Analog zu den Hundstagen geht es weiter mit einem skurrilen Fundstück. Heute haben wir es mit Buchtiteln. So langsam übertreffen sich die Titel-Erfinder sogenannter "-in Romane" gegenseitig. Da erscheint doch Ende des Jahres ernsthaft ein Titel wie "Die Ritterin des Königs". Na, wenn das keinin Hosenrollin ist! Kartenspielerinnen wünschen sich gleich "Die Bubin der Königin" hintennach.
Hündinnentaginnen, verd-amme-te Hitzin, kann frau da nur noch stöhnen. Ob Frau Trömel-Plötz sich das je hätte träumen lassen?
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31. Juli 2008
Bayernkrimi
Vor allem in der Sommerzeit, wo man Unterhaltung etwas leichter liebt, sind bayrische Krimis beliebt. Die zugehörigen Fernsehermittler vermitteln in ihrer Dickleibigkeit und einem Leben zwischen kühlem Bier und warmen Kuhaugen denn auch das richtige Quentchen Trägheit, das man sich in diesen Hundstagen wünscht. Man darf sich schmunzelnd zurücklehnen und abwarten, ob die Renzi oder der Alois den Hintergruber im Odelloch ertränkt haben.
Zu Recht beschwert sich die Polizei des Öfteren, dass ihre Arbeit im Fernsehen und in Büchern nicht realistisch dargestellt wird. Krimifiktionen sind nun einmal Erfindungen, die eher dramaturgischen Notwendigkeiten gehorchen als deutschen Beamtenvorschriften. Wie aber sind nun die Ermittlungsbehörden in Wirklichkeit?
Die Bayern - diesmal die realen - haben jetzt das Sommerloch genutzt, um endlich einmal zu beweisen, was ein fescher Ermittler ist. Und weil sie sonst anscheinend in diesen Tagen nichts Wichtigeres zu tun hatten, begaben sie sich direkt in die Welt, von der auch Ermittler nicht unbedingt Ahnung zu haben scheinen. Die Welt der Menschen, die mit Fiktionen arbeiten. Strafrecht oder Urheberrecht, welch eine Frage!
Tatort: Random House. Hauptpersonen: ein anordnender Generalstaatsanwalt, eine gruppenleitende Staatsanwältin, zwei Kriminalhauptkommissare. Das Verbrechen: ein Hirngespinst aus feinen Elfenfäden. Genre: bayrische Realkrimisatire. Untergenre: Beamtenschwank. Die ganze unglaubliche Geschichte gibt's hier!
Hätte sich ein Krimiautor ähnliches ausgedacht, wären die Ermittlungsbeamten der Nation wieder einmal entsetzt gewesen. Nein, so wie in Ihrem erfundenen Krimi sind wir doch nicht! So fesch und forsch kann doch nicht einmal die bayrische Staatsanwaltschaft sein! Gehen Sie noch einmal an Szene drei, wir haben doch keinen Polizeistaat, lieber Autor! Wir bitten Sie, lieber Krimiautor, wir würden doch nie mit solch unverhältnismäßigen Mitteln wie in Ihrem Krimi, mit solchen Wissenslücken, und in den Hundstagen schon gar nicht! Als ob es nichts Wichtigeres zu tun gäbe.
Nein, lieber Krimiautor, das müssen Sie noch einmal umschreiben, Dramaturgie hin oder her. Und überhaupt, wer liest denn heutzutage derart skurrile und überzeichnete Kriminalromane! Bitte, lieber Krimiautor, bleiben Sie auf dem Boden, Hitze hin oder her, bleiben Sie realistisch!
Meine Meinung: Wunderbar, dass dieser Plot zum Abschuss freigegeben... äh veröffentlicht wurde. Daraus lassen sich die herrlichsten Krimis und Thriller stricken. Jedem Krimiautor wird es ein höllisches Vergnügen bereiten, zu mutmaßen, wie es zur Ausgangskonstellation kommen konnte... Perfekte Dramaturgie! Und diese Figuren! Aber vorher unbedingt abklären, ob nicht schon einer der Beteiligten das Manuskript für eine Comedy-Show vorgelegt hat...
Zu Recht beschwert sich die Polizei des Öfteren, dass ihre Arbeit im Fernsehen und in Büchern nicht realistisch dargestellt wird. Krimifiktionen sind nun einmal Erfindungen, die eher dramaturgischen Notwendigkeiten gehorchen als deutschen Beamtenvorschriften. Wie aber sind nun die Ermittlungsbehörden in Wirklichkeit?
Die Bayern - diesmal die realen - haben jetzt das Sommerloch genutzt, um endlich einmal zu beweisen, was ein fescher Ermittler ist. Und weil sie sonst anscheinend in diesen Tagen nichts Wichtigeres zu tun hatten, begaben sie sich direkt in die Welt, von der auch Ermittler nicht unbedingt Ahnung zu haben scheinen. Die Welt der Menschen, die mit Fiktionen arbeiten. Strafrecht oder Urheberrecht, welch eine Frage!
Tatort: Random House. Hauptpersonen: ein anordnender Generalstaatsanwalt, eine gruppenleitende Staatsanwältin, zwei Kriminalhauptkommissare. Das Verbrechen: ein Hirngespinst aus feinen Elfenfäden. Genre: bayrische Realkrimisatire. Untergenre: Beamtenschwank. Die ganze unglaubliche Geschichte gibt's hier!
Hätte sich ein Krimiautor ähnliches ausgedacht, wären die Ermittlungsbeamten der Nation wieder einmal entsetzt gewesen. Nein, so wie in Ihrem erfundenen Krimi sind wir doch nicht! So fesch und forsch kann doch nicht einmal die bayrische Staatsanwaltschaft sein! Gehen Sie noch einmal an Szene drei, wir haben doch keinen Polizeistaat, lieber Autor! Wir bitten Sie, lieber Krimiautor, wir würden doch nie mit solch unverhältnismäßigen Mitteln wie in Ihrem Krimi, mit solchen Wissenslücken, und in den Hundstagen schon gar nicht! Als ob es nichts Wichtigeres zu tun gäbe.
Nein, lieber Krimiautor, das müssen Sie noch einmal umschreiben, Dramaturgie hin oder her. Und überhaupt, wer liest denn heutzutage derart skurrile und überzeichnete Kriminalromane! Bitte, lieber Krimiautor, bleiben Sie auf dem Boden, Hitze hin oder her, bleiben Sie realistisch!
Meine Meinung: Wunderbar, dass dieser Plot zum Abschuss freigegeben... äh veröffentlicht wurde. Daraus lassen sich die herrlichsten Krimis und Thriller stricken. Jedem Krimiautor wird es ein höllisches Vergnügen bereiten, zu mutmaßen, wie es zur Ausgangskonstellation kommen konnte... Perfekte Dramaturgie! Und diese Figuren! Aber vorher unbedingt abklären, ob nicht schon einer der Beteiligten das Manuskript für eine Comedy-Show vorgelegt hat...
30. Juli 2008
Kopfgeschichten
An manchen Tagen verachte ich eine gewisse Schriftstellerfähigkeit. Mein Kopf ist 24 Stunden am Tag damit beschäftigt, aus dem kleinsten Anblick, der kleinsten Assoziation, Geschichten zu erfinden. Die Kassiererin im Supermarkt ist fahrig - ich überlege, was sie am Morgen erlebt haben mag. Ein Mensch kommt mir entgegen - ich erfinde ihm einen Beruf und einen Kurzlebenslauf. Aus dem Asphalt ragt ein einsamer Löwenzahn - ich stelle mir eine futuristische Welt vor, in der Riesenlöwenzahnpflanzen die Herrschaft übernommen haben und sich Menschen als Gärtner halten. Und nachts im Traum kämpft dann vielleicht die Kassiererin mit dem Löwenzahn um eine Kröte, in die sich beide verliebt haben.
Und wenn ich Zahnschmerzen habe, tickt diese Erzählmanie weiter. Dann kommen zuerst die Erinnerungen, an die ich mich nicht mehr erinnern möchte. An eine zweifelhafte Zahnklinik in Warschau, wo ich so verpfuscht wurde, dass mich nur noch der nächste 2000-km-Flug zum Spezialisten rettete. Vorher witzelten wir noch, dass die angebliche Luxusklinik von einem amerikanischen Friseur gegründet worden war. Ich habe die Rechnung dort bis heute nicht bezahlt und kann nur raten: Mit Zähnen nie zum amerikanischen "Bader" gehen!
Tja, und dann fällt im völlig schief gewachsenen Weisheitszahn die Plombe heraus, unzugängliches Riesenloch, Schmerz. Die haben sie damals mit speziellen Geräten für Kinder eingesetzt. Und wie immer in solchen Panikfällen muss ich zur Urlaubsvertretung meines Zahnarztes. Schriftstellerei ist eine Krankheit. Allein wie ich mir diesen unbekannten Zahnarzt vorgestellt habe, würde drei Horrorromane mit Personal füllen. Natürlich konnte ich dann in meinen übelsten Alpträumen Französisch nur noch stammeln und man sagte mir, dass so ein Zahn eine Sache für den Chirurgen sei. Zwei Tage lang wurde ich des Nachts in zwielichtigen Operationssälen aufgeschnitten. Und gestern erzählt mir ausgerechnet noch eine Freundin am Telefon, wie sie eine Wurzelresektion von außen bekam, chirurgisch. "Mit sooooo'nem Loch". Weitere schauderhafte Geschichten erfinde ich natürlich bis ins Wartezimmer... Wer mich hirnerweicht und dämlich kennenlernen will, begleite mich zum Zahnarzt!
Und dann das Wunder. Das Wunder der Fiktion. Realität ist zum Glück immer anders als jeder Schauerroman im Kopf. Der Zahnarzt freundlich und sympathisch wie der Weihnachtsmann persönlich, absolut beruhigend - und babbelt schönstes Elsässisch. Und wie er mir sagt, dass da nichts zu retten sei, wollen die Kopfgeschichten fast wieder hochkommen. Zahn ziehen? Heute? Gleich? Jetzt sofort?
Aber dann sagt er "bi mine Mame macht ich's a". Sine Mame... plötzlich ist eine andere Kopfgeschichte da. Sine Mame hat einen Kuchen gebacken, Blumen stehen auf dem gedeckten Tisch. Und die Frau mit den Kopfgeschichten atmet tief durch, lehnt sich zurück - und zehn Sekunden später ist sie erlöst und kann sich auf den Kaffee daheim freuen.
Schriftsteller sind komische Rapunzel. Die sind nicht nur wunderlich, sondern müssen auch noch ellenlang drüber reden... tztztz... Aber für Kopfgeschichtenerfinder gibt's halt nichts Schlimmeres, als es am Kopf zu haben!
Und wenn ich Zahnschmerzen habe, tickt diese Erzählmanie weiter. Dann kommen zuerst die Erinnerungen, an die ich mich nicht mehr erinnern möchte. An eine zweifelhafte Zahnklinik in Warschau, wo ich so verpfuscht wurde, dass mich nur noch der nächste 2000-km-Flug zum Spezialisten rettete. Vorher witzelten wir noch, dass die angebliche Luxusklinik von einem amerikanischen Friseur gegründet worden war. Ich habe die Rechnung dort bis heute nicht bezahlt und kann nur raten: Mit Zähnen nie zum amerikanischen "Bader" gehen!
Tja, und dann fällt im völlig schief gewachsenen Weisheitszahn die Plombe heraus, unzugängliches Riesenloch, Schmerz. Die haben sie damals mit speziellen Geräten für Kinder eingesetzt. Und wie immer in solchen Panikfällen muss ich zur Urlaubsvertretung meines Zahnarztes. Schriftstellerei ist eine Krankheit. Allein wie ich mir diesen unbekannten Zahnarzt vorgestellt habe, würde drei Horrorromane mit Personal füllen. Natürlich konnte ich dann in meinen übelsten Alpträumen Französisch nur noch stammeln und man sagte mir, dass so ein Zahn eine Sache für den Chirurgen sei. Zwei Tage lang wurde ich des Nachts in zwielichtigen Operationssälen aufgeschnitten. Und gestern erzählt mir ausgerechnet noch eine Freundin am Telefon, wie sie eine Wurzelresektion von außen bekam, chirurgisch. "Mit sooooo'nem Loch". Weitere schauderhafte Geschichten erfinde ich natürlich bis ins Wartezimmer... Wer mich hirnerweicht und dämlich kennenlernen will, begleite mich zum Zahnarzt!
Und dann das Wunder. Das Wunder der Fiktion. Realität ist zum Glück immer anders als jeder Schauerroman im Kopf. Der Zahnarzt freundlich und sympathisch wie der Weihnachtsmann persönlich, absolut beruhigend - und babbelt schönstes Elsässisch. Und wie er mir sagt, dass da nichts zu retten sei, wollen die Kopfgeschichten fast wieder hochkommen. Zahn ziehen? Heute? Gleich? Jetzt sofort?
Aber dann sagt er "bi mine Mame macht ich's a". Sine Mame... plötzlich ist eine andere Kopfgeschichte da. Sine Mame hat einen Kuchen gebacken, Blumen stehen auf dem gedeckten Tisch. Und die Frau mit den Kopfgeschichten atmet tief durch, lehnt sich zurück - und zehn Sekunden später ist sie erlöst und kann sich auf den Kaffee daheim freuen.
Schriftsteller sind komische Rapunzel. Die sind nicht nur wunderlich, sondern müssen auch noch ellenlang drüber reden... tztztz... Aber für Kopfgeschichtenerfinder gibt's halt nichts Schlimmeres, als es am Kopf zu haben!
28. Juli 2008
Sex & Sülze sells
Prolog: Es soll SchriftstellerInnen und sogar LeserInnen geben, denen gehen die ewigen Damen auf dem Buchcover auf die Nerven. Ob nackert oder faltenbeworfen, ob kopflos oder busenvoll. Und es soll ebenfalls reichlich AutorInnen geben, die um die Sülzsprüche wichtiger Rezensenten zittern, die Verlage gierig für die Rückseite eben jener Bücher sammeln. Aber immer nur Frauen auf dem Cover? Die meisten nervt diese Sinnesüberreizung als moderne Unart von Marketingstrategen, die angeblich hip und trendy mit der Zeit gehen.
Alles falsch. Diese Marketingstrategen haben sooooo einen Bart. Den längsten Bart der Welt. Sie arbeiten nämlich immer noch im Amerika des Jahres 1909!
Blurb: Wissen Sie, was ein "blurb" ist? Macht nichts, ich wusste das bis heute auch nicht. Und jetzt erkläre ich es mir so: Ein blurb ist, wenn ich einen bekannteren Autor in meinem Bekanntenkreis (Bekanntenkreis kommt etymologisch vom Sammeln bekannter Kollegen) anbettele, mir zu meinem Möchtegernbuch einen sülzigen Salbader in zwei, drei Sätzen zu schreiben. Eben dieses Zeug, das nachher auf dem Buchdeckel steht. Meister des blurb sind Monty Python, die zu ihrem Film mit dem Gral sich selbst lobhudelten: "Makes Ben Hur look like an epic."
Der erste blurb dieser Welt - Sie raten richtig - wurde 1909 in den USA erfunden. Das sinnreiche Wort stammt von der fiktiven Miss Belinda Blurb, die damals auf diesem Buch nicht mit ihren Reizen geizte, soweit das damals eben möglich war. In dieser Zeit bürgerte es sich ein, dass Bücher einen Schutzumschlag bekamen, der im Gegensatz zum Originalcover hemmungslos für Werbezwecke benutzt wurde.
Vorne lockten die Damen mit Sex und aufreizenden Parolen, auf der Rückseite schämten sich die Verleger kein bißchen, ihren LeserInnen das Blaue vom Himmel zu versprechen. Wer so ein Buch freiwillig im Laden ließ, war selbst schuld und bekam wahrscheinlich Fegefeuer extra.
Die heutigen Verlagsgrafiker sind regelrecht zahm gegen das, was damals geblurbt wurde. Man stelle sich vor, heute würde einer werben mit "dieses Buch hat das gewisse Etwas, das dich wünschen lässt, du könntest 30 Meilen durch den Dschungel robben und jemanden in den Nacken beißen!" (Hier wäre zu verifizieren, ob es damals schon Nackenbeißer gab).
Und der geblurbte Autor ist natürlich Hans-Dampf-in-allen-Gassen, er kennt die Frauenherzen seit Hunderten von Jahren und weiß alles über weibliche Psychologie. Frauen werden über seinem Verrat zu Feinden werden und Männer um so lieber lesen, heißt es. (Denn Frauen lesen ja bekanntlich nicht.)
Hoppla, da sind wir aber wahrhaftig in einem anderen Jahrhundert! Umso faszinierender, dass diese männerfreundliche Strategie heute genau diejenigen umgarnen soll, die damals vorsätzlich vergrault wurden oder nur unter der Bettdecke lesen konnten: die Frauen! Frauenkörper und Sülze, das volle blurb-Programm von 1909, pardon, 2009!
Wer es nicht glauben kann: Hier ist die legendäre Miss Belinda Blurb mit ihren irren Versprechungen zu sehen - und hier kann man die Werbesprüche des gesamten Schutzumschlags nachlesen. Fröhliche Gezeiten! blurb...
Alles falsch. Diese Marketingstrategen haben sooooo einen Bart. Den längsten Bart der Welt. Sie arbeiten nämlich immer noch im Amerika des Jahres 1909!
Blurb: Wissen Sie, was ein "blurb" ist? Macht nichts, ich wusste das bis heute auch nicht. Und jetzt erkläre ich es mir so: Ein blurb ist, wenn ich einen bekannteren Autor in meinem Bekanntenkreis (Bekanntenkreis kommt etymologisch vom Sammeln bekannter Kollegen) anbettele, mir zu meinem Möchtegernbuch einen sülzigen Salbader in zwei, drei Sätzen zu schreiben. Eben dieses Zeug, das nachher auf dem Buchdeckel steht. Meister des blurb sind Monty Python, die zu ihrem Film mit dem Gral sich selbst lobhudelten: "Makes Ben Hur look like an epic."
Der erste blurb dieser Welt - Sie raten richtig - wurde 1909 in den USA erfunden. Das sinnreiche Wort stammt von der fiktiven Miss Belinda Blurb, die damals auf diesem Buch nicht mit ihren Reizen geizte, soweit das damals eben möglich war. In dieser Zeit bürgerte es sich ein, dass Bücher einen Schutzumschlag bekamen, der im Gegensatz zum Originalcover hemmungslos für Werbezwecke benutzt wurde.
Vorne lockten die Damen mit Sex und aufreizenden Parolen, auf der Rückseite schämten sich die Verleger kein bißchen, ihren LeserInnen das Blaue vom Himmel zu versprechen. Wer so ein Buch freiwillig im Laden ließ, war selbst schuld und bekam wahrscheinlich Fegefeuer extra.
Die heutigen Verlagsgrafiker sind regelrecht zahm gegen das, was damals geblurbt wurde. Man stelle sich vor, heute würde einer werben mit "dieses Buch hat das gewisse Etwas, das dich wünschen lässt, du könntest 30 Meilen durch den Dschungel robben und jemanden in den Nacken beißen!" (Hier wäre zu verifizieren, ob es damals schon Nackenbeißer gab).
Und der geblurbte Autor ist natürlich Hans-Dampf-in-allen-Gassen, er kennt die Frauenherzen seit Hunderten von Jahren und weiß alles über weibliche Psychologie. Frauen werden über seinem Verrat zu Feinden werden und Männer um so lieber lesen, heißt es. (Denn Frauen lesen ja bekanntlich nicht.)
Hoppla, da sind wir aber wahrhaftig in einem anderen Jahrhundert! Umso faszinierender, dass diese männerfreundliche Strategie heute genau diejenigen umgarnen soll, die damals vorsätzlich vergrault wurden oder nur unter der Bettdecke lesen konnten: die Frauen! Frauenkörper und Sülze, das volle blurb-Programm von 1909, pardon, 2009!
Wer es nicht glauben kann: Hier ist die legendäre Miss Belinda Blurb mit ihren irren Versprechungen zu sehen - und hier kann man die Werbesprüche des gesamten Schutzumschlags nachlesen. Fröhliche Gezeiten! blurb...
23. Juli 2008
Mein Hund und ich
Jeder kennt den bereits abgegriffenen, aber immer wieder wahren Gag, dass mancher Hundebesitzer genauso aussieht wie sein Zweibeiner. Wissenschaftlich konnte noch nicht geklärt werden, ob man sich wie bei einer langjährigen Ehe langsam angleicht oder sich automatisch die passende Hunderasse sucht.
Kürzlich wurde dann im Fernsehen ein Bildband empfohlen, der beweist, dass Schriftsteller ein besonders inniges Verhältnis zu ihren Hunden hätten (Christen: Musen auf vier Pfoten, Autorenhaus), angeblich, so der Rezensent, weil die so brav dem einsamen Schreiber in der Kammer zuhörten. Ein Gerücht, sage ich nur, denn wenn meine Texte wirklich gut sind, schläft mein Hund augenblicklich beim Vorlesen ein. Er nickt auch nicht, wenn ich ihm Plots erkläre. Er zeigt mir lieber Leichen (unlängst ein Reh in starker Auflösung). Aber, so heißt es ja, der Hund ähnle erschreckend seinem Menschen!
Außerdem ist die Buchidee fürs Geschenkbuch-Genre famos. Man weiß ja bereits, dass es auch nur ganz speziell die Weibchen, pardon, die Schriftstellerinnen mit Hunden (und Katzen sowieso) haben (Jürgs: Schwarze Hunde. Bunte Hunde, Aviva). Und nach den Hunden der Maler, die bereits gedruckt sind, können wir in die Vollen greifen: Ich sehe Bücher vor mir über die Hunde der Metzger, der Förster, der Lehrerinnen, der Fotografen, der Malermeisterinnen, der Pfarrer...
Egal. Hund sieht angeblich aus wie Mensch. Und umgekehrt. Seither betrachte ich mich verschärft im Spiegel. Ich hätte gern diese vielsagenden bernsteinfarbenen Augen, bringe es aber leider nur zu Mausgrau. Zugegeben, seit ich keine Huskies mehr habe, fiel auch mein Pelz auf Kurzhaar. Ich hätte gern Roccos gesunde starke Zähne und seine Energie. Aber ich hasse angematschte Büffelhaut und finde seine Hundekekse fad. Wir haben nicht immer den gleichen Musikgeschmack und wenn er sich alte Grzimek-Filme oder Rosamunde Pilcher reinzieht, flüchte ich. Gestern küsste er doch tatsächlich ein Erdferkel auf der Mattscheibe ab, ein Erdferkel! Rocco riecht heimelig nach einer Mischung aus Teddybär und Fleischbrühe - ich bevorzuge derzeit eher vanillige Noten. Und dann diese leicht hängenden Lefzen... ich weiß nicht.
Trotzdem bin ich froh um diese Parallele zwischen Hund und Mensch: sie spart mir verdammt viel Geld für aktuelle Autorenfotos. Die hätte ich dann nämlich schon mal:
Demnach wäre das hier eine typische Schriftstellerinnenpose:

Und das soll mein Ebenbild sein:

Was bitte schließen wir daraus???
Kürzlich wurde dann im Fernsehen ein Bildband empfohlen, der beweist, dass Schriftsteller ein besonders inniges Verhältnis zu ihren Hunden hätten (Christen: Musen auf vier Pfoten, Autorenhaus), angeblich, so der Rezensent, weil die so brav dem einsamen Schreiber in der Kammer zuhörten. Ein Gerücht, sage ich nur, denn wenn meine Texte wirklich gut sind, schläft mein Hund augenblicklich beim Vorlesen ein. Er nickt auch nicht, wenn ich ihm Plots erkläre. Er zeigt mir lieber Leichen (unlängst ein Reh in starker Auflösung). Aber, so heißt es ja, der Hund ähnle erschreckend seinem Menschen!
Außerdem ist die Buchidee fürs Geschenkbuch-Genre famos. Man weiß ja bereits, dass es auch nur ganz speziell die Weibchen, pardon, die Schriftstellerinnen mit Hunden (und Katzen sowieso) haben (Jürgs: Schwarze Hunde. Bunte Hunde, Aviva). Und nach den Hunden der Maler, die bereits gedruckt sind, können wir in die Vollen greifen: Ich sehe Bücher vor mir über die Hunde der Metzger, der Förster, der Lehrerinnen, der Fotografen, der Malermeisterinnen, der Pfarrer...
Egal. Hund sieht angeblich aus wie Mensch. Und umgekehrt. Seither betrachte ich mich verschärft im Spiegel. Ich hätte gern diese vielsagenden bernsteinfarbenen Augen, bringe es aber leider nur zu Mausgrau. Zugegeben, seit ich keine Huskies mehr habe, fiel auch mein Pelz auf Kurzhaar. Ich hätte gern Roccos gesunde starke Zähne und seine Energie. Aber ich hasse angematschte Büffelhaut und finde seine Hundekekse fad. Wir haben nicht immer den gleichen Musikgeschmack und wenn er sich alte Grzimek-Filme oder Rosamunde Pilcher reinzieht, flüchte ich. Gestern küsste er doch tatsächlich ein Erdferkel auf der Mattscheibe ab, ein Erdferkel! Rocco riecht heimelig nach einer Mischung aus Teddybär und Fleischbrühe - ich bevorzuge derzeit eher vanillige Noten. Und dann diese leicht hängenden Lefzen... ich weiß nicht.
Trotzdem bin ich froh um diese Parallele zwischen Hund und Mensch: sie spart mir verdammt viel Geld für aktuelle Autorenfotos. Die hätte ich dann nämlich schon mal:
Demnach wäre das hier eine typische Schriftstellerinnenpose:
Und das soll mein Ebenbild sein:
Was bitte schließen wir daraus???
22. Juli 2008
Sinnesreisen: Rot sehen
Rot ist nicht gleich Rot. Jednfalls nicht, wenn man über eine Ländergrenze wechselt. Nun kann man sich erhebliche kulturelle Unterschiede in der Farbwahrnehmung in Richtung exotischerer Breiten noch eher vorstellen. Ich hatte jedoch heute mein eigenes rotes Heureka-Erlebnis zwischen Deutschland und Frankreich, in nur 30 km Entfernung.
Ich wollte halbfette H-Milch in Deutschland kaufen, griff zur vertrauten Packungsfarbe - und griff damit voll daneben. Nämlich zur Vollmilch. Wie kommt's?
In Frankreich sind viele Packungsfarben so gestaltet, dass sich die richtigen Assoziationen bilden und man bei Gewohntem nicht ständig aufs Kleingedruckte schauen muss. Fett ist nun etwas, das sich vor allem in der Milch anreichert, wenn die Kuh auf besonders fetten Wiesen weidet. Also greift man zu Grün, wenn man Vollmilch will. Grüner Aufdruck oder grüne Deckel. Und dann gibt es in Frankreich noch die blaue Milch. Blau ist eine kalte Farbe, fühlt sich dünn an. Und so fühlt sich auch die Milch an: dünn. Milch, wie sie eine Kuh im kalten Winter gibt, wenn das fette grüne Gras fehlt. Halbfette Milch ist blau. Farbassoziationen, wie sie ein Agrarland hat.
Und siehe da: Im deutschen Supermarkt war das heute genau andersherum. Die blaue Milch hatte Vollfett. Die Halbfettmilch war rot. Warum das so ist, kann ich mir nicht erklären, dazu bin ich der eigenen Kultur schon zu fern. Weiß es jemand? Rot wie ein Achtungschild, weil alle so auf die schlanke Linie achten? (Das könnte man meinen - nicht wenn man die Menschen sieht, sondern die Regale).
Und dann ist da noch etwas Lustiges, worauf ich früher nie geachtet habe. Das Rosa. Typische Toilettenpapierfarbe in Frankreich. Denn Rosa ist Weichheit, Haut, Babypopo, Anschmiegsames - und wenn sich Frauen im französischen Bad breit machen, gibt's Rosa überall. Mandelgrünes parfümiertes Papier gibt es auch, analog zu den Babyfarben. Denn die französische Toilette ist in der Regel gemütlich eingerichtet und dekoriert. Weißes Papier gab es früher gar nicht, heute muss man es oft noch suchen (auch Recyclingpapier ist rosa), obwohl es doch - mal die medizinische Kontrolle der Hinterlassenschaften betrachtet - als Hintergrund neutral wäre.
Wechselt man über die Grenze, ist mit dem rosa Verwöhnweich Schluss. Der ordentliche Deutsche greift offensichtlich - wenn man die Regale analysiert - zu schmirgelpapierähnlich aufgerauhtem, grauen Recyclingpapier in extrastarker Qualität. Medizinische Gründe? Deutsche Gründlichkeit? Oder soll das Örtchen eine Zelle der effektiven und kurzen Pflichterfüllung bleiben? Lesen auf der Toilette gilt ja in Deutschland immer noch als schlechte Angewohnheit! (Bräunlein: Lexikon der schlechten Angewohnheiten). Manche behaupten sogar, Menschen, die auf der Toilette Bücher hätten, seien Bohème ... und da wären wir wieder bei der französischen Kultur.
Ich wollte halbfette H-Milch in Deutschland kaufen, griff zur vertrauten Packungsfarbe - und griff damit voll daneben. Nämlich zur Vollmilch. Wie kommt's?
In Frankreich sind viele Packungsfarben so gestaltet, dass sich die richtigen Assoziationen bilden und man bei Gewohntem nicht ständig aufs Kleingedruckte schauen muss. Fett ist nun etwas, das sich vor allem in der Milch anreichert, wenn die Kuh auf besonders fetten Wiesen weidet. Also greift man zu Grün, wenn man Vollmilch will. Grüner Aufdruck oder grüne Deckel. Und dann gibt es in Frankreich noch die blaue Milch. Blau ist eine kalte Farbe, fühlt sich dünn an. Und so fühlt sich auch die Milch an: dünn. Milch, wie sie eine Kuh im kalten Winter gibt, wenn das fette grüne Gras fehlt. Halbfette Milch ist blau. Farbassoziationen, wie sie ein Agrarland hat.
Und siehe da: Im deutschen Supermarkt war das heute genau andersherum. Die blaue Milch hatte Vollfett. Die Halbfettmilch war rot. Warum das so ist, kann ich mir nicht erklären, dazu bin ich der eigenen Kultur schon zu fern. Weiß es jemand? Rot wie ein Achtungschild, weil alle so auf die schlanke Linie achten? (Das könnte man meinen - nicht wenn man die Menschen sieht, sondern die Regale).
Und dann ist da noch etwas Lustiges, worauf ich früher nie geachtet habe. Das Rosa. Typische Toilettenpapierfarbe in Frankreich. Denn Rosa ist Weichheit, Haut, Babypopo, Anschmiegsames - und wenn sich Frauen im französischen Bad breit machen, gibt's Rosa überall. Mandelgrünes parfümiertes Papier gibt es auch, analog zu den Babyfarben. Denn die französische Toilette ist in der Regel gemütlich eingerichtet und dekoriert. Weißes Papier gab es früher gar nicht, heute muss man es oft noch suchen (auch Recyclingpapier ist rosa), obwohl es doch - mal die medizinische Kontrolle der Hinterlassenschaften betrachtet - als Hintergrund neutral wäre.
Wechselt man über die Grenze, ist mit dem rosa Verwöhnweich Schluss. Der ordentliche Deutsche greift offensichtlich - wenn man die Regale analysiert - zu schmirgelpapierähnlich aufgerauhtem, grauen Recyclingpapier in extrastarker Qualität. Medizinische Gründe? Deutsche Gründlichkeit? Oder soll das Örtchen eine Zelle der effektiven und kurzen Pflichterfüllung bleiben? Lesen auf der Toilette gilt ja in Deutschland immer noch als schlechte Angewohnheit! (Bräunlein: Lexikon der schlechten Angewohnheiten). Manche behaupten sogar, Menschen, die auf der Toilette Bücher hätten, seien Bohème ... und da wären wir wieder bei der französischen Kultur.
21. Juli 2008
Milch und Honig?
Ein Autor, der Tag und Nacht Bücher schreibt und nicht gerade Bestseller produziert, kann in Deutschland in der Regel allenfalls schlecht von seinem Beruf leben. Schreiben macht nicht satt.
Nehmen wir mal ein durchschnittliches Anfängerhonorar fürs Hardcover, wie es schon größere Verlage zahlen (Honorare schwanken natürlich sehr je nach Erfahrung, Verlag, Buchart, Name, Auflage etc.), dann bekommt unser Autor X einen Vorschuss von 4000 Euro, brutto natürlich. Diese Summe wird nicht auf einmal ausgezahlt, sondern bei Vertragsabschluss und, je nachdem, bei Abgabe oder Erscheinen. Autor X zahlt von diesen 4000 E seine Versicherungen, Krankenkasse, Rente und natürlich Steuern, die manchmal recht hoch ausfallen können, weil pro Vertrag große Summen auf einmal fließen.
Von dem, was übrig bleibt, kann er "leben". Bedenken wir ein ebenfalls willkürlich herausgegriffenes Beispiel: Autor X recherchiert und arbeitet vier Monate vor, bis er überhaupt den Vertrag bekommt. Zu diesen vier Monaten, die irgendwie finanziert werden wollen, kommen acht Monate Schreibzeit. Die 4000 E sind also für 12 Monate - ein Jahresgehalt!
Natürlich bekommt der Autor von seinen Büchern außerdem Tantiemen. Also Buchpreis minus Mehrwertsteuer - und davon einen Prozentsatz. Seien wir großzügig und geben wir ihm 8% (Taschenbücher bringen erheblich weniger). Sein Hardcover wird im Laden 20 E plus MwSt. kosten. Autor X streicht also pro verkauftem Buch fette 1,60 E brutto ein - wovon er wieder obige Abgaben abziehen darf.
Er streicht aber nicht sofort ein, schön wär's. Die 4000 E waren ein garantierter "Vorschuss". Will sagen: Tantiemen gibt's erst dann, wenn der Vorschuss erwirtschaftet ist. Autor X muss also so viele Bücher verkaufen, wie 1,60 E in 4000 E passen. Macht nach Adam Riese 2500 Bücher. Tantiemen bekommt er also ab dem 2501. verkauften Buch. Das kann dauern. Das kann sehr lange dauern, denn über 20 E teure Bände gehen so oft nicht über den Ladentisch. Manchmal schafft man es sogar nie, bis an die Tantiemen zu kommen, weil das Buch einfach nicht besser läuft. Kurzum: Wer auf der sicheren Seite rechnen will, rechnet nur mit den Vorschüssen.
Wie aber kommt es, dass Autoren trotzdem überleben können? Ganz einfach: Ein Autor ist in der Regel ein selbstausbeutender Gemischtwarenladen. Sprich: Autor X muss in kürzeren Abständen mehr Verträge herbeischaffen. Autor X muss außerdem für Großprojekte Geld sichern (entweder Weg über Stipendien und Preise oder Fließbandschreiben an Einfachstbüchern). Vor allem aber muss Autor X sehr viel mehr tun als nur schreiben - denn man lebt als hauptberuflicher Autor vor allem auch von Auftritten und ähnlichen Zusatzverwertungen seiner Arbeit.
Autorenauftritte - das scheinen hierzulande fast nur Lesungen zu sein. Relativ neu ist es, die Lesung zum Event zu gestalten - Grenzen nach oben gibt es kaum, man hat zu seinem Thema ja so viel zu sagen! Als ich heute im Buchreport las, wie das in den USA läuft, bin ich richtig neidisch geworden. Von so viel Milch und Honig können wir nur träumen! US-Verlage bieten ihren Autoren Redneragenturen, die sie für ihr Thema vermitteln und dadurch vor allem die Leute aus der Midlist bekannter machen (Auch davon können deutschsprachige Autoren nur träumen, denn Werbung gibt's meist nur für Spitzentitel). Der Auftritts-Standardsatz - bitte festhalten - liege bei 5000-7500 Dollar Honorar. Ebenfalls geschäftstüchtiger sind die Verlage beim Buchverkauf, wo der Veranstalter sich zur Abnahme einer Mindestzahl verpflichten muss. 200-250 Bücher gingen so durchschnittlich pro Auftritt weg. Rechnet man dazu, dass ein amerikanischer Autor dank anderer Struktur nebenher Creative Writing an angesehenen Instituten lehren kann und auch ansonsten mehr Möglichkeiten zum seriösen Nebenjob hat - es klingt wie das gelobte Land.
In Deutschland herrscht dagegen Jammertal. Seit einigen Jahren sind Buchhändler - nicht zuletzt wegen der Konzentration durch die Ketten - lesungsmüde geworden, leisten sich allenfalls Promis. Möchtegernschriftsteller mit Eigendruck und Kollegen mit Dumpingpreisen haben teilweise den Markt bei Lesungen einbrechen lassen. Es kommt immer häufiger vor, dass man frech gefragt wird, warum man nicht umsonst auftrete, das sei doch Werbung. Der empfohlene Honorarmindestsatz (Anfänger, Einfachstlesung) des VS von netto 250 E ist seit über zehn Jahren nicht mehr angehoben worden, trotz Preisteigerung und Inflation. Man muss schon sehr genau wissen, was man bietet und was man wert ist!
Und weil ich meine Auftritte gern forcieren möchte und nicht nur reine Lesungen anbieten ... wird es schwer. Die Leseabteilungen der Verlage, die so etwas normalerweise organisieren, sind nämlich nur für das eigene Buch zuständig, nicht aber für Crossover und unabhängigen Schnickschnack. Tja, da dachte ich - vielleicht etwas zu ausländisch - ich könne das eine Agentur machen lassen und mir die Zeit der Aquise, des Taktierens und Verhandelns für das Bücherschreiben sparen. Nach der Recherche in der Wunschregion war ich desillusioniert. Es gab eine ganz edle Promi-Agentur für Leute "bekannt aus Funk und Fernsehen", eine Werbeagentur, die angeblich auch mit Kontakten handelte, und zwei, drei ... nennen wir es wohlwollend Möchtegernagenturen.
Eine Profimusikerin bestätigte mir, was ich befürchtete: Du musst alles selbst machen, nur so kannst du überleben und wirst nicht über den Tisch gezogen. Mach dich damit vertraut, dass du dein Werbematerial verschickst, Aquise betreibst, verhandelst, dich um Beleuchtung und Mikrophone kümmerst und die Thermoskanne füllst...
Ach, Amerika, welch schöner Traum, wo Milch und Honig für Autoren fließen!
Wer bitte hat das Gerücht in die Welt gesetzt, Schriftsteller müssten nur schreiben können?
Falls ich mal wieder Dinge und Menschen vernachlässige, um die sich normale Leute kümmern können, dann nur deshalb, weil ich zwei Bücher gleichzeitig schreibe und im "Nebenjob" unentgeltlich für mich selbst arbeite: Als Kleinkunstautorin, Dramaturgin, Regisseurin, PR-Frau, Vermittlungsagentur, Kostümbildnerin, Chauffeuse, Marketingberaterin, Buchhalterin, Kaffeeköchin ... jetzt hab ich doch tatsächlich den Überblick verloren... Wer sagt eigentlich, dass es in Deutschland schon so weit ist, dass man mit zwei Jobs arm ist? Nur zwei?
Nehmen wir mal ein durchschnittliches Anfängerhonorar fürs Hardcover, wie es schon größere Verlage zahlen (Honorare schwanken natürlich sehr je nach Erfahrung, Verlag, Buchart, Name, Auflage etc.), dann bekommt unser Autor X einen Vorschuss von 4000 Euro, brutto natürlich. Diese Summe wird nicht auf einmal ausgezahlt, sondern bei Vertragsabschluss und, je nachdem, bei Abgabe oder Erscheinen. Autor X zahlt von diesen 4000 E seine Versicherungen, Krankenkasse, Rente und natürlich Steuern, die manchmal recht hoch ausfallen können, weil pro Vertrag große Summen auf einmal fließen.
Von dem, was übrig bleibt, kann er "leben". Bedenken wir ein ebenfalls willkürlich herausgegriffenes Beispiel: Autor X recherchiert und arbeitet vier Monate vor, bis er überhaupt den Vertrag bekommt. Zu diesen vier Monaten, die irgendwie finanziert werden wollen, kommen acht Monate Schreibzeit. Die 4000 E sind also für 12 Monate - ein Jahresgehalt!
Natürlich bekommt der Autor von seinen Büchern außerdem Tantiemen. Also Buchpreis minus Mehrwertsteuer - und davon einen Prozentsatz. Seien wir großzügig und geben wir ihm 8% (Taschenbücher bringen erheblich weniger). Sein Hardcover wird im Laden 20 E plus MwSt. kosten. Autor X streicht also pro verkauftem Buch fette 1,60 E brutto ein - wovon er wieder obige Abgaben abziehen darf.
Er streicht aber nicht sofort ein, schön wär's. Die 4000 E waren ein garantierter "Vorschuss". Will sagen: Tantiemen gibt's erst dann, wenn der Vorschuss erwirtschaftet ist. Autor X muss also so viele Bücher verkaufen, wie 1,60 E in 4000 E passen. Macht nach Adam Riese 2500 Bücher. Tantiemen bekommt er also ab dem 2501. verkauften Buch. Das kann dauern. Das kann sehr lange dauern, denn über 20 E teure Bände gehen so oft nicht über den Ladentisch. Manchmal schafft man es sogar nie, bis an die Tantiemen zu kommen, weil das Buch einfach nicht besser läuft. Kurzum: Wer auf der sicheren Seite rechnen will, rechnet nur mit den Vorschüssen.
Wie aber kommt es, dass Autoren trotzdem überleben können? Ganz einfach: Ein Autor ist in der Regel ein selbstausbeutender Gemischtwarenladen. Sprich: Autor X muss in kürzeren Abständen mehr Verträge herbeischaffen. Autor X muss außerdem für Großprojekte Geld sichern (entweder Weg über Stipendien und Preise oder Fließbandschreiben an Einfachstbüchern). Vor allem aber muss Autor X sehr viel mehr tun als nur schreiben - denn man lebt als hauptberuflicher Autor vor allem auch von Auftritten und ähnlichen Zusatzverwertungen seiner Arbeit.
Autorenauftritte - das scheinen hierzulande fast nur Lesungen zu sein. Relativ neu ist es, die Lesung zum Event zu gestalten - Grenzen nach oben gibt es kaum, man hat zu seinem Thema ja so viel zu sagen! Als ich heute im Buchreport las, wie das in den USA läuft, bin ich richtig neidisch geworden. Von so viel Milch und Honig können wir nur träumen! US-Verlage bieten ihren Autoren Redneragenturen, die sie für ihr Thema vermitteln und dadurch vor allem die Leute aus der Midlist bekannter machen (Auch davon können deutschsprachige Autoren nur träumen, denn Werbung gibt's meist nur für Spitzentitel). Der Auftritts-Standardsatz - bitte festhalten - liege bei 5000-7500 Dollar Honorar. Ebenfalls geschäftstüchtiger sind die Verlage beim Buchverkauf, wo der Veranstalter sich zur Abnahme einer Mindestzahl verpflichten muss. 200-250 Bücher gingen so durchschnittlich pro Auftritt weg. Rechnet man dazu, dass ein amerikanischer Autor dank anderer Struktur nebenher Creative Writing an angesehenen Instituten lehren kann und auch ansonsten mehr Möglichkeiten zum seriösen Nebenjob hat - es klingt wie das gelobte Land.
In Deutschland herrscht dagegen Jammertal. Seit einigen Jahren sind Buchhändler - nicht zuletzt wegen der Konzentration durch die Ketten - lesungsmüde geworden, leisten sich allenfalls Promis. Möchtegernschriftsteller mit Eigendruck und Kollegen mit Dumpingpreisen haben teilweise den Markt bei Lesungen einbrechen lassen. Es kommt immer häufiger vor, dass man frech gefragt wird, warum man nicht umsonst auftrete, das sei doch Werbung. Der empfohlene Honorarmindestsatz (Anfänger, Einfachstlesung) des VS von netto 250 E ist seit über zehn Jahren nicht mehr angehoben worden, trotz Preisteigerung und Inflation. Man muss schon sehr genau wissen, was man bietet und was man wert ist!
Und weil ich meine Auftritte gern forcieren möchte und nicht nur reine Lesungen anbieten ... wird es schwer. Die Leseabteilungen der Verlage, die so etwas normalerweise organisieren, sind nämlich nur für das eigene Buch zuständig, nicht aber für Crossover und unabhängigen Schnickschnack. Tja, da dachte ich - vielleicht etwas zu ausländisch - ich könne das eine Agentur machen lassen und mir die Zeit der Aquise, des Taktierens und Verhandelns für das Bücherschreiben sparen. Nach der Recherche in der Wunschregion war ich desillusioniert. Es gab eine ganz edle Promi-Agentur für Leute "bekannt aus Funk und Fernsehen", eine Werbeagentur, die angeblich auch mit Kontakten handelte, und zwei, drei ... nennen wir es wohlwollend Möchtegernagenturen.
Eine Profimusikerin bestätigte mir, was ich befürchtete: Du musst alles selbst machen, nur so kannst du überleben und wirst nicht über den Tisch gezogen. Mach dich damit vertraut, dass du dein Werbematerial verschickst, Aquise betreibst, verhandelst, dich um Beleuchtung und Mikrophone kümmerst und die Thermoskanne füllst...
Ach, Amerika, welch schöner Traum, wo Milch und Honig für Autoren fließen!
Wer bitte hat das Gerücht in die Welt gesetzt, Schriftsteller müssten nur schreiben können?
Falls ich mal wieder Dinge und Menschen vernachlässige, um die sich normale Leute kümmern können, dann nur deshalb, weil ich zwei Bücher gleichzeitig schreibe und im "Nebenjob" unentgeltlich für mich selbst arbeite: Als Kleinkunstautorin, Dramaturgin, Regisseurin, PR-Frau, Vermittlungsagentur, Kostümbildnerin, Chauffeuse, Marketingberaterin, Buchhalterin, Kaffeeköchin ... jetzt hab ich doch tatsächlich den Überblick verloren... Wer sagt eigentlich, dass es in Deutschland schon so weit ist, dass man mit zwei Jobs arm ist? Nur zwei?
18. Juli 2008
Ohne Worte
Hach, ich bin ganz hibbelig und schaue erwartungsvoll auf Morgen. Da gönne ich mir mal wieder einen Workshop im Theater, Fortbildung der etwas anderen Art.
Diesmal gibt's Kontrastprogramm. Ausgerechnet ich, die ich so gerne mit Worten kommuniziere und beruflich nichts anderes mache, als Worte am laufenden Kilometer zu produzieren, belege einen Kurs im Spiel ohne Sprache. Geschichten erzählen, Räume schaffen - ohne ein Wort. Die Deprivation von meinem wichtigsten Handwerkszeug stelle ich mir befruchtend vor. Und irgendwie macht das langsam süchtig ... drei neue Kurse sind für die nächste Spielzeit bereits notiert.
Also, ganz klar: hier gibt's erst mal Schweigen. Kommt dazu, dass ich anschließend 100 Seiten Romantext überarbeiten muss, am besten gestern. Ich habe nämlich heute unerbittlich die Dramaturgie analysiert und mich nicht nur einiger Fehler überführt, sondern auch jede Menge Verbesserungsmöglichkeiten gefunden. Auch dabei helfen die Theaterkurse: Ich schlüpfe sehr viel leichter in unterschiedliche Tätigkeiten bei der Eigenkritik (Dramaturg, Regisseur, Figur etc.) und habe das Gefühl, sehr viel "runder" zu schreiben. Zwar sind manche Analysen für mich noch mühsam, weil man ja nicht alles gelernt hat und darum oft im Nebel stochert - aber so langsam geht vieles derart in Fleisch und Blut über, dass man beim intuitiven Schreiben automatisch richtig entscheidet. Macht Spaß, die Fortschritte zu sehen - ich kann mir heute gar nicht mehr vorstellen, wie ich meinen ersten Roman einfach blind in die Tasten hauen konnte... Und es gibt noch so unendlich viel zu lernen!
Diesmal gibt's Kontrastprogramm. Ausgerechnet ich, die ich so gerne mit Worten kommuniziere und beruflich nichts anderes mache, als Worte am laufenden Kilometer zu produzieren, belege einen Kurs im Spiel ohne Sprache. Geschichten erzählen, Räume schaffen - ohne ein Wort. Die Deprivation von meinem wichtigsten Handwerkszeug stelle ich mir befruchtend vor. Und irgendwie macht das langsam süchtig ... drei neue Kurse sind für die nächste Spielzeit bereits notiert.
Also, ganz klar: hier gibt's erst mal Schweigen. Kommt dazu, dass ich anschließend 100 Seiten Romantext überarbeiten muss, am besten gestern. Ich habe nämlich heute unerbittlich die Dramaturgie analysiert und mich nicht nur einiger Fehler überführt, sondern auch jede Menge Verbesserungsmöglichkeiten gefunden. Auch dabei helfen die Theaterkurse: Ich schlüpfe sehr viel leichter in unterschiedliche Tätigkeiten bei der Eigenkritik (Dramaturg, Regisseur, Figur etc.) und habe das Gefühl, sehr viel "runder" zu schreiben. Zwar sind manche Analysen für mich noch mühsam, weil man ja nicht alles gelernt hat und darum oft im Nebel stochert - aber so langsam geht vieles derart in Fleisch und Blut über, dass man beim intuitiven Schreiben automatisch richtig entscheidet. Macht Spaß, die Fortschritte zu sehen - ich kann mir heute gar nicht mehr vorstellen, wie ich meinen ersten Roman einfach blind in die Tasten hauen konnte... Und es gibt noch so unendlich viel zu lernen!
17. Juli 2008
Hausaufgaben
So, jetzt hat's auch mich erwischt. Zum ersten Mal im Leben kann ich nicht mehr geradeaus schreiben, sondern muss Maschensalat auftrennen. Ich habe das schon im Handarbeitsunterricht gehasst. Ich bin ein fauler Mensch. Wenn ich etwas ständig neu von vorn anfangen muss, beginnt es, mich zu langweilen - und gut wird es dadurch auch nicht unbedingt. Gut werden die Dinge, die mir "zufallen". Deshalb habe ich einen fürchterlichen Horror davor gehabt und es vor mir her geschoben. Aber die innere Stimme hat zum Glück ein brutal lautes Organ.
Etwas an meinem Roman hat mich gestört. Etwas fühlte sich nicht richtig an. Heute bin ich über meinen Schatten gesprungen, habe mich mit dem Gedanken angefreundet, zur Not über 100 Seiten in die Tonne zu werfen - und siehe da, das Problem hat sich gezeigt. Der Horror war unnötig. Ich habe nur ein paar einzelne Maschen zu früh gestrickt, die erst am Ärmel dran gewesen wären. Madame Ungeduld hatte wohl mal wieder Angst vor den vielen leeren Seiten. Also kommt das jetzt auf Halde. Und dann geht's an die Hausaufgabe: Strafferer Einstieg, Übergänge umschreiben, Dramaturgie glätten...
Ich hasse solche Aufgaben, wenn ich gerade so schön im Fluss bin und eigentlich schon viel spätere Szenen im Kopf habe. Die werden eben im Sammelbuch notiert. Und dann kommt die heilige disciplina. Und wenn sie mich nicht küsst, küsse ich sie. An so einem englisch-herbstigen Regentag doch ideal. Rede ich mir jetzt ein.
Etwas an meinem Roman hat mich gestört. Etwas fühlte sich nicht richtig an. Heute bin ich über meinen Schatten gesprungen, habe mich mit dem Gedanken angefreundet, zur Not über 100 Seiten in die Tonne zu werfen - und siehe da, das Problem hat sich gezeigt. Der Horror war unnötig. Ich habe nur ein paar einzelne Maschen zu früh gestrickt, die erst am Ärmel dran gewesen wären. Madame Ungeduld hatte wohl mal wieder Angst vor den vielen leeren Seiten. Also kommt das jetzt auf Halde. Und dann geht's an die Hausaufgabe: Strafferer Einstieg, Übergänge umschreiben, Dramaturgie glätten...
Ich hasse solche Aufgaben, wenn ich gerade so schön im Fluss bin und eigentlich schon viel spätere Szenen im Kopf habe. Die werden eben im Sammelbuch notiert. Und dann kommt die heilige disciplina. Und wenn sie mich nicht küsst, küsse ich sie. An so einem englisch-herbstigen Regentag doch ideal. Rede ich mir jetzt ein.
15. Juli 2008
Sinnesreisen: Formspiele
Heute geht es im Sommerspecial um das Sehen - den in unserer überladenen Bilderwelt offensichtlich am weitesten entwickelten Sinn. Aufgrund der Reizüberflutung wird er aber auch gern mal müde - oder wir schalten ihn einfach aus. Sehen wir richtig hin?
Fangen wir mal wieder beim Schreiben an, weil es aus immer gleichen Buchstaben besteht, wo der in seine Fantasiewelten versunkene Autor manchmal den Wald vor lauter Kommata nicht mehr sieht. Wenn ich nun ein neckisches Verslein schmiede über einen Frosch, der auf einer Bank eine Prinzessin erbeutet, die sich nach dem Kuss in güldenen Glibber verwandelt, so ist das doch, egal wie oft kopiert, immer der gleiche Text? Ist er das wirklich? Ich könnte den Text mit niedlich gemalten Bildern auf einer Website für Kinder veröffentlichen. Ich könnte ihn bei einem ehrwürdigen Literaturwettbewerb einreichen, sagen wir mal zum Thema Menschenrechte. Ich könnte den Text an Nachbars Tür nageln, bei dem Kerl mit den drei stinkenden Tümpeln im Garten und einem Hausdrachen von Gattin. Jedes Mal der gleiche Text - aber dadurch, dass sich der Kontext ändert, liest man ihn anders.
Nun gehe ich her und mache den Text unterschiedlich auf. Ich schreibe ihn in Times New Roman, schwarz, Normseite für Manuskripte. Oder ich schreibe ihn in bunten hüpfenden Buchstaben in Eiskremfarben. Ich könnte den Text auf Mauern sprühen oder im Internet als giftgrüne Laufschrift installieren. Es ist immer noch der gleiche Text, vielleicht immer im gleichen Kontext, aber unterschiedlich anzusehen. Habe ich beim Literaturwettbewerb die gleichen Chancen in Schwarz oder Eiskremfarben? Lese ich jedes Mal die gleiche Geschichte?
Das Auge isst mit, nicht nur beim Essen. Mit dem, was ich einem Betrachter fürs Auge liefere, beeinflusse ich ihn unterschwelliger und schneller als mit komplizierten Inhalten. Verändere ich dabei das Medium der Darstellung, verändert sich die Wahrnehmung. Ein und dasselbe Ding wird völlig unterschiedlich "gelesen", also gesehen - gewinnt neue Bedeutungsebenen.
Es darf fröhlich experimentiert werden. Der dreckige Gummistiefel, der sonst vor der Haustür steht, gewinnt völlig neue Bedeutungen, wenn man ihn zum Frühstück auf den Küchentisch stellt oder im Aquarium ersäuft. Man könnte aber auch einen Gipsabdruck von ihm fertigen, ihn malen ... vielleicht sogar vertonen?
Kunst ist so ein wunderbares Spielfeld, um die eigenen Sehgewohnheiten aufzubrechen und zu lernen, welche Rolle Form und Kontext spielen können. Am besten gelingt das, wenn sich unterschiedliche Künste vernetzen. Und dazu habe ich den absoluten Sommertipp: Den Dialog zwischen Malerei und Skulptur! Hier gelingt es, uns Bildmenschen aus der Zweidimensionalität ins Dreidimensionale zu führen. Dürften wir in Museen Dinge ertasten, käme zum Gesichtssinn der Tastsinn hinzu. Bilder werden körperlich, Körper werden zu Farben und Linien.
Zu sehen ist die einmalige Ausstellung im Museum Frieder Burda in Baden-Baden (neben der Kunsthalle im Zentrum), das sich für seine Sommerexponate ja längst als Geheimtipp etabliert hat. "Die Skulpturen der Maler" zeigt bis 26. Oktober eine erlesene Auswahl von Werken berühmter Künstler, denen ein Medium nicht genug war: sie schufen Malerei und Skulpturen. Namen wie Beckmann, Chagall, Daumier, Gauguin, Lüpertz, Miro, Modigliani, Picasso und Twombly machen die Ausstellung zu einem Muss. Und vielleicht regt sie auch dazu an, das, was wir üblicherweise zu sehen glauben, einfach einmal in einen anderen Kontext zu stellen oder mit seinen Formen zu spielen? Wir könnten nämlich noch viel mehr sehen, wenn wir wollen...
Fangen wir mal wieder beim Schreiben an, weil es aus immer gleichen Buchstaben besteht, wo der in seine Fantasiewelten versunkene Autor manchmal den Wald vor lauter Kommata nicht mehr sieht. Wenn ich nun ein neckisches Verslein schmiede über einen Frosch, der auf einer Bank eine Prinzessin erbeutet, die sich nach dem Kuss in güldenen Glibber verwandelt, so ist das doch, egal wie oft kopiert, immer der gleiche Text? Ist er das wirklich? Ich könnte den Text mit niedlich gemalten Bildern auf einer Website für Kinder veröffentlichen. Ich könnte ihn bei einem ehrwürdigen Literaturwettbewerb einreichen, sagen wir mal zum Thema Menschenrechte. Ich könnte den Text an Nachbars Tür nageln, bei dem Kerl mit den drei stinkenden Tümpeln im Garten und einem Hausdrachen von Gattin. Jedes Mal der gleiche Text - aber dadurch, dass sich der Kontext ändert, liest man ihn anders.
Nun gehe ich her und mache den Text unterschiedlich auf. Ich schreibe ihn in Times New Roman, schwarz, Normseite für Manuskripte. Oder ich schreibe ihn in bunten hüpfenden Buchstaben in Eiskremfarben. Ich könnte den Text auf Mauern sprühen oder im Internet als giftgrüne Laufschrift installieren. Es ist immer noch der gleiche Text, vielleicht immer im gleichen Kontext, aber unterschiedlich anzusehen. Habe ich beim Literaturwettbewerb die gleichen Chancen in Schwarz oder Eiskremfarben? Lese ich jedes Mal die gleiche Geschichte?
Das Auge isst mit, nicht nur beim Essen. Mit dem, was ich einem Betrachter fürs Auge liefere, beeinflusse ich ihn unterschwelliger und schneller als mit komplizierten Inhalten. Verändere ich dabei das Medium der Darstellung, verändert sich die Wahrnehmung. Ein und dasselbe Ding wird völlig unterschiedlich "gelesen", also gesehen - gewinnt neue Bedeutungsebenen.
Es darf fröhlich experimentiert werden. Der dreckige Gummistiefel, der sonst vor der Haustür steht, gewinnt völlig neue Bedeutungen, wenn man ihn zum Frühstück auf den Küchentisch stellt oder im Aquarium ersäuft. Man könnte aber auch einen Gipsabdruck von ihm fertigen, ihn malen ... vielleicht sogar vertonen?
Kunst ist so ein wunderbares Spielfeld, um die eigenen Sehgewohnheiten aufzubrechen und zu lernen, welche Rolle Form und Kontext spielen können. Am besten gelingt das, wenn sich unterschiedliche Künste vernetzen. Und dazu habe ich den absoluten Sommertipp: Den Dialog zwischen Malerei und Skulptur! Hier gelingt es, uns Bildmenschen aus der Zweidimensionalität ins Dreidimensionale zu führen. Dürften wir in Museen Dinge ertasten, käme zum Gesichtssinn der Tastsinn hinzu. Bilder werden körperlich, Körper werden zu Farben und Linien.
Zu sehen ist die einmalige Ausstellung im Museum Frieder Burda in Baden-Baden (neben der Kunsthalle im Zentrum), das sich für seine Sommerexponate ja längst als Geheimtipp etabliert hat. "Die Skulpturen der Maler" zeigt bis 26. Oktober eine erlesene Auswahl von Werken berühmter Künstler, denen ein Medium nicht genug war: sie schufen Malerei und Skulpturen. Namen wie Beckmann, Chagall, Daumier, Gauguin, Lüpertz, Miro, Modigliani, Picasso und Twombly machen die Ausstellung zu einem Muss. Und vielleicht regt sie auch dazu an, das, was wir üblicherweise zu sehen glauben, einfach einmal in einen anderen Kontext zu stellen oder mit seinen Formen zu spielen? Wir könnten nämlich noch viel mehr sehen, wenn wir wollen...
12. Juli 2008
Unter Strom
Wer seit mindestens fünf Jahren professionell für große Verlage schreibt und nicht bei einem "Hausverlag" in Serie geht, kennt das Phänomen bestimmt: In den letzten paar Jahren wetteifern die Verlage um Geschwindigkeit und Masse ihrer "updates", also Neuerscheinungen - aber gleichzeitig werden die internen "Ladezeiten" immer länger. Man könnte meinen, Risikoangstversicherungs-Software, Controllerprogramme und Entscheidungsverzögerungs-Makros fräßen zu viel Arbeitsspeicher. Den man dann leer räumt, indem man die Bücher immer schneller von der Platte putzt. Zwar scheint allseits die Medien- und Vertriebstechnik immer rasanter fortzuschreiten, aber verlagsseitig begründen sich Verzögerungen wie anno dunnemals: Da ist ein Entscheider am Abwägen, im Mutterschaftsurlaub, im Jahresurlaub, in der Konferenz, im Vorbuchmesse-Stress, auf der Buchmesse, im Nachbuchmesse-Stress ... wir kennen das längst.
Die risikoscheuen Entscheider haben inzwischen einen Grund mehr, noch scheuer zu werden. Denn wenn Computer solche Diskrepanzen zwischen Input und Output zeigen, vergleichen nicht nur User die Systeme. Der Krieg der Elefanten kündigt sich bereits an. Zuerst machte der Aufbau Verlag mit seiner Insolvenz Schlagzeilen, jetzt haben Deutschlands Bistümer keine Lust mehr auf ein allzu weltliches Weltbild, und über einen Verkauf von Bertelsmann Buchclub munkelt die Presse längst. Zum Autorenvertröster "XY ist im Urlaub" kommt eine neue Taktik hinzu: "Wir wissen nicht, wie's weitergeht" oder "wir wollen den Markt beobachten".
Die Tierchen am Ende der Nahrungskette leiden bekanntlich am meisten - und das sind die Autoren. Ich träume oft davon, meinem Stromversorger bei Präsentation seiner Rechnung sagen zu können: "Tut mir leid, der Zahler hat gerade Urlaub." Wasserrechnung bezahlen? Aber woher denn! Weiß ich, ob ich im nächsten Monat meinen Kaffee mit Wasser aus der Leitung, Regenwasser oder Sprudel koche? "Erst mal abwarten, wie sich das ergibt, den Markt beobachten!" Jeder, der dieses Jonglieren mit neuen Projekten, das früher Wochen und heute Monate dauert, nicht kennt, träumt davon, hauptberuflich Schriftsteller zu werden. Die Klischees von Reichtum und Wohlleben zwischen Computer und Swimmingpool werden ja ebenfalls fleißig von den Medien transportiert.
Die Realität sieht anders aus. Als hauptberufliche Autorin habe ich entschieden: Wenn ich, selbst bei ausreichenden Finanzen, noch ein paar Jahre diesen inneren Zen aufbringen muss, werde ich vor lauter Geduld entweder zum Esel, magenkrank oder ich platze. Ein anderes Projekt muss her; eines, bei dem ich mich einmal nicht an Elefanten ausliefere, deren Routen durch den immer weiter gerodeten Urwald ich nicht vorausbestimmen kann. Ein Projekt, für dessen Scheitern nur ich selbst verantwortlich bin. Mit Schreiben hat es direkt nichts zu tun, nur mit den Künsten allgemein, aber ich könnte ein Buch daraus machen...
Vor Jahren hätte ich zuerst das Buch geschrieben, brav auf meine Autorenlaufbahn geachtet und dann erst gewagt oder auch nicht. Und damit Zeit vertan. Jetzt mache ich es umgekehrt - und fühle mich wie neugeboren! Markt ist hier und jetzt, Künstler brauchen keine persönliche Agenda 2010. Es ist ein verrücktes Elefantenprojekt, eigentlich viel zu groß für eine einzige Frau. Dieser Elefant verlangt Konzeption, Ausgestaltung, Ideen, Planung, Bewerbungen, PR, Pressearbeit, Grafik etc. "Stell dir vor, du wärst verrückt, reich und hättest nicht mehr lang zu leben" - das war der Ratschlag einer über 70jährigen Künstlerin in Sachen Berufsideen. Also bin ich verrückt, weiß, dass ich all diese Arbeiten früher für Fremde gemacht habe und schenke sie mir nun selbst. Fange klein an, mit zwei Händen, zwei Beinen und einem Kopf. Denke minimalistisch - und unabhängig. Klein(st)kunst sozusagen.
Seither vergehen die Tage in einer seltsamen Magie, wie ich sie beim Bücherproduzieren schon lange nicht mehr gespürt habe. Ich lerne scheinbar zufällig die richtigen Leute kennen. Jemand erzählt etwas Nebensächliches - und es ist genau das mir fehlende Mosaiksteinchen. Ich kann Menschen spontan davon begeistern und statt eines "oh, das müssen wir erst beraten, das können wir nicht gleich entscheiden" kommt ein "lass uns überlegen, wie wir das umsetzen" oder "wann kannst du fertig sein?". Man bespricht sich beim Kaffee, man schaut sich gemeinsam etwas an - die Ideen purzeln und fern von Bedenkenträgerei wird lösungsorientiert gearbeitet.
Gestern dann ist mir etwas Komisches passiert. Bei einem Amt, mit dem ich lange über Berufsformularen im Hader lag, hat man über mich geredet, jemand mir Wildfremdes will Kontakt zu mir, der mit dem zu tun hat, womit mein neues Projekt zu tun hat (ohne dass ich je darüber gesprochen hätte!). Und wie ich im Internet schaue, worum es gehen könnte, falle ich über uralte Dinge aus meinen jüngeren Jahren - und die passende Möglichkeit einer Förderung.
Immer, wenn ich in meinem Leben das Richtige tat, auch wenn es für andere völlig verrückt klang, entstand diese Magie. Plötzlich erschien alles wie ein Tanz, dem man nur genug Raum geben musste, damit sich Wege ebneten. Zufällige Begegnungen mit Menschen entpuppten sich als Treffen mit Wegbereitern; durch das kreative Fokussieren fielen mir die Ideen aus allen möglichen Ecken zu. Auf einmal kann man nichts Alltägliches mehr normal anschauen, ohne inspiriert zu werden. Wilde Konzeptzeichnungen, Ideengekritzel verteilen sich in den Zimmern. Und die Frage, ob man das allein schafft; ob es nicht viel sicherer und vernünftiger wäre, eine regelmäßige Anstellung in einem vernünftigen Job zu suchen - die stellt sich gar nicht. Was hat man nicht schon alles im Leben gemeistert! Und würde ich auf die Nase fallen, na und? Dann habe ich sehr viel gelernt. Ich habe ja bereits gelernt, wie man immer wieder aufsteht!
Ich stehe unter Kreativstrom. Jetzt kommt Input von Menschen, die genauso verrückt sind, verrückte Dinge einfach zu tun und nicht ewig lang darüber nachzudenken, ob es vernünftig ist. Jetzt muss ich nicht mehr warten, bis eine Konferenz sich äußert, bis zig fremde Leute eines riesigen und damit behäbig gewordenen Unternehmens über meine kreative Arbeit entscheiden. Ich arbeite an mehreren Fronten gleichzeitig und wäre am liebsten gestern schon fertig. Aber inzwischen habe ich auch die Berufs- und Lebenserfahrung, die mir sagt. Ein Projekt will reifen. Und kreative Projekte brauchen eine geschützte Zeit, in denen man wild herumspinnen muss, ohne sie zu früh ins Korsett der Ausführung zu stecken. Je länger ich die Leine lasse, desto schneller purzeln die Ideen. Und ist das schon der Größenwahn, wenn ich es zweisprachig andenke? Warum eigentlich nicht? Ich bin doch nur beim Schreiben auf eine festgelegt!
Seither schreibe ich völlig anders an meinen Büchern. Ich weiß jetzt ganz genau, was ich will und was nicht. Und dieser innere Zen, den ein Autor braucht, der ist immens gewachsen, so wie die Möglichkeiten, Nein zu sagen. Das macht das Schreiben, das Plotten, leichter und unkomplizierter. Eine Projektbeschreibung, die ich früher in mühseligen vier Wochen erarbeitete, male ich heute in Blubberblasen beim Frühstück aufs Papier, in zwei Tagen steht sie schriftlich. Ist ja schließlich Pipikram, so ein Buch, wenn man es mit Elefantenverrücktheiten vergleicht. Und irgendwann wird auch aus dem Elefanten ein Buch. Vielleicht aber auch nicht. Die Möglichkeiten, Publikum zu verwöhnen, entwickeln sich nämlich rasant - rasanter vielleicht als all die Verlagskonzerne, die zu sehr mit dem Schlucken und Kauen beschäftigt sein werden.
Und falls ich in ein paar Monaten über meine Unvernunft jammern sollte, dann sei mir ins Tagebuch geschrieben: Das war eine tolle Zeit, Strom pur in den grauen Zellen, Begeisterung, Freude, Musenküsse am Meter, inspirierende Begegnungen... Schon allein deshalb lohnt es sich, sich wenigstens einmal im Leben unvernünftige Wünsche zu erfüllen.
Die risikoscheuen Entscheider haben inzwischen einen Grund mehr, noch scheuer zu werden. Denn wenn Computer solche Diskrepanzen zwischen Input und Output zeigen, vergleichen nicht nur User die Systeme. Der Krieg der Elefanten kündigt sich bereits an. Zuerst machte der Aufbau Verlag mit seiner Insolvenz Schlagzeilen, jetzt haben Deutschlands Bistümer keine Lust mehr auf ein allzu weltliches Weltbild, und über einen Verkauf von Bertelsmann Buchclub munkelt die Presse längst. Zum Autorenvertröster "XY ist im Urlaub" kommt eine neue Taktik hinzu: "Wir wissen nicht, wie's weitergeht" oder "wir wollen den Markt beobachten".
Die Tierchen am Ende der Nahrungskette leiden bekanntlich am meisten - und das sind die Autoren. Ich träume oft davon, meinem Stromversorger bei Präsentation seiner Rechnung sagen zu können: "Tut mir leid, der Zahler hat gerade Urlaub." Wasserrechnung bezahlen? Aber woher denn! Weiß ich, ob ich im nächsten Monat meinen Kaffee mit Wasser aus der Leitung, Regenwasser oder Sprudel koche? "Erst mal abwarten, wie sich das ergibt, den Markt beobachten!" Jeder, der dieses Jonglieren mit neuen Projekten, das früher Wochen und heute Monate dauert, nicht kennt, träumt davon, hauptberuflich Schriftsteller zu werden. Die Klischees von Reichtum und Wohlleben zwischen Computer und Swimmingpool werden ja ebenfalls fleißig von den Medien transportiert.
Die Realität sieht anders aus. Als hauptberufliche Autorin habe ich entschieden: Wenn ich, selbst bei ausreichenden Finanzen, noch ein paar Jahre diesen inneren Zen aufbringen muss, werde ich vor lauter Geduld entweder zum Esel, magenkrank oder ich platze. Ein anderes Projekt muss her; eines, bei dem ich mich einmal nicht an Elefanten ausliefere, deren Routen durch den immer weiter gerodeten Urwald ich nicht vorausbestimmen kann. Ein Projekt, für dessen Scheitern nur ich selbst verantwortlich bin. Mit Schreiben hat es direkt nichts zu tun, nur mit den Künsten allgemein, aber ich könnte ein Buch daraus machen...
Vor Jahren hätte ich zuerst das Buch geschrieben, brav auf meine Autorenlaufbahn geachtet und dann erst gewagt oder auch nicht. Und damit Zeit vertan. Jetzt mache ich es umgekehrt - und fühle mich wie neugeboren! Markt ist hier und jetzt, Künstler brauchen keine persönliche Agenda 2010. Es ist ein verrücktes Elefantenprojekt, eigentlich viel zu groß für eine einzige Frau. Dieser Elefant verlangt Konzeption, Ausgestaltung, Ideen, Planung, Bewerbungen, PR, Pressearbeit, Grafik etc. "Stell dir vor, du wärst verrückt, reich und hättest nicht mehr lang zu leben" - das war der Ratschlag einer über 70jährigen Künstlerin in Sachen Berufsideen. Also bin ich verrückt, weiß, dass ich all diese Arbeiten früher für Fremde gemacht habe und schenke sie mir nun selbst. Fange klein an, mit zwei Händen, zwei Beinen und einem Kopf. Denke minimalistisch - und unabhängig. Klein(st)kunst sozusagen.
Seither vergehen die Tage in einer seltsamen Magie, wie ich sie beim Bücherproduzieren schon lange nicht mehr gespürt habe. Ich lerne scheinbar zufällig die richtigen Leute kennen. Jemand erzählt etwas Nebensächliches - und es ist genau das mir fehlende Mosaiksteinchen. Ich kann Menschen spontan davon begeistern und statt eines "oh, das müssen wir erst beraten, das können wir nicht gleich entscheiden" kommt ein "lass uns überlegen, wie wir das umsetzen" oder "wann kannst du fertig sein?". Man bespricht sich beim Kaffee, man schaut sich gemeinsam etwas an - die Ideen purzeln und fern von Bedenkenträgerei wird lösungsorientiert gearbeitet.
Gestern dann ist mir etwas Komisches passiert. Bei einem Amt, mit dem ich lange über Berufsformularen im Hader lag, hat man über mich geredet, jemand mir Wildfremdes will Kontakt zu mir, der mit dem zu tun hat, womit mein neues Projekt zu tun hat (ohne dass ich je darüber gesprochen hätte!). Und wie ich im Internet schaue, worum es gehen könnte, falle ich über uralte Dinge aus meinen jüngeren Jahren - und die passende Möglichkeit einer Förderung.
Immer, wenn ich in meinem Leben das Richtige tat, auch wenn es für andere völlig verrückt klang, entstand diese Magie. Plötzlich erschien alles wie ein Tanz, dem man nur genug Raum geben musste, damit sich Wege ebneten. Zufällige Begegnungen mit Menschen entpuppten sich als Treffen mit Wegbereitern; durch das kreative Fokussieren fielen mir die Ideen aus allen möglichen Ecken zu. Auf einmal kann man nichts Alltägliches mehr normal anschauen, ohne inspiriert zu werden. Wilde Konzeptzeichnungen, Ideengekritzel verteilen sich in den Zimmern. Und die Frage, ob man das allein schafft; ob es nicht viel sicherer und vernünftiger wäre, eine regelmäßige Anstellung in einem vernünftigen Job zu suchen - die stellt sich gar nicht. Was hat man nicht schon alles im Leben gemeistert! Und würde ich auf die Nase fallen, na und? Dann habe ich sehr viel gelernt. Ich habe ja bereits gelernt, wie man immer wieder aufsteht!
Ich stehe unter Kreativstrom. Jetzt kommt Input von Menschen, die genauso verrückt sind, verrückte Dinge einfach zu tun und nicht ewig lang darüber nachzudenken, ob es vernünftig ist. Jetzt muss ich nicht mehr warten, bis eine Konferenz sich äußert, bis zig fremde Leute eines riesigen und damit behäbig gewordenen Unternehmens über meine kreative Arbeit entscheiden. Ich arbeite an mehreren Fronten gleichzeitig und wäre am liebsten gestern schon fertig. Aber inzwischen habe ich auch die Berufs- und Lebenserfahrung, die mir sagt. Ein Projekt will reifen. Und kreative Projekte brauchen eine geschützte Zeit, in denen man wild herumspinnen muss, ohne sie zu früh ins Korsett der Ausführung zu stecken. Je länger ich die Leine lasse, desto schneller purzeln die Ideen. Und ist das schon der Größenwahn, wenn ich es zweisprachig andenke? Warum eigentlich nicht? Ich bin doch nur beim Schreiben auf eine festgelegt!
Seither schreibe ich völlig anders an meinen Büchern. Ich weiß jetzt ganz genau, was ich will und was nicht. Und dieser innere Zen, den ein Autor braucht, der ist immens gewachsen, so wie die Möglichkeiten, Nein zu sagen. Das macht das Schreiben, das Plotten, leichter und unkomplizierter. Eine Projektbeschreibung, die ich früher in mühseligen vier Wochen erarbeitete, male ich heute in Blubberblasen beim Frühstück aufs Papier, in zwei Tagen steht sie schriftlich. Ist ja schließlich Pipikram, so ein Buch, wenn man es mit Elefantenverrücktheiten vergleicht. Und irgendwann wird auch aus dem Elefanten ein Buch. Vielleicht aber auch nicht. Die Möglichkeiten, Publikum zu verwöhnen, entwickeln sich nämlich rasant - rasanter vielleicht als all die Verlagskonzerne, die zu sehr mit dem Schlucken und Kauen beschäftigt sein werden.
Und falls ich in ein paar Monaten über meine Unvernunft jammern sollte, dann sei mir ins Tagebuch geschrieben: Das war eine tolle Zeit, Strom pur in den grauen Zellen, Begeisterung, Freude, Musenküsse am Meter, inspirierende Begegnungen... Schon allein deshalb lohnt es sich, sich wenigstens einmal im Leben unvernünftige Wünsche zu erfüllen.
Lesen für die Hydra
Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass die wirklich großen oder interessanten Schriftsteller ihre Erfahrungen mit dem Schreiben nicht in Ratgebern für wohlfeile Instantromane hinterlassen haben, sondern in ihrer Literatur und manchmal auch in Briefwechseln oder Tagebüchern. Vielleicht, weil sie wussten, dass jenseits jeder allgemeingültigen Essenz das Schreiben nur ein höchst individueller Vorgang sein kann? Insofern lohnt es sich, auch unter dem schriftstellerischen Gesichtspunkt öfter Klassiker zu lesen.
Einer von ihnen - Anton Tschechow - hat mich mal wieder gepackt, diesmal mit einem Titel. Wer eine Erzählung mit "Eine langweilige Geschichte" überschreibt, die gleich im ersten Satz vor feiner Ironie sprüht, der sucht sich offensichtlich seine Leser aus für etwas Besonderes. Tatsächlich kann man sie auf zwei Ebenen lesen: als Geschichte des ruhmbeladenen Professors Nikolaj X. oder als eine Sammlung von Andeutungen und Erfahrungen aus dem Berufsleben des Schriftstellers Anton T.
So macht sich der Professor Gedanken über das richtige Vorlesen:
"Um gut, das heißt nicht langweilig, sondern gewinnbringend für die Hörer zu lesen, muss man außer Begabung auch Geschicklichkeit und Erfahrung besitzen, muss man eine ganz klare Vorstellung von den eigenen Kräften, von den Menschen, für die man liest, und vor allem von dem Gegenstand haben, den man behandelt. Außerdem muss man umsichtig sein, die Zuhörer genau beobachten und keinen Augenblick außer acht lassen."
Die langweilige Figur der langweiligen Erzählung vergleicht den Lesenden mit einem Dirigenten vor der Partitur, der - modern gesprochen - immense Multitasking-Aufgaben vollbringen muss und nicht einfach nur wiedergibt. Das Publikum wird zur vielköpfigen Hydra, die besiegt werden will, indem man genau auf sie eingeht, sie packt, sie verzaubert. Und selbst die Horrorvisionen missglückten Lesens sind dem Professor nicht fremd:
"Mein Mund wird trocken, die Stimme heiser, der Kopf dreht sich mir ... Um meinen Zustand vor den Hörern zu verbergen, trinke ich jeden Augenblick Wasser, huste, schneuze mich oft, als ob mich ein Schnupfen störe, mache unpassende Witze..."
Nicht nur diese Passagen sind für Autoren alles andere als langweilig zu lesen. Plötzlich werden die Studenten zum Synonym für Nachwuchsautoren. Oder ist es nur Zufall, dass da einer sich nicht selbst entwickeln will, sondern den Meister um ein gut verkäufliches Thema und Anleitung bittet - und sich wundert, dass ihn dieser deshalb für seine Kunst abschreibt? Ist es nur eine scheinbare Parallele, dass der Professor von einem Leidenschaft, Hingabe und Disziplin verlangt und ihn anbrüllt: "Warum wollt ihr nicht selbständig sein? Warum ist euch die Freiheit so zuwider?" Selbst die Ausführungen des Langweilers über das Theater lassen sich in ihrem ironischen Blick auf das heutige Unterhaltungsgewerbe übertragen.
Lesetipp:
Eine langweilige Geschichte, aus Anton Tschechow: Die Dame mit dem Hündchen und andere Erzählungen, insel taschenbuch mit Zeichnungen von András Karakas, ISBN 3-458-31874-7
Einer von ihnen - Anton Tschechow - hat mich mal wieder gepackt, diesmal mit einem Titel. Wer eine Erzählung mit "Eine langweilige Geschichte" überschreibt, die gleich im ersten Satz vor feiner Ironie sprüht, der sucht sich offensichtlich seine Leser aus für etwas Besonderes. Tatsächlich kann man sie auf zwei Ebenen lesen: als Geschichte des ruhmbeladenen Professors Nikolaj X. oder als eine Sammlung von Andeutungen und Erfahrungen aus dem Berufsleben des Schriftstellers Anton T.
So macht sich der Professor Gedanken über das richtige Vorlesen:
"Um gut, das heißt nicht langweilig, sondern gewinnbringend für die Hörer zu lesen, muss man außer Begabung auch Geschicklichkeit und Erfahrung besitzen, muss man eine ganz klare Vorstellung von den eigenen Kräften, von den Menschen, für die man liest, und vor allem von dem Gegenstand haben, den man behandelt. Außerdem muss man umsichtig sein, die Zuhörer genau beobachten und keinen Augenblick außer acht lassen."
Die langweilige Figur der langweiligen Erzählung vergleicht den Lesenden mit einem Dirigenten vor der Partitur, der - modern gesprochen - immense Multitasking-Aufgaben vollbringen muss und nicht einfach nur wiedergibt. Das Publikum wird zur vielköpfigen Hydra, die besiegt werden will, indem man genau auf sie eingeht, sie packt, sie verzaubert. Und selbst die Horrorvisionen missglückten Lesens sind dem Professor nicht fremd:
"Mein Mund wird trocken, die Stimme heiser, der Kopf dreht sich mir ... Um meinen Zustand vor den Hörern zu verbergen, trinke ich jeden Augenblick Wasser, huste, schneuze mich oft, als ob mich ein Schnupfen störe, mache unpassende Witze..."
Nicht nur diese Passagen sind für Autoren alles andere als langweilig zu lesen. Plötzlich werden die Studenten zum Synonym für Nachwuchsautoren. Oder ist es nur Zufall, dass da einer sich nicht selbst entwickeln will, sondern den Meister um ein gut verkäufliches Thema und Anleitung bittet - und sich wundert, dass ihn dieser deshalb für seine Kunst abschreibt? Ist es nur eine scheinbare Parallele, dass der Professor von einem Leidenschaft, Hingabe und Disziplin verlangt und ihn anbrüllt: "Warum wollt ihr nicht selbständig sein? Warum ist euch die Freiheit so zuwider?" Selbst die Ausführungen des Langweilers über das Theater lassen sich in ihrem ironischen Blick auf das heutige Unterhaltungsgewerbe übertragen.
Lesetipp:
Eine langweilige Geschichte, aus Anton Tschechow: Die Dame mit dem Hündchen und andere Erzählungen, insel taschenbuch mit Zeichnungen von András Karakas, ISBN 3-458-31874-7
9. Juli 2008
Genuss zum Hören
Bei Bibliothek Digital ist die Hörbuchreihe "Oasen für die Sinne" aus dem Gugis-Hörbuch-Verlag zum "Medium des Monats Juni" gekürt worden.
Wem das bekannt vorkommt: Ja, es handelt sich um die Vertonung der beliebten gleichnamigen Geschenkbuchserie von sanssouci im Carl Hanser Verlag. Und ich freue mich natürlich, dass das Hörbuch meines Buches "Elsass. Wo der Zander am liebsten im Riesling schwimmt" dabei ist. Mir persönlich gefällt nicht nur die Stimme von Doris Wolters zu diesem Text, sondern vor allem die liebevolle, hochwertige Aufmachung der zwei CDs, die sich äußerlich an die gedruckten Bücher im Geschenkschuber anlehnt und im Beiheft meine Rezepte und informative Surftipps aus dem Elsass bereit hält.
Für Literaturfreunde ein Geheimtipp: Tina Walz von Gugis-Hörbücher legt jetzt mit dem neuen Hörbuchverlag Der Diwan außergewöhnliche Literaturvertonungen vor. So liest z.B. Oliver Korittke Jochen Schmidts "Meine wichtigsten Körperfunktionen", Jan Messutat Charles Simmons' "Salzwasser" oder Dietmar Schönherr "Meine Schwester Sara" von Ruth Weiss. Man darf auf dieses Label jenseits der Massenware gespannt sein.
Wem das bekannt vorkommt: Ja, es handelt sich um die Vertonung der beliebten gleichnamigen Geschenkbuchserie von sanssouci im Carl Hanser Verlag. Und ich freue mich natürlich, dass das Hörbuch meines Buches "Elsass. Wo der Zander am liebsten im Riesling schwimmt" dabei ist. Mir persönlich gefällt nicht nur die Stimme von Doris Wolters zu diesem Text, sondern vor allem die liebevolle, hochwertige Aufmachung der zwei CDs, die sich äußerlich an die gedruckten Bücher im Geschenkschuber anlehnt und im Beiheft meine Rezepte und informative Surftipps aus dem Elsass bereit hält.
Für Literaturfreunde ein Geheimtipp: Tina Walz von Gugis-Hörbücher legt jetzt mit dem neuen Hörbuchverlag Der Diwan außergewöhnliche Literaturvertonungen vor. So liest z.B. Oliver Korittke Jochen Schmidts "Meine wichtigsten Körperfunktionen", Jan Messutat Charles Simmons' "Salzwasser" oder Dietmar Schönherr "Meine Schwester Sara" von Ruth Weiss. Man darf auf dieses Label jenseits der Massenware gespannt sein.
8. Juli 2008
Wiederholungstäter
... nannte mich die nette Dame vom Theater, als Sie meine Telefonnummer sofort wiedererkannte. Prompt fühlte ich mich ertappt, hatte ich doch unlängst mit einem Krimikollegen über einen Mord auf einem Komposthaufen herumgesponnen und überlegt, ob man die Leiche besser auf Kaffeesatz oder faulendes Obst drapiert. Aber dann musste ich lachen, ich hatte mich nur mal wieder zu einem Schauspiel-Workshop angemeldet. Mit irgendetwas muss man ja die ständigen Wartezeiten der entscheidungsfreudigen Verlage herumbringen. Oder wie eine ältere Künstlerin mir kürzlich den Floh in den Kopf setzte: "Stell dir vor, du wärst verrückt, reich und hättest nicht mehr lang zu leben. Was wäre dann beruflich wirklich wichtig für dich - und nicht für all die, die mit ihren Erwartungen an dir zerren?"
Die Wiederholungstat hat inzwischen ernste Hintergründe. Wir Autoren beschäftigen uns ja ständig mit Körperarbeit in passivem Sinn. Wollen wir nicht trivial schreiben, "die tiefunglückliche junge Frau löste sich in Tränen auf und verzweifelte gar schröcklich", dann müssen wir genau wissen, welche Gestik, Mimik und Bewegungen wir unseren Figuren verpassen. Daraus setzt sich dann der Leser im Idealfall seinen eigenen Eindruck zusammen. Um sich in dieser Wahrnehmung und Umsetzung zu schulen, werden wir zu hemmungslosen Voyeuren, die Gesten auf Bahnsteigen und in Restaurants sammeln, die fremde Menschen selbstvergessen und hemmungslos beobachten. Und theoretisch kann man sich dann auch noch mit Büchern bilden - etwa denen von Sammy Molcho. Voyeure haben nur ein Problem: Sie glauben, sie würden selbst nicht beobachtet.
Bis der Voyeur dann mal auftritt und glaubt, sich beim Lesen am Buch festhalten zu können. Mit der eigenen Körperarbeit liegt es oft im Argen. Ich bin z.B. ein Typ, der grundsätzlich über Kabel und andere Unebenheiten stolpert, und das einmal auf einer riesigen leeren Bühne mit einem einzigen Kabel zum Slapstick ausgebaut hat. Kurz bevor die Nase den Boden berührte, konnte ich mich im Flug vorstellen. Und als ich jetzt von einer Journalistin Fotos von meinem letzten Auftritt bekam, musste ich schallend lachen: voll ertappt! Ich spreizte affektiert den kleinen Finger ab ... um damit mein Buch auf dem Oberschenkel abzustützen! Abgespreizte kleine Finger, so ein geflügelter Witz, seien in der Zeit der Französischen Revolution Erkennungszeichen für den Adel gewesen. Rübe ab - die Konsequenz.
Man lernt mit der Zeit, sich selbst zu beobachten, zu analysieren - und im Idealfall gleichzeitig zu korrigieren. Während das Publikum hoffentlich genießt, führt man selbst seltsame schizophrene Dialoge mit der Figur, die da liest. "Hör auf, die Beine umeinander zu wickeln" - "Nasenfalte weg, lächle" - "guck die Leute endlich mal wieder an"...
So ein Schauspiel-Workshop, wie ihn mittlerweile viele Theater für Laien anbieten, kann eine große Hilfe sein, denn Schriftstellern findet längst nicht mehr nur im stillen Kämmerlein statt. Und die Menschen, die eine Lesung besuchen, haben es verdient, den Abend zu genießen. Nuschelnde, sich gelangweilt hinfläzende Autoren sind out - die Konkurrenz der Auftrittsprofis ist groß. Fortbildung darf auch in diesem Beruf sein. Selbstsicherer macht sie obendrein. Am Samstag habe ich etwas, das ich gelernt habe, zum ersten Mal umsetzen können.
Es hieß, Fehler bemerke man zwar selbst, aber das Publikum bemerke sie nur, wenn man verunsichert und ängstlich darauf reagiere. Als ich am Samstag einmal den roten Faden verlor, versuchte ich es. Anstatt hilflos herumzustottern, holte ich tief Luft und schaute die Leute an. Atmete, wartete und suchte in Ruhe meine verlorene Zeile. Zwar habe ich währenddessen geschwitzt - aber offensichtlich wurde das Ganze als Betonungpause wahrgenommen, wenn überhaupt.
Meine Wiederholungstat hat aber noch einen weiteren Hintersinn. Mein Publikum in der Galerie KUNSTvollerGARTEN in Odelshofen war so fantastisch! Ein Publikum ist dann wunderbar, wenn man ihm ansieht, dass es genießt und einen schönen Abend hat. Wenn es sichtlich gern da saß. Wenn es mehr als nur den Text genießen konnte. Und dieses Ambiente mit dem Essen, der Kunst, dem zwanglosen Flanieren im Traumgarten hat mich angestachelt, selbst mehr zu wollen als "nur" vorzulesen. Eine Idee fürs nächste Jahr nimmt langsam Konturen an. Und dafür drücke ich fleißig die Schulbank, äh ... diese Bretter, Sie wissen schon... Danke dafür an mein Publikum!
Die Wiederholungstat hat inzwischen ernste Hintergründe. Wir Autoren beschäftigen uns ja ständig mit Körperarbeit in passivem Sinn. Wollen wir nicht trivial schreiben, "die tiefunglückliche junge Frau löste sich in Tränen auf und verzweifelte gar schröcklich", dann müssen wir genau wissen, welche Gestik, Mimik und Bewegungen wir unseren Figuren verpassen. Daraus setzt sich dann der Leser im Idealfall seinen eigenen Eindruck zusammen. Um sich in dieser Wahrnehmung und Umsetzung zu schulen, werden wir zu hemmungslosen Voyeuren, die Gesten auf Bahnsteigen und in Restaurants sammeln, die fremde Menschen selbstvergessen und hemmungslos beobachten. Und theoretisch kann man sich dann auch noch mit Büchern bilden - etwa denen von Sammy Molcho. Voyeure haben nur ein Problem: Sie glauben, sie würden selbst nicht beobachtet.
Bis der Voyeur dann mal auftritt und glaubt, sich beim Lesen am Buch festhalten zu können. Mit der eigenen Körperarbeit liegt es oft im Argen. Ich bin z.B. ein Typ, der grundsätzlich über Kabel und andere Unebenheiten stolpert, und das einmal auf einer riesigen leeren Bühne mit einem einzigen Kabel zum Slapstick ausgebaut hat. Kurz bevor die Nase den Boden berührte, konnte ich mich im Flug vorstellen. Und als ich jetzt von einer Journalistin Fotos von meinem letzten Auftritt bekam, musste ich schallend lachen: voll ertappt! Ich spreizte affektiert den kleinen Finger ab ... um damit mein Buch auf dem Oberschenkel abzustützen! Abgespreizte kleine Finger, so ein geflügelter Witz, seien in der Zeit der Französischen Revolution Erkennungszeichen für den Adel gewesen. Rübe ab - die Konsequenz.
Man lernt mit der Zeit, sich selbst zu beobachten, zu analysieren - und im Idealfall gleichzeitig zu korrigieren. Während das Publikum hoffentlich genießt, führt man selbst seltsame schizophrene Dialoge mit der Figur, die da liest. "Hör auf, die Beine umeinander zu wickeln" - "Nasenfalte weg, lächle" - "guck die Leute endlich mal wieder an"...
So ein Schauspiel-Workshop, wie ihn mittlerweile viele Theater für Laien anbieten, kann eine große Hilfe sein, denn Schriftstellern findet längst nicht mehr nur im stillen Kämmerlein statt. Und die Menschen, die eine Lesung besuchen, haben es verdient, den Abend zu genießen. Nuschelnde, sich gelangweilt hinfläzende Autoren sind out - die Konkurrenz der Auftrittsprofis ist groß. Fortbildung darf auch in diesem Beruf sein. Selbstsicherer macht sie obendrein. Am Samstag habe ich etwas, das ich gelernt habe, zum ersten Mal umsetzen können.
Es hieß, Fehler bemerke man zwar selbst, aber das Publikum bemerke sie nur, wenn man verunsichert und ängstlich darauf reagiere. Als ich am Samstag einmal den roten Faden verlor, versuchte ich es. Anstatt hilflos herumzustottern, holte ich tief Luft und schaute die Leute an. Atmete, wartete und suchte in Ruhe meine verlorene Zeile. Zwar habe ich währenddessen geschwitzt - aber offensichtlich wurde das Ganze als Betonungpause wahrgenommen, wenn überhaupt.
Meine Wiederholungstat hat aber noch einen weiteren Hintersinn. Mein Publikum in der Galerie KUNSTvollerGARTEN in Odelshofen war so fantastisch! Ein Publikum ist dann wunderbar, wenn man ihm ansieht, dass es genießt und einen schönen Abend hat. Wenn es sichtlich gern da saß. Wenn es mehr als nur den Text genießen konnte. Und dieses Ambiente mit dem Essen, der Kunst, dem zwanglosen Flanieren im Traumgarten hat mich angestachelt, selbst mehr zu wollen als "nur" vorzulesen. Eine Idee fürs nächste Jahr nimmt langsam Konturen an. Und dafür drücke ich fleißig die Schulbank, äh ... diese Bretter, Sie wissen schon... Danke dafür an mein Publikum!
5. Juli 2008
Sinnesreisen bei der Müll-Mafia
Da schreibe ich noch frech im letzten Sinnesreisen-Beitrag, der Mensch würde mit chemischen Aromabomben derart in der Wahrnehmung korrumpiert, dass er keine Nase und Zunge mehr für Natürliches habe. Ehrlich: bis gestern habe ich mir meine eigene These nicht glauben wollen.
Auch ich habe fleißig Mozarella gegessen. Nur ab und zu wollte ich mich schon beschweren, weil der Mozarella einer etablierten italienischen Marke anders als früher schon nach einem Tag Öffnung im Kühlschrank verdarb. Er wurde gelb, bekam einen komischen Belag und schmeckte bitter-scharf. Nicht mal mein Hund wollte ihn - und der liebt Käse. Nicht auszudenken, was ich da zu meinen Biotomaten aus dem eigenen Garten in mich hineingeschaufelt habe. Da soll es Käse gegeben haben, der so alt war wie mein Abitur (an das ich mich kaum noch erinnere)! Und als Landbewohner weiß ich, wie durchdringend die Exkremente einer einzigen Maus eine ganze Wohnung verseuchen können. Ja, bitte wie macht man das, die Zungen und Nasen der Verbraucher derart zu täuschen? Was muss zu diesem Dreck (ein weniger sauberes Wort wäre angebrachter) eigentlich noch in den Käse, damit der Schund nach Käse schmeckt?!?
Fein, dass Journalisten über solche Skandale berichten. Aber sie umgehen mir zu sehr die wirklich interessanten Fragen. Immerhin haben sich einige endlich herabgelassen, Namen zu nennen. Solche Namen sollten, ähnlich wie bei den Gentechnik-Listen von Greenpeace, eigentlich gesammelt dem Verbraucher zur Verfügung gestellt werden - oder per Internet kursieren. Menschen, die so etwas tun, sollten - wenn endlich gefasst, von der Gefängniskantine freundlich befreit werden und ihre eigenen Luxusprodukte vorgesetzt bekommen.
Stattdessen eiern die Journalisten der Agenturen herum. Es hätte eine "ökologische Bombe" werden können bei den Käseessern. Hätte können? Der Dreck landet offensichtlich seit etwa zwei Jahren in europäischen Mägen! Wie sollen Ärzte etwaige Krankheiten richtig zuweisen können, wenn sie jetzt erst davon erfahren? Und was bitte ist eine "ökologische Bombe" im Bauch? Warum nennt es keiner beim Namen: Müll, schädliche Abbauprodukte, Gifte, Keime, ein Anschlags-Cocktail auf Gesundheit und Immunsystem des Menschen. Würde ich das mit meiner Oma machen, käme ich zumindest wegen versuchten Totschlags dran.
Noch einmal die Bitte: Kollegen, Politiker etc., recherchiert doch bitte endlich auch einmal, welche Tricks und Rezepte all die Lebensmittel-Schwerverbrecher, ob bei Gammelfleisch oder Rattenscheißekäse, in den verarbeitenden Betrieben anwenden, um uns so perfekt täuschen zu können. Was wird da an Chemie zugeschüttet, welche mechanischen Tricks angewandt? Deckt nicht nur die Machenschaften der Händler auf, schaut endlich endlich mal den Lebensmittelkonzernen besser auf die Finger! Wie kommt es, dass all die feinen Marken künstlich Dreck zusammensetzen können, der so aussieht wie das Original, so riecht wie das Original, vielleicht sogar so schmeckt wie das Original? Und angeblich merkt keiner was, angeblich sind solche Betriebe so tollen Sicherheitsmaßnahmen unterworfen? Wo die Oma auf dem Land schon von einer einzigen Maus in der Küche genervt wird?
Wie können wir Verbraucher überhaupt noch eine Garantie haben, dass unsere Milch wirklich aus Milch gemacht ist und unser Müsli nicht auf der Werkstoilette zusammen gefegt wurde? Wenn die Hersteller jetzt wieder ihre Hände in Unschuld waschen, wächst das Vertrauen ganz bestimmt nicht. Legt die Karten auf den Tisch und zeigt es: Wir essen schon lang nicht mehr all die "Lebens"mittel, die wir meinen zu essen. Lebensmittel sind verkommen zu Profitmitteln, Abfütterungsware, Illusionen.
Ganz besonders zynisch finde ich die Mitteilung in den Medien, diese Uraltscheiße hätte eigentlich als Tierfutter verwendet werden müssen. Mal ganz abgesehen von einem solch kaputten Verhältnis zwischen Mensch und Tier - welche Geschöpfe hätten das denn fressen sollen? Verseuchen wir auch lustigen Herzens unseren Fifi und unsere Mieze? Oder war das Schweinefutter? Sind ja Allesfresser. Und wenn wir dann die dreck- und müll- und giftgemästeten Schnitzelchen für uns braten, dann guten Appetit! Auch wir sind Allesfresser. Ganz schön runtergekommene Allesfresser.
Uns am Ende der Nahrungs- und Profitkette bleibt nur eine Reaktion: Noch genauer hinschauen, noch bewusster einkaufen, die Sinne noch mehr schärfen. Und vielleicht auch vermehrt dort einkaufen, wo wir selbst einen Blick in die Betreibe werfen können - beim Biobauern in der eigenen Region, bei der Familienkäserei. Die könnten, anders als Konzerne, mit solchen Machenschaften nämlich nicht überleben. Und wir Verbraucher haben Macht - wir bestimmen, was wir in Zukunft einkaufen und was wir in den Regalen vergammeln lassen.
Auch ich habe fleißig Mozarella gegessen. Nur ab und zu wollte ich mich schon beschweren, weil der Mozarella einer etablierten italienischen Marke anders als früher schon nach einem Tag Öffnung im Kühlschrank verdarb. Er wurde gelb, bekam einen komischen Belag und schmeckte bitter-scharf. Nicht mal mein Hund wollte ihn - und der liebt Käse. Nicht auszudenken, was ich da zu meinen Biotomaten aus dem eigenen Garten in mich hineingeschaufelt habe. Da soll es Käse gegeben haben, der so alt war wie mein Abitur (an das ich mich kaum noch erinnere)! Und als Landbewohner weiß ich, wie durchdringend die Exkremente einer einzigen Maus eine ganze Wohnung verseuchen können. Ja, bitte wie macht man das, die Zungen und Nasen der Verbraucher derart zu täuschen? Was muss zu diesem Dreck (ein weniger sauberes Wort wäre angebrachter) eigentlich noch in den Käse, damit der Schund nach Käse schmeckt?!?
Fein, dass Journalisten über solche Skandale berichten. Aber sie umgehen mir zu sehr die wirklich interessanten Fragen. Immerhin haben sich einige endlich herabgelassen, Namen zu nennen. Solche Namen sollten, ähnlich wie bei den Gentechnik-Listen von Greenpeace, eigentlich gesammelt dem Verbraucher zur Verfügung gestellt werden - oder per Internet kursieren. Menschen, die so etwas tun, sollten - wenn endlich gefasst, von der Gefängniskantine freundlich befreit werden und ihre eigenen Luxusprodukte vorgesetzt bekommen.
Stattdessen eiern die Journalisten der Agenturen herum. Es hätte eine "ökologische Bombe" werden können bei den Käseessern. Hätte können? Der Dreck landet offensichtlich seit etwa zwei Jahren in europäischen Mägen! Wie sollen Ärzte etwaige Krankheiten richtig zuweisen können, wenn sie jetzt erst davon erfahren? Und was bitte ist eine "ökologische Bombe" im Bauch? Warum nennt es keiner beim Namen: Müll, schädliche Abbauprodukte, Gifte, Keime, ein Anschlags-Cocktail auf Gesundheit und Immunsystem des Menschen. Würde ich das mit meiner Oma machen, käme ich zumindest wegen versuchten Totschlags dran.
Noch einmal die Bitte: Kollegen, Politiker etc., recherchiert doch bitte endlich auch einmal, welche Tricks und Rezepte all die Lebensmittel-Schwerverbrecher, ob bei Gammelfleisch oder Rattenscheißekäse, in den verarbeitenden Betrieben anwenden, um uns so perfekt täuschen zu können. Was wird da an Chemie zugeschüttet, welche mechanischen Tricks angewandt? Deckt nicht nur die Machenschaften der Händler auf, schaut endlich endlich mal den Lebensmittelkonzernen besser auf die Finger! Wie kommt es, dass all die feinen Marken künstlich Dreck zusammensetzen können, der so aussieht wie das Original, so riecht wie das Original, vielleicht sogar so schmeckt wie das Original? Und angeblich merkt keiner was, angeblich sind solche Betriebe so tollen Sicherheitsmaßnahmen unterworfen? Wo die Oma auf dem Land schon von einer einzigen Maus in der Küche genervt wird?
Wie können wir Verbraucher überhaupt noch eine Garantie haben, dass unsere Milch wirklich aus Milch gemacht ist und unser Müsli nicht auf der Werkstoilette zusammen gefegt wurde? Wenn die Hersteller jetzt wieder ihre Hände in Unschuld waschen, wächst das Vertrauen ganz bestimmt nicht. Legt die Karten auf den Tisch und zeigt es: Wir essen schon lang nicht mehr all die "Lebens"mittel, die wir meinen zu essen. Lebensmittel sind verkommen zu Profitmitteln, Abfütterungsware, Illusionen.
Ganz besonders zynisch finde ich die Mitteilung in den Medien, diese Uraltscheiße hätte eigentlich als Tierfutter verwendet werden müssen. Mal ganz abgesehen von einem solch kaputten Verhältnis zwischen Mensch und Tier - welche Geschöpfe hätten das denn fressen sollen? Verseuchen wir auch lustigen Herzens unseren Fifi und unsere Mieze? Oder war das Schweinefutter? Sind ja Allesfresser. Und wenn wir dann die dreck- und müll- und giftgemästeten Schnitzelchen für uns braten, dann guten Appetit! Auch wir sind Allesfresser. Ganz schön runtergekommene Allesfresser.
Uns am Ende der Nahrungs- und Profitkette bleibt nur eine Reaktion: Noch genauer hinschauen, noch bewusster einkaufen, die Sinne noch mehr schärfen. Und vielleicht auch vermehrt dort einkaufen, wo wir selbst einen Blick in die Betreibe werfen können - beim Biobauern in der eigenen Region, bei der Familienkäserei. Die könnten, anders als Konzerne, mit solchen Machenschaften nämlich nicht überleben. Und wir Verbraucher haben Macht - wir bestimmen, was wir in Zukunft einkaufen und was wir in den Regalen vergammeln lassen.
4. Juli 2008
Sinnesreisen
Zur Sommerzeit und für alle, die nicht in Urlaub fahren, biete ich Ihnen eine neue Rubrik: Sinnesreisen. In unregelmäßigen Abständen gibt es Informatives und Spielerisches, Gedankensplitter und Ideen rund um die Sinneswahrnehmungen Riechen, Schmecken, Hören, Sehen, Tasten. Denn unsere Sinne sind der erste Kontakt zur Welt - und sie bestimmen darüber, wie wir diese erleben. Wer später alle Beiträge zu einem Thema nachlesen möchte, klickt einfach auf die Tags am Ende der Beiträge.
Und weil es bei solchen Texten beliebt ist, sie zu "entführen": Die sind natürlich, wie alle meine Texte, urheberrechtlich geschützt. Als Berufsautorin und Mitglied der VG Wort gehe ich gegen Textklau vor! Also: Link setzen, ja. Text klauen, nein.
Unser Supermarkt hat renoviert und man kann es riechen. Sie kennen sicher diese hässlichen Agglomerationen außerhalb von französischen Städten, wo ein wildes Sammelsurium von billigen Alu- und Plastikhallen, überdimensionalen Werbeschildern in schreienden Farben und ein Wirrwarr aus Asphalt den Eindruck vermitteln, man sei auf einem fremden Planeten gelandet. Solche Einkaufszonen riechen auch entsprechend: nach den Abgasen der nahen Autobahn, nach schmelzendem Straßenbelag im Sommer und miefigen Heizungsabgasen im Winter.
Wenn es jetzt aber aus einem Laden duftet, als sei eine Großbäckerei dabei, Hunderte von wagenradgroßen Kuchen zu backen, dann ist etwas faul. Genauso faul, wie wenn ihre heimische Ketten-Bäckerei, die sich womöglich "Backshop" nennt, intensiv nach Vanille duftet. Misstrauen Sie der Sache. Wer Englisch kann, weiß, dass ein back shop nicht Backwaren verkauft, sondern eher das hinter-letzte - und garantiert nicht in echte Bourbonvanille investiert.
Der scheinbar wunderbare Duft, den die meisten Menschen im Vorübergehen nur unbewusst aufnehmen, ist ein bösartiger Köder. Und wenn es nach Vanille duftet, dann wollen die, die solche künstlichen Aromen via Klimaanlage verteilen, nur eins: möglichst viel Geld von einem Kunden, der sich in seine Kindheitstage zurückversetzt fühlt, um entscheidungsunfähig und naiv wie ein Kind Lustkäufe zu tätigen. Die Ladendüfte gibt es sozusagen auf Flasche und sie wirken wie auf Knopfdruck. So haben Versuche in Großraumbüros gezeigt, dass Zitrusdüfte und Frisches die Angestellten arbeitswilliger macht. Mit Lavendel und Pinie kann man seine Schäfchen abwechselnd beruhigen oder auffrischen. Fehlt nur noch der richtige Klangteppich dazu.
Warum beeinflussen uns Düfte derart, dass wir die Kontrolle verlieren können?
Der Mensch ist ein Tier, das sich erinnern kann. Erinnerungen und Eindrücke speichern sich jedoch nicht immer gleich stark. Vielleicht wird man noch wissen, welcher Song beim ersten Kuss spielte und wonach der Partner roch. Wird man dagegen gefragt, mit wem man in der vergangenen Woche Dienstag nachmittag telefoniert hat, wird das schon schwieriger.
Es gibt zwei Vehikel, die Erinnerungen verstärken: Die Anzahl, also der Reichtum an Sinneseindrücken - und die beteiligten Emotionen, die wiederum von den Sinneswahrnehmungen abhängen.
Kinder gehen in dieser Beziehung noch besonders wach und ungefiltert durch die Welt, werden auch von Alltäglichem stark berührt. Ein Grund dafür, dass wir die runden kirschroten Himbeerbonbons von damals vor unseren geistigen Sinnen riechen und schmecken können, als seien sie echt. Und jetzt kommt das Fiese an der Duftbetäubung: Wer es schafft, Kindheitserinnerungen in uns zu wecken, die positiv besetzt sind, der schafft es, Gefühle von Geborgenheit, Glück und Wohlbefinden in uns zu wecken. Jedenfalls das, was wir kurzfristig und unbewusst dafür halten. Vanille- und Teiggeruch ist so ein Schlüsselreiz aus der Kindheit.
Wie aber kann ich mich vor solcher Beeinflussung schützen?
Da wir leider weder mit Nasenklammer noch Gasmaske einkaufen gehen können, bliebe allenfalls ein Protest gegen solche Läden, die vor allem Allergikern das Leben schwer machen; aber auch die Sinne verseuchen, so dass es immer schwerer wird, wirklich hinzuriechen.
Ansonsten hilft das Wachbewusstsein. Schnuppern Sie einmal genau hin, nach was das riecht. Und prüfen Sie dann, ob es das dort überhaupt zu kaufen gibt! Vor meinem Supermarkt roch es nach überdimensionalen Flans, Blätterteig mit einer vanillepuddingartigen Füllung. Ich habe die Dinger spaßhalber in der Fabrikbäckerei innen verlangt. Erstaunen bei der Verkäuferin, das würden sie nicht backen. Warum denn dann der ganze Parkplatz danach rieche, wollte ich wissen. Noch größeres Erstaunen. Entweder sind die Angestellten nicht einmal informiert - oder sie halten einen auf Anweisung für dumm. Die ach so dummen Kunden können sich aber auch umtrainieren: Immer, wenn es in einem Laden aufdringlich nach Vanille riecht, nehme ich das als Schlüsselreiz, besonders zügig und exakt nach Zettel einzukaufen.
Und wenn Sie dann in geruchsneutraler Umgebung zu Hause sind, machen Sie sich die Freude, an echter Bourbon-Vanille zu riechen. Vielleicht wird es mit all der künstlichen Beduftung zuerst schwer fallen, überhaupt etwas von dem leichten flüchtigen Wohlgeruch wahrzunehmen. Manchmal muss man es immer wieder einmal trainieren. Schulkinder in Frankreich, die man mit verbundenen Augen Naturjoghurt mit echter Bourbonvanille angerührt probieren ließ und Joghurtprodukte mit künstlichen Vanillearoma, sind jedenfalls nur noch in Ausnahmefällen in der Lage, das Naturprodukt zu erkennen und zu mögen. Sie müssen wieder mühsam lernen, Natur zu schmecken.
Wer sich aber wieder auf den Reichtum der viel nuancierteren Naturdüfte einlässt und sich nicht zu oft mit der Chemokeule betäubt - der wird irgendwann wieder wahrnehmen, wie "falsch" künstliche Düfte riechen. Und den wird keiner mehr so schnell auf falsche Geruchs- und Konsumfährten führen können.
Mein Tagestipp:
Bananenmilchshake. Selbstgemixt aus kalter Milch, Banane und ein wenig Mark aus einer Vanilleschote. Ersetzt man die Milch durch ein Gemisch aus Sahne und Joghurt und gefriert das Ganze, hat man ein leichtes und erfrischendes Bananeneis, das an heißen Tagen den Milchshake aufpeppt.
Und weil es bei solchen Texten beliebt ist, sie zu "entführen": Die sind natürlich, wie alle meine Texte, urheberrechtlich geschützt. Als Berufsautorin und Mitglied der VG Wort gehe ich gegen Textklau vor! Also: Link setzen, ja. Text klauen, nein.
Unser Supermarkt hat renoviert und man kann es riechen. Sie kennen sicher diese hässlichen Agglomerationen außerhalb von französischen Städten, wo ein wildes Sammelsurium von billigen Alu- und Plastikhallen, überdimensionalen Werbeschildern in schreienden Farben und ein Wirrwarr aus Asphalt den Eindruck vermitteln, man sei auf einem fremden Planeten gelandet. Solche Einkaufszonen riechen auch entsprechend: nach den Abgasen der nahen Autobahn, nach schmelzendem Straßenbelag im Sommer und miefigen Heizungsabgasen im Winter.
Wenn es jetzt aber aus einem Laden duftet, als sei eine Großbäckerei dabei, Hunderte von wagenradgroßen Kuchen zu backen, dann ist etwas faul. Genauso faul, wie wenn ihre heimische Ketten-Bäckerei, die sich womöglich "Backshop" nennt, intensiv nach Vanille duftet. Misstrauen Sie der Sache. Wer Englisch kann, weiß, dass ein back shop nicht Backwaren verkauft, sondern eher das hinter-letzte - und garantiert nicht in echte Bourbonvanille investiert.
Der scheinbar wunderbare Duft, den die meisten Menschen im Vorübergehen nur unbewusst aufnehmen, ist ein bösartiger Köder. Und wenn es nach Vanille duftet, dann wollen die, die solche künstlichen Aromen via Klimaanlage verteilen, nur eins: möglichst viel Geld von einem Kunden, der sich in seine Kindheitstage zurückversetzt fühlt, um entscheidungsunfähig und naiv wie ein Kind Lustkäufe zu tätigen. Die Ladendüfte gibt es sozusagen auf Flasche und sie wirken wie auf Knopfdruck. So haben Versuche in Großraumbüros gezeigt, dass Zitrusdüfte und Frisches die Angestellten arbeitswilliger macht. Mit Lavendel und Pinie kann man seine Schäfchen abwechselnd beruhigen oder auffrischen. Fehlt nur noch der richtige Klangteppich dazu.
Warum beeinflussen uns Düfte derart, dass wir die Kontrolle verlieren können?
Der Mensch ist ein Tier, das sich erinnern kann. Erinnerungen und Eindrücke speichern sich jedoch nicht immer gleich stark. Vielleicht wird man noch wissen, welcher Song beim ersten Kuss spielte und wonach der Partner roch. Wird man dagegen gefragt, mit wem man in der vergangenen Woche Dienstag nachmittag telefoniert hat, wird das schon schwieriger.
Es gibt zwei Vehikel, die Erinnerungen verstärken: Die Anzahl, also der Reichtum an Sinneseindrücken - und die beteiligten Emotionen, die wiederum von den Sinneswahrnehmungen abhängen.
Kinder gehen in dieser Beziehung noch besonders wach und ungefiltert durch die Welt, werden auch von Alltäglichem stark berührt. Ein Grund dafür, dass wir die runden kirschroten Himbeerbonbons von damals vor unseren geistigen Sinnen riechen und schmecken können, als seien sie echt. Und jetzt kommt das Fiese an der Duftbetäubung: Wer es schafft, Kindheitserinnerungen in uns zu wecken, die positiv besetzt sind, der schafft es, Gefühle von Geborgenheit, Glück und Wohlbefinden in uns zu wecken. Jedenfalls das, was wir kurzfristig und unbewusst dafür halten. Vanille- und Teiggeruch ist so ein Schlüsselreiz aus der Kindheit.
Wie aber kann ich mich vor solcher Beeinflussung schützen?
Da wir leider weder mit Nasenklammer noch Gasmaske einkaufen gehen können, bliebe allenfalls ein Protest gegen solche Läden, die vor allem Allergikern das Leben schwer machen; aber auch die Sinne verseuchen, so dass es immer schwerer wird, wirklich hinzuriechen.
Ansonsten hilft das Wachbewusstsein. Schnuppern Sie einmal genau hin, nach was das riecht. Und prüfen Sie dann, ob es das dort überhaupt zu kaufen gibt! Vor meinem Supermarkt roch es nach überdimensionalen Flans, Blätterteig mit einer vanillepuddingartigen Füllung. Ich habe die Dinger spaßhalber in der Fabrikbäckerei innen verlangt. Erstaunen bei der Verkäuferin, das würden sie nicht backen. Warum denn dann der ganze Parkplatz danach rieche, wollte ich wissen. Noch größeres Erstaunen. Entweder sind die Angestellten nicht einmal informiert - oder sie halten einen auf Anweisung für dumm. Die ach so dummen Kunden können sich aber auch umtrainieren: Immer, wenn es in einem Laden aufdringlich nach Vanille riecht, nehme ich das als Schlüsselreiz, besonders zügig und exakt nach Zettel einzukaufen.
Und wenn Sie dann in geruchsneutraler Umgebung zu Hause sind, machen Sie sich die Freude, an echter Bourbon-Vanille zu riechen. Vielleicht wird es mit all der künstlichen Beduftung zuerst schwer fallen, überhaupt etwas von dem leichten flüchtigen Wohlgeruch wahrzunehmen. Manchmal muss man es immer wieder einmal trainieren. Schulkinder in Frankreich, die man mit verbundenen Augen Naturjoghurt mit echter Bourbonvanille angerührt probieren ließ und Joghurtprodukte mit künstlichen Vanillearoma, sind jedenfalls nur noch in Ausnahmefällen in der Lage, das Naturprodukt zu erkennen und zu mögen. Sie müssen wieder mühsam lernen, Natur zu schmecken.
Wer sich aber wieder auf den Reichtum der viel nuancierteren Naturdüfte einlässt und sich nicht zu oft mit der Chemokeule betäubt - der wird irgendwann wieder wahrnehmen, wie "falsch" künstliche Düfte riechen. Und den wird keiner mehr so schnell auf falsche Geruchs- und Konsumfährten führen können.
Mein Tagestipp:
Bananenmilchshake. Selbstgemixt aus kalter Milch, Banane und ein wenig Mark aus einer Vanilleschote. Ersetzt man die Milch durch ein Gemisch aus Sahne und Joghurt und gefriert das Ganze, hat man ein leichtes und erfrischendes Bananeneis, das an heißen Tagen den Milchshake aufpeppt.
Fleischbeschau
Ich heiße P. und gestern habe ich nur meinen Einkaufszettel geschrieben. Ich bin aber in der Recherche ganz arg weit gekommen und habe eine Liste für einen fehlenden Teil im Exposé angelegt, bevor es an der Tür geklingelt hat und die Nachbarin Gurken gebracht hat. Sie hat auch Tomaten. Morgen kann ich wieder nicht schreiben, weil ich auftreten muss, aber ich will ganz bald an meinen Roman, ganz sicher.
Mal ganz ehrlich: Interessiert Sie so etwas wirklich?
Kürzlich fragte mich jemand, warum ich hier eigentlich nie über meine Arbeit als Autorin plaudere. Ich sei ein zugeknöpfter Typ. Man erfahre nichts über meine Projekte, meinen Roman oder wie ich mit Cliffhangers umginge. Antwort auf die letzte Frage habe ich: gar nicht.
Und was das Plaudern betrifft - das verlernt man im Haifischbecken der Branche schnell. Wenn sich etwa bei Sachbüchern sogar Verlage, bei denen ein Projekt zur Bewerbung liegt, hemmungslos am fremden Exposé für den eigenen (meist billigeren) Hausautor bedienen, dann ist jedes Wörtchen schon zu viel. In der Öffentlichkeit ist es tödlich. Also hält man den Kreis der Mitwisser winzig, damit man wenigstens im Fall der Fälle weiß, wer es war. Nun kann man einen Roman zwar weniger leicht abkupfern, aber was ich schreibe, ist ein noch ungelegtes Ei. Ich bin tatsächlich nicht der Typ, der bei jeder und jedem mit Ultraschallfotos hausieren geht: "Guck mal, isser nich niedlich? Da unten, die dunkle Blase, das isser." Wäre doch peinlich, mit einem Zellhaufen anzugeben, der vielleicht einen plötzlichen Abgang erleidet! Erst wenn die Verlagsvorschauen gedruckt sind, rede ich über meine Romane - und finde, dieser Spannungseffekt hat was ... zumal jetzt, wo ich das Genre grundlegend wechsle.
Warum aber schreibst du nicht mal übers Schreiben selbst, wie man's macht und so - fragte mich dieser Mensch. Hmmm ... gute Frage. Vielleicht, weil ich selbst gar nicht weiß, wie man es macht? Weil ich einfach mache? Und weil ich sowieso jedem nur sagen würde: Vergiss all den Anleitungskram, die Gebrauchsanweisungen für verdammt gute Bücher, und entwickle dich stattdessen lieber erst mal selbst, individuell, querköpfig, frei, kreativ?
Oder weil ich so bin wie ein Metzger, der den ganzen Tag im Schlachthof steckt und abends nicht auch noch übers Zerteilen von Schweinen reden will? Der sich außerdem für eine ganze Menge anderes interessiert und nicht nur fürs Würstestopfen?
Vielleicht mache ich mir ja auch Notizen über interessante Probleme, die beim Schreiben auftauchen. In denen ich mit mir unerbittlich und gnadenlos umgehe. Aber sind die Zeiten öffentlicher Flagellationen nicht längst außer Mode?
Außerdem verstehe ich diesen Menschen nicht. Ich habe das Gefühl, ich redete hier viel zu viel über mich und mein Schreiben, zu dem bekanntlich mehr gehört als das Traktieren einer Tastatur.
Wer es trotzdem wissen will: Ich habe in den letzten Monaten ein feines Portfolio gefüllt mit marktreifen Sachbuchprojekten, die zwar unterschiedliche Themen haben, aber dem treu bleiben, was ich als "mein Ding" entdeckt habe und entwickle. Das "erzählende" Sachbuch. Angefangen hat das mit "Elsass. Wo der Zander am liebsten im Riesling schwimmt", einem Reisebuch, das weitab von üblichen Touristenführern nicht nur romanhaft lesbar sein sollte, sondern auch mit allen Sinnen beim Lesen erfahrbar. Text, der im Lehnstuhl reisen und genießen lässt.
Bei meinem letzten Sachbuch "Das Buch der Rose" ging ich noch einen Schritt weiter: Wenn ein Sachbuch schon die Sinne reizen kann - wie wäre das, wenn man zu einem teilweise recht wissenschaftlichen Thema zwei ungewöhnliche Bereiche paaren würde: die Kunst und die Literatur?
Die beiden Bücher sind der Anfang eines Weges zu meinem Ideal: ein Sachbuch zu schreiben, das gelesen werden kann wie ein Roman, und trotzdem auf hohem Niveau unauffällig Wissen vermittelt. Das vielleicht auch noch beim Leser Faszination am Thema weckt, ihn neugierig macht, selbst weiter zu denken, weiter zu forschen. Mich interessieren dabei vor allem komplexe, am liebsten hochkomplizierte Themen. Das war schon in meiner ganz frühen Journalistenzeit ein Spezialgebiet von mir: völlig undurchschaubare Sujets so aufzubereiten, dass sie jeder verstehen kann, der bereit ist, den Gedankengängen zu folgen.
Ich erinnere mich an meinen ersten Zeitungsartikel in dieser Richtung. Ich sollte über ein bahnbrechendes Projekt künstlicher Intelligenz berichten, als die meisten Menschen noch keinen eigenen Computer besaßen. Der außergewöhnliche Wissenschaftler begrüßte mich, ließ begeistert einen Redeschwall los, als sei ich sein Kollege, stutzte und fragte plötzlich: "Verstehen Sie überhaupt, was ich sage? Sie sind doch in dem Fach gar nicht ausgebildet?" - Worauf ich ihm erklärte, dass ich zwar ungefähr hatte folgen können und fachlich in der Lage sein sollte, sowohl über heiße Würstchen wie auch über künstliche Intelligenz zu schreiben, aber unsere Leser bei Fachsprache nicht unbedingt mitgingen. Als der Mann über die Würstchen lächelte, hatte ich eine Idee: "Wie wäre es, wenn Sie mir die neue Entwicklung so schilderten, als hätten Sie den Hot Dog erfunden?" Er hatte riesigen Spaß daran, mitzumachen - und so konnten die Leser endlich verstehen, was an "ihrer" Uni geforscht wurde.
Mit dieser eigenen Faszination und Begeisterung auch für scheinbar trockene Themen möchte ich die Leser gern anstecken.
Der Text stimmt für mich dann, wenn ich ihn bei einer Lesung darbieten kann, ohne dass die Zuhörer den Eindruck haben, einen Vortrag zu besuchen. Wenn die Leser gespannt und neugierig bei der Sache sind, ohne zu merken, dass sie gerade etwas über ein Thema lesen, das sie vorher angeblich nie interessiert hat. Noch übe ich auf dem Weg zu meinem ganz persönlichen Prototyp von Sachbuch. Und ich übe lieber, als ständig davon zu erzählen, wie ich übe...
Mal ganz ehrlich: Interessiert Sie so etwas wirklich?
Kürzlich fragte mich jemand, warum ich hier eigentlich nie über meine Arbeit als Autorin plaudere. Ich sei ein zugeknöpfter Typ. Man erfahre nichts über meine Projekte, meinen Roman oder wie ich mit Cliffhangers umginge. Antwort auf die letzte Frage habe ich: gar nicht.
Und was das Plaudern betrifft - das verlernt man im Haifischbecken der Branche schnell. Wenn sich etwa bei Sachbüchern sogar Verlage, bei denen ein Projekt zur Bewerbung liegt, hemmungslos am fremden Exposé für den eigenen (meist billigeren) Hausautor bedienen, dann ist jedes Wörtchen schon zu viel. In der Öffentlichkeit ist es tödlich. Also hält man den Kreis der Mitwisser winzig, damit man wenigstens im Fall der Fälle weiß, wer es war. Nun kann man einen Roman zwar weniger leicht abkupfern, aber was ich schreibe, ist ein noch ungelegtes Ei. Ich bin tatsächlich nicht der Typ, der bei jeder und jedem mit Ultraschallfotos hausieren geht: "Guck mal, isser nich niedlich? Da unten, die dunkle Blase, das isser." Wäre doch peinlich, mit einem Zellhaufen anzugeben, der vielleicht einen plötzlichen Abgang erleidet! Erst wenn die Verlagsvorschauen gedruckt sind, rede ich über meine Romane - und finde, dieser Spannungseffekt hat was ... zumal jetzt, wo ich das Genre grundlegend wechsle.
Warum aber schreibst du nicht mal übers Schreiben selbst, wie man's macht und so - fragte mich dieser Mensch. Hmmm ... gute Frage. Vielleicht, weil ich selbst gar nicht weiß, wie man es macht? Weil ich einfach mache? Und weil ich sowieso jedem nur sagen würde: Vergiss all den Anleitungskram, die Gebrauchsanweisungen für verdammt gute Bücher, und entwickle dich stattdessen lieber erst mal selbst, individuell, querköpfig, frei, kreativ?
Oder weil ich so bin wie ein Metzger, der den ganzen Tag im Schlachthof steckt und abends nicht auch noch übers Zerteilen von Schweinen reden will? Der sich außerdem für eine ganze Menge anderes interessiert und nicht nur fürs Würstestopfen?
Vielleicht mache ich mir ja auch Notizen über interessante Probleme, die beim Schreiben auftauchen. In denen ich mit mir unerbittlich und gnadenlos umgehe. Aber sind die Zeiten öffentlicher Flagellationen nicht längst außer Mode?
Außerdem verstehe ich diesen Menschen nicht. Ich habe das Gefühl, ich redete hier viel zu viel über mich und mein Schreiben, zu dem bekanntlich mehr gehört als das Traktieren einer Tastatur.
Wer es trotzdem wissen will: Ich habe in den letzten Monaten ein feines Portfolio gefüllt mit marktreifen Sachbuchprojekten, die zwar unterschiedliche Themen haben, aber dem treu bleiben, was ich als "mein Ding" entdeckt habe und entwickle. Das "erzählende" Sachbuch. Angefangen hat das mit "Elsass. Wo der Zander am liebsten im Riesling schwimmt", einem Reisebuch, das weitab von üblichen Touristenführern nicht nur romanhaft lesbar sein sollte, sondern auch mit allen Sinnen beim Lesen erfahrbar. Text, der im Lehnstuhl reisen und genießen lässt.
Bei meinem letzten Sachbuch "Das Buch der Rose" ging ich noch einen Schritt weiter: Wenn ein Sachbuch schon die Sinne reizen kann - wie wäre das, wenn man zu einem teilweise recht wissenschaftlichen Thema zwei ungewöhnliche Bereiche paaren würde: die Kunst und die Literatur?
Die beiden Bücher sind der Anfang eines Weges zu meinem Ideal: ein Sachbuch zu schreiben, das gelesen werden kann wie ein Roman, und trotzdem auf hohem Niveau unauffällig Wissen vermittelt. Das vielleicht auch noch beim Leser Faszination am Thema weckt, ihn neugierig macht, selbst weiter zu denken, weiter zu forschen. Mich interessieren dabei vor allem komplexe, am liebsten hochkomplizierte Themen. Das war schon in meiner ganz frühen Journalistenzeit ein Spezialgebiet von mir: völlig undurchschaubare Sujets so aufzubereiten, dass sie jeder verstehen kann, der bereit ist, den Gedankengängen zu folgen.
Ich erinnere mich an meinen ersten Zeitungsartikel in dieser Richtung. Ich sollte über ein bahnbrechendes Projekt künstlicher Intelligenz berichten, als die meisten Menschen noch keinen eigenen Computer besaßen. Der außergewöhnliche Wissenschaftler begrüßte mich, ließ begeistert einen Redeschwall los, als sei ich sein Kollege, stutzte und fragte plötzlich: "Verstehen Sie überhaupt, was ich sage? Sie sind doch in dem Fach gar nicht ausgebildet?" - Worauf ich ihm erklärte, dass ich zwar ungefähr hatte folgen können und fachlich in der Lage sein sollte, sowohl über heiße Würstchen wie auch über künstliche Intelligenz zu schreiben, aber unsere Leser bei Fachsprache nicht unbedingt mitgingen. Als der Mann über die Würstchen lächelte, hatte ich eine Idee: "Wie wäre es, wenn Sie mir die neue Entwicklung so schilderten, als hätten Sie den Hot Dog erfunden?" Er hatte riesigen Spaß daran, mitzumachen - und so konnten die Leser endlich verstehen, was an "ihrer" Uni geforscht wurde.
Mit dieser eigenen Faszination und Begeisterung auch für scheinbar trockene Themen möchte ich die Leser gern anstecken.
Der Text stimmt für mich dann, wenn ich ihn bei einer Lesung darbieten kann, ohne dass die Zuhörer den Eindruck haben, einen Vortrag zu besuchen. Wenn die Leser gespannt und neugierig bei der Sache sind, ohne zu merken, dass sie gerade etwas über ein Thema lesen, das sie vorher angeblich nie interessiert hat. Noch übe ich auf dem Weg zu meinem ganz persönlichen Prototyp von Sachbuch. Und ich übe lieber, als ständig davon zu erzählen, wie ich übe...
1. Juli 2008
Synästhesie
Als Kind habe ich nicht bemerkt, dass ich "anders" war. Ich wollte nur dringend aufschreiben, was mir Tulpen und Heuschrecken erzählten. Und dazu musste ich erst mal eine Schrift erfinden (noch war ich Analphabet) und das richtige Handwerkszeug dafür suchen. Das waren, alte Fotos beweisen es, bunte Stifte, die unbedingt in einer Osramschachtel zu wohnen hatten. Ganz klar, denn jede Stimme in einer Geschichte hatte ihre eigene Farbe - und die wiederum mehr oder weniger Licht. Dieses Licht sollten die Stifte wohl aus der Glühbirnenschachtel saugen. Etwas unzulänglich, um die eigenen Wahrnehmungen wirklich auf Papier bringen zu können, aber ich war ja erst blutige Anfängerin. Schreiben allein hat mir jedenfalls nie gereicht - weil es mich sinnlich beschränkt. Noch heute habe ich das Gefühl, ein Text-Vakuum zusätzlich ausfüllen zu müssen.
Irgendwann lernte ich, dass die meisten Erwachsenen doof und irgendwie gestört waren. Wenn ich Erdbeeren aß, verlangten sie von mir, dass ich Worte wie "süß", "fruchtig" oder "wässrig" benutzte. Und natürlich hatte die Erdbeere rot zu sein. Als Kind passt man sich schnell an. Ich lernte solche Sachen auswendig, ahmte die im Kopf verarmten Leutchen nach. Fast mitleidig, denn offensichtlich wünschten sie sich nichts sehnlicher, als dass ich ihre dünnwandige Welt in Ordnung ließ. Ich konnte mir nicht erklären, warum ich nicht laut sagen durfte, dass Erdbeeren wie tanzende Dirndl klingen, auf denen sich Katzen wälzen. Und dass sich süße Erdbeeren wie Abendlicht anfühlen, auf das man Karminrot kleckst. Ich habe leider nie Klavierspielen gelernt. Aber als ich als Kind zum ersten Mal in meinem Leben an einem Flügel wild herumklimpern konnte, fand ich sogar den Erdbeerton.
Leider passieren auch dem angepasstesten Synästhesisten Ausrutscher, wenn er mal wieder hört, was andere nur sehen. Mein Biologielehrer nahm mich daraufhin beiseite und tröstete mich. Jedenfalls hielt er seine Rede für Trost. Ich solle mir keine Sorgen machen, das sei wie ein böser LSD-Trip, von dem man nicht runter käme. Aber ich würde sehen, in wenigen Jahren schon wisse man, welche Hirnteile man lahmlegen könne, um solche Leute wie mich zu heilen. Ja, das war die Zeit, als einige Klassenkameraden wirklich LSD nahmen und "Einer flog übers Kuckucksnest" noch Klinikwirklichkeit war. Es war die Zeit, in der ich in innere Emigration ging mit meiner Wahrnehmung. Wenn die Leute Synästhesie für eine schwere Geisteskrankheit hielten, sollte man seine Perlen nicht vor die Säue werfen....
Etwa 30 Jahre später hat man zum Glück erkannt, dass es sich lediglich um eine Begabung handelt. Unsere Hirne sind den durchgeknallten Lobotomie-Jüngern der frühen Siebziger entgangen. Und fast schon muss man sich wieder verstecken, weil Synästhesie "hip" ist. Die Medien haben dafür gesorgt, dass sie plötzlich jeder hat und jeder haben will. Natürlich ohne die Reizüberflutung, mit der man manchmal fertig werden muss. Es will auch kaum einer wissen, dass die Musik in Supermärkten schier unerträglich gallegrün im Unterarm schmerzen kann und für einen Synästhetiker eigentlich Körperverletzung darstellt. Denn Synästhesie findet nicht nur vor einem "dritten" Auge statt, bei einigen ist sie auch fühlbar, etwa in den Extremitäten.
Ey, irre, du fühlst Rechtschreibfehler königsblau im Ellenbogen? Was, der Bordeaux schmeckt dir nicht, weil zu viel Brokat im Samtvorhang ist? Warum hälst du dir die Ohren zu? Nur, weil der Kandinsky falsch gehängt ist? Wieso bitte verträgt sich mein toller Champagner nicht mit Gustav Mahlers Kindertotenliedern? Er hüpft falsch?
Tja... so ein Exot ist niedlich für Partys, macht was her bei Vernissagen und gibt immer ein gutes Witzlein her: "Ich glaub', ich hab das auch, meine Schwiegermutter ist mir so giftgrün!"
Mein Kindheitstraum ist, einmal im Leben das Kunstmedium zu finden, in dem ich meine wirklichen Wahrnehmungen nicht nur zeigen, sondern für andere nacherlebbar machen könnte. Deshalb mein Faible für alle Künste und für alles, was mit Sinnen zu tun hat. Leider scheitern auch die spektakulärsten Multimediaversuche an den technischen Grenzen - die Maschine kann dem Menschen nicht folgen.
Dabei hat es in den 1920er Jahren schon einmal vermehrt "synästhetische" Kunst gegeben. Vor allem der Maler Wassily Kandinsky dürfte sie spätestens 1926 in öffentliche Aufmerksamkeit gerückt haben, als er in seinen kunsttheoretischen Schriften auch eine Art synästhetischer Formen- und Farbengrammatik veröffentlichte. Im Jahr davor hatte die "Novembergruppe" in Berlin den "absoluten Film" uraufgeführt. Und 2008, 83 Jahre danach, hat ARTE die mühsam rekonstruierten Stummfilme zur Fernsehuraufführung gebracht.
Ich war schon lang nicht mehr so in meinem - synästhetischen - Element. Hier wurde der Film einmal nicht zum Geschichtenerzählen benutzt, sondern in seinen Möglichkeiten als neues Kunstmedium ausgelotet, das die Eigenschaften von Bewegung und Zeit beisteuerte. Streifen wie "Rhythmus" von Hans Richter oder "Opus III." von Walter Ruttmann mit der Originalmusik von Hans Eisler machten nachvollziehbar, warum man beispielsweise Kandinskys Bilder eigentlich hören und fühlen könnte. "Die reflektorischen Farbenlichtspiele" von Ludwig Hirschfeld-Mack nahmen in der Zeit des Stummfilms und Zelluloids vorweg, was in den Anfängen der 3-D-Multimedia-Animation am Computer mühevoll errechnet wurde.
Plötzlich wurde das Medium Film zur Schnittstelle zwischen bildender Kunst, Musik, Tanz, Architektur. Die Töne moderner Kunst wurden hörbar, Geschwindigkeiten und Rhythmen von Bildern erlebbar. "Entr'acte" mit der Originalmusik von Eric Satie ging mit seinen Bildcollagen und einem rasenden Feuerwerk technischer Tricks noch ein Stück weiter. Der Kurzfilm von 1924 ließ in einem Kaleidoskop von Assoziationen plötzlich erleben, wie sehr die Menschen damals von der Maschinenwelt erschrocken waren, aber auch wie süchtig danach.
Maschinenwelten, Serien von Bildern, Klängen, Lichtern, Formen, Bewegungen - und immer wieder Geschwindigkeit, Bewegung, die Musik von Hektik, die Schönheit der Gleichförmigkeit...
Wer sich diese Stummfilme ansieht, muss nicht mehr neidisch sein, dass er kein Synästhesist ist. Es gibt ein Medium, in dem wir alle unsere Sinne überlisten lassen dürfen, sie immer wieder neu erfinden - egal, wie sie genormt sein mögen. Ein Medium kann diese Normen brechen: die Kunst.
Irgendwann lernte ich, dass die meisten Erwachsenen doof und irgendwie gestört waren. Wenn ich Erdbeeren aß, verlangten sie von mir, dass ich Worte wie "süß", "fruchtig" oder "wässrig" benutzte. Und natürlich hatte die Erdbeere rot zu sein. Als Kind passt man sich schnell an. Ich lernte solche Sachen auswendig, ahmte die im Kopf verarmten Leutchen nach. Fast mitleidig, denn offensichtlich wünschten sie sich nichts sehnlicher, als dass ich ihre dünnwandige Welt in Ordnung ließ. Ich konnte mir nicht erklären, warum ich nicht laut sagen durfte, dass Erdbeeren wie tanzende Dirndl klingen, auf denen sich Katzen wälzen. Und dass sich süße Erdbeeren wie Abendlicht anfühlen, auf das man Karminrot kleckst. Ich habe leider nie Klavierspielen gelernt. Aber als ich als Kind zum ersten Mal in meinem Leben an einem Flügel wild herumklimpern konnte, fand ich sogar den Erdbeerton.
Leider passieren auch dem angepasstesten Synästhesisten Ausrutscher, wenn er mal wieder hört, was andere nur sehen. Mein Biologielehrer nahm mich daraufhin beiseite und tröstete mich. Jedenfalls hielt er seine Rede für Trost. Ich solle mir keine Sorgen machen, das sei wie ein böser LSD-Trip, von dem man nicht runter käme. Aber ich würde sehen, in wenigen Jahren schon wisse man, welche Hirnteile man lahmlegen könne, um solche Leute wie mich zu heilen. Ja, das war die Zeit, als einige Klassenkameraden wirklich LSD nahmen und "Einer flog übers Kuckucksnest" noch Klinikwirklichkeit war. Es war die Zeit, in der ich in innere Emigration ging mit meiner Wahrnehmung. Wenn die Leute Synästhesie für eine schwere Geisteskrankheit hielten, sollte man seine Perlen nicht vor die Säue werfen....
Etwa 30 Jahre später hat man zum Glück erkannt, dass es sich lediglich um eine Begabung handelt. Unsere Hirne sind den durchgeknallten Lobotomie-Jüngern der frühen Siebziger entgangen. Und fast schon muss man sich wieder verstecken, weil Synästhesie "hip" ist. Die Medien haben dafür gesorgt, dass sie plötzlich jeder hat und jeder haben will. Natürlich ohne die Reizüberflutung, mit der man manchmal fertig werden muss. Es will auch kaum einer wissen, dass die Musik in Supermärkten schier unerträglich gallegrün im Unterarm schmerzen kann und für einen Synästhetiker eigentlich Körperverletzung darstellt. Denn Synästhesie findet nicht nur vor einem "dritten" Auge statt, bei einigen ist sie auch fühlbar, etwa in den Extremitäten.
Ey, irre, du fühlst Rechtschreibfehler königsblau im Ellenbogen? Was, der Bordeaux schmeckt dir nicht, weil zu viel Brokat im Samtvorhang ist? Warum hälst du dir die Ohren zu? Nur, weil der Kandinsky falsch gehängt ist? Wieso bitte verträgt sich mein toller Champagner nicht mit Gustav Mahlers Kindertotenliedern? Er hüpft falsch?
Tja... so ein Exot ist niedlich für Partys, macht was her bei Vernissagen und gibt immer ein gutes Witzlein her: "Ich glaub', ich hab das auch, meine Schwiegermutter ist mir so giftgrün!"
Mein Kindheitstraum ist, einmal im Leben das Kunstmedium zu finden, in dem ich meine wirklichen Wahrnehmungen nicht nur zeigen, sondern für andere nacherlebbar machen könnte. Deshalb mein Faible für alle Künste und für alles, was mit Sinnen zu tun hat. Leider scheitern auch die spektakulärsten Multimediaversuche an den technischen Grenzen - die Maschine kann dem Menschen nicht folgen.
Dabei hat es in den 1920er Jahren schon einmal vermehrt "synästhetische" Kunst gegeben. Vor allem der Maler Wassily Kandinsky dürfte sie spätestens 1926 in öffentliche Aufmerksamkeit gerückt haben, als er in seinen kunsttheoretischen Schriften auch eine Art synästhetischer Formen- und Farbengrammatik veröffentlichte. Im Jahr davor hatte die "Novembergruppe" in Berlin den "absoluten Film" uraufgeführt. Und 2008, 83 Jahre danach, hat ARTE die mühsam rekonstruierten Stummfilme zur Fernsehuraufführung gebracht.
Ich war schon lang nicht mehr so in meinem - synästhetischen - Element. Hier wurde der Film einmal nicht zum Geschichtenerzählen benutzt, sondern in seinen Möglichkeiten als neues Kunstmedium ausgelotet, das die Eigenschaften von Bewegung und Zeit beisteuerte. Streifen wie "Rhythmus" von Hans Richter oder "Opus III." von Walter Ruttmann mit der Originalmusik von Hans Eisler machten nachvollziehbar, warum man beispielsweise Kandinskys Bilder eigentlich hören und fühlen könnte. "Die reflektorischen Farbenlichtspiele" von Ludwig Hirschfeld-Mack nahmen in der Zeit des Stummfilms und Zelluloids vorweg, was in den Anfängen der 3-D-Multimedia-Animation am Computer mühevoll errechnet wurde.
Plötzlich wurde das Medium Film zur Schnittstelle zwischen bildender Kunst, Musik, Tanz, Architektur. Die Töne moderner Kunst wurden hörbar, Geschwindigkeiten und Rhythmen von Bildern erlebbar. "Entr'acte" mit der Originalmusik von Eric Satie ging mit seinen Bildcollagen und einem rasenden Feuerwerk technischer Tricks noch ein Stück weiter. Der Kurzfilm von 1924 ließ in einem Kaleidoskop von Assoziationen plötzlich erleben, wie sehr die Menschen damals von der Maschinenwelt erschrocken waren, aber auch wie süchtig danach.
Maschinenwelten, Serien von Bildern, Klängen, Lichtern, Formen, Bewegungen - und immer wieder Geschwindigkeit, Bewegung, die Musik von Hektik, die Schönheit der Gleichförmigkeit...
Wer sich diese Stummfilme ansieht, muss nicht mehr neidisch sein, dass er kein Synästhesist ist. Es gibt ein Medium, in dem wir alle unsere Sinne überlisten lassen dürfen, sie immer wieder neu erfinden - egal, wie sie genormt sein mögen. Ein Medium kann diese Normen brechen: die Kunst.