogar solche, die wir gar nicht wollen oder brauchen, sondern aufgeschwatzt bekommen. Ich rede da nicht einmal von der Facebook-Austritts-Aktion berühmter Köpfe (z.B. Cory Doktorow), denen Datenmissbrauch und die Durchsichtigkeit des Individuums mittlerweile bis oben stehen. Ich bin ja schon lange weg.
Danah Boyd vom Harvard Berkmann Center for Internet and Society befasst sich in ihrem Blog mit dem Datenschutz bei Google und Facebook. Google hat ihr immerhin geantwortet. Facebook kommt bei ihrer Untersuchung (mit hilfreichen Links zu Aufklärungsartikeln) allerdings übel weg. Was sie - und viele investigative Journalisten - zutage fördern, ist Stoff für die perversesten Science-Fiction-Plots, mutet an wie der Kampf der "Affen gegen die Roboter", die Spaltung der Welt in das Dummvieh der "exposed people" gegen die privilegierten Lenker. Natürlich geht es um jede Menge Zaster und Macht. Kennern der Geschichte oder von diversen Sekten dürfte solch ein Plot bekannt vorkommen.
Ebenfalls im Land, wo alles seinen Anfang nimmt, was Mode wird, nämlich den USA, regt sich nun langsam Kritik am vielgepriesenen System der kostenlosen Sharing-Kultur unter Aushöhlung des Urheberrechts. Im Burns Auto Parts Blog geht es um Laurence Lessig, die Kultfigur hinter Creative Commons. Eigentlich keine schlechte Sache, mit diesem Lizensierungssystem Texte, Bilder und andere Schöpfungen kostenlos und in geordneter Weise weltweit zu verschenken und teilweise auch für Veränderungen und Bearbeitungen frei zu geben. Der Autor hat Lessig jedoch genau aufs Maul geschaut und konstatiert außerdem: Durch Verschenk-Content sind in den USA zahlreiche kleine Kreativunternehmen kaputtgegangen. Es leiden nicht nur die von ihm angesprochenen Fotografen, sondern Kreative aller Art. Diskussionen um die Abschaffung von Urheberrechten und Copyright haben die Wertigkeit kreativer Schöpfungen völlig unterhöhlt, anstatt mehr künstlerische Schöpfungen anzuregen: "Yes, copyright may impede some creative growth, but what about all the incredible creative growth we have seen thus far in our society?"
Für deutsche Autoren mag all das in weiter Ferne liegen, was allerdings einer gefährlichen Unterschätzung der Realität gleich käme. Viele KollegInnen wissen kaum, was sie in ihren Verlagsverträgen unterschreiben, oder kümmern sich nicht, weil sie kaum glauben können, dass Verträge grundsätzlich verhandelbar sind. Manche vergeben lustig ihre Nebenrechte, sogar solche, die noch gar nicht erfunden sind. Inzwischen wissen wir aber: Sollte sich das Ebook durchsetzen, ist auch damit eine Menge Geld zu machen - von den Verwertern allerdings, zumal die Kosten geringer sind, die Autorentantiemen aber nicht unbedingt steigen! Während sich mancher naive deutschsprachige Autor darüber freut, wenn er wenigstens in elektronischer Form in der Backlist landet, statt gleich verramscht zu werden, denken US-Autoren längst um.
Anlass war ein Streit zwischen Random House und der Erbin des Autors William Styron. Dessen Werke sollten ungefragt als Ebook veröffentlicht werden - eingedenk der damals noch nicht ausreichend formulierten Verträge. Random House hat inzwischen nachgegeben und spätestens damit ist klar: Es geht nicht an, dass ein Verlag sich automatisch Nebenrechte herausnimmt, die zur Zeit des Vertragsschlusses nicht existierten. Dies ist für Autoren vor allem deshalb wichtig, weil sie bequem und einfach ihre Backlisttitel selbst als Ebooks veröffentlichen und damit sehr viel mehr pro Stück verdienen könnten.
In Europa ist das von noch mehr Brisanz: Viele Verlage sind viel zu unflexibel in Sachen Ebook - hier können Autoren in Direktarbeit für ihr Buch sehr viel mehr erreichen. Bleibt zu raten, was bei allen Nebenrechten der Fall ist: Der Autor sollte im Buchvertrag wirklich nur diejenigen Nebenrechte vergeben, die er garantiert nicht selbst verwerten möchte / kann. Das Streichen von anderslautenden Passagen war schon immer erlaubter Usus - nur die wenigsten machen sich Gedanken um die unterschiedlichen Erscheinungsformen ihrer Bücher.
Welche Möglichkeiten Autoren selbst haben, machen die Franzosen vor. "In libro veritas" ist ein Verlag (spezialisiert auf rechtefreie Klassiker) mit angeschlossener PoD-Produktion, der Autoren erlaubt, ihre Werke gleichzeitig woanders zu veröffentlichen. Bekannt wurde er dadurch, dass Leser sich Bücher mit Wunschbefüllung im Baukastensystem drucken lassen können. Seine Besonderheit ist die Stärke im Ebook. Und damit die noch größer wird, bietet der Verlag nun einen eigenen Reader an, den man vor dem Kauf mit unterschiedlichen "Bibliotheken" aus dem Programm befüllen lassen kann. Spätestens hier wird klar: Für ein Ebook in Parallelauflage und dessen effiziente Vermarktung brauchen Autoren wirklich keine herkömmlichen Verlage mehr.
Falls das alles irgendwem zu düster war: Hier gibt's die Brille gegen den Krisenblick auf die Welt.
13. Mai 2010
Sprachräume
Ich sollte längst bei Dauerregen und Vogesenkälte in meinem ungeheizten Büro an der Mammut-Übersetzung sitzen. Stattdessen träume ich meinem heutigen Traum nach, der extrem klar und real wirkte. Ich war an irgendeiner Grenze von Polen und sprach jemanden auf Polnisch an - und der verbesserte mich grinsend. Ich hatte das weibliche "Anrede-Sie" für einen Mann verwendet. Wir lachten und parlierten weiter - ich sprach im Gegensatz zum Wachleben perfekt, erinnerte die Sätze noch beim Aufwachen. Solch einen Unterricht lob ich mir! Sprachen im Traum lernen...
Unlängst erreichte ich solch einen Traumzustand bei vollem Bewusstsein. Ich war in Baden-Baden in einem Lädchen für Modeschmuck, wo mir ein älteres Ehepaar auffiel, weil es sich rührend und liebevoll umeinander kümmerte. Und die Autorenkrankheit sorgt bekanntlich dafür, dass man unter Menschen Augen und Ohren aufsperrt. So bekam ich mit, wie er sie beriet und sie ihm von ihren Lieblingsfarben erzählte. Erst als die Verkäuferin die beiden zum Übersetzen an die Kollegin weiterreichte, fiel mir etwas auf: Die beiden hatten weder Deutsch noch Französisch gesprochen. Also musste es doch Polnisch gewesen sein, ich hatte ja alles verstanden? Nein, mein Gehirn hatte sich selbst überlistet: Die beiden sprachen Russisch. Das hatte ich einmal sehr rudimentär in meiner Teeniezeit gelernt, damals im äußersten Westen und Kalten Krieg fast ohne jede Hörmöglichkeit. Aber die vielen russischen Produktionen auf ARTE und 3sat in der letzten Zeit hatten irgendetwas in meinem Ohr verändert...
Dieser traumhafte Zustand, in dem ich verstehe, aber nie aussprechen könnte, was ich verstehe, ist für mich immer der Beginn des wirklichen Sprachenlernens. Übrigens ein Grund dafür, dass ich zu blöde für jeden verschulten Kurs bin, ich kann weder Konjugationen herunterbeten noch Vokabeln abgefragt werden, ich kann keine Regeln zum Subjonktiv oder belebten und unbelebten Wörtern auswendig aufsagen. Bei schulischen Anforderungen fange ich an zu stottern, und ich schäme mich immer noch, dass die Übersetzerin selbst ein so drolliges Französisch schreibt - um nicht zu sagen, schriftlich so viele Fehler macht. Ich langweile mich bei normalem Unterricht unendlich. Viel lieber mag ich diese spannenden Zwischenräume erkunden, in denen ich nicht mehr bewusst wahrnehme, in welcher Sprache sich jemand ausdrückt.
Diesen Moment erreiche ich auch beim Übersetzen, wenn ich einen bestimmten Punkt der Versenkung in den Text erreicht habe. Schriftsteller kennen das von der eigenen Sprache: Plötzlich fließt der Text, ohne dass man genau sagen könnte, woher, weil man sich selbst als kaum daran beteiligt empfindet. Wenn ich in den Text des zu übersetzenden Buchs gehe, werden Grammatik, Vokabeln und Strukturen irgendwann unsichtbar. Ich begegne dem Autor, der von Seite zu Seite nackter vor mir steht. In einer imaginären Wohnung, die er mit diesem Buch geschaffen hat, einem Wohnraum seiner selbst. Die nehme ich mit geschärften Sinnen wahr und erkunde sie immer wieder von Neuem.
Nach über 400 Seiten weiß ich, was er darin sammelt, ich kenne die Farben und Klänge, die er liebt, und weiß, worüber er auch im Leben außerhalb des Buchs lacht. Ich sehe den verstaubten Nippes in seinem Akademikerregal, finde in einer Schublade vergrabene Revoluzzerfähnchen aus der Jugend. Wenn ich mich bei ihm in den Sessel setze, der von einem eigentümlichen olivgrünen, feinen Cordsamt ist, sehe ich förmlich in der Luft, was seine Gesprächspartner über ihn denken. Er kann mir nichts mehr vormachen, nicht mehr nach über 400 Seiten.
Ich spüre sofort, wenn er seine Unsicherheit überspielt. Ich weiß, wann er mit Wissen angibt und von wem er dann gefeiert werden möchte. Manchmal möchte ich mir fast die Hände waschen, weil sein Humor ins Schmierige abgleitet. Und dann würde ich ihm am liebsten zurufen, wo er eine Chance verschenkt hat, wo er wirklich witzig hätte werden können. Ich spüre seine Tagesform, weiß genau, durch welche Textpassagen er sich gequält hat. Würde ihm bei anderen Stellen gern zurufen, warum er nicht mehr solches schreibe, das könne er brillant. Er steht nackt vor mir. Ich weiß, wann er weiß, dass es keiner merkt, wo er schwächelt. Ich bin die Übersetzerin, ich bin vielleicht die einzige, die es durchschaut. Und das fühlt sich für mich nicht immer schön an, sondern auch peinlich. Manchmal bereitet es Überdruss. Und immer wieder habe ich das Gefühl, eine Schwelle an Intimität zu überschreiten.
Ich bin dann auch diejenige, die ihm ein Handtuch reicht, um seine Blößen zu bedecken. Ich muss mir diese fremde Sprachwohnung zu eigen machen, sie anderen präsentieren. Heimlich ziehe ich ihm die Schublade ein wenig auf, fahre mit dem Staubwedel über seinen Nippes. Zum Glück sind Wörter und Vokabeln so vielseitig. Mit dem maronenbraunen Läufer in der Bibliothek hat er sich eigentlich vergriffen, war wohl ein Sonderangebot, das ihm ausgerechnet an diesem Tag entgegenfiel. Zum Glück gibt es solche Läufer im Deutschen nicht. Ich kann also auswählen, muss auswählen: Nehme ich hellblaue Seide, ein gedämpftes Kaschmirmuster oder lieber etwas Flauschiges in Bordeauxrot? Nicht, dass ich noch die Buchregale umstreichen müsste: zu viel Renovierungsarbeiten darf ein Übersetzer nicht auf eigene Kappe unternehmen.
Wir sind Zimmermädchen, Dienstpersonal in fremden Sprachräumen, in den höchst individuellen Wohnungen uns zunächst fremder Menschen. Wir müssen uns langsam eingewöhnen, bis uns alles so vertraut wird, dass wir gar nicht mehr weg wollen. Dass wir manchmal gar nicht mehr unterscheiden können, in welcher Sprache so eine Wohnung gebaut ist. Manchmal treten wir durch eine verschlossene Tür und empfinden das Umfeld spontan als behaglich und vertraut. Als wären wir schon oft in dieser Wohnung gewesen, als wüssten wir, wie die Küche hinter der nächsten Tür aussieht und welchen Bezug die Bettwäsche hat. Das sind dann die wundersamen Momente, wo Wörter und Satzstrukturen und Grammatik keine Bedeutung mehr haben. Wo man die Menschen in ihren Räumen einfach erspürt.
Das ist der Idealfall faszinierender Übersetzerarbeit. Doch allzu oft werden wir in Wohnungen geworfen, die wir privat nie freiwillig betreten würden. Manche haben einen derart schlimmen Schweinestall, dass man gar nicht weiß, wo man zuerst aufräumen soll. Manche leben in eigentümlich leeren, unbelebten Hallen, als spiegelten sie nur für Stunden ein Leben vor. Am schlimmsten sind für mich die Amtsstuben, wo sie sprachliche Rohrstöcke an der Wand reihen und hinter verschlossenen Türen Folterwerkzeuge in Paragraphenformen aufgereiht zu sein scheinen. Ich erinnere mich an die gähnende Langeweile, wenn ich bei Schulmeistern zum Kaffee gebeten werde und übersetzen muss, wie sie ein und denselben Gedanken hundertmal in der Tasse herumrühren, bis sie endlich auf den Zucker stoßen.
Dann doch lieber so einer wie "mein" Autor, der ganz gewiss seinen Schnurrbart zwirbelt, aber jede Menge spannenden Besuch hat. Wenn er den zu Wort kommen lässt, tun sich neue Privaträume auf: Museen aus alten Zeiten von Umstandskrämern und durchgeknallten Genies, von berühmten Langweilern und unbekannten Geistesperlen.
Als ganz kleines Kind soll ich einmal von zu Hause ausgerissen sein, aus Langeweile. Meine Eltern fanden mich schließlich bei der kanadischen Nachbarsfamilie, die kein Wort Deutsch konnte. Ich sehe deren Wohnung mit den barbiepuppenrosa Klängen noch heute vor mir. Und finde es höchst praktisch, wenn man aus der neugierigen Ausreißerei in fremde Lebensräume einen Beruf machen kann.
Unlängst erreichte ich solch einen Traumzustand bei vollem Bewusstsein. Ich war in Baden-Baden in einem Lädchen für Modeschmuck, wo mir ein älteres Ehepaar auffiel, weil es sich rührend und liebevoll umeinander kümmerte. Und die Autorenkrankheit sorgt bekanntlich dafür, dass man unter Menschen Augen und Ohren aufsperrt. So bekam ich mit, wie er sie beriet und sie ihm von ihren Lieblingsfarben erzählte. Erst als die Verkäuferin die beiden zum Übersetzen an die Kollegin weiterreichte, fiel mir etwas auf: Die beiden hatten weder Deutsch noch Französisch gesprochen. Also musste es doch Polnisch gewesen sein, ich hatte ja alles verstanden? Nein, mein Gehirn hatte sich selbst überlistet: Die beiden sprachen Russisch. Das hatte ich einmal sehr rudimentär in meiner Teeniezeit gelernt, damals im äußersten Westen und Kalten Krieg fast ohne jede Hörmöglichkeit. Aber die vielen russischen Produktionen auf ARTE und 3sat in der letzten Zeit hatten irgendetwas in meinem Ohr verändert...
Dieser traumhafte Zustand, in dem ich verstehe, aber nie aussprechen könnte, was ich verstehe, ist für mich immer der Beginn des wirklichen Sprachenlernens. Übrigens ein Grund dafür, dass ich zu blöde für jeden verschulten Kurs bin, ich kann weder Konjugationen herunterbeten noch Vokabeln abgefragt werden, ich kann keine Regeln zum Subjonktiv oder belebten und unbelebten Wörtern auswendig aufsagen. Bei schulischen Anforderungen fange ich an zu stottern, und ich schäme mich immer noch, dass die Übersetzerin selbst ein so drolliges Französisch schreibt - um nicht zu sagen, schriftlich so viele Fehler macht. Ich langweile mich bei normalem Unterricht unendlich. Viel lieber mag ich diese spannenden Zwischenräume erkunden, in denen ich nicht mehr bewusst wahrnehme, in welcher Sprache sich jemand ausdrückt.
Diesen Moment erreiche ich auch beim Übersetzen, wenn ich einen bestimmten Punkt der Versenkung in den Text erreicht habe. Schriftsteller kennen das von der eigenen Sprache: Plötzlich fließt der Text, ohne dass man genau sagen könnte, woher, weil man sich selbst als kaum daran beteiligt empfindet. Wenn ich in den Text des zu übersetzenden Buchs gehe, werden Grammatik, Vokabeln und Strukturen irgendwann unsichtbar. Ich begegne dem Autor, der von Seite zu Seite nackter vor mir steht. In einer imaginären Wohnung, die er mit diesem Buch geschaffen hat, einem Wohnraum seiner selbst. Die nehme ich mit geschärften Sinnen wahr und erkunde sie immer wieder von Neuem.
Nach über 400 Seiten weiß ich, was er darin sammelt, ich kenne die Farben und Klänge, die er liebt, und weiß, worüber er auch im Leben außerhalb des Buchs lacht. Ich sehe den verstaubten Nippes in seinem Akademikerregal, finde in einer Schublade vergrabene Revoluzzerfähnchen aus der Jugend. Wenn ich mich bei ihm in den Sessel setze, der von einem eigentümlichen olivgrünen, feinen Cordsamt ist, sehe ich förmlich in der Luft, was seine Gesprächspartner über ihn denken. Er kann mir nichts mehr vormachen, nicht mehr nach über 400 Seiten.
Ich spüre sofort, wenn er seine Unsicherheit überspielt. Ich weiß, wann er mit Wissen angibt und von wem er dann gefeiert werden möchte. Manchmal möchte ich mir fast die Hände waschen, weil sein Humor ins Schmierige abgleitet. Und dann würde ich ihm am liebsten zurufen, wo er eine Chance verschenkt hat, wo er wirklich witzig hätte werden können. Ich spüre seine Tagesform, weiß genau, durch welche Textpassagen er sich gequält hat. Würde ihm bei anderen Stellen gern zurufen, warum er nicht mehr solches schreibe, das könne er brillant. Er steht nackt vor mir. Ich weiß, wann er weiß, dass es keiner merkt, wo er schwächelt. Ich bin die Übersetzerin, ich bin vielleicht die einzige, die es durchschaut. Und das fühlt sich für mich nicht immer schön an, sondern auch peinlich. Manchmal bereitet es Überdruss. Und immer wieder habe ich das Gefühl, eine Schwelle an Intimität zu überschreiten.
Ich bin dann auch diejenige, die ihm ein Handtuch reicht, um seine Blößen zu bedecken. Ich muss mir diese fremde Sprachwohnung zu eigen machen, sie anderen präsentieren. Heimlich ziehe ich ihm die Schublade ein wenig auf, fahre mit dem Staubwedel über seinen Nippes. Zum Glück sind Wörter und Vokabeln so vielseitig. Mit dem maronenbraunen Läufer in der Bibliothek hat er sich eigentlich vergriffen, war wohl ein Sonderangebot, das ihm ausgerechnet an diesem Tag entgegenfiel. Zum Glück gibt es solche Läufer im Deutschen nicht. Ich kann also auswählen, muss auswählen: Nehme ich hellblaue Seide, ein gedämpftes Kaschmirmuster oder lieber etwas Flauschiges in Bordeauxrot? Nicht, dass ich noch die Buchregale umstreichen müsste: zu viel Renovierungsarbeiten darf ein Übersetzer nicht auf eigene Kappe unternehmen.
Wir sind Zimmermädchen, Dienstpersonal in fremden Sprachräumen, in den höchst individuellen Wohnungen uns zunächst fremder Menschen. Wir müssen uns langsam eingewöhnen, bis uns alles so vertraut wird, dass wir gar nicht mehr weg wollen. Dass wir manchmal gar nicht mehr unterscheiden können, in welcher Sprache so eine Wohnung gebaut ist. Manchmal treten wir durch eine verschlossene Tür und empfinden das Umfeld spontan als behaglich und vertraut. Als wären wir schon oft in dieser Wohnung gewesen, als wüssten wir, wie die Küche hinter der nächsten Tür aussieht und welchen Bezug die Bettwäsche hat. Das sind dann die wundersamen Momente, wo Wörter und Satzstrukturen und Grammatik keine Bedeutung mehr haben. Wo man die Menschen in ihren Räumen einfach erspürt.
Das ist der Idealfall faszinierender Übersetzerarbeit. Doch allzu oft werden wir in Wohnungen geworfen, die wir privat nie freiwillig betreten würden. Manche haben einen derart schlimmen Schweinestall, dass man gar nicht weiß, wo man zuerst aufräumen soll. Manche leben in eigentümlich leeren, unbelebten Hallen, als spiegelten sie nur für Stunden ein Leben vor. Am schlimmsten sind für mich die Amtsstuben, wo sie sprachliche Rohrstöcke an der Wand reihen und hinter verschlossenen Türen Folterwerkzeuge in Paragraphenformen aufgereiht zu sein scheinen. Ich erinnere mich an die gähnende Langeweile, wenn ich bei Schulmeistern zum Kaffee gebeten werde und übersetzen muss, wie sie ein und denselben Gedanken hundertmal in der Tasse herumrühren, bis sie endlich auf den Zucker stoßen.
Dann doch lieber so einer wie "mein" Autor, der ganz gewiss seinen Schnurrbart zwirbelt, aber jede Menge spannenden Besuch hat. Wenn er den zu Wort kommen lässt, tun sich neue Privaträume auf: Museen aus alten Zeiten von Umstandskrämern und durchgeknallten Genies, von berühmten Langweilern und unbekannten Geistesperlen.
Als ganz kleines Kind soll ich einmal von zu Hause ausgerissen sein, aus Langeweile. Meine Eltern fanden mich schließlich bei der kanadischen Nachbarsfamilie, die kein Wort Deutsch konnte. Ich sehe deren Wohnung mit den barbiepuppenrosa Klängen noch heute vor mir. Und finde es höchst praktisch, wenn man aus der neugierigen Ausreißerei in fremde Lebensräume einen Beruf machen kann.
12. Mai 2010
Der Trick mit der Promilesung
Wer träumt als Autor nicht davon: Einmal zusammen mit einem prominenten Schriftsteller in der besten Buchhandlung des Landes aus den eigenen Texten lesen! Illustre Besucher wie Medienecho sind garantiert.
Das geht so:
Der unbekannte Möchtegernautor geht zur besten Buchhandlung, die er finden kann, und stellt sich mit den folgenden Worten vor:
"Liebe Buchhändlerin X, der berühmte wunderbare Literat Y wünscht sich von ganzem Herzen, dass ich in seinem Beisein aus meinen neuen Texten vorlese. Und nun soll ich in seinem Namen anfragen, ob Sie Ihre Buchhandlung dafür zur Verfügung stellen würden?"
Gar nicht faul, spricht der unbekannte Möchtegernautor jetzt beim hochberühmten Schriftsteller Y vor und erzählt ihm von der Sensation, dass die bekannte Buchhandlung X unbedingt eine Veranstaltung mit ihm machen wolle. Und die Buchhändlerin wünsche sich nichts sehnlicher, als seine bescheidenen Texte im Beisein des großen Meisters zu hören. Ob der Meister bereit wäre?
Die Buchhandlung sagt zu, weil sie sowieso Lesungen veranstaltet und den großen Y schon immer mal buchen wollte. Meister Y sagt zu, weil ihn die Einladung der Buchhandlung X schmeichelt.
Einmal wenigstens hat das funktioniert. Im Jahr 1917, in der Pariser Buchhandlung von Adrienne Monnier mit dem klangvollen Namen "La Maison des amis des livres". Der unbekannte Verseschmied mit der frechen Idee war ein Dandy namens Jean Cocteau, der erscheinende Meister hieß André Gide.
Das geht so:
Der unbekannte Möchtegernautor geht zur besten Buchhandlung, die er finden kann, und stellt sich mit den folgenden Worten vor:
"Liebe Buchhändlerin X, der berühmte wunderbare Literat Y wünscht sich von ganzem Herzen, dass ich in seinem Beisein aus meinen neuen Texten vorlese. Und nun soll ich in seinem Namen anfragen, ob Sie Ihre Buchhandlung dafür zur Verfügung stellen würden?"
Gar nicht faul, spricht der unbekannte Möchtegernautor jetzt beim hochberühmten Schriftsteller Y vor und erzählt ihm von der Sensation, dass die bekannte Buchhandlung X unbedingt eine Veranstaltung mit ihm machen wolle. Und die Buchhändlerin wünsche sich nichts sehnlicher, als seine bescheidenen Texte im Beisein des großen Meisters zu hören. Ob der Meister bereit wäre?
Die Buchhandlung sagt zu, weil sie sowieso Lesungen veranstaltet und den großen Y schon immer mal buchen wollte. Meister Y sagt zu, weil ihn die Einladung der Buchhandlung X schmeichelt.
Einmal wenigstens hat das funktioniert. Im Jahr 1917, in der Pariser Buchhandlung von Adrienne Monnier mit dem klangvollen Namen "La Maison des amis des livres". Der unbekannte Verseschmied mit der frechen Idee war ein Dandy namens Jean Cocteau, der erscheinende Meister hieß André Gide.
Experimente an lebenden Autoren
Wo ist eigentlich die gute alte Spaßgesellschaft geblieben? Wenn man sie mal braucht zwischen Öl- und Ascheregen, Wahltheater, Griechenlandurlaub und Klimaerkältung, ist sie nicht da. Beim Fotografieren soll man neuerdings nicht "cheese" in die Kamera sagen, sondern "Krise". Und die ewig besoffenen, nichtstuenden Autoren im schwarzen Rolli geben sich nur noch mehr die Kante, um die raren Auswege in die Öffentlichkeit zu finden. Was soll einer schließlich tun, den weder Taliban noch Russenmafia aufnähmen, noch nicht einmal geschenkt?
Spaßgesellschaft 2.0 ist die Antwort. Und die gibt sich wie unsere Zeit: Taff, hart an der Grenze zur Folter, ohne Erbarmen gegen sich selbst - und das alles im Dienst einer höheren Macht namens Kunst und Kultur, pardon, von Verkaufszahlen. Die Selbstopferer werden öffentlich zur Schau gestellt wie eine Bandenhinrichtung auf der Hauptstraße Palermos, begleitet von Radio und TV, inszeniert für eine Schar von Schaulustigen, die seit der Spaßgesellschaft 1.0 nichts mehr so richtig kitzeln vermag. Der Autor als Viagra für die Leser - hier liegt die Zukunft der Selbstvermarktung!
Glaubt mir wieder keiner? Aber der Buchmarkt spricht andere Bände, beweist das Börsenblatt (lesen!)! Da katapultieren sich schreibende Kaninchen mit Selbstversuchen am laufenden Meter in die Verkaufscharts und geben die lebensberatende Laborratte. Wie schmerzhaft muss es sein, wenn Karen Duve unter Schnitzelentzug zur besseren Menschin reifen will! Was muss es an Energie kosten, wenn Jürgen Schmieder unter Lügenentzug für eine bessere Welt kämpft! Aber was tut man nicht alles, um nach einer Hegemann noch in die Bestsellerlisten zu gelangen.
Ich finde: das alles sollte erst der Anfang sein. Denken wir an all die Autoren, die noch nicht bereit sind zum großen PR-Schlag, helfen wir ihnen, trainieren wir sie! Ich schlage Selbstversuchs-Camps für Autoren in Pakistan vor, natürlich rundum umweltfreundlich, interreligiös und subkutan. Schreiben als Selbstversuch, inklusive Eigenqualtherapie und gemeinschaftlichem Urintrinken. Wer als Literat des neuen Masochismus nichts taugt, wird umgeschult zum Selbstmordattentäter, Kamikaze für die Kunst. "Ich war Selbstmordattentäter. Ein Autor berichtet vom Selbstversuch nach der Explosion". Wenn das kein Stöffchen ist. Vergesst die Drogen aus Berliner Clubs, vergesst das Regietheater, schreibt euch tot. Denn tote Autoren verkaufen sich noch besser.
Die Variante für Weicheier macht uns mal wieder die Musikbranche vor: Bei der Jungen Deutschen Philharmonie kann man junge hübsche Musikerinnen und Musiker gewinnen. Angenehm devot der Hornist. Und ob die Flötistin mit dem Silberteil auch zuschlagen kann? Einen ganzen Tag lang sind sie jedenfalls dem Gewinner mit Haut und Bogenhaar ausgeliefert, müssen für ihn schrammeln und witzeln und sich womöglich auf Schnitzelentzug durch eine bessere Welt picknicken. Wenn diese Idee nicht die literarische Welt aufmischen könnte! Kauf dir deinen Autor frei! Schenke ihm einen neuen Lebenstag außerhalb des Ausbildungscamps. Für eine bessere Welt und höhere Auflagen.
Ich sehe das richtig vor mir: Karin Duve zum Schnitzelessen einladen und dann abspülen lassen. Jürgen Schmieder zum Inkassobüro vorschicken und vorher nochmal richtig zocken. Mit Günther Grass einen Tag lang offline am eigenen Buch schreiben. Helene Hegemann auf den Jakobsweg scheuchen. Und endlich einen ganzen Tag lang diesen verdammten Mord an der Schwiegermutter mit einem Profi aus dem Thrillerfach durchplanen!
Schluss mit der billigen Prostitution durch Schreiben. In der Spaßgesellschaft 2.0 wird der Selbstversuch im Dienste der gelangweilten Menschheit zum Paradigma. "Wie ich das Leben überlebte. Ein Selbstversuch". Wenn das kein Terror ist.
Spaßgesellschaft 2.0 ist die Antwort. Und die gibt sich wie unsere Zeit: Taff, hart an der Grenze zur Folter, ohne Erbarmen gegen sich selbst - und das alles im Dienst einer höheren Macht namens Kunst und Kultur, pardon, von Verkaufszahlen. Die Selbstopferer werden öffentlich zur Schau gestellt wie eine Bandenhinrichtung auf der Hauptstraße Palermos, begleitet von Radio und TV, inszeniert für eine Schar von Schaulustigen, die seit der Spaßgesellschaft 1.0 nichts mehr so richtig kitzeln vermag. Der Autor als Viagra für die Leser - hier liegt die Zukunft der Selbstvermarktung!
Glaubt mir wieder keiner? Aber der Buchmarkt spricht andere Bände, beweist das Börsenblatt (lesen!)! Da katapultieren sich schreibende Kaninchen mit Selbstversuchen am laufenden Meter in die Verkaufscharts und geben die lebensberatende Laborratte. Wie schmerzhaft muss es sein, wenn Karen Duve unter Schnitzelentzug zur besseren Menschin reifen will! Was muss es an Energie kosten, wenn Jürgen Schmieder unter Lügenentzug für eine bessere Welt kämpft! Aber was tut man nicht alles, um nach einer Hegemann noch in die Bestsellerlisten zu gelangen.
Ich finde: das alles sollte erst der Anfang sein. Denken wir an all die Autoren, die noch nicht bereit sind zum großen PR-Schlag, helfen wir ihnen, trainieren wir sie! Ich schlage Selbstversuchs-Camps für Autoren in Pakistan vor, natürlich rundum umweltfreundlich, interreligiös und subkutan. Schreiben als Selbstversuch, inklusive Eigenqualtherapie und gemeinschaftlichem Urintrinken. Wer als Literat des neuen Masochismus nichts taugt, wird umgeschult zum Selbstmordattentäter, Kamikaze für die Kunst. "Ich war Selbstmordattentäter. Ein Autor berichtet vom Selbstversuch nach der Explosion". Wenn das kein Stöffchen ist. Vergesst die Drogen aus Berliner Clubs, vergesst das Regietheater, schreibt euch tot. Denn tote Autoren verkaufen sich noch besser.
Die Variante für Weicheier macht uns mal wieder die Musikbranche vor: Bei der Jungen Deutschen Philharmonie kann man junge hübsche Musikerinnen und Musiker gewinnen. Angenehm devot der Hornist. Und ob die Flötistin mit dem Silberteil auch zuschlagen kann? Einen ganzen Tag lang sind sie jedenfalls dem Gewinner mit Haut und Bogenhaar ausgeliefert, müssen für ihn schrammeln und witzeln und sich womöglich auf Schnitzelentzug durch eine bessere Welt picknicken. Wenn diese Idee nicht die literarische Welt aufmischen könnte! Kauf dir deinen Autor frei! Schenke ihm einen neuen Lebenstag außerhalb des Ausbildungscamps. Für eine bessere Welt und höhere Auflagen.
Ich sehe das richtig vor mir: Karin Duve zum Schnitzelessen einladen und dann abspülen lassen. Jürgen Schmieder zum Inkassobüro vorschicken und vorher nochmal richtig zocken. Mit Günther Grass einen Tag lang offline am eigenen Buch schreiben. Helene Hegemann auf den Jakobsweg scheuchen. Und endlich einen ganzen Tag lang diesen verdammten Mord an der Schwiegermutter mit einem Profi aus dem Thrillerfach durchplanen!
Schluss mit der billigen Prostitution durch Schreiben. In der Spaßgesellschaft 2.0 wird der Selbstversuch im Dienste der gelangweilten Menschheit zum Paradigma. "Wie ich das Leben überlebte. Ein Selbstversuch". Wenn das kein Terror ist.
11. Mai 2010
Lesung fällt aus!
Das Pech, das sich in letzter Zeit bei mir gehäuft hat, reicht nun für sieben magere Jahre. Es mögen die fetten endlich kommen! Diesmal ist es die Großwetterlage, die mir einen Strich durch die Rechnung macht, sprich, die kalte Sophie will einfach nicht weichen... Sie sollte sich zwar laut katholischem Heiligenkalender in der Nacht zum Sonntag trollen, aber Heilige sind auch nicht mehr das, was sie mal waren - der Sonntag soll durchwachsen bleiben, mit höchstens 17 Grad, falls denn die Sonne scheint.
Leider muss wegen des anhaltenden schlechten Wetters meine kulinarische Lesung am Sonntag ausfallen. Ein Tabakschuppen ist ja bekanntlich zum Tabaktrocknen da, also ungeheizt und zugig. Die Veranstalter hätten zwar genügend Polarfleecedecken, aber allzu viele Gäste haben aus Angst vor Kälte und Regen kurzfristig abgesagt. Es tut mir sehr leid für diejenigen, die sich bereits darauf gefreut haben - aber vielleicht tröstet es, dass ich ganz bestimmt nicht das letzte Mal in der Region gelesen habe - und auch für Baden-Baden wieder etwas geplant werden wird. Allerdings wird es mit Baden-Baden wohl eher 2011 wegen des Umbaus am Literaturmuseum. Aber wer weiß, vielleicht liest ja ein Gönner und Macher aus Baden-Baden zufällig mit und hat Ideen für eine Ballets Russes Premiere im Herbst 2011?
Leider muss wegen des anhaltenden schlechten Wetters meine kulinarische Lesung am Sonntag ausfallen. Ein Tabakschuppen ist ja bekanntlich zum Tabaktrocknen da, also ungeheizt und zugig. Die Veranstalter hätten zwar genügend Polarfleecedecken, aber allzu viele Gäste haben aus Angst vor Kälte und Regen kurzfristig abgesagt. Es tut mir sehr leid für diejenigen, die sich bereits darauf gefreut haben - aber vielleicht tröstet es, dass ich ganz bestimmt nicht das letzte Mal in der Region gelesen habe - und auch für Baden-Baden wieder etwas geplant werden wird. Allerdings wird es mit Baden-Baden wohl eher 2011 wegen des Umbaus am Literaturmuseum. Aber wer weiß, vielleicht liest ja ein Gönner und Macher aus Baden-Baden zufällig mit und hat Ideen für eine Ballets Russes Premiere im Herbst 2011?
Was kommt?
Zwei Zukunftsfragen heute: "Was kommt, was bleibt" fragt Johannes Haupt bei lesen.net und stellt noch einmal einen Überblick vom Buchcamp des deutschen Börsenhandels zusammen. Es geht darin um die Zukunft des Buches und seine unterschiedlichen "Aggregatszustände", also Formen.
Schwenk zu meiner Umfrage, bei der sich immerhin 13 Menschen beteiligt haben, das wäre nicht nur unwirtschaftlich, wenn ich auf die hören würde, sondern auch absolut nicht repräsentativ. Aber ich bin froh, dass doch einige mitgemacht haben, danke! Immerhin einer - das war ganz sicher die 13. Fee - hat Mut genug bewiesen und gesagt, ich solle doch endlich Ruhe geben. 22% der Beteiligten wollen nichts von mir lesen. (Warum seid ihr eigentlich noch da? Stichwort: Ausschaltknopf!)
Dass mein oller Erstlings-Roman als E-Book-Neuausgabe so wenige begeistern kann, war zu erwarten und erspart mir eigentlich Arbeit. Irgendwie ist das mit dem Ebook noch nicht reif (der Roman selbst kann es ja nicht sein, hahaha). Lassen wir erst mal die Branche ihre Geräte herumwerfen und schauen wir, welche Technik sich wirklich verbreitet... Ob es sich dann noch lohnt, das Opus unter die Leser zu werfen.
Die Verteilung der Siegerplätze war auch zu erwarten - die teilen sich das Reisebuch und die Handy-Flash-Fiction. Inzwischen habe ich ein wenig herumrecherchiert und herausgefunden, dass letzteres zumindest seiner Zeit voraus ist - so wie ich mir das technisch vorstelle, wird es auf dem deutschen Markt womöglich erst in ein, zwei Jahren möglich sein. Die jetzigen Anbieter bestechen entweder mit miserablem Abverkauf oder zu teurem Einstieg für die Autoren. Da ich aber die Texte sowieso erst noch schreiben müsste, kommt der Aufschub gerade recht. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben!
Tja, und das Reisebuch hat sich inzwischen ganz anders erledigt als gedacht: Zuerst einmal wird das Elsassbuch vordringlich wiederbelebt! Daran werde ich dann sehen, wie viel Arbeit die Sache macht - und ob die sich für ein neues Projekt lohnt. Ich habe inzwischen noch einmal im Odilienbuch geblättert und festgestellt, dass es mit einfachen Kürzungen oder Veränderungen nicht getan ist. Das Buch ist inzwischen so sehr überholt, dass es völlig neu geschrieben werden müsste. Allerdings schwelt das weiter im Hinterkopf, weil ich mich im Zusammenhang mit meinem "Europajob" in dieser Thematik herumtreibe und Buchprojekte prüfe.
Und was Arbeitsenergie und Neu-Schreiben betrifft, so engagiere ich mich da natürlich zuallererst bei Verlagen und habe genug Mammutarbeiten vor mir. Bis Ende Juli muss ich einen 600-Seiten-Klopper (große französische Paperbackseiten) übersetzt haben, der im Frühjahr 2011 erscheinen soll. Und in der Saison danach soll es ein eigenes Buch werden, sozusagen die Auferstehung Nijinskys in einem weit größeren Umfeld. Ich hätte zwar 80 Seiten Hörbuchtext, aber weil der so perfekt geschliffen war, für ein anderes Medium außerdem, heißt es auch hier: völlig neu schreiben. Und recherchieren, recherchieren, recherchieren. Der Unfall mit dem Hörbuch hat sich allerdings gelohnt: Inzwischen liegen mir spannende russische Quellen in Übersetzungen vor, die vorher nicht zugänglich waren und auch auf Deutsch noch nicht zu haben sind. Diese beiden Bücher haben absolute Priorität, weil das thematisch genau das ist, was ich mir erträumt habe, eines Tages machen zu können. Nicht, dass ich je erträumt hätte, als Übersetzerin zu arbeiten, ich behaupte nach wie vor, kaum Französisch zu können...
Schwenk zu meiner Umfrage, bei der sich immerhin 13 Menschen beteiligt haben, das wäre nicht nur unwirtschaftlich, wenn ich auf die hören würde, sondern auch absolut nicht repräsentativ. Aber ich bin froh, dass doch einige mitgemacht haben, danke! Immerhin einer - das war ganz sicher die 13. Fee - hat Mut genug bewiesen und gesagt, ich solle doch endlich Ruhe geben. 22% der Beteiligten wollen nichts von mir lesen. (Warum seid ihr eigentlich noch da? Stichwort: Ausschaltknopf!)
Dass mein oller Erstlings-Roman als E-Book-Neuausgabe so wenige begeistern kann, war zu erwarten und erspart mir eigentlich Arbeit. Irgendwie ist das mit dem Ebook noch nicht reif (der Roman selbst kann es ja nicht sein, hahaha). Lassen wir erst mal die Branche ihre Geräte herumwerfen und schauen wir, welche Technik sich wirklich verbreitet... Ob es sich dann noch lohnt, das Opus unter die Leser zu werfen.
Die Verteilung der Siegerplätze war auch zu erwarten - die teilen sich das Reisebuch und die Handy-Flash-Fiction. Inzwischen habe ich ein wenig herumrecherchiert und herausgefunden, dass letzteres zumindest seiner Zeit voraus ist - so wie ich mir das technisch vorstelle, wird es auf dem deutschen Markt womöglich erst in ein, zwei Jahren möglich sein. Die jetzigen Anbieter bestechen entweder mit miserablem Abverkauf oder zu teurem Einstieg für die Autoren. Da ich aber die Texte sowieso erst noch schreiben müsste, kommt der Aufschub gerade recht. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben!
Tja, und das Reisebuch hat sich inzwischen ganz anders erledigt als gedacht: Zuerst einmal wird das Elsassbuch vordringlich wiederbelebt! Daran werde ich dann sehen, wie viel Arbeit die Sache macht - und ob die sich für ein neues Projekt lohnt. Ich habe inzwischen noch einmal im Odilienbuch geblättert und festgestellt, dass es mit einfachen Kürzungen oder Veränderungen nicht getan ist. Das Buch ist inzwischen so sehr überholt, dass es völlig neu geschrieben werden müsste. Allerdings schwelt das weiter im Hinterkopf, weil ich mich im Zusammenhang mit meinem "Europajob" in dieser Thematik herumtreibe und Buchprojekte prüfe.
Und was Arbeitsenergie und Neu-Schreiben betrifft, so engagiere ich mich da natürlich zuallererst bei Verlagen und habe genug Mammutarbeiten vor mir. Bis Ende Juli muss ich einen 600-Seiten-Klopper (große französische Paperbackseiten) übersetzt haben, der im Frühjahr 2011 erscheinen soll. Und in der Saison danach soll es ein eigenes Buch werden, sozusagen die Auferstehung Nijinskys in einem weit größeren Umfeld. Ich hätte zwar 80 Seiten Hörbuchtext, aber weil der so perfekt geschliffen war, für ein anderes Medium außerdem, heißt es auch hier: völlig neu schreiben. Und recherchieren, recherchieren, recherchieren. Der Unfall mit dem Hörbuch hat sich allerdings gelohnt: Inzwischen liegen mir spannende russische Quellen in Übersetzungen vor, die vorher nicht zugänglich waren und auch auf Deutsch noch nicht zu haben sind. Diese beiden Bücher haben absolute Priorität, weil das thematisch genau das ist, was ich mir erträumt habe, eines Tages machen zu können. Nicht, dass ich je erträumt hätte, als Übersetzerin zu arbeiten, ich behaupte nach wie vor, kaum Französisch zu können...
10. Mai 2010
Schüttelfrost und großes Kino
Nie wieder will ich hören, Schreiben sei keine Arbeit! Nach zwei Stunden reiner Schreibzeit habe ich Schüttelfrost, schrecklichen Hunger und bin völlig erschöpft. Angefangen hatte es wohl damit, dass mich Tschaikowsky heute Nacht höchstpersönlich durch eine Stadt mit riesigen klassizistischen Bauten und einem breiten Fluss führte (Schuld hat Klaus Mann als Bettlektüre: "Symphonie pathétique"). Vorausgegangen war dann ein Wald- und Wiesenlauf, bei dem ich ausnahmsweise nicht auf Vogelsang lauschte, sondern auf Gustav Mahlers Symphonie Nr. 5 (mit Guiseppe Sinopoli als Dirigent, zum Sterben schön) und die Musik Zbigniews Preisners (Soundtrack zum "Doppelten Leben der Weronika", zum Sterben schön).
Zuhause eplodierte ich förmlich: eine Eingebung, fieberhafte Suche nach einem Gemälde, einem Zitat, dann Entwurf von ganz großem Kino. Ein Russe aus Paris inszeniert am Lido von Venedig die letzte Szene seines ganz persönlichen Kultbuchs, Thomas Manns "Tod in Venedig", erinnert sich am Strand ans Leben und die große Liebe, die ein französischer Maler auf immer festgehalten hat - in Kirschrot. Er inszeniert nicht nur sich als Aschenbach, sondern weiß, dass er sterben wird - in eben jenem Hotel am Lido.
Ein anderer Russe weilt derweil in Deutschland oder Frankreich, früher einmal hat er für den am Lido gearbeitet und im nächsten Jahr wird auch er Venedig besuchen. Immer wieder träumt er von Inszenierungen, obwohl er eigentlich malt. Und er schreibt ein Libretto für das Vergehen vom Rot in den Tod...
Originaltext 1926:
"Das Rot ermattet. ... Das ganze Bild dreht sich wie ein Rad - in Geschwindigkeit zunehmend. Peitschenknalle werden hörbar. Immer lauter, schneller. Die Farben und die Laute rasen wild. Ein Schuss. Alles wird dunkel und still."
Für den Russen am Lido zerfällt sein Liebesbild in Kirschrot, er stirbt an unbehandeltem Diabetes. Die Farben und die Laute rasen wie wild. Alles wird dunkel und still.
Scharfer Schnitt, Pathos-Ende. Der Rückblick auf die Faszination einer Epoche zwischen Paris und Petersburg, München und Moskau, Berlin und Wien beginnt.
Und ein neues Genre von Sachbuch, das sich wahrscheinlich einbildet, ein Film zu sein, zu tanzen und zu komponieren.
Derweil tritt die Autorin ab, köchelt sich einen doppelten (dreifachen?) Espresso und versucht, mit dessen süßer, bitterer Schwärze vom geballten Sterben herunterzukommen (das Adagietto von Mahler MUSS aber noch einmal dröhnen). Ich hab ganz vergessen zu sagen, dass sich der Mann am Lido auch noch leibhaftig an Tschaikowsky erinnert...
Ich schwöre, dass ich Klaus Mann morgen in die Bibliothek zurückbringen und heute abend besser Donald Duck lesen werde. Jeden Tag hält man solches Schreiben nicht aus. Falls man nichts mehr von mir hört, habe ich mich in der russischen Bibliothek einschließen lassen. Was haben wir eigentlich für ein Jahr?
Zuhause eplodierte ich förmlich: eine Eingebung, fieberhafte Suche nach einem Gemälde, einem Zitat, dann Entwurf von ganz großem Kino. Ein Russe aus Paris inszeniert am Lido von Venedig die letzte Szene seines ganz persönlichen Kultbuchs, Thomas Manns "Tod in Venedig", erinnert sich am Strand ans Leben und die große Liebe, die ein französischer Maler auf immer festgehalten hat - in Kirschrot. Er inszeniert nicht nur sich als Aschenbach, sondern weiß, dass er sterben wird - in eben jenem Hotel am Lido.
Ein anderer Russe weilt derweil in Deutschland oder Frankreich, früher einmal hat er für den am Lido gearbeitet und im nächsten Jahr wird auch er Venedig besuchen. Immer wieder träumt er von Inszenierungen, obwohl er eigentlich malt. Und er schreibt ein Libretto für das Vergehen vom Rot in den Tod...
Originaltext 1926:
"Das Rot ermattet. ... Das ganze Bild dreht sich wie ein Rad - in Geschwindigkeit zunehmend. Peitschenknalle werden hörbar. Immer lauter, schneller. Die Farben und die Laute rasen wild. Ein Schuss. Alles wird dunkel und still."
Für den Russen am Lido zerfällt sein Liebesbild in Kirschrot, er stirbt an unbehandeltem Diabetes. Die Farben und die Laute rasen wie wild. Alles wird dunkel und still.
Scharfer Schnitt, Pathos-Ende. Der Rückblick auf die Faszination einer Epoche zwischen Paris und Petersburg, München und Moskau, Berlin und Wien beginnt.
Und ein neues Genre von Sachbuch, das sich wahrscheinlich einbildet, ein Film zu sein, zu tanzen und zu komponieren.
Derweil tritt die Autorin ab, köchelt sich einen doppelten (dreifachen?) Espresso und versucht, mit dessen süßer, bitterer Schwärze vom geballten Sterben herunterzukommen (das Adagietto von Mahler MUSS aber noch einmal dröhnen). Ich hab ganz vergessen zu sagen, dass sich der Mann am Lido auch noch leibhaftig an Tschaikowsky erinnert...
Ich schwöre, dass ich Klaus Mann morgen in die Bibliothek zurückbringen und heute abend besser Donald Duck lesen werde. Jeden Tag hält man solches Schreiben nicht aus. Falls man nichts mehr von mir hört, habe ich mich in der russischen Bibliothek einschließen lassen. Was haben wir eigentlich für ein Jahr?
9. Mai 2010
Von alten Scheunen und Schriftstellerinnen
Im Dorf meiner Freundin gibt es sympathische Nachbarn, die ein Problem miteinander haben. Alles begann mit einer Scheune. Die erstreckte sich über das Grundstück der beiden, das sie deshalb billiger erstanden hatten. Und weil sich niemand um die Scheune gekümmert hatte, zerfiel sie. Die Häuslesbauer wussten, irgendetwas musste passieren, alles sollte seine Ordnung haben. Und so beschloss der eine, die Scheune müsse zuerst und vor allen anderen Arbeiten abgetragen werden, schließlich wolle man es sauber und repräsentativ haben, auch wenn das Haus innen noch nicht eingerichtet war. Ein Unternehmen legte eine dicke Rechnung vor, denn zum Abbruch kam die Entsorgung der Materialien hinzu. Wir müssen aber unbedingt, sprach der Nachbar, wie sieht das denn aus, was sollen die Leute denken! Erst legen wir zusammen und dann kommt alles andere. Zuerst muss es ordentlich aussehen bei uns.
Der andere Nachbar hatte andere Sorgen. In der Fabrik entließen sie wieder Leute, das Kind kam in die höhere Schule und würde mehr Geld kosten. Sauber wollte er es auch haben, aber nicht um jeden Preis und nicht alles auf einmal. Vor der Scheune würde er zunächst Kies aufschütten, den bekam er über einen Kumpel - und die Frau würde Schlingpflanzen vor die Bretterwände setzen. Kommt Zeit, kommt Geld, vielleicht würde man mit etwas mehr Ruhe die Scheune unter Freunden billiger einreißen können. Warum er, wenn er so wenig Geld habe, sich nicht einen anderen Job suche, fragte sein Nachbar. Ob er sich vorstellen könne, dass es auch unsichere Leben gäbe, fragte der andere, und dass man nicht immer den Geldscheinen nachrennen könne, wenn man sich ein Leben aufgebaut habe, mit dem man eigentlich zufrieden sei. Sogar mit einer zerfallenden Scheune.
Was das mit dem Schreiben zu tun hat? Sehr viel. Ich musste nämlich sofort an diese Dorfgeschichte denken, als ich den Beitrag von Christa S. Lotz las: "Falsche Strategien gegen den Burnout". Ein äußerst lesenswerter Beitrag, denn er beschäftigt sich mit der Frage, warum wir uns mit aller Kraft für etwas engagieren - und ob man sich dabei nicht auch verrennen kann, wenn man sich nicht die richtigen Fragen stellt. Wir Schriftsteller unterscheiden uns darin zunächst nicht von allen anderen Berufen; wir haben nur wie bei allen Berufungen das Pech, dass uns die Konsequenzen nicht finanziell, sondern existentiell treffen. Gewiss ist auch der Abriss einer Scheune eine zunächst wirtschaftliche Frage. Aber der Umgang damit, die möglichen Antworten, verraten viel über unsere Lebensauffassungen und Überlebenskonzepte.
Ich persönlich fand ihren Beitrag sehr hilfreich, um mich wieder zu "erden". An der Anzahl der wilden Blogartikel in der vergangenen Woche sehe ich selbst, dass ich wie ein kopfloses Huhn auf äußere Rückschläge reagiert habe, mich sogar fast in eine Panik des Ausgeliefertfühlens hineingearbeitet habe. Ich hatte völlig vergessen, dass man auch in Zeiten, in denen Verlage insolvent werden oder verkauft, in denen Reihen eingestellt werden oder Programme geändert, Vertrauen haben kann. Vertrauen haben muss. Es schwatzen uns zwar viele Menschen auf, wir müssten "viele" sein und alles selbst machen - aber was ist eigentlich wirklich unsere Aufgabe, unser persönliches Ziel? Der Autor als eigene PR-Agentur, als eigener Hersteller, als Bühnendarsteller und Rampensau, ständig präsent und immer erreichbar - das mag sich aus wirtschaftlichen Umstrukturierungen ergeben. Aber wird es nicht auch ein Teil einer Lebenseinstellung, die uns Kontrolle verheißt und zum Kontrollwahn ausarten kann?
Wer als Selbstständiger alles allein in die Hand nimmt, schafft sich zunächst das trügerische Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben, auf niemanden angewiesen zu sein, auf nichts warten zu müssen, nicht abhängig zu sein von anderen, die vielleicht scheitern. Wenn so ein Allesunternehmer alles alleine in die Hand nimmt, ist er an einem möglichen Ruin wenigstens nur allein schuld. Sicherheitssuche wird zur Sicherheitssucht und so rennt er dann im Hamsterrad, blind dafür, dass es außer der Unberechenbarkeit von menschlichen Faktoren viel gewichtigere Risiken gibt, denen man sich da völlig einsam ausliefert. Dabei genügte ein Blick in die Welt der Manager: den Burnout bekommen zuerst diejenigen, die nicht delegieren können, denen die anderen nichts gut genug machen, die versuchen, das "Risiko Mensch zu minimieren". Anstatt zu teilen und sich mitzuteilen.
Natürlich werde ich mein Elsassbuch wieder neu auflegen. Ich gehörte geschlagen, ein gut funktionierendes Buch auslaufen zu lassen, wenn ich mir mehr Risiko und Spielfreude gönnen kann als ein großer Verlag. Aber ich muss auch nicht auf allen Hochzeiten gleichzeitig tanzen, so verführerisch all die modernen Möglichkeiten der Totalpräsenz auch sein mögen. Ich muss innerlich immer wieder zurücktreten und mich kritisch hinterfragen: Warum schreibst du überhaupt? Was willst du damit?
Ich würde ganz bestimmt nicht protestieren, wenn meine Bücher plötzlich stapelweise auf dem Bestsellertisch lägen. Jeder Schriftsteller, der vehement verneint, dass er insgeheim nicht auch davon träumt, belügt sich womöglich selbst. Aber es wäre eine Verkettung glücklicher Umstände mit einem glücklichen Manuskript, das einen in etwa so häufig trifft wie Scheunen, die zu Schlössern ausgebaut werden. Bei Christa S. Lotz schrieb ich in einem Kommentar, wie ich mir in den Neunzigern vorgenommen hatte, "es" mit Fünfzig geschafft zu haben in der Schriftstellerei. Wahrscheinlich dachte ich damals tatsächlich an den Stapel neben der Kasse. Irgendwann wurde das "es" zu einem richtig guten Verlag. Aber welcher von den vielen durfte "es" denn sein? Wenn ich "es" nicht schaffte, so nahm ich mir damals jedenfalls vor, würde ich das Schreiben an diesem Stichtag einstellen.
Inzwischen ist das Limit in erreichbare und vorstellbare Nähe gerückt. Und ich weiß nur eines: Als ich noch nicht schreiben und lesen konnte, habe ich eine Schrift erfunden, um seitenweise "schreiben" zu können. Ich habe mein ganzes Leben schreibend gelebt und erlebt und kann mir außer meinem eigenen Todesfall keinen vernünftigen Grund ausdenken, mit dem Erzählen aufzuhören - egal in welcher äußeren Form es stattfinden mag. Wie also konnte ich mir einen derartigen Blödsinn vornehmen?!?
Beim Lesen des oben empfohlenen Beitrags kam mir dann die gute Fee in den Sinn, die drei Wünsche erfüllt, aber wortwörtlich - und seien sie noch so idiotisch. Wünschen will eben gelernt sein. Und weil ich riesigen Respekt vor dieser Fee habe, wünschte ich mir schreibend eigentlich immer nur eines: Endlich bei meinen ureigenen Themen anzukommen und die Fragen herauszufinden, die mich umtreiben. Endlich mein ureigenes Schreiben zu finden und eine adäqaute sprachliche Form dafür zu entwickeln. Für all die Leser, die ähnliche Fragen umtreiben oder die sich angesprochen fühlen. Und wenn ich jetzt in Abstand zu mir selbst gehe und die vergangenen Jahre kritisch betrachte, muss ich fast lachen. All die scheinbaren Rückschläge und Katastrophen, die Unwägbarkeiten und Kontrollverluste haben mich meilenweit von dem entfernt, was man angeblich als Schriftsteller zu tun, zu denken und zu lassen hat.
Wenn ich dieses künstliche Limit des halben Jahrhunderts überschreiten werde, werde ich stattdessen Dinge tun, die ich nie von mir gedacht hätte. Ich werde in einem Beruf an die Öffentlichkeit treten, den mir eine kluge alte Dame prophezeite, als ich vier Jahre alt war. Und ich werde ein Buch veröffentlichen - so die Umstände wohlgesinnt bleiben - in dem ich unter anderem über jemanden schreiben werde, der mich mein ganzes Leben begleitet, fasziniert und inspiriert. Ich werde Dinge tun, die ich mich früher nie getraut hätte. Ich werde wieder bei mir ankommen - wenn das kein Durchbruch ist!
Natürlich wünsche ich mir zwischendurch immer wieder einmal das Leben des Nachbarn, der die Scheune sofort einreißen will. Mit ordentlichen, regelmäßigen Monatsgehältern und einem Leben, in dem man den Jahresurlaub zwei Jahre im Voraus plant. Aber im gleichen Atemzug schon wische ich den Gedanken weg, weil ich Angst vor der guten Fee habe. Sie könnte es hören und für einen echten Wunsch halten. Und dann säße ich für den Rest meines Lebens da und würde mich zu Tode langweilen. Was hätte ich dann noch zu erzählen?
Der andere Nachbar hatte andere Sorgen. In der Fabrik entließen sie wieder Leute, das Kind kam in die höhere Schule und würde mehr Geld kosten. Sauber wollte er es auch haben, aber nicht um jeden Preis und nicht alles auf einmal. Vor der Scheune würde er zunächst Kies aufschütten, den bekam er über einen Kumpel - und die Frau würde Schlingpflanzen vor die Bretterwände setzen. Kommt Zeit, kommt Geld, vielleicht würde man mit etwas mehr Ruhe die Scheune unter Freunden billiger einreißen können. Warum er, wenn er so wenig Geld habe, sich nicht einen anderen Job suche, fragte sein Nachbar. Ob er sich vorstellen könne, dass es auch unsichere Leben gäbe, fragte der andere, und dass man nicht immer den Geldscheinen nachrennen könne, wenn man sich ein Leben aufgebaut habe, mit dem man eigentlich zufrieden sei. Sogar mit einer zerfallenden Scheune.
Was das mit dem Schreiben zu tun hat? Sehr viel. Ich musste nämlich sofort an diese Dorfgeschichte denken, als ich den Beitrag von Christa S. Lotz las: "Falsche Strategien gegen den Burnout". Ein äußerst lesenswerter Beitrag, denn er beschäftigt sich mit der Frage, warum wir uns mit aller Kraft für etwas engagieren - und ob man sich dabei nicht auch verrennen kann, wenn man sich nicht die richtigen Fragen stellt. Wir Schriftsteller unterscheiden uns darin zunächst nicht von allen anderen Berufen; wir haben nur wie bei allen Berufungen das Pech, dass uns die Konsequenzen nicht finanziell, sondern existentiell treffen. Gewiss ist auch der Abriss einer Scheune eine zunächst wirtschaftliche Frage. Aber der Umgang damit, die möglichen Antworten, verraten viel über unsere Lebensauffassungen und Überlebenskonzepte.
Ich persönlich fand ihren Beitrag sehr hilfreich, um mich wieder zu "erden". An der Anzahl der wilden Blogartikel in der vergangenen Woche sehe ich selbst, dass ich wie ein kopfloses Huhn auf äußere Rückschläge reagiert habe, mich sogar fast in eine Panik des Ausgeliefertfühlens hineingearbeitet habe. Ich hatte völlig vergessen, dass man auch in Zeiten, in denen Verlage insolvent werden oder verkauft, in denen Reihen eingestellt werden oder Programme geändert, Vertrauen haben kann. Vertrauen haben muss. Es schwatzen uns zwar viele Menschen auf, wir müssten "viele" sein und alles selbst machen - aber was ist eigentlich wirklich unsere Aufgabe, unser persönliches Ziel? Der Autor als eigene PR-Agentur, als eigener Hersteller, als Bühnendarsteller und Rampensau, ständig präsent und immer erreichbar - das mag sich aus wirtschaftlichen Umstrukturierungen ergeben. Aber wird es nicht auch ein Teil einer Lebenseinstellung, die uns Kontrolle verheißt und zum Kontrollwahn ausarten kann?
Wer als Selbstständiger alles allein in die Hand nimmt, schafft sich zunächst das trügerische Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben, auf niemanden angewiesen zu sein, auf nichts warten zu müssen, nicht abhängig zu sein von anderen, die vielleicht scheitern. Wenn so ein Allesunternehmer alles alleine in die Hand nimmt, ist er an einem möglichen Ruin wenigstens nur allein schuld. Sicherheitssuche wird zur Sicherheitssucht und so rennt er dann im Hamsterrad, blind dafür, dass es außer der Unberechenbarkeit von menschlichen Faktoren viel gewichtigere Risiken gibt, denen man sich da völlig einsam ausliefert. Dabei genügte ein Blick in die Welt der Manager: den Burnout bekommen zuerst diejenigen, die nicht delegieren können, denen die anderen nichts gut genug machen, die versuchen, das "Risiko Mensch zu minimieren". Anstatt zu teilen und sich mitzuteilen.
Natürlich werde ich mein Elsassbuch wieder neu auflegen. Ich gehörte geschlagen, ein gut funktionierendes Buch auslaufen zu lassen, wenn ich mir mehr Risiko und Spielfreude gönnen kann als ein großer Verlag. Aber ich muss auch nicht auf allen Hochzeiten gleichzeitig tanzen, so verführerisch all die modernen Möglichkeiten der Totalpräsenz auch sein mögen. Ich muss innerlich immer wieder zurücktreten und mich kritisch hinterfragen: Warum schreibst du überhaupt? Was willst du damit?
Ich würde ganz bestimmt nicht protestieren, wenn meine Bücher plötzlich stapelweise auf dem Bestsellertisch lägen. Jeder Schriftsteller, der vehement verneint, dass er insgeheim nicht auch davon träumt, belügt sich womöglich selbst. Aber es wäre eine Verkettung glücklicher Umstände mit einem glücklichen Manuskript, das einen in etwa so häufig trifft wie Scheunen, die zu Schlössern ausgebaut werden. Bei Christa S. Lotz schrieb ich in einem Kommentar, wie ich mir in den Neunzigern vorgenommen hatte, "es" mit Fünfzig geschafft zu haben in der Schriftstellerei. Wahrscheinlich dachte ich damals tatsächlich an den Stapel neben der Kasse. Irgendwann wurde das "es" zu einem richtig guten Verlag. Aber welcher von den vielen durfte "es" denn sein? Wenn ich "es" nicht schaffte, so nahm ich mir damals jedenfalls vor, würde ich das Schreiben an diesem Stichtag einstellen.
Inzwischen ist das Limit in erreichbare und vorstellbare Nähe gerückt. Und ich weiß nur eines: Als ich noch nicht schreiben und lesen konnte, habe ich eine Schrift erfunden, um seitenweise "schreiben" zu können. Ich habe mein ganzes Leben schreibend gelebt und erlebt und kann mir außer meinem eigenen Todesfall keinen vernünftigen Grund ausdenken, mit dem Erzählen aufzuhören - egal in welcher äußeren Form es stattfinden mag. Wie also konnte ich mir einen derartigen Blödsinn vornehmen?!?
Beim Lesen des oben empfohlenen Beitrags kam mir dann die gute Fee in den Sinn, die drei Wünsche erfüllt, aber wortwörtlich - und seien sie noch so idiotisch. Wünschen will eben gelernt sein. Und weil ich riesigen Respekt vor dieser Fee habe, wünschte ich mir schreibend eigentlich immer nur eines: Endlich bei meinen ureigenen Themen anzukommen und die Fragen herauszufinden, die mich umtreiben. Endlich mein ureigenes Schreiben zu finden und eine adäqaute sprachliche Form dafür zu entwickeln. Für all die Leser, die ähnliche Fragen umtreiben oder die sich angesprochen fühlen. Und wenn ich jetzt in Abstand zu mir selbst gehe und die vergangenen Jahre kritisch betrachte, muss ich fast lachen. All die scheinbaren Rückschläge und Katastrophen, die Unwägbarkeiten und Kontrollverluste haben mich meilenweit von dem entfernt, was man angeblich als Schriftsteller zu tun, zu denken und zu lassen hat.
Wenn ich dieses künstliche Limit des halben Jahrhunderts überschreiten werde, werde ich stattdessen Dinge tun, die ich nie von mir gedacht hätte. Ich werde in einem Beruf an die Öffentlichkeit treten, den mir eine kluge alte Dame prophezeite, als ich vier Jahre alt war. Und ich werde ein Buch veröffentlichen - so die Umstände wohlgesinnt bleiben - in dem ich unter anderem über jemanden schreiben werde, der mich mein ganzes Leben begleitet, fasziniert und inspiriert. Ich werde Dinge tun, die ich mich früher nie getraut hätte. Ich werde wieder bei mir ankommen - wenn das kein Durchbruch ist!
Natürlich wünsche ich mir zwischendurch immer wieder einmal das Leben des Nachbarn, der die Scheune sofort einreißen will. Mit ordentlichen, regelmäßigen Monatsgehältern und einem Leben, in dem man den Jahresurlaub zwei Jahre im Voraus plant. Aber im gleichen Atemzug schon wische ich den Gedanken weg, weil ich Angst vor der guten Fee habe. Sie könnte es hören und für einen echten Wunsch halten. Und dann säße ich für den Rest meines Lebens da und würde mich zu Tode langweilen. Was hätte ich dann noch zu erzählen?
7. Mai 2010
Wachet auf...
... oder wie man in solchen Zeiten sagt. Wer sich dafür interessiert, was die derzeitige "Medienrevolution", die auch den Buchmarkt betrifft, für alle Beteiligten einschließlich der Konsumenten bedeutet, dem sei ein Vortrag von Detlef Bluhm sehr ans Herz gelegt. Ein wenig Zeit sollte man zum Lesen mitbringen, zum Nachdenken noch ein bißchen mehr:
Gegenwart und Zukunft des Buchhandels
Ich verbrösele mich nun langsam in den kommenden Feiertag (für alle Deutschen: In Europa feiert man, dass der Wahnsinn 1945 ein Ende hatte und Frieden einkehrte) - schönes Wochenende!
Heute, Sa. 8.5., findet In Frankfurt das Bar Camp des Börsenvereins "Wie sieht die Zukunft des Buches aus?" mit Vertretern aller möglichen Berufssparten statt. Bei Twitter kann man die Diskussionen live verfolgen unter #buchcamp - es gibt außerdem einen Livestream und bei Google eine Mitschrift, ebenfalls live. Im Menu rechts zitiere ich via Twitter ein paar Highlights daraus.
Und jetzt will ich keinen Autor mehr hören, man bräuchte für diesen Beruf lediglich eine Reiseschreibmaschine...
Es lohnt sich, werden dort Fragen diskutiert, wie z.B.
Wie können sich Verlage für Autoren attraktiver machen / Landet das Jugendbuch nur noch im Digitalen / Informationsüberflutung - wie damit umgehen / ändern sich durch Ebooks und Internet Lesegewohnheiten / die dunklen Seiten des Social Web / Urheberrechte modern / neue Geschäftsmodelle /Reader, i-pad: was kommt, was bleibt?....
Wer es verpasst hat: die Googleversion wird wohl stehenbleiben, Twitter speichert auch einige Zeit.
Gegenwart und Zukunft des Buchhandels
Ich verbrösele mich nun langsam in den kommenden Feiertag (für alle Deutschen: In Europa feiert man, dass der Wahnsinn 1945 ein Ende hatte und Frieden einkehrte) - schönes Wochenende!
Brandaktuell:
Heute, Sa. 8.5., findet In Frankfurt das Bar Camp des Börsenvereins "Wie sieht die Zukunft des Buches aus?" mit Vertretern aller möglichen Berufssparten statt. Bei Twitter kann man die Diskussionen live verfolgen unter #buchcamp - es gibt außerdem einen Livestream und bei Google eine Mitschrift, ebenfalls live. Im Menu rechts zitiere ich via Twitter ein paar Highlights daraus.
Und jetzt will ich keinen Autor mehr hören, man bräuchte für diesen Beruf lediglich eine Reiseschreibmaschine...
Es lohnt sich, werden dort Fragen diskutiert, wie z.B.
Wie können sich Verlage für Autoren attraktiver machen / Landet das Jugendbuch nur noch im Digitalen / Informationsüberflutung - wie damit umgehen / ändern sich durch Ebooks und Internet Lesegewohnheiten / die dunklen Seiten des Social Web / Urheberrechte modern / neue Geschäftsmodelle /Reader, i-pad: was kommt, was bleibt?....
Wer es verpasst hat: die Googleversion wird wohl stehenbleiben, Twitter speichert auch einige Zeit.
La calculatrice
So schnell geht's weiter mit dem Bücherbasteln: Ein winziges Frauchen mit einer überdimensionalen Rechenmaschine rennt durch mein Zimmer, ihr Eulengesicht kann sich nicht von den Kugeln lösen, die rasend schnell aneinanderklackern. Madame Calculatrice wurde von hilfreichen und informativen Kommentaren auf den Plan gerufen. Bücherbasteln ist also gar kein reiner Spaß, am Anfang steht das, was ich am meisten hasse: Rechnerei! Denn ein Buch - das muss der Autor lernen - ist zunächst einmal eine Ware, mit allen Rechten und Verpflichtungen.
Ich habe Madame Calculatrice vorgegeben, mit möglichst geringem Anfangskapital zu produzieren, weil ich erstens keines habe, und zweitens ab einer gewissen Summe doch besser wirklich die Druckerei beschäftigen könnte - mit dem vollen Risiko, dann auf den Prachtexemplaren sitzen zu bleiben. Da ist auch ein wenig sportlicher Ehrgeiz: Wie preiswert kann man ein Buch in welcher Ausstattung machen? Ist in der Alles-Haben-Welt wirklich alles zu haben? Ist in einer Welt, in der Leserinnen und Leser nach Sonderangeboten, Schnäppchen und Kostenlosgeschenken gieren, der Lesestoff tatsächlich fast "für umme" zu haben?
Nach der ersten Unterredung mit Mme C. ist eines klar: Es rechnet sich absolut nicht, dieses Projekt nur aus Spaß durchzuziehen, als eine Art journalistische Recherche am eigenen Leib. Denn es muss sich rechnen. Also wird umgeplant: Die Energie wird gleich ins Elsassbuch gesteckt, so bleibt auch genug Zeit für die Vorbereitungen. Die Verkaufsvorteile lägen auf der Hand: Das Buch hat bereits ein "Gütesiegel" von einem der renommiertesten Verlage und Verkaufzahlen geschrieben, die auch bei einem BoD-bedingten Einbruch noch erfreuten.
Gelernt: Ich muss auf die versteckten Kosten achten. Wie wir gesehen haben, kommen zu den 39 Euro "Einstiegspreis" Datenhaltungskosten dazu. Die sind zwar monatlich gering, summieren sich aber über die Fünf-Jahres-Vertragslaufzeit zu 159 E, die in die Bilanz eingehen müssen. Bei vorzeitiger Kündigung müsste ich 299 E Gebühr zahlen und die Datenhaltungskosten, die bis dahin angefallen sind. Das ist alles immer noch günstig, weil ich kein großes Vorinvestitionsrisiko eingehe, weil dieses Buch speziell auch so lange laufen wird. Doch bei jedem Dienst, den ich von außen hole, selbst bei Freundschaftspreisen, muss ich diese Unkosten zu den bereits vorhandenen dazu rechnen. Außerdem nicht zu vergessen: Ich habe an diesem Buch bereits verdient, kann also das Risiko wagen, als Autorin leer auszugehen!
Noch eine Rechnung ist aufzumachen: Was kann ich denn an dem Buch überhaupt brutto verdienen? Traumhafte Margen werden einem da versprochen, theoretisch kann man ja den Ladenpreis beliebig festsetzen. Auffallend viele Autoren machen das auch und wundern sich, warum ihre Bücher nicht gehen. Auch ein absolut professionell und perfekt gemachtes Buch im PoD-Verfahren kann ich nicht teurer machen als Bücher von Verlagen im Buchhandel! Und die können ein Lied davon singen, dass es manchmal nur eine 1-Euro-Hürde ist, die den Kunden vom Kauf abhält. Als normal veröffentlichter Autor lernt man das mit ein wenig Aufmerksamkeit: Es gibt psychologische Preisgrenzen, deren Überschreiten ein Buch ruinieren können. Es gibt aber auch Schallgrenzen nach unten, die ein Buch zum Ramsch machen, das nichts wert sein kann, weil kein Wert gefordert wird.
Das Elsassbuch kostete im Handel knapp unter 14 E und ging weg wie warme Semmeln, weil die bibliophile Ausstattung im Vordergrund stand. Man hatte ein wunderschönes Geschenk zu einem vernünftigen Preis. Eine solche Ausstattung ist jedoch nur bei richtigen Druckereien zu haben - die kann ich nicht bieten. Ich werfe den Kalkulator von BoD an - und siehe da, ein einfaches Hardcover ohne Fotos, selbst ohne Schutzumschlag, käme in die Richtung von 20 E, mit nur geringem Verdienst. Exitus. 20 E, das ist eine dieser psychologischen Schmerzgrenzen beim Kunden. Das wäre ein Buch dieser Ausstattung auch nicht wert.
Selbst Kunstbände müssen heutzutage darunter bleiben, sonst kleben sie fest. Verlage produzieren nicht umsonst im Osten oder in China, um diesem Kaufverhalten einigermaßen entgegen kommen zu können. Und sie produzieren hohe Qualität - auf die ich nicht zurückgreifen kann. Das Elsassbuch als Hardcover bei BoD rechnet sich also schon allein vom Endpreis her nicht und von der Marge her schon gar nicht. Die wäre nämlich geringer als die Autorentantiemen in jedem normalen Verlag. Dabei habe ich die Unkosten noch nicht einmal eingerechnet.
Nächster Plan: Paperback. Das ist bei weitem nicht so schön, wie ich es mir vorstelle. Aber ich käme mit einiger Jonglierei auf einen Endpreis in der Nähe des jetzigen, könnte ein wenig am Exemplar verdienen und womöglich einige Farbfotos in die Gestaltung mit einbeziehen. Es soll ja schön werden.
Mme C. quatscht wieder dazwischen: "Jetzt nimmst du deine Unkosten und summierst die auf. Alle Unkosten! Die teilst du durch die Netto-Marge. Dann weißt du, wie viele Bücher du verkaufen musst, bis du überhaupt einen einzigen Cent daran verdienst. Und denk dran, von diesem Cent gehen dann noch Steuern und alle möglichen Abgaben ab!"
Ich könnte Mme C. den Hals umdrehen - sie nimmt mir allen Spaß. Aber sie legt noch eins drauf: "Glaub ja nicht, dass all die Zusatzarbeiten für die Herstellung nichts kosten, nur weil du dich selbst ausbeutest! Du könntest in dieser Arbeitszeit für Geld woanders arbeiten. Wenn du ehrlich bist, schlägst du einen imaginären Stundenlohn auf deine Unkosten. Und vergiss die Arbeiten für PR und Verkauf nicht!"
Sie hat einen wunden Punkt getroffen. Ich selbst könnte mir mich nämlich gar nicht leisten. Ich könnte mir auch kein Buch leisten, bei dem ich so viele Vorabkosten amortisieren müsste - nicht mit diesen Margen. Und wenn ich diese erhöhe, wie das viele naive Selbstbastelautoren machen, verkauft es sich nicht. Lohnt sich das wirklich? Nur als Dienst am Kunden? Ist das wirtschaftlich?
Mir kommt eine Vision von einem sterbenskranken Patienten, der seine Krankenkassenbeiträge nicht bezahlt hat. Würde der Arzt die unsichere und elend teure Operation wagen? Er hat einen Eid geschworen. Aber Bücher darf man eigentlich schlicht verrecken lassen, wenn es sich nicht mehr lohnt.
Ich schicke Mme C. nun einfach in den morgigen Feiertag und werde in Ruhe ein paar Kalkulationen aufmachen. Denn die Sache verkompliziert sich, wenn ich für Auftritte verkaufen möchte. Dann soll das Paket ein anderes sein und das Zehnfache kosten? Was ich außerdem vergessen habe: Ich bin viele, zumindest bei diesem Projekt. Den Verdienst muss sich die Autorin teilen mit der Layouterin, Lektorin, Texterfasserin, Fotografin ...
Ich habe Madame Calculatrice vorgegeben, mit möglichst geringem Anfangskapital zu produzieren, weil ich erstens keines habe, und zweitens ab einer gewissen Summe doch besser wirklich die Druckerei beschäftigen könnte - mit dem vollen Risiko, dann auf den Prachtexemplaren sitzen zu bleiben. Da ist auch ein wenig sportlicher Ehrgeiz: Wie preiswert kann man ein Buch in welcher Ausstattung machen? Ist in der Alles-Haben-Welt wirklich alles zu haben? Ist in einer Welt, in der Leserinnen und Leser nach Sonderangeboten, Schnäppchen und Kostenlosgeschenken gieren, der Lesestoff tatsächlich fast "für umme" zu haben?
Nach der ersten Unterredung mit Mme C. ist eines klar: Es rechnet sich absolut nicht, dieses Projekt nur aus Spaß durchzuziehen, als eine Art journalistische Recherche am eigenen Leib. Denn es muss sich rechnen. Also wird umgeplant: Die Energie wird gleich ins Elsassbuch gesteckt, so bleibt auch genug Zeit für die Vorbereitungen. Die Verkaufsvorteile lägen auf der Hand: Das Buch hat bereits ein "Gütesiegel" von einem der renommiertesten Verlage und Verkaufzahlen geschrieben, die auch bei einem BoD-bedingten Einbruch noch erfreuten.
Gelernt: Ich muss auf die versteckten Kosten achten. Wie wir gesehen haben, kommen zu den 39 Euro "Einstiegspreis" Datenhaltungskosten dazu. Die sind zwar monatlich gering, summieren sich aber über die Fünf-Jahres-Vertragslaufzeit zu 159 E, die in die Bilanz eingehen müssen. Bei vorzeitiger Kündigung müsste ich 299 E Gebühr zahlen und die Datenhaltungskosten, die bis dahin angefallen sind. Das ist alles immer noch günstig, weil ich kein großes Vorinvestitionsrisiko eingehe, weil dieses Buch speziell auch so lange laufen wird. Doch bei jedem Dienst, den ich von außen hole, selbst bei Freundschaftspreisen, muss ich diese Unkosten zu den bereits vorhandenen dazu rechnen. Außerdem nicht zu vergessen: Ich habe an diesem Buch bereits verdient, kann also das Risiko wagen, als Autorin leer auszugehen!
Noch eine Rechnung ist aufzumachen: Was kann ich denn an dem Buch überhaupt brutto verdienen? Traumhafte Margen werden einem da versprochen, theoretisch kann man ja den Ladenpreis beliebig festsetzen. Auffallend viele Autoren machen das auch und wundern sich, warum ihre Bücher nicht gehen. Auch ein absolut professionell und perfekt gemachtes Buch im PoD-Verfahren kann ich nicht teurer machen als Bücher von Verlagen im Buchhandel! Und die können ein Lied davon singen, dass es manchmal nur eine 1-Euro-Hürde ist, die den Kunden vom Kauf abhält. Als normal veröffentlichter Autor lernt man das mit ein wenig Aufmerksamkeit: Es gibt psychologische Preisgrenzen, deren Überschreiten ein Buch ruinieren können. Es gibt aber auch Schallgrenzen nach unten, die ein Buch zum Ramsch machen, das nichts wert sein kann, weil kein Wert gefordert wird.
Das Elsassbuch kostete im Handel knapp unter 14 E und ging weg wie warme Semmeln, weil die bibliophile Ausstattung im Vordergrund stand. Man hatte ein wunderschönes Geschenk zu einem vernünftigen Preis. Eine solche Ausstattung ist jedoch nur bei richtigen Druckereien zu haben - die kann ich nicht bieten. Ich werfe den Kalkulator von BoD an - und siehe da, ein einfaches Hardcover ohne Fotos, selbst ohne Schutzumschlag, käme in die Richtung von 20 E, mit nur geringem Verdienst. Exitus. 20 E, das ist eine dieser psychologischen Schmerzgrenzen beim Kunden. Das wäre ein Buch dieser Ausstattung auch nicht wert.
Selbst Kunstbände müssen heutzutage darunter bleiben, sonst kleben sie fest. Verlage produzieren nicht umsonst im Osten oder in China, um diesem Kaufverhalten einigermaßen entgegen kommen zu können. Und sie produzieren hohe Qualität - auf die ich nicht zurückgreifen kann. Das Elsassbuch als Hardcover bei BoD rechnet sich also schon allein vom Endpreis her nicht und von der Marge her schon gar nicht. Die wäre nämlich geringer als die Autorentantiemen in jedem normalen Verlag. Dabei habe ich die Unkosten noch nicht einmal eingerechnet.
Nächster Plan: Paperback. Das ist bei weitem nicht so schön, wie ich es mir vorstelle. Aber ich käme mit einiger Jonglierei auf einen Endpreis in der Nähe des jetzigen, könnte ein wenig am Exemplar verdienen und womöglich einige Farbfotos in die Gestaltung mit einbeziehen. Es soll ja schön werden.
Mme C. quatscht wieder dazwischen: "Jetzt nimmst du deine Unkosten und summierst die auf. Alle Unkosten! Die teilst du durch die Netto-Marge. Dann weißt du, wie viele Bücher du verkaufen musst, bis du überhaupt einen einzigen Cent daran verdienst. Und denk dran, von diesem Cent gehen dann noch Steuern und alle möglichen Abgaben ab!"
Ich könnte Mme C. den Hals umdrehen - sie nimmt mir allen Spaß. Aber sie legt noch eins drauf: "Glaub ja nicht, dass all die Zusatzarbeiten für die Herstellung nichts kosten, nur weil du dich selbst ausbeutest! Du könntest in dieser Arbeitszeit für Geld woanders arbeiten. Wenn du ehrlich bist, schlägst du einen imaginären Stundenlohn auf deine Unkosten. Und vergiss die Arbeiten für PR und Verkauf nicht!"
Sie hat einen wunden Punkt getroffen. Ich selbst könnte mir mich nämlich gar nicht leisten. Ich könnte mir auch kein Buch leisten, bei dem ich so viele Vorabkosten amortisieren müsste - nicht mit diesen Margen. Und wenn ich diese erhöhe, wie das viele naive Selbstbastelautoren machen, verkauft es sich nicht. Lohnt sich das wirklich? Nur als Dienst am Kunden? Ist das wirtschaftlich?
Mir kommt eine Vision von einem sterbenskranken Patienten, der seine Krankenkassenbeiträge nicht bezahlt hat. Würde der Arzt die unsichere und elend teure Operation wagen? Er hat einen Eid geschworen. Aber Bücher darf man eigentlich schlicht verrecken lassen, wenn es sich nicht mehr lohnt.
Ich schicke Mme C. nun einfach in den morgigen Feiertag und werde in Ruhe ein paar Kalkulationen aufmachen. Denn die Sache verkompliziert sich, wenn ich für Auftritte verkaufen möchte. Dann soll das Paket ein anderes sein und das Zehnfache kosten? Was ich außerdem vergessen habe: Ich bin viele, zumindest bei diesem Projekt. Den Verdienst muss sich die Autorin teilen mit der Layouterin, Lektorin, Texterfasserin, Fotografin ...
- Hausaufgabe: Alternativen checken.
- Erkenntnis: An Autoren kann man eine Menge Geld verdienen. Warum aber werden dann Texte heutzutage immer schlimmer entwertet?
- Für neue Bücher, die mehr sein sollen als Liebhaberei, gibt es eigentlich nur eine vernünftige Alternative: einen seriösen, ganz normalen Verlag.
- Für Menschen, die es nicht in einen Verlag schaffen, sind PoD-Verfahren jedoch die beste Lösung, sie vor Zuschussverlagen zu bewahren.Und wenn man nicht meine Ansprüche hat, kann man durchaus sehr billig produzieren.
Autorenehre
Hat man hören können, wie einer Autorin ein Stein vom Herzen fiel? In der bohrte es insgeheim nämlich immer noch nach, dass das Elsassbuch diesen Weg des leisen Verschwindens gehen sollte. Waren die selbst in den Augen meines Agenten prächtigen Verkaufszahlen vielleicht doch zu schlecht gewesen? Lag es am Buch?
In solchen Fällen greift man zum Telefonhörer und fragt. Nein, Buch und Autorin sind ganz und gar unschuldig. Allgemeine Umstrukturierungen. Es trifft nicht nur mich.
Schon sieht der Tag heller aus. Keine Selbstvorwürfe mehr, man hätte vielleicht mehr tun sollen. In solchen Fällen kann man gar nichts tun. Das sind die Kometeneinschläge, die auch beliebte Bücher treffen.
Ich bin jetzt nur ein wenig traurig, nicht mehr mit der prächtigen Belegschaft von Hanser zu tun haben, die mich und mein Buch über sechs Jahre hinweg regelrecht gepäppelt haben. Und jetzt auch noch für die Autorin sämtliche Ecken nach Restexemplaren durchsuchen. Ein Verlag vom Feinsten.
In solchen Fällen greift man zum Telefonhörer und fragt. Nein, Buch und Autorin sind ganz und gar unschuldig. Allgemeine Umstrukturierungen. Es trifft nicht nur mich.
Schon sieht der Tag heller aus. Keine Selbstvorwürfe mehr, man hätte vielleicht mehr tun sollen. In solchen Fällen kann man gar nichts tun. Das sind die Kometeneinschläge, die auch beliebte Bücher treffen.
Ich bin jetzt nur ein wenig traurig, nicht mehr mit der prächtigen Belegschaft von Hanser zu tun haben, die mich und mein Buch über sechs Jahre hinweg regelrecht gepäppelt haben. Und jetzt auch noch für die Autorin sämtliche Ecken nach Restexemplaren durchsuchen. Ein Verlag vom Feinsten.
6. Mai 2010
Ich bastle ein Buch
Ich habe bereits angekündigt, dass mein Buch "Elsass. Wo der Zander am liebsten im Riesling schwimmt" wieder auferstehen wird. Zuerst muss ich jedoch die Rechterückfall-Formalitäten abwarten. Und weil ich dieses mir und anderen so liebe Buch möglichst schön und professionell gestalten will (der Autor hat ja nur die Rechte am eigenen Text und evtl. eigenen Abbildungen, nicht am Fremdlayout u.ä.), möchte ich zuerst einmal üben. Ich könnte mir vorstellen, dass es auch andere interessiert, wie ein Buch im Eigenbau entsteht. Dafür gibt es fortan die Rubrik "Ich bastle ein Buch" mit Beiträgen in loser Folge.
Das Projekt
Ein nettes kleines Geschenkbüchlein, das zu meinem Buch "Das Buch der Rose" gut passt und relativ schnell zu schreiben und herzustellen ist - schließlich will ich ja "nur mal schnell üben" und Hobbyspaß mit dem Beruf nützlich verbinden. Ich nenne es im folgenden "Projekt Rosen".
Die Veröffentlichungsform
Ich habe mich für BoD entschieden aus folgenden Gründen:
Ich muss nicht nur das Buch schreiben. Ich muss die gesamte Herstellung außer dem Drucken selbst in die Hand nehmen oder an Profis vergeben. Letzteres verteuert die ganze Sache, allerdings sollte man an nichts sparen. Nichts ist schlimmer als ein unprofessionell gestaltetes Buch, womöglich voller Fehler. Ich brauche also:
Lektorat / Korrektorat: kann ich als gelernte Redakteurin selbst, würde bei größeren Texten jedoch unbedingt Testleser für die Betriebsblindheit zwischenschalten. Für ein kleines Geschenkbuch werden mehrmalige Korrekturdurchgänge jedoch reichen. Dafür habe ich einen Trick entwickelt: Ich setze den Text jedes Mal in einer anderen Schrift und Breite und korrigiere zum Schluss immer auf Papier. So entgehen mir weniger Fehler, weil der Text "fremd" erscheint.
Grafik fürs Cover und evtl. Abbildungen, Layout: Fotos bieten sich an, die ich selbst gemacht habe. Layouten habe ich gelernt - für Printprodukte der herkömmlichen Art wie für Prospekte, die ich schon selbst gestaltet habe. Ein schlichtes Cover traue ich mir in diesem Fall zu. Trotzdem muss ich mich jetzt endlich in Adobe Photoshop einlernen und mich wieder an Millimeterarbeit gewöhnen - ich habe das lange nicht mehr gemacht. Das Cover verlangt am meisten. Wie viel, wird jeder Laie sich vorstellen können, der einmal einen Schutzumschlag glatt gestrichen hat und von beiden Seiten geschaut, was da alles wo und wie platziert werden muss. Auch bei Bod muss man einen Umschlagrücken bemessen können oder den freien Platz für den Barcode. Zum Glück habe ich genügend Profigrafiker im Bekanntenkreis, die ich um Rat fragen kann. Bei einem aufwändigeren Projekt würde ich hier am wenigsten sparen wollen und einen Grafiker bezahlen. Denn mit dem Cover steht und fällt der Hingreifeffekt beim Leser!
Texterfassung und Technik: Zum Glück gibt es keinen Klebesatz mehr wie in meinen Ausbildungszeiten, obwohl man da noch schön mit der Hand tricksen konnte, wenn etwas nicht passte. Heutzutage stehe ich vor einem anderen Problem: Programme wie InDesign oder QuarkXPress, die natürlich auch bei BoD-Büchern ideal wären, kann ich mir nicht einmal im Traum leisten. Und ich weiß von Broschüren her, wie extrem fehleranfällig, ungenau und pfriemelig Microsoft Word ist, wenn man für den fertigen Satz layoutet. Das Programm, das ich stattdessen für Text und Grafik benutze, ist aber leider nicht kompatibel mit BoD. Ich fürchte, ich werde viele Seiten in den Datenorkus schicken müssen, bis im pdf genau das erscheint, was ich gedruckt sehen möchte. Und weil ich auch für die Herstellung der pdfs ein Billigprogramm benutzen muss, werde ich Rat einholen müssen, ob das funktioniert. Den Buchblock satzfertig herzustellen, wird wahrscheinlich die größte Geduldsarbeit!
Konzept und Titel
Das Projekt Rosen muss natürlich zuerst genau geplant werden. Hier kommt mir die Arbeit mit meinen eigenen Verlagsbewerbungen (auch mit Geschenkbüchern) zugute - aus jahrelanger Erfahrung kann ich mir vorstellen, was geht und was nicht geht, wie man den Konkurrenzmarkt untersucht und Doppler vermeidet oder Leser mit einem Thema anspricht. Außerdem erstelle ich mir ein genaues Briefing: Was soll das Buch bewirken, ausdrücken, an wen sich wenden? Ideal wäre es, wenn es als Werbemittelchen für mein großes und "richtiges" Rosenbuch fungieren könnte, zu dem es natürlich keinerlei Konkurrenz bilden darf. Welchen Unique Selling Point könnte es im unübersichtlichen Markt der Rosengeschenkbüchlein haben? Und setze ich auf ein einheitliches Thema, etwa Gartentipps - oder finde ich einen roten Faden für ein buntes Sammelsurium?
Und genauso wie das Cover alles ist, damit überhaupt jemand hinschaut, genauso steht und fällt alles mit dem Titel. Das ist eine Kunst für sich und braucht wahrscheinlich länger als der gesamte Text.
Klappentexte, Werbetexte
Zum Glück auch Teil meiner eigenen Berufe. Ich arbeite nicht nur meinen eigenen Verlagen in Sachen Klappentext zu, sondern schreibe im Brotberuf genügend PR für andere. Inzwischen habe ich auch genügend Routine und Eigendistanz, um zu schaffen, was das Schlimmste und Schwierigste ist: Eigen-PR. Das wird flutschen, sobald das Konzept steht - und der Klappentext dient dann der Autorin in mir als Leitlinie, um sich nicht zu verzetteln. Die wird in diesem Fall übrigens am wenigsten zu tun haben, denn ein Geschenkbüchlein dieser Art schreibt sie in drei Tagen beim Kaffeetrinken nebenher.
Bleibt zu sagen, dass all diese Punkte während der gesamten Herstellung immer und immer wieder kritisch überprüft werden müssen. So wird es nicht ausbleiben, dass der ein oder andere Entwurf bis kurz vor Schluss noch einmal umgeworfen wird. Wie ich mich kenne, werde ich mindestens fünf ausgearbeitete Coverentwürfe verschleißen - nicht zu reden von all den schnellen Kritzel-Entwürfen, die ich mit Filzstiften auf Papier entwerfen werde. Zwischendurch werde ich außerdem Menschen in meinem Bekanntenkreis um einen scharfen kritischen Blick bitten. Denn nichts ist so schlimm wie das Schmoren im eigenen Saft. Das Experiment fordert mich allerdings auch heraus: Hier schmore ich im Wortsinn im eigenen Saft, in all meinen bisher gelernten Berufen, von denen einige im Leben immer zu kurz kommen. Keine schlechte Schule, finde ich. Und so ein bißchen Fingerfertigkeit kommt dann meinen Brotberufs-Kunden wieder zugute. Wie ich aber die Programmkonferenzen mit all meinen dickschädeligen Egos aushalten soll, ist mir jetzt noch ein Rätsel!
Hausaufgaben für mich selbst:
Konzept und Briefing entwickeln. Texte sichten. Andere Buchcover genau beäugen und Inspirationen sammeln. Design passend zum Konzept und der Zielgruppe entwickeln.
Eminent wichtig vor dem Beginnen: Format und Ausstattung festlegen und Seiten / Farbseiten kalkulieren!
Bis zum nächsten mal vom Basteltisch!
Das Projekt
Ein nettes kleines Geschenkbüchlein, das zu meinem Buch "Das Buch der Rose" gut passt und relativ schnell zu schreiben und herzustellen ist - schließlich will ich ja "nur mal schnell üben" und Hobbyspaß mit dem Beruf nützlich verbinden. Ich nenne es im folgenden "Projekt Rosen".
Die Veröffentlichungsform
Ich habe mich für BoD entschieden aus folgenden Gründen:
- Ein Investment von 40 Euro ist auch für Autoren zu stemmen, falls es schief geht. Ich muss nur bei der Herstellung geschickt kalkulieren, damit der Endkundenpreis vernünftig ausfällt.
- Ich komme damit - theoretisch - in den Buchhandel, das Buch ist überall bestellbar und mir wird die gesamte Logistik einschließlich des Formularkrams abgenommen.
- Da Autoren in Frankreich selbst keine Bücher verkaufen dürfen, gerate ich nicht in Bredouille - das macht ganz ordentlich ein Verlag für mich und alles läuft wie gehabt.
- Vorgehensweise und Technik sind auch von einer wie mir zu kapieren und gut erklärt.
- Ich kann das Machwerk jederzeit vom Markt nehmen, ideal für ein Experiment
Ich muss nicht nur das Buch schreiben. Ich muss die gesamte Herstellung außer dem Drucken selbst in die Hand nehmen oder an Profis vergeben. Letzteres verteuert die ganze Sache, allerdings sollte man an nichts sparen. Nichts ist schlimmer als ein unprofessionell gestaltetes Buch, womöglich voller Fehler. Ich brauche also:
Lektorat / Korrektorat: kann ich als gelernte Redakteurin selbst, würde bei größeren Texten jedoch unbedingt Testleser für die Betriebsblindheit zwischenschalten. Für ein kleines Geschenkbuch werden mehrmalige Korrekturdurchgänge jedoch reichen. Dafür habe ich einen Trick entwickelt: Ich setze den Text jedes Mal in einer anderen Schrift und Breite und korrigiere zum Schluss immer auf Papier. So entgehen mir weniger Fehler, weil der Text "fremd" erscheint.
Grafik fürs Cover und evtl. Abbildungen, Layout: Fotos bieten sich an, die ich selbst gemacht habe. Layouten habe ich gelernt - für Printprodukte der herkömmlichen Art wie für Prospekte, die ich schon selbst gestaltet habe. Ein schlichtes Cover traue ich mir in diesem Fall zu. Trotzdem muss ich mich jetzt endlich in Adobe Photoshop einlernen und mich wieder an Millimeterarbeit gewöhnen - ich habe das lange nicht mehr gemacht. Das Cover verlangt am meisten. Wie viel, wird jeder Laie sich vorstellen können, der einmal einen Schutzumschlag glatt gestrichen hat und von beiden Seiten geschaut, was da alles wo und wie platziert werden muss. Auch bei Bod muss man einen Umschlagrücken bemessen können oder den freien Platz für den Barcode. Zum Glück habe ich genügend Profigrafiker im Bekanntenkreis, die ich um Rat fragen kann. Bei einem aufwändigeren Projekt würde ich hier am wenigsten sparen wollen und einen Grafiker bezahlen. Denn mit dem Cover steht und fällt der Hingreifeffekt beim Leser!
Texterfassung und Technik: Zum Glück gibt es keinen Klebesatz mehr wie in meinen Ausbildungszeiten, obwohl man da noch schön mit der Hand tricksen konnte, wenn etwas nicht passte. Heutzutage stehe ich vor einem anderen Problem: Programme wie InDesign oder QuarkXPress, die natürlich auch bei BoD-Büchern ideal wären, kann ich mir nicht einmal im Traum leisten. Und ich weiß von Broschüren her, wie extrem fehleranfällig, ungenau und pfriemelig Microsoft Word ist, wenn man für den fertigen Satz layoutet. Das Programm, das ich stattdessen für Text und Grafik benutze, ist aber leider nicht kompatibel mit BoD. Ich fürchte, ich werde viele Seiten in den Datenorkus schicken müssen, bis im pdf genau das erscheint, was ich gedruckt sehen möchte. Und weil ich auch für die Herstellung der pdfs ein Billigprogramm benutzen muss, werde ich Rat einholen müssen, ob das funktioniert. Den Buchblock satzfertig herzustellen, wird wahrscheinlich die größte Geduldsarbeit!
Konzept und Titel
Das Projekt Rosen muss natürlich zuerst genau geplant werden. Hier kommt mir die Arbeit mit meinen eigenen Verlagsbewerbungen (auch mit Geschenkbüchern) zugute - aus jahrelanger Erfahrung kann ich mir vorstellen, was geht und was nicht geht, wie man den Konkurrenzmarkt untersucht und Doppler vermeidet oder Leser mit einem Thema anspricht. Außerdem erstelle ich mir ein genaues Briefing: Was soll das Buch bewirken, ausdrücken, an wen sich wenden? Ideal wäre es, wenn es als Werbemittelchen für mein großes und "richtiges" Rosenbuch fungieren könnte, zu dem es natürlich keinerlei Konkurrenz bilden darf. Welchen Unique Selling Point könnte es im unübersichtlichen Markt der Rosengeschenkbüchlein haben? Und setze ich auf ein einheitliches Thema, etwa Gartentipps - oder finde ich einen roten Faden für ein buntes Sammelsurium?
Und genauso wie das Cover alles ist, damit überhaupt jemand hinschaut, genauso steht und fällt alles mit dem Titel. Das ist eine Kunst für sich und braucht wahrscheinlich länger als der gesamte Text.
Klappentexte, Werbetexte
Zum Glück auch Teil meiner eigenen Berufe. Ich arbeite nicht nur meinen eigenen Verlagen in Sachen Klappentext zu, sondern schreibe im Brotberuf genügend PR für andere. Inzwischen habe ich auch genügend Routine und Eigendistanz, um zu schaffen, was das Schlimmste und Schwierigste ist: Eigen-PR. Das wird flutschen, sobald das Konzept steht - und der Klappentext dient dann der Autorin in mir als Leitlinie, um sich nicht zu verzetteln. Die wird in diesem Fall übrigens am wenigsten zu tun haben, denn ein Geschenkbüchlein dieser Art schreibt sie in drei Tagen beim Kaffeetrinken nebenher.
Bleibt zu sagen, dass all diese Punkte während der gesamten Herstellung immer und immer wieder kritisch überprüft werden müssen. So wird es nicht ausbleiben, dass der ein oder andere Entwurf bis kurz vor Schluss noch einmal umgeworfen wird. Wie ich mich kenne, werde ich mindestens fünf ausgearbeitete Coverentwürfe verschleißen - nicht zu reden von all den schnellen Kritzel-Entwürfen, die ich mit Filzstiften auf Papier entwerfen werde. Zwischendurch werde ich außerdem Menschen in meinem Bekanntenkreis um einen scharfen kritischen Blick bitten. Denn nichts ist so schlimm wie das Schmoren im eigenen Saft. Das Experiment fordert mich allerdings auch heraus: Hier schmore ich im Wortsinn im eigenen Saft, in all meinen bisher gelernten Berufen, von denen einige im Leben immer zu kurz kommen. Keine schlechte Schule, finde ich. Und so ein bißchen Fingerfertigkeit kommt dann meinen Brotberufs-Kunden wieder zugute. Wie ich aber die Programmkonferenzen mit all meinen dickschädeligen Egos aushalten soll, ist mir jetzt noch ein Rätsel!
Hausaufgaben für mich selbst:
Konzept und Briefing entwickeln. Texte sichten. Andere Buchcover genau beäugen und Inspirationen sammeln. Design passend zum Konzept und der Zielgruppe entwickeln.
Eminent wichtig vor dem Beginnen: Format und Ausstattung festlegen und Seiten / Farbseiten kalkulieren!
Bis zum nächsten mal vom Basteltisch!