Jetzt erst recht?

Man sagt, ein Schriftsteller müsse zäh sein, Geduld und Durchhaltevermögen mitbringen. Wie unendlich zäh er sein muss, sagt man ihm nicht. Wer würde auch freiwillig einen Beruf auf sich nehmen, für den man schon verrückt sein muss, weil "Durchhaltevermögen" nicht mehr das richtige Wort ist für Selbstaufgabe.

Das Klischee vom armen Poeten feiert fröhlich Urständ, auf moderne Weise. Die Energiepreise haben die Honorare sprunghaft überholt, das Leben wird nicht leichter. Aber man kann es bewältigen, wenn man regelmäßig seine Verträge abschließt, die einen wieder bis zum nächsten Vertrag ernähren müssen. Manchmal dauert das Verhandeln, da muss man durchhalten und weiterschreiben, als wenn nichts wäre. Als ich in dem Geschäft anfing, gab es aber auch Wartegrenzen. Ein Projekt, das nach einem Jahr nicht verkauft war, hatte man getrost vergessen können, die Zugriffszeiten der Verlage bei Gefallen verschlangen nur ein paar Monatsmieten.

Was ich derzeit in Kollegenkreisen erlebe, ist nicht mehr schön. Und es häuft sich so, dass es ein Trend zu werden scheint. Dieses magische eine Jahr scheint bei vielen Verlagen neuerdings eher zur Norm zu werden. Selbst Kollegen, die sich schon einen Namen gemacht haben, warten. Und warten. Und warten. Erst der Vorbuchmessestress und das große Nichts. Die Buchmesse abwarten. Dann der Nachbuchmessestress, wir können noch nichts sagen. Es gibt überhaupt kaum noch Absagen - das erlebe auch ich. Verlage schweigen einfach und vergessen. Immer mehr Kollegen erzählen mir von fadenscheinigen Ausreden, die im Grunde nichts besagen außer einem: Ach, irgendwie sind wir uns nicht sicher, aber wir sind uns auch nicht sicher, warum. Entscheidungsunfähigkeit? Risikoangst? Die falschen Unternehmensberater?

Zwei Kollegen im Bekanntenkreis stehen vor dem endgültigen Aus. Sie haben schon einiges veröffentlicht, sind professionell und gut, haben ihr Publikum. Wollen diesen Beruf. Lieben diesen Beruf. Aber ein paar Monate zu langes Warten haben die Finanzen aufgefressen, die Kreativität zermürbt. Der eine sieht das Verlagssystem in einer bürokratischen Sackgasse und mag sich nicht mehr damit herumärgern, baut wieder seinen Brotjob auf. Der andere überbrückt als Altenpfleger und sagt, vielleicht bleibe er lieber ganz in diesem Beruf, da sehe er direkt, dass seine Arbeit noch gefragt und zu etwas nütze sei. Zwei Autoren weniger, aber es gibt ja genug. Keiner wird ihnen nachweinen und auch das ist bitter. Ähnlich habe ich das während der Medienkrise erlebt, da wurden viele Kollegen Weinhändler und ich Buchautorin.

Eines meiner Projekte lässt mich ebenfalls den galoppierenden Wahnsinn erleben. Bereits vor Jahren hatte ich den Riecher, das würde einmal ein ganz großes Thema werden. Dann ist es ein Thema geworden. Aus etwa acht Jahren Fachrecherche ist ein lesenswertes Exposé entstanden und in die Welt hinausgezogen. Als Journalistin hatte ich einmal einen Artikel darüber verkauft: Einfach in einer fremden Redaktion angerufen: Wow, irre, gekauft. Das Verlagsgeschäft läuft langsamer. Fachliche Kritik kam noch keine. Niemand bemängelt irgendwelche Qualitätsprobleme oder sagt mir, dass ich nicht schreiben könnte. Aber man müsse da noch überlegen und dort, und mal abwarten und überhaupt. Auch das ist üblich: Erst wenn der erste zugreift, zeigen die anderen Interesse. Poker.

Die Autorin macht derweil unentgeltlich Marketingarbeit für das Projekt. Schreibt Papiere über internationale Verflechtungen, sammelt Medienstimmen, baut Statistiken, bastelt Werbetexte. Vielleicht hilft das. Und sie wartet. Und wartet. Ist das Thema nun ein Thema oder nicht? Eigentlich hätte das Buch längst geschrieben sein können, aber aufwändige Sachbücher schreiben sich nicht ohne Honorar zum Überleben. Da hört sie, dass derzeit einige andere Verlage an dem heißen Thema dran sind: Zeitungsverlage. Und das Fernsehen. International. Die Schriftstellerin aber wartet und wartet. Und da fällt ihr ein, dass sie im Hauptberuf eigentlich Journalistin ist. Worauf wartet sie eigentlich noch?

Ich habe gelernt, dass es in kreativen Berufen eine Schmerzgrenze geben muss. Wo Durchhaltevermögen und Geduld das kreative Selbst auffressen. Als Autor muss man schöpfen können, zielgerichtet arbeiten. Man lebt von der Wertschätzung der eigenen Arbeit, lebt davon, eben nicht nur ein Shampoo gegen fettiges Haar abzufüllen und unters Volk zu werfen. Man kann sich eine Weile erfolgreich selbst vormachen, die eigenen Ideen würden irgendeinen Sinn in die Welt bringen, irgendwen interessieren. Aber wenn es kein Feedback dazu gibt, bleibt die Kunst Illusion. Kunst braucht Publikum. Was aber tun, wenn man zwischen den Seilen hängt?

Mein persönliches Rezept: Sich unabhängiger machen. Sich aus dem Gefühl des Ausgeliefertseins an andere befreien. Denn das lähmt irgendwann. Freiräume des Schöpfens schaffen. Darauf achten, dass man sich selbst nicht verliert. Was will ICH - nicht: Was erwarten die anderen von mir?

Ich habe in diesem Jahr zum ersten Mal mein Heizöl nicht mit Büchern verdient. Und war gelinde schockiert, um wie viel schneller man selbst mit Dumpinglöhnen in einem "bürgerlichen" Job Geld verdienen kann. Ich bin dabei, mir Freiräume zu schaffen, die nicht weniger Risiko bedeuten und nicht weniger Zähigkeit und Engagement verlangen. Aber hier "mache" ich, warte nicht Monate, bin nicht ausgeliefert. Ich bin ebenfalls ein profitorientiertes Unternehmen, denn der Kühlschrank will gefüllt werden. Aber ich leiste mir echten Unternehmergeist.

So haben mir meine Lesungen die Idee zum Auftrittsprojekt "Sinnesreisen" beschert. Warum immer erst schreiben, drucken, lesen? Warum nicht gleich auftreten - andere machen das doch auch? Und dann habe ich andere "Macher" getroffen. Wir hecken etwas ganz Neues aus. Wir sind bereit zu Risiko, Experiment, Qualität. Weil wir wissen, die Menschen warten darauf. Wir überspringen sogar das "Medium" Buch... Vielleicht fallen wir alle auf die Nase. Aber dann wissen wir wenigstens wofür. Wir haben gewagt.

Heute lache ich wieder über zaudernde Verlage. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, heißt es doch?

Ich denke, wir Autoren müssen uns wie nie zuvor klarmachen, was wir wert sind, was wir schaffen können. Denn man sagt und zeigt es uns immer weniger. Schlimmer als negative Kritik ist keine Kritik. Aber Schreiben ist so viel mehr als Buchtext-Tippen. Schöpfen kann über das Herkömmliche, Gewohnte weit hinausgehen.

Liebe Kollegen und Kolleginnen, die ihr in diesen Tagen ans Aufgeben denkt: Könnt ihr auf lange Sicht wirklich ohne eure Kreativität leben? IHR seid die Schöpfer. Ohne euch keine Bücher, Filme, Artikel, multimediale Inhalte! Befreit euch vom Ausgeliefertsein. Schafft - im doppelten Wortsinn. Vielleicht kann der Altenpfleger sich in Zukunft etwas leisten, was der Schriftsteller mit Hausautorenvertrag nicht mehr kann: Ein wirklich kreatives Herzensprojekt in aller Ruhe reifen lassen und ausarbeiten?
Und an die, die aus allen guten Gründen dieser Welt warten lassen: Vergesst nicht, das M mit dem Ihr zu tun habt, steht nicht für Material, sondern für Mensch.

Zu langes Warten bringt einen auf verzweifelte Ideen. Und manchmal auch auf völlig verrückte. Dann wird Warten zur Chance.

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