Er ist erst 23 Jahre alt und bereits Kult. Wenn er sich in der Öffentlichkeit zeigt, werden jüngere Frauen schwach und ältere wünschen ihn sich als Sohn. Aber auch Männer aller Altersstufen sind hin und weg. Denn er hat diese berühmten drei K: Körper, Können, Kunst. Am liebsten würde er nur für die letzten beiden Eigenschaften verehrt werden, aber selbst das ist ihm zu viel - ein persönlicher Bodyguard hält ihm allzu aufdringliche Fans vom Leib. Den gibt's auf Fotos, die langsam in Umlauf geraten.
Und dann passiert es. Er darf zum ersten Mal sein eigenes Programm machen. Das bereits im Voraus verzückte Publikum freut sich auf einen Hochgenuss wie gewohnt. Der junge Mann, sieben Frauen - das verspricht, ein wundervoller Abend zu werden. Aber der junge Mann tut nicht, was man von ihm gewohnt ist. Stattdessen zelebriert er männliche Erotik, die einigen schon gleich aufstößt. Und dann, als die Frauen geflohen sind, von der einen nur ein Schal zurückbleibt, greift er ihn, bewegt sich mit ihm, legt ihn der Länge nach hin und sich obenauf. Keiner kann genau sehen, ob er es wirklich macht, aber alle sind überzeugt: Er hat es gewagt, auf offener Bühne vor aller Augen zu masturbieren! Der Kritiker vom Figaro ist so entsetzt, dass er ganz vergisst, wie man eine Rezension schreibt. Sein Artikel wird zur moralischen Hetze mit politischen Folgen.
Dem Kultstar jedoch war diese Arbeit noch nicht modern genug. Er möchte weiter gehen. Sein Lebenspartner und "Agent" unterstützt ihn dabei voll, denn er hat die Hochbegabung erkannt. Und er versteht etwas von PR. Der neue Abend findet genau am gleichen Tag statt, möge sich das Publikum erinnern. Sich ins Gerede bringen, macht Reklame.
Derweil hat der Skandalstar moderne Mitstreiter gefunden. Einen jungen Komponisten, der die Menschen mit seinen neuen Disharmonien von den Stühlen reißt. Und einen Künstler, der auch als Ethnologe Erfahrung hat, der Reisen unternimmt. Was das Trio auf die Bühne bringt, ist für das Publikum schlimmer als eine offene Masturbation, es bedeutet den völligen Bruch mit der vertrauten Welt, ein Extrem für alle Sinne. Wie ein Wirbelsturm fegt sie der junge Mann mit diesen Ideen aus allem bisher Vertrauten in einen Abend, der sich verquer anfühlt.
Schon lange bevor sich eine Jungfrau zu Tode tanzt, bricht im Publikum der Tumult los. Buhrufe und Pfiffe steigern sich zur Kakophonie. Der junge Mann, der selbst nicht auftritt, steht gleich hinter der Bühne und zählt so laut er kann, denn inzwischen ist der Lärm so stark, dass man dort die Musik nicht mehr hören kann. Auch als sich im Publikum die ersten Befürworter und Gegner Boxkämpfe liefern, gibt der Impresario kein Zeichen zum Abbruch. Er ahnt, wenn sie das durchstehen, sind sie weltweit in aller Munde, werden die Schwarzmarktpreise für Eintrittskarten massiv steigen. Und der junge Mann wird das sein, was er längst verdient hat - ein Jahrhundertstar.
Beides war heute, am 29. Mai.
Der erste Skandal fand 1912 (!) in Paris statt. Vaslav Nijinsky tanzte seine erste eigene Choreografie zu Debussys Prélude "L'après-midi d'un faune". Ein Jahr später, also am 29.5.1913, choreografierte er wieder, tanzte aber nicht selbst. Der Künstler Nicolas Roerich entwarf Bühnenbild und Kostüme und ein junger, bisher eher unbekannter russischer Komponist wurde weltberühmt: Igor Strawinsky. Das Ballett: Le Sacre du Printemps.
Die Geschichte (und noch viel mehr und natürlich weniger flappsig als hier) gibt es ausführlich ab ca. September in:
Petra van Cronenburg: Ich will eine Liebesschlange. Eine Annäherung an Vaslav Nijinsky. derDiwan-Hörbuchverlag. Mit der Musik von Debussy und Strawinsky und einem Leckerbissen - die Fassung des Faun wird von Nijinskys Schwiegersohn Igor Markevitch dirigiert.
Seiten
▼
29. Mai 2009
Homo Boulevardensis
Die bedrohte Art
Kürzlich hat Adam Soboczynski mit einem Angstruf in der ZEIT, hinter dem die Online-Redaktion selbst nicht stehen mochte, die Bloggosphäre ein wenig aufgewühlt (z.B. hier oder hier). Düstere Zeiten stünden den Intellektuellen bevor, die sich dank Internet und Web 2.0 in letzte Reservate flüchten müssten. Denn Dummheit und Derbheit regierten die virtuelle Welt - so sinngemäß seine Polemik.
Nun ist der Sachverhalt ja nicht neu. Das rare Tierchen mit dem Intellekt war schon immer eins, das zahlenmäßig auf die Rote Liste gehörte und in manchem Wohnzimmer nicht gern gesehen war. So suchte sich z.B. das kommunistische Regime in Polen einen neuen Industriestandort bei Krakau gezielt aus. Touristen in den frühen Neunzigern wunderten sich noch, warum die Nowa Huta bei den dortigen Windverhältnissen ausgerechnet gewisse Teile der Altstadt verpestete. Kein Zufall. Denn in solch frostigen Zeiten neigt der Intellektuelle dazu, Gruppen-Nestbau zu betreiben. Die Machthaber hofften darauf, mit zunehmender Luftverschmutzung in jenen Vierteln würden die Intellektuellen sich keines langen Lebens erfreuen. Hätten die Intellektuellen woanders gewohnt, stünde der Industriebau woanders.
Andere Machthaber setzten auf schnellere Methoden und Overkill. Wer unter Intellektuellenverdacht geriet, bestimmten nicht mehr allein Bildung und Herkunft, sondern auch Nachbarn, böse Schwiegermütter und andere Denunzianten. Ganze Länder bluteten sich geistig aus in Konzentrationslagern, Gulags, Hinrichtungsstätten, wo immer auch Intellektuelle zu den Verfolgten gehörten. Intellektuelle sind gefürchtet, sobald ein Regime in ein totalitäres kippt. Denn sie schauen hin, verstehen, wissen - und kritisieren, leisten vielleicht sogar Widerstand. Das macht sie für die Machthaber so gefährlich. Ein Intellektueller ist nicht leicht gleichzuschalten. Manchmal geht er mit dem Kopf durch die Wand.
Nun hat Soboczynski - ich unterstelle ihm die Kenntnis der polnischen Geschichte - tüchtig daneben gegriffen, wenn er sich im Internet als Intellektueller gehasst fühlt. Denn wo, wenn nicht da, gilt - noch - die Redefreiheit, werden Widerstände organisiert, entstehen Protestbewegungen. Ohne Internet bekämen unsere Journalisten längst nicht mehr wahre Hintergründe über China oder Tibet, Irak oder Afghanistan in die Redaktionen geschmuggelt. Weltweit nutzen Hunderte von Intellektuellen und anderen Bürgern unter Lebensgefahr das Internet, um auf die Lage in ihren Ländern aufmerksam zu machen. Wenn da nicht diese Armee von Dummdreisten wäre, die im Internet "Abscheu" und "antiintellektuelle Hetze" ablade, Fäkaliensprache, und in den Medien sogar "hysterische Zuspitzungen" um der Klickzahlen willen.
Bis gestern dachte ich, Soboczynski übertreibe vielleicht ein wenig und fröne des Stilmittels der Polemik. Bis gestern dachte ich, es sei doch immer schon so gewesen. Auch Sergej Diaghilew mit seinen Ballets Russes hat 1909 schon gewusst, dass Kunst nur ins Gespräch kommt, wenn man sie selbst mit einem Knaller ins Gespräch bringt. Dann aber habe ich es genau wissen wollen. Die Zugriffe auf mein Blog analysiert.
Homo boulevardensis
Soboczynski hat - zumindest was mein Blog betrifft - leider Recht. Meine Leserzahlen stiegen zwei mal exorbitant, um mehrere hundert Prozent: Beim Skandal um Elke Heidenreich und als ich mich in Sachen Heidelberger Apell vorgewagt habe. Als ich dann wieder gemäßigter wurde, blieben die Leute weg. Gestern der freche Selbsttest - die Skandal-Überschrift bescherte mir für diesen Wochentag wieder sehr viel mehr Besucher, als wenn ich stundenlang für einen wirklich tiefgründigen Beitrag ordentlich recherchiere. Die Beiträge, die mir selbst am besten gefallen, weil Recherche und Sorgfalt darin stecken, liest eine Minderheit. Die Mehrheit surft eben diese schnelle Hysterie ab, die dahingeworfenen "gossip"-Bröckchen, die scheinbar entlarven, scheinbar Reibungsfläche bieten.
Ich könnte nun umlernen. Oberflächlicher, kürzer, frecher, provozierender und vor allem hysterischer werden. Irgendwann hätte ich dann auch mehr Kommentare, ebenfalls hysterisch, provozierend ... in eben jenem Stil, den man bei Kommentaren von Zeitungen so findet. Es gibt ja keine Hemmschwelle mehr, so ein Leserbrief von annodunnemals brauchte noch eine eigene Logistik, Papier, Briefmarken, Namen und Adresse... Man stand noch gerade für die Beschimpfungen.
Will ich das? Nein. Ich will aber auch nicht ins Intellektuellenreservat, das Soboczynski am Horizont dräuen sieht. Ich stelle mir das so schlimm vor wie ein Nachleben im Himmel unter lauter Guten. Nur noch hochgeistige Gespräche bei hochgeistigen Getränken, denn auch das wissen wir aus der Geschichte: Reservate führen zu Alkoholismus und Lethargie. Auch eine Möglichkeit, Leute klein zu halten. Wer freiwillig da hin zieht, kommt so schnell nicht wieder heraus.
Verführungen
Ich bleibe subversiv. Klickzahlen und Profitspannen bestimmen schon so viel in unserem Leben. Im Internet kann ich austesten wie es ist, solche Mechanismen vorsätzlich zu brechen. Qualität statt Quantität. Hier hängt mir kein Verlag im Genick, der manisch die Ausdrucke mit den Verkaufszahlen prüft oder Angst hat, ein Artikel schade womöglich einem Anzeigenkunden. Bei Lesungen sage ich zu Veranstaltern immer: Ich lese auch, falls nur drei Leute kommen. Weil diese drei Leute, die gekommen sind, das wert sind. Weil ich bei drei Leuten, die extra diesen Weg gemacht haben, mehr erreiche als bei einem Saal von dreihundert, von denen 200 eigentlich zum Fußball wollten und hundert in der Nase bohren.
Die Welt da draußen ist natürlich - auch - ein riesiger Mülleimer. Aber das erleben wir nicht erst seit Web 2.0, das hatten wir früher schon beim Streit um die Thujahecke und ähnlich liebevollen zwischenmenschlichen Beziehungen. Jetzt kommen zu bösen Nachbarn eben noch ein paar Follower, Freunde, Fans und düstere Gestalten unter Decknamen hinzu.
Vielleicht besteht die Kunst der Zukunft darin, in all diesem Gewusel diejenigen anzusprechen, die auch nicht auf Thujas stehen und die bereit sind, sich einmal von ihrer Gartenliege zu erheben, um über den Zaun zu schauen. Natürlich kann man all die fiesen hysterischen Zeitungsmethoden auch positiv verwenden. Schaut einer erst einmal über den Zaun, verführt man ihn mit Rosenduft, Farbe, Schönheit. Vielleicht pflanzt er dann trotzdem Thujas. Vielleicht aber auch Gänseblümchen?
In diesem Sinne - gibt's natürlich noch die beiden üblen Skandale, wenn ich heute mit der Arbeit fertig bin, versprochen. Und die gehen auch bis unter die Gürtellinie, versprochen. Ein bißchen Hysterie und Plakatfarben sind dem Tag heute angemessen - warum, wird eben dann verraten...
28. Mai 2009
Skandal! Skandal!
Und morgen in diesem Hause: Zwei internationale Skandale übelster Tragweite. Mit politischen Folgen. Ein Mann masturbiert, eine Jungfrau tanzt sich tot und der Mittäter scheint unter Drogen zu stehen...
Schätze heben
Hand aufs Herz: Wer hat einen Seume oder Weckherlin auf dem Nachttisch liegen? Wer liest noch Sachs, Scheffel oder Stendhal? Wer hat je Schriftstellernamen wie Altenberg, Wezel oder Glaßbrenner gehört? Alles alter Kram? Musenfutter für den Elitedünkel von Intellektuellen? Oder Werbehintergrund zum Geldverdienen für Google, weil die Welt ja ach so ein Bedürfnis hat, alte Klassiker zu konsumieren? Es soll ja sogar Autoren geben, die literarische Bildung für verzichtbar halten, oder welche, die grundsätzlich liegen lassen, was durch die Jahre verstaubt sein mag, weil sie der "Zeitgeist" nicht mehr anweht. Was bitte sollen solche alten Texte dann noch fürs moderne "Volk"?
Tja, wenn da nicht dieses seltsame Bedürfnis unüberschaubarer Menschenmassen wäre, besonders ehrwürdig verstaubte Bücher aus fremden, fernen Kulturen mit längst abgelaufener Zeitgeist-Halbwertszeit freiwillig und immer wieder zu lesen. Torah, Bibel, Koran - es gibt sogar Religionen, die auf Uraltbüchern fußen. Und dann gibt es die Leute, die Meterware sammelten: Goethe, Schiller, Heine - immer die Gesamtausgabe und möglichst in Leder. Denn wenn man sie auch nie wirklich las, etwas hermachen sollten sie. Und irgendwann hat man doch hineingeschaut - und sich festgelesen. Schließlich sind da die modernen Autoren, die ohne die Traditionen und Techniken der Alten nichts wären - und die, nach ihren prägenden Kindheitslektüren gefragt, zumeist Verstaubtes hervorziehen: Karl May, Mark Twain, die Gebrüder Grimm oder gar Cervantes.
Es liegen ganze Kosmen brach. Auf der Suche nach Texten kam ich aus einem profanen Grund auf die ganz Alten: Sie sollten ja schon mindestens siebzig Jahre tot sein und am besten auch gar nicht mehr verlegt. In der Digitalen Bibliothek kann man sie tonnenweise auf Silberscheiben erstehen und als Mensch wahrscheinlich gar nicht so lange leben, um sie alle zu lesen. Aber CD-ROMs kommen dem modernen Surf- und Fluchtverhalten entgegen, selbst Suchanfragen wie "Bratwurst" verbinden einen durch einen Klick mit literarischer Jahrhundertware.
Was ist das für ein Amusement! Man achte auf Themen und Jahreszahlen: Bei Fontane (1819-1898) fand ich ein Fräulein, dass ich mir durchaus in einem Brigitteforum vorstellen könnte, immer auf der Suche nach der neuesten Diät. Abraham a Sancta Clara (1644-1709) gibt's den Studenten tüchtig, die ihren Eltern allzu lange auf der Tasche liegen und ihr Studium nicht zu Ende bringen, weil Hotel Mama so gemütlich ist. Achim von Arnim (1781-1831) überliefert, wie man mit Alkoholpanscherei Reibach machen kann. Ein gewisser Weerth (1822-1856) erklärt, wie ein geschickter Vertreter vorgeht - oder redet da einer von einem Coach, der zahlenden Kunden die Ohren abschwatzt? Sitzen nicht Jean Pauls (1763-1825) todkranke Gestalten, die lediglich einen Wind verquer haben, noch heute im Wartezimmer des Arztes? Und erinnert uns nicht Gotthelfs (1797-1854) Idee, wie man in einem fetten Körper Platz schaffen könne, erschreckend an die Praktiken von Schönheitskliniken?
Es ist faszinierend, wie viel uns die Alten noch zu sagen haben, wenn wir nur hinhören wollen. Wenn wir uns vielleicht einfach einmal in kleinen Häppchen Appetit holen. So habe ich Moszkowski entdeckt, so lache ich mich kringelig über die seltsamen Diätvorschläge eines Altenberg (1859-1919), die den Bemühungen moderner Gesundheitsgurus in nichts nachstehen.
Gewiss, es gibt auch Texte, die ich bearbeiten muss - vor allem, wenn ich sie auf die Bühne bringe. Oft sind es altertümliche Wörter, die heute nicht oder missverstanden werden, wie etwa "porcellänische Gäst". Das sind nicht etwa besonders zerbrechliche Geladene, sondern Leute, die sich wie die lateinischen "porci" am Tisch benehmen. "Schweinische Gäste" sagt man heute. Sagte man auch damals schon, aber der Autor wollte zeigen, dass er sich nicht auf deren Niveau begeben mag.
Und dann gibt es das Problem der verlorenen Bildung, des vergessenen Wissens. Einen Satz von Seume (1763-1810) musste ich regelrecht übersetzen, weil er etwas mit allen drei Unterweltflüssen dieser Erde verglich. Zu seiner Zeit wusste jeder, was mit den griechischen Flüssen gemeint war, weil jeder griechische Mythen und Sagen las, weil viele Altgriechisch lernten. Gebildete kennen heute noch den Styx. Und das war es dann meist. Da wird das Deutsch dann zur Fremdsprache und bedarf der Erläuterung. Aber der Rest ist lustig, ein richtig schöner, kleiner Horrortext zum wohligen Gruseln. Ihn nur wegen dieser drei Wörter (die man im Internet nachschlagen kann) weglegen? Was wird aus unserem kollektiven Wissen, unserer persönlichen Bildung, wenn wir immer schneller weglegen, was wir bei oberflächlichem Anlesen nicht gleich verstehen?
Ich habe richtig Spaß an diesen Entdeckungsreisen in die unbekannte Vergangenheit der Literatur - und so mancher "Unbekannte" reizt mich mit diesen Appetithäppchen, mir an gemütlichen Regentagen mehr von seinem Werk schmecken zu lassen. Und wenn ich in Zukunft einige mit dieser Freude anstecken könnte - umso besser!
Literaturdetektive und Entdecker treffen sich bei:
Projekt Gutenberg
Gutenberg project
Zeno
Digitale Bibliothek
Warum ich nur diese empfehle? Sie achten die Urheberrechte.
Tja, wenn da nicht dieses seltsame Bedürfnis unüberschaubarer Menschenmassen wäre, besonders ehrwürdig verstaubte Bücher aus fremden, fernen Kulturen mit längst abgelaufener Zeitgeist-Halbwertszeit freiwillig und immer wieder zu lesen. Torah, Bibel, Koran - es gibt sogar Religionen, die auf Uraltbüchern fußen. Und dann gibt es die Leute, die Meterware sammelten: Goethe, Schiller, Heine - immer die Gesamtausgabe und möglichst in Leder. Denn wenn man sie auch nie wirklich las, etwas hermachen sollten sie. Und irgendwann hat man doch hineingeschaut - und sich festgelesen. Schließlich sind da die modernen Autoren, die ohne die Traditionen und Techniken der Alten nichts wären - und die, nach ihren prägenden Kindheitslektüren gefragt, zumeist Verstaubtes hervorziehen: Karl May, Mark Twain, die Gebrüder Grimm oder gar Cervantes.
Es liegen ganze Kosmen brach. Auf der Suche nach Texten kam ich aus einem profanen Grund auf die ganz Alten: Sie sollten ja schon mindestens siebzig Jahre tot sein und am besten auch gar nicht mehr verlegt. In der Digitalen Bibliothek kann man sie tonnenweise auf Silberscheiben erstehen und als Mensch wahrscheinlich gar nicht so lange leben, um sie alle zu lesen. Aber CD-ROMs kommen dem modernen Surf- und Fluchtverhalten entgegen, selbst Suchanfragen wie "Bratwurst" verbinden einen durch einen Klick mit literarischer Jahrhundertware.
Was ist das für ein Amusement! Man achte auf Themen und Jahreszahlen: Bei Fontane (1819-1898) fand ich ein Fräulein, dass ich mir durchaus in einem Brigitteforum vorstellen könnte, immer auf der Suche nach der neuesten Diät. Abraham a Sancta Clara (1644-1709) gibt's den Studenten tüchtig, die ihren Eltern allzu lange auf der Tasche liegen und ihr Studium nicht zu Ende bringen, weil Hotel Mama so gemütlich ist. Achim von Arnim (1781-1831) überliefert, wie man mit Alkoholpanscherei Reibach machen kann. Ein gewisser Weerth (1822-1856) erklärt, wie ein geschickter Vertreter vorgeht - oder redet da einer von einem Coach, der zahlenden Kunden die Ohren abschwatzt? Sitzen nicht Jean Pauls (1763-1825) todkranke Gestalten, die lediglich einen Wind verquer haben, noch heute im Wartezimmer des Arztes? Und erinnert uns nicht Gotthelfs (1797-1854) Idee, wie man in einem fetten Körper Platz schaffen könne, erschreckend an die Praktiken von Schönheitskliniken?
Es ist faszinierend, wie viel uns die Alten noch zu sagen haben, wenn wir nur hinhören wollen. Wenn wir uns vielleicht einfach einmal in kleinen Häppchen Appetit holen. So habe ich Moszkowski entdeckt, so lache ich mich kringelig über die seltsamen Diätvorschläge eines Altenberg (1859-1919), die den Bemühungen moderner Gesundheitsgurus in nichts nachstehen.
Gewiss, es gibt auch Texte, die ich bearbeiten muss - vor allem, wenn ich sie auf die Bühne bringe. Oft sind es altertümliche Wörter, die heute nicht oder missverstanden werden, wie etwa "porcellänische Gäst". Das sind nicht etwa besonders zerbrechliche Geladene, sondern Leute, die sich wie die lateinischen "porci" am Tisch benehmen. "Schweinische Gäste" sagt man heute. Sagte man auch damals schon, aber der Autor wollte zeigen, dass er sich nicht auf deren Niveau begeben mag.
Und dann gibt es das Problem der verlorenen Bildung, des vergessenen Wissens. Einen Satz von Seume (1763-1810) musste ich regelrecht übersetzen, weil er etwas mit allen drei Unterweltflüssen dieser Erde verglich. Zu seiner Zeit wusste jeder, was mit den griechischen Flüssen gemeint war, weil jeder griechische Mythen und Sagen las, weil viele Altgriechisch lernten. Gebildete kennen heute noch den Styx. Und das war es dann meist. Da wird das Deutsch dann zur Fremdsprache und bedarf der Erläuterung. Aber der Rest ist lustig, ein richtig schöner, kleiner Horrortext zum wohligen Gruseln. Ihn nur wegen dieser drei Wörter (die man im Internet nachschlagen kann) weglegen? Was wird aus unserem kollektiven Wissen, unserer persönlichen Bildung, wenn wir immer schneller weglegen, was wir bei oberflächlichem Anlesen nicht gleich verstehen?
Ich habe richtig Spaß an diesen Entdeckungsreisen in die unbekannte Vergangenheit der Literatur - und so mancher "Unbekannte" reizt mich mit diesen Appetithäppchen, mir an gemütlichen Regentagen mehr von seinem Werk schmecken zu lassen. Und wenn ich in Zukunft einige mit dieser Freude anstecken könnte - umso besser!
Literaturdetektive und Entdecker treffen sich bei:
Projekt Gutenberg
Gutenberg project
Zeno
Digitale Bibliothek
Warum ich nur diese empfehle? Sie achten die Urheberrechte.
27. Mai 2009
Auftrittstipps
Feine Programm- und Auftrittstipps hat mir heute jemand gegeben, der beruflich auf der Bühne steht:
Das hat mich so beflügelt, dass ich als Amuse Gueule einen Gogol tranchiert habe, weil seine russische Fresskunst so recht zu den französischen Völlereien passt*. Das Ganze endet dann doch tatsächlich direkt in der Vorspeise ...
Nur ich armes Tier werde wieder spät in der Nacht speisen müssen, denn das habe ich bei kulinarischen Auftritten gelernt: Und schwimmt der Zander noch so fein in Riesling, er meldet sich bei Bauchatmung garantiert im falschen Satz!
12.6.2009 in Odelshofen bei Kehl: "Genuss im Gepäck"
* Tragisch und traurig: Ausgerechnet Gogol, der sich im religiösen Wahn zu Tode gehungert hat, hinterließ uns die prächtigsten und lebensvollsten Essbeschreibungen.
- Sei dir ganz klar darüber bewusst, was du kannst und nicht kannst.
- Fang klein an mit dem, was du kannst, und plane das Gesamtkunstwerk für später.
- Zeig deine Stärken.
- Reagiere nicht auf Druck oder Erwartungen von außen; gib von innen, von dir.
- Stell dir einen zehnminütigen Notauftritt vor: Was muss auf die Bühne?
- Du brauchst immer länger als du glaubst.
- Du machst das nicht zum ersten Mal.
Das hat mich so beflügelt, dass ich als Amuse Gueule einen Gogol tranchiert habe, weil seine russische Fresskunst so recht zu den französischen Völlereien passt*. Das Ganze endet dann doch tatsächlich direkt in der Vorspeise ...
Nur ich armes Tier werde wieder spät in der Nacht speisen müssen, denn das habe ich bei kulinarischen Auftritten gelernt: Und schwimmt der Zander noch so fein in Riesling, er meldet sich bei Bauchatmung garantiert im falschen Satz!
12.6.2009 in Odelshofen bei Kehl: "Genuss im Gepäck"
* Tragisch und traurig: Ausgerechnet Gogol, der sich im religiösen Wahn zu Tode gehungert hat, hinterließ uns die prächtigsten und lebensvollsten Essbeschreibungen.
Kübelrosen

Im Blumenstrauß (es ist derselbe, die Kamera ist nicht ganz farbecht) sieht man die bonbonrosa Pierre de Ronsard, die man in Deutschland als Edenrose kennt. Meilland hat sie alten Rosen nachgeahmt. Je nach Standort, Licht und Feuchtigkeit zeigt sie unterschiedliche Farben. Die Knospen öffnen sich cremeweiß bis grünlich (bei Regen) mit einem zart rosa Rand. Wenn sie sich öffnen, färben sie immer mehr durch und werden handtellergroß bauschig. In Frankreich gekaufte Original-Meilland-Züchtungen zeigen ein zarteres Rosa und eine historischere Blütenform.
Meine deutsche "Lizenzzüchtung" hat dagegen einen fast ins Lila spielenden Rand und ist in den Knospen nicht ganz so gefüllt. Im Strauss sind beide Nationen gemischt. Und wie man sieht: Die Edenrose eignet sich hervorragend bei engen Platzverhältnissen für Kübelpflanzung, braucht aber Kletterhilfe. Sie ist eine meiner Lieblingsrosen, zumal es kaum eine Dekoration gibt, die man nicht mit ihr machen kann. Wenn sich bei starkem Regen die Knospen nicht mehr voll öffnen wollen, trockne ich sie und besprühe sie mit Goldlack für den Winter.

Anfangs stark pink, dann bläulich verblassend die reich duftende Ulrich Brunner, fast schwarzrot David Austin's Tradescant und kräftig karminrot eine andere Austin-Rose, die Dark Lady, deren Blüten fast zwei Handteller von mir füllen. Und wie alle englischen Rosen duften natürlich auch diese völlig individuell - übrigens ein Grund, warum ich die sterilen modernen Rosen nicht mag. Eine Rose ohne Duft ist für mich keine Rose.
Dann noch eine Impression von meiner Vogeltränke, einem einfachen Plastikuntersetzer. Hier wächst eine Rose de Resht mit ihren kräftig pinkfarbenen Kügelchen in eine zart rosé-lila blühende Lavender Dream. In den meisten Parks findet man die Rose de Resht extrem kurz zurückgeschnitten und niedrig, weil ihre zarten Triebe gern umfallen oder bei Wind und Regen sogar brechen. Bei mir hält sie sich in den starren und starken Zweigen der Lavender Dream fest, die ihr mit ihrem lichten Wuchs genug Sonnenraum bietet. So hat meine Rose de Resht im dritten Jahr jetzt eine Höhe von 150 cm.

Wer die Holzstäbe im Hintergrund betrachtet, wird vielleicht wie ich darauf kommen, was Rosenkugeln außer zur Dekoration als Zweck haben. Seit sich bei mir drei Generationen Spatzen unterm Dach eingenistet haben und wohl fast schon sozialen Wohnungsbau betreiben, weiß ich, wozu sie gut sind. Die kleinen unbeholfenen Spatzen benutzen üppige Rosenblüten nämlich als verführerische Landefläche und knicken Triebe und Knospen ab. Blitzende Kugeln halten sie fern. Bei mir nutzen sie das verwitterte Holz für einen rosenfreundlichen Anflug.
Einige meiner Rosen ziehe ich aus Platzgründen in Kübeln. Die Spezialkübel haben den Vorteil, dass man im Winter nichts tun muss, auch nicht bei starkem Frost. Sie haben den Nachteil, dass man im Sommer täglich gießen muss - für Vielreisende vielleicht nicht ideal. Dafür belohnen die Rosen am idealen Standort mit reichlich Blüte. Obwohl viele Gärtnereien inzwischen irgendwelche Rosen frech in Töpfe setzen und als "Kübelrosen" verkaufen, sollte man aufpassen. Kübelrosen zu züchten ist eine Kunst wie jede andere Gartenkunst auch. Es müssen die richtigen Sorten sein, die richtigen Kübel in der Endgröße, Spezialerde und ein Schnitt über viele Jahre hinweg, den nur der Spezialist beherrscht.


Natürlich könnte ich jetzt jede Menge Geschichten erzählen, etwa darüber, was die Rose de Resht mit Persien zu tun hat und warum ihre Vorfahren, die Damaszener-Rosen solch ein uralter Kulturschatz sind. Ich könnte Rosengedichte von Pierre de Ronsard, dem Namensgeber der Edenrose, rezitieren oder davon reden, dass im 19. Jahrhundert Ulrich Brunner Bestandteil eines berühmten Parfums war. All das habe ich aber schon zwischen zwei Buchdeckeln getan, in "Das Buch der Rose", das man rechts im Menu oder hier unten für weitere Infos anklicken und sich dann besorgen kann.
Fotos zum Vergrößern anklicken!
Buchtipp:
Petra van Cronenburg: Das Buch der Rose. Parthas Verlag
26. Mai 2009
Schriftsteller entdeckt
Ich freue mich immer wieder, wenn ich einen Schriftsteller entdecke, von dem ich garantiert noch nie etwas gelesen habe. Eben versuchte ich, für meinen Auftritt den Verfasser eines mir anonym vorliegenden Spottgedichts ausfindig zu machen, das angeblich von 1887 stammte, aber absolut modern klang. Die Jahresangabe stimmte.
Sein Verfasser kannte Albert Einstein und die Futuristen gut, erfand Anfang der 1920er das Handy und einen virtuellen Raum - und verlangte von Politikern "Breviloquenz": sich kurz zu fassen.
Die Rede ist vom weithin vergessenen Alexander Moszkowski (1851-1934), einem polnischen Juden, der kosmopolitisch und mehrsprachig in Breslau aufwuchs und in deutscher Sprache schrieb. Und er war nicht nur Satiriker und Utopist, sondern schrieb auch über Sprache und Philosophie. Gern gelesen von Tucholsky ist er eine Wiederentdeckung wert!
Es gibt eine Seite, die sich mit Textauszügen Alexander Moszkowski widmet, einen hervorragenden Artikel von Goedart Palm (Teil 1 / Teil 2 / Teil 3) und Texte im Projekt Gutenberg von Moszkowski. Als Buch ist von ihm in deutscher Sprache nur noch zu haben: "Mensch, reime dich" (fischer TB), ein Band mit witzigen Gedichten.
Alexander Moszkowskis Schicksal steht für das vieler jüdischer Autoren. Von den Nationalsozialisten wurden seine Bücher verboten. Und nach 1945 hat man sich in Deutschland nicht mehr allzu sehr um diese Schätze gekümmert, hat weggeschaut, hat sich von einer wichtigen Strömung an Literatur und Erzähltechniken abgeschnitten.
Viel von der einst verbotenen und dann vergessenen Literatur überlebte in den USA und wurde dort zum Grundstock moderner Erzählkunst und literarischer Experimente. Ob diese kulturelle Leerstelle je zu überwinden ist?
Fischer legte das Bändchen erst 2007 wieder auf, 77 Jahre nach seinem letztmöglichen Erscheinen im Jahre 1930.
Ein Wiederentdecken vor allem der nicht wieder verlegten Texte lohnt sich!
Meine Tagesempfehlung: "Das Gastmahl des Apicius". In diesem kleinen Text nimmt er aufs Korn, was von einem Kunstwerk bleibt, wenn sich Kritiker und Besserwisser darüber hermachen. Parallelen zu modernen Verhältnissen rein zufällig!
Oder wie wär's mit Max, dem in Geigen verliebten, Pfefferminzlikör saufenden Regenwurm? Selbst über den Klimawandel als Segen und die Lösung der Bankenkrise hat sich Moszkowski Gedanken gemacht!
Sein Verfasser kannte Albert Einstein und die Futuristen gut, erfand Anfang der 1920er das Handy und einen virtuellen Raum - und verlangte von Politikern "Breviloquenz": sich kurz zu fassen.
Die Rede ist vom weithin vergessenen Alexander Moszkowski (1851-1934), einem polnischen Juden, der kosmopolitisch und mehrsprachig in Breslau aufwuchs und in deutscher Sprache schrieb. Und er war nicht nur Satiriker und Utopist, sondern schrieb auch über Sprache und Philosophie. Gern gelesen von Tucholsky ist er eine Wiederentdeckung wert!
Es gibt eine Seite, die sich mit Textauszügen Alexander Moszkowski widmet, einen hervorragenden Artikel von Goedart Palm (Teil 1 / Teil 2 / Teil 3) und Texte im Projekt Gutenberg von Moszkowski. Als Buch ist von ihm in deutscher Sprache nur noch zu haben: "Mensch, reime dich" (fischer TB), ein Band mit witzigen Gedichten.
Alexander Moszkowskis Schicksal steht für das vieler jüdischer Autoren. Von den Nationalsozialisten wurden seine Bücher verboten. Und nach 1945 hat man sich in Deutschland nicht mehr allzu sehr um diese Schätze gekümmert, hat weggeschaut, hat sich von einer wichtigen Strömung an Literatur und Erzähltechniken abgeschnitten.
Viel von der einst verbotenen und dann vergessenen Literatur überlebte in den USA und wurde dort zum Grundstock moderner Erzählkunst und literarischer Experimente. Ob diese kulturelle Leerstelle je zu überwinden ist?
Fischer legte das Bändchen erst 2007 wieder auf, 77 Jahre nach seinem letztmöglichen Erscheinen im Jahre 1930.
Ein Wiederentdecken vor allem der nicht wieder verlegten Texte lohnt sich!
Meine Tagesempfehlung: "Das Gastmahl des Apicius". In diesem kleinen Text nimmt er aufs Korn, was von einem Kunstwerk bleibt, wenn sich Kritiker und Besserwisser darüber hermachen. Parallelen zu modernen Verhältnissen rein zufällig!
Oder wie wär's mit Max, dem in Geigen verliebten, Pfefferminzlikör saufenden Regenwurm? Selbst über den Klimawandel als Segen und die Lösung der Bankenkrise hat sich Moszkowski Gedanken gemacht!
Ist mir schlecht!
Ich habe jetzt erst einmal ein Brot mit Entenmousse an Porto gebraucht, denn was ich mir heute schreiberisch antue, ist Quälerei. In "Genuss im Gepäck" scheuche ich meine arme Gina Grumbier ja mit dem Billigflieger ins lustfeindliche Land Riennevaplus. Also gugle ich heute Dinge wie "Ernährungssünden" oder "perverse Diäten" und "Gefahren im Essen". Man könnte fast meinen, Riennevaplus liege rechts vom Rhein, denn dort finde ich den furchterregendsten Stoff für meine Texte. Noch nie war so viel Angst. Kennst du das Land, wo die Verbote blüh'n ...
Ich bin schwer dafür, in Deutschland sogenannte Gesundheitszonen einzuführen, rauchfrei, fressfrei, sauffrei - und nur nach Abgastest mit entsprechender Furzplakette zu durchwandern, Müßiggang natürlich ausgeschlossen.
Natürlich inspirieren mich die Fundstücke königlich - mein Kühlschrank besitzt kein Vorhängeschloss und zwischendurch muss ich mit Gogol ganze Schinken speisen und vier Scheiben Braten obendrauf. Fontane hat mir eben eine Etepetete-Diät eines heimlich fressenden Fräuleins geliefert und Hebel erklärt endlich, warum Männer mit Socken so unsexy aussehen! Das hat mit der Wasser-Fett-Verteilung zu tun! Und Österreicher, freut euch nicht zu früh! Bei euch fand ich das schlechte Gewissen als Ernährungsinspektor gegen die Sünden dieser Welt...
Eins weiß ich, wenn ich bis heute abend die Texte für die schlimmsten Qualen entworfen habe und die anderen zusammengestellt, bin ich erst einmal reif für einen Einkauf morgen. Frisches Igitt für den Kühlschrank, feines Ungesund für die Vorratskammer und einen Tropfen Darfst-du-nicht dazu. Ich will ja nicht so enden wie diese eisernen Romanfiguren und asketischen Moralapostel. Die sind an der Arbeit für die Figur alle verarmt und früh gestorben.
Ich bin schwer dafür, in Deutschland sogenannte Gesundheitszonen einzuführen, rauchfrei, fressfrei, sauffrei - und nur nach Abgastest mit entsprechender Furzplakette zu durchwandern, Müßiggang natürlich ausgeschlossen.
Natürlich inspirieren mich die Fundstücke königlich - mein Kühlschrank besitzt kein Vorhängeschloss und zwischendurch muss ich mit Gogol ganze Schinken speisen und vier Scheiben Braten obendrauf. Fontane hat mir eben eine Etepetete-Diät eines heimlich fressenden Fräuleins geliefert und Hebel erklärt endlich, warum Männer mit Socken so unsexy aussehen! Das hat mit der Wasser-Fett-Verteilung zu tun! Und Österreicher, freut euch nicht zu früh! Bei euch fand ich das schlechte Gewissen als Ernährungsinspektor gegen die Sünden dieser Welt...
Eins weiß ich, wenn ich bis heute abend die Texte für die schlimmsten Qualen entworfen habe und die anderen zusammengestellt, bin ich erst einmal reif für einen Einkauf morgen. Frisches Igitt für den Kühlschrank, feines Ungesund für die Vorratskammer und einen Tropfen Darfst-du-nicht dazu. Ich will ja nicht so enden wie diese eisernen Romanfiguren und asketischen Moralapostel. Die sind an der Arbeit für die Figur alle verarmt und früh gestorben.
25. Mai 2009
Mehr Service
Auch dieses Blog soll ein wenig professioneller werden - so gibt's ab heute mehr Service für meine Leserinnen und Leser. Viele werden es kennen, manche sehen das Ding vielleicht zum ersten Mal:

Was ist das, was macht man damit?
Mit dieser Leiste (mit Maus berühren zum Öffnen) können Leser ab sofort Einzelbeiträge in meinem Blog leichter miteinander teilen und verwalten. Also entweder als bookmark auf dem eigenen Computer ablegen oder bei einem der bookmark-Dienste mit anderen öffentlich teilen. Außerdem lassen sich die Links nun bequem bei Twitter, Facebook und anderen "Social Networks" weitergeben. Dienste, die in der Liste fehlen, kann man in die Suchzeile eingeben.
Und wer noch nicht ganz so rasant im sogenannten Social Web unterwegs ist, kann mit diesem Service auch Beiträge aus meinem Blog per guter alter Email an Freunde und Bekannte empfehlen.
Und wenn ich das Script nicht verhunzt habe, müsste per Knopfdruck immer die jeweilige URL von genau dem angeklickten Beitrag weitergegeben werden.
Leider kann ich nicht rückwirkend alle Beiträge damit ausstatten, weil ich das bei jedem Posting per Hand einpfriemle. Ich bin mir sicher, man könnte es ins Script von Blogger so einbauen, dass es automatisch angepasst wird - aber das übersteigt im Moment meine Kenntnisse.
Wer den Service in diesem Beitrag benutzt, empfiehlt übrigens automatisch mein Blog als solches - und für jede Empfehlung und jedes Linkteilen bedanke ich mich herzlichst!
Falls irgendetwas nicht funktioniert, weil die Laiin an der Technik sitzt - Kommentar genügt - hoffentlich.
Was ist das, was macht man damit?
Mit dieser Leiste (mit Maus berühren zum Öffnen) können Leser ab sofort Einzelbeiträge in meinem Blog leichter miteinander teilen und verwalten. Also entweder als bookmark auf dem eigenen Computer ablegen oder bei einem der bookmark-Dienste mit anderen öffentlich teilen. Außerdem lassen sich die Links nun bequem bei Twitter, Facebook und anderen "Social Networks" weitergeben. Dienste, die in der Liste fehlen, kann man in die Suchzeile eingeben.
Und wer noch nicht ganz so rasant im sogenannten Social Web unterwegs ist, kann mit diesem Service auch Beiträge aus meinem Blog per guter alter Email an Freunde und Bekannte empfehlen.
Und wenn ich das Script nicht verhunzt habe, müsste per Knopfdruck immer die jeweilige URL von genau dem angeklickten Beitrag weitergegeben werden.
Leider kann ich nicht rückwirkend alle Beiträge damit ausstatten, weil ich das bei jedem Posting per Hand einpfriemle. Ich bin mir sicher, man könnte es ins Script von Blogger so einbauen, dass es automatisch angepasst wird - aber das übersteigt im Moment meine Kenntnisse.
Wer den Service in diesem Beitrag benutzt, empfiehlt übrigens automatisch mein Blog als solches - und für jede Empfehlung und jedes Linkteilen bedanke ich mich herzlichst!
Falls irgendetwas nicht funktioniert, weil die Laiin an der Technik sitzt - Kommentar genügt - hoffentlich.
Protextbewegung
Schluss mit Werteverfall und schlechten Texten - jetzt gibt es unter Profitextern die Gegenbewegung. Für mehr Qualität, Professionalität und die angemessene Wertschätzung einer Arbeit, die gekonnt sein will.
Ohne viel Worte empfehle ich die Protextbewegung mit ihrem eigenen Blog Textguerilla.
Schon so kurz nach dem Start ahnt man die intensive Arbeit hinter den Kulissen und wird tüchtig mit Infos versorgt. Einfach reinschauen, lohnt sich! Und motiviert hoffentlich viele Kolleginnen und Kollegen, sich für Profiarbeit nicht mehr so zu schämen, dass man sich unter Wert vergibt. Ein Link, der sich verbreiten sollte wie die Schreibergrippe.
Gefunden habe ich den Hinweis in einem Blog, der mich gerade grafisch, inhaltlich und stilistisch begeistert - im "Autorenexpress" der Schriftstellerin Nessa Altura.
Ohne viel Worte empfehle ich die Protextbewegung mit ihrem eigenen Blog Textguerilla.
Schon so kurz nach dem Start ahnt man die intensive Arbeit hinter den Kulissen und wird tüchtig mit Infos versorgt. Einfach reinschauen, lohnt sich! Und motiviert hoffentlich viele Kolleginnen und Kollegen, sich für Profiarbeit nicht mehr so zu schämen, dass man sich unter Wert vergibt. Ein Link, der sich verbreiten sollte wie die Schreibergrippe.
Gefunden habe ich den Hinweis in einem Blog, der mich gerade grafisch, inhaltlich und stilistisch begeistert - im "Autorenexpress" der Schriftstellerin Nessa Altura.
Romanfisch und Schichtenwelten

Gestern war nämlich der letzte Tag der offenen Ateliers im Elsass, einer landesweiten regelmäßigen Veranstaltung, wo man an zwei Wochenenden in Privatateliers von Künstlern gehen kann, sie beim Arbeiten beobachten (so sie denn vor lauter Besuchern dazu kommen), in ihrem Umfeld erleben - und natürlich ihre Werke betrachten. Die Auswahl ist exorbitant, wollte man eine Rundreise planen. Bei solchen Gelegenheiten erkennt man erst den künstlerischen und kulturellen Reichtum der Region, wenn einmal alle aufgelistet sind. Die Website ist leider nur auf Französisch zu haben, aber Bilder sprechen alle Sprachen. So mancher auf dem platten oder bergigen Land staunt dann außerdem, welche Perlen von Künstlern in seinem Dorf leben oder einfach "ums Eck". Kein Zweifel - an solchen Tagen muss man außerdem fleißig Visitenkarten sammeln, um den Werdegang neu entdeckter Künstler später besser verfolgen zu können.
Auf diese Art kam ich dann nach Betschdorf, das nahe der deutschen Grenze gelegen den meisten Touristen ein Begriff für Töpferei ist. Francoise Maillet hat dort ihr Domizil gefunden und ihr Atelier geöffnet und einige andere Künstler waren auch dabei, wie z.B. die junge Glasbläserin Julie Gonce aus Preuschdorf oder Sylviane Bernardini mit Skulpturen. So entdeckte ich dann also auf dem Dorf eine Begabung, die man sonst in Strasbourg vermuten würde.
Ich kannte die Bilder schon von Abbildungen, aber stofflich ist das noch einmal etwas anderes, es bilden sich nämlich Schichten, die sich scheinbar in den Raum hinein bewegen, man meint, die Farbschichten mit den Augen abtragen zu können, um dahinter zu schauen. Man arbeitet regelrecht, lässt sich die tausend Geschichten erzählen, die in jedem Winkel hocken, will den Dingen aber auch auf den Grund gehen, hinter die Fassaden schauen, Kästen durchwühlen.
Es sind mehrfach zerstörte Welten, die Francoise Maillet malt, die eine Art Urkompost abgeben für ein Weiterleben, ein Improvisieren im Unsicheren, Schwebenden - um eine Zukunft zu schaffen, die Farben und Erzählungen der Vergangenheit in sich trägt. Und so fasziniert man sich in ihren gemalten Mikrokosmen auf die Suche nach Spuren begibt, so irritiert bleibt man. Kaum scheint der Betrachter etwas erhascht und sicher identifiziert zu haben, entschlüpft es ihm schon wieder. Hat er wirklich erkannt, was er zu erkennen glaubt? Versteckt sich hinter einer zuerst übersehenen Nichtigkeit vielleicht sogar die Wichtigkeit? Kästen, Schachteln, Wohnungen und Städte entwickeln ein wundersames Eigenleben, werden zu sich erinnernden Körpern, in die sich der Mensch einzubetten versucht. Ich denke: Eine Künstlerin, die unbedingt zu entdecken ist!
Auch wenn ich zu spät berichte - die Ateliers Ouvertes finden jedes Jahr statt und sind eine Reise wert - zumal man in den Ateliers auch sehr spannende Menschen trifft und eine wundervolle Atmosphäre, um über Kunst und das Leben zu reden.
Zum Anschauen:
Francoise Maillets Website
Ein paar ihrer Großformate
Bilder von der Ausstellung in Betschdorf
Julie Gonce, Glaskünstlerin in Preuschdorf
Julie Gonces Website
Sylviane Bernardinis Website und Skulpturen
Und wie immer entschuldige ich mich für das fehlende Häkchen unter dem c - das mag dieser Server irgendwie nicht...
23. Mai 2009
Hirnbrand von Grumbieren
Was arbeitest du denn bei diesem schönen Wetter ständig, meinte eine Freundin, du hast doch noch so viel Zeit für dein Hörbuch (August). Dabei weiß sie, dass ich am 12. Juni mit einem freien Programm auftreten werde. Was sie nicht weiß: Ich hatte bis gestern noch gar kein Programm! Es gab Grundideen in einem Schmierheft, Träumereien, Notizen. Aber kein bißchen Text. (Ich hoffe, dass meine Veranstalter, falls sie mitlesen, an dieser Stelle keinen Herzschlag erleiden).
Heute war es so weit. Die Panik akut (das muss ja auch noch alles geübt werden). Das Sammelsurium an klassischen Texten noch nicht durchweg das Gelbe vom Ei. Um mich herum sägte es, hämmerte es, rasenmähte es, kreischte es, tratschte es und immer wieder Autos mit Wommmbommkingkong-Sound. Ideal. Ich legte mich mittenrein und dachte: Jetzt schreibste mal Texte für deinen Szenen so vor der Vorspeise. Kannste ja immer noch wegkippen auffen Kompost.
Gesagt, getan. Nur schrieben sich die Texte von mir weg, drehten frech ihre eigenen Pirouetten und streckten mir ständig die Zunge heraus: Uns musste erst mal sprechen lernen. Wennde dir bei den Stabreimen mal nicht die Zunge brichst. Aber Verzweiflung siegt, der Mai ist bald vorbei - also noch ein Text. Es sägte, kreischte, nagelte, brummte, tratschte und senste um mich herum, um die Textfabrik, die hämmerte und meißelte, feilte und feststellte: Demnächst ist mal wieder der Weinkorken zwischen den Zähnen angesagt und das brave "Abraham a Sancta Clara, saß am Abhang sangbar klangbar" ... oder so ähnlich. Das Hörbuch schadet mir sichtlich, was das Komponieren von Buchstabenfolgen betrifft.
Tja, der erste Teil (von dreien) bis zur Vorspeise steht. Fix und fertig. Und die Vorspeise hab ich auch schon eingebaut (im Gegensatz zu meinem Publikum kenne ich die nämlich schon).
Ich gäbe etwas darum, wenn ich meine Texte auswendig lernen und wirklich spielen könnte! Aber man kann ja nicht alles können. Also hat Gina Grumbier einen großen Koffer für all das Papier...
Jetzt gebe ich mir großzügig drei Tage für den Rest. Dann sollte ich einen Requisitenplan aufstellen, an Organisation denken (Flyer, Buchverkauf), und wie um Himmels Willen soll die Gina denn nun aussehen!?! Plötzlich passt das Kostüm nicht mehr zum Text. Sollte ich vielleicht vorher noch eine von diesen Brutalodiäten machen, die Gina im leibfeindlichen Land Riennevaplus drohen? Ach nein, so kann man einen Text auch nicht passend basteln - wechseln wir lieber das Kleid. Ich muss verrückt sein. Warum kann ich nicht brav und ordentlich im schwarzen Rolli auf einem verstaubten Stuhl sitzen und die Leute aus meinem Oeuvre in den wohlverdienten Kulturschlaf nuscheln?
Wer sich das antun und brav und ordentlich reservieren will (nötig wegen des Menus!):
"Genuss im Gepäck" hat am 12. Juni um 19 Uhr Premiere (Angeberin!) im stimmungsvollen Galand in Kehl-Odelshofen (für Auswärtige: das ist der Grenzort zu Straßburg in der idyllischen Ortenau). Wie der Titel schon sagt, werden es Diätfreaks schwer haben - es wird nämlich auch noch ein leckeres Menu nebst feinen Weinen gereicht!
Heute war es so weit. Die Panik akut (das muss ja auch noch alles geübt werden). Das Sammelsurium an klassischen Texten noch nicht durchweg das Gelbe vom Ei. Um mich herum sägte es, hämmerte es, rasenmähte es, kreischte es, tratschte es und immer wieder Autos mit Wommmbommkingkong-Sound. Ideal. Ich legte mich mittenrein und dachte: Jetzt schreibste mal Texte für deinen Szenen so vor der Vorspeise. Kannste ja immer noch wegkippen auffen Kompost.
Gesagt, getan. Nur schrieben sich die Texte von mir weg, drehten frech ihre eigenen Pirouetten und streckten mir ständig die Zunge heraus: Uns musste erst mal sprechen lernen. Wennde dir bei den Stabreimen mal nicht die Zunge brichst. Aber Verzweiflung siegt, der Mai ist bald vorbei - also noch ein Text. Es sägte, kreischte, nagelte, brummte, tratschte und senste um mich herum, um die Textfabrik, die hämmerte und meißelte, feilte und feststellte: Demnächst ist mal wieder der Weinkorken zwischen den Zähnen angesagt und das brave "Abraham a Sancta Clara, saß am Abhang sangbar klangbar" ... oder so ähnlich. Das Hörbuch schadet mir sichtlich, was das Komponieren von Buchstabenfolgen betrifft.
Tja, der erste Teil (von dreien) bis zur Vorspeise steht. Fix und fertig. Und die Vorspeise hab ich auch schon eingebaut (im Gegensatz zu meinem Publikum kenne ich die nämlich schon).
Ich gäbe etwas darum, wenn ich meine Texte auswendig lernen und wirklich spielen könnte! Aber man kann ja nicht alles können. Also hat Gina Grumbier einen großen Koffer für all das Papier...
Jetzt gebe ich mir großzügig drei Tage für den Rest. Dann sollte ich einen Requisitenplan aufstellen, an Organisation denken (Flyer, Buchverkauf), und wie um Himmels Willen soll die Gina denn nun aussehen!?! Plötzlich passt das Kostüm nicht mehr zum Text. Sollte ich vielleicht vorher noch eine von diesen Brutalodiäten machen, die Gina im leibfeindlichen Land Riennevaplus drohen? Ach nein, so kann man einen Text auch nicht passend basteln - wechseln wir lieber das Kleid. Ich muss verrückt sein. Warum kann ich nicht brav und ordentlich im schwarzen Rolli auf einem verstaubten Stuhl sitzen und die Leute aus meinem Oeuvre in den wohlverdienten Kulturschlaf nuscheln?
Wer sich das antun und brav und ordentlich reservieren will (nötig wegen des Menus!):
"Genuss im Gepäck" hat am 12. Juni um 19 Uhr Premiere (Angeberin!) im stimmungsvollen Galand in Kehl-Odelshofen (für Auswärtige: das ist der Grenzort zu Straßburg in der idyllischen Ortenau). Wie der Titel schon sagt, werden es Diätfreaks schwer haben - es wird nämlich auch noch ein leckeres Menu nebst feinen Weinen gereicht!
Matisse in Köln
Dass Henri Matisse (1869-1954) einer der bedeutendsten französischen Künstler des 20. Jahrhunderts war, lernen wir bereits in der Schule - dass er auch für die Ballets Russes gearbeitet und damit seine scherenschnittartigen Gouachen entwickelt hat, wissen die wenigsten.
Im Freundeskreis um Sergej Diaghilew zeigte er sich schon früher, zur echten Zusammenarbeit kam es dann aber erst nach dem Ersten Weltkrieg. 1919/20 schuf Matisse Bühnenbild und Kostüm zum Ballett "Das Lied der Nachtigall" zur Musik von Igor Strawinsky. Zu einer zweiten Koproduktion fand er sich erst nach Diaghilews Tod im Jahr 1937, wo er Bühnenbild und Kostüme für die Nachfolgetruppe in Monte Carlo entwarf. Das Ballett zu Schostakowitschs Musik hieß "Rot und Schwarz" und hier kann man Originalfotos von Matisse bei der Arbeit sehen (sie stammen aus der bekannten BBC-Doku über das Treffen ehemaliger Mitglieder der Ballets Russes). Hier ist ein Kostüm von "Das Lied der Nachtigall" abgebildet.
Ab 17.06. kommen Bilder von Henri Matisse nach Köln, genauer gesagt in die Galerie Boisserée. Und bei dieser Ausstellung seiner Grafik und Zeichnungen sind die Bilder zu sehen, die er hinter den Kulissen vom Ballett angefertigt hat. Die Website der Galerie lohnt sich bereits jetzt vor Ausstellungsbeginn. Hier gibt es nämlich einen besonderen Service für all die, die nicht nach Köln kommen können oder sich erst Appetit für die Reise holen wollen: Man kann den Ausstellungskatalog virtuell durchblättern (pdf) und sich außerdem die Exponate im Internet ansehen. So kommt die Galerie frei Haus - eine feine Idee.
Kulturtipps:
Im Freundeskreis um Sergej Diaghilew zeigte er sich schon früher, zur echten Zusammenarbeit kam es dann aber erst nach dem Ersten Weltkrieg. 1919/20 schuf Matisse Bühnenbild und Kostüm zum Ballett "Das Lied der Nachtigall" zur Musik von Igor Strawinsky. Zu einer zweiten Koproduktion fand er sich erst nach Diaghilews Tod im Jahr 1937, wo er Bühnenbild und Kostüme für die Nachfolgetruppe in Monte Carlo entwarf. Das Ballett zu Schostakowitschs Musik hieß "Rot und Schwarz" und hier kann man Originalfotos von Matisse bei der Arbeit sehen (sie stammen aus der bekannten BBC-Doku über das Treffen ehemaliger Mitglieder der Ballets Russes). Hier ist ein Kostüm von "Das Lied der Nachtigall" abgebildet.
Ab 17.06. kommen Bilder von Henri Matisse nach Köln, genauer gesagt in die Galerie Boisserée. Und bei dieser Ausstellung seiner Grafik und Zeichnungen sind die Bilder zu sehen, die er hinter den Kulissen vom Ballett angefertigt hat. Die Website der Galerie lohnt sich bereits jetzt vor Ausstellungsbeginn. Hier gibt es nämlich einen besonderen Service für all die, die nicht nach Köln kommen können oder sich erst Appetit für die Reise holen wollen: Man kann den Ausstellungskatalog virtuell durchblättern (pdf) und sich außerdem die Exponate im Internet ansehen. So kommt die Galerie frei Haus - eine feine Idee.
Kulturtipps:
- Film-Doku der BBC von Dayna Goldfine und Dan Geller: Ballets Russes (jetzt wieder im Handel)
- 17.06. bis 8.8.2009 Henri Matisse - Grafik und Zeichnungen in der Kölner Galerie Boisserée
- nur noch bis morgen: Schwäne und Feuervögel. Ausstellung über die Ballets Russes im Theatermuseum München (ab 25.6. in Wien)
22. Mai 2009
Unschön
Keine Frage, ich musste den Ausstellungskatalog der Hamburger Kunsthalle "Tanz der Farben. Nijinskys Auge und die Abstraktion" sofort haben. Meldet mir mein Leib- und Magenbuchhändler, bei VLB heiße es, der Katalog sei "aus technischen Gründen nicht lieferbar". Na wunderbar, dabei hatte ich noch einen anderen über die Ballets Russes bei ihm zu bestellen... Aber nein, der Hamburger geht nur über die "Freunde der Kunsthalle". Und dazu muss man erst einmal "Mitglied" im Shop werden.
Alles gaaaanz sicher über SSL. Mein Browser sagt mir jedoch, dass es da unauthentifizierte Inhalte gibt und warnt mich. Als Fan, der den Katalog unbedingt haben muss, wage ich trotzdem. Und erfahre, dass ich den Katalog nur bekomme, wenn ich mein Geburtsdatum preisgebe. Damit schleudere ich außer bei Behörden nirgends herum, aber immerhin kann man den Posten austricksen.
Und dann trickst mich das System aus. Ich darf zwar großartig jedes Land dieser Erde bewohnen, muss aber unbedingt ein deutsches Bundesland angeben, sonst funktioniert das nicht. Leerstellen darf man nicht lassen, jedes Land hat gefälligst ein Bundesland zu haben. Nach etlichen Flüchen schreibe ich eben "Bas-Rhin". Computer, die dumm fragen, bekommen dumme Antworten. Et voilà ... ich denke, ich kann endlich bestellen, da sagt mir das System, dass ich in Deutschland wohnte. Und druckte meine Adresse deutsch. Also wieder zurück ... nichts zu machen. Bis ich noch ein F davorquetschte, weil das Frankreich nicht reichte. Aha. Plötzlich hatte ich zwei Adressen und konnte die falsche nicht löschen. Überhaupt kann ich da scheinbar nichts löschen, auch wenn ich nie wieder in diesem Shop einkaufen muss/will. Äußerst unschön außerdem: Bei der Kreditkarte wird nicht einmal die Sicherheitsnummer abgefragt - heute Mindeststandard!
Der Hammer kam dann noch. Obwohl ich vorher dringend angeben musste, ob ich ein Herr oder eine Frau bin, sülzte mich das Formular nach beendeter Bestellung fröhlich an:
"Schön, dass Sie wieder da sind, Herr Petra!" Na Prost.
Nun war ich schlau und mein Buchhändler nett. Angesichts der horrenden Portokosten ins Ausland durfte ich nämlich ihn als Lieferadresse eintragen. Und so kann ich praktisch und erholsam bei ihm beide Ausstellungskataloge abholen - den aus Hamburg und den aus München. (Warum darf er dann nicht beide bestellen?) Unterschied: den aus München beschafft er selbst, ohne dass ich meine vertraulichen Daten auf Server werfen muss, auf denen man ewig in nicht funktionierenden Online-Formularen versackt. Ohne dass ich Vorkasse über eine so lange Lieferzeit leisten muss. Ich bin mal gespannt, ob und wann der Katalog kommt, sieben Tage soll die Auslieferung mindestens dauern, heißt es. Werden die erst nach Bestellung gedruckt?
Warum schaffen es die Münchner und so viele andere Museen eigentlich, per VLB auszuliefern und sich nicht vorzubehalten, "nur an Endverbraucher" auszuliefern? Warum brauche ich all diesen Zinnober, um mein Buch bei meinem Buchhändler abholen zu können?
Kein Zweifel, ich habe das nur gemacht, weil ich über Nijinsky schreibe und den Katalog brauche. Als Normalkunde hätte ich spätestens nach diesem Online-Formular kehrt gemacht.
Jetzt freue ich mich erst mal auf meinen Münchner Katalog. Der ist innerhalb von 24 Stunden lieferbar.
Übrigens war das eben halb so schlimm wie beim Musée d'Orsay unlängst, wo man für eine eilige Fachanfrage per Kontaktformular eine bestimmte Abteilung anschreiben musste (kein Telefon, keine Mailadresse, nichts) und dann nie wieder etwas von irgendjemandem hörte, nicht einmal eine Bestätigungsmail bekam. Auch so kann man Interesse an Kunst verhindern...
Kataloge:
Alles gaaaanz sicher über SSL. Mein Browser sagt mir jedoch, dass es da unauthentifizierte Inhalte gibt und warnt mich. Als Fan, der den Katalog unbedingt haben muss, wage ich trotzdem. Und erfahre, dass ich den Katalog nur bekomme, wenn ich mein Geburtsdatum preisgebe. Damit schleudere ich außer bei Behörden nirgends herum, aber immerhin kann man den Posten austricksen.
Und dann trickst mich das System aus. Ich darf zwar großartig jedes Land dieser Erde bewohnen, muss aber unbedingt ein deutsches Bundesland angeben, sonst funktioniert das nicht. Leerstellen darf man nicht lassen, jedes Land hat gefälligst ein Bundesland zu haben. Nach etlichen Flüchen schreibe ich eben "Bas-Rhin". Computer, die dumm fragen, bekommen dumme Antworten. Et voilà ... ich denke, ich kann endlich bestellen, da sagt mir das System, dass ich in Deutschland wohnte. Und druckte meine Adresse deutsch. Also wieder zurück ... nichts zu machen. Bis ich noch ein F davorquetschte, weil das Frankreich nicht reichte. Aha. Plötzlich hatte ich zwei Adressen und konnte die falsche nicht löschen. Überhaupt kann ich da scheinbar nichts löschen, auch wenn ich nie wieder in diesem Shop einkaufen muss/will. Äußerst unschön außerdem: Bei der Kreditkarte wird nicht einmal die Sicherheitsnummer abgefragt - heute Mindeststandard!
Der Hammer kam dann noch. Obwohl ich vorher dringend angeben musste, ob ich ein Herr oder eine Frau bin, sülzte mich das Formular nach beendeter Bestellung fröhlich an:
"Schön, dass Sie wieder da sind, Herr Petra!" Na Prost.
Nun war ich schlau und mein Buchhändler nett. Angesichts der horrenden Portokosten ins Ausland durfte ich nämlich ihn als Lieferadresse eintragen. Und so kann ich praktisch und erholsam bei ihm beide Ausstellungskataloge abholen - den aus Hamburg und den aus München. (Warum darf er dann nicht beide bestellen?) Unterschied: den aus München beschafft er selbst, ohne dass ich meine vertraulichen Daten auf Server werfen muss, auf denen man ewig in nicht funktionierenden Online-Formularen versackt. Ohne dass ich Vorkasse über eine so lange Lieferzeit leisten muss. Ich bin mal gespannt, ob und wann der Katalog kommt, sieben Tage soll die Auslieferung mindestens dauern, heißt es. Werden die erst nach Bestellung gedruckt?
Warum schaffen es die Münchner und so viele andere Museen eigentlich, per VLB auszuliefern und sich nicht vorzubehalten, "nur an Endverbraucher" auszuliefern? Warum brauche ich all diesen Zinnober, um mein Buch bei meinem Buchhändler abholen zu können?
Kein Zweifel, ich habe das nur gemacht, weil ich über Nijinsky schreibe und den Katalog brauche. Als Normalkunde hätte ich spätestens nach diesem Online-Formular kehrt gemacht.
Jetzt freue ich mich erst mal auf meinen Münchner Katalog. Der ist innerhalb von 24 Stunden lieferbar.
Übrigens war das eben halb so schlimm wie beim Musée d'Orsay unlängst, wo man für eine eilige Fachanfrage per Kontaktformular eine bestimmte Abteilung anschreiben musste (kein Telefon, keine Mailadresse, nichts) und dann nie wieder etwas von irgendjemandem hörte, nicht einmal eine Bestätigungsmail bekam. Auch so kann man Interesse an Kunst verhindern...
Kataloge:
- Tanz der Farben. Nijinskys Auge und die Abstraktion. (Nur bei der Hamburger Kunsthalle)
- Jeschke / Haitzinger: Schwäne und Feuervögel. Die Ballets Russes 1909-1929. Henschel Verlag. (Im Buchhandel)
Wörter zum Suhlen
Im language log gab es unlängst eine Untersuchung über Sympathie und Antipathie gegenüber einzelnen Wörtern. Es ging darum, dass Wörter auf Menschen - ungeachtet ihrer Bedeutung - allein durch den Klang oder die Schreibweise faszinierend wirken oder abstoßen. Mark Liberman fand dabei heraus, dass die Faszination durch ein Wort ein eher veränderliches Phänomen sei, während die Aversion gegenüber Wörtern sehr viel tiefer sitze und langfristig bleibe.
Und es gebe noch einen Unterschied zwischen Wortliebhabern und Worthassern: Wer ein Wort ganz besonders liebe, empfinde das Wohlgefühl vor allem beim Produzieren, also beim Schreiben oder Sprechen - seltener beim passiven Konsumieren wie Lesen und Hören. Worthasser dagegen reagieren in beide Richtungen. Sie vermeiden selbst das Wort und können es auch nicht ertragen, wenn es von anderen kommt.
Praktisch bedeutet das: Wer beim Sprechen oder Schreiben von z.B. "Amaryllis" allein durch den Klang und das Aussehen Glücksgefühle empfindet, wird dieses Wort immer wieder selbst reproduzieren wollen (z.B. laut lesen). Und irgendwann gefällt ihm "Holznutzfahrzeug" besser. Einer, dem bei "Amaryllis" jedoch die Zähne ziehen, der wird - ganz logisch - das Wort selbst vermeiden. Und er wird es vermeiden, hinzulesen oder hinzuhören. Er wird "Amaryllis" womöglich über viele Jahre oder sogar für immer hassen. Weil...?
Interessant ist außerdem, dass man zB. in der Bloggerszene regelrecht Lieblings- oder Hasswörter sammeln kann (spaßig, dass bei den Amerikanern vor allem "wanderlust" und "schnitzel" zu den Lieblingen gehören). Wobei die Lieblingswörter immer besonders seltene, besonders komplizierte zu sein scheinen, aber auch Eigenschöpfungen.
Wir Sprachschaffenden können uns natürlich nicht auf die individuellen Vorlieben unserer Leser einstellen, dazu ist jeder Mensch zu verschieden. Aber es tut doch gut zu sehen, dass selbst Konsumenten schneller Kurztexte gefordert werden dürfen. Wortspiele, komplizierte Lautfolgen, Musikalität der Sprache werden dieser Untersuchung nach nicht nur besser gemerkt, sondern auch mehr geliebt als die glatte austauschbare Einfachsprache.
Na, irgendwelche Lieblingswörter heute? Irgendwelche Schauderklänge? (Es geht nur um Klang und Aussehen, ungeachtet des Inhalts!)
Ich mach mal den Anfang - mein Lieblingswort zur Jahreszeit ist Kannzevöjeli. Weil es so wunderbar schwingt und fliegt und auf der Zunge schmilzt. Na, Lust mitzumachen?
Und es gebe noch einen Unterschied zwischen Wortliebhabern und Worthassern: Wer ein Wort ganz besonders liebe, empfinde das Wohlgefühl vor allem beim Produzieren, also beim Schreiben oder Sprechen - seltener beim passiven Konsumieren wie Lesen und Hören. Worthasser dagegen reagieren in beide Richtungen. Sie vermeiden selbst das Wort und können es auch nicht ertragen, wenn es von anderen kommt.
Praktisch bedeutet das: Wer beim Sprechen oder Schreiben von z.B. "Amaryllis" allein durch den Klang und das Aussehen Glücksgefühle empfindet, wird dieses Wort immer wieder selbst reproduzieren wollen (z.B. laut lesen). Und irgendwann gefällt ihm "Holznutzfahrzeug" besser. Einer, dem bei "Amaryllis" jedoch die Zähne ziehen, der wird - ganz logisch - das Wort selbst vermeiden. Und er wird es vermeiden, hinzulesen oder hinzuhören. Er wird "Amaryllis" womöglich über viele Jahre oder sogar für immer hassen. Weil...?
Interessant ist außerdem, dass man zB. in der Bloggerszene regelrecht Lieblings- oder Hasswörter sammeln kann (spaßig, dass bei den Amerikanern vor allem "wanderlust" und "schnitzel" zu den Lieblingen gehören). Wobei die Lieblingswörter immer besonders seltene, besonders komplizierte zu sein scheinen, aber auch Eigenschöpfungen.
Wir Sprachschaffenden können uns natürlich nicht auf die individuellen Vorlieben unserer Leser einstellen, dazu ist jeder Mensch zu verschieden. Aber es tut doch gut zu sehen, dass selbst Konsumenten schneller Kurztexte gefordert werden dürfen. Wortspiele, komplizierte Lautfolgen, Musikalität der Sprache werden dieser Untersuchung nach nicht nur besser gemerkt, sondern auch mehr geliebt als die glatte austauschbare Einfachsprache.
Na, irgendwelche Lieblingswörter heute? Irgendwelche Schauderklänge? (Es geht nur um Klang und Aussehen, ungeachtet des Inhalts!)
Ich mach mal den Anfang - mein Lieblingswort zur Jahreszeit ist Kannzevöjeli. Weil es so wunderbar schwingt und fliegt und auf der Zunge schmilzt. Na, Lust mitzumachen?
Werbespruch
Ich schau immer wieder gerne hin, wenn ich die Plakate sehe oder die damit bemalten Autos. Übersetzt heißt der französische Werbespruch eines Verlags:
Ich denke, also lese ich.
Ich denke, also lese ich.
21. Mai 2009
Riesenüberraschung!
Im Verlag müssen sie Tag und Nacht arbeiten. Noch eine Mai-Geburt. Völlig überrascht habe ich jetzt mein Nijinsky-Projekt schon fast greifbar entdeckt - sprich, man kann sogar vorbestellen.
Da lege ich mit Hingabe doch auch gleich noch eine Nachtschicht ein!
Da lege ich mit Hingabe doch auch gleich noch eine Nachtschicht ein!
Rätsel Folge 3
Der Duft der Ballets Russes
Die Rätselfragen müssten jetzt, wo das Thema bekannt ist, leichter zu beantworten sein. Gestern habe ich erzählt, dass die Ballets Russes auch auf die Mode der damaligen Zeit Einfluss ausübten, ihre Ballettkostüme Zuschauerinnen wie Modeschöpfer begeisterten. Einer der ganz großen seiner Zeit war - wie ich eben erzählte, Paul Poiret (hier eine Anleitung zum Dilettieren).
Eine andere, sehr berühmte französische Modeschöpferin war nicht nur mit Sergej Diaghilew und Tänzern der Ballets Russes befreundet, sie war auch eine der ganz großen Mäzeninnen dieses Ballets. Ihr Name ist auch heute noch eine der berühmten Luxusmarken der Haute Couture aus Paris. Ihr Nachname, der mit dem gleichen Buchstaben beginnt wie der spätere Vorname (zur Zeit der Ballets Russes trug sie noch ihren Originalvornamen), wurde außerdem in Verbindung mit einem anderen Produkt legendär.
Die Dame lernte nämlich am Trainingsort der Ballets Russes auch den Hofparfumeur des russischen Zaren kennen. Sie ließ sich für die Lancierung eines eigenen Duftes von ihm nummerierte Entwürfe vorführen. Nummer 5 gefiel ihr am besten. Und ein wenig muss sie vom Aberglauben eines Diaghilew geerbt haben, der so vielen Bühnenkünstlern eigen war. Sie nannte das Parfum Nr. 5, weil es am fünften Tag eines fünften Monats in die Welt gebracht wurde. Im Mai also, in dem auch die Ballets Russes geboren waren. So viele Fünfer brachten tatsächlich Glück, der Duft wurde legendär und gilt als das bekannteste Parfum der Welt.
Und wie duftete es seit 1921 in den Theatern, in denen die Ballets Russes auftraten? Die avantgardistischen Damen überraschten mit einer schweren Kopfnote von Ylang-Ylang und Neroli, der als Herznote blumigere Töne folgten: Jasmin, Mairose, Maiglöckchen und die etwas krautigere Iris. War solch eine duftende Frau verschwunden, blieben als Basisnote Sandelholz, Vetiver und Moschus zurück, es schwebten aber auch noch Vanille, Eichenmoos und Zibet im Raum - alle übrigens synthetisch hergestellt - auch das war neu.
Wir suchen heute nach dem Nachnamen der Modeschöpferin und brauchen davon den vierten Buchstaben.
Alle Rätselfragen im Überblick gibt es hier.
Die Rätselfragen müssten jetzt, wo das Thema bekannt ist, leichter zu beantworten sein. Gestern habe ich erzählt, dass die Ballets Russes auch auf die Mode der damaligen Zeit Einfluss ausübten, ihre Ballettkostüme Zuschauerinnen wie Modeschöpfer begeisterten. Einer der ganz großen seiner Zeit war - wie ich eben erzählte, Paul Poiret (hier eine Anleitung zum Dilettieren).
Eine andere, sehr berühmte französische Modeschöpferin war nicht nur mit Sergej Diaghilew und Tänzern der Ballets Russes befreundet, sie war auch eine der ganz großen Mäzeninnen dieses Ballets. Ihr Name ist auch heute noch eine der berühmten Luxusmarken der Haute Couture aus Paris. Ihr Nachname, der mit dem gleichen Buchstaben beginnt wie der spätere Vorname (zur Zeit der Ballets Russes trug sie noch ihren Originalvornamen), wurde außerdem in Verbindung mit einem anderen Produkt legendär.
Die Dame lernte nämlich am Trainingsort der Ballets Russes auch den Hofparfumeur des russischen Zaren kennen. Sie ließ sich für die Lancierung eines eigenen Duftes von ihm nummerierte Entwürfe vorführen. Nummer 5 gefiel ihr am besten. Und ein wenig muss sie vom Aberglauben eines Diaghilew geerbt haben, der so vielen Bühnenkünstlern eigen war. Sie nannte das Parfum Nr. 5, weil es am fünften Tag eines fünften Monats in die Welt gebracht wurde. Im Mai also, in dem auch die Ballets Russes geboren waren. So viele Fünfer brachten tatsächlich Glück, der Duft wurde legendär und gilt als das bekannteste Parfum der Welt.
Und wie duftete es seit 1921 in den Theatern, in denen die Ballets Russes auftraten? Die avantgardistischen Damen überraschten mit einer schweren Kopfnote von Ylang-Ylang und Neroli, der als Herznote blumigere Töne folgten: Jasmin, Mairose, Maiglöckchen und die etwas krautigere Iris. War solch eine duftende Frau verschwunden, blieben als Basisnote Sandelholz, Vetiver und Moschus zurück, es schwebten aber auch noch Vanille, Eichenmoos und Zibet im Raum - alle übrigens synthetisch hergestellt - auch das war neu.
Wir suchen heute nach dem Nachnamen der Modeschöpferin und brauchen davon den vierten Buchstaben.
Alle Rätselfragen im Überblick gibt es hier.
Ehrenamtliche Schriftsteller?
Als ich im Buchmesse-Newsletter las, dass Frankreichs Autoren angeblich kein Honorar für Lesungen bekämen, war ich schon einigermaßen befremdet. Denn genau zwei Tage zuvor hatte ich eine Anfrage einer kleinen französischen Buchhandlung erhalten, die sehr wohl den Punkt des Honorars beinhaltete. Und das klang so, wie es bei deutschen Buchhandlungen auch oft klingt: "Stars können wir uns nicht leisten, aber natürlich werden Sie für Ihre Arbeit bezahlt."
Ich weiß nicht, wo die Autoren des Buchmesse-Newsletters ihre Einzelfälle aufgegabelt haben und was der wirkliche Grund fürs ehrenamtliche Engagement der genannten Autoren war. Ist Paris ärmer als das Elsass? Ich wollte es jedenfalls genau wissen: Wie ist das in Frankreich?
Gestern war ich bei der Künstlerberatung, die alle Sparten von Künsten unter ihrem Dach vereint, eng mit sämtlichen Kulturorganen und regionalen Institutionen zusammen arbeitet und dazu da ist, Kunst-Unternehmungen und Künstlern im weitesten Sinn zu helfen. Ich sitze da z.B. mit den Komponisten auf einem Bänkchen, weil die und die Schriftsteller in Frankreich einen Sonderstatus haben. Und ich sitze dort deshalb, um einen einen schier unglaublichen Behördendschungel durchschauen zu lernen, weil eine mit Sprache arbeitende Künstlerin die "falsche" Sprache benutzt, mangels Wohnsitz im Muttersprachland dort nicht einmal Bewerbungsmöglichkeiten um die meisten Stipendien und Preise hat, und auch noch via Österreich im Nachbarland arbeitet. So viel Europa sind nicht alle gewohnt.
Wie leben also die Kollegen in Frankreich? Immer schlechter - wie alle Künstler derzeit. Sarkozy streicht fleißig auch noch die letzten Gelder, seine Carla hat ja jetzt genug. Durch die Wirtschaftskrise verabschieden sich Mäzene. Besonders hart trifft es freie Einmann-Produktionen und kleine Unternehmen, aber auch Festivals haben heuer zu knappsen. Vor allem die Vielfalt der Kultur wird ausgedünnt, die von den kleinen, besonderen und mutigen Produktionen lebt. Kommt dazu, dass immer mehr neue Namen bei Büchern auf den Markt geschleudert werden. Und "geschleudert" ist vielleicht das richtige Wort, denn es funktioniert nach dem Prinzip "Friss oder stirb." Originalton der Beraterin: "Wer jetzt noch keinen Namen und regelmäßige Aufträge hat, wird es nicht mehr schaffen. Der Buchmarkt hat zu viel Masse produziert. Unter den Newcomern und Noch-Nicht-Etablierten wird es ein großes Autorensterben geben." Aber auch die ganz Großen bekämen derzeit weniger Aufträge, viele Verlage hätten sich mit ihrer Trendware verrannt. Masse würde auch schneller verramscht als Klasse.
Allein von den Büchern könnten nur etwa 4-5% der Autoren leben. Die meisten hätten immer einen schreibaffinen Beruf gehabt, seien Journalisten, Dozenten, Lehrer, um sich zu ernähren. Ansonsten aber ist ein französischer hauptberuflicher Autor - wie die Kollegen anderswo auch, ein Gemischtwarenladen. Und dieses Konstrukt versuchte ich nun rechtlich, buchhalterisch und vor allem von den Möglichkeiten her zu verstehen. Denn auch ich muss langsam an die Schaffung einer lächerlichen Rente denken. Da sind die Franzosen den Deutschen meilenweit voraus: Freiberufliche Künstler sind sogar arbeitslosenversichert. Wie aber kommt man als Künstler in "normale" Verdienstverhältnisse? In Deutschland hatte man mir geraten, mir "nebenbei" einen "ordentlichen, bürgerlichen" Job zu suchen, um ständig drohende Eventualitäten wie Verlagsverkäufe, fehlende Verträge, Verzögerungen etc. auffangen zu können.
Sie lächelt mich an, grinst, deutet auf meinen Lebenslauf, den sie fast auswendig kennt, und sagt trocken: "Keine Chance." Um Himmels Willen, bin ich so schlecht und unfähig? Sie lacht wieder. Nein, ich hätte dazu nicht das Profil, viel zu überqualifiziert fürs Jobben. Ich sollte mich mal mit dem Gedanken vertraut machen, lebenslänglich Künstlerin zu bleiben. Aber eben auf die französische Art.
Und über die staunte ich nicht schlecht. Ich bekam dann nämlich eine Liste, was französische Kollegen in ihrem Gemischtwarenladen so alles anbieten. Bezahlte Lesungen standen ganz oben - ja, da war das Wort Honorar eindeutig aufgeführt. Weil das aber als "droit d'auteur" abgerechnet wird, fällt es vielleicht in der Statistik nicht auf. Besser bezahlt werden Autoren, wenn sie statt der Lesung richtigen Mehrwert bieten. Sei es, dass man aus einer drögen Buchhandelslesung einen richtig dollen Auftritt macht, womöglich mit anderen Künstlern zusammen. Die Berührungsängste zwischen den Künsten sind geringer, man tauscht sich aus, arbeitet miteinander - bildet so mehr Veranstaltungsmöglichkeiten.
Sehr begehrt sind die "conférènces", die richtig gut etwas einbringen. Sachbuchautoren haben es leichter, aber auch Romanautoren arbeiten auf diesem Sektor. Autoren als Fachfrauen und Fachmänner sprechen mit Diskussionsrunde überall, wo ihr Thema passt und anderen etwas geben könnte - vor Krankenschwestern oder Kommunalpolitikern, Förstern oder Firmen, halb öffentlich oder für die gesamte Landbevölkerung, live oder im Fernsehen. Es ist erstaunlich, was man aus seinen Buchthemen alles machen kann, wie viel Wissen da zu teilen ist. Aber dieser Job will gelernt sein!
Und weil Wissensteilen in Frankreich bereits von frühen Kindesbeinen an beginnt, gehen Autoren in Vorschulen, Schulen oder Jugendgruppen, unterrichten theoretisch oder noch lieber praktisch, zeigen Kindern ihren Beruf und stellen Bücher mit ihnen her. Natürlich bezahlt, was sonst (und hier streicht Sarko derzeit am schlimmsten). Das machen übrigens auch andere Künstler: Maler, Comiczeichner, Schauspieler, Tänzer. Eine der Einnahmequellen ist es, die Bevölkerung an der Basis an die Künste heranzuführen, sie spielerisch ausprobieren zu lassen und Talente früh zu fördern. Bezahlt wird nicht durch die Schulen oder Bevölkerung, sondern durch Fördergelder, die diese beantragen. Was aus einer Geselllschaft werden könnte, die sich solche praktische Kunst-Bildung nicht mehr leistet, ist derzeit in Frankreich Tagesgespräch unter Betroffenen.
Kommen hinzu all die Arbeiten an Texten, Lektorat oder Übersetzungen, deren Können man sich aneignen kann.Und auch hier ist es wie in anderen Ländern - solche Arbeiten erledigt man besser bezahlt in der freien Wirtschaft als bei Verlagen. Hat jemand pädagogische Fähigkeiten, kann er außerdem für Schulungen arbeiten. Viel lässt sich hier vorstellen: Von der Aufgabe, Managern eine verständliche Sprache beizubringen, bis hin zu lustigeren Ideen - wie einem Kaffeekränzchen das professionelle Geschichtenerzählen zu lehren.
Kurzum: Schriftsteller in Frankreich sind, was ihre eigentliche Arbeit und Kulturleistung betrifft (Bücher schreiben), ähnlich unterbezahlt wie die Kollegen in anderen Ländern. Aber sie arbeiten keineswegs umsonst - es sei denn, sie verfolgen gezielt den Zweck von Charity oder Werbeeffekten. Ausnahmen mag es geben, aber es verschenken sich allenfalls die einmal, die genug haben. Die anderen kämpfen immer härter ums Überleben.
Was mich hier außerdem fasziniert: Professionelle Autoren sind sehr viel professioneller als die deutschen Kollegen. Und das wird auch von ihnen erwartet. "Sie machen Lesungen, haben Sie denn eine Sprechausbildung?" Es mag die Nuschler im schwarzen Rollkragenpulli noch geben, aber die Konkurrenz schläft nicht. Ein Autor muss sich öffentlich genauso inszenieren können wie jeder Bühnenkünstler. Kurse werden überall in den Städten angeboten und finanziell gefördert. Denn je besser ein Autor ausgebildet ist, desto weniger liegt er dem Staat einmal auf der Tasche.
Da gibt es nicht nur Sprechausbildung. Man kann auch allerhand Nützliches für Auftritte lernen, von der richtigen Beleuchtung über Bühnenausstattung mit einfachen Mitteln - bis hin zu Theatertechniken, etwa, wie man eine Bühne als Einmensch-Show richtig ausfüllt. Buchhaltung, Fördermittel, PR und Organisation stehen ebenfalls auf dem Plan. Fast noch wichtiger sind die Kontakte zwischen den Künsten. Warum sich nicht mal von einer angehenden Kostümbildnerin beraten lassen? Und warum dieser nicht im Austausch mit dem eigenen Körper eine Werbefläche für ihre Arbeit bieten? Warum nicht sich von einem Komponisten etwas schreiben lassen und nachher für den Komponisten schreiben?
So wird der Gemischtwarenladen Künstler in Frankreich dann zum professionellen Einmensch-Unternehmen, zu einer Keimzelle für Kunst und Kultur. Was aus solchen Ansätzen an lebendigem künstlerischen Leben werden kann und wie viel das einem Land gibt, hat man in der Vergangenheit spüren können (und es besteht Hoffnung, dass die manischen Geldstreicher in der Politik überlebt werden). Es führt vor allem aber zu einem großen Unterschied: Wer auf die Frage nach seinem Beruf mit "Künstler" antwortet, wird zwar untersucht, wie professionell er wirklich ist, aber verächtlich oder belustigt reagiert niemand, im Gegenteil! Und das wiederum führt dazu, dass Kunst und Kultur besser angenommen werden, die Angst und die Hemmschwellen nicht so hoch sind. Kein Wunder, wenn man von Kindesbeinen an damit Berührung pflegt.
Die Tendenz zur eierlegenden Wollmilchsau sollte man hier allerdings im Blut haben. Und so prüft die Wollmilchsau, wie sich seiltänzerisch auf den Grenzen europäische Eier legen ließen. Scheinbare Hindernisse als Chancen begreifen und Grenzen einreißen...
Was ich mich dabei frage: Könnte es sein, dass sich Bücher in Zukunft in zwei Richtungen entwickeln können? Auf der einen Seite die immer billiger zu habende Lesefutterware für den schnellen Konsum als Bett- oder Strandlektüre? Und auf der anderen Seite das Buch als kleiner Teil einer ausgeklügelten Eventkultur? Wäre das eine Chance oder ein Risiko?
Was wünschen sich die Autoren, was wünschen sich die Leser?
Und bleibt bei so viel Unternehmergeist noch Raum für den kreativen Künstler?
Und unternehmerisch gedacht: Könnten in dieser Weise Künstler, die wirklich lohnendes Einkommen erwirtschaften, nicht auch in Zukunft Arbeitsplätze schaffen? (Ich denke da spontan an einen Privatsekretär, eine Buchhalterin, eine Putzfrau...)
Ich weiß nicht, wo die Autoren des Buchmesse-Newsletters ihre Einzelfälle aufgegabelt haben und was der wirkliche Grund fürs ehrenamtliche Engagement der genannten Autoren war. Ist Paris ärmer als das Elsass? Ich wollte es jedenfalls genau wissen: Wie ist das in Frankreich?
Gestern war ich bei der Künstlerberatung, die alle Sparten von Künsten unter ihrem Dach vereint, eng mit sämtlichen Kulturorganen und regionalen Institutionen zusammen arbeitet und dazu da ist, Kunst-Unternehmungen und Künstlern im weitesten Sinn zu helfen. Ich sitze da z.B. mit den Komponisten auf einem Bänkchen, weil die und die Schriftsteller in Frankreich einen Sonderstatus haben. Und ich sitze dort deshalb, um einen einen schier unglaublichen Behördendschungel durchschauen zu lernen, weil eine mit Sprache arbeitende Künstlerin die "falsche" Sprache benutzt, mangels Wohnsitz im Muttersprachland dort nicht einmal Bewerbungsmöglichkeiten um die meisten Stipendien und Preise hat, und auch noch via Österreich im Nachbarland arbeitet. So viel Europa sind nicht alle gewohnt.
Wie leben also die Kollegen in Frankreich? Immer schlechter - wie alle Künstler derzeit. Sarkozy streicht fleißig auch noch die letzten Gelder, seine Carla hat ja jetzt genug. Durch die Wirtschaftskrise verabschieden sich Mäzene. Besonders hart trifft es freie Einmann-Produktionen und kleine Unternehmen, aber auch Festivals haben heuer zu knappsen. Vor allem die Vielfalt der Kultur wird ausgedünnt, die von den kleinen, besonderen und mutigen Produktionen lebt. Kommt dazu, dass immer mehr neue Namen bei Büchern auf den Markt geschleudert werden. Und "geschleudert" ist vielleicht das richtige Wort, denn es funktioniert nach dem Prinzip "Friss oder stirb." Originalton der Beraterin: "Wer jetzt noch keinen Namen und regelmäßige Aufträge hat, wird es nicht mehr schaffen. Der Buchmarkt hat zu viel Masse produziert. Unter den Newcomern und Noch-Nicht-Etablierten wird es ein großes Autorensterben geben." Aber auch die ganz Großen bekämen derzeit weniger Aufträge, viele Verlage hätten sich mit ihrer Trendware verrannt. Masse würde auch schneller verramscht als Klasse.
Allein von den Büchern könnten nur etwa 4-5% der Autoren leben. Die meisten hätten immer einen schreibaffinen Beruf gehabt, seien Journalisten, Dozenten, Lehrer, um sich zu ernähren. Ansonsten aber ist ein französischer hauptberuflicher Autor - wie die Kollegen anderswo auch, ein Gemischtwarenladen. Und dieses Konstrukt versuchte ich nun rechtlich, buchhalterisch und vor allem von den Möglichkeiten her zu verstehen. Denn auch ich muss langsam an die Schaffung einer lächerlichen Rente denken. Da sind die Franzosen den Deutschen meilenweit voraus: Freiberufliche Künstler sind sogar arbeitslosenversichert. Wie aber kommt man als Künstler in "normale" Verdienstverhältnisse? In Deutschland hatte man mir geraten, mir "nebenbei" einen "ordentlichen, bürgerlichen" Job zu suchen, um ständig drohende Eventualitäten wie Verlagsverkäufe, fehlende Verträge, Verzögerungen etc. auffangen zu können.
Sie lächelt mich an, grinst, deutet auf meinen Lebenslauf, den sie fast auswendig kennt, und sagt trocken: "Keine Chance." Um Himmels Willen, bin ich so schlecht und unfähig? Sie lacht wieder. Nein, ich hätte dazu nicht das Profil, viel zu überqualifiziert fürs Jobben. Ich sollte mich mal mit dem Gedanken vertraut machen, lebenslänglich Künstlerin zu bleiben. Aber eben auf die französische Art.
Und über die staunte ich nicht schlecht. Ich bekam dann nämlich eine Liste, was französische Kollegen in ihrem Gemischtwarenladen so alles anbieten. Bezahlte Lesungen standen ganz oben - ja, da war das Wort Honorar eindeutig aufgeführt. Weil das aber als "droit d'auteur" abgerechnet wird, fällt es vielleicht in der Statistik nicht auf. Besser bezahlt werden Autoren, wenn sie statt der Lesung richtigen Mehrwert bieten. Sei es, dass man aus einer drögen Buchhandelslesung einen richtig dollen Auftritt macht, womöglich mit anderen Künstlern zusammen. Die Berührungsängste zwischen den Künsten sind geringer, man tauscht sich aus, arbeitet miteinander - bildet so mehr Veranstaltungsmöglichkeiten.
Sehr begehrt sind die "conférènces", die richtig gut etwas einbringen. Sachbuchautoren haben es leichter, aber auch Romanautoren arbeiten auf diesem Sektor. Autoren als Fachfrauen und Fachmänner sprechen mit Diskussionsrunde überall, wo ihr Thema passt und anderen etwas geben könnte - vor Krankenschwestern oder Kommunalpolitikern, Förstern oder Firmen, halb öffentlich oder für die gesamte Landbevölkerung, live oder im Fernsehen. Es ist erstaunlich, was man aus seinen Buchthemen alles machen kann, wie viel Wissen da zu teilen ist. Aber dieser Job will gelernt sein!
Und weil Wissensteilen in Frankreich bereits von frühen Kindesbeinen an beginnt, gehen Autoren in Vorschulen, Schulen oder Jugendgruppen, unterrichten theoretisch oder noch lieber praktisch, zeigen Kindern ihren Beruf und stellen Bücher mit ihnen her. Natürlich bezahlt, was sonst (und hier streicht Sarko derzeit am schlimmsten). Das machen übrigens auch andere Künstler: Maler, Comiczeichner, Schauspieler, Tänzer. Eine der Einnahmequellen ist es, die Bevölkerung an der Basis an die Künste heranzuführen, sie spielerisch ausprobieren zu lassen und Talente früh zu fördern. Bezahlt wird nicht durch die Schulen oder Bevölkerung, sondern durch Fördergelder, die diese beantragen. Was aus einer Geselllschaft werden könnte, die sich solche praktische Kunst-Bildung nicht mehr leistet, ist derzeit in Frankreich Tagesgespräch unter Betroffenen.
Kommen hinzu all die Arbeiten an Texten, Lektorat oder Übersetzungen, deren Können man sich aneignen kann.Und auch hier ist es wie in anderen Ländern - solche Arbeiten erledigt man besser bezahlt in der freien Wirtschaft als bei Verlagen. Hat jemand pädagogische Fähigkeiten, kann er außerdem für Schulungen arbeiten. Viel lässt sich hier vorstellen: Von der Aufgabe, Managern eine verständliche Sprache beizubringen, bis hin zu lustigeren Ideen - wie einem Kaffeekränzchen das professionelle Geschichtenerzählen zu lehren.
Kurzum: Schriftsteller in Frankreich sind, was ihre eigentliche Arbeit und Kulturleistung betrifft (Bücher schreiben), ähnlich unterbezahlt wie die Kollegen in anderen Ländern. Aber sie arbeiten keineswegs umsonst - es sei denn, sie verfolgen gezielt den Zweck von Charity oder Werbeeffekten. Ausnahmen mag es geben, aber es verschenken sich allenfalls die einmal, die genug haben. Die anderen kämpfen immer härter ums Überleben.
Was mich hier außerdem fasziniert: Professionelle Autoren sind sehr viel professioneller als die deutschen Kollegen. Und das wird auch von ihnen erwartet. "Sie machen Lesungen, haben Sie denn eine Sprechausbildung?" Es mag die Nuschler im schwarzen Rollkragenpulli noch geben, aber die Konkurrenz schläft nicht. Ein Autor muss sich öffentlich genauso inszenieren können wie jeder Bühnenkünstler. Kurse werden überall in den Städten angeboten und finanziell gefördert. Denn je besser ein Autor ausgebildet ist, desto weniger liegt er dem Staat einmal auf der Tasche.
Da gibt es nicht nur Sprechausbildung. Man kann auch allerhand Nützliches für Auftritte lernen, von der richtigen Beleuchtung über Bühnenausstattung mit einfachen Mitteln - bis hin zu Theatertechniken, etwa, wie man eine Bühne als Einmensch-Show richtig ausfüllt. Buchhaltung, Fördermittel, PR und Organisation stehen ebenfalls auf dem Plan. Fast noch wichtiger sind die Kontakte zwischen den Künsten. Warum sich nicht mal von einer angehenden Kostümbildnerin beraten lassen? Und warum dieser nicht im Austausch mit dem eigenen Körper eine Werbefläche für ihre Arbeit bieten? Warum nicht sich von einem Komponisten etwas schreiben lassen und nachher für den Komponisten schreiben?
So wird der Gemischtwarenladen Künstler in Frankreich dann zum professionellen Einmensch-Unternehmen, zu einer Keimzelle für Kunst und Kultur. Was aus solchen Ansätzen an lebendigem künstlerischen Leben werden kann und wie viel das einem Land gibt, hat man in der Vergangenheit spüren können (und es besteht Hoffnung, dass die manischen Geldstreicher in der Politik überlebt werden). Es führt vor allem aber zu einem großen Unterschied: Wer auf die Frage nach seinem Beruf mit "Künstler" antwortet, wird zwar untersucht, wie professionell er wirklich ist, aber verächtlich oder belustigt reagiert niemand, im Gegenteil! Und das wiederum führt dazu, dass Kunst und Kultur besser angenommen werden, die Angst und die Hemmschwellen nicht so hoch sind. Kein Wunder, wenn man von Kindesbeinen an damit Berührung pflegt.
Die Tendenz zur eierlegenden Wollmilchsau sollte man hier allerdings im Blut haben. Und so prüft die Wollmilchsau, wie sich seiltänzerisch auf den Grenzen europäische Eier legen ließen. Scheinbare Hindernisse als Chancen begreifen und Grenzen einreißen...
Was ich mich dabei frage: Könnte es sein, dass sich Bücher in Zukunft in zwei Richtungen entwickeln können? Auf der einen Seite die immer billiger zu habende Lesefutterware für den schnellen Konsum als Bett- oder Strandlektüre? Und auf der anderen Seite das Buch als kleiner Teil einer ausgeklügelten Eventkultur? Wäre das eine Chance oder ein Risiko?
Was wünschen sich die Autoren, was wünschen sich die Leser?
Und bleibt bei so viel Unternehmergeist noch Raum für den kreativen Künstler?
Und unternehmerisch gedacht: Könnten in dieser Weise Künstler, die wirklich lohnendes Einkommen erwirtschaften, nicht auch in Zukunft Arbeitsplätze schaffen? (Ich denke da spontan an einen Privatsekretär, eine Buchhalterin, eine Putzfrau...)
20. Mai 2009
folie à deux
In Frankreich kann man an unterschiedlichen Sorten von "folie" leiden. Im schlimmsten Fall muss man damit in die Psychiatrische. Im freundlicheren Wortsinn bedeutet "folie", dass der gesunde Menschenverstand ab und zu einmal Urlaub einreicht. "Folie" ist aber auch eng an Leidenschaft und Begeisterung geknüpft. So kann man z.B. eine "folie à livres" haben - eine Krankheit, die einem kein Arzt der Welt freiwillig kuriert und keine Krankenkasse zahlt - denn wer ohne Unterlass dringend Bücher sammeln und lesen muss, ist selbst schuld. Und natürlich gibt es im angeblichen Land der Liebe auch die "folie à deux", so etwas wie eine Liebesbeziehung zwischen zweien, die vor Leidenschaft bersten und den Verstand in Dauerurlaub an die Cote d'Azur geschickt haben.
Ich leide an einer Sonderform, die nicht im Wörterbuch steht. Ich habe die "folie à deux" mit dem jeweiligen Buch, an dem ich schreibe. Das führt zu unkontrollierten Handlungen im wahren Leben und Spinnereien um erfundene Geschichten. So brauchte ich letztens dringend ein adäquates Kleid für einen Auftritt im edlen Jugendstil-Rosengarten. Was Einkaufen betrifft, habe ich aber scheinbar nur männliche Gene - ich hasse es. Ach, dachte ich, das bestelle ich jetzt im Internet, ratzfatz.
Ich muss ausholen. Ich schwärme schon immer für eine bestimmte Mode der 1910er, 1920er. Jetzt, mit dem Projekt über die Ballets Russes habe ich einen Modeschöpfer entdeckt, der zu jenem Freundeskreis gehörte und womöglich sogar Mäzen war. Er selbst ließ sich von den Kostümen der Ballets Russes inspirieren: Paul Poiret. Als ich bei den Recherchen auf Bilder seiner Modelle stieß, war ich hin und weg. Ich gäbe etwas darum, nähen zu können! Und wie schön man das modernisieren könnte! Aber unsereins bestellt halt 2009 schnöde aus dem französischen Katalog. Und dann das Erstaunen - Ein Schnitt wie bei Poiret. Komisches Unterbewusstsein...
Folie wird das aber erst bei Aktionen wie heute. Ich brauche für das Kleid in Grautönen noch irgendeinen Windschutz für alle Fälle. Jäckchen, Stola, Tuch? Aber ich kaufe ja nicht gern ein, ich werde schon etwas im Schrank finden. Heute morgen dann ein anstrengender Termin in Strasbourg. Höllenverkehr wegen der Trambaustellen. Wie versüße ich mir einen derart verlorenen Tag? Meldet sich irgendein unterentwickeltes Einkaufsgen, das für sein Leben gern in einem uralten Jugenstil(aha!)-Kaufhaus in Stoffen wühlt. Das kann ich stundenlang...
Irgendeine Stimme (typisch: immer auf andere schieben) sagte mir: Du gehst da jetzt hin, findest hier und jetzt den ultimativen Stoff für eine graue Stola. Und du denkst ganz fest, du wärst bei den Ballets Russes, sagen wir mal 1910. Du findest!
Madame betritt den Laden, zieht eine Schnute, weil die diesjährige Mode in Frankreich offensichtlich trist sein soll, amüsiert sich in der extremen Lurex-Glitzer-Pailettenabteilung und sieht eine dicke hohe Säule neben den schmiedeeisernen Geländern stehen. Fehlte obenauf nur der riesige Farn, dann hätte die Säule mit ihrer Stoffverkleidung aus dem Grandhotel Des Bains am Lido von Venedig sein können. Das ist dieser Luxuskasten, in dem Nijinsky Urlaub gemacht und Visconti seinen "Tod in Venedig" gedreht hat.
Was Dekorationen und Inszenierungen von Räumen betrifft, bin ich immer neugierig. Und wie ich so plötzlich mit Lesebrillenmodus an die Sache herangehe, entdecke ich, dass das gar keine mit Stoff verkleidete Säule ist! Sondern nur eine spezielle Rolle mit Spannvorrichtung, auf die man Pannésamt wickelt. Der war grau und der Wahnsinn (hier sind wir bei der deutschen Übersetzung von folie). Wellenprägung. Und ein nachgemachtes Ausbrennmuster mit Blumen ... so um 1910. Belle Epoque pur.
Ich wickelte zur Probe, je nach Licht ist er silbrig-grau oder hat einen rosaperlmuttfarbenen oder sanft lilagrauen Schimmer. Ein Traum. Als ich an der Kasse schon den passenden Faden verlangte, kam mein gesunder Menschenverstand durch den Laden gerannt. Ich hätte vergessen, nach dem Preis zu fragen, ich Verrückte! So eine folie kann schließlich auch darin ausarten, dass man mehr Geld ausgibt, als man besitzt. Owei. Aber wenn irgendetwas, irgendein Stoff heute noch dieser Atmosphäre der Kostüme der Ballets Russes nahekommt, dann dieser! Was, wenn er schon geschnitten und nicht bezahlbar wäre?
Sechs Euro zwanzig der Meter, sagte die Verkäuferin. Und wunderte sich, dass ich ihr einen besonders wundervollen Tag wünschte.
Ich leide an einer Sonderform, die nicht im Wörterbuch steht. Ich habe die "folie à deux" mit dem jeweiligen Buch, an dem ich schreibe. Das führt zu unkontrollierten Handlungen im wahren Leben und Spinnereien um erfundene Geschichten. So brauchte ich letztens dringend ein adäquates Kleid für einen Auftritt im edlen Jugendstil-Rosengarten. Was Einkaufen betrifft, habe ich aber scheinbar nur männliche Gene - ich hasse es. Ach, dachte ich, das bestelle ich jetzt im Internet, ratzfatz.
Ich muss ausholen. Ich schwärme schon immer für eine bestimmte Mode der 1910er, 1920er. Jetzt, mit dem Projekt über die Ballets Russes habe ich einen Modeschöpfer entdeckt, der zu jenem Freundeskreis gehörte und womöglich sogar Mäzen war. Er selbst ließ sich von den Kostümen der Ballets Russes inspirieren: Paul Poiret. Als ich bei den Recherchen auf Bilder seiner Modelle stieß, war ich hin und weg. Ich gäbe etwas darum, nähen zu können! Und wie schön man das modernisieren könnte! Aber unsereins bestellt halt 2009 schnöde aus dem französischen Katalog. Und dann das Erstaunen - Ein Schnitt wie bei Poiret. Komisches Unterbewusstsein...
Folie wird das aber erst bei Aktionen wie heute. Ich brauche für das Kleid in Grautönen noch irgendeinen Windschutz für alle Fälle. Jäckchen, Stola, Tuch? Aber ich kaufe ja nicht gern ein, ich werde schon etwas im Schrank finden. Heute morgen dann ein anstrengender Termin in Strasbourg. Höllenverkehr wegen der Trambaustellen. Wie versüße ich mir einen derart verlorenen Tag? Meldet sich irgendein unterentwickeltes Einkaufsgen, das für sein Leben gern in einem uralten Jugenstil(aha!)-Kaufhaus in Stoffen wühlt. Das kann ich stundenlang...
Irgendeine Stimme (typisch: immer auf andere schieben) sagte mir: Du gehst da jetzt hin, findest hier und jetzt den ultimativen Stoff für eine graue Stola. Und du denkst ganz fest, du wärst bei den Ballets Russes, sagen wir mal 1910. Du findest!
Madame betritt den Laden, zieht eine Schnute, weil die diesjährige Mode in Frankreich offensichtlich trist sein soll, amüsiert sich in der extremen Lurex-Glitzer-Pailettenabteilung und sieht eine dicke hohe Säule neben den schmiedeeisernen Geländern stehen. Fehlte obenauf nur der riesige Farn, dann hätte die Säule mit ihrer Stoffverkleidung aus dem Grandhotel Des Bains am Lido von Venedig sein können. Das ist dieser Luxuskasten, in dem Nijinsky Urlaub gemacht und Visconti seinen "Tod in Venedig" gedreht hat.
Was Dekorationen und Inszenierungen von Räumen betrifft, bin ich immer neugierig. Und wie ich so plötzlich mit Lesebrillenmodus an die Sache herangehe, entdecke ich, dass das gar keine mit Stoff verkleidete Säule ist! Sondern nur eine spezielle Rolle mit Spannvorrichtung, auf die man Pannésamt wickelt. Der war grau und der Wahnsinn (hier sind wir bei der deutschen Übersetzung von folie). Wellenprägung. Und ein nachgemachtes Ausbrennmuster mit Blumen ... so um 1910. Belle Epoque pur.
Ich wickelte zur Probe, je nach Licht ist er silbrig-grau oder hat einen rosaperlmuttfarbenen oder sanft lilagrauen Schimmer. Ein Traum. Als ich an der Kasse schon den passenden Faden verlangte, kam mein gesunder Menschenverstand durch den Laden gerannt. Ich hätte vergessen, nach dem Preis zu fragen, ich Verrückte! So eine folie kann schließlich auch darin ausarten, dass man mehr Geld ausgibt, als man besitzt. Owei. Aber wenn irgendetwas, irgendein Stoff heute noch dieser Atmosphäre der Kostüme der Ballets Russes nahekommt, dann dieser! Was, wenn er schon geschnitten und nicht bezahlbar wäre?
Sechs Euro zwanzig der Meter, sagte die Verkäuferin. Und wunderte sich, dass ich ihr einen besonders wundervollen Tag wünschte.
19. Mai 2009
Nijinsky-Fieber
Seit heute ist es offiziell und das Geheimnis gelüftet. Und heute war es passiert - am 19.5.1909, vor genau hundert Jahren.
Ein gerade zwanzigjähriger Russe tanzte in Paris im noch recht konventionellen Ballett "Le Pavillon d'Armide" zur Musik von Tscherepnin und gewann die Herzen der Zuschauer im Sturm. Es war die Geburtsstunde der Ballets Russes und der Anfang der atemberaubenden Karriere von Vaslav Nijinsky. Der als achtes Weltwunder bestaunte "Gott des Tanzes" berührte die Menschen nicht nur von der Bühne aus. Vaslav Nijinskys Leben war eine Existenz der Extreme. Höchster Ruhm, tiefstes Leid, Hochbegabung und dann im Alter von nur 30 Jahren die Zwangseinweisung in die Psychiatrie. Er verschwand für den Rest seines Lebens nach zweifelhaften Diagnosen in teilweise dubiosen Therapien - und auch bedingt durch die Zeitgeschichte in völliger Isolation von der Kunst und Gleichgesinnten. Was der Tänzer und Choreograf, der seiner Zeit weit voraus war, wirklich geleistet hat, tritt erst in den letzten Jahren zutage.
Ich wollte heute ursprünglich erzählen, was mich an Vaslav Nijinsky so fasziniert, aber dann las ich morgens den mitreißenden Artikel seines größten Sammlers und Spezialisten, des Chefchoreografen des Hamburg Balletts, John Neumeier. Ich wollte nur dasitzen und zuhören, vielmehr hinlesen ... (und empfehle das jedem, der etwas von der Faszination spüren will, die Nijinsky noch heute ausübt).
Ich brenne erst seit Spätherbst 2008 im Nijinsky-Fieber, schreibe erst seit Jahreswechsel unter Vertrag, das ist ein Wimpernschlag, nicht mehr.
Und warum brenne ich so? Wie komme ich dazu, über Vaslav Nijinsky zu schreiben? Ich kann es nur so erklären: es fühlt sich an, als würden sich mit diesem Projekt Kreise schließen, deren Anfänge uralt sind. Das ist von Anfang an nie ein "normales" Buch gewesen. Und es ist für mich persönlich ein absoluter Traum, weil ich die Ebene des gedruckten Textes verlassen darf, weil hier Text neben Musik inszeniert wird - gesprochen von einem Schauspieler. Ich glaube, ich darf das laut sagen: Es ist auch für meine Verlegerin ein Traum. So viele Jahre hat sie Nijinsky im Kopf. Und einige Jahre ist sie bereits meine Verlegerin, blieb mir aber immer anonym. Sie hatte in Lizenz das Elsass-Buch zum Hörbuch gemacht.
Wie das Leben manchmal so spielt, liefen wir uns plötzlich ein paar Mal über den Weg. Ob ich mir vorstellen könne, über die Ballets Russes und Vaslav Nijinsky zu schreiben?
Ich erinnere mich nicht mehr genau, wie ich reagiert habe. Natürlich kam mir zuerst in den Sinn, dass ich von Ballett keine Ahnung habe. Ich gehe in die Vorstellungen wie jeder andere Laie auch - so wie ich ins Theater und in Konzerte gehe. Aber ich würde nie als Fachfrau jeden einzelnen Schritt auseinandernehmen können. Wie sollte so eine wie ich über ein Thema aus dem Ballett schreiben können? Aber hatte ich nicht in meiner Ausbildung gelernt, mich in jedes nur erdenkliche Thema einarbeiten zu können? Hatte ich nicht auch über Rosen geschrieben, ohne Gärtnerin zu sein?
Ob mich das interessiere? Mmmmh, ja, Russisches liegt mir sehr. Ich hatte als Kind kyrillische Buchstaben als Geheimschrift gelernt, ging später in einen Russischkurs und erlebe heute die Russen in Baden-Baden, warum eigentlich nicht? Ballets Russes, Moment, wann waren die noch gleich, was war da los? Als meine Verlegerin von den Künstlern, Komponisten und Schriftstellern schwärmte, die mit den Ballets Russes und Nijinsky verbandelt waren, hat es mich gepackt. Das war doch diese Zeit, in die ich schon immer mit der Zeitmaschine fliegen wollte! Meine Lieblingskünstler obendrein. Entweder hatte ich sie in Ausstellungen gesehen oder in Büchern. Und ihre Kunstdrucke hängen an meinen Wänden. Spannend. Ja, über diese Zeit der Avantgarde zu recherchieren, welch ein Vergnügen!
Es gab damals eine feste Clique, die täglich mit Nijinsky und Diaghilew in Paris speiste. Und einer von denen ging mir nicht aus dem Kopf. Er erinnerte mich an etwas. Rostand ... Rostand ... kein Name, den man in deutschen Schulen lernt. Aber genau über den habe ich mir vor über sieben Jahren den Kopf zerbrochen. Ich arbeitete damals mit den BBC an einer DVD über Francis Poulenc und zitierte einen Claude Rostand. Ich erinnere mich noch, wie ich das Zitat ständig gegenprüfte. War das nicht doch Maurice Rostand? Der verkehrte irgendwie mit Cocteau und mit Poulenc, war da nicht so eine hochspannende Clique? Der Regisseur von den BBC seufzte, ja, eine spannende Zeit. Das war damals mit den Russen. Da war Poulenc noch jung, hat auch mit den Ballets Russes gearbeitet.
Ich war fast ein wenig traurig, dass wir uns mit dem älteren Komponisten beschäftigten. Ach, einmal im Leben wieder so ein Projekt, multimedial und aus dem Vollen der Künste geschöpft! Einmal im Leben vielleicht sogar ein Projekt über meine Lieblingszeit, über all diese Leute, die ich seit meiner Schulzeit bewundere und die ich in Frankreich sehr lebendig entdecken durfte. Wassilij Kandinsky, Sonia Delaunay-Terk, Pablo Picasso, Henri Matisse ... und all die anderen, Klimt, Modigliani, Rodin, Bakst, Redon, Kokoschka, Chagall - sie alle haben Vaslav Nijinsky entweder gemalt oder persönlich gekannt. Ganz zu schweigen von Leuten wie Marcel Proust, Hugo von Hoffmannsthal, Igor Strawinsky, Isadora Duncan, Maurice Ravel und all den anderen von den Ballets Russes "gebissenen" Künstlern! Das Abenteuer konnte beginnen.
Ich habe mich also Vaslav Nijinsky über Umwege genähert. Und dann seine Tagebücher gelesen, die er angeblich im Wahn verfasst hat. Es ist eins der Bücher, die mich seit langem tief berührt haben. Hier sprach kein durchgedrehter Tänzer aus der Umnachtung, hier machte sich ein hochsensibler Künstler luzide Gedanken über die Kunst und litt daran, dass man ihm diese große Liebe seines Lebens genommen hatte. In dem Moment gab es kein Zurück mehr für mich. Ich wollte diesen Mann näher kennen lernen.
Nein, das war keine normale Recherche mehr. Nijinsky hat auch mein Leben verändert. Ich habe gelernt, wo ich mich selbst schreibend hinsehne. Ich habe dann die verrückteste Entscheidung meines Lebens getroffen (in den Augen anderer) und einen bereits fast 200 Seiten umfassenden Unterhaltungsroman zurückgezogen. Ich will nicht zur "Schreibmaschine" werden. Dass ich trotz widrigster äußerer Umstände dann noch "nebenbei" ein altes Traumprojekt bearbeitete, habe ich meinem Agenten, meiner Verlegerin - und Nijinsky zu verdanken. Jetzt oder nie - das Leben kann so kurz sein und die Zeiten für Kunst sind nie günstig. Wagen.
Ich habe natürlich noch einen Traum. Ich wünsche mir, diese Begeisterung übertragen zu können. Und ich wünsche mir, als lernende Dilettantin diesem wunderbaren Projekt gewachsen zu sein. Und jetzt trinke ich erst einmal einen Sekt auf Vaslav Nijinsky und die Ballets Russes! Ein großartiger Tag heute.
Ein gerade zwanzigjähriger Russe tanzte in Paris im noch recht konventionellen Ballett "Le Pavillon d'Armide" zur Musik von Tscherepnin und gewann die Herzen der Zuschauer im Sturm. Es war die Geburtsstunde der Ballets Russes und der Anfang der atemberaubenden Karriere von Vaslav Nijinsky. Der als achtes Weltwunder bestaunte "Gott des Tanzes" berührte die Menschen nicht nur von der Bühne aus. Vaslav Nijinskys Leben war eine Existenz der Extreme. Höchster Ruhm, tiefstes Leid, Hochbegabung und dann im Alter von nur 30 Jahren die Zwangseinweisung in die Psychiatrie. Er verschwand für den Rest seines Lebens nach zweifelhaften Diagnosen in teilweise dubiosen Therapien - und auch bedingt durch die Zeitgeschichte in völliger Isolation von der Kunst und Gleichgesinnten. Was der Tänzer und Choreograf, der seiner Zeit weit voraus war, wirklich geleistet hat, tritt erst in den letzten Jahren zutage.
Ich wollte heute ursprünglich erzählen, was mich an Vaslav Nijinsky so fasziniert, aber dann las ich morgens den mitreißenden Artikel seines größten Sammlers und Spezialisten, des Chefchoreografen des Hamburg Balletts, John Neumeier. Ich wollte nur dasitzen und zuhören, vielmehr hinlesen ... (und empfehle das jedem, der etwas von der Faszination spüren will, die Nijinsky noch heute ausübt).
Ich brenne erst seit Spätherbst 2008 im Nijinsky-Fieber, schreibe erst seit Jahreswechsel unter Vertrag, das ist ein Wimpernschlag, nicht mehr.
Und warum brenne ich so? Wie komme ich dazu, über Vaslav Nijinsky zu schreiben? Ich kann es nur so erklären: es fühlt sich an, als würden sich mit diesem Projekt Kreise schließen, deren Anfänge uralt sind. Das ist von Anfang an nie ein "normales" Buch gewesen. Und es ist für mich persönlich ein absoluter Traum, weil ich die Ebene des gedruckten Textes verlassen darf, weil hier Text neben Musik inszeniert wird - gesprochen von einem Schauspieler. Ich glaube, ich darf das laut sagen: Es ist auch für meine Verlegerin ein Traum. So viele Jahre hat sie Nijinsky im Kopf. Und einige Jahre ist sie bereits meine Verlegerin, blieb mir aber immer anonym. Sie hatte in Lizenz das Elsass-Buch zum Hörbuch gemacht.
Wie das Leben manchmal so spielt, liefen wir uns plötzlich ein paar Mal über den Weg. Ob ich mir vorstellen könne, über die Ballets Russes und Vaslav Nijinsky zu schreiben?
Ich erinnere mich nicht mehr genau, wie ich reagiert habe. Natürlich kam mir zuerst in den Sinn, dass ich von Ballett keine Ahnung habe. Ich gehe in die Vorstellungen wie jeder andere Laie auch - so wie ich ins Theater und in Konzerte gehe. Aber ich würde nie als Fachfrau jeden einzelnen Schritt auseinandernehmen können. Wie sollte so eine wie ich über ein Thema aus dem Ballett schreiben können? Aber hatte ich nicht in meiner Ausbildung gelernt, mich in jedes nur erdenkliche Thema einarbeiten zu können? Hatte ich nicht auch über Rosen geschrieben, ohne Gärtnerin zu sein?
Ob mich das interessiere? Mmmmh, ja, Russisches liegt mir sehr. Ich hatte als Kind kyrillische Buchstaben als Geheimschrift gelernt, ging später in einen Russischkurs und erlebe heute die Russen in Baden-Baden, warum eigentlich nicht? Ballets Russes, Moment, wann waren die noch gleich, was war da los? Als meine Verlegerin von den Künstlern, Komponisten und Schriftstellern schwärmte, die mit den Ballets Russes und Nijinsky verbandelt waren, hat es mich gepackt. Das war doch diese Zeit, in die ich schon immer mit der Zeitmaschine fliegen wollte! Meine Lieblingskünstler obendrein. Entweder hatte ich sie in Ausstellungen gesehen oder in Büchern. Und ihre Kunstdrucke hängen an meinen Wänden. Spannend. Ja, über diese Zeit der Avantgarde zu recherchieren, welch ein Vergnügen!
Es gab damals eine feste Clique, die täglich mit Nijinsky und Diaghilew in Paris speiste. Und einer von denen ging mir nicht aus dem Kopf. Er erinnerte mich an etwas. Rostand ... Rostand ... kein Name, den man in deutschen Schulen lernt. Aber genau über den habe ich mir vor über sieben Jahren den Kopf zerbrochen. Ich arbeitete damals mit den BBC an einer DVD über Francis Poulenc und zitierte einen Claude Rostand. Ich erinnere mich noch, wie ich das Zitat ständig gegenprüfte. War das nicht doch Maurice Rostand? Der verkehrte irgendwie mit Cocteau und mit Poulenc, war da nicht so eine hochspannende Clique? Der Regisseur von den BBC seufzte, ja, eine spannende Zeit. Das war damals mit den Russen. Da war Poulenc noch jung, hat auch mit den Ballets Russes gearbeitet.
Ich war fast ein wenig traurig, dass wir uns mit dem älteren Komponisten beschäftigten. Ach, einmal im Leben wieder so ein Projekt, multimedial und aus dem Vollen der Künste geschöpft! Einmal im Leben vielleicht sogar ein Projekt über meine Lieblingszeit, über all diese Leute, die ich seit meiner Schulzeit bewundere und die ich in Frankreich sehr lebendig entdecken durfte. Wassilij Kandinsky, Sonia Delaunay-Terk, Pablo Picasso, Henri Matisse ... und all die anderen, Klimt, Modigliani, Rodin, Bakst, Redon, Kokoschka, Chagall - sie alle haben Vaslav Nijinsky entweder gemalt oder persönlich gekannt. Ganz zu schweigen von Leuten wie Marcel Proust, Hugo von Hoffmannsthal, Igor Strawinsky, Isadora Duncan, Maurice Ravel und all den anderen von den Ballets Russes "gebissenen" Künstlern! Das Abenteuer konnte beginnen.
Ich habe mich also Vaslav Nijinsky über Umwege genähert. Und dann seine Tagebücher gelesen, die er angeblich im Wahn verfasst hat. Es ist eins der Bücher, die mich seit langem tief berührt haben. Hier sprach kein durchgedrehter Tänzer aus der Umnachtung, hier machte sich ein hochsensibler Künstler luzide Gedanken über die Kunst und litt daran, dass man ihm diese große Liebe seines Lebens genommen hatte. In dem Moment gab es kein Zurück mehr für mich. Ich wollte diesen Mann näher kennen lernen.
Nein, das war keine normale Recherche mehr. Nijinsky hat auch mein Leben verändert. Ich habe gelernt, wo ich mich selbst schreibend hinsehne. Ich habe dann die verrückteste Entscheidung meines Lebens getroffen (in den Augen anderer) und einen bereits fast 200 Seiten umfassenden Unterhaltungsroman zurückgezogen. Ich will nicht zur "Schreibmaschine" werden. Dass ich trotz widrigster äußerer Umstände dann noch "nebenbei" ein altes Traumprojekt bearbeitete, habe ich meinem Agenten, meiner Verlegerin - und Nijinsky zu verdanken. Jetzt oder nie - das Leben kann so kurz sein und die Zeiten für Kunst sind nie günstig. Wagen.
Ich habe natürlich noch einen Traum. Ich wünsche mir, diese Begeisterung übertragen zu können. Und ich wünsche mir, als lernende Dilettantin diesem wunderbaren Projekt gewachsen zu sein. Und jetzt trinke ich erst einmal einen Sekt auf Vaslav Nijinsky und die Ballets Russes! Ein großartiger Tag heute.
Heute ist DER Tag
Was bin ich aufgeregt. Schon der Morgen war anders. Monsieur Hund zog mich mit umwerfendem Charme aus dem Bett, offensichtlich kann er Gedanken lesen, dass ich früh am Schreibtisch sitzen wollte. Nachdem ich gestern in der Nacht auch dort saß. Plötzlich geht alles so schnell. Ein Autorenfoto muss fort, die ersten Coverentwürfe schneien herein. Ein französisches Museum hält es nicht einmal für nötig, auf Anfragen zu reagieren (komm ich heut nit, komm ich morgen), es lässt sich aber umdisponieren. Daneben soll der Text ausgehfein gefeilt werden. Das passiert in letzten Korrekturen heute. Denn heute fliegt er zum Verlag... weil heute eben heute ist. Schon die Morgenluft roch wie Sommerchampagner.
Wer mein kryptisches Blabla über hat, drücke mir einfach die Daumen, dass ich mein Pensum schnell schaffe. Dann schreibe ich heute noch einen Beitrag, was heute wirklich los ist. Oder los war?
Wer mein kryptisches Blabla über hat, drücke mir einfach die Daumen, dass ich mein Pensum schnell schaffe. Dann schreibe ich heute noch einen Beitrag, was heute wirklich los ist. Oder los war?
18. Mai 2009
Autorenschulung
Herrlich - eben das absolute Schulungsvideo für Autorinnen und Autoren gefunden - via zappadong. Einfach einüben und nachmachen!!! (Geheimtipp: Es funktioniert auch auf Deutsch):
Zwangspause
Wenn es sein muss, binde ich mich jetzt an diesem Stuhl fest und zwinge mich, den Milchkaffee zu trinken. Liebe Autorin, wir schreiben das Jahr 2009. Zwotausendundneun. Huhu! Nein, du sitzt nicht auf einem Plüschsessel. Das ist ein Bürostuhl. Ich weiß auch gar nicht, wieso du schwitzt wie nach einem Jogginglauf, du hast doch nur deine Finger bewegt! Du solltest mit Leuten telefonieren, Rasen mähen und deine Nachbarin nicht so kurz angebunden grüßen. Huhu! 2009 is speaking ...
Glaubt einem keiner, wie körperlich anstrengend Schreiben sein kann. Und welch ein Rausch. Diesmal ist das Landen wirklich nicht einfach. Ich soll einen Lesetext herausgeben. Schlimm genug, dass man so ein komisches Sensibelchen ist und bei unfertigen Arbeiten bei jedem nur erdenklichen "Fremdleser" das Flattern bekommt. Ich werfe mit Nonchalance meine Entwürfe in Richtung Agentur, könnte sie mit Todesverachtung vor Tante Erna lesen und habe vor meiner Verlegerin nur ein Atemproblem, weil ich denke, ich könne vor Aufregung falsch atmen. Alles kein Problem, weil es im Treibhaus geschieht. Aber den Text in den Wind entlassen?
Dann habe ich gestern den größten Fehler begangen, den man sich in der kreativen Phase antun kann. Ich war meine andere Seite, die Journalistin. Fakten, Analyse, Querlesen von anderen. Es wurde immer mehr. Kaum hatte ich einen langen Artikel gelesen, fand ich den nächsten. Musste lesen statt schreiben bis zur völligen Erschlaffung. Ich hätte wissen sollen, was dann passiert: Man selbst schrumpft zusammen. Weil man als Autor dieses überlebenswichtige Selbstzweifel-Gen besitzt, weil einem nie genügt, was man schafft. Das ist gesund, damit man wächst, sich dauerhaft anstrengt, über die eigenen Grenzen strebt.
Aber es ist überaus gefährlich, wenn es einen dazu bringt, zu glauben, man könne eigentlich nichts. Das ist mir am Sonntag passiert, nachdem ich meinen Blogbeitrag geschrieben hatte. Was kann ich eigentlich, was andere nicht besser können? Wozu Dinge aufwärmen, die jeder schon einmal gehört hat, die anscheinend sowieso jeder kannte außer mir? Was soll ich mich messen - bin ich vielleicht vermessen? - Solche Fragen führen zu nichts. Sie lähmen. Weil man sogar im Sich-Kleinmachen absolut betriebsblind ist. Scheherazade hat es auch nicht bei 1000 Geschichten belassen. Sie hat unbedingt noch die 1001. Nacht erzählen müssen...
Und plötzlich ging es wieder, aber wie! Es fing damit an, dass ich in England in ein tiefes Zeitloch fiel. Also die Journalistin in mir stand plötzlich - virtuell - in einem Zeitungsarchiv von anno dazumal. Auf einmal war ich wieder dabei. Las Briefe, Kritiken, erlebte hochkochende Emotionen ... schlich an meinen Laptop, versank als Autorin in einem uralten Plüschsessel, der mein Bürostuhl war - und tippte, als hinge mein Leben daran. Ich war weg, in Schreibtrance. Auf einmal war ich dem Gewebe meiner Geschichte wieder so nah, dass ich an den richtigen Fäden ziehen konnte, hier eine Perle aufsticken und dort einen Saum auslassen.
Jetzt, wo ich besorgt alles doppelt und dreifach abgesichert habe (am Sonntag verschwand auch noch durch Blitzschlag meine Datei, die ich dann durch Zufall auf der Festplatte meiner Kamera gerettet fand!) - jetzt erinnere ich mich grob, worüber ich geschrieben habe. Aber der Text fühlt sich an wie diktiert. War ich das? Kann ich so schreiben? Wollte ich das? Bin ich so? - Solche Texte lektorieren sich am schönsten. Man langweilt sich nicht bei den Korrekturen, sondern entdeckt ständig Neues. Um dann gleich die dumme Angst zu bekommen: Ist das wiederholbar? Werde ich diesen Zustand bis zum Schluss halten können? Was, wenn mir vor dem letzten Kapitel die Luft ausgeht?
Hatten wir das nicht schon? Diese überflüssigen Fragen! Ich lerne das nie. Aber es könnte doch sein ... Steigern, meine Liebe, steigern! Immer noch ein bißchen mehr - das muss gehen ... Und was, wenn ich mir nur einbilde, dass der Text so funktioniert?
Tja, was hat dieser Text, was andere nicht haben? Er ist von einer Dilettantin geschrieben. Was sie an Wissen und Können noch nicht hat, macht sie mit den zwei L: Liebe und Leidenschaft. Aber reicht das? Kommt Kunst nicht von Können? Hat Scheherazade je die 1002. Geschichte erzählt?
Es gibt nur eine Antwort: Kaffeetrinken, Landen, Lektorieren. Und morgen mit einem coolen oder zittrigen Mausklick einfach weg damit. Wie ich mich fühle, sieht ja zum Glück keiner. Fliegen lassen.
Welch Segen, diese Technik! Was waren das noch für Zeiten, als man mit dem Mauskript zur Post fahren musste und tagelang zweifelte, ob man das richtige Papier, die richtige Schrift gewählt hatte. Als man um Einschreiben mit Rückantworten bangte, als könnten sie sich unterwegs in Luft auflösen. Als man furchtsam wartete, dass keine Putzfrau das Papier vom wichtigsten aller Schreibtische wischte. Als man fast sicher war, dass die Post dieses eine Mal viel zu lange brauchen würde. Jetzt bin ich mir wenigstens nur sicher, dass der Computer abstürzen könnte. Und meine Maus versterben ...
Ich drucke das jetzt aus. Für alle Fälle. Ob ich das richtige Papier habe?
Glaubt einem keiner, wie körperlich anstrengend Schreiben sein kann. Und welch ein Rausch. Diesmal ist das Landen wirklich nicht einfach. Ich soll einen Lesetext herausgeben. Schlimm genug, dass man so ein komisches Sensibelchen ist und bei unfertigen Arbeiten bei jedem nur erdenklichen "Fremdleser" das Flattern bekommt. Ich werfe mit Nonchalance meine Entwürfe in Richtung Agentur, könnte sie mit Todesverachtung vor Tante Erna lesen und habe vor meiner Verlegerin nur ein Atemproblem, weil ich denke, ich könne vor Aufregung falsch atmen. Alles kein Problem, weil es im Treibhaus geschieht. Aber den Text in den Wind entlassen?
Dann habe ich gestern den größten Fehler begangen, den man sich in der kreativen Phase antun kann. Ich war meine andere Seite, die Journalistin. Fakten, Analyse, Querlesen von anderen. Es wurde immer mehr. Kaum hatte ich einen langen Artikel gelesen, fand ich den nächsten. Musste lesen statt schreiben bis zur völligen Erschlaffung. Ich hätte wissen sollen, was dann passiert: Man selbst schrumpft zusammen. Weil man als Autor dieses überlebenswichtige Selbstzweifel-Gen besitzt, weil einem nie genügt, was man schafft. Das ist gesund, damit man wächst, sich dauerhaft anstrengt, über die eigenen Grenzen strebt.
Aber es ist überaus gefährlich, wenn es einen dazu bringt, zu glauben, man könne eigentlich nichts. Das ist mir am Sonntag passiert, nachdem ich meinen Blogbeitrag geschrieben hatte. Was kann ich eigentlich, was andere nicht besser können? Wozu Dinge aufwärmen, die jeder schon einmal gehört hat, die anscheinend sowieso jeder kannte außer mir? Was soll ich mich messen - bin ich vielleicht vermessen? - Solche Fragen führen zu nichts. Sie lähmen. Weil man sogar im Sich-Kleinmachen absolut betriebsblind ist. Scheherazade hat es auch nicht bei 1000 Geschichten belassen. Sie hat unbedingt noch die 1001. Nacht erzählen müssen...
Und plötzlich ging es wieder, aber wie! Es fing damit an, dass ich in England in ein tiefes Zeitloch fiel. Also die Journalistin in mir stand plötzlich - virtuell - in einem Zeitungsarchiv von anno dazumal. Auf einmal war ich wieder dabei. Las Briefe, Kritiken, erlebte hochkochende Emotionen ... schlich an meinen Laptop, versank als Autorin in einem uralten Plüschsessel, der mein Bürostuhl war - und tippte, als hinge mein Leben daran. Ich war weg, in Schreibtrance. Auf einmal war ich dem Gewebe meiner Geschichte wieder so nah, dass ich an den richtigen Fäden ziehen konnte, hier eine Perle aufsticken und dort einen Saum auslassen.
Jetzt, wo ich besorgt alles doppelt und dreifach abgesichert habe (am Sonntag verschwand auch noch durch Blitzschlag meine Datei, die ich dann durch Zufall auf der Festplatte meiner Kamera gerettet fand!) - jetzt erinnere ich mich grob, worüber ich geschrieben habe. Aber der Text fühlt sich an wie diktiert. War ich das? Kann ich so schreiben? Wollte ich das? Bin ich so? - Solche Texte lektorieren sich am schönsten. Man langweilt sich nicht bei den Korrekturen, sondern entdeckt ständig Neues. Um dann gleich die dumme Angst zu bekommen: Ist das wiederholbar? Werde ich diesen Zustand bis zum Schluss halten können? Was, wenn mir vor dem letzten Kapitel die Luft ausgeht?
Hatten wir das nicht schon? Diese überflüssigen Fragen! Ich lerne das nie. Aber es könnte doch sein ... Steigern, meine Liebe, steigern! Immer noch ein bißchen mehr - das muss gehen ... Und was, wenn ich mir nur einbilde, dass der Text so funktioniert?
Tja, was hat dieser Text, was andere nicht haben? Er ist von einer Dilettantin geschrieben. Was sie an Wissen und Können noch nicht hat, macht sie mit den zwei L: Liebe und Leidenschaft. Aber reicht das? Kommt Kunst nicht von Können? Hat Scheherazade je die 1002. Geschichte erzählt?
Es gibt nur eine Antwort: Kaffeetrinken, Landen, Lektorieren. Und morgen mit einem coolen oder zittrigen Mausklick einfach weg damit. Wie ich mich fühle, sieht ja zum Glück keiner. Fliegen lassen.
Welch Segen, diese Technik! Was waren das noch für Zeiten, als man mit dem Mauskript zur Post fahren musste und tagelang zweifelte, ob man das richtige Papier, die richtige Schrift gewählt hatte. Als man um Einschreiben mit Rückantworten bangte, als könnten sie sich unterwegs in Luft auflösen. Als man furchtsam wartete, dass keine Putzfrau das Papier vom wichtigsten aller Schreibtische wischte. Als man fast sicher war, dass die Post dieses eine Mal viel zu lange brauchen würde. Jetzt bin ich mir wenigstens nur sicher, dass der Computer abstürzen könnte. Und meine Maus versterben ...
Ich drucke das jetzt aus. Für alle Fälle. Ob ich das richtige Papier habe?