Vom Süppchenkochen

Als ich gestern die Massen in Paris sah, dachte ich, Weihnachten und Ostern fielen auf einen Tag. Denn dass wirklich alle französischen Gewerkschaften aller Couleur gemeinsam gegen die Politik Sarkozys auf die Straße gehen, ist kaum zu glauben. Gewiss, so langsam fällt auch dem Letzten auf, dass er es geschafft hat, in Nullkommanichts das "grande" der Nation wegzukärchern. Familien mit ganz normalem Einkommen könnten sich ohne die neuen deutschen Billigdiscounter im Land nicht mehr richtig ernähren. Und die großartige Ankündigung, jeder der weit unter dem Mindestlohn liege, bekomme nun ein wenig Sozialhilfe dazu, verschleiert nur, dass Frankreichs Arbeitgeber die Mindestlöhne längst nicht mehr einhalten und Arbeitslose als Billigstlohnkräfte versteckt werden. Wie in anderen Ländern Europas ziehen sich die Unternehmer aus der Verantwortung und wälzen so ihre Lohnkosten auf den Steuerzahler ab, um ihre Profite noch mehr zu steigern.

Aber darum geht es mir hier nicht. Ich bewundere nur einmal mehr die Einheit politisch völlig gegensätzlich Gesinnter. Eine Eigenschaft, die ich in Frankreich erst langsam erlernen musste. Wenn Streithähne gemeinsam Wein trinken, verfeindete Parteien ein Schwätzchen halten - dann wirkt das für einen Deutschen, der sogar den Müll nach genauen Regeln trennt, zunächst befremdlich, ja vielleicht sogar gleichgültig. Mit der Zeit lernte ich jedoch, dass das ellenlange, i-tüpfelige Ausdiskutieren und Gegenargumentieren, dieser fast zwanghafte Wunsch, zuerst alles gedanklich zu ordnen, bevor man handelt, eine einzigartige Verhinderungtaktik sein kann. So hat man sich zwar ernsthaft mit einer Sache beschäftigt und jeder darf sich ein wenig als Fachmann fühlen - aber richtig in Gefahr begeben für die Zivilcourage hat man sich nicht.

Im letzten Monat habe ich mich - wie die zahllosen Beiträge über Google hier zeigen, mit einem mehr oder weniger politischen (auch kulturellen) Thema von deutscher Sicht aus beschäftigt. Zahllose Diskussionen gab es auch anderswo, im Web wie im Leben. Und da ist mir aufgefallen, wie sehr mich inzwischen diese "deutsche" Art ermüdet, bei der einzelne Kampfhähne ihre Jüngerschaft um sich scharen und wie im Tanzritual aufeinander einhacken. Das geht so weit, dass man den anderen irgendwann auch als Mensch niedermacht. Und klar, mit einem Blödian trinkt man nachher keinen Wein, pardon, kein Bier. Es dauert dann nicht lang, bis all die Grüppchen in ihrer Selbstisolation nicht mehr wissen, worum es im Großen überhaupt ging. Man wird zu kleinteilig und vergisst die Sache an sich. Hauptsache, der Müll ist im eigenen Haus ordentlich getrennt, spielt keine Rolle, dass man ihn auf der Deponie vielleicht doch wieder zusammen schüttet.

Und da ist mir noch etwas aufgefallen, was in Frankreich anders ist. Hier gehen die Künstler und Kulturschaffenden gemeinsam auf die Straße. Sie betrachten sich als eine Einheit mit eigenen Meinungen (unity in diversity sagt man auf Englisch so passend). Aber ihr Anliegen, Kunst und Kultur, sind ihnen so wichtig, dass sie nicht gegeneinander arbeiten. Als hauptsächlich Textschaffende erlebe ich in Deutschland, dass bildende Künstler an völlig anderen Dingen interessiert sind, Leute mit Musik ganz anders in die Welt schauen und Veranstalter gleich als Feinde gebrandmarkt werden. Und die Bühnenschaffenden? Tja, welche Ausbildung hast du denn?

Woher das meiner Meinung nach kommt? Wer nicht gerade einen bunten Bekanntenkreis hat, weiß fast nichts über den anderen. Über Schriftsteller oder Texter kursieren die abenteuerlichsten Vorstellungen. Von denen aus wird geurteilt. Habt euch nicht so, E-books verschenken bringt Werbung und reich werdet ihr trotzdem. Du hast doch neben einem Buch genug Zeit für noch zwei Jobs, warum gehst du nicht richtig arbeiten? Wieso suchst du monatelang nach einem Verlag, wenn du dein Buch mit einem Klick ins Internet stellen kannst? Fragen, wie sie jeder Kollege, jede Kollegin mehrfach hört.

Ich denke, wenn ich hier wieder voll disponibel bin, werde ich einmal ein wenig aus dem Alltag eines völlig durchschnittlichen Autors berichten. Eines Autors, der keine Bestseller schreibt, keinen Literaturpreis gewonnen hat und nicht in Hollywood verfilmt wird. Es wird ein fiktiver Durchschnittsautor sein, in den ich alles packen werde, was ich aus Kollegenkreisen und Verlagen so höre. Denn das kommt mir bei der ganzen aufgeregten Diskussion auch im Feuilleton in den letzten Wochen viel zu kurz: diesen Otto Normalautor kennt niemand. Fragt niemand.

Vielleicht schwindet dann ein wenig die Schwellenangst, auch mit solchen Leuten Wein zu trinken? Oder vielleicht zu begreifen, dass es um sehr viel mehr geht? Das hat man in Frankreich offensichtlich endlich verstanden: Solange wir untereinander streiten, freuen sich diejenigen, die fest daran arbeiten, wertvolle Errungenschaften zum eigenen Vorteil und Profit abzuschaffen. Und die waren sich schon immer einig.

Lesetipp:

Sendemanuskript SWR2: Das "Revoluzzer-Gen" der Franzosen (Link auf der Seite rechts)

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