Annäherung an ein Baumwesen

Im ländlichen Frankreich werden Bäume noch oft wie in alten Legenden wahrgenommen, ihre mythische Bedeutung ist tief verankert im kollektiven Bewusstsein. Auch wenn die Generation Google das allenfalls aus Wikipedia kennt, die Alten und die "Wasserschmecker" wissen noch, warum beispielsweise ein Zwieselwuchs seit uralten Zeiten eine magische Wirkung auf die Menschen ausübte. Den Geschichten hört nur kaum noch jemand zu, denn heutzutage gelten solche Bäume oft nur noch als "Wertminderung" und "Sicherheitsrisiko" und werden den Fachmenschen fürs Baumfällen anvertraut. Früher wurden Sonderformen der Natur besonders beachtet.

Eine Eiche im Zwieselwuchs am Waldrand zieht den Blick auf sich

Die alten Legenden ordneten diese Bäume oft dem Mond und weiblichen Naturgeistern oder Gottheiten zu, nicht umsonst fand man später - der Christianisierung wegen - kleine Madonnenstatuen in ihrem Knick oder in einer Höhlung, die sich in der Rinde gebildet hatte. Zeigte der Stamm unterhalb der Teilung einen länglichen Spalt, der dann verblüffend einer Klitoris ähnelt, pilgerten im Mittelalter Frauen zu diesem Baum und baten um Fruchtbarkeit und Kindersegen. Man hängte Bänder für die Wünsche ins Geäst oder schenkte dem Baumwesen kleine Votivgaben, wie man sie auch aus Kirchen kennt. Verständlich wird diese "Magie des Ähnlichen", wenn man sich einmal einem solchen Baum nähert - wirkt er nicht tatsächlich wie ein Mensch, der beide Arme nach oben streckt? Der Mensch deutet die Natur und schon sind wir im Bereich der Kultur.

Schon von Natur aus hat diese Eiche etwas Besonderes an sich. Da ist nicht nur dieses Dreieck aus Moos, das in trockenen Sommern aus dem Bach darunter feucht gehalten wird. Aus der Beuge des Zwiesels wächst direkt im Eichenstamm ein kleiner Weißdorn, der in diesem Jahr voll von Früchten war. Aber da ist mehr zu sehen: Naturgegenstände, die der Mensch hinzufügte ... Kultur im Wald.

Wer dann so einen Baum entdeckt, der "noch in Betrieb" ist, der kann schmunzeln über diese komischen Menschen im 21. Jahrhundert. Oder aber einfach schauen: Was haben sie mit dem Baum veranstaltet? Was erzählen uns die Gegenstände? Wie wirken sie? Machen sie etwas mit uns? Und was mag geschehen, wenn wir ebenfalls etwas hinzufügen? Wenn wir über diesen Baum mit anderen Menschen in einen Dialog treten? Schon sind wir innerhalb der Kultur einen Schritt weitergegangen: Der Mensch macht Kunst. Kunst verändert das Objekt. Kunst macht aber auch etwas mit uns.

Ein Stein, einfach nur ein Stein? Es gibt hier weit und breit keine Kieselsteine ...

Im Rindenloch über dem Moos hockt ein leeres Schneckenhaus - Zufall? In einem anderen Rindenloch liegt ein Tierzahn. Zufall? Oder hat hier der Mensch wieder gespielt, gebastelt, gebetet? Kunst am Baum?

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