Umweltverseuchung

Aufräumen zwecklos. Ich bin mal wieder so weit. Die Anfänge eines Projekts spielen sich bei mir immer brav im Arbeitszimmer ab. Wie praktisch, wenn Besuch kommt: Tür zu, fertig. Je mehr aber meine Figuren und Geschichten von mir Besitz ergreifen, desto schlimmer machen sie sich breit. Irgendwann, mittendrin, an diesem Punkt des no return breiten sie sich auch räumlich in meinem Leben aus.

Da gibt es dann den Haufen von Büchern, die man liegend liest statt fernzusehen. Der Esstisch ist ideal, um Pläne auszubreiten und Bilder zu sichten. Essen kann man eigentlich auch in der Küche. Auch wenn ich dazu nicht unbedingt ein russisch-deutsches Wörterbuch brauche, das sich bei der Kaffeetasse breit macht. Aber da war doch dieses polnische Wort in jener Biografie, das ich nachschlagen wollte - hole ich also das Wörterbuch auch noch. Muss ich noch sagen, dass es bei mir kein Zimmer ohne Stift, kein Zimmer ohne Papier gibt (auch nicht das kleinste)?

Ich weiß, ich weiß. Weinende tote Bäume auf dem Schreibtisch, Klimawandel in der Küche, Papierpest, die viral vom Buch auf den Menschen übertragbar ist. Mal ganz abgesehen von der fehlenden Technikaffinität, wo man doch heute tragbar alles mit sich herumträgt und sogar der Laptop noch Junge bekommt. Spätestens beim nächsten Stromausfall rutscht aber mein Bleistift wieder lustig übers Papier, streichle ich die weichen Flanken verwandelten Holzes. An besonderen Feiertagen schreibe ich sogar auf tote Tücher, handgeschöpft, mit Tinte, handgemischt. Ich gebe zu, ich bin ein von der Papierpest auf immer infizierter Schreib-Lustmolch, unheilbar befallen. (Der natürlich doppelt lustig ist und den Entwurfstext dann im Computer erarbeitet, froh um dessen Funktionen).

Seit gestern ist die Durchseuchung meiner Wohnung mit meinem Projekt multimedial. Das Ding ist verdammt klein, aber dank der Kopfhörer finde ich es sofort: mein mp3-Player. Kein Zucchero mehr, keine Aretha Franklin, alles gelöscht. Stattdessen dudle ich mir bis zum Auswendigkönnen die Musik meines Hörprojekts um die Ohren, während ich genüsslich Bleistifte spitze. Habe ich schon verraten, dass bei mir die besten Ideen am ehesten aus einem ganz bestimmten Bleistift rinnen? Stärke HB natürlich. Ich kaufe ihn in Deutschland auf Vorrat oder ansonsten in Frankreich den dort häufigeren Steno-Ersatz.

Nur bitte nicht nachahmen. Ich mache nämlich eindeutig etwas falsch. Kürzlich war ich auf Recherche nach meinem liebsten Korrekturstift, einem "Blei"stift für Dokumente in einem wahrhaft berauschenden Rosarot, der sich ins Papier schmiegt, als seien beide füreinander geschaffen. Ich hatte als Kind so einen, verehrte ihn als mein liebstes Spielzeug. Er wurde so lange angespitzt, bis fast nichts mehr zum Anfassen übrig war und dann in einer "Stummelschachtel" mit Leidensgenossen zur ewigen Ruhe gebettet. Was heißt Ruhe ... Mit Stummeln schreiben sich die ganz besonders wertvollen Ideen auf. Irgendwann verschwand der Wunderstift aus den Läden, aber ich habe ihn im Internet wiedergefunden.

Und Schlimmes entdeckt. Günther Grass schreibt mit meinem Bleistift, Stärke 3B. Ephraim Kishon war nach der gleichen Sorte süchtig, 3B. Heinrich Böll spitzte die grünen Dinger, in 3B. Nur ich kleines unbedarftes Depperl kaufe immer und überall die Stärke HB. So kann das nichts werden! So wird man nie Literat! Wir wissen ja alle, was aus dem HB-Männchen geworden ist...

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