Achtung, der Count-Down für die Reservierungen für meine kulinarische Rosenlesung am 5. Juli in der Galerie KUNSTvollerGARTEN in Kehl-Odelshofen läuft! Und um Reservierung wird gebeten, weil die Gäste außerdem mit einem feinen Menu nebst ebensolchen Getränken verwöhnt werden.
Mehr Infos zum Veranstaltungsort gibt es hier.
Die Adresse und Kontaktdaten finden sich hier. (Es kann die Tage öfter zu Telefonstörungen kommen, aber Mails kommen sicher an.
Weitere Infos durch Klicken der Überschrift.
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30. Juni 2008
28. Juni 2008
Garten-Guerilla, die zweite...
Gestern (27.6.) hat ARTE in der Europa-Sendung "zoom" einen Bericht über das Guerilla-Gardening gebracht und ich hatte zum ersten Mal das Gefühl: So würde dein Blog aussehen, wenn du ein Kamerateam hättest und genügend Zeit investieren könntest...
Ein schönes Gefühl, wenn man die Kollegen auch mal im 2 CV überholt.
Oder sollte ich lieber weniger Ideen hier verdampfen, weniger Bücher schreiben, und stattdessen mehr als Journalistin arbeiten? Eine Versuchung.
Auf der anderen Seite: Nach meiner Kulturgeschichte "Das Buch der Rose" beißt mich jetzt ein noch viel größeres Thema, über das man in der Tat eine Fernsehdoku drehen könnte. Wer weiß. Gestern hat mir wieder jemand gesagt, dass ich zwei völlig nutzlose Berufe hätte. Ob es nicht Zeit wäre, endlich einen ordentlichen zu erlernen. Ich fürchte, das lerne ich nie!
(Von wegen Blogpause, ich trainiere das Aufrechtsitzen für den Auftritt am Samstag. Nutzlose Berufe haben keinen Krankenstand.)
Ein schönes Gefühl, wenn man die Kollegen auch mal im 2 CV überholt.
Oder sollte ich lieber weniger Ideen hier verdampfen, weniger Bücher schreiben, und stattdessen mehr als Journalistin arbeiten? Eine Versuchung.
Auf der anderen Seite: Nach meiner Kulturgeschichte "Das Buch der Rose" beißt mich jetzt ein noch viel größeres Thema, über das man in der Tat eine Fernsehdoku drehen könnte. Wer weiß. Gestern hat mir wieder jemand gesagt, dass ich zwei völlig nutzlose Berufe hätte. Ob es nicht Zeit wäre, endlich einen ordentlichen zu erlernen. Ich fürchte, das lerne ich nie!
(Von wegen Blogpause, ich trainiere das Aufrechtsitzen für den Auftritt am Samstag. Nutzlose Berufe haben keinen Krankenstand.)
27. Juni 2008
Dicke Backen
Filmtipp: "Der Elefantenmensch" von David Lynch, 1980 als Schwarzweißfilm produziert. Es war einer der Filme, dessen Bilder sich wirklich in meinem Kopf eingebrannt haben, weil er nicht nur großes Erzählkino schaffte, sondern bewirkte, dass sich der Zuschauer mit einer völlig abstrus wirkenden Hauptfigur identifizierte, meisterhaft gespielt von John Hurt. Die wahre Geschichte des Elefantenmenschen Joseph Merrick führt außerdem in ein realistisches viktorianisches England in einer Weise, von der Autoren nur lernen können: Hier hat sich gründlichste Recherche an Originalquellen und Fakten gewandelt in Bilderzählen, ohne falsche Zugeständnisse zu machen.
David Lynchs Film hat etwas, das die meisten historischen Romane längst nicht mehr haben. Seine Geschichte ist nicht Fluchtkino in alte Zeiten, sondern knallharte Analyse menschlichen Verhaltens, schonungslose Gesellschaftskritik, die sich zudem auf eine Eigenschaft bezieht, die zeitlos ist. Die Ausgrenzung der Anderen findet auch hier und heute statt, in immer neuen Formen. So wird die Geschichte auch zur Gegenwartskritik, zur politischen Geschichte.
Anders als die Macher der opulenten Kostümfilme, die den Zuschauer den Alltag vergessen machen, indem Leidenschaft und Hiebe in immer neue Roben und Jahrhunderte gequetscht werden, hatte es David Lynch anfangs schwer. Alle Produzenten lehnten ab. Nur einer griff mutig und begeistert zu und ließ sogar seinen Namen heraus, damit keiner das Werk mit einer Komödie verwechselte: Mel Brooks. Es gab jede Menge Oscar-Nominierungen, aber auch hier setzte sich der Mainstream durch. Der trotzdem erfolgreiche Film geht unter die Haut.
Das ging er bei mir im wahrsten Sinn des Wortes, denn ich hatte damals, als er in die Kinos kam, gerade den Mumps hinter mir. Ich konnte mir vorstellen, wie das ist, wenn man mit dicken Backen von allen gehänselt wird, wie schlimm musste schlimmeres sein! Aber gegen Mumps wird man ja immun, kein Grund zur Sorge also.
Denkste, wieder so ein Geschichtsfehler. Die Autorin hängt kraftlos über den Tasten, aufgeschwollen und deformiert wie ein Elefant. Ein erster Tag, wo die Schmerzen nur noch schmerzen und nicht diese Hölle bereiten, in der man davon träumt, jemand würde einem den Kopf abschneiden zur Erleichterung. Meine Ärztin freut sich schon auf die Blutabnahme wegen der Antikörperanalyse. Ich sei ihr dritter Fall. Seit man in Frankreich intensiv gegen Mumps impft, sei eine Virusvariante entstanden, die plötzlich lieber Erwachsene befalle. Und auch die, die den anderen Mumps schon mal hatten.
Tröstlich. Ich aktiviere derzeit meine Körperpolizei, als müsste ich alle Tatort-Serien allein schreiben. Und probe edle Verhüllungen mit Schleiern und Schals. Denn am 5.7. trete ich auf, koste es, was es wolle. Sollte ich es mit der endgültigen Gesundung bis dahin nicht schaffen, gibt's halt ein wenig Lynch-Feeling gratis...
Blogpause. Die deformierte Autorin schleppt sich wieder ins Bett.
David Lynchs Film hat etwas, das die meisten historischen Romane längst nicht mehr haben. Seine Geschichte ist nicht Fluchtkino in alte Zeiten, sondern knallharte Analyse menschlichen Verhaltens, schonungslose Gesellschaftskritik, die sich zudem auf eine Eigenschaft bezieht, die zeitlos ist. Die Ausgrenzung der Anderen findet auch hier und heute statt, in immer neuen Formen. So wird die Geschichte auch zur Gegenwartskritik, zur politischen Geschichte.
Anders als die Macher der opulenten Kostümfilme, die den Zuschauer den Alltag vergessen machen, indem Leidenschaft und Hiebe in immer neue Roben und Jahrhunderte gequetscht werden, hatte es David Lynch anfangs schwer. Alle Produzenten lehnten ab. Nur einer griff mutig und begeistert zu und ließ sogar seinen Namen heraus, damit keiner das Werk mit einer Komödie verwechselte: Mel Brooks. Es gab jede Menge Oscar-Nominierungen, aber auch hier setzte sich der Mainstream durch. Der trotzdem erfolgreiche Film geht unter die Haut.
Das ging er bei mir im wahrsten Sinn des Wortes, denn ich hatte damals, als er in die Kinos kam, gerade den Mumps hinter mir. Ich konnte mir vorstellen, wie das ist, wenn man mit dicken Backen von allen gehänselt wird, wie schlimm musste schlimmeres sein! Aber gegen Mumps wird man ja immun, kein Grund zur Sorge also.
Denkste, wieder so ein Geschichtsfehler. Die Autorin hängt kraftlos über den Tasten, aufgeschwollen und deformiert wie ein Elefant. Ein erster Tag, wo die Schmerzen nur noch schmerzen und nicht diese Hölle bereiten, in der man davon träumt, jemand würde einem den Kopf abschneiden zur Erleichterung. Meine Ärztin freut sich schon auf die Blutabnahme wegen der Antikörperanalyse. Ich sei ihr dritter Fall. Seit man in Frankreich intensiv gegen Mumps impft, sei eine Virusvariante entstanden, die plötzlich lieber Erwachsene befalle. Und auch die, die den anderen Mumps schon mal hatten.
Tröstlich. Ich aktiviere derzeit meine Körperpolizei, als müsste ich alle Tatort-Serien allein schreiben. Und probe edle Verhüllungen mit Schleiern und Schals. Denn am 5.7. trete ich auf, koste es, was es wolle. Sollte ich es mit der endgültigen Gesundung bis dahin nicht schaffen, gibt's halt ein wenig Lynch-Feeling gratis...
Blogpause. Die deformierte Autorin schleppt sich wieder ins Bett.
24. Juni 2008
Kundenservice
Ort der Handlung: Ein elsässisches Dorf, eine französische Bank und ein Call-Center
Personen: Ein dörflicher Bankkunde, eine Dame, ein verschlafener Herr
Vorgeschichte: Der dörfliche Bankkunde übermittelt mangels Zeit seinem zuständigen Sachbearbeiter bei der Bank per Mail den Wunsch, eine wichtige Transaktion vorzunehmen, bei der Zeit eine Rolle spielt. Da keine Antwort kommt, möchte er sicher sein, dass der Empfänger nicht im Urlaub ist und die Transaktion erledigt.
Telefonat Freitag
Es spielt eine Ouverture aus unterschiedlichem Call-Center-Getöse, das derart zum Tinnitus führt, dass die säuselnde automatische Dame kaum wahrgenommen wird. Sie sagt in einschmeichelndem Französisch, dass man die richtige Nummer zur richtigen Zeit gewählt habe, aber sich doch bitte dieses Getöse noch "einige Minuten" anhören möge und auf keinen Fall auflegen. Oder so ähnlich.
Nach vielen solchen "einigen Minuten" reagiert der dörfliche Kunde subversiv: Trotz Verbots legt er genervt auf.
Telefonat Montag
s.o.
Wundersamerweise meldet sich nach dem Gedödel doch eine Dame, deren Stimme der Kunde erkennt, denn sie sitzt in der Bank. Vom Callcenter direkt in die Bank, welch Glück!
Dame: Bank XY blablabla...
Kunde: Könnte ich bitte X sprechen, ich habe eine dringende Frage.
Dame: Was wollen Sie ihn denn fragen?
Kunde erklärt kurz und: können Sie mich bitte verbinden?
Dame: Er ist nicht da.
Kunde: Wann kommt er denn zurück?
Dame: Er ist nicht da. Wir haben montags geschlossen.
Kunde: Aber die Bank geht doch ans Telefon?
Dame: Wir haben heute geschlossen.
Kunde: Sie sind aber doch da.
Dame: Ich bin nur am Telefon. Wir haben geschlossen.
Kunde: Könnten Sie vielleicht eine Nachricht? Vielleicht für morgen früh gleich?
Dame: Wir sind nicht da. Wir haben geschlossen.
Kunde, perplex: Warum musste ich dann erklären, worum es geht?
Dame: Weil Sie angerufen haben.
Kunde: Also sind Sie doch vorhanden?
Dame: Nein, wir haben geschlossen.
Telefonat Dienstag
Das Callcenter-Gedödel nimmt fast Ausmaße wie bei der freitäglichen Ouvertüre an, aber der Kunde bleibt hart und kocht sich während der grauenhaften Pop-Songs einen Café au lait, rührt inbrünstig Zucker ein, trinkt, trinkt aus... Plötzlich meldet sich eine Männerstimme, die klingt, als sei derjenige soeben aus dem Tiefschlaf erwacht. Er denkt und spricht in Zeitlupe.
Verschlafener: Nein, der X ist nicht zu sprechen, der ist in einem Gespräch.
Kunde: Wann ist das denn fertig?
Verschlafener: Vor 15 Uhr ist da nichts zu machen. Bis dahin hat er Gespräche.
Kunde: Tja, wissen Sie, es geht um eine dringende Terminsache vom Freitag.
Verschlafener: Da kann ich nichts machen. Er ist nicht zu sprechen.
Kunde: Können Sie ihm wenigstens eine Nachricht hinterlassen?
Verschlafener: Das könnte man machen. Wie ist ihre Telefonnummer, ihr Name?
Kunde buchstabiert.
Verschlafener: Ihren Vornamen. Ohne ihren Vornamen kann ich ihm keine Nachricht hinterlassen.
Kunde: X kennt mich seit fast 20 Jahren.
Verschlafener: Das ist unwichtig. Das ist fürs System. Das System braucht Vornamen.
Kunde sagt ihn.
Verschlafener: Um was geht's?
Kunde: Ich will wissen, ob das erledigt ist, was ich am Freitag beauftragte.
Verschlafener: Sagen Sie mir genau, was Sie veranlasst haben.
Kunde: Nein. X weiß es, das reicht. Ich weiß ja nicht mal, wer Sie sind.
Verschlafener stutzt, denkt hörbar nach. Dann: Ich brauch das fürs System.
Kunde: Ihr System hat nicht zu interessieren, was ich mit X bespreche. Sagen Sie das bitte Ihrem System.
Verschlafener: Aber wie soll ich denn dann eine Mail schreiben?
Kunde: Ach so, Sie schreiben einfach eine Mail! Ja wissen Sie, das kann ich auch.
Verschlafener: Aber bei mir ist die im System!
Kunde: Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Sie versuchen es mit ihrem System. Und ich schreibe jetzt auch eine Mail ohne System. Und dann schauen wir, ob eine von beiden ankommt.
Der Verschlafene zeigt sich sichtlich froh, endlich wieder in Schlaf fallen zu können, sein Au revoir ist kaum noch hörbar.
Der Kunde schreibt eine Mail an X und bittet um dringende Nachricht, ob der Transfer erledigt ist. Diesmal hat er eine Lesebestätigung eingebaut. Kurz vor zwölf kommt die automatisierte Nachricht, dass die Mail wenigstens gelesen wurde.
Heilige Mittagsruhe in Frankreich.
Der Kunde überlegt ernsthaft eine Umschulung ins Bankwesen. Wie viele Bücher ließen sich in den Zeiten schreiben, in denen man nicht da ist!
---Callcenter-Gedödel---
Personen: Ein dörflicher Bankkunde, eine Dame, ein verschlafener Herr
Vorgeschichte: Der dörfliche Bankkunde übermittelt mangels Zeit seinem zuständigen Sachbearbeiter bei der Bank per Mail den Wunsch, eine wichtige Transaktion vorzunehmen, bei der Zeit eine Rolle spielt. Da keine Antwort kommt, möchte er sicher sein, dass der Empfänger nicht im Urlaub ist und die Transaktion erledigt.
Telefonat Freitag
Es spielt eine Ouverture aus unterschiedlichem Call-Center-Getöse, das derart zum Tinnitus führt, dass die säuselnde automatische Dame kaum wahrgenommen wird. Sie sagt in einschmeichelndem Französisch, dass man die richtige Nummer zur richtigen Zeit gewählt habe, aber sich doch bitte dieses Getöse noch "einige Minuten" anhören möge und auf keinen Fall auflegen. Oder so ähnlich.
Nach vielen solchen "einigen Minuten" reagiert der dörfliche Kunde subversiv: Trotz Verbots legt er genervt auf.
Telefonat Montag
s.o.
Wundersamerweise meldet sich nach dem Gedödel doch eine Dame, deren Stimme der Kunde erkennt, denn sie sitzt in der Bank. Vom Callcenter direkt in die Bank, welch Glück!
Dame: Bank XY blablabla...
Kunde: Könnte ich bitte X sprechen, ich habe eine dringende Frage.
Dame: Was wollen Sie ihn denn fragen?
Kunde erklärt kurz und: können Sie mich bitte verbinden?
Dame: Er ist nicht da.
Kunde: Wann kommt er denn zurück?
Dame: Er ist nicht da. Wir haben montags geschlossen.
Kunde: Aber die Bank geht doch ans Telefon?
Dame: Wir haben heute geschlossen.
Kunde: Sie sind aber doch da.
Dame: Ich bin nur am Telefon. Wir haben geschlossen.
Kunde: Könnten Sie vielleicht eine Nachricht? Vielleicht für morgen früh gleich?
Dame: Wir sind nicht da. Wir haben geschlossen.
Kunde, perplex: Warum musste ich dann erklären, worum es geht?
Dame: Weil Sie angerufen haben.
Kunde: Also sind Sie doch vorhanden?
Dame: Nein, wir haben geschlossen.
Telefonat Dienstag
Das Callcenter-Gedödel nimmt fast Ausmaße wie bei der freitäglichen Ouvertüre an, aber der Kunde bleibt hart und kocht sich während der grauenhaften Pop-Songs einen Café au lait, rührt inbrünstig Zucker ein, trinkt, trinkt aus... Plötzlich meldet sich eine Männerstimme, die klingt, als sei derjenige soeben aus dem Tiefschlaf erwacht. Er denkt und spricht in Zeitlupe.
Verschlafener: Nein, der X ist nicht zu sprechen, der ist in einem Gespräch.
Kunde: Wann ist das denn fertig?
Verschlafener: Vor 15 Uhr ist da nichts zu machen. Bis dahin hat er Gespräche.
Kunde: Tja, wissen Sie, es geht um eine dringende Terminsache vom Freitag.
Verschlafener: Da kann ich nichts machen. Er ist nicht zu sprechen.
Kunde: Können Sie ihm wenigstens eine Nachricht hinterlassen?
Verschlafener: Das könnte man machen. Wie ist ihre Telefonnummer, ihr Name?
Kunde buchstabiert.
Verschlafener: Ihren Vornamen. Ohne ihren Vornamen kann ich ihm keine Nachricht hinterlassen.
Kunde: X kennt mich seit fast 20 Jahren.
Verschlafener: Das ist unwichtig. Das ist fürs System. Das System braucht Vornamen.
Kunde sagt ihn.
Verschlafener: Um was geht's?
Kunde: Ich will wissen, ob das erledigt ist, was ich am Freitag beauftragte.
Verschlafener: Sagen Sie mir genau, was Sie veranlasst haben.
Kunde: Nein. X weiß es, das reicht. Ich weiß ja nicht mal, wer Sie sind.
Verschlafener stutzt, denkt hörbar nach. Dann: Ich brauch das fürs System.
Kunde: Ihr System hat nicht zu interessieren, was ich mit X bespreche. Sagen Sie das bitte Ihrem System.
Verschlafener: Aber wie soll ich denn dann eine Mail schreiben?
Kunde: Ach so, Sie schreiben einfach eine Mail! Ja wissen Sie, das kann ich auch.
Verschlafener: Aber bei mir ist die im System!
Kunde: Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Sie versuchen es mit ihrem System. Und ich schreibe jetzt auch eine Mail ohne System. Und dann schauen wir, ob eine von beiden ankommt.
Der Verschlafene zeigt sich sichtlich froh, endlich wieder in Schlaf fallen zu können, sein Au revoir ist kaum noch hörbar.
Der Kunde schreibt eine Mail an X und bittet um dringende Nachricht, ob der Transfer erledigt ist. Diesmal hat er eine Lesebestätigung eingebaut. Kurz vor zwölf kommt die automatisierte Nachricht, dass die Mail wenigstens gelesen wurde.
Heilige Mittagsruhe in Frankreich.
Der Kunde überlegt ernsthaft eine Umschulung ins Bankwesen. Wie viele Bücher ließen sich in den Zeiten schreiben, in denen man nicht da ist!
---Callcenter-Gedödel---
23. Juni 2008
Ausgeliefert oder ideenreich?
Wenn man hauptberuflich schreibt, bekommt man oft von anderen zu hören: "Du musst verrückt sein." Recht haben solche Leute. Ich glaube wirklich, dass man eine etwas lockere Schraube braucht, um auszuhalten, was man sich mit solch einem Beruf antut. Man könnte eigentlich auch regelmäßig Lohn beziehen, um vier Uhr Feierabend machen und surfen gehen.
Dabei sieht meine Berufslaufbahn noch goldig aus. Für die Berufsausbildung zur Journalistin kassierte ich gar nicht so viele Absagen. Nur die eine, von der Zeitung, zu der ich wollte - die habe ich nicht akzeptiert und mich nach einem Vierteljahr noch einmal beworben. Diesmal mit einer selbstgemachten Zeitung. Kam heraus, dass die erste, unbeantwortete, auf dem Schreibtisch eines inzwischen gekündigten Kollegen gelandet war. Alkoholiker, wütend. Der schloss alles weg und versenkte die Schlüssel womöglich irgendwo. Sie fanden meine Bewerbung mit Haufen von anderen, als sie die Schränke aufbrachen. Meine zweite Bewerbung passte zum Glück nicht in die Ablage...
Von der Idee bis zum Erscheinen des Erstlings dauert es im Schnitt 15 Jahre, sagte mir später eine Lektorin. Ich war enorm viel schneller und schaffte es in acht Jahren. Aber auch da nur mit der berühmten lockeren Schraube. Mein Wunschverlag hatte abgelehnt. Drei Monate Schrauben drehen - dann bewarb ich mich wieder. Keine Antwort, wie so üblich. Ich musste verrückt gewesen sein und sendete mein MS zum dritten Mal ein (normalerweise der Tod in dem Geschäft!) Wieder nichts. Und dann, als ich längst in Polen lebte und drei Tage nach Hause geflogen war, ein abendlicher Anruf einer beeindruckten Lektorin, die sich entschuldigte, dass mein MS einen Postirrweg genommen hatte und in einer falschen Stadt gelandet war. Die erste Absage erinnerte mich an das Volontariat. Auch in diesem Verlag fand man Haufen unbearbeiteter Manuskripte im Schrank eines untragbaren und gekündigten Lektors. Der Mann hatte einen Tick. Er versteckte Manuskripte von Newcomern ohne Veröffentlichung auf Nimmerwiedersehen.
Ich mache es kurz. Mein erstes Buch erschien 1998. Seither habe ich alle Katastrophen erlebt, die man sich zum Glück nicht selbst ausdenken kann, wenn man diese Schraube locker hat. Verlage sind verkauft worden, in Konkurs gegangen, haben fusioniert. Mal hat man mich mit verkauft, mal ein Buch ohne jedes Engagement auf den Markt geschmissen, wie man das mit Schweinefutter in den Trog macht: Fresst oder lasst liegen. Aber immer gab es zwischendurch eben auch das, was man unter echter Verlagsarbeit versteht - und Leser. Das schmiert die lockere Schraube, damit sie sich weiter dreht. Muss sie, denn das Geschäft wird ebenfalls immer verrückter.
Da erzählt ein richtig prominenter Kollege, dass er noch nie eine ernsthafte Rezension bekommen habe. Nur einmal konnten sie ihn in der Zeitung nicht mehr übersehen, nämlich als er richtig bekannt wurde. Eine Bestsellerautorin hätte dieses Schweigen im Feuilletonwald vielleicht gern gehabt. Auch sie hat man geflissentlich übersehen. Aber dann, als der große Erfolg da war - da gab's Häme in Druckbuchstaben. Es gibt Kollegen, die haben Karrierelöcher, weil nach einem Verlagsuntergang zu viele Kollegen gleichzeitig wohlfeil zu haben sind. Und wer von den langjährigen Profis kennt nicht diese niedliche alltägliche Idiotie bei den Absagen: "Sie schreiben für unser Programm zu männlich. Mehr Emotionen bitte!" (Verlag 1) "Sie schreiben doch viel zu weiblich. Das ist uns zu emotional." (Verlag 2, beide Beispiele natürlich fiktiv).
Bücher sind in der liberalisierten Marktwirtschaft zum Profitcenter verkommen. Was beim Erstabverkauf nicht läuft, läuft wahrscheinlich nie mehr. In den Entscheidungskonferenzen großer Verlage sitzen inzwischen mehr Marketing- und Vertriebsfachleute als Buchmacher. Unternehmensberatungen sorgen für mehr Profit, setzen per Outsourcing Lektoren auf die Straße, bauen einst selbstverständliche Verlagsleistungen ab. Es rechnet sich. Und weil sich ein Buch, das kein Bestseller wurde, im Schnitt nach drei Monaten nicht mehr rechnet, wird immer schneller verramscht. Davon lebt eine weitere Branche, die sich freuen kann, sich nicht wie die übrigen Buchhändler an Buchpreisbindung halten zu müssen. Und weil sich das so schön lohnt, dreht das Karussell noch schneller.
Wenn der Autor nicht aufpasst, wird es schnell unübersichtlich. Dann dreht ihm irgendwer diese hüpfende Schraube so richtig fest und macht ein Zahnrädchen aus ihm. Auch Autoren sind Profitcenter. Was, du hast noch keinen Fernsehauftritt? Und hinter den Kulissen vertickert man sich Adressen von Profifotografen, die einen schön und erfolgreich strahlen lassen. Nur am Schreibtisch darf der Autor seine Stirn runzeln: "Schreib ich für den Markt und für welchen? Und wo ist er, was will er von mir? Und wo sind die Ideen?"
Es gibt sie noch, die Ideen. Wie immer zu spät (aber die Sendung wird sicher wieder laufen und vielleicht gibt es sie bei ARTE zum Kaufen?) habe ich gestern Menschen mit herrlich lockeren Schrauben gesehen. In Hermann Vaskes beeindruckender und herrlich humorvoller Wissenschaftsdoku "Die Invasion der Ideen". Da wurden Kreative aller Sparten gefragt, was Ideen seien, woher sie kämen - und wie man sie erfolgreich killt.
Ausgerechnet ein Verleger, Dr. Michael Naumann, sagte, 99% aller kreativen Ideen stürben an der Wirklichkeit. Einer Wirklichkeit, die auch für Autoren bedeutet: Du gibst deine Idee ab. Manager, Marketingleute und die Profitspanne entscheiden zunehmend darüber, was an Kreativität in die Wirklichkeit geboren wird und wie. Das muss nicht immer schlecht sein - aber es ist ein Filter. Ein Filter, der häufiger am Geld hängt als am wirklich ernst genommenen Kunden.
Die kreativen Berühmtheiten in der Wissenschaftsdoku hatten herrlich klare Worte dafür, wie sie sich ihre lockere Schraube bewahrt haben. Das Verkaufen der Ideen sei wie durch Minenfelder laufen, fand eine Kommunikationsexpertin. Der Regisseur James Mangold riet dazu, Ideen reifen und stärken zu lassen, bevor man sie preisgibt. Sein Kollege Terry Gilliam findet die Leute, die das Geld verwalten am gefährlichsten, weil sie nur beschränkt darauf achteten, eben noch mehr Geld zu machen. Andere gaben sich trotzig: "Es ist meins und das darf niemand versauen." Aus der Werbebranche kam schließlich der Rat, unbedingt das Wort NEIN zu erlernen. Auch einmal aussprechen zu können: Sie sind ein lausiger Auftraggeber - ich muss Ihnen meine Idee nicht verkaufen. (Weitere Zitate aus der Sendung hier).
Interessant war, dass die meisten Kreativen ihren steinigen Weg deshalb geschafft hatten, weil sie stets selbst Entscheidungen über sich und ihr Projekt getroffen haben. Sie haben sich nicht ausgeliefert, obwohl auch sie verkaufen mussten und Geld brauchten. Sie suchten sich aus, mit wem sie arbeiten wollten, sie gaben ihre Idee nicht leichtfertig jedem. Und sie sagten im entscheidenden Augenblick Nein. Oft genug am Rand der Selbstausbeutung, entwickelten sie ein sicheres Gespür dafür, was ihre Arbeit wert war, was sie konnten.
Einige Künstler gingen ihren Ideen zuliebe krumme Wege. Ein Musiker erzählte davon, wie es ist, ohne Zwischenhändler Ideen mit Kollegen zu teilen und ans Publikum zu verteilen. Ein Creative Director gab Kunden zu hören, was sie wollen und lachte sich eins. Der Autor der Sendung plädierte für Unvernunft. Ein Regisseur fand, man solle auf keinen Fall mit dem Kopf anderer denken, schon gar nicht dem der Finanziers. Und der Musiker Marilyn Manson sagte: "Ich lasse nicht zu, dass jemand meine Ideen tötet."
Eine sehr reale, sehr reiche Doku - hilfreich für jeden Kreativen, nachdenklich stimmend in einer Kunstwelt des Konsums. Und sie ließ den Verdacht aufkeimen, dass vielleicht die Verlagswelt demnächst ähnlich umlernen werden muss wie die Film- und Musikbranche. Es wird weiter Autoren geben, die jenen Märkten entgegenschreiben. Aber es gibt da diese lockere Schraube, die sich nur schwer festdrehen lässt. Die dreht und dreht...
Und für die gibt's heute abend, 21 Uhr, auf ARTE den Kultfilm von Terry Gilliam: Brazil. (Übrigens auch ein Monument des Neinsagens: Gilliam hat seine Fassung gegenüber den Universal Studios durchgesetzt). Immer wenn mir einer an meiner Schraube drehen will, singe ich leise die Titelmelodie...
Dabei sieht meine Berufslaufbahn noch goldig aus. Für die Berufsausbildung zur Journalistin kassierte ich gar nicht so viele Absagen. Nur die eine, von der Zeitung, zu der ich wollte - die habe ich nicht akzeptiert und mich nach einem Vierteljahr noch einmal beworben. Diesmal mit einer selbstgemachten Zeitung. Kam heraus, dass die erste, unbeantwortete, auf dem Schreibtisch eines inzwischen gekündigten Kollegen gelandet war. Alkoholiker, wütend. Der schloss alles weg und versenkte die Schlüssel womöglich irgendwo. Sie fanden meine Bewerbung mit Haufen von anderen, als sie die Schränke aufbrachen. Meine zweite Bewerbung passte zum Glück nicht in die Ablage...
Von der Idee bis zum Erscheinen des Erstlings dauert es im Schnitt 15 Jahre, sagte mir später eine Lektorin. Ich war enorm viel schneller und schaffte es in acht Jahren. Aber auch da nur mit der berühmten lockeren Schraube. Mein Wunschverlag hatte abgelehnt. Drei Monate Schrauben drehen - dann bewarb ich mich wieder. Keine Antwort, wie so üblich. Ich musste verrückt gewesen sein und sendete mein MS zum dritten Mal ein (normalerweise der Tod in dem Geschäft!) Wieder nichts. Und dann, als ich längst in Polen lebte und drei Tage nach Hause geflogen war, ein abendlicher Anruf einer beeindruckten Lektorin, die sich entschuldigte, dass mein MS einen Postirrweg genommen hatte und in einer falschen Stadt gelandet war. Die erste Absage erinnerte mich an das Volontariat. Auch in diesem Verlag fand man Haufen unbearbeiteter Manuskripte im Schrank eines untragbaren und gekündigten Lektors. Der Mann hatte einen Tick. Er versteckte Manuskripte von Newcomern ohne Veröffentlichung auf Nimmerwiedersehen.
Ich mache es kurz. Mein erstes Buch erschien 1998. Seither habe ich alle Katastrophen erlebt, die man sich zum Glück nicht selbst ausdenken kann, wenn man diese Schraube locker hat. Verlage sind verkauft worden, in Konkurs gegangen, haben fusioniert. Mal hat man mich mit verkauft, mal ein Buch ohne jedes Engagement auf den Markt geschmissen, wie man das mit Schweinefutter in den Trog macht: Fresst oder lasst liegen. Aber immer gab es zwischendurch eben auch das, was man unter echter Verlagsarbeit versteht - und Leser. Das schmiert die lockere Schraube, damit sie sich weiter dreht. Muss sie, denn das Geschäft wird ebenfalls immer verrückter.
Da erzählt ein richtig prominenter Kollege, dass er noch nie eine ernsthafte Rezension bekommen habe. Nur einmal konnten sie ihn in der Zeitung nicht mehr übersehen, nämlich als er richtig bekannt wurde. Eine Bestsellerautorin hätte dieses Schweigen im Feuilletonwald vielleicht gern gehabt. Auch sie hat man geflissentlich übersehen. Aber dann, als der große Erfolg da war - da gab's Häme in Druckbuchstaben. Es gibt Kollegen, die haben Karrierelöcher, weil nach einem Verlagsuntergang zu viele Kollegen gleichzeitig wohlfeil zu haben sind. Und wer von den langjährigen Profis kennt nicht diese niedliche alltägliche Idiotie bei den Absagen: "Sie schreiben für unser Programm zu männlich. Mehr Emotionen bitte!" (Verlag 1) "Sie schreiben doch viel zu weiblich. Das ist uns zu emotional." (Verlag 2, beide Beispiele natürlich fiktiv).
Bücher sind in der liberalisierten Marktwirtschaft zum Profitcenter verkommen. Was beim Erstabverkauf nicht läuft, läuft wahrscheinlich nie mehr. In den Entscheidungskonferenzen großer Verlage sitzen inzwischen mehr Marketing- und Vertriebsfachleute als Buchmacher. Unternehmensberatungen sorgen für mehr Profit, setzen per Outsourcing Lektoren auf die Straße, bauen einst selbstverständliche Verlagsleistungen ab. Es rechnet sich. Und weil sich ein Buch, das kein Bestseller wurde, im Schnitt nach drei Monaten nicht mehr rechnet, wird immer schneller verramscht. Davon lebt eine weitere Branche, die sich freuen kann, sich nicht wie die übrigen Buchhändler an Buchpreisbindung halten zu müssen. Und weil sich das so schön lohnt, dreht das Karussell noch schneller.
Wenn der Autor nicht aufpasst, wird es schnell unübersichtlich. Dann dreht ihm irgendwer diese hüpfende Schraube so richtig fest und macht ein Zahnrädchen aus ihm. Auch Autoren sind Profitcenter. Was, du hast noch keinen Fernsehauftritt? Und hinter den Kulissen vertickert man sich Adressen von Profifotografen, die einen schön und erfolgreich strahlen lassen. Nur am Schreibtisch darf der Autor seine Stirn runzeln: "Schreib ich für den Markt und für welchen? Und wo ist er, was will er von mir? Und wo sind die Ideen?"
Es gibt sie noch, die Ideen. Wie immer zu spät (aber die Sendung wird sicher wieder laufen und vielleicht gibt es sie bei ARTE zum Kaufen?) habe ich gestern Menschen mit herrlich lockeren Schrauben gesehen. In Hermann Vaskes beeindruckender und herrlich humorvoller Wissenschaftsdoku "Die Invasion der Ideen". Da wurden Kreative aller Sparten gefragt, was Ideen seien, woher sie kämen - und wie man sie erfolgreich killt.
Ausgerechnet ein Verleger, Dr. Michael Naumann, sagte, 99% aller kreativen Ideen stürben an der Wirklichkeit. Einer Wirklichkeit, die auch für Autoren bedeutet: Du gibst deine Idee ab. Manager, Marketingleute und die Profitspanne entscheiden zunehmend darüber, was an Kreativität in die Wirklichkeit geboren wird und wie. Das muss nicht immer schlecht sein - aber es ist ein Filter. Ein Filter, der häufiger am Geld hängt als am wirklich ernst genommenen Kunden.
Die kreativen Berühmtheiten in der Wissenschaftsdoku hatten herrlich klare Worte dafür, wie sie sich ihre lockere Schraube bewahrt haben. Das Verkaufen der Ideen sei wie durch Minenfelder laufen, fand eine Kommunikationsexpertin. Der Regisseur James Mangold riet dazu, Ideen reifen und stärken zu lassen, bevor man sie preisgibt. Sein Kollege Terry Gilliam findet die Leute, die das Geld verwalten am gefährlichsten, weil sie nur beschränkt darauf achteten, eben noch mehr Geld zu machen. Andere gaben sich trotzig: "Es ist meins und das darf niemand versauen." Aus der Werbebranche kam schließlich der Rat, unbedingt das Wort NEIN zu erlernen. Auch einmal aussprechen zu können: Sie sind ein lausiger Auftraggeber - ich muss Ihnen meine Idee nicht verkaufen. (Weitere Zitate aus der Sendung hier).
Interessant war, dass die meisten Kreativen ihren steinigen Weg deshalb geschafft hatten, weil sie stets selbst Entscheidungen über sich und ihr Projekt getroffen haben. Sie haben sich nicht ausgeliefert, obwohl auch sie verkaufen mussten und Geld brauchten. Sie suchten sich aus, mit wem sie arbeiten wollten, sie gaben ihre Idee nicht leichtfertig jedem. Und sie sagten im entscheidenden Augenblick Nein. Oft genug am Rand der Selbstausbeutung, entwickelten sie ein sicheres Gespür dafür, was ihre Arbeit wert war, was sie konnten.
Einige Künstler gingen ihren Ideen zuliebe krumme Wege. Ein Musiker erzählte davon, wie es ist, ohne Zwischenhändler Ideen mit Kollegen zu teilen und ans Publikum zu verteilen. Ein Creative Director gab Kunden zu hören, was sie wollen und lachte sich eins. Der Autor der Sendung plädierte für Unvernunft. Ein Regisseur fand, man solle auf keinen Fall mit dem Kopf anderer denken, schon gar nicht dem der Finanziers. Und der Musiker Marilyn Manson sagte: "Ich lasse nicht zu, dass jemand meine Ideen tötet."
Eine sehr reale, sehr reiche Doku - hilfreich für jeden Kreativen, nachdenklich stimmend in einer Kunstwelt des Konsums. Und sie ließ den Verdacht aufkeimen, dass vielleicht die Verlagswelt demnächst ähnlich umlernen werden muss wie die Film- und Musikbranche. Es wird weiter Autoren geben, die jenen Märkten entgegenschreiben. Aber es gibt da diese lockere Schraube, die sich nur schwer festdrehen lässt. Die dreht und dreht...
Und für die gibt's heute abend, 21 Uhr, auf ARTE den Kultfilm von Terry Gilliam: Brazil. (Übrigens auch ein Monument des Neinsagens: Gilliam hat seine Fassung gegenüber den Universal Studios durchgesetzt). Immer wenn mir einer an meiner Schraube drehen will, singe ich leise die Titelmelodie...
20. Juni 2008
kunst VOLLER garten
Gestern habe ich hemmungslos blau gemacht. Nein, grün. Habe einer elsässischen Freundin das badische Ried gezeigt, aus dem ich eigentlich komme - und dann sind wir am Rhein entlang von Wintersdorf bis fast nach Kehl gefahren, durch eine herrlich abwechslungsreiche Landschaft aus Spargelfeldern, Auwald, Sümpfen, Streuobstwiesen und Dörfern mit erstaunlicher Restaurantdichte.
Und bei der Gelegenheit habe ich mir meinen nächsten Auftrittsort in Odelshofen bei Kehl angeschaut, genauer gesagt "kunstVOLLERgarten" - was sich auch immer dahinter verbergen mochte. Jetzt sind wir hin und weg und wissen nicht genau, ob das Kunst voller Garten war oder ein Garten voller Kunst. Beides!
Man stelle sich eins dieser schmucken Rieddörfer vor, wie es sie in der Ortenau zum Rhein zu noch gibt, wo viele Dörfer irgendwie Dingenshurst heißen und ich mir keine drei Namen von der Karte in Reihe merken kann. Nur Urloffen kommt bei mir jetzt nach dreimaligem Verfahren von "verloffen"... Einladende Gasthäuser, Fachwerkhäuser, Gärten und immer wieder die alten Tabaktrockenschuppen aus den Zeiten, in denen die Badner noch hemmungslos rauchten und Tabak exportierten. Ein Schild bräuchte es vor dem Fachwerkhaus mit Tabakschuppen kaum, ich hätte schon für die blauen Rosenkugeln gebremst.
Als wir dann den Garten, die Gartenkunst, die kleine Galerie und den Auftrittsort besichtigten, überlegte ich lang, warum einen dort so ein Pippi-Langstrumpf-Gefühl beschleicht und man immer ruhiger und glücklicher wird. Dann fiel es mir ein: Als Kind war ich fasziniert von Pippis "Sachensuchen" und konnte zum Verblüffen langweiliger Erwachsener stundenlang mit meinem Sandeleimer Schotterwege nach irgendwelchen Schätzen abgrasen. Damals fing mein "Spleen" an, der in Masuren bei fußballgroßen, eiszeitgeschliffenen Kugeln endete: Ich sammle Steine. Wie oft musste ich mir schon den blöden Witz anhören, ich solle mich doch lieber auf Diamanten verlegen, die seien leichter. Die gefallen mir aber nicht so gut wie Kiesel.
In Odelshofen gab es dann nicht nur meterlange Installationen eines italienischen Künstlers, der aus Steinen Halsketten für Riesenfräuleins zu fädeln scheint. Die Herrin des Hauses sammelt offensichtlich auch welche - und andere Schönheit dazu. Vieles wirkt wie zufällig vergessen und ist doch kunstvoll arrangiert: der Korb mit den Zapfen in allen Größen und Formen, die Zinkwannensammlung im Schuppen; kleine Statuen, die unter Blättern hervorlugen oder Kunst aus Weinbergschneckenhäusern. Man muss dreimal hinschauen, den Gang noch einmal machen - weil es immer wieder Neues zu entdecken gibt.
Manches kann man dann auch kaufen, rare Gewürzkräuter, Gartenstücke - und natürlich Kunst. Was einen so selig lächeln lässt, ist, denke ich, auch ein Kindheitsgefühl. KunstVOLLERgarten fühlt sich an wie ein magischer alter Speicher, wo man in Zauberkisten allerlei Schätze entdecken kann. Drei Mal bin ich an so einem Platz vorbeigegangen ... da war doch was ... irgendetwas war mir ins Auge gefallen, dann scheinbar wieder unsichtbar geworden. Was war so besonders an dem Terracottaherz mit den einmodellierten Rosen? Klingelte es nur in meinem Hinterkopf wegen meines Rosenwahns? Ich habe es erst daheim gesehen: Genau diese Rosen haben die Beschläge meiner uralten Kommode vom Flohmarkt.
Zu viel verraten will ich jetzt nicht, nur so viel: Das Ehepaar Schölch hat für meine Lesung am 5.7.2008 um 19 Uhr ein ganz feines Menu kreiert, das mich natürlich reizt, dann von den Rosenfesten und Gelagen der Römer zu erzählen. Gespeist, getrunken und gelauscht wird in eben jenem verwunschenen Tabakschuppen, wo man in luftiger Höhe auf mehreren Ebenen sitzen und genießen kann. Wie sehr ich mich darauf freue, die Gäste neben der Kulinarik in einer solch anregenden Umgebung mit Rosentexten zu verwöhnen, muss ich wahrscheinlich nicht extra sagen!
Und bei der Gelegenheit habe ich mir meinen nächsten Auftrittsort in Odelshofen bei Kehl angeschaut, genauer gesagt "kunstVOLLERgarten" - was sich auch immer dahinter verbergen mochte. Jetzt sind wir hin und weg und wissen nicht genau, ob das Kunst voller Garten war oder ein Garten voller Kunst. Beides!
Man stelle sich eins dieser schmucken Rieddörfer vor, wie es sie in der Ortenau zum Rhein zu noch gibt, wo viele Dörfer irgendwie Dingenshurst heißen und ich mir keine drei Namen von der Karte in Reihe merken kann. Nur Urloffen kommt bei mir jetzt nach dreimaligem Verfahren von "verloffen"... Einladende Gasthäuser, Fachwerkhäuser, Gärten und immer wieder die alten Tabaktrockenschuppen aus den Zeiten, in denen die Badner noch hemmungslos rauchten und Tabak exportierten. Ein Schild bräuchte es vor dem Fachwerkhaus mit Tabakschuppen kaum, ich hätte schon für die blauen Rosenkugeln gebremst.
Als wir dann den Garten, die Gartenkunst, die kleine Galerie und den Auftrittsort besichtigten, überlegte ich lang, warum einen dort so ein Pippi-Langstrumpf-Gefühl beschleicht und man immer ruhiger und glücklicher wird. Dann fiel es mir ein: Als Kind war ich fasziniert von Pippis "Sachensuchen" und konnte zum Verblüffen langweiliger Erwachsener stundenlang mit meinem Sandeleimer Schotterwege nach irgendwelchen Schätzen abgrasen. Damals fing mein "Spleen" an, der in Masuren bei fußballgroßen, eiszeitgeschliffenen Kugeln endete: Ich sammle Steine. Wie oft musste ich mir schon den blöden Witz anhören, ich solle mich doch lieber auf Diamanten verlegen, die seien leichter. Die gefallen mir aber nicht so gut wie Kiesel.
In Odelshofen gab es dann nicht nur meterlange Installationen eines italienischen Künstlers, der aus Steinen Halsketten für Riesenfräuleins zu fädeln scheint. Die Herrin des Hauses sammelt offensichtlich auch welche - und andere Schönheit dazu. Vieles wirkt wie zufällig vergessen und ist doch kunstvoll arrangiert: der Korb mit den Zapfen in allen Größen und Formen, die Zinkwannensammlung im Schuppen; kleine Statuen, die unter Blättern hervorlugen oder Kunst aus Weinbergschneckenhäusern. Man muss dreimal hinschauen, den Gang noch einmal machen - weil es immer wieder Neues zu entdecken gibt.
Manches kann man dann auch kaufen, rare Gewürzkräuter, Gartenstücke - und natürlich Kunst. Was einen so selig lächeln lässt, ist, denke ich, auch ein Kindheitsgefühl. KunstVOLLERgarten fühlt sich an wie ein magischer alter Speicher, wo man in Zauberkisten allerlei Schätze entdecken kann. Drei Mal bin ich an so einem Platz vorbeigegangen ... da war doch was ... irgendetwas war mir ins Auge gefallen, dann scheinbar wieder unsichtbar geworden. Was war so besonders an dem Terracottaherz mit den einmodellierten Rosen? Klingelte es nur in meinem Hinterkopf wegen meines Rosenwahns? Ich habe es erst daheim gesehen: Genau diese Rosen haben die Beschläge meiner uralten Kommode vom Flohmarkt.
Zu viel verraten will ich jetzt nicht, nur so viel: Das Ehepaar Schölch hat für meine Lesung am 5.7.2008 um 19 Uhr ein ganz feines Menu kreiert, das mich natürlich reizt, dann von den Rosenfesten und Gelagen der Römer zu erzählen. Gespeist, getrunken und gelauscht wird in eben jenem verwunschenen Tabakschuppen, wo man in luftiger Höhe auf mehreren Ebenen sitzen und genießen kann. Wie sehr ich mich darauf freue, die Gäste neben der Kulinarik in einer solch anregenden Umgebung mit Rosentexten zu verwöhnen, muss ich wahrscheinlich nicht extra sagen!
17. Juni 2008
Schläfer mit Schaufeln
Ich erinnere mich an seltsame Umtriebe in meiner Kindheit in den Sechzigern. Wir Kinder aus dem Viertel zogen in Banden durch dasselbe und kannten natürlich jede versteckte Ecke. Klar, das war auch nötig, wenn sich Robin Hood und seine Mannen vor den Schergen des Sheriffs von Nottingham zurückziehen mussten. In wahrer Hood'scher Manier sorgten wir dann auch für die Verschönerung unseres Häuserwaldes.
Wir züchteten heimlich unterm Bett in Einmachgläsern hübsche gelb-schwarz gestreifte "Pyjamakäfer", von denen wir gelernt hatten, dass sie sich im Kartoffelfeld des Gärtners am wohlsten fühlten. Kahle Zäune? Gegen solche Hässlichkeiten sammelten wir Trichterwindensamen und allerlei hübsch schlingendes Unkraut. Die Hexe von nebenan, die Kinder aus ihren Kirschbäumen prügelte, attackierten wir mit Samenbomben: Stink- und Giftkräuter wuchsen fortan in ihrem Rasen, als seien sie wundersam vom Himmel gefallen. Und als wir groß genug waren, wussten wir, "unterm Pflaster liegt der Strand" - und ein Löwenzahn durchbohrt sogar Asphalt.
Erstaunlich, dass es auch Erwachsene gibt, die Robin Hood fürs Stadtparadies spielen. In New York haben sie Kondome mit Tomatensamen, Dünger und Wasser zu Bomben gemacht, es soll echte Schläfer-Zellen geben in Amsterdam, Tokio und Turin, deren Mitglieder oft in schockartigen Pflanzattacken auf die Menschheit losgehen. Sie nennen sich selbst Guerilla-Gärtner und sind international vernetzt. Was sie tun, ist subversiv und gefährlich für jedes Stück vernachlässigter Erde in Städten.
Das New York Times Magazine durfte einen der heimlichen Guerillakämpfer in London begleiten und lernen, dass die Kampfausbildung ziemlich breit gefächert ist: Müllbeseitigung, Putzen, sowie das Überwinden von Zäunen und Mauern gehören ebenso zum Wissen eines Widerständlers wie die Kenntnis von botanischen Namen und von Wuchseigenschaften. Der gebildete Guerilla von heute weiß, wie er mit wenigen Mitteln am meisten Schönheit schafft - und welche zarten Blüten dem Antiterrorkampf durch Abgase, Dreck, Düngerknappheit und Vernachlässigung am meisten trotzen.
Sie sind überall, auch wenn wir sie nicht sehen und die Geheimdienste dieser Welt ihre Schläferzellen verschlafen. Sie beobachten die Turmfalken auf Wolkenkratzern und haben eine seltsame Vorliebe für Gänseblümchen. Und viele haben die Nase voll von lebensfeindlicher Umwelt, Beton und immer wieder Beton. Manchmal verraten sie sich, wenn sie allzu dreist ohne behördliche Genehmigung Müll aufheben. Manchmal kann man sie mit geübtem Blick erkennen - an den schwarzen Fingernägeln. Dann möchte man ihnen fast "Attacke!" zurufen, fröhlich, mit einem Lied nachher auf den Lippen...
(Beitrag Nr. 100 in dieser Kolumne. Klar, dass das mit Blümchen gefeiert werden muss! Denn diesen Blog erfand eine Journalistin als Experiment, als sie eine mediale Form suchte, in der man unabhängig von Anzeigenkunden und nicht kommerziell (contra unverschämte Buy-out-Verträge und lächerliche Honorare) wieder üben konnte, was sonst heutzutage gern untergeht: Meinung, eigener Blick (beides verantwortet statt versteckt) - und die bunte Welt neben den Sensationen, Skandalen und Katastrophen. Ab Beitrag 101 übe ich weiter ... danke an alle Leserinnen und Leser fürs Lesen!)
Wir züchteten heimlich unterm Bett in Einmachgläsern hübsche gelb-schwarz gestreifte "Pyjamakäfer", von denen wir gelernt hatten, dass sie sich im Kartoffelfeld des Gärtners am wohlsten fühlten. Kahle Zäune? Gegen solche Hässlichkeiten sammelten wir Trichterwindensamen und allerlei hübsch schlingendes Unkraut. Die Hexe von nebenan, die Kinder aus ihren Kirschbäumen prügelte, attackierten wir mit Samenbomben: Stink- und Giftkräuter wuchsen fortan in ihrem Rasen, als seien sie wundersam vom Himmel gefallen. Und als wir groß genug waren, wussten wir, "unterm Pflaster liegt der Strand" - und ein Löwenzahn durchbohrt sogar Asphalt.
Erstaunlich, dass es auch Erwachsene gibt, die Robin Hood fürs Stadtparadies spielen. In New York haben sie Kondome mit Tomatensamen, Dünger und Wasser zu Bomben gemacht, es soll echte Schläfer-Zellen geben in Amsterdam, Tokio und Turin, deren Mitglieder oft in schockartigen Pflanzattacken auf die Menschheit losgehen. Sie nennen sich selbst Guerilla-Gärtner und sind international vernetzt. Was sie tun, ist subversiv und gefährlich für jedes Stück vernachlässigter Erde in Städten.
Das New York Times Magazine durfte einen der heimlichen Guerillakämpfer in London begleiten und lernen, dass die Kampfausbildung ziemlich breit gefächert ist: Müllbeseitigung, Putzen, sowie das Überwinden von Zäunen und Mauern gehören ebenso zum Wissen eines Widerständlers wie die Kenntnis von botanischen Namen und von Wuchseigenschaften. Der gebildete Guerilla von heute weiß, wie er mit wenigen Mitteln am meisten Schönheit schafft - und welche zarten Blüten dem Antiterrorkampf durch Abgase, Dreck, Düngerknappheit und Vernachlässigung am meisten trotzen.
Sie sind überall, auch wenn wir sie nicht sehen und die Geheimdienste dieser Welt ihre Schläferzellen verschlafen. Sie beobachten die Turmfalken auf Wolkenkratzern und haben eine seltsame Vorliebe für Gänseblümchen. Und viele haben die Nase voll von lebensfeindlicher Umwelt, Beton und immer wieder Beton. Manchmal verraten sie sich, wenn sie allzu dreist ohne behördliche Genehmigung Müll aufheben. Manchmal kann man sie mit geübtem Blick erkennen - an den schwarzen Fingernägeln. Dann möchte man ihnen fast "Attacke!" zurufen, fröhlich, mit einem Lied nachher auf den Lippen...
(Beitrag Nr. 100 in dieser Kolumne. Klar, dass das mit Blümchen gefeiert werden muss! Denn diesen Blog erfand eine Journalistin als Experiment, als sie eine mediale Form suchte, in der man unabhängig von Anzeigenkunden und nicht kommerziell (contra unverschämte Buy-out-Verträge und lächerliche Honorare) wieder üben konnte, was sonst heutzutage gern untergeht: Meinung, eigener Blick (beides verantwortet statt versteckt) - und die bunte Welt neben den Sensationen, Skandalen und Katastrophen. Ab Beitrag 101 übe ich weiter ... danke an alle Leserinnen und Leser fürs Lesen!)
16. Juni 2008
Müll zu treuer Hand
Ich habe es in der Berliner Zeitung einigermaßen fassungslos gelesen und frage mich, ob ich damals geschlafen habe - oder die Medien. In dem Artikel über das Verschwinden der DDR-Verlage heißt es:
"Fast die gesamte Produktion (an Büchern) des Jahres 1990 landete in einem ehemaligen Tagebau bei Leipzig und wurde untergepflügt. Ab Juli 1990 stand allen Lesern mit Geld die westliche Bücherwelt offen."
Schöne neue Welt. Nein, natürlich war das keine Bücherverbrennung! Pfui, so etwas tut man ja nicht in Deutschland. Untergepflügt dienen Texte immerhin einem nahezu ökologischen Effekt- der Entstehung von Kompost. Ob sich im Tagebau daraus allerdings jemals Humus bildet, dürfen auch kommende Zivilisationen laut bezweifeln.
Ach, was hätte man alles mit diesen Büchern machen können. Selbst wenn man gedrucktes DDR-Propagandamaterial abgezogen hätte, wäre noch so mancher Dichter verblieben, so mancher Klassiker, viele Kinderbücher. Ich darf gar nicht daran denken: Goethe, Schiller, Pitti Platsch - Müll in Minen. Aber so ist das eben in der schönen neuen Welt. Wir verschenken nichts. Nicht an Liebhaber und an Bedürftige sowieso nicht. Milch schütten wir auf die Straße, Tomaten kippen wir in den Dreck, Zitrusfüchte lassen wir auf der Deponie faulen. Und Bücher kann man bekanntlich nicht essen.
Kein Wunder, dass der einzige Abwickler, der bei der Treuhand für Verlage zuständig war, Bauingenieur gelernt hatte. Ich verstehe überhaupt nicht, warum man sich über diese Wahl so aufregt. Schließlich kennen sich Bauingenieure mit der Belastbarkeit von alten Minen und Mülldeponien am besten aus.
Ich stelle mir vor, wie eine ferne Zivilisation hochintelligenter Müllratten-Mutanten eines Tages in der Nähe der längst untergegangenen "Literaturstadt" Leipzig archäologische Grabungen macht. Was sie wohl finden und mutmaßen werden?
"Fast die gesamte Produktion (an Büchern) des Jahres 1990 landete in einem ehemaligen Tagebau bei Leipzig und wurde untergepflügt. Ab Juli 1990 stand allen Lesern mit Geld die westliche Bücherwelt offen."
Schöne neue Welt. Nein, natürlich war das keine Bücherverbrennung! Pfui, so etwas tut man ja nicht in Deutschland. Untergepflügt dienen Texte immerhin einem nahezu ökologischen Effekt- der Entstehung von Kompost. Ob sich im Tagebau daraus allerdings jemals Humus bildet, dürfen auch kommende Zivilisationen laut bezweifeln.
Ach, was hätte man alles mit diesen Büchern machen können. Selbst wenn man gedrucktes DDR-Propagandamaterial abgezogen hätte, wäre noch so mancher Dichter verblieben, so mancher Klassiker, viele Kinderbücher. Ich darf gar nicht daran denken: Goethe, Schiller, Pitti Platsch - Müll in Minen. Aber so ist das eben in der schönen neuen Welt. Wir verschenken nichts. Nicht an Liebhaber und an Bedürftige sowieso nicht. Milch schütten wir auf die Straße, Tomaten kippen wir in den Dreck, Zitrusfüchte lassen wir auf der Deponie faulen. Und Bücher kann man bekanntlich nicht essen.
Kein Wunder, dass der einzige Abwickler, der bei der Treuhand für Verlage zuständig war, Bauingenieur gelernt hatte. Ich verstehe überhaupt nicht, warum man sich über diese Wahl so aufregt. Schließlich kennen sich Bauingenieure mit der Belastbarkeit von alten Minen und Mülldeponien am besten aus.
Ich stelle mir vor, wie eine ferne Zivilisation hochintelligenter Müllratten-Mutanten eines Tages in der Nähe der längst untergegangenen "Literaturstadt" Leipzig archäologische Grabungen macht. Was sie wohl finden und mutmaßen werden?
15. Juni 2008
Romane stricken
In meiner Schulzeit bekam ich von einem Lehrer öffentlich den Spitznamen "tricoteuse", Strickerin. Nur weil ich, wie alle damals in der Klasse, während des Unterrichts strickte und dabei hin und wieder kleine, spitze, ironische bis zynische Kommentare aus der letzten Reihe abgegeben haben soll. Heute weiß ich, dass der Mann umsonst Angst vor mir hatte, denn eines habe ich mein Leben lang nie gelernt: richtig stricken.
Als ich meine ersten beiden Romane schrieb, fühlte sich das aber so ähnlich an. Als würde ich, weil ich das große Stricken von komplizierten Norwegerpullovern noch nicht beherrschte, erst mal eine Häkelprobe abgeben, mit festen Maschen. Alles ging noch so herrlich geradeaus, mit begrenztem Personal. Und jetzt sitze ich am dritten Roman und keuche. Da muss ich wirklich stricken, mit mehreren Farben auch noch, mit allen möglichen Ziermaschen, Rundungen, Löchern...
Jedenfalls fühlt es sich so an, wenn das Personal reichlicher geworden ist und in den Handlungssträngen unterschiedliche Knoten und Haken hängen. Hätte ich doch damals in der Schule nur besser aufgepasst, wie man Maschen zu- und abnimmt. Aber ich komme langsam dahinter, warum ich nie zum Handarbeitsgenie avanciert bin. Ich konnte noch nie Strickanleitungen lesen, geschweige denn, mir abstrakt vorstellen, wie man z.B. "abkettelt". Für einen Schal habe ich das mal per Internet gelernt, mit Deppenanleitung und zig Zeichnungen, dreidimensional.
Und so kam ich dann heute darauf, wie ich diese fette Schlüsselszene bewältige, in der zig Personen herumstehen, etwas tun sollen und einige in Streit geraten müssen etc. pp. Ich wollte ja nie stricken lernen und kann nur leidlich Schals fertigen. Damals, als mich dieser Lehrer nervte, wäre ich am liebsten Regisseur gewesen! Hätte ihn gern in komische Situationen auf eine Bühne gestellt und gesagt: So, nun mach mal, unterhalte uns. Deshalb immer diese geflüsterten Regieanweisungen...
Tja. Und so sitzt die Autorin gerade da und bastelt Männchen und Frauchen. Meine Romanfiguren. Und die schiebe ich jetzt lustig auf einer imaginierten Bühne herum, lass sie quatschen und schimpfen. Lustig, wie einfach und natürlich sich die Szenen ergeben.
Ich glaube, man kann Romane gar nicht stricken. Irgendwie spielen wir alle noch Playmobil. Und zum Glück können uns die Leser dabei nicht zuschauen.
Als ich meine ersten beiden Romane schrieb, fühlte sich das aber so ähnlich an. Als würde ich, weil ich das große Stricken von komplizierten Norwegerpullovern noch nicht beherrschte, erst mal eine Häkelprobe abgeben, mit festen Maschen. Alles ging noch so herrlich geradeaus, mit begrenztem Personal. Und jetzt sitze ich am dritten Roman und keuche. Da muss ich wirklich stricken, mit mehreren Farben auch noch, mit allen möglichen Ziermaschen, Rundungen, Löchern...
Jedenfalls fühlt es sich so an, wenn das Personal reichlicher geworden ist und in den Handlungssträngen unterschiedliche Knoten und Haken hängen. Hätte ich doch damals in der Schule nur besser aufgepasst, wie man Maschen zu- und abnimmt. Aber ich komme langsam dahinter, warum ich nie zum Handarbeitsgenie avanciert bin. Ich konnte noch nie Strickanleitungen lesen, geschweige denn, mir abstrakt vorstellen, wie man z.B. "abkettelt". Für einen Schal habe ich das mal per Internet gelernt, mit Deppenanleitung und zig Zeichnungen, dreidimensional.
Und so kam ich dann heute darauf, wie ich diese fette Schlüsselszene bewältige, in der zig Personen herumstehen, etwas tun sollen und einige in Streit geraten müssen etc. pp. Ich wollte ja nie stricken lernen und kann nur leidlich Schals fertigen. Damals, als mich dieser Lehrer nervte, wäre ich am liebsten Regisseur gewesen! Hätte ihn gern in komische Situationen auf eine Bühne gestellt und gesagt: So, nun mach mal, unterhalte uns. Deshalb immer diese geflüsterten Regieanweisungen...
Tja. Und so sitzt die Autorin gerade da und bastelt Männchen und Frauchen. Meine Romanfiguren. Und die schiebe ich jetzt lustig auf einer imaginierten Bühne herum, lass sie quatschen und schimpfen. Lustig, wie einfach und natürlich sich die Szenen ergeben.
Ich glaube, man kann Romane gar nicht stricken. Irgendwie spielen wir alle noch Playmobil. Und zum Glück können uns die Leser dabei nicht zuschauen.
12. Juni 2008
Hirnchemie für Schriftsteller
Die dreiteilige Wissenschafts-Doku "Expedition ins Gehirn" lief seit 2006 immer wieder im Fernsehen, heute abend bringt 3sat den letzten Teil. Interessant war der zweite Teil "Der Einstein-Effekt", in dem Wissenschaftler im Vergleich mit außergewöhnlichen sogenannten Savants (Inselbegabungen) auf der Suche nach der Kreativität waren. Natürlich schaut man als Kreativer bei solchen Sendungen besonders genau hin.
Denn wie ist das nun mit den Schriftstellern? Die Idee vom geborenen Genie, das als Nebenwirkung leichter oder besser schwerer einen an der Waffel hat, hält sich seit dem 18. Jhdt. hartnäckig. Seit dem 19. Jhdt. muss das Genie auch noch fürchterlich leiden. Diese Vorstellung ist so schön bequem, weil sie die entlastet, die genetisch nicht vorbelastet sind (ich muss nicht üben, ich bin halt so geboren) - und weil man sich damit um Unterricht, Lehrbetrieb und social skills so schön herummogeln kann. Ist aber Kreativität wirklich ein Hirndefekt?
Die Forscher der Sendereihe darf man mit Vorsicht genießen. Wer Experimente macht, weil er den Traum hegt, eines Tages Menschen per Knopfdruck im Hirn begabt oder glücklich zu stylen, darf sich mindestens so viele Fragen über seine Psyche stellen lassen wie die wirklich beeindruckenden Savants, bei denen man sich manchmal nicht des Eindrucks erwehren konnte, einer modernen Jahrmarktsvorstellung beizuwohnen. Lassen wir also mal die Theorie des Films beiseite, Künstler seien angeblich alle leicht autistisch oder in irgendwelchen Schaltungen defekt... Autistisch ist man heutzutage ja schon, wenn man es gut aushält, allein sein zu können - oder gar genießt.
In Bezug aufs Schriftstellern (und andere Künste) waren allgemeinere Aussagen hilfreicher. Kreativität, so ein Wissenschaftler, entstehe, wenn drei Voraussetzungen stimmten:
- exakte und umfassende Wahrnehmung
- Subversivität im Denken
- das Abschalten jeglicher Erwartungsfilter und Vorurteile
Der Vergleich mit den Savants zeigte, dass jeder Mensch normalerweise sämtliche Wahrnehmungen noch vor dem bewussten Eindruck filtert und beurteilt - und deshalb anders wahrnimmt. Sinnvoll, um nicht von Eindrücken überschwemmt zu werden und sozial zu funktionieren. Weniger sinnvoll während des kreativen Arbeitens.
Die eigenen und gesellschaftlichen Erwartungen, die eigenen Vorurteile und Vorstellungen verfärben unsere Wahrnehmung ebenso wie Filter aus Ängsten, Aggressionen, Unlust etc. Savants, kleine Kinder und Genies hätten diese Filter weniger oder gar nicht - sie nehmen die Realität wahr, bewerten nicht. Man muss sich nun aber keine Hirnhälfte ausbrennen, um weniger Filter im Kopf zu haben - die meisten lassen sich wegtrainieren (Erwartungshaltungen), hinterfragen (Vorurteile) oder auch mal in Psychotherapie bearbeiten, wenn sie krank machen (Ängste etc.).
Punkt 2 folgt daraus zwingend. Wer es schafft, seine Vorurteile und womöglich auch noch sich selbst zu hinterfragen, der hinterfragt natürlich nicht nur sich. Und wird damit subversiv. Wer sich dagegen an ein Manuskript setzt und ständig grübelt, wer denn nun das genaue Zielpublikum sei und wie man denn nun welchem Markt entgegenschreibe, der zerstört die Grundvorausetzungen für Kreativität und wird nie ein Genie. Denn wer dem Markt oder der Masse nachrennt, ist nicht subversiv.
Die Welt immer wieder mit anderen Augen sehen können, ungewöhnliche Denkverknüpfungen wagen - das wäre eine Alternative zum absolut filterlosen Wahrnehmen. Je mehr Perspektivwechsel einer im Leben schafft, desto eher macht er sich frei vom inneren Richter, der gespeist wird von dem, was man als Kind von Eltern und Gesellschaft lernte. So erklärt sich auch von Hirnforscherseite her, warum Künstler in Zwangssystemen als renitent und gefährlich eingestuft werden - und auch in bürgerlichen Gesellschaften nicht geheuer erscheinen.
Glaubt man der Doku weiter, so arbeitet es sich grundsätzlich dann am kreativsten, wenn man Lust, Spaß und Interesse hat. Das hat mit dem vermehrten Ausstoß von Dopamin zu tun, dass dann die Verbindung hirnlicher Netzwerke mit dem Langzeitgedächtnis besonders fördere. Dabei stellt sich unser Gehirn noch schlauer an als wir selbst: Es kalkuliert voraus, ob sich der Aufwand lohnt! Erwarten wir vor Beginn unseres Schreibens also eine Belohnung oder ein gutes Ergebnis, gibt's mehr Dopamin. Sind wir depressiv gestimmt und schauen nur auf die Berge von Problemen, streiken die entsprechenden Zellen.
Es wäre also ganz einfach: Vor der Arbeit überlegen, wie man sein Ziel erreicht, wie man aus einer Gefahr oder einem Problem herauskommt. Lösungsorientiert arbeiten (und leben?). An die Stärken denken und mutig sein. Und all die Selbstzweifel und "ich kann ja gar nicht schreiben" oder "diese Szene wird nie etwas" - auf nach dem Arbeiten verschieben!
Spannend war in diesem Zusammenhang auch die Arbeit mit Neurofeedback gegen Lampenfieber. Die Forscher beobachteten bei den unaufgeregten Sängern, dass sie es schafften, sozusagen ihre Amygdala "auszuschalten". Es ist unsere "Emotionsschaltstelle", die eigentlich dem primitiven Überleben dient - sie sagt uns, wann Flucht oder Kampf angesagt ist. Ein Gefühl, das manche Schriftsteller regelrecht hochzüchten, bevor sie aufs erschreckend leere Papier starren.
Kreativ und gut aber waren die anderen - diejenigen, die ihre Ängste vergessen konnten und fröhlich auf Fehler pfiffen. Die das Glück genossen, das machen zu können, was sie am besten konnten. Wenn man eigentlich das Gefühl hat, überhaupt nichts zu arbeiten, wenn es einem sozusagen "zufällt", dann ist man mitten im kreativen Flow. Nun muss sich auch hier nicht jeder verkabeln lassen. Die Hirnwellen sind durch uralte Übungen beeinflussbar, etwa durch Entspannungsübungen, Biofeedback, Meditationen. Manchmal hilft sogar der Verstand. So lernte ich anschaulich in einem Schauspielworkshop, dass das Publikum Fehler, unter denen man selbst leidet, meist gar nicht bemerkt. Die Fähigkeit, während der Arbeit diesen Zensorblick auszuschalten, beruht ebenfalls auf Training und Übung.
Tja, alles also ganz einfach. Theoretisch. Lange, bevor es Neurologen und Hirnforscher gab, hatten die meisten Kulturen dieser Welt ihre eigenen, ganz einfachen Entspannungs- und Kreativitätstechniken. Und so lange sie noch nicht verbogen sind, könnten uns sogar Kinder lehren, wie es geht. Die Theorie vom ewig leidenden und grübelnden Genie jedenfalls dürfte endgültig obsolet sein. Man nehme sich ein Beispiel an Einstein. Das Foto mit der herausgestreckten Zunge steht für Subversivität. Humor und Kindsein kannte der Mann auch. Und wie war das mit den Filtern, den Erwartungen?
Da fand er: "Der Horizont mancher Menschen ist ein Kreis mit Radius Null, das nennen sie dann Standpunkt."
Denn wie ist das nun mit den Schriftstellern? Die Idee vom geborenen Genie, das als Nebenwirkung leichter oder besser schwerer einen an der Waffel hat, hält sich seit dem 18. Jhdt. hartnäckig. Seit dem 19. Jhdt. muss das Genie auch noch fürchterlich leiden. Diese Vorstellung ist so schön bequem, weil sie die entlastet, die genetisch nicht vorbelastet sind (ich muss nicht üben, ich bin halt so geboren) - und weil man sich damit um Unterricht, Lehrbetrieb und social skills so schön herummogeln kann. Ist aber Kreativität wirklich ein Hirndefekt?
Die Forscher der Sendereihe darf man mit Vorsicht genießen. Wer Experimente macht, weil er den Traum hegt, eines Tages Menschen per Knopfdruck im Hirn begabt oder glücklich zu stylen, darf sich mindestens so viele Fragen über seine Psyche stellen lassen wie die wirklich beeindruckenden Savants, bei denen man sich manchmal nicht des Eindrucks erwehren konnte, einer modernen Jahrmarktsvorstellung beizuwohnen. Lassen wir also mal die Theorie des Films beiseite, Künstler seien angeblich alle leicht autistisch oder in irgendwelchen Schaltungen defekt... Autistisch ist man heutzutage ja schon, wenn man es gut aushält, allein sein zu können - oder gar genießt.
In Bezug aufs Schriftstellern (und andere Künste) waren allgemeinere Aussagen hilfreicher. Kreativität, so ein Wissenschaftler, entstehe, wenn drei Voraussetzungen stimmten:
- exakte und umfassende Wahrnehmung
- Subversivität im Denken
- das Abschalten jeglicher Erwartungsfilter und Vorurteile
Der Vergleich mit den Savants zeigte, dass jeder Mensch normalerweise sämtliche Wahrnehmungen noch vor dem bewussten Eindruck filtert und beurteilt - und deshalb anders wahrnimmt. Sinnvoll, um nicht von Eindrücken überschwemmt zu werden und sozial zu funktionieren. Weniger sinnvoll während des kreativen Arbeitens.
Die eigenen und gesellschaftlichen Erwartungen, die eigenen Vorurteile und Vorstellungen verfärben unsere Wahrnehmung ebenso wie Filter aus Ängsten, Aggressionen, Unlust etc. Savants, kleine Kinder und Genies hätten diese Filter weniger oder gar nicht - sie nehmen die Realität wahr, bewerten nicht. Man muss sich nun aber keine Hirnhälfte ausbrennen, um weniger Filter im Kopf zu haben - die meisten lassen sich wegtrainieren (Erwartungshaltungen), hinterfragen (Vorurteile) oder auch mal in Psychotherapie bearbeiten, wenn sie krank machen (Ängste etc.).
Punkt 2 folgt daraus zwingend. Wer es schafft, seine Vorurteile und womöglich auch noch sich selbst zu hinterfragen, der hinterfragt natürlich nicht nur sich. Und wird damit subversiv. Wer sich dagegen an ein Manuskript setzt und ständig grübelt, wer denn nun das genaue Zielpublikum sei und wie man denn nun welchem Markt entgegenschreibe, der zerstört die Grundvorausetzungen für Kreativität und wird nie ein Genie. Denn wer dem Markt oder der Masse nachrennt, ist nicht subversiv.
Die Welt immer wieder mit anderen Augen sehen können, ungewöhnliche Denkverknüpfungen wagen - das wäre eine Alternative zum absolut filterlosen Wahrnehmen. Je mehr Perspektivwechsel einer im Leben schafft, desto eher macht er sich frei vom inneren Richter, der gespeist wird von dem, was man als Kind von Eltern und Gesellschaft lernte. So erklärt sich auch von Hirnforscherseite her, warum Künstler in Zwangssystemen als renitent und gefährlich eingestuft werden - und auch in bürgerlichen Gesellschaften nicht geheuer erscheinen.
Glaubt man der Doku weiter, so arbeitet es sich grundsätzlich dann am kreativsten, wenn man Lust, Spaß und Interesse hat. Das hat mit dem vermehrten Ausstoß von Dopamin zu tun, dass dann die Verbindung hirnlicher Netzwerke mit dem Langzeitgedächtnis besonders fördere. Dabei stellt sich unser Gehirn noch schlauer an als wir selbst: Es kalkuliert voraus, ob sich der Aufwand lohnt! Erwarten wir vor Beginn unseres Schreibens also eine Belohnung oder ein gutes Ergebnis, gibt's mehr Dopamin. Sind wir depressiv gestimmt und schauen nur auf die Berge von Problemen, streiken die entsprechenden Zellen.
Es wäre also ganz einfach: Vor der Arbeit überlegen, wie man sein Ziel erreicht, wie man aus einer Gefahr oder einem Problem herauskommt. Lösungsorientiert arbeiten (und leben?). An die Stärken denken und mutig sein. Und all die Selbstzweifel und "ich kann ja gar nicht schreiben" oder "diese Szene wird nie etwas" - auf nach dem Arbeiten verschieben!
Spannend war in diesem Zusammenhang auch die Arbeit mit Neurofeedback gegen Lampenfieber. Die Forscher beobachteten bei den unaufgeregten Sängern, dass sie es schafften, sozusagen ihre Amygdala "auszuschalten". Es ist unsere "Emotionsschaltstelle", die eigentlich dem primitiven Überleben dient - sie sagt uns, wann Flucht oder Kampf angesagt ist. Ein Gefühl, das manche Schriftsteller regelrecht hochzüchten, bevor sie aufs erschreckend leere Papier starren.
Kreativ und gut aber waren die anderen - diejenigen, die ihre Ängste vergessen konnten und fröhlich auf Fehler pfiffen. Die das Glück genossen, das machen zu können, was sie am besten konnten. Wenn man eigentlich das Gefühl hat, überhaupt nichts zu arbeiten, wenn es einem sozusagen "zufällt", dann ist man mitten im kreativen Flow. Nun muss sich auch hier nicht jeder verkabeln lassen. Die Hirnwellen sind durch uralte Übungen beeinflussbar, etwa durch Entspannungsübungen, Biofeedback, Meditationen. Manchmal hilft sogar der Verstand. So lernte ich anschaulich in einem Schauspielworkshop, dass das Publikum Fehler, unter denen man selbst leidet, meist gar nicht bemerkt. Die Fähigkeit, während der Arbeit diesen Zensorblick auszuschalten, beruht ebenfalls auf Training und Übung.
Tja, alles also ganz einfach. Theoretisch. Lange, bevor es Neurologen und Hirnforscher gab, hatten die meisten Kulturen dieser Welt ihre eigenen, ganz einfachen Entspannungs- und Kreativitätstechniken. Und so lange sie noch nicht verbogen sind, könnten uns sogar Kinder lehren, wie es geht. Die Theorie vom ewig leidenden und grübelnden Genie jedenfalls dürfte endgültig obsolet sein. Man nehme sich ein Beispiel an Einstein. Das Foto mit der herausgestreckten Zunge steht für Subversivität. Humor und Kindsein kannte der Mann auch. Und wie war das mit den Filtern, den Erwartungen?
Da fand er: "Der Horizont mancher Menschen ist ein Kreis mit Radius Null, das nennen sie dann Standpunkt."
Entwicklungsland Europa
Es gibt heutzutage alle möglichen Schadensberichte, auf die sich die Medien bevorzugt stürzen, weil Katastrophen Nachrichten sind. Selten ändern sie die Zuschauer, sie sorgen allenfalls für Grusel, Betroffenheit - und wenn sie zu oft gezeigt werden, für Überdruss. Ab und zu sorgen solche Schadensaufstellungen auch mal für politische Beratungen, die meist ausgehen wie das Hornberger Schießen. Auf der Bekanntheits- und Beliebtheitsskala der Katastrophen ganz oben stehen z.B. der Earth Report oder der Waldschadensbericht.
Erstaunlich ungehört ging dagegen gestern im Europarat in Strasbourg mit einer Konferenz die Kampagne zu Ende, die versucht, häusliche Gewalt gegen Frauen in Europa endlich zu kriminalisieren, weil sie die Menschenwürde verletzt und den Frauen die Möglichkeit nimmt, ihre Rechte frei auszuüben. Man darf das auch so sehen: Gewalt ist kriminell. Warum soll das innerhalb der eigenen vier Wände anders sein als auf einem Marktplatz?
Tatsächlich gibt es hin- und wieder, national wie auf europäischer Ebene, so etwas wie einen Frauenschadensbericht.
Als vor etwa einem Jahr in Frankreich herauskam, dass jede zweite Französin mindestens einmal in ihrem Leben häusliche Gewalt erlebt und jede zehnte verstorbene Frau unter 30 Jahren an häuslicher Gewalt sterbe (!!!), ging ein Raunen durchs Land. Solche Zahlen hätte man jedem exotischen Entwicklungsland, womöglich unter politischer oder religiöser Diktatur zugetraut, aber nicht einer hochzivilisierten Kulturnation Europas. Man hat die Zahlen im Alltag dann recht schnell verdrängt.
Die neuen Durchschnittszahlen Europas, dieser Wiege der Menschenrechte, sehen nicht viel besser aus: Jede vierte Europäerin wurde mindestens einmal Opfer von Gewalt, jede zehnte erlebte sexuelle Übergriffe. Die Täter kommen meist aus dem Familienkreis und sind fast auschließlich Männer. Ob wir uns daran so gewöhnen wollen wie ans Waldsterben, wo doch der Wald immer noch so schön grün aussieht und seine Wunden nur den Fachleuten zeigt?
Was würde passieren, wenn plötzlich die Zeitungen über eine Krankheit berichten, die in einem Jahr ein Fünftel der EU-Bevölkerung befallen hätte? „Die Regierungen würden sofort reagieren, indem sie Programme und wirksame Mittel zur Bekämpfung dieser Krankheit einsetzen.“ Das sagte Maj Britt Theorin, die Präsidentin des Ausschusses für Frauenrechte und Chancengleichheit im Europäischen Parlament.
Ich selbst habe Anfang der 1980er die zweite oder dritte große Emanzipationsbewegung erlebt, bei der wir dachten, der Traum von einer Gleichwertigkeit könne endlich real werden. Im Moment sieht es so aus, als würden einige Entwicklungen, die für uns Mädchen und Frauen damals selbstverständlich waren, wieder rückwärts laufen. Opfer zu sein, fängt lange vor der Gewalt an. Meine Rolle in der Gesellschaft stimmt erst dann, wenn ich sagen kann: Ich kann als Mensch selbstverständlich und natürlich die gleichen (Menschen)rechte leben wie andere Menschen auch, unabhängig vom Geschlecht. Und ich nehme mir dieses Recht.
Gestern erfuhr ich Zahlen einer Fahrschullehrerin in einer mittelgroßen deutschen Stadt. Wir kamen darauf, weil die Generation der Frauen ab 70 häufig darunter leidet, nie den Führerschein gemacht zu haben oder nicht ausreichend geübt, weil selbstverständlich der Mann das Auto fuhr. Plötzlich sind sie Witwe - und völlig hilflos. Eine Mahnung, die ich in meiner Jugend lernte, war deshalb diese: Lerne, unabhängig, als eigenständiger Mensch, auf eigenen Beinen stehen zu können - du weißt nie, was einmal passiert.
Junge Frauen, so die Fahrlehrerin, seien anders. Höchstens ein Drittel der Fahrschüler bei ihr seien Frauen, der Rest Männer. Argument der anderen Frauen: Mein Freund / mein Mann fährt mich ja sowieso. Schlimm, wenn der Chauffeur dann eines Tages aus irgendwelchen Gründen ausfällt... Und vielleicht wollte er auch einmal chauffiert werden?
Übertrieben? Nein. Bei meiner letzten Lesung sagten ein paar gestandene, reife Frauen mit Führerschein ab - mit der Begründung, sie könnten nicht fahren, weil der Freund / Partner / Mann Fußball schauen wolle.
Es gibt noch viel zu lernen in Europa. Auch der Mut, ein ganzer Mensch zu sein.
Erstaunlich ungehört ging dagegen gestern im Europarat in Strasbourg mit einer Konferenz die Kampagne zu Ende, die versucht, häusliche Gewalt gegen Frauen in Europa endlich zu kriminalisieren, weil sie die Menschenwürde verletzt und den Frauen die Möglichkeit nimmt, ihre Rechte frei auszuüben. Man darf das auch so sehen: Gewalt ist kriminell. Warum soll das innerhalb der eigenen vier Wände anders sein als auf einem Marktplatz?
Tatsächlich gibt es hin- und wieder, national wie auf europäischer Ebene, so etwas wie einen Frauenschadensbericht.
Als vor etwa einem Jahr in Frankreich herauskam, dass jede zweite Französin mindestens einmal in ihrem Leben häusliche Gewalt erlebt und jede zehnte verstorbene Frau unter 30 Jahren an häuslicher Gewalt sterbe (!!!), ging ein Raunen durchs Land. Solche Zahlen hätte man jedem exotischen Entwicklungsland, womöglich unter politischer oder religiöser Diktatur zugetraut, aber nicht einer hochzivilisierten Kulturnation Europas. Man hat die Zahlen im Alltag dann recht schnell verdrängt.
Die neuen Durchschnittszahlen Europas, dieser Wiege der Menschenrechte, sehen nicht viel besser aus: Jede vierte Europäerin wurde mindestens einmal Opfer von Gewalt, jede zehnte erlebte sexuelle Übergriffe. Die Täter kommen meist aus dem Familienkreis und sind fast auschließlich Männer. Ob wir uns daran so gewöhnen wollen wie ans Waldsterben, wo doch der Wald immer noch so schön grün aussieht und seine Wunden nur den Fachleuten zeigt?
Was würde passieren, wenn plötzlich die Zeitungen über eine Krankheit berichten, die in einem Jahr ein Fünftel der EU-Bevölkerung befallen hätte? „Die Regierungen würden sofort reagieren, indem sie Programme und wirksame Mittel zur Bekämpfung dieser Krankheit einsetzen.“ Das sagte Maj Britt Theorin, die Präsidentin des Ausschusses für Frauenrechte und Chancengleichheit im Europäischen Parlament.
Ich selbst habe Anfang der 1980er die zweite oder dritte große Emanzipationsbewegung erlebt, bei der wir dachten, der Traum von einer Gleichwertigkeit könne endlich real werden. Im Moment sieht es so aus, als würden einige Entwicklungen, die für uns Mädchen und Frauen damals selbstverständlich waren, wieder rückwärts laufen. Opfer zu sein, fängt lange vor der Gewalt an. Meine Rolle in der Gesellschaft stimmt erst dann, wenn ich sagen kann: Ich kann als Mensch selbstverständlich und natürlich die gleichen (Menschen)rechte leben wie andere Menschen auch, unabhängig vom Geschlecht. Und ich nehme mir dieses Recht.
Gestern erfuhr ich Zahlen einer Fahrschullehrerin in einer mittelgroßen deutschen Stadt. Wir kamen darauf, weil die Generation der Frauen ab 70 häufig darunter leidet, nie den Führerschein gemacht zu haben oder nicht ausreichend geübt, weil selbstverständlich der Mann das Auto fuhr. Plötzlich sind sie Witwe - und völlig hilflos. Eine Mahnung, die ich in meiner Jugend lernte, war deshalb diese: Lerne, unabhängig, als eigenständiger Mensch, auf eigenen Beinen stehen zu können - du weißt nie, was einmal passiert.
Junge Frauen, so die Fahrlehrerin, seien anders. Höchstens ein Drittel der Fahrschüler bei ihr seien Frauen, der Rest Männer. Argument der anderen Frauen: Mein Freund / mein Mann fährt mich ja sowieso. Schlimm, wenn der Chauffeur dann eines Tages aus irgendwelchen Gründen ausfällt... Und vielleicht wollte er auch einmal chauffiert werden?
Übertrieben? Nein. Bei meiner letzten Lesung sagten ein paar gestandene, reife Frauen mit Führerschein ab - mit der Begründung, sie könnten nicht fahren, weil der Freund / Partner / Mann Fußball schauen wolle.
Es gibt noch viel zu lernen in Europa. Auch der Mut, ein ganzer Mensch zu sein.
9. Juni 2008
Nächste Lesung
Wer die gestrige Lesung wegen plötzlicher Bierfluten und Ballschlags oder sonstiger Unwetter verpasst hat, während wir in Hatten bei strahlendem Sonnenschein Rosenbuch und Sektbuffet genossen - muss nicht leer ausgehen. Die nächste Lesung kommt bestimmt!
Und weil es diesmal ein richtiges Essen drumherum gibt, sollte man sich dringend rechtzeitig Karten reservieren! Reservierung läuft.
Die Lesung findet am 5. Juli in Kehl-Odelshofen in der Galerie kulturVOLLERgarten statt, nähere Infos hier.
Und weil es diesmal ein richtiges Essen drumherum gibt, sollte man sich dringend rechtzeitig Karten reservieren! Reservierung läuft.
Die Lesung findet am 5. Juli in Kehl-Odelshofen in der Galerie kulturVOLLERgarten statt, nähere Infos hier.
7. Juni 2008
Fußball und Rosen
Das kommt davon, wenn man Schnapsideen entwickelt: Verbindungen zwischen Fußball und Rosen suchen. Als "balla-balla" bezeichnete mich eben eine Freundin. Das ließ die Rechercheuse in mir natürlich nicht auf sich sitzen.
Ich habe zwar keine Ahnung von Fußball und weiß auch nicht, wie aktuell das alles ist, aber immerhin vermeldete der Spiegel bei der vergangenen WM, dass die Chinesinnen ihrem Namen "Stählerne Rosen" keine Ehre machten - sie knickten ein. Je klangvoller der Beiname einer Mannschaft, so denkt der Journalist, desto geringer der Erfolg. Und manche Zuschauer wissen nicht, dass sich hinter dem Export von Fußballern auch Blumenexporte verstecken. Das arme kleine Land Ecuador hat z.B. bei der letzten EM in Deutschland zwei Millionen Dollar locker gemacht, um nicht nur den Fußballfans zu zeigen, was man der Welt zu bieten hat: großköpfige Rosen, gefolgt von Fischprodukten und Fruchtsäften. Ob das Geschäft mit Rosen aus der dritten Welt immer derselben Einkünfte bringt, darf dahingestellt bleiben - wenn es nicht menschen- und umweltschonend betrieben wird, ist es ein dreckiges.
Dann gibt es da in Würzburg Bulgarische Rosen, von denen wir nur ahnen können, wie sie duften, die aber garantiert weiß grün und rot sind. Die 16 Jungs stehen zu ihrer Vorliebe für die Blume: "Diese Blume symbolisiert für uns vollendete Schönheit und einen starken Lebenswillen. Durch die Dornen ist die Rose unnahbar und unverletzlich. Die Rose verkörpert den Geist und Siegeswillen unserer Mannschaft".
Schön, dass bei so vielen schwitzenden Rosen auf dem Rasen die wahren Duftblumen nicht untergehen. Bea Wildhaber in der Schweiz trotzt der EM-Saison mit dem Rosenmonat Juni und der Ausstellung "Rosen statt Rasen" in ihrer Galerie. Dass sie das Spielfeld zur Rosen-Ball-Saison ganz den bunten Schönheiten und der passenden Kunst überlassen will, macht mir richtig Mut für morgen. "Kunst trifft Rosen" heißt es dann noch einmal in Hatten, fußballfrei, rosenvoll. Und mein Intro für die Lesung aus "Das Buch der Rose" habe ich nun auch schon: Fußball, was sonst?
Ich habe zwar keine Ahnung von Fußball und weiß auch nicht, wie aktuell das alles ist, aber immerhin vermeldete der Spiegel bei der vergangenen WM, dass die Chinesinnen ihrem Namen "Stählerne Rosen" keine Ehre machten - sie knickten ein. Je klangvoller der Beiname einer Mannschaft, so denkt der Journalist, desto geringer der Erfolg. Und manche Zuschauer wissen nicht, dass sich hinter dem Export von Fußballern auch Blumenexporte verstecken. Das arme kleine Land Ecuador hat z.B. bei der letzten EM in Deutschland zwei Millionen Dollar locker gemacht, um nicht nur den Fußballfans zu zeigen, was man der Welt zu bieten hat: großköpfige Rosen, gefolgt von Fischprodukten und Fruchtsäften. Ob das Geschäft mit Rosen aus der dritten Welt immer derselben Einkünfte bringt, darf dahingestellt bleiben - wenn es nicht menschen- und umweltschonend betrieben wird, ist es ein dreckiges.
Dann gibt es da in Würzburg Bulgarische Rosen, von denen wir nur ahnen können, wie sie duften, die aber garantiert weiß grün und rot sind. Die 16 Jungs stehen zu ihrer Vorliebe für die Blume: "Diese Blume symbolisiert für uns vollendete Schönheit und einen starken Lebenswillen. Durch die Dornen ist die Rose unnahbar und unverletzlich. Die Rose verkörpert den Geist und Siegeswillen unserer Mannschaft".
Schön, dass bei so vielen schwitzenden Rosen auf dem Rasen die wahren Duftblumen nicht untergehen. Bea Wildhaber in der Schweiz trotzt der EM-Saison mit dem Rosenmonat Juni und der Ausstellung "Rosen statt Rasen" in ihrer Galerie. Dass sie das Spielfeld zur Rosen-Ball-Saison ganz den bunten Schönheiten und der passenden Kunst überlassen will, macht mir richtig Mut für morgen. "Kunst trifft Rosen" heißt es dann noch einmal in Hatten, fußballfrei, rosenvoll. Und mein Intro für die Lesung aus "Das Buch der Rose" habe ich nun auch schon: Fußball, was sonst?
Nichts dazugelernt
Zum Metier des Schriftstellers gehört bekanntlich auch der öffentliche Auftritt. Nicht so sehr um Werbung für die Bücher zu machen, denn Lesungen werden meist von Menschen besucht, die das Buch längst besitzen und signiert haben wollen. Nein, hauptberufliche Autoren finanzieren sich damit die unerträgliche Leichtigkeit des Seins. Und weil es so wichtig ist, dass sich der leere Kühlschrank wieder füllt, haben alte Hasen in dem Geschäft gern gute Tipps für KollegInnen. Es gibt nämlich Dinge, die man im Lese-Geschäft unbedingt vermeiden sollte.
Ich Wahnsinnige lese morgen und mache alles falsch, was ich je gelernt habe:
- Mach keine Freilicht-Lesung bei schlechtem Wetter, auch wenn ein Innenraum vorhanden ist.
- Lies nicht am Wochenende, schon gar nicht sonntags.
- Lies lieber im Winter als im Sommer.
- Lies, wo berühmte Kollegen lesen.
- Lies auf keinen Fall während wichtiger Fußballspiele.
- Lies verdammt noch mal nie, wenn Deutschland spielt!
Ich erinnere mich noch, da war mal eine EM, über die sie sogar Filme gedreht haben. Ich sollte während der heißen Phase lesen, in der Stadt war ausgerechnet noch eins der Fußballteams untergebracht. Mein Veranstalter war heilfroh, als ich ihn darum bat, die Veranstaltung doch besser zu verschieben. Ich las dann in der gleichen Stadt vier Wochen später. Ohne EM. Unterm Dach bei Außentemperaturen von 36 Grad im Schatten. Musste gegen das Karajan-Preis-Konzert anstinken und die Eröffnung eines der wichtigsten Feste in dieser Stadt. Nicht mehr Fußball gegen Kultur, sondern Kultur gegen Kultur. Trotzdem unvergesslich: Meine Besucher waren in der afrikanisch anmutenden Hitze unendlich dankbar, dass ich die Lesung abkürzte und sie so erlöste. Stattdessen mit ihnen in den luftigen Kurgarten ein Bier trinken ging. Auf jenem Fest eben.
Tja, nix dazugelernt. Jetzt werde ich sehen, wo ich morgen bleibe. Mit Sommerfesten im aufgeschwemmten Maisland ist's natürlich Essig. Unterwegs werde ich eher Wild am Straßenrand begegnen als russischen Pianisten. Und ich weiß nicht mal, welchem von beiden ich morgen von Frankreich aus die Daumen drücken könnte. Bier ist auch aus. Der Kühlschrank ist nämlich ziemlich leer. Und mein Hund hat was am Bauch (nein, der Kühlschrank vor schon vorher leer). Eigentlich die besten Voraussetzungen für eine niedliche kleine polnische depresja, passend zum unerträglich feucht-schwülen Wetter...
Ob man die Kulturgeschichte der Rosen mit der Kulturgeschichte des Fußballs verknüpfen kann? Ich hab Bauchweh. Komm Hund, lass uns wandern...
Ich Wahnsinnige lese morgen und mache alles falsch, was ich je gelernt habe:
- Mach keine Freilicht-Lesung bei schlechtem Wetter, auch wenn ein Innenraum vorhanden ist.
- Lies nicht am Wochenende, schon gar nicht sonntags.
- Lies lieber im Winter als im Sommer.
- Lies, wo berühmte Kollegen lesen.
- Lies auf keinen Fall während wichtiger Fußballspiele.
- Lies verdammt noch mal nie, wenn Deutschland spielt!
Ich erinnere mich noch, da war mal eine EM, über die sie sogar Filme gedreht haben. Ich sollte während der heißen Phase lesen, in der Stadt war ausgerechnet noch eins der Fußballteams untergebracht. Mein Veranstalter war heilfroh, als ich ihn darum bat, die Veranstaltung doch besser zu verschieben. Ich las dann in der gleichen Stadt vier Wochen später. Ohne EM. Unterm Dach bei Außentemperaturen von 36 Grad im Schatten. Musste gegen das Karajan-Preis-Konzert anstinken und die Eröffnung eines der wichtigsten Feste in dieser Stadt. Nicht mehr Fußball gegen Kultur, sondern Kultur gegen Kultur. Trotzdem unvergesslich: Meine Besucher waren in der afrikanisch anmutenden Hitze unendlich dankbar, dass ich die Lesung abkürzte und sie so erlöste. Stattdessen mit ihnen in den luftigen Kurgarten ein Bier trinken ging. Auf jenem Fest eben.
Tja, nix dazugelernt. Jetzt werde ich sehen, wo ich morgen bleibe. Mit Sommerfesten im aufgeschwemmten Maisland ist's natürlich Essig. Unterwegs werde ich eher Wild am Straßenrand begegnen als russischen Pianisten. Und ich weiß nicht mal, welchem von beiden ich morgen von Frankreich aus die Daumen drücken könnte. Bier ist auch aus. Der Kühlschrank ist nämlich ziemlich leer. Und mein Hund hat was am Bauch (nein, der Kühlschrank vor schon vorher leer). Eigentlich die besten Voraussetzungen für eine niedliche kleine polnische depresja, passend zum unerträglich feucht-schwülen Wetter...
Ob man die Kulturgeschichte der Rosen mit der Kulturgeschichte des Fußballs verknüpfen kann? Ich hab Bauchweh. Komm Hund, lass uns wandern...
4. Juni 2008
Einkaufen im Elsass?
In meiner Studentenzeit - gut, es ist schon ein wenig her - gab es einen festen Ritus für uns Grenzbewohner, für den nicht einmal die Strecke von Tübingen aus zu weit war. Einmal im Monat "Einkaufen in Frankreich". Damals hieß das Ziel noch "Mammouth", inzwischen natürlich längst aufgekauft von größeren Unternehmen. Man holte sich all das, was es im faden Essland Deutschland nicht gab, was dort elend teuer war - und das war viel. Ein bißchen Käse, frische Baguette vom Backshop im Supermarkt, Rotwein und Wasser, so war auch für das Picknick unterwegs gesorgt. Damals, als man als Autofahrer noch unbeschwert soff in Frankreich.
Die Zeiten haben sich geändert. Wer in Frankreich lebt, erträgt das Fabrik-Baguette aus dem Supermarkt kaum und fährt mittlerweile meilenweit für ein Brot à l' "artisanal", handwerklich, also ganz normal hergestellt vom Bäcker. Mit dem Trinken am Steuer ist Sense. 0,3 Promille sind das Höchstlimit, das der Führerschein in Frankreich noch erträgt, der Geldbeutel weniger. Die Strafen sind drakonisch, müssen sie sein, weil sonst keiner kapiert, schnell ist das Auto weg, wenn die Kreditkarte nicht will. Und ist der Beifahrer dann zufällig auch noch blau, weil der doch angeblich darf... oh non... Taxi! Trunkenes Beifahren ist ebenfalls strafbar - eine solche Gefahr für den Fahrer hat auf der Rückbank zu sitzen!
Und wie ist das mit dem Essen im Gourmetland? Zunehmend ein Jammertal. Gewiss, unsere Käseauswahl ist nach wie vor unübertroffen, aber die Personalauswahl... nein anders: am Personal wird gespart und deshalb schwitzt und mieft der Käse vorabgepackt in Frischhaltefolie. Ein Verfahren, das die meisten Weichkäse Frankreichs nachhaltig killt und den Elsässer Munster regelrecht verpestet. Die Weinpreise richten sich in Frankreich u.a. nach den Preisen, die der Boden in Versteigerungen hergibt, und weil mit Immobilienpreisen im Elsass so schön spekuliert wurde (u.a. von den Ausländern, die nach billigem Wein suchten), ist nun auch der Wein am oberen Limit, häufig überbewertet. Man fährt meilenweit zum richtigen Winzer.
Fleisch? Fleisch wird in Frankreich immer noch besser geschnitten. Gammelt zumindest offiziell nur, wenn es aus Deutschland importiert wurde. Aber - es schwitzt dank Personalabbau immer häufiger wie der Käse in der Fertigpackung und blutet aus. Feinschmeckernahrung, Frisches stirbt aus. Bioware ist immer noch unbezahlbar. Und jetzt, wo das Elsass fest in der Hand von Monsanto und seinem Mais ist, sucht man nach Biobauern und Gemüseanbauern lange. Spargel verkauft man als Spezialität "violet" - eine Todsünde schlechter Pflücker, für die man auf der badischen Seite entlassen würde.
Nun hat es sich seit geraumer Zeit eingebürgert, dass wir Elsässer und Wahlelsässer am liebsten in deutsche Restaurants im Grenzgebiet gehen. Ob die Dorfkneipe im Badischen oder der Winzer in der Pfalz - konkurrenzlos gemütlich und preiswert, und endlich kann man die guten Weine auch als Viertel trinken, wo es bei uns im Pichet nur Billigsuff gibt. Immerhin findet man in der Pfalz quicklebendig genau das, was man sich im Elsass kaputt gemacht hat: die Kultur der Winstub. Dieses Ereignis, zu erschwinglichen Preisen einen gemütlichen Abend mit Freunden verbringen zu können, nicht das Dégustationsmenu nehmen zu müssen und herrliche Weine zu trinken.
Und wie ist das mit dem Einkaufen? Ich habe es heute wissen wollen, nachdem auch da all meine Elsässer Freunde nach Deutschland flüchten. Härte-Vergleichskauf bei einem Discounter in Bad Bergzabern, möglichst gleiche Ware wie sonst für die Woche. Ich bin ziemlich erschrocken. Nicht nur weil dieser Laden mit ziemlich viel italienischer Ware meinem Essverhalten näher kommt (ich liebe Mittelmeerküche). Ich habe tatsächlich nur die Hälfte bezahlt! Und für diese Hälfte bekam ich nicht nur qualitativ bessere Ware und den ein oder anderen kleinen Luxus, den sich zumindest Künstler in Frankreich längst nicht mehr leisten können.
Es ist mir fast peinlich, das zugeben zu müssen, aber ich kam mir vor wie die arme Verwandte aus dem Hungerland, die zum ersten Mal im reichen Bananenland einkauft. Milchboykott? Wundert mich, gelinde gesagt, nicht. Für den Liter zahle ich auf unserer Seite der Grenze zwischen 40 Cent und einem Euro mehr! Grappa - undenkbar, so ein exotisches Gesöff in Frankreich zu kaufen, wo auf ausländische Weine und Spirituosen so eine Art Fantasie- oder Abschreckungssteuer geschlagen scheint. Nur der Whiskey ist preiswert, weil wir den trinken, weil der Cognac durch die Exporte nach Japan und in die USA gnadenlos überteuert ist.
Komische Lustkäufe waren auch dabei. Passiert wohl jedem, der lang von irgendwas ferngehalten wird. Klöße. Nicht, dass ich die oft gegessen hätte, als ich noch in Deutschland lebte. Aber in einem kloßfreien Land werden sie auf einmal exotisch, wertvoll. Vor allem nach den zwanzig Sorten in Polen. Ich werde sie allein essen müssen, weil sich meine Freunde kaputtlachen, wieso wir Deutschen diese komischen Golfbälle auch noch essen müssen - das Zeug würde so lustig hopsen, wenn man es auf den Teller wirft... Mit den schwäbischen Maultaschen werde ich eher Furore machen können. "Ravioli d'Alsace" kennt man auch links vom Rhein.
Globales Essen und Einkaufen gab es im Grenzland schon immer. Jeder, der durchzog, schon während des dreißigjährigen Kriegs, ließ seine Rezepte da. Irgendwann war für die Deutschen Frankreich das gelobte Land des Fresseinkaufs und für die Elsässer Deutschland das Land des billigen Sprits. Warum ist das jetzt eigentlich genau umgekehrt?
Die Zeiten haben sich geändert. Wer in Frankreich lebt, erträgt das Fabrik-Baguette aus dem Supermarkt kaum und fährt mittlerweile meilenweit für ein Brot à l' "artisanal", handwerklich, also ganz normal hergestellt vom Bäcker. Mit dem Trinken am Steuer ist Sense. 0,3 Promille sind das Höchstlimit, das der Führerschein in Frankreich noch erträgt, der Geldbeutel weniger. Die Strafen sind drakonisch, müssen sie sein, weil sonst keiner kapiert, schnell ist das Auto weg, wenn die Kreditkarte nicht will. Und ist der Beifahrer dann zufällig auch noch blau, weil der doch angeblich darf... oh non... Taxi! Trunkenes Beifahren ist ebenfalls strafbar - eine solche Gefahr für den Fahrer hat auf der Rückbank zu sitzen!
Und wie ist das mit dem Essen im Gourmetland? Zunehmend ein Jammertal. Gewiss, unsere Käseauswahl ist nach wie vor unübertroffen, aber die Personalauswahl... nein anders: am Personal wird gespart und deshalb schwitzt und mieft der Käse vorabgepackt in Frischhaltefolie. Ein Verfahren, das die meisten Weichkäse Frankreichs nachhaltig killt und den Elsässer Munster regelrecht verpestet. Die Weinpreise richten sich in Frankreich u.a. nach den Preisen, die der Boden in Versteigerungen hergibt, und weil mit Immobilienpreisen im Elsass so schön spekuliert wurde (u.a. von den Ausländern, die nach billigem Wein suchten), ist nun auch der Wein am oberen Limit, häufig überbewertet. Man fährt meilenweit zum richtigen Winzer.
Fleisch? Fleisch wird in Frankreich immer noch besser geschnitten. Gammelt zumindest offiziell nur, wenn es aus Deutschland importiert wurde. Aber - es schwitzt dank Personalabbau immer häufiger wie der Käse in der Fertigpackung und blutet aus. Feinschmeckernahrung, Frisches stirbt aus. Bioware ist immer noch unbezahlbar. Und jetzt, wo das Elsass fest in der Hand von Monsanto und seinem Mais ist, sucht man nach Biobauern und Gemüseanbauern lange. Spargel verkauft man als Spezialität "violet" - eine Todsünde schlechter Pflücker, für die man auf der badischen Seite entlassen würde.
Nun hat es sich seit geraumer Zeit eingebürgert, dass wir Elsässer und Wahlelsässer am liebsten in deutsche Restaurants im Grenzgebiet gehen. Ob die Dorfkneipe im Badischen oder der Winzer in der Pfalz - konkurrenzlos gemütlich und preiswert, und endlich kann man die guten Weine auch als Viertel trinken, wo es bei uns im Pichet nur Billigsuff gibt. Immerhin findet man in der Pfalz quicklebendig genau das, was man sich im Elsass kaputt gemacht hat: die Kultur der Winstub. Dieses Ereignis, zu erschwinglichen Preisen einen gemütlichen Abend mit Freunden verbringen zu können, nicht das Dégustationsmenu nehmen zu müssen und herrliche Weine zu trinken.
Und wie ist das mit dem Einkaufen? Ich habe es heute wissen wollen, nachdem auch da all meine Elsässer Freunde nach Deutschland flüchten. Härte-Vergleichskauf bei einem Discounter in Bad Bergzabern, möglichst gleiche Ware wie sonst für die Woche. Ich bin ziemlich erschrocken. Nicht nur weil dieser Laden mit ziemlich viel italienischer Ware meinem Essverhalten näher kommt (ich liebe Mittelmeerküche). Ich habe tatsächlich nur die Hälfte bezahlt! Und für diese Hälfte bekam ich nicht nur qualitativ bessere Ware und den ein oder anderen kleinen Luxus, den sich zumindest Künstler in Frankreich längst nicht mehr leisten können.
Es ist mir fast peinlich, das zugeben zu müssen, aber ich kam mir vor wie die arme Verwandte aus dem Hungerland, die zum ersten Mal im reichen Bananenland einkauft. Milchboykott? Wundert mich, gelinde gesagt, nicht. Für den Liter zahle ich auf unserer Seite der Grenze zwischen 40 Cent und einem Euro mehr! Grappa - undenkbar, so ein exotisches Gesöff in Frankreich zu kaufen, wo auf ausländische Weine und Spirituosen so eine Art Fantasie- oder Abschreckungssteuer geschlagen scheint. Nur der Whiskey ist preiswert, weil wir den trinken, weil der Cognac durch die Exporte nach Japan und in die USA gnadenlos überteuert ist.
Komische Lustkäufe waren auch dabei. Passiert wohl jedem, der lang von irgendwas ferngehalten wird. Klöße. Nicht, dass ich die oft gegessen hätte, als ich noch in Deutschland lebte. Aber in einem kloßfreien Land werden sie auf einmal exotisch, wertvoll. Vor allem nach den zwanzig Sorten in Polen. Ich werde sie allein essen müssen, weil sich meine Freunde kaputtlachen, wieso wir Deutschen diese komischen Golfbälle auch noch essen müssen - das Zeug würde so lustig hopsen, wenn man es auf den Teller wirft... Mit den schwäbischen Maultaschen werde ich eher Furore machen können. "Ravioli d'Alsace" kennt man auch links vom Rhein.
Globales Essen und Einkaufen gab es im Grenzland schon immer. Jeder, der durchzog, schon während des dreißigjährigen Kriegs, ließ seine Rezepte da. Irgendwann war für die Deutschen Frankreich das gelobte Land des Fresseinkaufs und für die Elsässer Deutschland das Land des billigen Sprits. Warum ist das jetzt eigentlich genau umgekehrt?
Romanfiguren beim Weltenwechsel
Jeder, der einen Roman konzipiert, kennt das: Die Geschichte schreibt sich erst dann richtig, wenn die Figuren vor dem inneren Auge lebendig werden. Der Zauber, beim Lesen in fremde Welten vollkommen einzutauchen, hat mit dem Vermögen des Autors zu tun, seine eigenen Schöpfungen wirklich "echt" zu empfinden. Dieser fast magisch wirkende Vorgang wird von jedem Autor anders provoziert, sollte aber nie im Beisein eines Psychiaters besprochen werden.
Der würde uns vielleicht nicht abnehmen, dass wir mit unserer Hauptfigur frühstücken, spazierengehen, streiten - und sie auch noch fragen, ob sie guten Sex hatte und warum sie sich nicht dieses hässliche Hühnerauge endlich entfernen lässt. Immerhin, wir müssen mit diesem "Wahn" mindestens über mehrere Monate leben, bevor wir in die Abgabedepression fallen, dieses Loch aus Schmerz und Trennungsweh, weil sich die Figuren verabschieden, bevor neue lebendig werden. Einsam sind wir jedenfalls nie, denn manchmal feiern sogar Figuren aus alten Romanen miteinander Party oder stellen uns eine Person für eine Geschichte vor, die wir noch gar nicht erfunden haben. Und wer nähme uns schon ab, dass unsere Protagonisten oft "echter" und näher sind als manche Freunde, die sich lang nicht haben blicken lassen?
Man kann über die wunderbaren Seiten dieser Krankheit, die sich Schriftstellerei nennt, kaum reden. Wer soll einem so etwas glauben? Ich bin beispielsweise so ein Frühstücker. Ich quatsche ausgiebig mit meinen Figuren. Manchmal gibt es dann aber die Sorte, wie ich sie gerade in meiner Hauptfigur gefunden habe: Sie schweigt mich an, sträubt sich. Warum habe ich mich so in sie verliebt, was finde ich an dieser noch nichtssagenden Person? Was hat sie? An manchen Tagen bringt sie mich auf die Palme. Gut, sie hat einen Beruf, in dem man nicht unbedingt zum extrovertierten Redner wird - und sie lässt genug Dialoge im Roman ab. Aber wie, verdammt noch mal, krieg ich sie zum Lachen? Was wäre für sie der größte Verlust?
Wenn ich wissen will, was sie antreibt, erzählt sie mir, dass sie in bestimmten Situationen, als Nichtraucherin, eine "Romeo y Julieta"-Zigarre genießt. Was soll das? An anderen Tagen versteckt sie sich hinter mir und keckert: "Hehehe, ich trage die Haare nur so, weil du dir das als Kind gewünscht hast, aber du hast ja nur Schnittlauch auf dem Kopf, ätsch!" Verdammtes Biest.
Streiten nützt nichts in solchen Fällen. Der Psychiater auch nicht ("Herr Doktor, könnten sie mal bitte die Figur neben mir zurechtbiegen, die weigert sich permanent, sich die Beine zu rasieren"). Was tun?
In solchen Fällen hilft bei mir der Weltenwechsel. Frage mich keiner, was da genau passiert, aber in solchen Fällen treffe ich die Leute. Ich meine, die erfundenen Figuren. In Echt.
So geschehen mit meiner widerspenstigen Hauptfigur. Ich habe in solchen Momenten Angst, dass ich mit aufgerissenem Mund und völlig erstarrt Maulaffen feilhalte, weil ich so überrascht bin. Stellt mir doch tatsächlich jemand unlängst meine Hauptfigur vor! Die gleiche Statur, die gleiche Frisur, diese unvergleichlichen Augen, die Art...
Es war nur eine Begegnung auf Zeit. Aber als ich heimkam, saß meine Hauptfigur feixend am Küchentisch, rauchte eine Zigarre und meinte: "Na, kapierste mich jetzt endlich?" Kleinlaut musste ich zugeben, dass ich versagt hatte. Übermächtig, ja vermessen, hatte ich ihr ein paar Eigenschaften unterjubeln wollen, die sie unmöglich hatte haben können. Sie war anders, sie war wie diese Frau. Ich verstand jetzt auch ihre schweigsamen Phasen, ihre leise Kraft, die sich nicht so schnell verbraucht.
Seither schweigen wir auch mal miteinander bei einer Tasse Kaffee. Jetzt ruft sie mich allerdings. Unmissverständlich laut, keine Widerrede duldend. Sie brennt darauf, endlich diese andere Figur kennenzulernen, der sie bis jetzt nur einmal begegnet ist. Ich übrigens auch...
Und was den Psychiater betrifft, da hat sie einen guten Ratschlag für alle KollegInnen, sollten sie je an sich und ihrer geistigen Gesundheit zweifeln: "Erfinde dir einen."
Der würde uns vielleicht nicht abnehmen, dass wir mit unserer Hauptfigur frühstücken, spazierengehen, streiten - und sie auch noch fragen, ob sie guten Sex hatte und warum sie sich nicht dieses hässliche Hühnerauge endlich entfernen lässt. Immerhin, wir müssen mit diesem "Wahn" mindestens über mehrere Monate leben, bevor wir in die Abgabedepression fallen, dieses Loch aus Schmerz und Trennungsweh, weil sich die Figuren verabschieden, bevor neue lebendig werden. Einsam sind wir jedenfalls nie, denn manchmal feiern sogar Figuren aus alten Romanen miteinander Party oder stellen uns eine Person für eine Geschichte vor, die wir noch gar nicht erfunden haben. Und wer nähme uns schon ab, dass unsere Protagonisten oft "echter" und näher sind als manche Freunde, die sich lang nicht haben blicken lassen?
Man kann über die wunderbaren Seiten dieser Krankheit, die sich Schriftstellerei nennt, kaum reden. Wer soll einem so etwas glauben? Ich bin beispielsweise so ein Frühstücker. Ich quatsche ausgiebig mit meinen Figuren. Manchmal gibt es dann aber die Sorte, wie ich sie gerade in meiner Hauptfigur gefunden habe: Sie schweigt mich an, sträubt sich. Warum habe ich mich so in sie verliebt, was finde ich an dieser noch nichtssagenden Person? Was hat sie? An manchen Tagen bringt sie mich auf die Palme. Gut, sie hat einen Beruf, in dem man nicht unbedingt zum extrovertierten Redner wird - und sie lässt genug Dialoge im Roman ab. Aber wie, verdammt noch mal, krieg ich sie zum Lachen? Was wäre für sie der größte Verlust?
Wenn ich wissen will, was sie antreibt, erzählt sie mir, dass sie in bestimmten Situationen, als Nichtraucherin, eine "Romeo y Julieta"-Zigarre genießt. Was soll das? An anderen Tagen versteckt sie sich hinter mir und keckert: "Hehehe, ich trage die Haare nur so, weil du dir das als Kind gewünscht hast, aber du hast ja nur Schnittlauch auf dem Kopf, ätsch!" Verdammtes Biest.
Streiten nützt nichts in solchen Fällen. Der Psychiater auch nicht ("Herr Doktor, könnten sie mal bitte die Figur neben mir zurechtbiegen, die weigert sich permanent, sich die Beine zu rasieren"). Was tun?
In solchen Fällen hilft bei mir der Weltenwechsel. Frage mich keiner, was da genau passiert, aber in solchen Fällen treffe ich die Leute. Ich meine, die erfundenen Figuren. In Echt.
So geschehen mit meiner widerspenstigen Hauptfigur. Ich habe in solchen Momenten Angst, dass ich mit aufgerissenem Mund und völlig erstarrt Maulaffen feilhalte, weil ich so überrascht bin. Stellt mir doch tatsächlich jemand unlängst meine Hauptfigur vor! Die gleiche Statur, die gleiche Frisur, diese unvergleichlichen Augen, die Art...
Es war nur eine Begegnung auf Zeit. Aber als ich heimkam, saß meine Hauptfigur feixend am Küchentisch, rauchte eine Zigarre und meinte: "Na, kapierste mich jetzt endlich?" Kleinlaut musste ich zugeben, dass ich versagt hatte. Übermächtig, ja vermessen, hatte ich ihr ein paar Eigenschaften unterjubeln wollen, die sie unmöglich hatte haben können. Sie war anders, sie war wie diese Frau. Ich verstand jetzt auch ihre schweigsamen Phasen, ihre leise Kraft, die sich nicht so schnell verbraucht.
Seither schweigen wir auch mal miteinander bei einer Tasse Kaffee. Jetzt ruft sie mich allerdings. Unmissverständlich laut, keine Widerrede duldend. Sie brennt darauf, endlich diese andere Figur kennenzulernen, der sie bis jetzt nur einmal begegnet ist. Ich übrigens auch...
Und was den Psychiater betrifft, da hat sie einen guten Ratschlag für alle KollegInnen, sollten sie je an sich und ihrer geistigen Gesundheit zweifeln: "Erfinde dir einen."
1. Juni 2008
Blütenlese
"Nachlese" möchte ich es nicht nennen, denn die Benefizkunstausstellung "Kunst trifft Rosen" in Europas einzigem Kübelrosarium La Reine des Roses im elsässischen Hatten (30 min. von Baden-Baden) läuft ja noch bis einschließlich 9. Juni.
Aber die Autorin hat nach zwei arbeitsreichen Tagen dort erst einmal lang ausgeschlafen und mit klitzekleinen Augen über dem Café au lait gedacht, sie könne keine Rosen und keinen Sekt mehr sehen. Das mit dem Sekt war nämlich erstaunlich. Noch am Donnerstag bangte ich darum, ob ich es vor Leuten schaffen würde, auch nur eine Flasche einigermaßen elegant zu öffnen - spät in der Nacht nach der Vernissage konnte ich es im Schlaf. Mit etwa 120 Gästen war der Abend ein rauschender Erfolg, verschont von sämtlichen angekündigten Unwettern. Nur dunkel wurde es leider eher als sonst, nicht ganz so ideal, um in einem Buch zu blättern. Selbst die Autorin war nicht leicht zu erkennen. "Ach, Sie haben tatsächlich dieses Buch geschrieben? Selbst geschrieben? Ich dachte, Sie seien die Bedienung." Ach, diese multitaskingfähigen Künstler...
Von denen sind genügend mit faszinierenden Arbeiten da, um den Weg nach Hatten allein zu rechtfertigen: Verena Oberle mit Gemälden und Zeichnungen, Skulpturen (auch für den Garten) von Christa Grune-Wild, Walter Reiss und Renate Ott, Keramik von Kati Langer, Schmuck von Birgit Maringer und nicht nur Seide von Elisabeth Schwinge. Alles weit entfernt von dem, was ländliche Ausstellungen sonst so bieten - auf hohem künstlerischen und handwerklichen Niveau.
Ein wenig standen wir allerdings alle in Konkurrenz zu jemandem, gegen den wir überhaupt nicht ankamen: den üppig blühenden und duftenden Rosen. Die nächtlich illuminierten Rosenbögen, das Rosarium mit den Kerzen und Skulpturen - trotz der Feuchtigkeit mückenfrei - waren ein romantisches Erlebnis besonderer Art. So hat dann auch bei der normalen Öffnung für die Öffentlichkeit so mancher seine Lieblingsrose fürs Leben gefunden oder einen Sekt mit Damaszenerrosensirup aus der Manufaktur genossen. (Bringen Sie genügend Geld mit, die Exponate wie die Rosen sind wirklich verführerisch!)
Wer nicht da war, hat jede Menge wundervoller Rosen, interessanter Menschen, faszinierender Kunst - und das Signieren meiner Kulturgeschichte der Rose "Das Buch der Rose" verpasst. Und wer sich darüber nicht ärgern will, kann die Ausstellung natürlich noch besuchen! Für Kurzentschlossene ist sie heute bis 19 Uhr geöffnet, dann wieder von Fr. bis einschließlich Mo., also vom 06.06-09.06.2008 jeweils von 14 bis 19 Uhr. Mein Buch ist selbstverständlich während der gesamten Zeit käuflich zu erwerben, nur ich mache mich rar (ich muss ja am Nachschub fleißig schreiben):
Wenn Sie sich schnell entscheiden - es gibt noch Karten für meine Lesung am Sonntag, dem 08.06.2008 um 19:30 Uhr , allerdings sollten Sie dringend bis allerspätestens Dienstag reservieren (Tel. (0033) 3 88.80.10.90, in F 03.88.80.10.90 Email und Adresse s. hier ). Die Karte kostet 10 E, das Sektbuffet ist inklusive. Bei schönem Wetter werden Sie im illuminierten Rosarium sitzen; falls es regnen sollte, lese ich zwischen den Kunstwerken in der Galerie. Selbstverständlich werde ich an diesem Abend meine Bücher signieren und für Gespräche zur Verfügung stehen.
Ich wünsche den Besuchern noch viel Vergnügen und bedanke mich für die schönen Gespräche rund um mein Buch! (Übrigens - auch wenn ich leider nur in meiner Muttersprache Deutsch veröffentlichungsfähig schreiben kann - man darf mich gern auch auf Französisch ansprechen.)
Und wie war das mit den Rosen und dem Sekt? Ich gehe jetzt eine Runde Rosen schneiden. Und vielleicht schaue ich dann, ob ich auch für mich eine Flasche öffnen kann...
Aber die Autorin hat nach zwei arbeitsreichen Tagen dort erst einmal lang ausgeschlafen und mit klitzekleinen Augen über dem Café au lait gedacht, sie könne keine Rosen und keinen Sekt mehr sehen. Das mit dem Sekt war nämlich erstaunlich. Noch am Donnerstag bangte ich darum, ob ich es vor Leuten schaffen würde, auch nur eine Flasche einigermaßen elegant zu öffnen - spät in der Nacht nach der Vernissage konnte ich es im Schlaf. Mit etwa 120 Gästen war der Abend ein rauschender Erfolg, verschont von sämtlichen angekündigten Unwettern. Nur dunkel wurde es leider eher als sonst, nicht ganz so ideal, um in einem Buch zu blättern. Selbst die Autorin war nicht leicht zu erkennen. "Ach, Sie haben tatsächlich dieses Buch geschrieben? Selbst geschrieben? Ich dachte, Sie seien die Bedienung." Ach, diese multitaskingfähigen Künstler...
Von denen sind genügend mit faszinierenden Arbeiten da, um den Weg nach Hatten allein zu rechtfertigen: Verena Oberle mit Gemälden und Zeichnungen, Skulpturen (auch für den Garten) von Christa Grune-Wild, Walter Reiss und Renate Ott, Keramik von Kati Langer, Schmuck von Birgit Maringer und nicht nur Seide von Elisabeth Schwinge. Alles weit entfernt von dem, was ländliche Ausstellungen sonst so bieten - auf hohem künstlerischen und handwerklichen Niveau.
Ein wenig standen wir allerdings alle in Konkurrenz zu jemandem, gegen den wir überhaupt nicht ankamen: den üppig blühenden und duftenden Rosen. Die nächtlich illuminierten Rosenbögen, das Rosarium mit den Kerzen und Skulpturen - trotz der Feuchtigkeit mückenfrei - waren ein romantisches Erlebnis besonderer Art. So hat dann auch bei der normalen Öffnung für die Öffentlichkeit so mancher seine Lieblingsrose fürs Leben gefunden oder einen Sekt mit Damaszenerrosensirup aus der Manufaktur genossen. (Bringen Sie genügend Geld mit, die Exponate wie die Rosen sind wirklich verführerisch!)
Wer nicht da war, hat jede Menge wundervoller Rosen, interessanter Menschen, faszinierender Kunst - und das Signieren meiner Kulturgeschichte der Rose "Das Buch der Rose" verpasst. Und wer sich darüber nicht ärgern will, kann die Ausstellung natürlich noch besuchen! Für Kurzentschlossene ist sie heute bis 19 Uhr geöffnet, dann wieder von Fr. bis einschließlich Mo., also vom 06.06-09.06.2008 jeweils von 14 bis 19 Uhr. Mein Buch ist selbstverständlich während der gesamten Zeit käuflich zu erwerben, nur ich mache mich rar (ich muss ja am Nachschub fleißig schreiben):
Wenn Sie sich schnell entscheiden - es gibt noch Karten für meine Lesung am Sonntag, dem 08.06.2008 um 19:30 Uhr , allerdings sollten Sie dringend bis allerspätestens Dienstag reservieren (Tel. (0033) 3 88.80.10.90, in F 03.88.80.10.90 Email und Adresse s. hier ). Die Karte kostet 10 E, das Sektbuffet ist inklusive. Bei schönem Wetter werden Sie im illuminierten Rosarium sitzen; falls es regnen sollte, lese ich zwischen den Kunstwerken in der Galerie. Selbstverständlich werde ich an diesem Abend meine Bücher signieren und für Gespräche zur Verfügung stehen.
Ich wünsche den Besuchern noch viel Vergnügen und bedanke mich für die schönen Gespräche rund um mein Buch! (Übrigens - auch wenn ich leider nur in meiner Muttersprache Deutsch veröffentlichungsfähig schreiben kann - man darf mich gern auch auf Französisch ansprechen.)
Und wie war das mit den Rosen und dem Sekt? Ich gehe jetzt eine Runde Rosen schneiden. Und vielleicht schaue ich dann, ob ich auch für mich eine Flasche öffnen kann...